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SWR4 Abendgedanken

26SEP2023
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Können Sie sich das vorstellen? Es gibt bald keinen Kaffee mehr! Ich trinke jeden Tag Kaffee. Einen am Morgen und einen am Nachmittag, manchmal noch abends einen Espresso. Kaffee ist für mich nicht nur einfach ein Getränk. Kaffee hat für mich mit einem guten Lebensgefühl und mit Gemeinschaft zu tun. Oft sag ich zu Kollegen oder Freundinnen: „Lass uns auf einen Kaffee treffen“. Ein Tag ohne Kaffee - da würde mir echt was fehlen.

Noch etwa 25 Jahre, dann könnte dieses Szenario tatsächlich Realität sein – es gibt keinen oder nur noch wenig Kaffee auf der Welt. Weil der Klimawandel die Kaffee-Anbaugebiete zerstört hat. Den empfindlichen Kaffee-Pflanzen ist es zu heiß geworden, die Böden sind zu trocken, der Regen kommt zur falschen Zeit. Experten können mit Studien ziemlich genau vorhersagen, dass es so kommen wird.[1]

Aktuell findet in ganz Deutschland gerade die sogenannte Faire Woche statt; da gibt es Infos und Aktionen rund um den Fairen Handel. Fairer Handel das bedeutet kurz zusammengefasst: Menschen, die für uns auf der Südhalbkugel Lebensmittel anbauen oder Produkte herstellen, bekommen dafür einen Lohn, von dem sie leben können. Dieser Lohn macht es ihnen möglich, so zu wirtschaften, dass die Natur nicht geschädigt und Arbeiter nicht ausgebeutet werden. Und Kaffee ist das wichtigste Produkt beim Fairen Handel, mit den Kaffeebohnen hat der Faire Handel vor 50 Jahren sogar begonnen.

Durch den Klimawandel ist jetzt auch dieser ganze Faire Handel bedroht. Darunter Hunderttausende kleinbäuerliche Betriebe, die Kaffee für uns anbauen. Um darauf aufmerksam zu machen, lautet das Motto der diesjährigen Fairen Woche: „Fair. Und kein Grad mehr!“

Es ist längst bekannt: Menschen auf der Südhalbkugel tragen mit ihren Lebensgewohnheiten am wenigsten zum Klimawandel bei. Und sind gleichzeitig am stärksten von den Folgen betroffen. Deshalb finde ich es nur fair, wenn wir sie wenigstens finanziell unterstützen, damit sie eine Chance haben, mit den Klimaveränderungen umzugehen. Denn die sind ja jetzt schon spürbar. Die Kaffee-Ernten sind kleiner, die Qualität wird schlechter, neue Krankheiten zerstören die Kaffeepflanzen.

Mich beeindruckt, dass die kleinbäuerlichen Kaffee-Produzenten aber trotzdem nicht resignieren. Sie suchen neue Wege. Sie verlagern Anbau-Fläche in höhere Regionen, wo es kühler ist. Sie versuchen es mit Biodiversität, also unterschiedliche Pflanzen, auf ihren Anbauflächen. Sie nutzen erneuerbare Energien, usw. 

In 25 Jahren werde ich wohl keinen Kaffee mehr mit Kolleginnen trinken aber hoffentlich noch mit meinen Senioren-Freundinnen. Damit es aber überhaupt noch Kaffee gibt und damit der nicht nur uns guttut, sondern vor allem denen, die ihn für uns angebaut haben, ist Fair gehandelter Kaffee für mich schon lange eine klare Entscheidung.

 

[1]https://www.nationalgeographic.de/umwelt/2022/01/studie-kaffee-wird-kuenftig-knapp

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38431
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SWR4 Abendgedanken

25SEP2023
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Ein großer Friedensstifter hat heute Namenstag. Der heilige Nikolaus von Flüe. Mit dessen Lebensgeschichte hatte ich lange meine Schwierigkeiten. Weil ich den Eindruck hatte, er folgt dem Ruf Gottes auf Kosten seiner Familie.

Kurz zusammengefasst geht seine Lebensgeschichte so: Nikolaus von Flüe hat Mitte des 15. Jahrhunderts in der Schweiz gelebt. Er war Bergbauer und gleichzeitig engagiert als Richter und Politiker. Er und seine Frau Dorothea hatten zusammen zehn Kinder und waren ein gutes und glückliches Paar. Und dann plötzlich die Wende: Nikolaus verlässt Frau und Kinder und baut sich eine Hütte in einer Schlucht. Er glaubt, dass Gott ihn ruft. Deshalb will er als Einsiedler leben und auf diese Weise Gott und den Menschen dienen. Das gelingt ihm tatsächlich. Viele Menschen kommen zu ihm und fragen um Rat, auch Politiker und Staatsmänner. Der Frieden ist sein Thema, Streitigkeiten schlichten. Das kann er, weil er die Gabe hat, sich in andere hineinzuversetzen; und er hat immer gut verstanden, wie weit jemand gehen kann. Sein Ansatz ist, „es niemals bis aufs Äußerste ankommen zu lassen“.[1] Das ist auch heute ein guter Rat. Am Ende jedenfalls ist es Nikolaus sogar gelungen, einen Bürgerkrieg in der Schweiz zu verhindern. Und die Schweizer haben ihn deshalb zu ihrem Nationalheiligen erklärt.

Wenn ich die Geschichte des Klaus von Flüe so lese, dann denke ich zunächst: Der ist einfach gegangen! Er hat sich rausgenommen, sich selbst zu verwirklichen. Und Frau und zehn Kinder hat er sitzen lassen. Da kann man leicht erfolgreich sein, wenn man alles stehen und liegen lässt – selbst wenn Gott einen dazu ruft.

Aber ganz so einfach war es dann doch nicht. Nikolaus hat mehrere Jahre mit dieser Entscheidung gerungen. Und seine Frau Dorothea hat gespürt, dass er unruhig war, dass er gelitten hat. Als Nikolaus schließlich klar war, dass er Hof und Familie verlassen muss, hat er Dorothea gebeten, ihm dafür ihr JA-Wort zu geben. Sie hat es getan, sie hat ein zweites Mal JA zu ihrem Mann gesagt.

Wie stark war diese Frau! Wie groß muss ihre Liebe gewesen sein, dass sie ihren Mann frei gibt. Dass sie verzichtet. Und dass sie den Willen Gottes an die erste Stelle setzt und sich selbst zurücknimmt.

Dorothea hat ihren Mann in Frieden gehen lassen. In Frieden und in Liebe. Für sie war dieses zweite JA ganz sicher eines, das sehr weh getan hat. Doch ich glaube: Ohne dieses JA, hätte Nikolaus von Flüe selbst keinen Frieden gefunden. Nur so war es ihm möglich, sich dann auch für den Frieden zwischen anderen einzusetzen.

Deshalb gehört zum Gedenktag des heiligen Nikolaus von Flüe heute seine für mich mindestens genauso heilige Frau Dorothea.

 

 

 

[1]https://50plusmagazin.ch/interview-mit-schriftsteller-pirmin-meier-ueber-niklaus-von-fluee/

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

26AUG2023
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Ich steh hinter der Theke und lasse einen Espresso aus der Maschine. Ich schaue auf den großen Holztisch in der Mitte meines Cafés. Der ist schön gedeckt, mit weißen Servietten und Gartenblumen. Bereit für die Gäste zum Sonntagsfrühstück. Rundherum sind Sitzbänke an großen Fenstern. Hier gibt es immer Kaffee und Kuchen und was zu lesen; und nur wer kann, der bezahlt.
Das ist mein Sehnsuchtsort, und ich bin dort die Gastgeberin.

Ja, das ist eine Träumerei, so ein Café! Das ist doch utopisch, höre ich von meiner Familie, wenn ich wieder einmal anfange, von diesem Ort zu erzählen. Mag sein. Aber genau das macht Sehnsucht aus: Mir etwas vorzustellen und zu wünschen, ohne zwingend das Ziel erreichen zu müssen. Es geht um etwas, das bisher in meinem Leben fehlt. Und das muss gar nicht schlimm oder schmerzlich sein. Im Gegenteil: Die Sehnsucht zeigt mir einfach an, was mir wichtig ist in meinem Leben. Sehnsüchte sind wie Wegweiser.

Die Dichterin Nelly Sachs schreibt über die Sehnsucht: „Immer ist im Herzen Raum für mehr, für Schöneres, für Größeres. Sehnsucht ist ein Zeichen von Lebendigsein. Wo keine Sehnsucht ist, kein Wünschen und Wollen, keine Träume, da ist der Mensch wie gelähmt und blockiert.“

Genauso empfinde ich das auch: Die Sehnsucht treibt mich an, sie inspiriert mich. Und sie ist wie ein Bild, das ich abgleichen kann: Bin ich auf dem richtigen Weg? Kommt in meinem Leben vor, wonach ich mich sehne?

Mein Café mit den großen Fenstern: Da erkenne ich die Dinge, die mir wichtig sind im Leben: Zuallererst die Gastfreundschaft. Menschen, denen ich begegne, sollen eine gute Zeit mit mir haben. Der große Tisch in der Mitte steht dafür: Keiner soll alleine zuhause sitzen. Wenn ich könnte, würde ich vor jeder Kirche so einen Tisch aufstellen. Kaffee, Kuchen und was zu lesen: Das sind die kleinen Pausen im Leben, die ich brauche – und tatsächlich kann ich sehr gut durchatmen, wenn ich irgendwo sitze und etwas Süßes genießen darf. Die Vorstellung, dass in meinem Café nur bezahlt, wer das auch kann, spiegelt wider: die Themen Solidarität und Gerechtigkeit beschäftigen mich sehr.

Ich denke es ist nicht wichtig, ob unsere Sehnsucht jemals erfüllt werden kann. Wichtig ist, dass wir eine haben. Weil sie unserem Leben eine Richtung gibt und einen Sinn.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

24AUG2023
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Es gibt Orte, an denen sind ganz besondere Erfahrungen möglich. Für mich ist das Meer so ein Ort, und da vor allem die Insel Wangerooge in der Nordsee. Sie ist mir in den letzten Jahren zu einem echten „Herzensort“ geworden. Deshalb bin ich in diesem Sommer wieder dort. Wangerooge ist klein, es fahren keine Autos, und eigentlich ist die Insel eher unspektakulär: Also keine Touristenattraktionen, keine Sehenswürdigkeiten. Und gerade das macht die Insel für mich so wohltuend – Hier weiß ich, dass es genügt, wenn ich einfach nur da bin. Am liebsten bin ich dann direkt am Meer. Und weil die Insel so klein ist, beginnt das Meer gleich hinter der Haustüre. Womöglich ist das der Grund, dass es mir so leichtfällt, morgens aufzustehen und einfach loszulaufen. Hier gelingt mir das ohne Mühe. Ganz anders als zuhause. Manchmal bin ich schon vor Sonnenaufgang unterwegs. Und wenn ich dann dort bei Ebbe am Strand stehe und aufs Meer schaue, dann kommt mir der Vers eines Psalms in den Sinn. „Du stellst meine Füße auf weiten Raum.“ Ich spüre am ganzen Körper, was damit gemeint ist. Dieses einmalige Gefühl. Ich breite meine Arme im Wind aus und vergesse für einen Augenblick alles um mich herum. Diese Psalm-Worte lassen mich durchatmen. Es ist fast so, als ob Gott mir Luft verschafft.

Der 31. Psalm erzählt aber nicht nur von der Weite und den Möglichkeiten, er beginnt zunächst als Klagelied. Der ihn einst gebetet hat, sagt, dass er Angst hat. Dass seine Kraft zu Ende geht. Er stellt sich dem, was nicht gut ist, und bittet Gott um Hilfe. Weil er auf ihn vertraut, sieht er dann eine andere Lebensperspektive, einen neuen Horizont. Auch das bedeutet die Aussage „Du stellst meine Füße auf weiten Raum.“

Für mich öffnet sich auf Wangerooge ein Raum für spirituelle Erfahrungen, weil es für mich an diesem Ort gut ist. Weil sich da, wie sonst kaum irgendwo, meine Sinne erholen. Kein Verkehrslärm, niemand hupt, keine stickige Stadtluft. Sondern: Ich höre, wenn die Wellen an den Strand rollen, wie die Möwen kreischen. Ich spüre den Boden unter den Füßen, wenn ich barfuß im Sand laufe. Ich rieche das Salz in der Luft, ich sehe im Meer und am Horizont unendlich viel Schattierungen der Farbe Blau. Da draußen kommt mir Gott nahe.

Ich wünsche Ihnen, dass Sie immer wieder solche Orte finden, die gut sind für Sie. Wo Sie Gott ahnen können. Nicht nur in den Ferien.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

29JUL2023
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Ich hab‘s endlich geschafft. Ich mache wieder regelmäßig Sport. Das hört sich jetzt vielleicht banal an. Aber für mich war‘s ein langer Weg. Viele Jahre habe ich das nämlich nicht hinbekommen - vom Sofa aufzustehen und loszulaufen. Es gab immer einen Grund, warum das nicht ging. Es hat mir keiner den Rücken freigehalten, mit den Kindern und im Haushalt war so viel zu organisieren, und niemand ist vorbeigekommen, der mich zum Radfahren oder joggen einfach abgeholt hätte.

Ich hatte immer darauf gesetzt, dass „ein anderer“ es mir möglich macht, Sport zu treiben.

Von so einer Situation erzählt schon die Bibel.

Jesus kommt an den Teich Betesda in Jerusalem. An diesem Teich liegen sehr viele kranke Menschen. Einer von ihnen seit 38 Jahren. Als Jesus das erfährt geht er zu dem kranken Mann hin und fragt ihn: „Willst du gesund werden?“ Eine seltsame Frage, denn an dem Teich wollen alle gesund werden. Das Wasser dort soll heilende Wirkung haben. Aber immer nur dann, wenn es sich bewegt, also wenn die Quelle des Teichs zu sprudeln beginnt. Doch nur wer dann auch noch als erster im Wasser ist, kann geheilt werden. Unter diesen Vorzeichen stellt Jesus also die Frage: „Willst Du gesund werden?“.

Der Mann sagt nicht einfach „Ja, ich will gesund werden“, er erzählt Jesus einen halben Roman: Ich hab keinen, der mich zum Wasser bringt, wenn es sich bewegt. Und außerdem ist immer jemand anderes schneller als ich. Niemand unterstützt mich bei diesem Wettlauf.

Jesus geht überhaupt nicht auf seine Erklärungen ein, sondern befiehlt dem Kranken kurz und knapp: „Steh auf, nimm deine Matte und geh umher!“ Und genau das tut der Mann. Er steht tatsächlich auf.

Was ist da passiert?

Der Mann war wahrscheinlich gar nicht körperlich krank. Er hatte ein anderes Problem. Er selbst hat nichts dafür getan, dass er gesund wird. Vielleicht hat er auch nicht daran geglaubt, dass er etwas tun kann. Und das ist für mich der Moment, wo Heilung in der Geschichte passiert: Jesus traut dem Kranken zu, dass er aufstehen kann. Und weckt damit Kräfte, die wohl verschüttet waren. Noch ein zweiter Aspekt ist wichtig: Diese Geschichte ist für mich ein Appell an meine, an unsere eigene Verantwortung und nicht zuerst nach denen zu rufen, die uns etwas ermöglichen sollen. Das gilt im Privatleben genauso wie für Dinge in der Schule, in Kirche oder Politik. Ich muss schauen, was ich selbsttun und beitragen kann.

Aufzustehen und Sport zu machen – das kostet mich immer noch jedes Mal Mühe, aber es wird langsam gut.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

27JUL2023
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Wie hab ich’s geliebt, mein türkisfarbenes Sommerkleid. Weshalb ich es einfach nicht übers Herz gebracht habe, es in den Alt-Kleidersack zu stopfen. Das Kleid im Internet zu verkaufen war mir zu umständlich. Und so lag es zusammen mit vielen anderen zu klein gewordenen Lieblingsstücken zwei Jahre in einer Kiste. Bis jetzt.

Da hat nebenan in Nürtingen ein besonderer Laden aufgemacht. Eine Secondhand-Boutique. Sie nennt sich „Secontique“. Dahinter steckt ein tolles Konzept, wie ich finde. Das merkt man gleich, wenn man in den Laden kommt. Der ist schick eingerichtet, die Kleider sind farblich sortiert und schön aufgehängt. Man findet nur gute Stücke, keine billige Ramschware.

In der Secontique geht es um mehr als nur darum, dass ein Kleidungsstück den Besitzer wechselt. Hier geht es um Wertschätzung. Für die Rohstoffe und Materialien, aus denen Kleider gemacht sind. Für die Arbeit, die in jedem einzelnen Teil steckt.

Diese Secondhand-Boutique ist die fünfte ihrer Art in meiner Nähe. Hinter dem Konzept steckt die „Aktion Hoffnung“[1]. Das ist ein Verband, der zur katholischen Kirche gehört. Der kümmert sich seit vielen Jahrzehnten darum, dass gebrauchte Kleidung verwertet oder weiterverwendet wird. Wenn am Ende ein Gewinn übrigbleibt, dann werden soziale Projekte oder Bildungsinitiativen unterstützt. Sowohl hier bei uns wie auch in Eine-Welt-Ländern.

Für mich ist die Secontique ein Beispiel, das zeigt, wie man Fast Fashion etwas entgegensetzen kann. Also jenem Trend, bei dem Kleidung, schnell, billig, mit minderwertigen Materialien und in großer Menge produziert wird. Denn das hat katastrophale Folgen. Diese Kleider sind Wegwerf-Produkte. Sie sind so schlecht, dass man sie nicht einmal mehr verwerten kann, und deshalb landen sie auf dem Müll. Es entstehen richtige Müllberge; nicht bei uns, in Afrika und Asien. Ich schäme mich bei der Vorstellung, dass Näherinnen ausgebeutet werden, damit unser Kleider-Konsum-Wahn befriedigt wird. Denn auch wir in Deutschland tragen zu der Situation bei: Etwa 60 neue Kleidungsstücke pro Jahr kauft jede und jeder von uns. Das ist ein Wahnsinn! Ich kaufe mir auch gerne ab und zu etwas Neues. Aber ich überlege mir das mittlerweile gut. Und ich bezahle lieber ein wenig mehr dafür und schaue, wo ich Hersteller finde, die unter fairen Bedingungen produzieren lassen.

Mein Sommerkleid in dem schönen Türkis hängt jetzt in der Secontique. Meine Altkleider-Kiste habe ich gerne dort abgegeben. Hoffentlich passt das Kleid bald jemandem. Und vielleicht freut sich diejenige genauso darüber wie ich, wenn das Kleid noch einen zweiten Sommer erlebt.

 

[1]www.aktion-hoffnung.org

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

26JUL2023
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Dieser Sommer ist anders. Die Kinder sind weg und zum ersten Mal ganz allein auf Reisen. Das ist nicht alles: Meine Tochter hat die Schule jetzt beendet und ihr Zimmer ausgemistet; nach den Ferien beginnt sie ihren freiwilligen Wehrdienst, fast 400 Kilometer weit weg. Das ist ein eigenartiges Gefühl. 18 Jahre haben wir fast jeden Tag miteinander verbracht. Und bald ist sie nur noch Gast zuhause.

So wie mir geht es den meisten Eltern. Irgendwann ist es Zeit, loszulassen. Bei mir kommen da gerade ganz unterschiedliche Dinge zusammen: Ich bin dankbar, dass wir diese gemeinsame Zeit hatten. Ich bin wehmütig, dass sie vorbei ist. Ich mache mir Sorgen, was aus meiner Tochter wird; und ob meine Begleitung gut genug war. Ich bin unsicher, wie mein Sohn ohne Schwester klarkommt – denn die beiden waren ein richtig gutes Team. Und als letztes: Ich spüre ein wenig Freiheit. Da ist wieder Zeit und Raum für mich.

Es gibt ein Lied, das gut dazu passt, „Vertraut den neuen Wegen“. Es wird oft zu besonderen Anlässen gesungen; bei Taufen, bei der Erstkommunion, der Firmung und auch bei Hochzeiten. Also in Situationen, in denen sich das Leben ändert. Man könnte auch sagen: an Lebensübergängen. Es passt für mich deshalb so gut, weil es ausdrückt, worum es jetzt geht; in einer Situation, in der etwas Neues beginnt – sowohl für meine Tochter wie auch für mich. Der Text geht so:

Vertraut den neuen Wegen, auf die uns Gott gesandt! Er selbst kommt uns entgegen. Die Zukunft ist sein Land. Wer aufbricht, der kann hoffen in Zeit und Ewigkeit. Die Tore stehen offen. Das Land ist hell und weit.

Diese Strophe tut mir besonders gut, weil sie mir hilft, dass meine Gedanken weiter werden, dass ich über den Horizont hinausschauen kann. Und weil ich leichter loslassen kann, wenn ich Gott mit auf dem Weg weiß. Ich empfinde diese Liedstrophe sogar als Zusage: Du hast Deinen Teil getan. Du hast das Kind auf den Weg gesetzt und darfst vertrauen, dass es weitergeht. Es gibt eine Zukunft. Und: Du hast nicht alles in der Hand. Sei offen, für das, was kommt.

Das wünsche ich heute besonders den Eltern, die ihre Kinder in diesem Sommer loslassen, aus welchem Grund auch immer: dass sie dankbar bleiben und zuversichtlich. Dass sie vertrauen können, dass Gott irgendwo da draußen mit auf dem Weg ist. Und dass sie auch eine Zeit ohne Kinder schätzen und genießen können.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

25JUL2023
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In Deutschland gibt es jetzt ein neues Fachkräfteeinwanderungsgesetz. Grundsätzlich finde ich das gut. Weil die Politik auf eine Situation reagiert, die ja schon lange so ist. Seit Jahrzehnten kommen Menschen zu uns und bis sie arbeiten können, dauert es oft sehr lange und ist furchtbar kompliziert. Wir brauchen Leute aus anderen Ländern, viele Leute. Vor allem solche, die etwas können. Fachkräfte also. Experten sagen, damit unsere Wirtschaft funktioniert, müssen jedes Jahr 400.000 Einwanderer nach Deutschland kommen. Deshalb ist es gut und richtig, wenn manches mit dem Einwanderungsgesetz jetzt einfacher wird.

Gleichzeitig habe ich gestutzt. Rund um die Debatte zu diesem neuen Gesetz haben mich Sätze aus dem Bundestag aufhorchen lassen. Es ging dabei um junge Leute. Sie sollen „bald hier in Deutschland dabei unterstützen, unseren Wohlstand zu sichern.“ Die Regierung will mithilfe einer sogenannten Chancenkarte „die besten Kräfte nach Deutschland holen.“[1]

Ich frage mich: Wer sind wir, dass wir glauben, wir dürften uns die Besten einfach holen und sie einspannen für unseren Wohlstand? Haben wir mehr Rechte? Sind wir mehr wert? Da steckt ein Bild vom Menschen dahinter, das mir nicht gefällt. 

Es ist richtig, ohne Migration steht unser Wohlstand auf dem Spiel. Allerdings vergessen wir dabei etwas: Wir sind doch diejenigen, die etwas wollen! Deshalb gefällt mir gut, was die Berliner Migrationsforscherin Naika Foroutan über Menschen sagt, die bereit sind, ihre Heimat zu verlassen. Sie bezeichnet sie als: „Migrantisches Gold“[2]. Und das ändert die Blickrichtung. Uns muss klar sein: Wir konkurrieren mit vielen Ländern auf der ganzen Welt um Fachkräfte, um diese Gold-Migranten. Wenn sie zu uns kommen sollen, dann müssen wir als Gesellschaft etwas anbieten: Ehrlich interessiert sein auch an den Menschen, die nicht so ticken wie wir, neugierig sein auf andere Kulturen und nicht in eine Art rassistische Panikmache verfallen. Es geht um eine Willkommenskultur!

Dabei ist vollkommen klar: Es braucht Regeln, wenn unterschiedliche Kulturen gut zusammenleben wollen, das soll überhaupt nicht zur Debatte stehen.

Am Ende jedenfalls muss die Vision heißen: Migranten kommen gerne zu uns, weil es hier im Grunde gut ist. Es ist ein Geben und Nehmen, wir kümmern uns, um gleiche Chancen und darum, dass Menschen sich integrieren können. Wir arbeiten gemeinsam für diese Gesellschaft. Und: Migranten verdienen hier gutes Geld - aber eben nicht als unsere Wohlstands-Sklaven, sondern als Menschen, die unsere Wertschätzung verdienen.

 

[1]https://www.bundesregierung.de/breg-de/service/bulletin/rede-der-bundesministerin-des-innern-und-fuer-heimat-nancy-faeser--2198540

[2]https://taz.de/Einwanderung-und-Arbeitskraeftemangel/!5899383/

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

24JUL2023
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Am Wochenende war ich auf einem Fest, beim katholischen Frauenbund. Wir haben Maria Magdalena gefeiert, weil sie Namenstag hatte. Wir haben ihren Mut gefeiert: (denn) Sie blieb bei Jesus, als der am Kreuz gestorben ist. Sie hat gewartet, bis er ins Grab gelegt wurde. Und sie ging als Erste zum Grab als die Jünger sich immer noch versteckt haben; weil sie Angst hatten, dass sie selbst getötet werden. Tausende Mitglieder des Frauenbunds in ganz Deutschland haben am Wochenende aber nicht nur gefeiert. Sie haben sich auch, wieder einmal, über die katholische Kirche empört, weil sie die Botschaft dieser Geschichte noch immer ignoriert.

Maria Magdalena war als Frau Zeugin, dass Jesus auferstanden ist. Sie hatte den Auftrag, von diesem Ereignis zu erzählen. Das war etwas Besonderes in ihrer Zeit, weil die von Männern beherrscht war; da hatten Frauen und Kinder nichts zu sagen. Das alles ist für mich kein Zufall. Sondern Jesus hat ganz bewusst vorgelebt, dass es in Gottes Reich auf der Erde gleichberechtigt zugehen muss. Schon jetzt!

Deshalb ist es so unglaublich, was Kirchenmänner in den folgenden Jahrhunderten aus Maria Magdalena gemacht haben: Es hat ihnen nicht gepasst, dass es eine Frau gab, die so direkt an Jesus dran war. Und so kam es, dass man Maria Magdalena ein „Schmuddel-Image“ verpasst hat. Sie wurde zur Prostituierten erklärt, zu einer erotisch angehauchten Sünderin. Heute ist längst nachgewiesen, dass das so nicht stimmt. Papst Franziskus hat anerkannt, wie wichtig die Rolle von Maria Magdalena war und hat sie gestärkt: Er hat ihren Namenstag am 22. Juli vor einigen Jahren zum Festtag in der katholischen Kirche erhoben. Sie ist damit jetzt auf demselben Rang wie andere Apostel. Ein starkes Zeichen.

Doch: was hat’s gebracht? Nichts. Immer noch nichts. Keine Spur von Gleichberechtigung, keine Aussicht darauf, dass Frauen zu Diakoninnen oder Priesterinnen geweiht werden. Dass auch sie ihrer Berufung folgen dürfen. Ich gebe zu, die Situation in unserer Kirche lässt mich ratlos zurück. Und wütend. Denn was für eine Chance wäre es für die ganze Gesellschaft, wenn die Kirche vorangehen würde bei diesem Thema. Gleiche Würde, gleiche Rechte. Obwohl das im Grundgesetz steht, in der Realität gibt es dafür noch eine Menge zu tun. Aufgeben also? Nein. Weiter feiern! Und immer wieder auf den Beginn des Christentums schauen. Auf Jesus und seinen Umgang mit Frauen. Ich glaube, dass dass der Mut von Maria Magdalena nicht umsonst war.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38096
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SWR1 Begegnungen

16JUL2023
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Carla Olbrich Foto: Manuela Pfann

 … und mit Carla Olbrich. Ich treffe die junge Frau auf einem Acker. Sie hackt den trockenen Boden auf, wässert und bindet Tomaten hoch. Dieser Acker auf der Bundesgartenschau in Mannheim heißt „Weltacker“. Und Carla ist die Gärtnerin. Die 27-Jährige kümmert sich um eine Fläche von 2000 Quadratmetern. So groß ist ein Weltacker. Diese Zahl ist wichtig, weil darin eine Botschaft steckt.

Die 2000 Quadratmeter kommen daher zustande, indem wir die weltweite Ackerfläche durch die Anzahl der Menschen teilen. Und da, wenn wir es gerecht verteilen würden, hätte jeder 2000 Quadratmeter zur Verfügung.

Ich ahne schon, dass die Fläche nicht gerecht verteilt ist. Sonst hätte ja jeder das, was er zum Leben braucht.

Durch unseren Lebensstil verbrauchen wir dreimal so viel, wie uns eigentlich in Deutschland zur Verfügung steht. Und diese Anbauflächen fehlen natürlich wieder in anderen Ländern, wo für die örtliche Bevölkerung nichts angebaut wird, sondern unser Kaffee oder das Soja, was unsere Tiere gefüttert bekommen.

Carla führt mich über „ihren“ Acker in Mannheim und ich merke mit welcher Begeisterung und mit wieviel Wissen sie mir Zusammenhänge erklärt und mir zeigt, was sie wo angebaut hat. Alles ist auf dem Weltacker genau so bepflanzt, wie es den Anbauverhältnissen auf der Welt entspricht. Es gibt kleine Flächen, da wächst zum Beispiel Sesam, auf einer mittelgroßen blühen gerade Erdnusspflanzen; und dann ist da die ganz große Fläche.

Die Hälfte der weltweiten Ackerflächen ist mit Getreide bepflanzt. Darunter fällt Mais, Hirse, Weizen und Gerste und zum Beispiel auch der Reis.

Ich lerne noch etwas: Bis auf den Reis wird der größere Teil des Getreides an Tiere verfüttert oder man macht Treibstoff oder Energie daraus. Das hilft also nicht gegen den Hunger auf der Welt. Ich gebe zu, dass ich das in dieser Deutlichkeit bisher nicht vor Augen hatte.

Diese globalen Zusammenhänge auf ein menschliches Maß runterzubrechen, also das macht es irgendwie greifbarer und zeigt so die eigene Verantwortung auf oder zeigt auf, dass alles, was ich irgendwie esse, früher mal einen Platz irgendwo hatte.

Wie sie das meint, wird mir klar, als wir vor den sogenannten Flächenbuffets stehen. Das sind Holzkästen, ähnlich wie Hochbeete. Da werden alle Zutaten angepflanzt, die für ein bestimmtes Gericht benötigt werden.

In unserem Fall haben wir zum Beispiel Pizza Margherita und die Pizza Margherita besteht ja aus Mehl, aus dem Käse, aus der Tomatensoße und aus Olivenöl. Und all das, was in einer Pizza ist, braucht Platz auf einem Acker.

Fast eineinhalb Quadratmeter für eine einzige Pizza! Ganz schön viel, finde ich. Was ich esse, ist also wie ein Auftrag an den Landwirt. Er muss seine Flächen so bebauen, wie mein Konsum es erfordert.

 

Carla Olbrich ist die Gärtnerin des sogenannten Weltackers auf der Bundesgartenschau in Mannheim. Auf diesem Weltacker wird deutlich: wie ich lebe und was ich verbrauche, führt dazu, dass Nahrungsmittel auf der Welt ungerecht verteilt sind. Weil ich und die meisten in den Industrieländern zu viel Ackerfläche in Anspruch nehmen. Für Carla ist deshalb wichtig:

Die Verbindung wieder herzustellen zwischen den Produkten, die im Supermarkt liegen, und der Landwirtschaft, die irgendwie draußen vor unseren Haustüren stattfindet. Ich glaube, diese Verbindung ist sehr stark beschädigt oder gar nicht mehr vorhanden.

Carla versteht was von Landwirtschaft. Die junge Frau hat schon in vielen Betrieben gearbeitet und gerade ihr Studium „ökologische Landwirtschaft“ abgeschlossen. Im Supermarkt kauft sie nur ganz selten ein.

Ich weiß bei jedem Produkt, was da irgendwie gerade schiefläuft

Sie denkt an Gemüse aus Spanien oder Italien, riesige Gewächshäuser, enormer Wasserverbrauch und teils unwürdige Arbeitsbedingungen. Was sie sich wünschen würde wäre,

dass wir im Supermarkt nicht stehen müssen und sagen müssen: Das eine ist das Gute und das andere ist irgendwie nicht das Gute.Dinge, die irgendwie unsere Welt zerstören - warum sollten wir die noch haben?

Also kein Billig-Fleisch mehr, und Gemüse und Obst nur aus der Region und dann, wenn Saison ist.
Doch was ist mit der Tatsache, dass viele Menschen wenig Geld haben und deswegen angewiesen auf günstige Lebensmittel?

Dann müssen wir dafür sorgen, dass die genug Geld haben, um sich das zu leisten und nicht günstige Lebensmittel auf den Markt zu bringen. Das Problem muss woanders gelöst werden.

Carla hat eine klare Haltung; und gleichzeitig erlebe ich sie als Realistin.

Nichtsdestotrotz darf man sich selber da nicht kaputt machen und auch nicht die ganze Verantwortung nur bei sich selber suchen und denken, ich muss 100 Prozent nachhaltig leben und dann rette ich damit die Welt.

Es braucht vor allem politische Weichenstellungen, da sind wir beide uns einig. Damit die Situation auf der Welt irgendwann vielleicht so aussieht:

Kleinbäuerlich mit viel Wertschätzung den Menschen gegenüber, die für uns Nahrungsmittel anbauen, die davon leben können, nicht ausgebeutet werden. Und eine Landwirtschaft, in der auch Tiere ihren Platz haben, in der viele Insekten ihren Platz haben, die sehr vielfältig ist, wo deutlich weniger Tierfutter angebaut wird und deutlich mehr Gemüse, Obst, Hülsenfrüchte. Das ist so mein Traum.

Auch wenn dieser Zustand im Moment weit weg scheint - ich bewundere Carla, sie ist so jung und trotz allem so ansteckend optimistisch - und hackt und wässert einfach weiter. Und setzt darauf, dass wir alle zusammen verstehen, dass wir etwas ändern müssen.

Ich würde jetzt einfach mal sagen: Ja, das ist möglich. Weil, wenn ich denken würde, es wäre nicht möglich, dann wüsste ich nicht, ob ich noch weitermachen würde. Deswegen: Ja, ich will, dass es möglich ist. Und ich glaube ganz, ganz fest daran. Ja, wir schaffen das!

 

Link:

Informationen zum Bildungsprojekt „Weltacker“ in mehreren Städten in Deutschland:
https://www.2000m2.eu/de/

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38049
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