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21JUL2024
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Sophie von Bechtolsheim copyright: Privatfoto

Christopher Hoffmann trifft: Sophie von Bechtolsheim, Enkelin von Claus Schenk Graf von Stauffenberg.

Ihr Großvater hat am 20. Juli 1944 das gescheiterte Attentat auf Hitler ausgeführt. Vor 80 Jahren wurde er nachts im Bendlerblock ermordet. Sophie von Bechtolsheim hat viel Zeit mit ihrer Großmutter Nina verbracht. Wie hat sie ihren Ehemann erlebt?

Sie hat erzählt, dass er eine große Ausstrahlung hatte. Er war aber auch der, der mit den Kindern am Boden rumgekugelt ist und ein totaler Familienmensch war.  Und das deckt sich dann mit dem, was ich dann später gelesen hab, über das, was Zeitzeugen erzählen-eben diese Fröhlichkeit, diese Zugewandtheit. Also so eine ganz große, starke Ausstrahlung, persönliches Charisma.

Sophie von Bechtolsheim ist nicht nur Enkelin, sie ist auch Historikerin. Und sie weiss, dass ihr Großvater die Machtübernahme der Nationalsozialisten zunächst staunend beobachtete, anschließend als Berufsoffizier der Wehrmacht Karriere machte:

Er war kein glühender Gegner, also leider nicht, wie Bonhoeffer, der eben schon 33 erkannt hat, dass die jüdischen Mitbürger existentiell bedroht sind und ja auch gesagt hat: wir müssen die Opfer unter dem Rad verbinden, damit natürlich die jüdischen Mitbürger gemeint hat und auch dem Rad in die Speichen fallen, also sprich den Nationalsozialisten in den Arm fallen und sie daran hindern, Macht auszuüben. Und so hat mein Großvater das wohl nicht gesehen – er musste erst mal einen Erkenntnisprozess durchlaufen.

Wann genau Stauffenberg zuerst die Erkenntnis hatte, dass Hitlers Terror gestoppt werden muss, das weiß keiner genau, betont die Enkelin. Ich erlebe die 56-Jährige in unserem langen Gespräch ohnehin sehr vorsichtig mit historischen Hypothesen. Wichtig ist ihr: Das geplante Attentat war kein Alleingang ihres Großvaters. Hinter dem 20. Juli standen viele Menschen im Widerstand gegen Hitler:

Er hat sehr viel investiert Menschen zu kontaktieren aus verschiedenen gesellschaftlichen Kreisen, um dann diesen Umsturz auch gesellschaftlich vorzubereiten. Das ist leider außerhalb der Wahrnehmung, dass das wirklich ein groß angelegtes Netzwerk war.

Auch für die Familie Stauffenberg war die Operation „Walküre“, wie das Unterfangen in der Wolfsschanze genannte wurde, hochgefährlich – Claus und Nina hatten vier Kinder, mit dem fünften war sie schwanger. Ich will von der Enkelin wissen: wie stand ihre Großmutter zu den Umsturzplänen und war sie überhaupt eingeweiht?

Also meine Großmutter wusste, dass es einen Umsturz gibt, aber sie wusste nicht, dass er es ausüben würde – und wenn ich sie gefragt habe: Sag mal hast du ihm das nicht verübelt, weil ja klar war, dass euch das alle gefährdet?  Da ist sie richtig sauer geworden, also da ist sie richtiggehend sauer geworden, weil sie gesagt hat: Was sollte ich ihm denn da verübeln?

Nina Schenk Gräfin von Stauffenberg wird nach dem missglückten Attentat von der Gestapo in Einzelhaft genommen und muss mehrere Konzentrationslager überleben. Diese Zeit zu überstehen, dabei hat ihr auch ihr Glaube an Gott ganz zentral geholfen:

Und sie hat gesagt: da wächst einem etwas zu, von dem man vorher nicht wusste, dass man es hat, nämlich Standesgnade. Und dann hab ich gefragt: Was verstehst du darunter? Ja eben eine Kraft, die man bekommt, die man vom Himmel bekommt, um das auszuhalten und dann auch darauf zu vertrauen: Gott wird mir die Kraft schenken, das zu bewältigen.

Standesgnade – das hat nichts mit dem Adelsstand, sondern mit dem Stand als Ehefrau zu tun. Sophie von Bechtolsheim – selbst Ehefrau und Mutter von vier Söhnen, berührt das bis heute.

Ich treffe Sophie von Bechtolsheim, die Enkelin von Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Neben ihren Verwandten hat sie als Kuratoriumsmitglied der Stiftung des 20. Juli auch mit Zeitzeugen gesprochen, um mehr über ihren Großvater herauszufinden. Auch mit Ewald-Heinrich von Kleist, der als Widerstandskämpfer am 20. Juli im Bendlerblock in Berlin beim Umsturzversuch dabei war:

Was ihn so beeindruckt hat war diese wahnsinnige Nervenstärke – als eigentlich klar war, als durchgedrungen ist Hitler ist nicht tot, hat ja mein Großvater trotzdem versucht den Staatsstreich voranzutreiben - in Wien und in Paris war der ja mehr oder weniger gelungen, da hat man es geschafft die SS zu entmachten und er hat eben trotzdem felsenfest daran geglaubt oder festgehalten diesen Umsturz weiter voranzutreiben.

Sophie von Bechtolsheim ist sich sicher: Ihr Großvater hat bei der Planung der Operation „Walküre“ auf sein Gewissen gehört:

Es gibt ja diesen Satz von meinem Großvater: Wir werden als Verräter dastehen. Also mit dem Bewusstsein haben die das ja geplant und durchgeführt - mit der Überzeugung sie werden als Verräter vor den Deutschen oder der Geschichte dastehen. Aber wenn sie die Tat unterlassen, sind sie Verräter des eigenen Gewissens.

Als Theologe glaube ich: Das Gewissen ist die Stimme Gottes in uns - das teilt auch Sophie von Bechtolsheim.  Und auch für ihren Großvater spielte sein christlicher Glaube eine wichtige Rolle. Gesichert ist: Stauffenberg stand in Kontakt mit dem Jesuitenpater und Widerständler Alfred Delp, der ihn in Bamberg besuchte. Am Abend vor dem 20. Juli 1944 besucht Stauffenberg eine leere Kirche um zu beten, so hat es sein Chauffeur bezeugt. Was ist für Sophie von Bechtolsheim, die Enkelin Stauffenbergs, die bleibende Botschaft des 20. Juli?

Dass der Mensch zur Freiheit berufen ist, also trotz aller Determination sind wir freie Wesen. Und wir wahrscheinlich freier sind als uns lieb ist. Und das ist für mich die Botschaft. Und aus religiöser Sicht würde ich sagen:  Dass wir in dieser Freiheit rausfinden müssen, wozu uns unser Gewissen beruft. Ich glaube tatsächlich, dass das wirklich im ganz, ganz Kleinen, Alltäglichen anfängt-immer sich zu hinterfragen: was kann ich dafür tun integer zu sein? Das ist das Vermächtnis des 20. Juli.   

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14JUL2024
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Georg Zimmer Foto: privat

Ich bin mit dem Auto auf der A96 unterwegs und mache Halt an der Raststätte „Winterberg“, um die Autobahnkapelle zu besuchen. Vom Parkplatz aus muss ich noch ein ziemlich steiles Stück den Berg hinauf. Aber es lohnt sich, denn oben angekommen erwartet mich nicht nur der weiß leuchtende Rundbau der Galluskapelle, sondern auch ein grandioser Ausblick: über Leutkirch und das Schwäbische Allgäu hinüber zu den Schweizer und österreichischen Alpen. Und mich erwartet mein heutiger Gesprächspartner, Georg Zimmer. Der hat vor etwas mehr als 25 Jahren den Bau der Kapelle initiiert. Er erzählt mir, wer die Menschen sind, die zur Galluskapelle kommen: 

Das sind hauptsächlich Durchreisende, die auf dem Weg nach Süden vor allen Dingen hier Halt machen. Auf den Winterberg auf 750 Meter Höhe steigen und hier auch unter anderem die Aussicht auf die Berge genießen. Die andere Gruppe kommt aus der näheren Umgebung. Die Kapelle hat also zwei Funktionen: einmal Autobahnkirche und zum anderen aber auch eine ökumenische Einrichtung in unserer Region.

Das weckt meine Neugier: Die Autobahnkapelle hat ihre Wurzeln also in der christlichen Ökumene. Georg Zimmer erzählt: Ihre Ursprünge reichen zurück bis in seine Schulzeit, als er nach dem Krieg mit seiner katholischen Familie ins evangelische Leutkirch gezogen ist.

Also 1950, als ich eingeschult wurde, gab es in der Grundschule in Leutkirch noch getrennte Klassen, getrennte Lehrer. Das Gesangbuch hat entschieden, in welche Klasse man kommt. Es gab sogar getrennte Treppenzugänge nach oben.

Und daran hatte sich kaum etwas geändert, als Georg Zimmer Ende der 70er Jahre als Stadtbaumeister nach Leutkirch zurückgekommen ist.

Ich habe dann im katholischen Kirchengemeinderat einen ökumenischen Ausschuss gegründet, weil es mir einfach ein Anliegen war, dass man hier mit dem Gesangbuch, mit dem „Gläuble“, wie wir sagen, einmal Schluss machen muss in Bezug auf die Beziehungen. Aber zum Jahr 2000 hat es sich angeboten, dass wir mal etwas Richtiges miteinander machen, ein Projekt realisieren.

Und für das Projekt „Galluskapelle“ des ökumenischen Arbeitskreises war es ein Segen, dass Georg Zimmer nicht nur Architekt, sondern auch beigeordneter Bürgermeister für den Bereich Bauen und Kultur in Leutkirch gewesen ist. Entstanden ist so ein einladender, heller Rundbau, der bis zu 25 Veranstaltungen jährlich beherbergt: Ausstellungen, Gottesdienste und ganz besonders hervorzuheben: Konzerte und Musik.

Also in der Kapelle kann man wunderschön singen. Wir empfehlen den Leuten immer, sich in der Mitte auf den kreisförmigen Oliven Holz Kreis zu legen und den Himmel anzusingen. (…) Also beispielsweise gibt es einen Ziehharmonikaspieler, der immer wieder kommt und hier oben Musik macht.

Was sind das für Menschen, die hier Halt machen?

Zum Beispiel hat sich gestern eine Gruppe von Pfadfindern aus Polen angemeldet, die hier auf der Reise morgens eine Messe feiern wollen. Wir haben aber auch Besucher, die beruflich unterwegs sind und die immer wieder die Galluskapelle besuchen, den Berg besteigen und somit ein bisschen sich vom Alltagstrubel ablenken lassen.

Es war wohl immer schon so, meint Georg Zimmer: Wer einen Berg besteigt, der ist etwas befreiter ist von seiner Last. Davon erzählen auch die Einträge der Besucher ins „Anliegenbuch“, das in der Kapelle ausliegt.

Ich habe mal (…) das Anliegenbuch 2022 ausgewertet und das war ganz interessant, dass Menschen hier schreiben: Danke Gott für diesen wunderschönen Ort der Ruhe und Besinnung und all denen, die geholfen haben und jetzt immer noch helfen, dies zu ermöglichen. (…) Wir sind eben hier an einem Punkt, der vielleicht dem Himmel etwas näher ist, könnte man sagen, wenn man auf 750 Meter ist und den Ballast des Alltags unten liegen lassen kann.

Georg Zimmer ist gerade 80 Jahre alt geworden, und er ist bis heute Vorsitzender des Fördervereins Galluskapelle. Ihren Namen hat sie vom Heiligen Gallus, einem der drei Allgäu-Heiligen. Ihre runde Form und ihre schlichte und gleichzeitig einladende Ausstattung verdankt sie nicht zuletzt Georg Zimmer. Er ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass hier ein Ort ist, der den Menschen auf Reisen einfach guttut. Auch solchen, die sonst wenig mit Kirche am Hut haben.

Also man sieht, es sind viele Menschen, die hier hochkommen, die vielleicht nicht unbedingt jeden Sonntag in die Kirche gehen, (...) die aber hier oben offensichtlich ein Bedürfnis haben, (…) an diesem ökumenischen Ort zur Ruhe zu kommen.

Nächstes Jahr feiert die Gallus-Kapelle ihr 25-jähriges Bestehen. 25 Jahre, die zeigen, dass sich das ökumenische Engagement gelohnt hat. Zum Schluss deshalb noch ein Zitat aus dem Anliegenbuch. Denn es bringt auf den Punkt, was diesen Ort so lebendig macht:

Herzensdank an alle Menschen, die ihr diesen Ort geschaffen und gestaltet habt. Der Geist der Verbundenheit ist hier lebendig, jenseits von Nationalität, Gruppenzugehörigkeit, Religion. Uns alle verbindet weit mehr, als uns trennt. 

 

Gallus-Kapelle

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07JUL2024
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Gitta Grimm Copyright: Manuela Pfann

Manuela Pfann trifft Gitta Grimm

Es ist ein schwieriges Jubiläum. Der Verein „donum vitae“ wird in diesem Jahr 25 Jahre alt. Donum vitae, das bedeutet übersetzt: Geschenk des Lebens. Engagierte Katholikinnen und Katholiken haben den Verein gegründet. In einer Nacht- und Nebelaktion. Aus einer Notlage heraus. Es war ihre Antwort darauf, was Papst Johannes Paul II. den deutschen Bischöfen angewiesen hatte: Katholische Beratungsstellen dürfen keine schwangeren Frauen mehr begleiten, die überlegen, ihr Kind nicht zu bekommen. Um es deutlicher zu formulieren: Mit einer Abtreibung sollte die Kirche nichts zu tun haben.

Und dann haben wir katholische Laien dann gedacht, jetzt geht es irgendwie in die falsche Richtung mit dieser Kirche. Und jetzt müssen wir Verantwortung übernehmen, damit Kirche das tut, was richtig ist.

… sagt Gitta Grimm. Sie ist die Landesvorsitzende von donum vitae in Baden-Württemberg und vom ersten Tag an mit dabei. Zu den prominenten Gründungsmitgliedern des Vereins im Land zählten damals übrigens auch Winfried Kretschmann und Annette Schavan. Ihnen allen war das wichtig, was heute noch gilt:

Wir nehmen Maß an Jesus. Das ist unsere ursprünglichste Tradition und der stand an der Seite der notleidenden Menschen. Vorbehaltlos, hat sie angenommen, so wie sie kamen, hat niemand verurteilt.

Und in dieser Spur Jesu arbeitet donum vitae bis heute. Mittlerweile gibt es rund 200 professionelle Beratungsstellen in Deutschland, über 80.000 schwangere Frauen werden jedes Jahr von ausgebildeten Fachkräften begleitet.

Die wissen dann schon die richtigen Worte zu finden, auch ohne eine Frau unter Druck zu setzen. Ja, wenn es geht, auch dem Kind eine leise Stimme zu geben.Das geht ja manchmal bis dahin, dass man sogar noch ein Verabschiedungsritual macht.

Für das Kind, das nicht auf die Welt kommen wird. Aus welchem Grund auch immer.

Weil es ist für kaum eine Frau wirklich leicht. Manche sind in so großer Not, dass das nur unter Tränen geht, das muss man einfach wissen

Mir geht das sehr nahe, weil ich auch Mutter bin. Gleichzeitig finde ich es so wichtig, dass Gitta Grimm sagt: Wir versuchen immer eine Perspektive für ein Leben mit Kind zu finden. Aber, egal wie die Entscheidung ausfällt:

Die Frau soll gestärkt herausgehen. Es ist völlig klar, dass ein Kind nicht gegen den Willen der Frau geschützt werden kann. Empowerment nennt man das heute der betroffenen Frauen.

Als ich nachfrage, aus welchen Gründen Frauen überlegen, ihre Schwangerschaft abzubrechen, machen mich die Antworten von Gitta Grimm traurig: Denn sehr oft haben die Lebensbedingungen damit zu tun – schaff ich das alleine? Wie soll ich Geld verdienen? Kann ich eine größere Wohnung bezahlen?

Also diese soziale Frage spielt einfach die Hauptrolle nach wie vor. Damals hat der Gesetzgeber sich ja vorgenommen, die Rahmenbedingungen dann frauen- und kinderfreundlicher zu gestalten. Aber über Kitaplätze reden wir heute auch noch nach 25 Jahren.

Gitta Grimm engagiert sich seit 25 Jahren für den Verein donum vitae. Geschenk des Lebens, heißt das übersetzt. Christinnen und Christen kümmern sich um Frauen, die ungewollt schwanger sind. Der Verein wird offiziell immer noch nicht von der katholischen Kirche anerkannt. Trotzdem erlebt die ehemalige Rektorin eines katholischen Gymnasiums Unterstützung von der Kirche.

Ich habe eigentlich von den Bischöfen, mit denen ich zu tun hatte, nie eine Ablehnung erfahren, sondern unterschwellig immer fast so was wie Dankbarkeit, dass wir die Kohlen aus dem Feuer holen.

Damit meint Gitta Grimm: donum vitae ist die katholische Stimme in der Politik, wenn es um den Schutz des ungeborenen Lebens geht. Und das ist aktuell gerade sehr wichtig, weil wieder über den Paragraph 218 diskutiert wird. Der regelt den Schwangerschaftsabbruch und steht im Strafgesetzbuch. Deswegen möchten einige Parteien ihn ganz abschaffen, damit Abtreibung keine Straftat mehr ist. Wie denkt Gitta Grimm darüber?

Wir können gut damit leben, dass dieser Paragraph im Strafrecht steht, weil wir nicht erleben, dass Frauen davon sich diskriminiert fühlen, jedenfalls nicht die Betroffenen.

Gitta Grimm streitet leidenschaftlich dafür, dass diese Regelungen genau so im Strafgesetzbuch stehen bleiben. Sie erklärt mir weshalb.

Wenn man mal genau hinguckt, hat das Verfassungsgericht etwas geschaffen, was es gar nicht geben dürfte, nämlich zwei Grundwerte und Grundgüter – die Selbstbestimmung der Frau und die Würde der Frau und den Lebensschutz – in einem Gesetz unterzubringen. So dass beide gewürdigt werden. Und dann kommt was Merkwürdiges raus, nämlich: Eine Abtreibung ist eigentlich nicht in Ordnung, also illegal. Aber wir wissen um die Not der Frau und deshalb verzichten wir auf Strafe, weil wir niemand kriminalisieren wollen. Also illegal, aber straffrei. Das ist eine geniale Lösung gewesen!

Und zu dieser Lösung gehört auch: Frauen müssen in eine Beratungsstelle, bevor eine Abtreibung möglich ist. Das ist Pflicht. Für mich klingt das zunächst nicht nach Selbstbestimmung der Frau. Aber ich ahne, was dahintersteckt. Gitta Grimm bestätigt mir, was die allermeisten Frauen sagen:

Freiwillig bin ich nicht gekommen. Wahrscheinlich wäre ich sogar gar nicht gekommen, wenn ich nicht gemusst hätte. Aber jetzt bin ich froh, dass ich hier war.

Deswegen findet sie: Ein Gespräch über die ungeplante Schwangerschaft darf nicht einfach nur ein Angebot sein, das man annehmen kann oder eben auch nicht.

Weil wir glauben, dass diese Beratungspflicht auch einen Schutz darstellt. Es ist einfach eine schwere Entscheidung. Und die will gut gefällt sein, wenn man ein Leben lang damit nachher auch zurechtkommen will.

Ich kann mir vorstellen, es ist manchmal auch für die Beraterinnen nicht so leicht zu akzeptieren, wenn Frauen sich gegen das Kind entscheiden.

Ja, man muss bereit sein, auch Entscheidungen mitzutragen und auch mitzuverantworten, die man eigentlich nicht möchte. Auf der anderen Seite kriegt man dann manchmal ein Kärtchen, wo eine Geburt angezeigt wird. Ja, das Leben ist vielfältig und so sind auch die Situationen bei donum vitae und auch die Ergebnisse.

 

https://donumvitae.org/

 

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30JUN2024
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Eritrea Habte Foto: Edena Alfa

Martina Steinbrecher trifft Eritrea Habte, Mitglied einer eritreisch-orthodoxen Gemeinde in Karlsruhe, die sich für den Erhalt ihrer geistlichen Traditionen und für gelingende Integration einsetzt. Bei beiden Anliegen spielen Sprachkenntnisse eine wichtige Rolle. Eritrea Habte spricht vier verschiedene Sprachen.  

Sie heißt wie das Land, in dem sie zur Welt gekommen ist und 19 Jahre lang gelebt hat: Eritrea. Das kleine Land mit rund 4 Millionen Einwohnern liegt am Horn von Afrika zwischen dem Sudan im Norden und Äthiopien im Süden. Vor 31 Jahren ist die heute 50jährige nach Deutschland gekommen und wohnt seither mit ihrer Familie in Karlsruhe. Am Anfang hat sie kein einziges Wort Deutsch gesprochen.

Am Anfang habe ich mich tatsächlich auf Englisch verständigt. Ich habe zuerst hier bei der Volkshochschule ein Jahr Deutsch gelernt und dann bin ich dann in die Abendschule im Abendgymnasium in die zehnte Klasse eingestiegen und habe dann dort auch mein Abitur gemacht und konnte dann die Sprache erlernen.

Für Eritrea Habte war Deutsch bereits die vierte Sprache, die sie gelernt hat. Ihre Muttersprache heißt Tigrinya und ist eine von neun Sprachen, die in Eritrea gesprochen werden. In der Schule hat sie dann Englisch gelernt. Und Amharisch, die damalige äthiopische Amtssprache. Heute erlebt Eritrea ihren Sprachenschatz als großen Reichtum, denn jede Sprache hat für sie eine besondere Bedeutung und einen eigenen Reiz:

Ich kann mich auf Tigrinya am besten ausdrücken. Das ist meine Muttersprache. Dadurch, dass ich auch Amharisch in der Schule gelernt habe, kann ich mich auch sehr gut ausdrücken. Ich finde, auf Amharisch kann man sich auch geschmeidiger ausdrücken und es fühlt sich auch weicher an. Und ich singe und lese auch am liebsten auf Amharisch. Die deutsche Sprache, also ich finde die wirklich wunderbar. Literatur lese ich gerne auf Deutsch. Und was mich fasziniert an der deutschen Sprache: wie man differenziert sich auch ausdrücken kann. Zu einem Gefühlszustand auf Tigrinya mit einem Ausdruck gibt es zehn Differenzierungen auf Deutsch.

Dass ich Eritrea kennengelernt habe, hängt auch mit ihren sprachlichen Fähigkeiten zusammen: Im Jahr 2006 haben wir einen sechsjährigen äthiopischen Jungen adoptiert. Bis er seine ersten Sätze auf Deutsch gesprochen hat, hat Eritrea für uns gedolmetscht und ihm die neue und fremde Welt in seine Muttersprache übersetzt. Auch mit ihren eigenen fünf Kindern hat Eritrea die Erfahrung gemacht: Es hilft bei der Entwicklung der eigenen Identität, wenn man die sprachlichen Wurzeln nicht kappt:

Für uns war wichtig, dass die Kinder die Muttersprache lernen, dass sie die Muttersprache gut beherrschen. Da haben wir schon von Anfang an mit denen auf Tigrinya geredet, aber dann auch abends auf Deutsch Bücher vorgelesen. Am Anfang haben sie dann im Kindergarten natürlich nicht so gut kommunizieren können, aber nach ein paar Monaten haben sie wirklich gut gelernt und konnten dann einfach auch einwandfrei kommunizieren.

Eritrea Habtes Töchter Eden und Manna haben ihr Abitur später auf einem zweisprachigen Gymnasium abgelegt und können sich heute neben Tigrinya und Deutsch auch fließend auf Englisch und Französisch unterhalten. Durch den Erhalt der Muttersprache und die Förderung des Fremdsprachenerwerbs hat Eritrea ihren Kindern beide Welten zugänglich gemacht und beides miteinander verbunden: Tradition und Integration.

Sprache ist für sie der Schlüssel für ein gelingendes Miteinander.

Im großen Ganzen sehe ich Sprache als kardinales Element für soziale und akademische Integration, aber auch als kreatives Werkzeug. Auch sehe ich eine zentrale Rolle von Sprache in der Selbstfindung bzw. Identitätssuche. Deshalb war immer für mich sehr wichtig, dass meine Kinder mehrgleisig sprachlich gefördert werden.

Aber nicht nur in Ihrer Familie setzt Eritrea auf sprachliche Förderung, sondern auch in der orthodoxen Gemeinde, in der sie sich ehrenamtlich engagiert. Dort werden Traditionen gepflegt, und Integration wird großgeschrieben.  

Wir wollen keine Parallelgesellschaft, sondern Miteinander, dass wir unsere Religion und unsere Kultur unseren Kindern beibringen, aber wir haben einfach auch eine offene Tür, wenn Leute, die Zeit haben, sich engagieren möchten. 

Im Gespräch mit Eritrea muss ich an die Pfingstgeschichte denken: Wie Menschen sich plötzlich über Sprachbarrieren hinweg verstehen können – ein einmaliges Ereignis. Das Besondere daran: Dieses Verstehen kommt nicht durch eine Einheitssprache zustande. Die unterschiedlichen Sprachen bleiben weiterhin bestehen. Für mich heißt das: Niemand muss die eigene Tradition aufgegeben, um andere verstehen zu lernen. Und für Eritrea Habte ist es auch ihr christlicher Glaube, der solche Verständigung möglich macht.

Mein Glaube ist mir wirklich sehr wichtig als Gemeinschaft, in der ich mit meinen Mitmenschen die Dinge, die mir am Herzen liegen, teile und so gut ich kann, auch etwas Konstruktives für die nächste Generation hinterlasse.

Eritrea setzt dabei auf ein Jesus-Wort aus dem Matthäusevangelium:

Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen.  

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23JUN2024
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Dr. Manuel Frey Foto: Christopher Hoffmann

Christopher Hoffmann trifft: Weltraumingenieur Manuel Frey

Manuel Frey hat als Raumfahrtingenieur acht Jahre lang die Weltraumrakete „Ariane 6“ mitentwickelt. Die soll Anfang Juli in dem südamerikanischen Französisch-Guyana in der Nähe des Äquators zum ersten Mal ins All fliegen. Die Ariane wird von der Europäischen Weltraumorganisation ESA finanziert. Solche Raketen bringen Satelliten und Sonden ins All – warum ist das für die Menschheit wichtig?

Wo wären wir ohne Satelliten? Wir hätten keine Navigation in dem Sinn wie wir sie heute haben-wir hätten heute kein Satellitenfernsehen, eine ganze Menge der Kommunikation läuft über Satellit, wir haben Wettersatelliten, wir haben Erdbeobachtungssatelliten, wir wüssten zum Beispiel wesentlich weniger über Umwelteinflüsse, Umweltveränderungen, die es ja auf unserer Erde unbestritten gibt. Aber auch zum Beispiel  die Aufheizung der Meere-solche Dinge, das kann alles aus dem Weltraum vermessen werden.

Manuel Frey ist der Fachmann für Raketenantriebe, die so viel Kraft besitzen, dass sie bis zum Mars oder zum Jupiter fliegen können. Ein Ingenieur und Technikexperte durch und durch.  Und doch hat er das Staunen nicht verlernt:

In meiner Arbeit entwickle ich Maschinen, aber wenn der Mensch ins Spiel kommt, da wird die ganze Sache doch deutlich komplexer: Da lassen sich eben nicht so einfache Gesetzmäßigkeiten anwenden, wie beim Bau einer Maschine. Wir berechnen zum Beispiel die Strömungen, die chemischen Reaktionen in einem Raketenantrieb und können das schon sehr genau machen, aber ich glaub es ist noch keinem gelungen, die Reaktionen eines Menschen auf irgendeine Nachricht vorherzusagen, so wie wir das können. Also da sind wir in einer ganz anderen Liga unterwegs und ich denke, das ist auch sehr schön so.

Der Mensch ist für Manuel Frey eben kein Zufallsprodukt des Universums, sondern ein Geschöpf Gottes- und als solches bleibt er auch immer ein Geheimnis:

Ich find den Weltraum faszinierend natürlich auch mit seinen Entfernungen, aber die Menschen, die tragen ja einen Kosmos in sich. Der Mensch ist ein Mikrokosmos, er ist sehr komplex und ja: Glaube, Liebe, Hoffnung sind natürlich Dinge, die den Menschen fundamental von einer Maschine unterscheiden.  Wenn man Gott sucht, denke ich dann kann man ihn auch in der Natur finden, man kann ihn auch im Weltraum finden, man kann ihn vor allem auch im Mitmenschen finden-da muss man eben offen sein.

Wie meint er das  - Gott im Mitmenschen finden?

Wenn Menschen einem freundlich und nett begegnen, oder wenn man Hilfe braucht und die dann wirklich kriegt-das sind schon Begegnungen, die man immer auch religiös deuten kann.

Manuel Frey ist in Überlingen am Bodensee aufgewachsen. Später hat er in Stuttgart studiert und seinen Doktor beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Lampoldshausen nahe Heilbronn gemacht. Heute entwickelt er Flüssiggasantriebe für die Ariane in München.  Physik und Technik  - das ist seine berufliche Welt.  Der Katholik glaubt aber an mehr als Materie:

Es gibt natürlich einen Geist, für mich ist das völlig klar. Also mit einer reinen Technikfokussiertheit kann man denke ich keine Gesellschaft zusammenhalten und auch keine Menschen am Ende glücklich machen.

Weil jeder Mensch als Abbild Gottes eine unantastbare Würde hat?

Ja, der Würdeaspekt ist für mich sehr wichtig. Ist für uns als Gesellschaft ja auch sehr wichtig, im Grundgesetz ganz stark verbrieft. Ja , das ist ein wichtiger Aspekt, ja.

Ich treffe Manuel Frey in München, wo er Weltraumraketen entwickelt. Sie bringen Satelliten ins All, die uns auch über den Klimawandel neue Erkenntnisse bringen. 

Bewahrung der Schöpfung ist ein großes Thema, Schutz unserer Erde, Umweltschutz auch, das sind alles Themen die heute hochaktuell sind. Ich denke wir müssen schon schauen- dass wir- und da muss auch jeder persönlich dran mithelfen - unsere Erde schon in einem Zustand an die nächste Generation weitergeben, dass nicht alles verloren ist, das halte ich für sehr wichtig.

Für ihn hat das viel mit Nächstenliebe zu tun. Nicht über die eigenen Verhältnisse zu leben:  Verzicht und technologischer Fortschritt- Manuel Frey glaubt, dass es beides braucht, um den Herausforderungen des Klimawandels zu begegnen. Er wünscht sich auch eine Kirche, die sich positioniert zu aktuellen Themen:

Geistige Nahrung und die Reflexion der gesellschaftlichen Vorgänge halte ich für sehr wichtig und da spielt die Kirche eine große Rolle. Ich finde auch sehr wichtig die Rolle der Kirche was ganz generell ethische Fragen anbelangt und ich finde, dass sie sich da auch in die Politik stark einmischen muss.

Neben diesen mehr ethischen Aspekten ist für ihn der Glaube aber auch eine Quelle der Hoffnung. Das hat er ganz persönlich erlebt, als der heute 54-Jährige mit Anfang 30 an Krebs erkrankt:

Im Endstadium meiner Doktorarbeit, ich war schon kurz vor Fertigstellung, habe ich gesundheitliche Probleme bekommen, unter meinem rechten Arm hat sich ein Tumor gebildet. Und ich musste dann in Chemotherapie und auch Bestrahlungstherapie in Heilbronn gehen-das hat fast ein Jahr gedauert. In so einer Phase, wenn man so eine lebensbedrohliche Krankheit hat und anfangs auch nicht weiß, ob man sie übersteht, bekommt man doch ein kleines Geschenk, wenn es das in so einer Situation überhaupt geben kann, man kann nämlich auf einmal sehr gut unterscheiden, was für einen im Leben wichtig und was für einen im Leben unwichtig ist.

Er hat für sich gelernt:

Das Leben ist sehr kostbar. Das merkt man vor allem wenn man das Ende vor Augen hat, absolut, da merkt man das wie sonst nie.  

Und als Christ glaubt er, dass auch nach diesem Ende noch was kommt. Sein Glaube hat ihm Kraft gegeben:

Die Religion oder der Glaube hat in der Bewältigung dieser Tumorerkrankung bei mir eine große Rolle gespielt würde ich sagen. Dieses Wissen, dass das nicht das Ende sein muss, das ist natürlich schon sehr tröstlich: die Hoffnung zu haben, dass es weitergeht nach dem Tode, das seh ich auch so, ja.

Und so bleiben am Ende auch für Manuel Frey in den Weiten des Weltalls und in seinem ganz persönlichen Mikrokosmos drei Dinge: Glaube, Liebe und Hoffnung.

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16JUN2024
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Dorothee Höfert

Peter Annweiler trifft Dorothee Höfert, im Feld von Kunst und Religion engagierte Kunsthistorikerin

Teil 1: lebensgeschichtlich und klassisch

Stundenlang kann ich ihr zuhören: Dorothee Höfert erzählt frisch, fundiert und humorvoll. Die Kunsthistorikerin bringt Schwung in die Bude. Beruflich hat sie den als Leiterin der Kunstvermittlung in die Mannheimer Kunsthalle getragen. Immer wieder ist sie auch davon begeistert, wie Kunst und Religion zusammenwirken können. 

Wenn man zumindest mal den Verlauf der 2000 Jahre europäischen Kunst sehen will, dann kommt man ja nicht umhin, sich auch mit theologischen oder religiösen Fragestellungen zu beschäftigen. Denn ein Großteil der auf uns gekommenen Kunst ist religiös, und da war ich dann immer ganz munter dabei.

Diese Munterkeit von Dorothee Höfert gefällt mir. Egal, ob zeitgenössisch oder traditionell. Egal ob Kirche oder Museum. Da spricht eine Frau, deren Herz höherschlägt, wenn die Geschwister Kunst und Religion zusammenfinden.

Mich fasziniert, wie früh das für die 63jährige angefangen hat: In ihrer Kindheit in einfachen Verhältnissen in Norddeutschland.

Ich habe sehr früh lesen gelernt und stöberte in den Büchern, den wenigen, die es bei uns zu Hause gab, und vor allen Dingen an den langen Winterabenden. Und dort ist ein Buch ganz wichtig für mich geworden. Das hieß tausend Jahre deutsche Malerei. Ein Prachtband, den ich bis heute besitze und ich konnte diese Texte überhaupt nicht verstehen. Kunsthistorisches Kauderwelsch -

aber eben die Bilder: Die erreichen nicht nur Kinder schnell, direkt und emotional. Noch Jahrzehnte später erinnert sich Dorothee Höfert an ein besonderes Bild:

Es ist ein Gemälde aus dem fünfzehnten Jahrhundert. Michael Pacher ist der Autor. Es ist eine Altartafel.  Ich bin ziemlich sicher, dass es der heilige Antonius ist. Und der steht vor einer grünen Dämonengestalt mit vielen Augen und Hufen. Und diese Dämonengestalt hält ihm ein aufgeschlagenes, riesiges Buch hin. Die Begegnung eines würdig gekleideten Kirchenmannes mit einem Dämon. Also eine solche Figur würde man auch heute in irgendeinem Horrorfilm sofort einbauen können - das fand ich ungeheuerlich, dass sich da zwei Sphären auf Augenhöhe begegnen und offenbar miteinander kommunizieren.

Faszinierend, was Kunst ganz ohne Worte sichtbar machen kann: Gefühle, Lebenslagen und -fragen. Manchmal gar nicht „schön“, sondern ungeheuerlich und ungewohnt. Eine grüne Dämonengestalt mit Hufen hält einem Heiligen ein Buch hin. Das Teuflische und das Heilige begegnen sich. Kunst weitet den Blick. Hin auf das, was unsere Augen so nicht im Alltag sehen können. Und genau darin ist sie mit der Religion verwandt: Dass wir mit neu geöffneten Augen ganz andere – und womöglich größere, göttliche - Zusammenhänge sehen, in denen wir Menschen stehen.

Teil 2: zeitgenössisch und interreligiös

Bei ihren Führungen in der Mannheimer Kunsthalle beobachtet die Kunsthistorikerin gerade bei zeitgenössischer Kunst, dass die Leute

ganz schnell sich zurückziehen und sagen, das verstehe ich nicht. Es spricht mich nicht an, das ist hässlich, oder das ist ja gar keine Kunst, weil sie zu schnell vielleicht sich abschrecken lassen von etwas, was erstmal tatsächlich auch Fragen aufwirft. Das geht mir nicht anders.

Ganz entlastend finde ich das, wenn auch die Fachfrau erst mal irritiert ist. Und dann hilft sie mit ihrer Kompetenz eben doch, „dran“ zu bleiben: Sie verhindert, dass ich mich abwende – und trägt dazu bei, dass ich geduldig und neugierig auf ein Kunstwerk blicke.

Was ist da eigentlich los? Denn wenn es gute Kunst ist, dann ist es etwas Menschliches. Dann fließt etwas von dem Menschen, der es gemacht hat, hinein in das Werk. Und ich kann das herausnehmen. Ich kann das versuchen zu verstehen. Ich komme in Kontakt mit etwas, und das kann mich im besten Fall faszinieren, kann mich weiterbringen, kann mich zu einer neuen Sicht auf die Welt stimulieren.

Kunst bildet nicht das Sichtbare ab, sondern macht sichtbar – sagt der Maler Paul Klee – und eben darin bleibt sie für mich verwandt mit Religion. Dabei brauchen zumindest meine Augen für das Sehen des Neuen oft eine Sehhilfe. Dorothee Höfert engagiert sich schon lange für diese Sehhilfe. Deshalb hat sie Gespräche zwischen Kunst und Religion in die Kunsthalle gebracht. Denn sie findet,

dass man auch da ein Angebot schaffen muss. Und wie soll das aussehen? Und dann hab ich gedacht, na ja, ich bin keine Theologin. Ich bin Kunsthistorikerin. Ich würde das ganz gerne mit jemandem zusammen machen, der sich fachlich theologisch dazugesellt. Und auf diese Weise haben wir ganz allmählich etwas aufgebaut, was jetzt 15 Jahre später sogar noch erweitert worden ist. Einfach weil sich das Interesse daran ergeben hat. In … Mannheim, wo ganz viele Muslime auch leben, wo es eine rege jüdische Gemeinde gibt, zu sagen wir bauen das aus in ein interreligiöses Gespräch

- und gerade das lockt bei ihren monatlichen Gesprächen im Feld von Kunst und Religion viele Gäste in die Kunsthalle. Wenn ich an so einem Gespräch teilnehme, dann spüre ich, wie diese Geschwister Kunst und Religion wieder zusammenfinden. Und darüber hinaus sich auch die Religionen auf das besinnen, was sie vereint…

Mir fällt da ein Begriff gerade ein: existenziell. Den Menschen betreffend, menschliche Fragen betreffend, wo kommen wir her? Wo sind wir? Wo gehen wir hin?Gibt es Hoffnung? Ist das Leben zu Ende? Wenn wir sterben, geht es darüber hinaus.

Über diese großen existentiellen Fragen sind Kunst und Religion verbunden. Dorothee Höfert lässt mich neu spüren, wie lebendig diese Verwandtschaft ist.

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09JUN2024
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Militärpfarrer Markus Konrad Copyright: Militärseelsorge Zweibrücken

Martin Wolf trifft den Militärpfarrer Markus Konrad

Der 53-Jährige Priester aus dem Bistum Mainz ist seit einem Jahr katholischer Seelsorger beim Fallschirmjägerregiment der Bundeswehr im pfälzischen Zweibrücken.

Als wir uns in Mainz begegnen, ist er unauffällig gekleidet. Im Dienst aber ist er von den Soldaten oft kaum zu unterscheiden. 

Also für einen Soldaten ist es ja nicht so leicht erkenntlich, weil ich, zumindest wenn ich unterwegs bin mit den Soldatinnen und Soldaten, auch oft Uniform trage. Das ist dann bei mir ein Arbeitsschutzanzug, obwohl es gleich aussieht. Aber Sie wissen dann trotzdem, wenn Sie das Kreuz auf der Schulterklappe finden: Okay, der steht jetzt außerhalb von Befehl und Gehorsam. Mit dem kann ich reden.

Und das tun sie auch. Wenn ein Soldat, eine Soldatin zu ihm kommt, sagt er, dann brennt auch immer etwas auf der Seele.

Da geht es um eine Freundin, die vielleicht sechs Jahre jetzt mitgetragen hat, dass der Partner Soldat ist, aber jetzt irgendwie sagt, wir wollen doch jetzt mal Familie gründen, wie soll man denn das machen? Es geht um Fragen von Todesfällen, die den Soldaten sehr nahegehen. Krankheit von Angehörigen. Vielleicht das Gefühl, nicht genug nah dran sein zu dürfen in dieser Zeit. Das macht das Familienleben und auch die Beziehung mit Freunden nicht ganz einfach.

Vor ein paar Wochen erst hat Markus Konrad sogar Schlagzeilen gemacht, weil er eben nicht nur in seinem Büro sitzt und wartet, ob einer kommt. Er geht raus mit den Soldatinnen und Soldaten, denn ...

Militärseelsorge ist Seelsorge am Arbeitsplatz. Dazu gehört am Anfang ihres Dienstes ja dazu, dass sie auf den Sprungturm gehen und dann quasi 12 Meter da jetzt runterspringen sollen. Und dann haben mir (auch) Soldaten angeboten, auch mal so einen Turm hochzusteigen und dann irgendwie diesen Schritt ins Leere zu tun. Das fand ich schon sehr spannend, sehr extrem.

Fünf Mal ist er da runtergesprungen, erzählt er, und hat das kleine Abenteuer offenbar unbeschadet überstanden.

Militärpfarrer bei den Fallschirmjägern, der sollte schon auch so ein bisschen Interesse haben, auch an Abenteuer usw., und da sind die Soldaten gern bereit, mich dann mit einzubeziehen. Also bei Übungen mal mit dem Flieger zu fliegen und mal dieses Gefühl zu haben, wie das ist, wenn dieser Flieger hoch und runter geht und in den Wendungen und Drehungen dann ist.

Was dann den Magen schnell mal an seine Grenzen bringt, wie er berichtet. Ist es denn wichtig, so dicht am Alltag der Soldatinnen und Soldaten dran zu sein?

Ich glaube, dadurch wächst eine Vertrautheit. Man gehört dann so ein bisschen dazu. Und diese Bereitschaft, jemand Dinge anzuvertrauen, der so etwas dazugehört und gleichzeitig auch Outsider ist, die ist, glaube ich, bei den Soldatinnen und Soldaten sehr hoch. Das habe ich in der Pfarrei nicht so einfach erlebt.

Was mir nochmal deutlich macht, worauf es in der Seelsorge wohl vor allem ankommt. Sich für die Menschen zu interessieren und, soweit es geht, an ihrem Lebensalltag Anteil zu haben.

[Musik]

Ich spreche mit Markus Konrad, der als Militärgeistlicher für die Fallschirmjäger der Bundeswehr in Zweibrücken da ist. Das ist kein Stubendienst im Pfarramt. Als Seelsorger rückt er auch in die möglichen Einsatzgebiete seines Regiments mit aus.

Also der Militärpfarrer geht eigentlich immer mit. Nicht in der Kampfzone, sondern immer dorthin, wo sie nach dem Auftrag wieder zurückkehren.

Und der Pfarrer ist dadurch vielleicht so was wie der psychologische Ersthelfer auch. Also meine Aufgabe sehe ich darin, immer auch den Versuch zu machen, die Themen zu öffnen und möglichst schnell, wenn der Soldat Bilder im Kopf hat, Dinge gesehen hat, mit ihm darüber ins Gespräch zu kommen.

Und so eine erste Unterstützung anzubieten, wenn schlimme Erlebnisse aus dem Einsatz schwer auf der Seele liegen. In einem Ernstfall wäre es ihm aber auch wichtig, zusammen mit den Führungskräften darauf zu schauen, dass der moralische Kompass nicht verlorengeht.

Ich halte diesen Gedanken des Kompasses und der Orientierung schon für sehr wichtig, damit man sich nicht in Gefühlen wie Rache, absoluter Feindschaft verliert. Man darf das, glaube ich, nicht unterschätzen. Und es wird, glaube ich, jedem Menschen so gehen, wenn er viel Schlimmes erlebt. Und daran mitzuwirken, dass das eben in einem Rahmen bleibt, der auch dem Soldaten selbst die Gelegenheit gibt, sich nicht zu verlieren. Daran, würde ich sagen, muss auch der Militärpfarrer mitwirken.

Nun spricht unser Verteidigungsminister ja offen davon, dass wir „kriegstüchtig“ werden müssten. Ein Wort, das Viele verschreckt hat. Wie erlebt er das unter den jungen Soldatinnen und Soldaten, mit denen er zu tun hat?

Den Soldaten, denen ich jetzt begegne, die haben schon auch die Bereitschaft einzutreten. Manchmal bin ich da nachdenklich und ich merke auch: Die Soldaten, die schon länger dabei sind, die also noch einen größeren Rucksack an Erfahrungen haben, die sind da auch zögerlicher. Insofern wird es, glaube ich, sehr differenziert unter den Soldaten aufgenommen. Kriegstüchtigkeit? Ich würde für mich immer eher definieren: Verteidigungstüchtigkeit. Bereit sein, im Zweifelsfall was entgegenzusetzen.

Und doch stehen Christen ja in dieser Spannung zwischen dem Recht, sich wenn nötig auch gewaltsam zu verteidigen und der Friedensethik eines Jesus von Nazareth.

Es bleibt ein Dilemma, das es auszuhalten gilt. Ich bin schon sehr zögerlich, weil ich glaube, dass Krieg immer eine Dynamik entfacht, nämlich auch eine Dynamik zum Bösen. Das soll man nicht unterschätzen. Das ist oft so eine Spirale, die sich ergibt. Und trotzdem sich einfach schutzlos dem anderen irgendwie auszuliefern, halte ich auch für keine richtige Position. Also, man gibt ja nicht nur sich dann preis, sondern vielleicht auch Menschen und Werte, die einem wichtig sind.

Als Pfarrer steht er für die Botschaft Jesu. Wie kann man die verkündigen, in dem Bereich, in dem er nun arbeitet?

Ich habe es in meinem täglichen Dienst eigentlich mit Menschen zu tun, die vielleicht in einem hohen Maß nicht mehr die Kirchentüren öffnen würden für sich. Und ich finde, dann bin ich jeden Tag eigentlich herausgefordert zu fragen: Was habe ich vom Evangelium verstanden? Und wie möchte ich das so durchbuchstabieren, dass auch einer, dem das vielleicht fremd ist, zumindest vielleicht eine Ahnung davon hat: okay, da scheint es für den was zu geben, was doch dem Leben auch noch mal eine Tiefe gibt. Auch noch mal einen Halt gibt, auch in schwierigen Situationen, was vielleicht Geld, Ansehen, Dienstgrad nicht so einfach geben kann.

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02JUN2024
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Kathrin Fingerle Foto: privat

Omas for Future, Teachers for Future, Science for Future – längst engagieren sich nicht nur Schülerinnen und Schüler für einen Wandel in der Klimapolitik. Mittlerweile gibt es auch Gruppen für alle, die nicht mehr zur Schule gehen. Eine davon ist Christians for Future. Kathrin Fingerle ist bei Christians for Future engagiert. Sie ist Pfarrerin in Sigmaringen und hat dort angefangen, sich neben ihrem Beruf für den Klimaschutz einzusetzen. Wie das kam?

 Also bei mir war es so, dass seit der Geburt unserer Kinder mich das Thema irgendwie immer mehr beschäftigt hat. Und dann habe ich tatsächlich irgendwas, wie „Fridays for Future und Christentum“ oder so in der Suchmaschine eingegeben und bin dann auf die Christians for Future gestoßen. Habe mit denen Kontakt aufgenommen und dann auch relativ schnell eine Ortsgruppe hier gegründet.

Aber braucht es wirklich so viele Untergruppen? Wäre nicht mehr erreicht, wenn sich alle Klimaaktivisten zu einer Gruppe zusammenschließen würden? Kathrin Fingerle glaubt: es ist sinnvoll, dass es eine christliche Version der „Fridays“ gibt, wie sie Fridays for Future gern abkürzt, denn:

…bei uns sind viele Personen in Gemeinden verankert und können dann in die Gemeinden auch hineinwirken. Und die „Fridays“ haben ja auch nicht den Fokus darauf, gerade in die Kirchenleitung auch hineinzuwirken oder gar in die Strukturen. Von daher find ich das schon eine gute Ergänzung.

Christians for Future wollen in ihren Gemeinden vor Ort etwas für den Klimaschutz tun und das Thema in den Kirchenleitungen stark machen. Das unterscheidet sie von anderen Gruppen. Aber Kathrin Fingerle ist auch überzeugt davon, dass sie als Christen und Christinnen etwas ganz Eigenes in die Klimabewegung mit einbringen können

Ich glaube, dass Christ:innen auch eine besondere Art von Hoffnung mitbringen können. Wir glauben, dass Gott die Erde geschaffen hat und uns liebt. Und ich glaube auch, dass Gott will, dass wir es schaffen, sozusagen, also Gott will nicht, dass die Erde leidet und dass die Menschen leiden

Ich höre oft als Vorwurf gegenüber Klimaschützern, dass sie gerade nicht Hoffnung verbreiten, sondern eher Angst schüren. Kathrin Fingerle ist klar, dass beides eng zusammenhängt. 

Also ich denke schon, dass Angst auf jeden Fall eine Rolle spielt. Also ich würde auch sagen, dass ich jetzt nicht ohne Angst bin. Ich glaub, das ist auch schwierig ohne Angst zu sein, wenn man sich wirklich ehrlich dem stellt, was das bedeuten könnte. Aber ich glaube nicht, dass das jetzt der Antrieb ist, sondern ich glaube, der Antrieb ist eigentlich eher Hoffnung, weil wenn man nur von Angst besetzt wäre, dann müsste man sich ja nicht mehr engagieren.

Und das man sich engagieren muss, davon ist Kathrin Fingerle überzeugt. Denn trotz allem Gottvertrauen: Die Klimakatastrophe wird nicht einfach durch ein Wunder von oben gelöst werden. Was aber tun? Persönlicher Verzicht, oder warten auf die großen Veränderungen durch die Politik? 

Wir sind auch privilegiert, weil wir uns ein Lastenfahrrad kaufen können, weil wir Bio oder Fairtrade Lebensmittel kaufen können. Und dass das so ist, ist eigentlich einfach nicht gut. (...) Eigentlich sollte es ja so sein, dass die Wahl, die die klimafreundlichste ist, auch die günstigste ist und die einfachste. Und das ist eben einfach nicht so.

Das ist ein großes Problem. Solange Klimaschutz ein Privileg ist, für das es Zeit und Geld braucht, fühlen sich viele davon abgeschreckt und überfordert. Mit dieser Ablehnung klarzukommen ist nicht immer leicht für die, die sich engagieren. Die Pfarrerin Kathrin Fingerle denkt, auch das ist etwas, womit Christinnen und Christen die Klimabewegung unterstützen können: Seelsorge.

Gerade zu unserer letzten Klimaandacht, da kamen nicht besonders viele Leute. Aber wir hatten hinterher das Gefühl, dass für die Leute war es wirklich gut und wichtig. Weil es eben auch Menschen waren, die sehr engagiert sind und die ja aber auch das Gefühl haben, sie sind so ein bisschen auf verlorenem Posten. Und seelsorgerlich war das, glaube ich, ganz wichtig. Diese Andacht.

Und weil sie gemerkt hat, das ist etwas, was Kraft gibt und wo Christinnen und Christen ihren ganz eigenen Teil zur Klimabewegung beitragen können, hat Kathrin Fingerle ein Buchprojekt mit ins Leben gerufen: Trösten, Hoffen, Handeln, heißt das Buch, dass sie gemeinsam mit einem katholischen Kollegen herausgibt.

 Was für mich eben wichtig war, war Menschen zu finden, die gemeinsam mit mir da unterwegs sein möchten, mit denen ich gerne zusammenarbeite. Also hier vor Ort und bei Christians vor Future. Und dass man vielleicht auch mal was findet, was zu einem passt. Also ich hatte jetzt das Gefühl, eben dieses Buch da rauszugeben, das passt eben auch zu mir beim Beruf.

Sich als Christin einzusetzen für die Schöpfung: für die Pfarrerin Kathrin Fingerle ist das eine wichtige Aufgabe. Und dabei verbindet sie Klarsicht mit unerschütterlicher Hoffnung:

Also ich habe nicht die Illusion, dass wir in einer Welt leben werden, die so aussieht wie die heute. Aber ich hoffe, dass es eine Welt ist, in der wir eben auch gelernt haben, dass es anders geht und in der wir anders leben. In der wir wissen, dass Wachstum und Reichtum eben nicht das ist, worauf es ankommt. Und dass wir gelernt haben, das umzusetzen, was der eigentlich auch schon längst wissen

Meine Hoffnung wäre tatsächlich, dass Gott durch Menschen wirkt und Menschen dazu befähigt und auch beauftragt. Das wäre meine Hoffnung.

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30MAI2024
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Bettina Berens copyright: Kip TV

Caroline Haro-Gnändinger trifft Schwester Bettina Berens, Ordensfrau und Ex-Fußballerin

 

Sie hat früher in der deutschen Frauen-Nationalmannschaft gespielt. Wir treffen uns kurz bevor der Nervenkitzel zur Europameisterschaft anfängt. Sie erzählt mir davon, wie es bei ihr mit dem Fußball angefangen hat - in ihrer Kindheit auf dem Bauernhof in der Nähe von Bitburg in der Eifel:

Wie jeder Bauernhof hatten wir ein Scheunentor. Also ich habe immer wieder die ganze Nachbarschaft tyrannisiert, weil es immer bum, bum, bum, bum machte, weil ich dann stundenlang gegen dieses Tor geschossen habe.

Damals entdeckt ihr Sportlehrer ihr Talent und dann kickt sie regelmäßig im Verein. In den 1980ern und 90ern spielt sie erst links außen, dann im Mittelfeld beim Verein TuS Ahrbach. Mit ihm steigt sie in die Bundesliga auf. Und einmal spielt sie in der Frauen-Nationalelf – 1992, ein Länderspiel gegen Italien.

Man steht da so plötzlich in einer Reihe, die man eigentlich sonst immer nur im Fernsehen sieht. Wenn Spieler bei der Nationalhymne dann da stehen. Also das ist schon ein Gänsehautmoment.

Bettina Berens macht den Sport damals wie ein Ehrenamt, neben ihrem Vollzeit-Bürojob. Sie liebt es, muss dann aber mit 28 wegen Problemen an ihrem Sprunggelenk aufhören. Eine große Umstellung:

Wohin mit der Leidenschaft, wo die Leidenschaft wieder spüren, dieses Sich-Freuen und dieses Daraufhinarbeiten.  Heimat, teilweise Heimat.

Sie sucht eine ganze Weile lang. Eine ehemalige Schulfreundin von ihr ist inzwischen Nonne geworden. Über sie kommt Bettina Berens wieder mehr in Kontakt mit dem Glauben an Gott. In ihrer eigenen Familie hatte sie den Glauben eher streng erlebt:

Meine Mutter hat viele Schicksalsschläge gehabt und die hat durch ihren Glauben ihr Leben irgendwo bewältigen können. Der Glaube war ihr ein wichtiger Halt und manchmal ging das für uns etwas in Extreme.

Über ihre Schulfreundin bekommt Bettina Berens also nochmal ein neues Bild von Gott und vom Glauben.

Meine Freundin hat mir dann immer mal wieder Bibelverse geschickt und ich merkte: Da tut sich was in mir und sie spricht da auch was in mir an, was mir wichtig ist.

Ihr Vater war vor ihrer Geburt verunglückt und hat ihr oft gefehlt. Sie glaubt, dass sie auch deshalb fasziniert ist von den Geschichten über Jesus und seinen Vater im Himmel. Ein Satz einer Ordensgründerin spricht sie besonders an: „Gott ist mein Vater und ich bin sein Kind.“ Sie tritt in diesen Orden ein. Ihr ist die Verbindung zu Gott sehr wichtig:

Sein tiefstes Verlangen ist, dass es uns gut geht, dass wir glücklich sind, dass wir unser Leben leben, dass wir unser Leben gestalten, dass wir blühen, dass wir uns nicht verstecken. Ihr seid das Salz der Erde, dass wir die Würze sind für diese Welt.

So hat es Jesus in der Bibel gesagt. Salz der Erde zu sein, dieses Bild gibt ihr im Alltag oft neue Kraft. Gestalten, anpacken - so erlebe ich Schwester Bettina und das finde ich als Christin wichtig. Das Leben in der Ordensgemeinschaft ist für sie aber nicht immer so leicht. Die ehemalige Fußballerin und heutige Ordensfrau Bettina Berens arbeitet in einer Pfarrei in Mönchengladbach und besucht regelmäßig ihre Heimat in der Eifel. Davor war sie viele Jahre lang als Seelsorgerin in verschiedenen Ländern der Welt, eine lange Zeit auch in den Niederlanden:

Wenn ich von Holland so in die Eifel gefahren bin, und ich sehe dann diese Weite und dieses Hügelige, dann geht erst mal mein Herz auf. Also ich habe mich dann noch mal ganz neu in meine Heimat verliebt.

Immer wieder setzt sich Schwester Bettina besonders für Kinder ein – sie spielt mit ihnen zum Beispiel Fußball. Damit sie ihre Taktik trainieren und Selbstbewusstsein tanken können. Und das macht natürlich auch ihr großen Spaß:

Egal wie schwierig es auch manchmal drumherum ist oder wenn was  eben mal nicht passt, sobald der Ball da ist, kommen diese guten Gefühle auch.

Es erinnert sie an ihre Zeit in der Frauenbundesliga in den 1990er-Jahren. An das Training, Wettkampf, Teamgeist. Und Teamgeist spürt sie auch in einem Kinder- und Jugendzentrum, wo sie sich um die Kinder kümmert.

Wir haben 20 Kulturen, verschiedene Religionen, die spielen zusammen, da funktioniert Interreligiosität. Von daher ist für mich auch immer die Einrichtung ein Ort, der mir auch Hoffnung macht auf die Zukunft.

Sie begleitet außerdem Kinder, wenn diese Angehörige verloren haben und trauern. Und das liegt sicherlich auch an ihrer eigenen Geschichte: Sie weiß noch, wie es war, ohne Vater aufzuwachsen und wie wichtig dann Bezugspersonen für sie waren, auch ihre Großeltern, Tanten und Onkel – und sie möchte auch so eine Bezugsperson für andere sein:

Kinder sind halt noch von Erwachsenen wirklich abhängig und ich finde immer noch, dass Kinder oft übersehen werden.

Und überhaupt mag es Schwester Bettina nicht, wenn Menschen übersehen werden. Sie hat Herzblut in eine Einrichtung für Menschen mit Behinderung gesteckt und dann war sie an einem Ort im Einsatz, den man sonst gar nicht zu sehen bekommt, im Frauengefängnis. Sie möchte etwas weitergeben:

Die Botschaft einfach, die Gott uns gibt, ist:  Du bist geliebt. Ich glaube, dass viele Menschen einfach sich nicht geliebt fühlen und viele Menschen einsam sind, aber da ist einer, der uns bedingungslos annimmt und der uns liebt.

Es ist gar nicht so leicht, das immer wieder anzunehmen und dann auch konkret an die Mitmenschen weiterzugeben. Das weiß sie auch. Allein, wenn sie an das Vergeben aus dem Gebet Vaterunser denkt:

Wie schwer tun wir uns oft mit Vergebung? Dann auch wirklich in die Demut zu kommen und zu sagen: Okay, lieber Gott, ich probier‘s, aber ich tu mich mit diesem Menschen schwer.

Bettina Berens als Ex-Fußballerin freut sich übrigens auch auf die Kraft der anstehenden Fußball-Europameisterschaft. Sie wünscht sich viele neue gute Begegnungen:

Dass dieses Fest auch noch mal ermöglicht, dass wir zusammenstehen und das Schöne von Deutschland und den Menschen zeigen. Auch mit den vielen verschiedenen Kulturen, die wir haben, dieses Fest begehen.

Diese Haltung von Schwester Bettina, immer wieder nach dem zu suchen, was einen wirklich begeistert und was Menschen verbindet, motiviert mich als Christin, danach auch in meinem Leben zu suchen.

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26MAI2024
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Martina Rudolph-Zeller Copyright: Stuttgarter EVA

Ich treffe Martina Rudolph-Zeller, die die evangelische Telefonseelsorge in Stuttgart leitet. Die 62-jährige Sozialpädagogin hat mehrere therapeutische Ausbildungen und ist bereits seit 10 Jahren dabei. Was für sie der Kern der Telefonseelsorge ist, beschreibt sie so:

Jeder kann Telefonseelsorge nutzen, jeder kann die Telefonnummer wählen. Wir sind so ein offenes Angebot. Wir fragen nicht nach der Krankenkasse, wir fragen nicht nach der Versicherung. Es kostet kein Geld.

Als ich Frau Rudolph-Zeller frage, wie viele Anrufe sie und ihr Team pro Tag bewältigen können, bin ich schier überwältigt:

Circa 40 pro Tag. Insgesamt führen wir pro Jahr über 13.000 Gespräche, ungefähr 1500 Chats und sind im Kontakt mit 1500 Menschen per Mail.

Und das allein im Großraum Stuttgart. Sehr viele Menschen suchen den Kontakt, weil sie sich einsam fühlen. Wie zum Beispiel eine junge Frau, die – neu nach Stuttgart zugezogen – einfach keinen Anschluss gefunden hatte.

Wir haben gemeinsam überlegt, welche Möglichkeiten sie noch finden kann, welche Hobbys sie hat und welche Vorlieben und wo sie noch mal schauen kann, welche Gruppe es da noch gibt. Hier in der neuen Stadt. Und die ganz gestärkt und hoffnungsvoll aus dem Gespräch ging, in der Kraft, sich wieder neu, doch auch dem Thema zuzuwenden und nicht aufzugeben.

Die Menschen wechseln ihren Wohnort und damit ihr soziales Umfeld viel häufiger als früher, meint Rudolph-Zeller. Gleichzeitig bleibt der Austausch über Social-Media-Plattformen wie TikTok oder Instagram eher oberflächlich.

Die tragfähigen Beziehungen sind rar. Menschen zu haben, mit denen man wirklich über die Dinge sprechen kann, die einen im Tiefsten berühren und nicht nur oberflächlich Smalltalk führen. Da gibt es einen hohen Bedarf und gleichzeitig einen gesellschaftlichen Mangel.

Wer einsam ist, ist auch mit seinen Sorgen und Ängsten allein. Das kann hilflos machen. Und dann kann es passieren, dass diese Hilflosigkeit umschlägt in Wut und Aggression.  Auch davon bekommen die Ehrenamtlichen an den Apparaten der Telefonseelsorge einiges ab.

Wir hören vor allem zu. Wir versuchen auch nachzuvollziehen und zu verstehen: Wie kommt es zu dieser Haltung? Ganz oft hören wir dann von viel Ungerechtigkeit, die erlebt wurde im Leben. Das Gefühl: alle kriegen und ich krieg nix oder ich komme zu kurz, es geht über mich hinweg. Keiner sieht mich, keiner nimmt Rücksicht.

Der Bedarf nach einem offenen Ohr und einem persönlichen Gespräch ist groß. Und um dem gerecht werden, ist das Team der Telefonseelsorge beständig auf der Suche nach Nachwuchs. 

Zusammen mit ihrer Stellvertreterin und einer 50%-Honorarkraft betreut Martina Rudolph-Zeller 120 Ehrenamtliche, die sich in der Stuttgarter Telefonseelsorge engagieren. Es ist eine anspruchsvolle Aufgabe, für die die Ehrenamtlichen gut ausgebildet und sorgfältig ausgewählt werden. 

Man muss sich bei uns bewerben. Wir führen Kennenlerntage durch, wir nehmen uns richtig Zeit miteinander, führen Einzelgespräche: Wie stabil ist die Person, wie gut hat sie auch die Dinge, die sie erlebt hat, verarbeitet? Welche Motivation hat die Person, dieses Ehrenamt auch zu machen?

Diejenigen, die schließlich ins Team kommen, erwartet eine Tätigkeit, die fürs eigene Leben sehr bereichernd ist.

Ehrenamtliche sagen, dass sie eine Gemeinschaft gefunden haben. Ganz viele sind sehr beglückt über die sinnhafte Tätigkeit und viele sagen, sie selber haben sich auch ein bisschen verändert und können ihre Themen, Konflikte besser angehen.

Trotzdem gehen die Sorgen und Nöte der Menschen nicht spurlos an den Ehrenamtlichen vorbei. Regelmäßig treffen sie sich deshalb in Kleingruppen zur Supervision um das Erlebte aufzuarbeiten. Und auch Einzelgespräche sind jederzeit möglich:

Wir haben hier eine Mitarbeiterin, die ein Einzelgespräch bei mir suchte. Ihr Mann war plötzlich verstorben, schon vor einigen Jahren. Und sie dachte, sie hätte es gut verarbeitet. Und dann hat sie am Telefon eine trauernde Frau gehabt, die ihren Mann verloren hat. Und sie war sehr konfrontiert mit ihrer eigenen Trauer, die sie richtig überschwemmte in diesem Gespräch. Und das musste sie erst mal für sich wieder verarbeiten.

40 Telefonate gehen bei der Stuttgarter Telefonseelsorge täglich ein. Der Bedarf wäre sogar noch größer, aber dazu fehlen schlicht und ergreifend die Mittel. Neben der Finanzierung durch die evangelische Kirche und die Stadt Stuttgart ist die Telefonseelsorge jetzt schon auf Spenden angewiesen, und wie die Arbeit auch in Zukunft solide finanziert werden kann, ist ungewiss.
Martina Rudolph-Zeller jedenfalls will den Menschen Mut machen, zum Hörer zu greifen und die 0800 111 0 111 zu wählen, wenn die Sorgen übergroß geworden sind, oder Einsamkeit und Angst nach der Seele greifen. Und sie unterstreicht: die Sehnsucht nach einem offenen Ohr ist konfessionslos:

Es gibt Menschen, die sich bei uns melden, die hadern mit Gott, die sagen, warum lässt Gott das zu, dass es mir schlecht geht? Wie kann Glaube mir helfen? Und es gibt aber auch Menschen, da ist das Thema Glaube und Gott und Kirche überhaupt kein Thema. Die sind ganz in ihrer Situation und suchen jetzt eine Gesprächspartnerin, die für sie da ist und mit ihnen nach einer Lösung und nach einer Erleichterung sucht und auch nach einem Trost.

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