SWR2 Wort zum Tag

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03APR2024
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Das ist einfach ungerecht! Mit Schülerinnen und Schülern habe ich das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg diskutiert. Und die Schüler konnten sich gar nicht damit anfreunden, dass am Ende alle Arbeiter den gleichen Lohn bekommen – egal, ob die den ganzen Tag oder nur ein paar Stunden gearbeitet haben. Einfach ungerecht fanden sie das.

Gewundert hat mich das eigentlich nicht. Die Vorstellung von Leistungsgerechtigkeit, nachdem jeder gemäß dem Wert seiner Leistung entlohnt wird, ist bei uns gesellschaftlich ziemlich weit verbreitet.

Aber wenn ich zum Beispiel mal Gehalt und Boni eines Vorstandes der Deutschen Bahn mit dem eines Lokführers vergleiche, frage ich mich schon, ob das gerecht ist. Leistet der Manager so viel mehr als andere „normale“ Angestellte. Ist das wirklich gerecht? Viele Menschen empfinden das zumindest nicht so.

Also dann vielleicht doch lieber einer Form der Bedarfsgerechtigkeit, wie sie bei den Arbeitern im Weinberg stark gemacht wird. Denn darum geht es im Kern: Jeder soll so viel bekommen, damit es für ihn und seine Familie zu einem guten Leben reicht – unabhängig von seiner Leistung.

Aber auch das finde viele Menschen ungerecht, nicht nur meine Schüler.
Ja, was ist gerecht? Darüber könnte man sicher tagelang diskutieren.

Das Problem ist: DIE eine Gerechtigkeit gibt es nicht. Und gerade deshalb muss man immer wieder diskutieren; Leitplanken ausloten, an denen man sich orientieren kann und soll. Und ich glaube, da sind wir alle gefordert.

Der Theologe Gerd Theißen schreibt über Gerechtigkeitsvorstellungen in der Bibel:
„Das Gerechtigkeitsmotiv verpflichtet alle zur Gerechtigkeit. Nicht nur den König, sondern das ganze Volk ist verantwortlich dafür,
dass der Schwache geschont,
der Fremde respektiert,
der Arme unterstützt wird.“[1]

Ich glaube, das ist etwas ganz Wichtiges: Nämlich, dass die Verantwortung für Gerechtigkeit und füreinander nicht abgeschoben wird. Man ist selbst mitverantwortlich dafür, dass es gerecht oder eben ungerecht zugeht.

Denn Gerechtigkeit lässt sich nicht nur durch die Politik oder Gesetze regeln. Klar, manches könnte man sicher auch von dort aus in bessere Bahnen lenken. Aber insgesamt ist es doch ein höchst komplexes Geschehen, Bedingungen zu schaffen, in denen es so gerecht wie möglich zugeht. Ich glaube, da können wir uns alle einbringen und Verantwortung füreinander übernehmen.

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[1] Gerd Theißen, Glaubenssätze, Gütersloh 2012, S. 266.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39625
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