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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP
„Sommer ist cool, wenn´s so heiß ist“, sagt Jannis, mein Patensohn. Wir schleichen bei rund 40 Grad durch Speyer. Hosenkaufen. Mit Zwölf sind die Beine immer länger als die Jeans. „Wow, look at that.“ Um uns herum wird geplappert, geshoppt und fotografiert. „Cheri, arrete´…“ „Ej, das ist französisch“, sagt Jannis, „fast wie im Urlaub“. Er ist begeistert.
„Hoi, waar is de kerk, die Dom?“, fragt mich einer in Flipflops. Auf seinem T-Shirt steht „make the world cool again.“ „Juste doorgaan“, antworte ich, „geradeaus zum Dom.“ Ein breites Grinsen unterm Lockenkopf und er geht weiter, „dank je wel“. Jannis staunt. „Ich hab doch mal in Holland studiert“, erkläre ich. „Ui, toll. Hast du sein tolles Shirt gesehen?“, meint er. „Ja, lass die Welt wieder abkühlen oder so“, rufe ich über den Straßenlärm und denke kurz darüber nach, was das heißen soll.
Klar, aufgeheizt ist die Erde, das Klima und oft auch die Stimmung in diesen Krisentagen. „Make the world cool again.“ Das wär‘s. Mit kühlem Kopf dafür sorgen, dass die Schöpfung weiteratmet - das ist wirklich dran. Aber schon stehen wir im stickigen Laden. Und der Große probiert sich durch die Jeans. Gefühlte Stunden später meint er „die oder die?“. „Komm“ sage ich, „wir nehmen einfach beide.“
„Nein, ich wachse doch schnell da raus“, kommt sein roter Kopf aus der Kabine, „denk an den Fußabdruck. Make the world cool again – ans Klima denken, oder?“ Ertappt. „Okay. Hast recht, das sage ich ja selbst immer.“ Als ich an der Kasse stehe, meint er: „Dank je wel. Ich kann fast schon holländisch. Der Typ war jedenfalls cool.“ Ich umarme ihn fest. Und hoffe, er umarmt unseren wunderbaren blauen Planeten - gemeinsam mit uns „Alten“ und all den coolen Kindern dieser Welt.
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„Das darf jetzt nicht wahr sein“, bricht es am Telefon aus ihr heraus, ich hab gerade erst meinen Namen gesagt. „Du? Du rufst an?“ Gleich will ich mich verteidigen, äh, ja, die Zeit, es war immer was Anderes, aber ich hab endlich mal hören wollen, wie es dir geht… Das will ich in der Tat, denn Ariane ist eine Nette und sie sprudelt gleich weiter: „Du rufst heut morgen an, und gerade heute Nacht hab ich von Dir geträumt!“
„Echt?“ Ich kann´s kaum glauben, sie auch nicht.
Sie erzählt den Traum. Wir lachen. Und können nicht fassen, dass unser letzter Kontakt schon zwei Jahre her ist. Was hast du gemacht, wie geht’s deiner Familie … Als hätten wir erst gestern geredet. Wie früher, im Büro. „Weißt du eigentlich, wie sehr Du mich aufgebaut hast, damals?“, fragt sie. Ariane ist an eine andere Arbeitsstelle versetzt worden, ohne zu wissen, warum. „Ich hab gedacht, ich wäre zu nix mehr gut“.
„Unsinn, bei uns warst du genau richtig“, sage ich, „wie hätten wir das Projekt ohne dich geschafft?“ Sie hat sich superschnell eingearbeitet damals. „Du warst echt die Rettung“, lache ich. „Ach was“, sagt sie, „so gut bin ich nicht. Du hast mir einfach viel zugetraut, das war so ansteckend – du warst ein Engel für mich“. Als ich auflege, fühle ich mich echt beschwingt.
Du glaubst nicht, was du für mich getan hast. Wie oft ist das wohl so. Wie oft sind wir Engel füreinander, ohne es zu ahnen. Weil wir genau zur rechten Zeit da sind, weil wir anderen gut tun, einander unterstützen. Und manchmal fällt so ein Engel wirklich aus heiterem Himmel. Seit kurzem arbeiten Ariane und ich wieder zusammen. „Hättest du mir nicht was zu tun geben können, das ich wirklich kann?“, fragt sie neulich. Und das, nachdem sie sich einmal mehr fix in ein neues Projekt gewühlt hat. Ich lächle sie nur an. Und denke: Echte Engel merken oft nicht, dass sie welche sind.
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„Ein Glück, stell dir vor, meine Tochter kann mir Stammzellen spenden“. Es ist fünf Uhr früh. Stockdunkel. Die Stimme am Telefon schwach. Es ist Erik, ein Freund von mir. Und er scheint glücklich. Vor zwei Jahren hat sein Unglück begonnen. Da fällt das Wort das erste Mal: Krebs. In der Lunge. Und ich falle damals aus allen Wolken. Mehr noch Erik. Er fällt aus seinem Himmel voller Geigen - Musiker, der er ist. Doch er ist zuversichtlich: „Ich werde wieder spielen“, das war sein Satz. Sein fester Vorsatz.
Und tatsächlich: Eines Tages, nach langen Monaten Behandlung, schmiegt er die Violine wieder an den Hals. Er spielt, zaghaft und zittrig. Vielleicht zittere ich auch selbst. Weil ich die Bandage sehe an seinem Unterarm. „Ach ja, die Lymphe, das wird bleiben. Aber ich bin gesund“, meint er. Sitze ich im Dunkeln, ist der HERR mein Licht, sagt der Prophet Micha in der Bibel (Micha 7,8). Erik würde das genauso sagen, er sieht überall einen Lichtschimmer.
Doch vor vier Monaten fällt zum zweiten Mal dieses Wort: „Krebs - diesmal im Blut“. Und gleich kommt eins zum anderen: OP, Chemo, Corona. Erik liegt auf Intensiv, ich rechne mit dem Schlimmsten, sende Stoßgebete und höre nichts und wieder nichts von ihm. Bis zu diesem Morgen um fünf. „Ein Glück, stell dir vor, meine Tochter kann mir Stammzellen spenden“. Ein Ostersatz ist das, mitten im Hochsommer. Neues Blut heißt neues Leben.
„Was für ein Glück“, sagt er, der Unglücksmensch. Unglaublich. Als ich auflege, dämmert es. Ich gehe in die Küche, taste nach dem Kaffeeautomaten und suche mit dicken Augen die CD. Vivaldi, vier Jahreszeiten – der Sommer - gespielt auf der Geige. Draußen steigt die Sonne auf, kühl noch. Aber ich ahne, heute wird es heiß - und hell. Sitze ich im Dunkeln, ist der HERR mein Licht. Ich denke an Erik und lächle in meinen Kaffee.
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„Ich war glaub ich, nicht anfassbar…“, sagt ein älterer Mann mit Zopf am Nebentisch zu zwei Freunden. Sofort denke ich an Missbrauch - schlimm genug, warum eigentlich. An diesem lauen Sommerabend in einem Lokal nahe am Speyrer Dom. „Nicht anfassbar.“ Ich höre nur Wortfetzen aus dem Männer-Gespräch. Aber es geht mir wie vielen in diesen Zeiten, man ist hellhörig bei dem Thema.
Offenbar war er eins der Kinder in der Engelsgasse – dem Kinderheim, das in die Schlagzeilen geraten ist – wurde aber selbst nicht missbraucht. „Mich hat aber niemand angefasst“, sagt er. Aber: Es fasst alle an, dieses Thema - und bleibt doch unfassbar. Was leiden die Kinder von damals bis heute. Und es leiden all diejenigen mit, die offen aufklären wollen, die auf Reformen drängen. Oder frustriert die katholische Kirche verlassen.
Warum spreche ich darüber, als evangelische Pfarrerin, darf ich das überhaupt? Lange war klar: nein, das ist Sache der anderen, der da drüben am Speyrer Domplatz – da wo das Bistum unserer Landeskirche genau gegenübersitzt. Psst, kehre vor deiner Haustür, hat es geheißen. Aber Menschen machen keinen Unterschied. Und: Der Kehricht der katholischen Kirche, so ein Zeitungskommentar, ist so groß, dass er auch vor die Türen der anderen Konfessionen gekehrt wird.
Und mehr noch: Das Thema Missbrauch geht uns Evangelische ebenso an. Auch bei uns gibt es Fälle sexualisierter Gewalt. Auch wir müssen das Unfassbare verhindern. Und viel mehr darüber sprechen. Wir haben viele Menschen verloren – auch, weil sie bei uns längst nicht mehr finden, was sie suchen. Das spüren wir jeden Tag. Täglich Austritte – aus Wurschtigkeit oder Wut. „Die müssen ganz neu anfangen in der Kirche, offen reden und nix auslassen, auch nicht, was sie Gutes tun“, sagt der Mann mit Zopf nun laut. Die anderen nicken. Ich ebenfalls.
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„Frau Werner bitte“. Ich will mich gar nicht bitten lassen, aber das Knie schmerzt. „Sie müssen in die Röhre“, wie mir der Arzt zuvor locker mitteilt, „da ist was kaputt im Knie“. Püh, schönes Urlaubsmitbringsel. Eben noch im Meer - eine Welle falsch erwischt - und nun im MRT.
„Bitte hier in die Kabine“, sagt die Assistentin in Jeansweiß, „Schuhe aus, wir holen sie gleich“. Ratsch – schließt sie den Vorhang. Aus meinen Schuhen läuft noch Sand vom Strand, fast höre ich noch Meeresrauschen. Stattdessen das Dröhnen des MRTGeräts - und Geplapper. „Ich fahr ja morgen in Urlaub“, ruft eine Stimme, „und muss heut noch zum Friseur“. „Aha, fährst wohl nicht allein, erzähl!“ „Ich weiß es schon, sie hat ein Date“, flötet eine andere. „Doch nicht wieder so ein schräger Typ.“ „Nein, der ist mal echt normal, obwohl, ich sag euch…“ Und munter geht das Gespräch weiter über gute Männer, schlechte Männer, Exmänner.
Die Mädels lachen, tauschen Vertrauliches aus in diesem dunklen Raum, sind vertraut miteinander. Sie reden, als wäre ich nicht da, dabei sitze ich nur hinter einem Stück Stoff. Sie scheint es nicht zu stören, aber mir ist es peinlich. „Du weißt, Du kannst Dich auf uns verlassen, wenn´s Stress gibt ...“ Ich komme mir vor wie ein ungebetener Beichtvater hinterm Vorhang. Gerade will ich laut hüsteln, um auf mich aufmerksam zu machen. Da endlich – Ratsch - die Dame in weiß steht vor mir.
Sie wird leicht rot „oh, wir haben fast vergessen, dass Sie hier sind“. „Viel Spaß im Urlaub und ansonsten hab ich nichts gehört“, zwinkere ich. Sie stutzt. „Seelsorgegeheimnis, ich bin Pfarrerin. Alles vertraulich, selbst hinterm Vorhang.“ Sie zieht kurz eine Braue hoch, dann lacht sie ihre Kollegin an. „Da sind wir aber erleichtert“. Das ist es wohl, erleichternd, wenn man sich einander anvertrauen kann, denke ich. Und humple - fast beschwingt - zur Untersuchung in die Röhre.
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Da sitzt sie. Eine Taube. Auf dem Mosaiksteinboden vor der kleinen Kirche. Sie sitzt und weicht nicht aus, als ich vorbeilaufe – anders als all die anderen, die kurz aufflattern unter den Zypressen. Typisch Portugal, dieser Platz. Die Sonne flirrt, ältere Leute auf den Bänken werfen Brotkrumen. Ein einziges Geflatter und Gegurre - schillernde Halskrausen und blau-lila Federn.
Wie schön sie sind, eigentlich, denke ich. Und wie schlau - Brieftauben, die über hunderte Kilometer nach Hause finden. Vögel, die uns in die Städte gefolgt sind, wo sie aber nicht bleiben sollen, nicht bei den Häusern, nicht bei den Kirchen. Auch das kalkweiße Kirchlein schützt sich mit Stacheldraht vor dem Kot der Tauben. Gleich darunter werden sie von den Portugiesen mit Brot gefüttert. Unvernünftig, klar. Aber mitfühlend. Selbst Wasser hat jemand bereitgestellt, einfach einen großen Getränke-Kanister aufgeschnitten, als Taubentränke und -Bad zugleich.
Es rührt mich. Ich sehe zurück zu der Taube am Rand des Platzes. Sie sitzt noch reglos, ihr Flügel scheint verletzt. Eine schmale Katze springt auf sie zu. Die Taube flieht. Ein paar schwache Hüpfer. Und sie landet auf der Straße. Ein Auto nimmt die Kurve. Kurz die Reifen über ihr. Dann … Der Schwanz zuckt noch einmal. Glitzernde Feder, Blut auf dem Asphalt.
Ich muss wegsehen. Nur eine Taube, eine von vielen, allzu vielen - ja. Aber auch ein Geschöpf, dazu noch ein Symbol des Friedens. „Die Friedenstaube unter die Räder gekommen“. Als wäre es ein Kommentar zur Zeit ... Ich sehe hoch zur Kirche. Dort oben im Mosaik, etwas verblasst – tatsächlich eine Taube. Den Ölzweig im Schnabel. Zeichen des Friedens, Zeichen, dass das Leben weitergeht. Nur wie und wann? Ich bleibe stehen, zwischen den Fragen in meinem Kopf. Die Tauben um mich baden, als wäre nichts geschehen. Ein Junge nimmt zärtlich die tote Taube von der Straße. Ich sage leise Danke. Und gehe weiter.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=35897Anstöße sonn- und feiertags
“Komm, wir packen schnell die Badesachen, bevor es zu heiß wird.“ Ein Satz meines Vaters - Pfarrer, aber auch leidenschaftlicher Schwimmer vor dem Herrn. Meist sehr früh am Sonntag, wenn er mal "Kirchefrei" gehabt hat. Meine Mutter war schleunigst gepackt und meine beiden Brüder schwupp in den Badehosen.
Dann ins Auto und ab ins Freibad Eisenberg. Passend zum Städtenamen ist das Wasser dort wirklich eisig kühl. Aber wunderbar, bei 30 Grad im Juli. Die sattgrüne Liegewiese in der Sonne, die langsam aufsteigt, Vogelgezwitscher, das unberührte Glitzerwasser im Becken. Morning has broken - Morgenlicht leuchtet, rein wie am Anfang. Nirgends scheint mir das Kirchenlied besser zu passen als hier. Frühlied der Amsel, Schöpferlob klingt.
„Guten Morgen“, blinzelt der Bademeister, sehr braun und sein Lächeln zahnweiß. Wie aus einer Vorabendserie entsprungen. Gut, dass ich schnell ins Becken springen kann, bevor er sieht, wie rot ich werde. Und weg bin ich, eingetaucht ins Wasser, Bahn um Bahn werde ich wacher und es singt in mir weiter: Grünende Frische, vollkommnes Blau.
Bis heute ist für mich Freibad gleich Freiheit. Sich frei fühlen und so frisch wie am ersten Schöpfungstag. So wie ich geschaffen bin - und all die anderen um mich. Dicke Opas, magere Mädels, kreischende Kinder, Kampfschwimmerinnen, die ihre Bahn verteidigen. Man spricht deutsch, türkisch oder sonstwie, streitet und kichert und wäre vielleicht lieber am Meer. Stattdessen aber Freibad. Dösen im Schatten. Frösteln auf der Haut. Heißhungrig labbrige Pommes essen. Im Klee in Bienen treten. Drum schnell nochmal abtauchen. Das vollkommene Blau glitzern sehen und innerlich singen: Morning has broken. Schöpferlob klingt. Drum glaub ich ja, Gott geht sonntags auch ins Freibad. Wenn er mal „Kirchefrei“ hat.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=35896Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP
Mal wieder hab ich Gefühlskuddelmuddel. Der Kirschbaum steht frischgrün im Garten. Mein Kater blinzelt gen Himmel. Das Mädchen aus Mariupol hat rotgeweinte Augen. Frühlingsboten und Kriegsnachrichten. Wie oft ist mir zwischen Heulen und Lachen in diesen fürchterlichen Wochen. Besonders heute, an diesem Dazwischen-Tag. Gestern Karfreitag, klagen und weinen: Jesus ist gestorben. Morgen Ostern, lachen und freuen, weil er aufersteht. Und der Engel am Grab sagt: „Fürchtet euch nicht“. Das Leben geht weiter. Auch heute – zwischen Todesbotschaft und Lebensfreude. Und ich frage mich: Wie soll denn Ostern werden?
In Russland, wo man in der Moskauer Metro heut früh zum Einkaufen fährt, in der Zeitung kein Wort wie „Krieg“, wo mittags Mütter und Großmütter dennoch auf die Straße gehen, ihre Söhne und Enkel schützen wollen, trotz aller Strafen.
Und in der Ukraine, in Mariupol. Wo das Mädchen vor einem Trümmerhaufen nach ihrem Vater schreit, herzzerreißend, wo die Kleine hochgenommen wird, von einer Frau, die sie umarmt. Ganz fest, bis das Schluchzen aufhört. „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“, ruft Jesus. Und stirbt - jeden Tag mit Menschen im Krieg oder auf der Flucht.
Himmelschreiend. Fürchterlich, was Kinder, Frauen, Männer in diesen Tagen erleiden. Und zugleich soll Ostern werden. Ist der Engel nahe, der sagt: „Fürchtet euch nicht“. Besser, viele Engel sind nahe, sind unterwegs. Auch in der Pfalz. Sie bringen Hilfspakete nach Polen, retten Waisenkinder, machen Platz in ihren Wohnungen, räumen gar ihre eigenen Betten.
Hoffnungsvoll ist das, wie weit Menschen gehen, einander zu helfen, wie sie ihre Herzen öffnen, himmelweit. Liebe und Hass, Leben und Sterben. Alles zusammen. Alles nebeneinander. Gefühlskuddelmuddel im Frühling.
Die Kirchenglocken läuten bald Ostern ein und rufen in alle Welt: Das Leben blüht weiter, ist stärker als der Tod. Davon erzählen all die Engel, die tun, was sie können. Damit die Furcht kleiner wird und Menschen weiter hoffen dürfen.
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"Mein Gott, was tun wir nur." Der junge Mann schlägt das Kreuz über der Brust, mit drei Fingern, überm Gewehr. Eine Szene nahe der Elias-Kirche in Kiew, der ältesten der Stadt. Eine Kirche, die nach dem Propheten Elias benannt ist. Elias bedeutet: „Mein Gott ist der Herr.“
Unser Sohn Elias fragt auch ständig „Was können wir tun?“. Mit seinen 12 Jahren kann er kaum fassen, was geschieht. Wir versuchen, das Unfassbare zu erklären. Krieg. Da wo er sonst Videos sieht, auf Youtube. Wo er sonst Gebäude baut, Minecraft spielt – nun kaputte Häuser, Sirenen, flüchtende Kinder. Kein Spiel. Und Elias wird ernst: „Ich hab Taschengeld gespendet. Und ich kann helfen, wenn Kinder kommen, weißt du, vielleicht auch in unsere Klasse.“ Ich nicke gerührt. Er sieht mich an, zärtlich. Und plötzlich etwas älter, unser kleiner Elias.
"Mein Gott, was tun wir nur." So viele tun etwas. Kinder und Erwachsene. Menschen, die in aller Welt beten, demonstrieren und zum Frieden mahnen. Die im Kriegsgebiet unter Lebensgefahr berichten, die Gerichte anrufen, Soldaten beim Fliehen helfen. Meine Freundin Elke, fast 80 Jahre alt, hat zwei Geflüchtete aufgenommen. Alena und ihren Sohn Illja. Er kann etwas Deutsch, der 14jährige. Und sagt meist: Dankeschön.
"Wir unterhalten uns mit Händen, die Beiden sind dankbar, dass Sie sicher sind und zu essen haben“, sagt Elke, „sie verlieren die Hoffnung nicht, ich lerne von ihnen, jeden Tag“. Heute am Gründonnerstag werden die Drei – wie viele Menschen in Kirchen oder Häusern – abends an einem Tisch sitzen. Abendmahl feiern. Wie Jesus an seinem letzten Abend mit den Jüngern. Elke, Alena und Illja werden Brot und Wein teilen. Sie werden kaum ein Wort reden können, aber einander verstehen. Sie werden beten für die Familie - Ilja besonders für seinen Papa in Lwiw - und sich bekreuzigen, mit den drei Fingern. Ilja ist ukrainisch für Elia. „Mein Gott ist der Herr“. Der bleibe bei ihm. Und bei uns allen.
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Vor dem Wurstsalat mit Pommes, neben dem Weizenbier: gefaltete Hände. Verstohlen sehe ich hin, wie einige Augenpaare an diesem sonnigen Mittag am Rhein. Zwei Frauen um die 40, in Jeans und Kapuzenpulli. Ganz normal eigentlich. Aber sie beten. Am Biergartentisch, unter Eichen. Mitten im Geplauder und vor den japanischen Touristen. „Die sin von de fromme Truppe“, flüstert der Kellner hinter mir. Oder meint, zu flüstern.
Ja, Beten scheint peinlich. „Die Muslime werfen sich ja überall einfach auf den Teppich, aber wir? Müssen das doch nicht!“, hat eine Schülerin in Religion mal zu mir gesagt. „Müssen nicht“, hab ich geantwortet, „aber du darfst“. Auch wenn es ja offenbar merkwürdig ist, außerhalb der Kirche zu beten, so öffentlich, außer vielleicht auf dem Fußballplatz Stoßgebete zu murmeln. Einige meiner Pfarrerskollegen beten dagegen oft sehr laut und sehr lang, auch im Lokal. Püh. Da bete ich mit, wenn mir danach ist. Oder ich bin einfach still. Das ist schön. Still sein, kurz, und mir meinen Teil denken. Kurz mal inne halten. Und ich frage mich, ist es wirklich peinlich, dankbar zu sein? Gerade hier an diesem warmen, friedlichen Frühlingstag am Rhein, vor dem Wurstsalat?
„Seit Neustem findet es unser Großer voll Panne, wenn wir beten vorm Essen“, sagt nun die Eine im Kapuzenpulli, offenbar Mama, und greift nach dem Besteck, „das würd aussehen, als wärn wir scheinheilig, sagt er“. Darauf die Freundin: „Klar, in seinem Alter sind ja alle Eltern peinlich - aber scheinheilig? Nun ja, Heilige sind wir jedenfalls auch nicht, oder?“ Eben noch still am Beten, prusten die Beiden nun los. Mitten in ihr Weizenbier. Trinken, tauchen Pommes dick in Ketchup, lachen laut und herzerfrischend. So gar nicht „fromme Truppe“ - was immer das heißen mag. Klischees sind manchmal halt doch nur Vorurteile.
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