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Anstöße SWR1 RP / Morgengedanken SWR4 RP

12OKT2024
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„Machst du auch Trauungen unterm Riesenrad?“, so bin ich gefragt worden. Ja, ich war dabei. Zum Trau-Fest mit 80 Paaren auf dem Dürkheimer Wurstmarkt. Das erste Mal für uns als Kirche, für uns Pfarrerinnen und Pfarrer. Und für das Helferteam vor Ort. Bibel, Ballons und Segensbändchen: Alles ist gerichtet, im Weindorf, wo ich trauen darf.

Dann kommt Jasmin, ganz in Schwarz mit einem Blumenstrauß. Dramatisch geschminkt, die Haare zu Teufelshörnchen gedreht. Daneben Christian, auch edel schwarz, Gehrock, Silberstock. Gothics, Gruftis sind sie. „Echt, die Beiden traust du?“, raunt mir eine Dame aus dem Helferteam zu. Schon steht das Paar vor mir. So schwarz wie ich in meinem Talar. Christian strafft sich, Jasmin strahlt und weint zugleich. Der Moment ist ihnen heilig. Fernsehkameras und Schaulustige um uns herum sind vergessen.

"Liebe verliert nie die Hoffnung und hält durch bis zum Ende.“ Diesen Trauspruch haben die Beiden gewählt. Denn sie haben durchgehalten im 13. Jahr ihrer Ehe. Mit Krisen, Krankheiten und schließlich der Trennung. Es war zu Ende. Aber nur fast. „Wir lieben uns jetzt umso tiefer, wir fangen neu an, dazu brauchen wir Hilfe“, hat das Paar im Vorfeld gesagt. Eben darum bitten sie um Segen.

Zwei in Schwarz, bei denen viele rot sehen. Und denken, alle Gothics gleich Friedhofsschänder oder Kirchenfeinde. Aber wer sie mal kennenlernt… „Also ich muss sie beide jetzt umarmen“, sagt die Dame aus dem Helferteam, die zuvor so skeptisch war, „das war so schön, was ich über sie gehört habe, Gott segne sie!“ Jasmin schluchzt wieder. Christian drückt mich und meint „Wir sind so berührt von dieser Trauung“. Ich war es auch. Es tut einfach gut, wenn Kirche da ist, wo sie sein soll: nah bei den Menschen.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengedanken SWR4 RP

11OKT2024
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Heute ist der internationale Mädchentag. Er erinnert an die Rolle und Rechte von Mädchen und Frauen. „Hier ist nicht Mann noch Frau“, alle sind gleich vor Gott, heißt es in der Bibel. Und ähnlich steht es in den Menschenrechten. Aber mit den Mädchenrechten steht es nicht überall gut. Viele haben keine Rechte, kennen sie nicht mal, weil sie nicht lesen und schreiben können.

Rund 140 Millionen Mädchen auf der Welt können keine Schule besuchen. Sie müssen sich Bildung erkämpfen. Wie Malala Yousafzai, geboren 1997 in Pakistan. Dort gehen damals nur die Jungen zur Schule. Aber ihr Vater, ein Lehrer, denkt fortschrittlich. Er gründet eine eigene Schule, auch für Mädchen wie seine Malala. Als sie zehn Jahre alt ist, ergreifen die radikalislamischen Taliban die Macht, zerstören Schulen und verbieten es - bei Strafe - Mädchen zu unterrichten.

Malala und ihr Vater lassen sich nicht einschüchtern. Sie kämpfen weiter für das Recht jedes Kindes auf Bildung. Dann ein Attentat: Auf Malala wird geschossen, ein Schuss trifft direkt in ihr Gesicht. Sie überlebt, wie durch ein Wunder. Die Welt ist entsetzt über den Anschlag auf ein 15jähriges Mädchen und mit ihr solidarisch. Malala wird noch mutiger, ihre Stimme noch lauter. Genau vor 10 Jahren, 2014, erhält sie den Friedensnobelpreis. Als jüngste Preisträgerin mit nur 17 Jahren.

Mädchen, Frauen – wir Frauen - können vieles erreichen, wenn wir denn dürfen. Dazu sollten wir nicht gegen Männer kämpfen müssen, sondern mit ihnen gemeinsam. Um das gleiche Recht für alle. Das Recht auf Bildung und Selbstbestimmung. Der Welt-Mädchentag heute erinnert daran: Mädchenrechte sind Menschenrechte.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengedanken SWR4 RP

10OKT2024
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Mit Mechthild Werner, guten Morgen. „Sie wollen zu mir?“, eine Dame streckt den Kopf aus der Tür. „Nein, ich hab bei meiner Mutter geklingelt“, sage ich. Vor deren Tür stehe ich nämlich im Seniorenstift. Scheinbar hört sie mein Klingeln nicht. Dafür aber die Nachbarin im Appartement nebenan.

„Ich bin Papelmann“, sagt sie durch den Türspalt, „Ihre Frau Mutter ist nicht da, sie ist beim Sport…denke ich…“, sie fährt sich durch die graulila Haare, „ich vergess ja vieles, wissen Sie, ich bin… Ach, Sie können doch bei mir warten, komm Kindchen…“, und schon werde ich hineingezogen. In die Tür und in ihr Leben.

„Na ja, Kindchen bin ich nicht mehr“, sag ich lachend zu Frau Papelmann, die jetzt in Gänze vor mir steht. Lila Haare, Bluse im Leopardenprint, wild wie ihr Blick. Wild entschlossen. „Setzen. Wir trinken was, Kindchen. Gott, wie lang war niemand hier! Da machen wir gar nicht lang rum.“ Zwei Kristallgläser Sekt später weiß ich alles. Zumindest einiges über die Dame auf dem Plüschsofa. Boutiqueverkäuferin war sie. Schönes Haus, netter Mann - früh verwitwet, lang allein gelebt. Bis der Sohn meint, so geht´s nicht mehr, Mama.

„Seitdem sitz ich hier“, sie räuspert sich. „Ich vergess´ viel, aber nie, wie gut´s mir geht. Ja, mit dem da oben im Himmel red´ ich, dass er mich auch erstmal vergessen darf. Aber wenn er mich ruft, soll er nicht lang rum machen.“ „Ihr Wort in Gottes Ohr“, lache ich, „aber jetzt muss ich rüber zu meiner Mutter.“ „Welche Mutter?“ Frau Papelmann ist mit dem Vergessen vertraut. Und mit Gott. „Ich hasse wirklich Leute, die lang rum machen“, meint sie noch in der Tür, „aber der da oben wird´s schon richtig machen.“ Was für ein Gottvertrauen, denke ich, mache nicht lang rum und klingle bei Mama.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengedanken SWR4 RP

09OKT2024
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Ich hab´s getan. #PORTO YCN8RNZU. Das hab ich auf´s Briefkuvert geschrieben: Eine digitale Briefmarke. Superpraktisch und superschade, wenn ich die nackten Zeichen sehe. Ohne schöne Marke. Dabei gibt´s heute, am 9. Oktober, so einige Briefmarken-Ausstellungen. Denn bei uns und in 150 Ländern wird Weltposttag gefeiert. Sogar mit einem internationalen Briefschreibe-Wettbewerb für junge Leute. Wow. Wer schreibt noch Briefe?

Ich, aber ich bin auch nicht mehr jung. An Freunde schreib ich gern Briefe oder Karten. Auch an meine briefverrückte Tante, die sich freut, wenn ein Kuvert aus ihrem Briefkasten fällt. Die mir postwendend mit Gedichtzeilen antwortet, die ich entziffern darf. Ja, Briefe lesen und schreiben braucht Zeit und Liebe. Klar mag ich auch die schnellen Chats und Emojis, aber noch mehr diese altmodische Schnecken-Post. Wo wären wir auch ohne sie?

Ohne Post keine Liebesbriefe – davon hüte ich noch eine Schatzkiste voll. Und: Ohne Post keine Bibel. Sie ist voller Briefe von Apostel Paulus und anderen. Die Christengemeinden waren schon damals in aller Welt zerstreut. Da sind Briefe von Israel nach Italien, Griechenland, in die Türkei gegangen, um sich auszutauschen über Glauben, Hoffnung, Liebe. Per Schiff, über den Seeweg. Das hat x mal länger gedauert als heutige News, aber die Verbindung ist nie abgerissen.

Bis heute sind Briefe Gedanken-Übertragung. Langsam und nachhaltig. Gedanken und Gefühle laufen vom Kopf über´s Herz in die Hand auf´s Papier. Zeilen, die in Ruhe geschrieben und immer wieder gelesen werden können. Dazu schöne Briefmarken. Am besten oldschool: mit viel Liebe und Spucke aufgeklebt. Heute am Weltposttag hol ich mir wieder welche.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengedanken SWR4 RP

08OKT2024
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Ich glaube, ich hab Jesus getroffen. Am Kiosk im Speyerer Bahnhof. Dort stehe ich, will mein Wasser zahlen. Meine S-Bahn fährt gleich, ich hab’s eilig. Nur noch ein Mann vor mir, mit Beinschiene und Krücke. Als er dran ist, drängelt jemand rein – ein älterer Mann mit Hut – greift eine Zeitung vom Tresen.

„Hej, ich war dran“, empört sich der Mann vor mir, „dabei sind Sie doch alt, Sie haben Zeit!“ „Hab Sie nicht gesehen“, murmelt der Hutmann über die Schulter. „Ach was, ich komm Ihnen gleich hin“, ruft der mit Krücke und rückt bedrohlich vor. Der mit Hut wird nun auch laut: „Ich hab Sie nicht gesehen da hinten.“ Er dreht sich um. Er trägt eine Augenklappe und droht: „Ich bin alt, aber ich war Boxer. Sehen Sie das?“ Er hält dem Krückenmann seinen Bizeps vor die Nase.

Gerade will ich dazwischen, da sagt der junge Mann an der Kasse: „Moment, ich hätte ja sehen müssen, wer dran ist. Tut mir leid. Schauen sie sich an, sie haben es ja Beide nicht leicht.“ Die Beiden schauen sich nicht direkt an. Aber der Mann mit Hut lässt die Arme sinken, tippt kurz auf seine Augenklappe und geht. Der mit Krücke flucht nur noch leise vor sich hin. Und ist nun endlich dran.

Meine S-Bahn ist weg, aber ich bin erleichtert. Wie gut, wenn sich Menschen gesehen fühlen – selbst in ihrer Wut. „Schauen sie sich an, sie haben es Beide nicht leicht“, das hat er gesagt, der Verkäufer im Kiosk. Jetzt steh ich vor ihm. „Noch was, nur das Wasser?“, fragt er. „Nur das Wasser“, sage ich, „nein, noch etwas: Das war ganz groß von Ihnen, die Zwei zu beruhigen“. „Ach was“, meint er, und strahlt „das hätt doch jeder gekonnt, ich bin ja nicht Jesus“. Nun, ich bin mir da nicht so sicher.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengedanken SWR4 RP

07OKT2024
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„Mama, da ist ein Einhorn“, ruft eine helle Stimme neben mir am Tisch im Café. Das dazugehörige Mädchen, vielleicht fünf Jahre alt, schwingt ihre Flechtzöpfe und ist wahrlich aufgeregt. „Ein echtes Einhorn, guck doch mal!“ Und schon ist sie verschwunden, die Kleine. „Wer Augen hat zu sehen, der sehe“, heißt es in der Bibel. Aber manchmal trau ich meinen Augen nicht.

Ich sitze mitten in Speyer, auf der Maximilianstraße - und ein Mädchen samt Einhorn wird vermisst. Hab ich geträumt? Nein, denn die Mama ruft jetzt unter den Tisch: „Komm wieder hoch, Anne, was soll das…“ Mama redet weiter mit ihrer Freundin, versucht es zumindest. „Also guckst du jetzt oder nicht“, ruft die Stimme – noch immer unterm Tisch.

„Da ist kein Einhorn zu sehen“, lacht Mama „da unten siehste schon gar nix.“ „Doch, von hier musst du gucken, Mamaaa!“. Die aber will sich weiter unterhalten. Und zwinkert der Freundin zu: „Kinder, was die alles sehen.“ „Nur weil du nie richtig hinguckst“, motzt es von unten. „Na gut“ jetzt bückt sich Mama untern Tisch. „Guck, ganz da oben,“ die Tochter zeigt gen Himmel. „Ja, echt, da sitzt eins“, Mama ist verblüfft, „auf der Apotheke“.

Tatsächlich. Jetzt sehe ich’s auch. Zum ersten Mal. Hoch oben auf dem Giebel thront es: Das Einhorn. Ein Einhorn-Kopf zumindest. Eine Skulptur vor stahlblauem Himmel. „Siehste, Mama“, die Kleine kommt mit rotem Gesicht nach oben, „du glaubst mir oft nicht“. „Hast recht, Anne“, lacht Mama und umarmt sie, „du siehst oft was, was ich nicht seh´“. Tja, Kinder sind Augenöffner für so manche Dinge zwischen Himmel und Erde, denke ich. Und muss grinsen, denn ich weiß nun endlich, warum die Apotheke Einhorn-Apotheke heißt.

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SWR1 Anstöße sonn- und feiertags

06OKT2024
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Schon als Kind habe ich es gehasst: Danke sagen. Kaum hat mir der Bäcker ein Himbeerbonbon geschenkt – Ältere wie ich erinnern die wunderbar quietschfarbenen Bonbons – gerade hatte ich´s in der Hand: „Wie sagt man?“ Ich hab die Stimme meiner Oma noch im Ohr. Und mich vor Augen, die brav „danke“ nuschelt und rot anläuft. Wie das Himbeergutzel.

Sie war die liebste Oma von allen, hat´s gut gemeint. Aber ich hab´s gehasst. Dieses erzwungene „Sag Danke“. Für das Gutzel, das Wursträdel beim Metzger, das wirklich tolle grüne Kleid von der Tante. „Sei brav, sag Danke“. Ich war schüchtern, hätte lieber freundlich gelächelt, genickt – oder freiwillig Dankeschön gesagt. Besser noch: „So ein tolles Kleid hab ich mir immer gewünscht!“ Stattdessen gleich dieses „Wie sagt man?“.

Danke sagen als Floskel, als Kinder-Pflicht. So hört sich das bis heute für uns Eltern manchmal an. „Daankee“, singt neulich unser Jüngster, grade 14 Jahre alt. Er steht auf dem Sprung in der Tür, ich sitze vor abgegessenen Tellern, nachdem ich zwei Stunden gekocht habe und er in gefühlt zwei Minuten gegessen…

„Daankee“. Sollte ich dieses Danke hassen? Nein. Er meint es gut. Aber noch besser ist’s, wenn er beim Essen sagt: „Also die Pasta war echt super“. Wenn wir bei Tisch reden, lachen, auch streiten und er dann meint: „Also morgen koche ich was für uns.“

Dann bin ich dankbar. Für ihn, die Kinder. Für meinen Mann. Für unser Leben, auch wenn es nicht immer leicht ist – aber doch in einem friedlichen Land. Und ich fühle: Wichtiger noch als Danke sagen ist Danke leben. Dankbar sein für all die himmlischen, besonderen Momente am Tag. Heute feiern wir übrigens Erntedank. Ein Tag, an dem sich das prima üben lässt.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengedanken SWR4 RP

02MRZ2024
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Die BASF hat Ludwigshafen bekannt und reich gemacht. Zumindest einige, wie den Gründer Friedrich Engelhorn und seine Nachfahren. Etwa Marlene Engelhorn. Mit 31 Jahren hat sie von ihrer Großmutter Traudl ein Vermögen geerbt. Aber sie wird den Großteil der Millionen nicht annehmen. Riesige Summen einfach zu erben, das ist ungerecht, sagt sie und: "Es ist doch nicht gottgegeben, dass wenige viel bekommen und viele wenig."

Deshalb setzt sie sich unter anderem für eine Vermögenssteuer ein. "Die erste Steuer auf eine Erbschaft sollte nicht die Mehrwertsteuer auf meine neue Yacht sein", sagt Marlene Engelhorn und fordert "tax me now". Jetzt, sofort ist es an der Zeit, Superreiche anders zu besteuern. Das sagt sie etwa auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos. Wo sich jedes Jahr wieder zeigt: extreme Armut und extremer Reichtum nehmen zu. Ein Prozent der Weltbevölkerung besitzt die Hälfte des weltweiten Vermögens, das meist weitervererbt wird.

Marlene Engelhorn will gerechter teilen und tut etwas bislang Einmaliges. In Österreich, wo sie lebt, verteilt sie 90 Prozent ihres Vermögens - etwa 25 Millionen Euro - an zufällig ausgewählte Bürgerinnen und Bürger. Das Verfahren wird wissenschaftlich begleitet. Und nun, ab März, entscheidet ein Bürgerrat „für Rückverteilung“, wer wieviel erhalten soll. Transparent und demokratisch. "Ich will nicht selbst entscheiden, was mit dem Geld passiert", sagt die BASF-Erbin, denn das, so ihre Begründung, wäre dann wie immer: Wer das Geld hat, hat die Macht. Das will sie ändern und hofft, andere tun es ihr nach. "Es ist doch nicht gottgegeben, dass wenige viel bekommen und viele wenig", meint sie.

Gott wird ihr kräftig zunicken. Und ich ebenso.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengedanken SWR4 RP

01MRZ2024
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"Also die regieren nicht mehr lang", knurrt mein Vater vor der Tagesschau, „und dieser Scharfmacher aus Bayern will Kanzler werden. Was die Grünen da noch ausrichten, mal sehen…", sagt er und schaltet aufs zweite Programm. Viel mehr Programme gibt´s nicht - damals 1980.

Ich erinnere mich genau. Ministerpräsident Franz-Josef Strauß drängelt aus Bayern ins Kanzleramt gegen Helmut Schmidt und seine rot-gelbe Koalition. Gerade volljährig darf ich zum ersten Mal wählen; die Grünen treten zum ersten Mal an. Waldsterben, Ölkrise, Wirtschaftskrise, das gibt es schon. Dazu der kalte Krieg und die Frage, Mauern dicht oder Grenzen nach Osten öffnen?

Und das gibt’s auch: Scharfmacher-Sätze. "Ich bin deutschnational. Wir müssen von Deutschland retten, was zu retten ist.“ Wir brauchen „mutige Bürger, die die roten Ratten dorthin jagen, wo sie hingehören – in ihre Löcher.“ Das sagt damals Franz-Josef-Strauß - und mehr. Außenminister Genscher nennt er einen „marokkanischen Teppichhändler und jüdischen Geldverleiher".

1980 war ein hitziger Wahlkampf. Und ich mittendrin. "Geh wählen", sagt mein Papa, "man redet wieder vom Menschen jagen. Wähl die Demokratie! Misch dich ein. Mach´s Maul auf.“ Mit mir mischen sich damals 88 Prozent der Wahlberechtigten ein. Sie wählen Strauß nicht zum Kanzler, er scheitert mit seinem Scharfmacher-Kurs.

"Mach´s Maul auf", der Satz bleibt mir im Ohr, auch wenn mein Vater nicht mehr lebt. Dorfpfarrer, der er war, nie in einer Partei, aber immer parteiisch – für die Wahrheit, gegen Hetze, gegen die alten und neuen Nazis. Christsein hieß für ihn mit Martin Luthers klaren Worten immer auch, „Maul aufmachen“. Protestieren, demonstrieren wo nötig. So ist mein Vater in Gedanken auch jetzt dabei, in Speyer, in Neustadt, wo ich mit meiner 84jährigen Mutter rufe: „Nie wieder ist jetzt.“

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Anstöße SWR1 RP / Morgengedanken SWR4 RP

29FEB2024
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„Warum muss ich eigentlich für alle sorgen?“, stöhnt die Frau heute früh. Ihre Kleine klebt am Boden, „ich will nicht in die Kita“, der Gatte ruft „wo ist ein sauberes Hemd“, der Große motzt am Kühlschrank, „Mama, hier gibt’s nix zu essen“, „mein Rollator ist weg“, krächzt Schwiegermama - da kötzelt der Kater auf den Vorleger. Der Gatte steigt drüber und rennt ins Bad. „Warum ich?“, schreit die Frau … und stutzt.

Da steht Einer. Lächelt ihr zu, nimmt die Kleine hoch, holt Omas Rollator. Zaubert Frühstück für den Großen. Sieht, was nötig ist, sorgt für Leib und Seele. Und dieses Lächeln… kommt ihr bekannt vor. Es ist ihr Mann. Ja, so ist er, wenn er Zeit hat oder sich Zeit nimmt. Aber nein, der Gatte hetzt aus dem Bad - sie hat kurz geträumt. Alles beim Alten, alle wollen was von ihr.

„Warum muss ich für alle sorgen?“, schreit die Frau, gleich selbst auf dem Weg zur Arbeit - einer Arbeit, die wenigstens bezahlt wird. „Aber ich helfe dir doch, später trag ich den Müll raus, Schatz“, ruft Mann im Gehen und rennt aus der Tür zur Arbeit, besser bezahlt als ihre.

Soweit die Szene an einem typischen Morgen. Auch wenn viele Männer sich nicht mehr allein als Familienversorger sehen und sich mitsorgen wollen um Küche, Kind und Katze - noch ist es ein Traum.

Daran erinnert der Equal-Care-Day. Der Tag, an dem Care – Fürsorge – equal, also gleich verteilt werden soll. Dieser Tag ist heute, am 29. Februar. Nur alle vier Jahre steht er im Kalender. Denn Fakt ist: Männer müssten vier Jahre arbeiten, um so viel Care-Arbeit zu leisten wie Frauen in einem Jahr. Es gibt also noch viel zu tun. Es braucht gerechten Lohn für Frauen, mehr Mut für Hausmänner und Väter, mehr Wertschätzung für das „bisschen Haushalt“ – denn ja, es ist Sorge-Arbeit für Leib und Seele. Also: Take care.

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