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SWR2 Wort zum Tag

22NOV2023
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Ich mag die Pfarrer-Braun-Krimis. Die Fälle sind oft Nebensache, es geht oft um den Wortwitz und die Tricks, mit denen der Pfarrer den Kommissar hintergeht, hinter seinem Rücken ermittelt und damit am Ende die Polizeiarbeit rettet. In einem der Krimis gibt es einen Dialog zwischen dem Kommissar und dem Pfarrer. Da sagt Pfr. Braun mit seinem typischen schwarzen Hut und dem Schirm in der Hand: „Gott hat die Menschen nach seinem Abbild erschaffen. Und ich bin dazu da, sie daran zu erinnern.“  Darauf fragt der Kommissar: „Auch die Atheisten?“. Pfarrer Braun antwortet ihm mit nüchternem Witz: „Insbesondere die Atheisten.“

Mir gefällt dieses kurze Gespräch. Ich möchte auch gerne daran erinnert werden, dass ich und die anderen alle nach dem Abbild Gottes geschaffen sind. Das heißt für mich nämlich, dass ich jedem Menschen, der mir begegnet, Respekt und Wertschätzung entgegenbringen soll. Gerade bei denen, die in meinen Augen moralisch schlecht leben, fällt mir das manchmal schwer. Wenn ich z.B. sehe, wie Menschen auf dem öffentlichen Platz in der Nachbarschaft ihre Zigarettenkippen und ihre Müll liegen lassen, dann ärgert mich das. Da könnte ich diese Erinnerung gut brauchen, dass ich sie als Abbild Gottes sehe und sie so behandle. Wie das genau aussieht, ist gar nicht so einfach. Aber ich vermute, dass ich mit einer freundlichen Ansprache mehr erreiche als mit  einer Moralpredigt.

Pfarrer Braun meint, dass er besonders die Atheisten daran erinnern will, dass sie ein Abbild Gottes sind. Ob einer glaubt und welche Religion er hat, spielt allerdings heute tatsächlich bei uns keine große Rolle mehr. Deshalb finde ich es wichtig, dass jemand die Menschen daran erinnert, dass sie ein Abbild Gottes sind. Denn dabei geht es nicht nur darum, was einer glaubt, sondern darum, wie er andere behandelt. Das gilt insbesondere für Atheisten, meint Pfarrer Braun. Ich schließe mich ihm gerne an. Ganz unabhängig davon, ob einer an Gott glaubt, die Würde des Menschen kann nicht hoch genug geschätzt werden.

Die Pfarrer-Braun-Krimis spielen in der Nachkriegszeit. Damals gab es noch viele Pfarrer für diese Aufgabe. In fast jedem Dorf gab es einen Pfarrer. Ich frage mich, wer diese Aufgabe heute übernimmt. Die Antwort liegt auf der Hand: Jeder Christ kann es übernehmen und sich sagen: Meine Aufgabe ist es, die Menschen daran zu erinnern, dass sie ein Abbild Gottes sind. Zum Glück geht das nicht nur mit Worten, sondern auch mit Haltungen und praktischen freundlichen Taten.

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SWR2 Wort zum Tag

21NOV2023
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Jedes Mal, wenn ich den Geldbeutel zücke, zucke ich noch ein bisschen zusammen, wenn ich zwischen Personalausweis und Kontokarte meinen Behindertenausweis sehe. Wenn ich ihn entdecke, löst das immer noch zwei gegensätzliche Gefühle (in mir) aus.

Ich habe den Behindertenausweis wegen meiner Krebserkrankung bekommen. Das hat sich damals schon eigenartig angefühlt. Als ob ich zusätzlich zu meiner Krankheit noch für den Rest meines Lebens mit dem Stempel „schwerbehindert“ abgestempelt bin und ab jetzt nie hundertprozentig funktioniere. De facto arbeite ich längst wieder und bringe meine Leistung so gut ich kann. Das fühlt sich gut an und ich weiß: In unserer Gesellschaft gilt es als Maßstab, dass Menschen funktionieren und Leistung bringen. Aber als Christ finde ich so eine Sicht auf den Menschen befremdlich. Menschen sind doch nicht daran zu bemessen, wie gut sie in unser Leistungsschema passen. Jeder Mensch ist ein Geschöpf Gottes, ob behindert oder nicht. Ich sehe gerade auch bei behinderten Menschen Leistungen und Begabungen, die mich beeindrucken. Ich denke an eine junge Schauspielerin mit Down-Syndrom, die ich in einer Filmkomödie gesehen habe. Sie hat ihre Rolle mit so viel Witz gespielt. 

Das zweite Gefühl, das ich habe, wenn ich meinen Behindertenausweis anschaue, ist nicht so eigenartig, sondern rein positiv. Mein Ausweis zeigt mir nämlich, dass ich in einer Gesellschaft lebe, in der Menschen mit Behinderung besonders geschützt sind. In so einer Gesellschaft fühle ich mich gut aufgehoben und will alles, was mir möglich ist, dazu beitragen damit andere Menschen geschützt sind. Und wenn ich manchmal auch daran zweifle, ob die Mehrheit in unserem Land daran festhält, dass wir solidarisch sind und Schwächere besonders schützen, dann ist mein Behindertenausweis doch ein ganz praktisches Zeichen dafür, dass wir in unserem Land füreinander einstehen und uns gegenseitig schützen.

Wenn ich mit diesen Gedanken meinen Behindertenausweis in Händen halte, merke ich, die Herausforderung in unserem Land sind oft nicht die Menschen mit Behinderung. Wir schaffen es, einen Schutz für sie aufzubauen, und wir schaffen es hoffentlich immer besser, dass Menschen mit Behinderung sich gut entfalten und ihren Beitrag zu unserer Gesellschaft einbringen können.

Die größere Herausforderung für uns alle sind vermutlich eher die, die andere Menschen behindern. Nach meiner Erfahrung behindern behinderte Menschen selten andere, im Gegenteil. Sie schaffen es oft, anderen so viel zu ermöglichen: Lebensfreude zum Beispiel und eine etwas andere Sicht auf die Welt.

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SWR2 Wort zum Tag

20NOV2023
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Der Nahe Osten ist wieder einmal stark umkämpft und unzählig viele Menschen sterben in diesem Krieg. Und es scheint, als ob die Regeln der zivilisierten Welt keine Rolle mehr spielen. Die Gewalttäter machen keinen Halt vor Kindern, Frauen, wehrlosen, kranken und alten Menschen. Die Kriegsmacher begründen den Krieg mit dem Hass zwischen Israelis und Palästinensern und dem Streit um den Tempelberg in Jerusalem. Ich kenne wenige Orte auf unserem Planeten, die so hart und andauernd umkämpft sind, wie der Tempelberg in Jerusalem. Das allein ist schon der reinste Hohn, bedeutet „Jerusalem“ doch wörtlich übersetzt „Stadt des Friedens.“

Aber ich frage mich, warum diese drei Religionen es nicht gemeinsam schaffen, dass diese Stadt ein Ort wird, von dem Friede und Heil für alle ausgeht.

Schon im 6. Jahrhundert vor Christus hat dieser Streit um Jerusalem begonnen, die Babylonier haben den ersten jüdischen Tempel zerstört. Er wurde wieder aufgebaut, bis die Römer ihn wieder zerstörten und durch einen römischen Tempel ersetzt haben. Schließlich habe die Osmanen dort die Al-Aksa-Moschee gebaut. Dieser Ort in Jerusalem ist für Juden und Muslime ein heiliger Ort. Auch für mich als Christ hat dieser Ort eine große Bedeutung. Einige Forscher vermuten, dass der Tempelberg der Ort ist, an dem Abraham nach der biblischen Erzählung seinen Sohn Isaak opfern sollte. Er wurde von einem Engel davon abgehalten, denn Gott will keine Menschenopfer.

Diese Botschaft ist offensichtlich bei keiner Religion angekommen. Auch Christen haben für eine scheinbar heilige Sache viel Leid angerichtet und viele Menschen getötet. Ich finde das abstoßend. Ausgerechnet Jerusalem, dieser vermeintlich heilige Ort, ist weiterhin ein Ort, wo Menschen im Namen der Religion getötet werden. Im Grunde widerlegen alle Religionen sich mit diesem Verhalten selbst.

Jesus  von Nazareth hat sich davon distanziert, dass Menschen sich auf einen Ort festlegen, an dem Gott wohnt und verehrt wird. Für ihn war der wichtigste Ort, an dem Gott existiert, das eigene Herz. Das überzeugt mich. Wenn ich es schaffe, dass ich Gott in mir Raum gebe, bekomme ich vielleicht eine Einsicht in seinen Plan für die Welt. Was ich von ihm bisher verstanden habe, ist sicher nur ein kleiner Teil. Und doch kann diese Einsicht die Welt verändern: Gott will, dass keiner vom andern unterdrückt wird, sondern dass alle Menschen wohl und zufrieden leben.

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SWR2 Lied zum Sonntag

05NOV2023
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„Zum Paradies mögen Engel Dich geleiten,

die heiligen Märtyrer dich begrüßen

und Dich führen in die himmlische Stadt, Jerusalem.

Die Chöre der Engel mögen Dich empfangen

und durch Christus, der für Dich gestorben,

soll ewiges Leben Dich erfreuen.“

„Zum Paradies mögen Engel Dich geleiten“ – Der Gesang zum heutigen Sonntag stammt aus der Begräbnisliturgie. Wenn Trauernde sich mit dem Sarg oder der Urne auf den Weg zum Grab machen, wird das gesungen „Zum Paradies mögen Engel Dich geleiten“. Dieser Moment ist vermutlich einer der heikelsten Momente bei einer Beerdigung. Jedenfalls habe ich das so erlebt. Wenn ich weiß, das ist jetzt der letzte Weg, den der Tote geht, ist klar, wie endgültig der Tod ist. Es gibt kein Zurück. Das ist die Wirklichkeit. Ich habe aber auch erlebt, wie tröstlich es sein kann, wenn jemand diesen Weg umdeutet und sagt: Deine sterblichen Überreste gehen jetzt vielleicht ins Grab, aber Du als Person kommst im Paradies an. Was die Augen sehen, ist etwas Anderes als das, was ich mit dem Herzen sehe.

 

„Chorus angelorum te suscipiant“

 

„Die Chöre der Engel mögen Dich empfangen und durch Christus soll ewiges Leben Dich erfreuen“. Ich mag es, wenn beschrieben wird, wie der verstorbene Mensch im Paradies ankommt: Engel singen in Chören und die anderen Verstorbenen, die ihm schon vorausgegangen sind, heißen ihn willkommen. Sie kennen sich schon aus in dieser neuen Wirklichkeit und führen ihn an diesen Ort, wo alles heil wird.

Für mich ist das eine Hoffnung, die nicht nur für Christen gilt. Ich sehe das Paradies als den Ort, an dem alle Menschen finden, wonach sie sich sehnen, egal ob Christ, Jude, Muslim oder andere. Sogar die Zweifler und die, die nichts glauben.

Weil mir diese Hoffnung für jeden Menschen so viel bedeutet, deswegen singe ich das „Zum Paradies“ immer wieder, oft wenn ich auf der Straße unterwegs bin und mir ein Leichenwagen begegnet. Ich weiß nicht, was für ein Mensch darin auf seinem letzten Weg ist, aber ich wünsche ihm so alles Gute. Er möge wie hoffentlich jeder Mensch an einem Ort des Friedens und der Freude ankommen. Für mich als Christ ist das Bild dafür das himmlische Jerusalem. Und dieses Jerusalem klingt bei dem französischen Komponisten Gabriel Fauré so:

 

„… et perducant te in civitatem sanctam Ierusalem“

Musik: Gabriel Fauré: Requiem; Coro e Orchestra dell’accademia nazionale di Santa Cecilia unter der Leitung von Myung-Whun Chung (459365-2)

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SWR2 Wort zum Tag

22JUL2023
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Vor einem halben Jahr hat mich eine schwere Herzkrankheit getroffen. Am Anfang war alles unsicher, wie es mit mir weitergeht, ob ich weiter meinen Beruf ausüben kann und generell, wie lange und wie gut ich überhaupt noch leben kann. Inzwischen bin ich mit Medikamenten so versorgt worden, dass ich auf einem guten Weg bin. Mir ging es schneller besser, als die Ärzte geglaubt haben.

Ich war am Anfang aber noch in einem Schockzustand. In diesen Tagen habe ich mit einer Freundin telefoniert und über meine Situation gesprochen. Diese Freundin ist überzeugte Christin. Und weil sie etwas älter ist als ich, hat sie deutlich mehr Lebenserfahrung. Am Telefon hat sie mich sehr fürsorglich angehört, nachgefragt und mich getröstet. Dann hat sie mich auf einmal gefragt: „Aber Stefan, Du hast doch Gottvertrauen, oder?“.

Diese Frage hat mir einen großen Anschub gegeben. Ich weiß noch, dass ich damals nur zögerlich gemeint habe „Ja, eigentlich schon“. In dem Moment habe ich wie in einem Film blitzschnell Situationen aus meinem Leben gesehen. Situationen, in denen ich verzweifelt war, in denen es am Ende aber gut geworden ist. Ich habe mich erinnert, wie dankbar ich Gott war, dass ich so getragen bin.

Als diese Freundin nach meinem Gottvertrauen gefragt hat, hat mich das ermutigt. Ihre Frage war nämlich keine Frage. Sie hat mich daran erinnert, was mich ausmacht. Es war wie eine Feststellung, dass ich bisher mein ganzes Leben auf Gott vertraut habe und dass das auch jetzt noch gilt. Ihre Frage hat mich wirklich zurückgeholt. 

Krisen gehören zum Leben. Wer an Gott glaubt, wird gerade dann in seinem Vertrauen auf Gott infrage gestellt. Manchmal ist es eine Krankheit, manchmal sind es andere Erfahrungen, auch Erlebnisse, in denen ich von anderen Menschen enttäuscht werde. Dass in Krisen eine Chance liegt, reicht mir da als Argument nicht aus. Ich kann das nicht mit Argumenten entscheiden, es geht ja darum, dass ich zu meiner Grundeinstellung zum Leben zurückfinde. Denn ich bin im Grunde überzeugt, dass die Welt gut ist und dass sie es dort noch wird, wo nicht alles glücklich verläuft. Diese Grundeinstellung habe ich mir ja nicht nur mit logischen Argumenten erarbeitet, sondern dabei habe ich schon oft die Erfahrung gemacht, dass es auch in schwierigen Zeiten trägt, wenn ich auf Gott vertraue.

Meine Freundin hat mich mit ihrer Frage daran erinnert, was mich an Überzeugungen mein ganzes Leben lang ausgemacht hat und was ich erlebt und erfahren habe. Ich habe es immer wieder erlebt, dass ich gestärkt aus einer Krise gekommen bin. Wenn die Zweifel wieder kommen, will ich mich daran erinnern, dass ich auf diese Erfahrungen bauen kann. Ich muss mich nicht davon leiten lassen, was im Augenblick widrig und unlösbar oder schwierig erscheint. Ich will zu dem stehen, womit ich gute Erfahrungen gemacht habe. Und jetzt, wo es mir viel besser geht, ist das wie eine Bestätigung: Es lohnt sich, auf Gott zu vertrauen.

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SWR2 Wort zum Tag

21JUL2023
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Der Apostel Petrus sitzt vor der Himmelstür. Er hat die Schlüssel zum Himmel in der Hand und entscheidet, wer hineindarf. Das bekannte Bild stützt sich auf eine Geschichte der Bibel, in der Jesus die Himmelsschlüssel an Petrus übergibt.

Im Lauf der Zeit haben Theologen und kirchliche Verantwortliche die Aufgabe des Petrus ausschließlich auf jene übertragen, die ein Amt in der Kirche ausüben. Und das halte ich für falsch. Denn damit gehören die Amtsträger zu den Entscheidern und ich als einfacher Christ bin auf sie angewiesen, ob ich in den Himmel komme.

Dabei hat es ja, als Jesus gelebt hat, noch gar keine Kirche gegeben, wie wir sie heute kennen und verstehen. Die Vorstellung, dass Petrus am Himmelseingang wacht, ist erst entstanden, als die ersten Christen erlebt haben, dass Petrus sie anführt. In meinen Augen passt es aber sehr wohl zu dem, was Jesus sagt. Aber ich denke es gilt nicht nur für Petrus. Ich brauche kein Amt, um anderen Menschen ein Stückchen Himmel näher zu bringen. Und wenn ich andere damit froher machen kann, macht mich das selbst auch froh. Jesus geht es ja vor allem darum, dass die Menschen schon in ihrem Leben etwas vom Himmel erfahren. Und nicht erst nach dem Tod. Das Himmelreich ist kein regional begrenztes Gebiet in Raum und Zeit, sondern ein Zustand, in dem es allen Menschen so geht, dass sie glücklich und unbeschwert miteinander leben können. Es geht also darum, es in diesem Leben umzusetzen. Das ist ja auch deshalb so motivierend, weil ich dann mit dem Glück des Himmels nicht auf eine Zeit nach dem Tod warten muss, sondern jetzt schon ahne, wie es im Himmel sein wird. Das, was ich  hier und heute Gutes erlebe ist für mich ein Vorgeschmack für das, was ich mir nach dem Tod erhoffe. Jesus geht so mit jedem Menschen, der es möchte, eine Beziehung ein, in der er die Schlüssel für das Himmelreich bekommt.

Wenn ich als Christ also die Schlüssel des Himmelreichs habe, dann will ich heute noch damit anfangen, es aufzuschließen, so dass viele andere mit mir eintreten. Die Menschen, mit denen ich heute zu tun habe, sollen glücklicher und gestärkt sein, wenn wir auseinander gehen. Einem Menschen voller Selbstzweifel mache ich Mut, damit er mit Stolz das anschauen kann, was er geleistet hat. Wenn wir in der Schule in diesen Tagen die Zeugnisse ausgeben, will ich die Schüler darauf aufmerksam machen, wo sie etwas können, wo sie Fortschritte gemacht haben anstatt jetzt noch zu sagen, was ich noch alles erwartet hätte. Ich hoffe, dass sie sich dann selbst mit Stolz anschauen und mit einem Lächeln weitergehen. Dann habe ich ihnen ein Stück dieses Himmels eröffnet. Und mir selbst auch.

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SWR2 Wort zum Tag

20JUL2023
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Corona ist vorbei. Zum Glück. Aber bei mir ist auch Positives übriggeblieben. Selten habe ich so deutlich gesehen, wie sehr wir Menschen auf andere angewiesen sind. Damals gab es abends Applaus für die Ärzte, das Pflegepersonal, die Lkw-Fahrer und die Angestellten in den Supermärkten. Sie machen ihre Arbeit und leisten dabei Großes, damit wir alle gesund leben können und rundum versorgt sind.

Zwei, die ich gerne mag, beeindrucken mich dabei besonders: An unserer Schule haben wir ein Hausmeisterehepaar in den Ruhestand gehen lassen müssen, die einfach immer und rundum für alle da waren. Die Frau hat oft gesagt: „Wir sind Teil der Gemeinschaft. Da ist das selbstverständlich, was wir machen.“ Bei den beiden gab es nie Dienst nach Stechuhr. Im Gegenteil, wenn ein Schüler etwas verloren hatte, haben sie auch nach Feierabend das Schulhaus aufgeschlossen, damit er suchen kann. Sie haben von sich aus Probleme gesehen, kaputte Gegenstände repariert oder entsorgt. Sie haben immer im Voraus mitgedacht, was besonders zu beachten ist, wenn eine Veranstaltung bevorsteht. Dieses Sorglospaket wissen wir erst jetzt richtig zu schätzen, wo wir es nicht mehr haben. Wir vermissen sie und wenn sie uns besuchen kommen, wird klar, dass sie immer noch zu uns gehören.

Sie haben das Wohl der Schulgemeinschaft ernst genommen und sind persönlich dafür eingestanden. Als zum Beispiel ein Umbau ins Haus stand und sie deshalb ihre Dienstwohnung räumen mussten, sind sie ohne Murren in eine Ersatzwohnung gezogen, die unter Standard war. Erst als ich nachgefragt habe, habe ich gemerkt, dass sie jetzt viel weniger Platz haben. Für die beiden war klar, dass sie zum Wohl der Gemeinschaft für sich selbst einen Nachteil in Kauf nehmen. Dass jemand mit dieser Einstellung so ernst macht, finde ich selten und deshalb beeindruckt es mich so. Es gibt dieses Motto „Wenn jeder an sich selbst denkt, ist an alle gedacht“. Das finde ich falsch, weil es egoistisch ist. Richtig müsste es heißen: „Wenn jeder an die anderen denkt, ist am Ende an alle gedacht“.

Wenn wir nach diesem Motto zum Beispiel mit älteren Leuten umgehen würden, würde dies das Altwerden auch für mich einfacher machen. Ich werde manchmal schnell ungeduldig, wenn ältere Menschen Zeit brauchen um sich zu orientieren, im Straßenverkehr zum Beispiel. Wenn ich da geduldiger bin, kann ich mithelfen, dass wir alle ein Verständnis dafür haben, dass man als älterer Mensch Zeit anders erlebt. Das wäre nur ein kleiner Baustein für eine Gemeinschaft, in der sich jeder wohl und sicher fühlen kann.

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SWR4 Abendgedanken

12MAI2023
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Eine Geschichte von Jesus finde ich besonders schön. In der Bibel wird erzählt, dass er einen Gelähmten geheilt hat und daraufhin Schwierigkeiten bekommen hat. Das Problem war nämlich, dass er ihn an einem Sabbat geheilt hat, also am Ruhetag, an dem keine Arbeit erlaubt ist. An diesem Tag soll man beten und ruhen. So wie laut Bibel auch Gott am siebten Tag der Schöpfung ausruht. Dieses Ausruhen ist wichtig, keine Frage. Das gilt besonders aktuell, wo viele Menschen unter Burnout und Erschöpfungsdepressionen leiden.

Die Schriftgelehrten haben Jesus deswegen angegriffen und eine Diskussion mit ihm angefangen. Dabei ist deutlich geworden, dass er genau wusste, was er da tut. Er hat den Menschen geheilt und gleichzeitig damit seine Religion kritisiert. Er ist auch für Gesetze und Vorschriften. Aber wichtiger, als alle Gesetze einzuhalten, ist ihm, dass es den Menschen gut geht. Sein Statement dazu ist bekannt: Der Ruhetag wurde für den Menschen gemacht, nicht der Mensch für den Ruhetag (Mk 2,27).

Ich würde es aber seltsam finden, wenn er den Gelähmten nur geheilt hat, um seine Kritik anzubringen und die Diskussion loszutreten. Streiten ist nicht das /vorrangige Ziel für Jesus. Aber er nimmt es in Kauf, wenn es darum geht, dass der Glaube uns Menschen guttun soll.

An anderen Stellen der Bibel wird auch von Jesus gesagt, dass er Pausen machen musste. Dann zieht er sich zurück und betet oder setzt sich einfach nur. Auf dem Friedhof bei uns in der Nähe gibt es eine Skulptur: Jesus sitzt auf einem Stein und ruht einfach nur aus.

Ich schaue dieses Bild gerne an. Ich mag die Vorstellung, dass Jesus eine Pause braucht. Aber er macht nicht Pause, weil es vorgeschrieben ist. Er ruht aus, weil er sich verausgabt hat und alles dafür gegeben hat, dass es den Menschen gut geht. Das Wohl der Menschen lässt ihm einfach keine Ruhe.

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SWR4 Abendgedanken

11MAI2023
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Ein Brauch in meiner Heimatregion hat mir die Augen geöffnet. Jedes Jahr am Abend von Christi Himmelfahrt findet in Weingarten bei Ravensburg eine Lichterprozession statt. Alle sind auf den Beinen, und jeder hat eine Kerze mit einem farbigen Windschutz dabei. Wenn es dunkel wird, sieht man die einzelnen Menschen gar nicht mehr, nur noch gelbe, rote und bläuliche Lichter. Die Prozession zieht zu einem Hügel. Und am Hang verteilen sich die Leute unter Buchen und Kastanien. Alle schauen hinauf zur Spitze des Hügels. Dort ist ein großer Bildstock, auf dessen Dach ein Kreuz aus Lichtern steht. Im Bildstock selbst sieht man eine Kreuzigungsgruppe mit Jesus, Maria und Johannes in Lebensgröße. Dieses Bild hat mich als kleiner Junge im Kindergartenalter schon tief beeindruckt.

Das Besondere daran ist für mich der Zeitpunkt: Ich sehe die Szene nicht wie üblich zur Passionszeit, sondern an Christi Himmelfahrt, also in der Osterzeit. Mit der Überzeugung also, dass Jesus auferstanden ist. Die Erzählungen, dass Jesus lebt und mit seinen Freunden in Beziehung bleibt, verändern den Blick auf seinen Tod entscheidend. Ich blicke auf den Gekreuzigten und sehe den Auferstandenen. Das wird an diesem Abend sichtbar, wenn dieses Kreuz und die vielen Lichter der Menschen zeigen, dass das Licht stärker ist als das Dunkel. Und die Natur spiegelt, dass das Leben nach dem Winter neu erwacht und in voller Blüte steht: Die Kastanienbäume richten ihre Blüten wie Kerzen in den Himmel und die Luft ist voll vom Geruch nach Flieder. Auch die Natur bestärkt mich da in meinem Glauben, dass das Leben stärker ist als der Tod.

Schon als Kind habe ich das als ein tiefes Gefühl gespürt. Es hat mir eine Zuversicht gegeben, dass alles gut wird, weil ich geborgen bin, und weil Gottes Liebe stärker ist als der Tod und alles, was das Leben bedroht. Dieses Grundgefühl ist für mich eine Basis für meinen Glauben geworden. Ich habe das alles erst viel später verstanden und durchdenken können. Aber heute als Erwachsener erinnere mich an lauen Maiabenden gerne an diese Grundlegung meines Glaubens. Ich baue darauf, dass Auferstehung möglich ist.

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SWR4 Abendgedanken

10MAI2023
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Nach den Erdbeben in der Türkei und in Syrien haben Journalisten ein Foto veröffentlicht, das mich kaum loslässt: Es zeigt einen Mann in Warnweste: Mesut Hancer. Er sitzt auf den Trümmerteilen seines Hauses und hält die Hand seiner Tochter. Sie ist tot. Nur ihre Hand schaut aus den Trümmerteilen hervor, ihr Körper ist noch darunter begraben. Ihr Vater sitzt bei ihr, hält ihre Hand und lässt sie nicht mehr los.

Zum einen wird das Leid deutlich, und es zeigt, wie ohnmächtig Menschen sich fühlen, wenn so etwas passiert. Und es zeigt auch, wie unfassbar groß die Liebe von Eltern sein kann.

Ich fühle etwas von der Trauer mit, die diese Eltern haben. Und ich weiß, dass sich das bei diesem Erdbeben zig-fach ereignet hat, was ich hier nur an einem Beispiel sehe. Wenn mir das schon so unter die Haut geht, dann ahne ich, dass ich gefühlsmäßig und in meiner Vorstellung gar nicht erfassen kann, was bei dieser Katastrophe an Leid geschehen ist. Dennoch verbindet es mich mit diesen Menschen, die ich gar nicht persönlich kenne. Sie leben in ihrem Land und ihrer Kultur so ganz anders als ich hier in Süddeutschland. Aber das haben wir als Menschen gemeinsam: Überall auf der Welt lieben Eltern ihre Kinder, sie wollen sie schützen und wünschen ihnen nur das Beste.

Als Christ finde ich dieses Leid unerträglich. Und ich frage mich, wie Gott so etwas zulassen kann, und wo er ist, wenn Menschen so etwas zustößt. Dazu gibt es natürlich viele theologische Antworten. Aber keine ist dem Leid angemessen. Und es wäre in meinen Augen auch eigenartig, wenn es dazu eine passende Antwort gäbe.

Ich will mir Gott nicht als einen Schöpfer vorstellen, dem hier eine grobe Panne passiert ist, oder als einen, der das Schicksal noch drehen könnte, weil er alles kann. Wenn er nur wollte. Für mich ist Gott eher wie dieser Vater, wie Mesut Hancer, der ohnmächtig mitleidet, wenn wir Menschen Schicksalsschläge aushalten müssen. Ich denke, so hat er auch mit Jesus gelitten, als er verzweifelt gestorben ist. Und so leidet er auch mit mir, wenn ich ohnmächtig einer Krankheit ausgesetzt bin, und mit allen, bei denen das Leben so hart zuschlägt.

Aber seine Stärke und Macht liegt in dieser Liebe, die uns nie verlässt und uns immer hält. Auch wenn ich falle, werde ich von ihm gehalten. Wenn ein menschlicher Vater das kann, wird Gott das auch einlösen.

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