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Christopher Hoffmann trifft Malu Dreyer
Für die ehemalige Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz ist Pfingsten nicht irgendein Feiertag – als Christin kann sie sich für dieses Fest im wahrsten Sinne des Wortes begeistern. Denn ihr Glaube schenkt ihr Lebensmut. Ganz viel davon brauchte Malu Dreyer, als bei ihr 1995 die Krankheit Multiple Sklerose diagnostiziert wurde. Ihr half und ihr hilft: Gottvertrauen.
Also für mich ist es so, dass Gott irgendwie immer da ist, auch in Situationen, die sehr schwer sind. Und wenn man eine Diagnose erhält wie Multiple Sklerose - aber es gilt glaub ich für alle Schicksalsschläge oder schwere Erkrankungen – dann verliert man ja erst mal den Boden komplett unter den Füßen und man hat auch wenig Orientierung. Und das ist ein sehr schönes Gefühl zu wissen: Auch wenn man sich völlig verloren fühlt und vor allem die Gewissheiten des Lebens verliert, die Unbeschwertheit im Leben verliert, dass da einer ist oder etwas ist, was viel größer ist, viel umfassender ist, dass eben Gott da ist.
Die neue Realität aushalten und akzeptieren – das war auch für Malu Dreyer damals alles andere als einfach:
Dazu gehört ja ganz viel – man muss trauern, man darf auch wütend sein, diese berühmten Fragen, die zu nichts führen: „Warum ich? Warum jetzt?“ - auch das ist alles legitim und richtig in einem solchen Moment, viel weinen, viel der Wut auch Ausdruck geben - und irgendwann – ich zumindest kam dann zu einem Punkt – ich nenn es immer so: Wo ich dann den Schalter umlege und sage: Ok, es nutzt nichts gegen die Krankheit anzukämpfen- ich muss die Krankheit annehmen und mit dem Annehmen beginnt dann auch der Weg in die Zuversicht neu.
Das heißt aber auch: Hilfe annehmen. z.B. durch einen Rollstuhl. Ein Urlaub auf Lanzarote wurde für sie zum Schlüsselerlebnis.
An der Rezeption des Hotels lag ein Zettel rum, da konnte man alles Mögliche leihen vom Tauchsieder bis zum Rollstuhl und mein Mann sagte: „Hier kennt uns keiner, sollen wir das nicht mal ausprobieren?“ Ich war damals schon Ministerin. Und dann haben wir das ausprobiert und mein Mann ist mit mir wirklich quer durch Lanzarote mit diesem Rollstuhl bergauf, bergab und das war so ein tolles Erlebnis für mich, wieder die Freiheit zu haben mich über 100 Meter hinweg bewegen zu können und dann hab ich damals erkannt: Hilfsmittel sind etwas sehr, sehr Hilfreiches und Gutes. Auch für die Angehörigen übrigens.
Heute an Pfingsten feiern wir den Heiligen Geist. Und der wird ja auch oft der „Tröstergeist“ genannt. Gibt es für Malu Dreyer eine Bibelstelle, die Ihr besonders Trost spendet?
Für mich ist dieser Psalm 91 immer total wichtig, weil er irgendwie auch zu dieser Krankheit passt. Es heißt ja: „Er befiehlt seinen Engeln dich zu behüten auf all deinen Wegen – sie tragen dich auf Händen, damit dein Fuß nicht an einen Stein stößt“. Und diese Stelle hat mich immer unheimlich berührt. Die Menschen, die MS haben oder eine ähnliche Erkrankung, wissen: Es ist wirklich schwer durch eine Fußgängerzone zu gehen und nicht an einen Stein zu stoßen, der einen selbst ins Stolpern bringt – also das hatte immer so eine doppelte Botschaft an mich, dieser Psalm –aber tatsächlich ist es dieser behütende Gott, dieser sorgende Gott, der tatsächlich dann auch eine große Rolle spielt.
Ich treffe Malu Dreyer in Trier. Hier lebt sie seit über 25 Jahren im so genannten „Schammatdorf“, einem Wohnprojekt, das Menschen mit und ohne Behinderung zusammenbringt. Gelebte Nächstenliebe ganz konkret – das hat für die Katholikin viel mit der Botschaft Jesu zu tun:
Und darum geht es ja glaube ich schon auch sehr stark im Leben eines Christen, einer Christin, trotz aller Probleme, Sorgen auch mit großer Zuversicht und Hoffnung nach vorne zu gehen und im Vertrauen auf Gott wirklich auch zu wissen: Man kann sehr viel bewegen.
Sie findet, dass wir als Gesellschaft auch wieder mehr auf das schauen müssen, was gelingt.
Ich glaube wirklich an die Kraft der Vielen. Wenn wir uns zusammentun, können wir auch in der Gesellschaft ganz viel bewegen. Ich glaube auch an das kollektive Gebet, da lächeln ja viele drüber, aber das ist tatsächlich etwas, wovon ich überzeugt bin, dass es auch eine Kraft hat in sich.
Kirche ist für sie deshalb Ruheort und Glaubensgemeinschaft. Soll sich die Kirche auch in politische Fragen einmischen?
Kirche muss sich zu politischen Fragen äußern – warum? Weil aus meiner Sicht die christliche Botschaft eine total politische Botschaft ist. Für Liebe und Nächstenliebe, für Solidarität sorgen - für mich ist das miteinander wirklich verwoben und verbunden. Und es wäre so schade und die Welt wäre ein ganzes Stück auch politisch ärmer, wenn Kirche und Christinnen und Christen sich nicht politisch äußern würden. Wir brauchen auch da die Kraft der Kirche im positivsten Sinne. Das ist nicht parteipolitisch, es ist politisch.
Auch Pfingsten kann Impulse setzen, woran es unserer Gesellschaft aktuell fehlt, findet Malu Dreyer:
Pfingsten ist für mich so ein schönes, freudiges, ermutigendes Fest -weil dieser Geist steht für mich wirklich für diese Kraft gebende Energie und auch die Sprache, die natürlich ne ganz große Rolle spielt, die auch vieles überwindet an Pfingsten: Plötzlich verstehen alle alles- das ist ja das, was wir uns in der Gesellschaft auch wünschen, dass wir nicht ständig aneinander vorbeireden, sondern uns einfach verstehen. Das ist auch etwas sehr Zuversichtliches, finde ich ganz persönlich und wir dürfen darauf vertrauen, dass dieser Geist, dass diese Energie auch in der Gegenwart da ist.
Und gibt es Momente und Situationen, in denen Malu Dreyer ganz persönlich gespürt hat, da hat der Heilige Geist in ihrem Leben gewirkt?
Viele haben mich ja oft gefragt im Amt: „Was gibt dir eigentlich so Kraft und Zuversicht?“ Und ich kann das wirklich: Mich mal fünf Minuten auf mich besinnen und diese Kraft und diese Energie auch echt spüren. Und da geht es mir dann so ein bisschen wie den Jüngern an Pfingsten, dass ich dann plötzlich so eine Klarheit habe und so eine Zuversicht in mir verspüre und das hat ganz viel glaub ich mit dieser göttlichen Energie zu tun.

Felix Weise trifft Stephanie Hecke
Ein Mensch stirbt – und niemand ist da. Keine Familie, keine Freunde. Niemand, der sich verabschieden will. Stille. Einsamkeit. Spürbar. Pfarrerin Stephanie Hecke hat solche „einsamen“ Beerdigungen begleitet. Als sie Freunden davon erzählt, ist schnell klar: Das Thema „Einsamkeit“ trifft ins Herz. Es bewegt viele Menschen. Stephanie Hecke beschäftigt sich immer intensiver damit und hat schließlich ein Buch über die Einsamkeit geschrieben: „Die stille Gefährtin“.
Der Begriff der Gefährtin ist erst mal ein Paradox, weil genau das, was man sich ja wünscht, wenn man einsam ist, dass man von irgendjemand begleitet wird, dass man ein Gefährte oder eine Gefährtin hat. Genau das trifft ja nicht zu in der Einsamkeit. […] Und ich habe mich da ganz bewusst dazu entschieden, die Einsamkeit als Person, also als Gefährtin zu beschreiben, um eben genau das zum Ausdruck zu bringen. Also dieser Wunsch, eigentlich ein ganz positiver Wunsch, steckt hinter der Einsamkeit. Wir sind angewiesen auf Beziehungen und jeder Mensch hat dieses Bedürfnis danach. Und gleichzeitig hat die Gefährtin aber auch den Charakter, dass viele Menschen von ihrer Einsamkeit wie begleitet werden.
Erschreckend viele Menschen fühlen sich einsam – zumindest lässt sich das Vermuten, wenn man die Statistiken anschaut. Trotzdem wird im Freundeskreis oder der Familie nicht viel darüber geredet. Auch ein Grund, warum Stephanie Heckes Buch den Titel „Die Stille Gefährtin“ trägt.
Und die Stille? Die kommt daher, dass ich in den vielen Menschen, denen ich begegnet bin, in meinem Buch wahrgenommen habe, dass Einsamkeit Menschen verstummen lässt. Also Menschen werden unsichtbar. Sie ziehen sich zurück, physisch, aber auch vor allem in emotionale Weise.
Einsamkeit ist etwas Stilles. Und wird von der Umgebung oft nicht bemerkt. Das wird im Gespräch mit Stephanie Hecke deutlich. Vor allem aber verstehe ich, dass es nicht unbedingt, um das allein sein geht. Einsamkeit kommt auch vor, obwohl Menschen ein Netz an sozialen Beziehungen haben.
Einsamkeit ist nämlich was ganz anderes, als allein zu sein, was man auf den ersten Blick so denkt. Ich gehe davon aus, Einsamkeit entsteht immer dann, wenn wir uns soziale Kontakte, Beziehungen wünschen in einer tiefen Form und die aber nicht bekommen.
Was ich tun kann gegen Einsamkeit? Gegen meine eigene oder die meines Gegenübers? Es fängt wohl damit an, von der „stillen Gefährtin“ an meiner Seite zu sprechen. Worte für sie zu finden:
Also zuerst einmal ist es ja gar nicht so leicht, das Gefühl von Einsamkeit auszudrücken. Wir können viel eher sagen, ich bin traurig, ich bin fröhlich. Ich bin einsam - das sind wir nicht gewohnt zu sagen. Es wird eher tabuisiert. Ein Grund dafür ist sicher der, dass damit so ein Manko einhergeht. Dass man sich also fragt ja, was ist denn an mir? Oder was fehlt mir denn?
Menschen aus der Einsamkeit zu holen, bedeutet also auch: Eine Lösung zu finden, mit der Scham, die Einsamkeit auslöst, umzugehen. Ein erster Schritt:
Mir klarzumachen, dass ich damit nicht allein bin. Das ist vor allem, wenn es eine vorübergehende Phase ist, total normal ist, weil ich in meinem Leben ja auch mal traurig bin und auch mal frustriert bin und auch dann glücklich bin. Und dass Einsamkeit ein ganz normales Gefühl in dieser Gefühlspalette ist. Das erstmal zu akzeptieren, das hilft mir.
Und wenn es nicht ein vorübergehendes Gefühl ist, hilft es, wenn da jemand ist, der von außen nachfragt. Aber wer, wenn man doch einsam ist?
Es gibt andere europäische Länder, die Fragen über den Hausarzt standardmäßig ab, ob sie sich einsam fühlen, also haben so eine mentale Dimension auch bei der Gesundheitsversorgung. Da überlegt man, ob so was eine Möglichkeit wäre, um das mehr abzufragen. Weil bis jetzt sind alle Möglichkeiten, um Einsamkeit zu überwinden, basieren darauf, dass die Menschen von sich aus sagen Ich bin einsam und ich wünsche mir Unterstützung von dir.
Noch schwieriger wird es, wenn das Geld nicht reicht für den Mitgliedsbeitrag im Sportverein oder regelmäßige Besuche in der Kneipe. Und für Menschen ohne Arbeitsplatz. Da ist eine weitere Möglichkeit, mit Einsamkeit umzugehen eigentlich naheliegend:
Und ein ganz großer Punkt, der vielleicht überraschend ist, ist Arbeit. Also Menschen in Arbeit zu bringen, weil sie dort die Möglichkeit haben, soziale Kontakte zu knüpfen.
Eigentlich logisch: Mehr soziale Kontakte bedeutet mehr Chancen aus der Einsamkeit zu entkommen. Als Pfarrerin ist für Stephanie Hecke auch die Kirche ein Ort, wo Menschen ihrer Einsamkeit entkommen können. Worin liegt gerade das Potenzial der Kirchen, um Einsamkeit zu begegnen?
Zum einen inhaltlich. Die Kirche hat eine Botschaft, die sagt, wir glauben an einen Gott, der jeden Einzelnen geschaffen hat, der jeden Einzelnen sieht und liebt und mit jedem Einzelnen eine Beziehung führen möchte. Also das ist das optimale Gegenmittel gegen Einsamkeit. Das zweite ist, die Kirche ist in ihren Handlungsfeldern Kirche und Diakonie überall an der Schnittstelle, genau an den Menschen, die auch in der Gefahr stehen, einsam zu werden. Egal, ob das Pflegedienste sind, Nachbarschaftshilfe, Schulsozialarbeit.
Der christliche Glaube kann helfen, Zeiten der Einsamkeit zu überstehen:
Auf jeden Fall ist der Glaube an Gott und auch die Vorstellung der heiligen Geisteskraft. Also eine Vorstellung, die ganz viel Kraft geben kann in Phasen von Einsamkeit. Weil man eben ganz unabhängig von der Situation, in der man gerade lebt, eine Ansprechperson hat, also eine innere Heimat findet. In einem vertrauten Gebet, in einem Lied, in einem Gefühl, das einen überkommt.
Zum Buch „Die Stille Gefährtin“ von Stephanie Hecke: https://www.adeo-verlag.de/die-stille-gefaehrtin.html
Stephanie Hecke auf Instagram: https://www.instagram.com/stephanie_hecke/
https://www.kirche-im-swr.de/?m=42333

Ich bin Manuela Pfann und ich möchte mehr wissen über den Trost und das Trösten. Ich beschäftige mich gerade viel mit dem Thema Abschiednehmen und trauern – und da gehört der Trost mit dazu, weil er so wichtig ist. Was kann uns gut trösten?
Auf der Suche nach Antworten, lande ich in der theologischen Hochschule Reutlingen bei Prof. Holger Eschmann. Er ist mittlerweile im Ruhestand und hat sich viele Jahre intensiv mit dem Thema Trost und trösten beschäftigt. Als Lehrer, aber natürlich auch als Pastor und Seelsorger.
Gibt es etwas, das immer hilft, wenn man mit Menschen zu tun hat, die Trost brauchen?
Also Nähe und Verständnis. Ich glaube, das kann man generell sagen. Es gibt keinen Trost, ohne sich in die Situation des Gegenübers einzufühlen. Das ist immer ein guter Anfang, aber dann ist es sehr individuell verschieden. Manchen hilft es, sich in der Natur zu bewegen, einen Spaziergang zu machen und dadurch wieder die Fülle der Schöpfung wahrzunehmen. Manchen hilft es, mit anderen zusammen Nächte durchzureden. Aber ich glaube tatsächlich immer hilft Zuwendung; und nie besserwisserisch sein, sondern sensibel auf das Gegenüber eingehen.
Holger Eschmann warnt aber gleich, das Trösten nicht falsch zu verstehen und dann womöglich ganz schnell beim Ver-trösten zu landen.
Es gibt ja so leichte Trostpflaster, dass Menschen sagen: Ach, wird schon wieder oder ist nicht so schlimm. Oder habe ich alles auch schon und viel schlimmer erlebt als du. Das kann tatsächlich in so kleinen alltäglichen Situationen, wo man sich nicht gut fühlt, auch mal helfen. Aber in einer wirklich trostlosen Situation, wo ein Mensch leidet, an was auch immer, an einer Diagnose, einer Krankheit, dem Verlust einer Person oder ähnlichem, da hilft das dann nicht weiter, sondern kann zynisch wirken, sodass die Person denkt, der hat gut reden.
Deswegen ist für Holger Eschmann beim Stichwort Trost, das biblische Verständnis dieses Begriffs ganz zentral – und da gehört beides zusammen, reden und handeln.
Ich kann nicht einfach so einen tröstlichen Satz hinschmeißen und ansonsten kümmert mich die Situation des Gegenübers nicht. Sondern dann sollte ich auch mithelfen, wenn was zu helfen ist.
Und so verstehe ich auch eines der sogenannten „Werke der Barmherzigkeit“. Die sind sowas wie die Kernaufgaben der Christen. Und eine davon lautet eben: „Trauernde trösten“.
Als Trost wird etwas empfunden, wenn ich vorher in einem Tief bin, welcher Art auch immer und dann etwas Tröstendes erfahre, erlebe, höre, sehe, schmecke.
Holger Eschmann versteht Trost also bei weitem nicht nur religiös oder spirituell.
Christlicher Trost ist für mich Essen und Trinken genauso. Oder eine gute Musik oder auch philosophische Gedanken, die trösten. Eine stille, stumme Umarmung ist manchmal viel mehr Trost als wohlgemeinte fromme Bibelworte.
Als ich ihn frage, an welcher Stelle in der Bibel ich etwas über den Trost lernen kann, da gibt er mir eine überraschende Antwort. Er nennt die Klagepsalmen. Einen mag er besonders gern, Psalm 13, wo es heißt:
„Warum, Herr, schweigst du so lange? Warum hast du mich vergessen? Wie lange soll ich noch mich ängstigen in meiner Seele, täglich?“ Da kommen schon sehr starke Ängste zum Vorschein, die dann tatsächlich in dem Psalm erst ganz am Schluss durch einen Zuspruch noch gelindert werden. Aber wichtig ist, dass sie erst mal rauskommt die Klage.
Ist das also schon Trost, wenn ich zunächst mal nur schimpfe, wütend bin und zetere wegen der Situation, in der ich gerade bin? Ja, sagt Holger Eschmann, auf jeden Fall. Weil klagen auch psychologisch betrachtet wichtig ist.
Diese Klage findet also heraus aus einem Selbstgespräch hin zu einem Dialog, zu einem Gebet, wenn man so will. Weil das, was an Gefühlen in einem steckt und einen bewegt bekommt durch das Aussprechen in der Klage eine Struktur. Man kann die Sachverhalte, die einen plagen, besser anschauen dadurch, dass man sie ausspricht.
Wo sind denn für ihn Orte oder Situationen, wo er Trost spürt, möchte ich wissen?
Wenn ich in ein Konzert von Bob Dylan gehe, da geht mir das Herz auf und ich gehe getröstet raus. Aber auch ein Gottesdienst könnte mich sehr trösten.
Ich verstehe es als Plädoyer dafür, sich einfach trösten zu lassen, wovon und von wem auch immer; und nicht alles aus eigener Kraft bewältigen zu wollen. Mir hilft manchmal, mit jemandem Essen zu gehen; ein anderes Mal ein ausführliches Gespräch. Und mich stärkt tatsächlich auch der Bibelvers: „Fürchte Dich nicht, denn ich bin bei Dir.“ Weil ich Gott da an meiner Seite spüre, auch bei Schwierigkeiten.
Holger Eschmann sagt, es ist schon gut, wenn man Kraft hat und Vieles selbst bewältigen kann …
… aber wenn man nur darauf vertraut, dann kann man doch trostlos werden in Situationen, wo man merkt, das hebt nicht mehr, wie der Schwabe sagt, das hält nicht mehr, das trägt nicht mehr.
Und auch deshalb schreibt Holger Eschmann gerne Trostkarten an Menschen in schwierigen Situationen, zum Beispiel vor einer Operation. Er schickt ihnen einen Zuspruch – egal ob der Adressat etwas mit der Kirche anfangen kann oder nicht.
Denn schon allein, dass einem etwas zugeschickt wird, dass ich die Karte bekomme, nährt den Aspekt: Da ist einer, der denkt an mich. Die Frommeren unter diesen Menschen sagen: ach ja, der betet für mich. Und die vielleicht weniger Frommen, die da religiös etwas unmusikalischer sind, die freuen sich trotzdem. Das ist Verbundenheit.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=42288
Martina Steinbrecher trifft Professor Christian Witt
Der Kirchenhistoriker aus Tübingen kennt sich aus mit dem wohl berühmtesten protestantischen Promipaar des 16. Jahrhunderts: Martin Luther und Katharina von Bora. Die Hochzeit der beiden am 13. Juni 1525 jährt sich bald zum 500. Mal. Dass der ehemalige Mönch eine entlaufene Nonne geheiratet hat, war für viele seiner Zeitgenossen ein echter Skandal. Und allzu viel Romantik, verrät Christian Witt, war dabei auch nicht im Spiel.
Katharina von Bora war einfach übrig. Es sind ja insgesamt zwölf Nonnen aus dem Kloster Marienthron herausgeschmuggelt worden. Luther fühlte sich nach dieser Befreiungsaktion ein Stück weit verpflichtet. Er konnte jetzt nicht sagen: Ich hab‘ sie aus dem Kloster geholt, und jetzt bleibt sie sozusagen sitzen und muss sehen, wo sie bleibt. Und wir wissen von Luther selbst, dass er auch ganz andere der damals in Wittenberg vorfindlichen Nonnen im Auge hatte. Die wollten ihn aber nicht.
Hat Luther Torschlusspanik? Plagt ihn ein schlechtes Gewissen? Oder geht er halt eine Vernunftehe ein? Wahrscheinlich von allem ein bisschen. Die Eheschließung der beiden ist aber viel mehr als eine rein persönliche Angelegenheit. Denn der Reformator bricht nicht einfach mit den Konventionen seiner Zeit, sondern stellt das jahrhundertelang vorherrschende Lebensideal der Ehelosigkeit infrage. Und rüttelt damit einmal mehr an den Grundfesten der Kirche.
Für Luther ist das eigentliche Lebensideal eben gerade die Ehe. Es ist Teil der guten Ordnung Gottes, dass wir miteinander in die Ehe treten, miteinander schlafen, Sexualität leben, miteinander Evangelium in Wort und Tat eben verkündigen.
Geht das so einfach? Vom enthaltsamen Mönch zum Partner und Familienvater? Im Luther-Film der Regisseurin Julia von Heinz aus dem Jahr 2017 ist es Katharina, die in der Hochzeitsnacht die Initiative ergreift und ihren unbeholfenen Ehemann selbstbewusst in die Geheimnisse der körperlichen Liebe einführt. Das mag ein feministischer Blick auf die beiden ist, aber in anderer Hinsicht gleicht die Ehe von Martin und Katharina durchaus modernen Vorstellungen von einer Beziehung auf Augenhöhe
Die beiden waren ein gutes Team. Luther fasst Vertrauen. Er verehrt seine Frau, er hat regelmäßig auch Angst um seine Frau er kümmert sich, er lässt ihr aber auch ihre eigenen Zuständigkeitsbereiche, und bei Katharina von Bora ist es umgekehrt genauso. Luther kannte sich schlicht mit Geld nicht aus, hatte dazu ein katastrophales Verhältnis, da lagen die Talente eben ganz klar auf der Seite seiner Frau. Er wusste das zu schätzen und ließ ihr entsprechend die Räume. Die hatten ein tiefes inneres Verständnis füreinander. Sie wusste mit ihrem Martin umzugehen, und Martin wusste eben auch mit seinem „Herrn Käthe“ umzugehen.
Martin Luther und Katharina von Bora haben ein neues Lebensmodell erprobt. Denn nicht in einer Klosterzelle, sondern in ihrer Beziehung und in ihrer Familie wollen sie ein gottgefälliges Leben führen mit allen Höhen und Tiefen.
Von einer innovativen Lebensform hat sich die Ehe im 21. Jahrhundert längst fortentwickelt. Vielen gilt sie als ein eigentlich überholtes bürgerliches Relikt. Können Luthers Gedanken da noch etwas zur aktuellen Diskussion über Lebensformen beitragen? Christian Witt führt mindestens zwei Punkte an, die Luthers Überlegungen auch für Christen im 21. Jahrhundert anschlussfähig machen:
Luther kann die Scheidung einer vollgültigen Ehe denken. Wenn die Eheleute sich selber das Evangelium nicht mehr verkündigen oder einander stabilisierend zusprechen können in Wort und Tat, und das meint nicht, aus der Bibel vorlesen, das meint, wie gesagt, Glauben und Vertrauen einander schenken und Leben miteinander, dann ist die Ehe zu scheiden und eine Neuverheiratung zu ermöglichen.
So viel seelsorglichen Realismus im Umgang mit scheiternden Lebensentwürfen hätte man sich in den letzten Jahrzehnten auch in der evangelischen Kirche viel häufiger gewünscht. Und denkt man Luthers Eheverständnis konsequent weiter, meint Christian Witt, dann wäre er heute auch ein Befürworter für die kirchliche Trauung gleichgeschlechtlicher Paare. Denn die Ehe …
…sie ist ja gerade nicht auf Fortpflanzung primär angelegt. Schön, wenn es dazu kommt, muss aber gar nicht sein. Sie hat ihren gottgewollten Sinn und Zweck in der Verkündigung des Evangeliums in Wort und Tat. Und dafür muss man jetzt nicht verschiedenen Geschlechts sein.
In einer vertrauensvollen Zweierbeziehung können Menschen erfahren, was Liebe ist, und zugleich eine Ahnung davon bekommen, was es heißt, dass Gott den Menschen in Liebe zugewandt ist. Deshalb sieht Christian Witt die bleibende Aufgabe der Kirche darin, Menschen immer wieder neu nahezubringen ….
… warum es ein schöner Gedanke sein kann, die Liebe, auf die man bei Gott vertrauen darf, auch in dem Menschen zu sehen und dem Menschen selbst zu gewähren, der mir da oder die mir da jeden Tag wieder gegenübersitzt, mit mir Alltag gestaltet, die mich hält, die mich birgt, die mir vertraut und der ich vertrauen darf. Ich finde, das ist ein bezaubernder Gedanke!
https://www.kirche-im-swr.de/?m=42223
Christopher Hoffmann trifft die Bischöfin von Washington, Mariann Edgar Budde, auf dem Evangelischen Kirchentag Anfang Mai in Hannover.
Am Tag nach der Amtseinführung von Donald Trump hatte sie sich in ihrer Predigt direkt an den Präsidenten gewandt mit den Worten: „Mr. President, […] I ask you to have mercy“ - das Video, in dem sie um Erbarmen für Migranten und Minderheiten bittet - und die verachtenden Blicke Trumps währenddessen, gingen millionenfach um die Welt. Was für ein Mut! Warum hat sie das gemacht?
Also es war nicht so, dass ich aufstand und dachte „So, jetzt bin ich mal mutig“. Ich trage Verantwortung. Ich habe eine Berufung. Mir ist klar: Jedes Mal, wenn ich etwas auf der Kanzel äußere, ist es ein Risiko. Man weiß nie, wie die Worte ankommen und aufgefasst werden. Aber ich fühlte, dass es das ist, was Gott von mir möchte. Ich musste es einfach tun.
Mit ihrer Predigt, auf die sie sich intensiv und lange vorbereitet hatte, machte sie ein uraltes, theologisches Wort wieder hochaktuell: Mercy – auf deutsch: Erbarmen. Warum dieses Wort?
Erbarmen -religiös verstanden - basiert darauf, dass wir alle nicht perfekt sind, versagen und Fehler machen, manchmal richtig schlimme Fehler. Und dann müssen wir einen Weg zurück zu uns und den Mitmenschen finden. Wir alle brauchen Barmherzigkeit. Heute bin ich vielleicht in der Lage, sie Ihnen zu geben. Morgen sind Sie barmherzig zu mir. Und wir brauchen es von Gott. Und Gott möchte, dass wir miteinander gnädig sind.
Wenn sich der Präsident, der spaltet, lügt und hetzt, hinstellt und sagt: „Ich wurde von Gott beschützt um Amerika wieder groß zu machen“, empfinde ich das als scheinheilig. Was denkt Bischöfin Budde in diesen Momenten?
Ich verstehe die Auffassung des Präsidenten so, dass er meint, er würde von Gott geschützt, um das zu tun, was er für das Beste hält - was meiner Meinung nach eine große Gefahr ist. Immer, wenn jemand von uns denkt alles, was er oder sie tue, ist von Gott gewollt, ist das ein gefährlicher Weg. So wie er und seine Partei sich derzeit verhalten - da ist es schwer, das Gesicht Jesu Christi in den Handlungen dieser Regierung zu sehen.
Bischöfin Budde vertritt ein gänzlich anderes Menschenbild, das darauf aufbaut, dass jeder Mensch ein einmaliges Geschöpf Gottes ist – mit unantastbarer Würde:
Wir alle sind nach dem Bild Gottes geschaffen – in unserer Vielfalt! Und wenn wir sagen, wir glauben das, behandeln Menschen aber unmenschlich, oder – noch schlimmer – wenn wir sagen „Wir sind doch keine Rassisten“, aber unsere Gesellschaft weiterhin rassistische Strukturen aufrechterhält, dann haben wir eine Diskrepanz zwischen unseren Worten und unseren Taten – und damit müssen wir uns befassen.
Die Kraft dazu gibt ihr der Glaube – wer ist Gott für Sie?
Gott ist unser Fels und unser fester Halt und unser Fundament. Das finde ich sehr tröstlich – und dass Gott in Jesus Mensch geworden ist und dass er uns im Geist weiterhin durchströmt und in uns wirkt.
In diesem Geist Jesu Christi möchte sie mit ihrem Besuch in Deutschland zeigen, dass es nicht an der Zeit ist zu resignieren. Sie will jenem Amerika, das Vizepräsident J.D. Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz repräsentiert hat, etwas anderes entgegensetzen:
Als unser Vizepräsident hier zu Besuch war und all diese schrecklichen Dinge gesagt hat, da dachte ich: Ich wollte eine andere Stimme sein, die hierherkommt und sagt: Wir sind eure Freunde. Wir sind alle immer noch da!
Ich treffe Mariann Edgar Budde, die Bischöfin von Washington, auf dem Evangelischen Kirchentag. Die zierliche 65-Jährige mit der zarten Stimme wurde dort von Zehntausenden gefeiert - für ihren Mut, mit dem sie in ihrer Predigt Präsident Trump die Stirn geboten hat. Aber schon lange setzt sie sich für die Rechte, insbesondere Schwarzer Menschen, ein. Hatte sich nach dem Tod des Afroamerikaners George Floyd bereits mit Trump angelegt und Gerechtigkeit gefordert. Wie blickt Sie auf Amerika fünf Jahre nachdem die Black Lives Matter-Bewegung zu den größten Protesten in den USA seit Martin Luther King geführt hatten?
Damals gab es eine Suche, die Wurzeln des modernen Rassismus zu verstehen, und es gab viele Gespräche über Inklusion, Vielfalt und Gleichberechtigung. Es gab Studien über Wiedergutmachungen für die Sünden der Sklaverei und die wirtschaftlichen Vorteile daraus. Aber mittlerweile gibt es eine Art Zurückschwingen des Pendels und in der aktuellen Regierung wurden die Gespräche auf nationaler Ebene grundsätzlich gestoppt.
Auch für die Rechte von schwulen, lesbischen und Trans*- Menschen erhob sie in der Predigt ihre Stimme – auch hier sieht sie Rückschritte in ihrem Land:
Hassrede wird mittlerweile eher von der Öffentlichkeit akzeptiert, und das macht es für diese Menschen so schlimm. Es gibt ein großes Gefühl der Unsicherheit und der Angst.
Und sie kritisiert, dass Trump die Gelder der Behörde für Entwicklungszusammenarbeit „USAID“ dramatisch gekürzt hat – laut Prognosen werden zwei bis vier Millionen Menschen weltweit deshalb an Hunger und vermeidbaren Krankheiten sterben. Als ich Bischöfin Budde darauf anspreche, schweigt sie lange:
Dafür gibt es keine Worte. Das ist so schrecklich - und überhaupt nicht notwendig. Das Geld ist nur ein ganz geringer Teil unseres nationalen Budgets. Wir sollten uns nicht aus der Verantwortung stehlen. Wir haben Geld. Wir müssen es tun.
Trotz aller Bedrängnis schaut sie nach vorne. In ihrem aktuellen Buch „Mutig sein“ schreibt sie über Zivilcourage: „Welche Bedeutung ein solcher Moment letztlich hat, hängt davon ab, wie wir danach weiterleben.“* Wie geht es nun weiter, Bischöfin Budde?
Das ist für mich die entscheidende Frage! Ich denke, es kommt nicht so sehr darauf an, was wir sagen, sondern wie wir leben, wie wir miteinander umgehen. Sehen Menschen anhand unseres Handelns die Liebe Gottes, die Wege der Hoffnung und des Guten? Das ist das Wichtigste!
* Quelle: Mariann Edgar Budde: Mutig sein, aus dem Englischen von Anja Lerz, Oliver Lingner, Elsbeth Ranke und Karin Schuler, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2025, S.31.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=42240
Wolf-Dieter Steinmann trifft Pfarrer Nicki Schaepen aus Bad Schussenried. Dort im Kloster läuft die Ausstellung „uffrur“.
Frei, gerecht und geschwisterlich
Nicki Schaepen lebt an einem erinnerungsstarken Ort, in Bad Schussenried in Oberschwaben. Erinnerungen machen was mit uns. Wenn Nicki Schaepen vor 500 Jahren gelebt hätte, hätte er das live gesehen aus seinem Pfarrhaus: Einfache Leute in Aufruhr, im Bauernkrieg.
Am 29. März 1525 stürmte eine Gruppe von unzufriedenen Bauern das Kloster. Allerdings die haben sich begnügt, vor allem die Verträge, die lästigen, die diese ganzen Abhängigkeiten regelten, zu vernichten. Und dann haben Sie die Orgel zerstört und haben dann sich an der Vorratskammer gelabt.
Die Lebensverhältnisse der bäuerlichen Familien vor 500 Jahren waren extrem: Armut, Land, das durch Vererben immer weniger wurde. Manche leibeigen, Mütter- und Kindersterblichkeit. Zu alle/dem haben sich adelige und kirchliche Herren Neues einfallen lassen. Flüsse, Gemeindeweiden, Wald sollten jetzt ihnen gehören. Aber ist Gottes Schöpfung nicht da für alle?
Klare Rechte wurden immer weniger eingehalten und daraus entstand natürlich eine weitere Unzufriedenheit, wenn man das Gefühl hatte, der Herr steht nicht mehr zu seinen Versprechungen uns gegenüber, zu seinen Verpflichtungen und wir haben den Eindruck, wir werden nur ausgeplündert und dann gab es eben berechtigterweise diese Aufstände.
Anfangs nur vereinzelt. Und dann die große Erhebung. Zehntausende haben sich beteiligt. In Schwaben, Baden, der Pfalz, Hessen bis Thüringen. So etwas gab es noch nicht in Europa. Wie kam das? Sie hatten ein Ziel, ein positives: Leben als freie Christen und Christinnen. Für Nicki Schaepen ist klar.
Die Religion spielte bei den Bauernkriegen sicherlich eine sehr große Rolle, also vor allem auch Luthers Schrift von der Freiheit des Christenmenschen, das war eine revolutionäre Idee, die natürlich ganz gewaltig einschlug. Und da wurden natürlich die bestehenden Missstände umso deutlicher. Weil ja das Individuum unendlich wertvoll ist.
Sicherlich haben diese reformatorischen Bewegungen den Mut der Bauern geweckt, dass Veränderungen möglich sind, ihr Recht, als Freie vor Christus, vor Gott auch umzusetzen.
In den „12 Artikeln“ haben die Bauern ihre Forderungen nach grundlegenden Rechten festgeschrieben. Freiheit: politisch, wirtschaftlich und religiös. Die Artikel sind 25000-mal gedruckt worden und verbreitet. Lesen sich wie eine Art Verfassung einer christlichen Gesellschaft. Nicki Schaepen sind diese Erinnerungen bedeutsam.
Die Not des Menschen, die sozialen Ungerechtigkeiten, die politischen, damals auch die religiösen Missbräuche von Macht. Die Bauern, die um das Überleben kämpften, sich ungerecht behandelt, nicht gehört fühlten. Das sind ja alles tiefgreifende menschliche Anliegen, die jederzeit etwas zu sagen haben.
Gerade als Christen: Also wenn Gott Mensch geworden ist, dann ist es mit der Würde des Menschen eben nicht vereinbar, wenn jemand im schlimmsten Elend leben muss. Und dass eben auch die Rechte des Einzelnen nicht einfach so übergangen werden, nur weil man der Stärkere ist.
„Bauernkrieg?“ „Aufruhr?“ Worte verändern, wie man etwas sieht. Ich selbst war lange von Luther geprägt: Für Luther waren die Bauern „mörderische Rotten“ und gegen Gottes Ordnung. Die Freiheit, die sie wollten, nicht nach dem Evangelium. Stimmt, sie waren bewaffnet und es gab Gewalt. Aber die Zehntausenden von Toten, die gehen auf das Konto der Fürsten.
Uffrur ist mir dann auch wiederum zu wenig für das, was geschehen ist. Daraus wurde dann mehr.
Also in Ermangelung eines besseren Begriffes würde ich es bei Bauernkrieg belassen. Von Bauernseite wäre vielleicht der UFFRUR besser formuliert und von der Feudalherrenseite vom schwäbischen Bund dann eher der Krieg.
Worte prägen wie wir sehen. Nicki Schaepen prägt auch, dass er aus einer Arbeiterfamilie kommt. Sein Studium hat ihn davon eher entfernt. Dann hat er sich entschieden, Priester zu werden. Die Berufung aufs Land hat ihm wieder einen anderen Blick gegeben. ZB. wieviel Menschen da schaffen, vor allem auch Frauen.
Ich habe hier in der Pfarrei einige Bauernfamilien und wenn ich da sehe, was beispielsweise grade die Frauen leisten. Es verändert sich die Wahrnehmung der Schöpfung, auch Gleichnisse Jesu kriegen natürlich einen ganz realeren Bezug. Wenn man tatsächlich mit den Sorgen der Landwirte vertraut wird.
Die Erinnerung an den Bauernkrieg fokussiert seine Aufmerksamkeit heute. Und ein Wort von Jesus hilft ihm auch zu sehen. „Ihr werdet immer Arme bei Euch haben,“ hat der gesagt. „Bei Euch“. Arm, das kann materiell bedeuten. Viele fühlen sich aber auch ohnmächtig, übersehen.
Viele, die finanziell nicht gut aufgestellt sind oder auch soziale Not leiden, verbergen diese.
Da Hilfe leisten zu können, ohne dass die Hilfe von oben herabkommt. Das Individuum in all seiner Würde auch ernst nimmt. Ganz nahe dran zu sein, und zwar nicht nur einer gewissen Schicht, da finde ich ist es sehr gut für jemanden, wenn er selber auch Landwirte in seiner Pfarrei hat, die kämpfen zum Teil sehr stark.
Aber es ist ja nicht nur auf die Landwirte beschränkt. Das bezieht sich auf alle Altersschichten. Gerade auch diese Coronazeit hat in Schülern vieles ausgelöst.
Ich finde ermutigend, wie klar Nicki Schaepen den Auftrag für sich und die Kirchen beschreibt: Menschen sehen, ihre Sorgen und Verletzlichkeit, begleiten und für sie eintreten. Zu jeder Zeit neu.
Gleichzeitig wollen wir uns aber nicht abgeben oder abfinden mit, das ist halt so und kann man nichts machen, sondern wir wollen natürlich uns auch einsetzen, um unserem Auftrag gerecht zu werden, der hat auch soziale Komponenten immer schon gehabt und jetzt in dieser Zeit sehr viel mehr. Zu schauen, dass es Gerechtigkeit gibt. Gerade, auch wenn du mich herausforderst, will ich dir auch so begegnen, wie es dir zusteht und ich nehm dich an in Brüderlichkeit, Geschwisterlichkeit, würde man heute sagen.
Ausstellungstipps:
UFFRUR - Ausstellung bis Oktober – Kloster Bad Schussenried
https://www.bauernkrieg-bw.de/
Deutsches Bauernkriegsmuseum Böblingen
https://bauernkriegsmuseum.boeblingen.de/start.html
Freyheit 1525 Landesausstellung Thüringen (Mühlhausen)
https://www.bauernkrieg2025.de/de/die-ausstellung

Wenn Isabelle gefragt wird, wie viele Kinder sie hat, sagt sie selbstverständlich drei. Dass dahinter keine „normale“ Geschichte steckt, erzählt sie mir am Telefon. In ihrer Familie waren sie plötzlich zu fünft: Ihr Mann und sie haben ein gemeinsames Kind. Der Mann war schon mal verheiratet und hat zwei ältere Kinder. Deren Mutter ist Weihnachten 2023 plötzlich gestorben. Und Isabelle und ihr Mann haben dann die beiden zu sich genommen.
Isabelle heißt eigentlich anders, aber um sie und ihre Familie zu schützen, bleibt es für unsere Begegnung bei Isabelle.
Sie erzählt von dem Tag, als die Polizei geklingelt hat, um die schreckliche Nachricht vom Tod der Exfrau zu überbringen. Gemeinsam mussten sie dann den beiden Kindern sagen, dass ihre Mama tot ist.
Ich kann's gar nicht beschreiben, dieses Gefühl, das war merkwürdig das war so viel: Schock und gar nicht glauben können, dass das passiert ist und auch irgendwie so viel Leere.
Und dann eben die Sorge um die beiden Kinder, weil wir gedacht haben, was machen wir denn jetzt mit denen, wie verkraften die das? Wie gehen wir mit denen um, was brauchen die jetzt?
Man wird da ja so reingeschmissen in diese Situation und man will ja am liebsten die Kinder vor allem schützen. Was ja aber nicht geht, weil das Schlimmste in dem Moment ja passiert war.
Und dann haben sie die Kinder mit zu sich genommen. Für immer. Isabelle erzählt, dass sie keinen Moment darüber nachgedacht hat, es nicht zu tun.
Als das passiert ist, hat sich die Frage auch gar nicht gestellt, sondern das war einfach: Wir fahren jetzt nach Hause.
Die Kinder waren damals acht und elf Jahre alt. Wie haben die beiden reagiert?
Die Kleine hat sich das Tablet genommen und hat fast zwei Tage kaum ein Wort gesprochen. Die war immer in unserer Nähe. Aber immer versteckt hinter diesem Tablet, die wollte auch nicht reden, die wollte gar nichts.
Und der Große der hat viel geredet. Er hat viel geweint, er war wütend. Er hat auch tatsächlich Gott verflucht und in Frage gestellt, ob es ihn überhaupt gibt. Er hat immer mit dem Fuß aufgestampft und gesagt: „Welcher Gott würde mir meine Mutter wegnehmen?“
Darauf haben Isabelle und ihr Mann keine Antwort. Aber sie haben zugelassen, dass der Junge Fragen stellen kann und wütend sein darf. Es hat bestimmt auch geholfen, dass Isabelle schon immer ein gutes Verhältnis zu den Kindern ihres Mannes hatte.
Empfindet sich Isabelle als Mutter der beiden?
Ja, einerseits. Ich bezeichne sie auch als meine Kinder, weil das jetzt einfach meine Kinder auch sind. Ich will aber nicht ihre Mutter ersetzen. Sie haben ja eine Mutter, auch wenn die jetzt gestorben ist. Ich bin vielleicht eine, ich weiß es nicht, eine Bonusmutter oder eine zweite Mutter.
Isabelle und ihre Familie haben im vergangenen Jahr einen anstrengenden Weg zurückgelegt, der sich aber gelohnt hat.
Und jetzt ein gutes Jahr nachdem das passiert ist, sind wir auch an dem Punkt, an dem sich das alles anfühlt wie eine normale Familie.
Ich frage sie, wie das letzte Jahr für sie war.
Das letzte Jahr war wirklich hart, muss ich sagen, weil es so viel war. Weil so viele Termine waren. Das war am Anfang noch alles so schwierig, weil diese beiden Kinder alle Hobbys, alle Termine, die die haben, waren ja nicht in unseren Zeitplan gearbeitet, sondern in den der Mutter. Also mussten wir das alles erstmal irgendwie übereinbringen, so dass wir das überhaupt zeitlich alles leisten konnten. Dann kamen natürlich die Therapietermine dazu und eben dieses die Kinder immer wieder hier aufzufangen, emotional, das war wahnsinnig anstrengend.
Gott sei Dank gibt es für alle professionelle Hilfe.
Auch Isabelle hat sich Unterstützung geholt und seit Anfang dieses Jahres hat sie mehr und mehr das Gefühl, in der neuen Familienkonstellation angekommen zu sein.
Ich habe jetzt auch wieder angefangen, mir Zeit für mich zu nehmen, zum Sport zu gehen, mir Freiräume zu schaffen. Und jetzt fühle ich mich auch ein bisschen entschleunigter wieder und ich glaube den Kindern geht es auch so.
Isabelle erzählt, dass ihr Mann und sie sich durch die Zeit getragen haben und dass diese krasse Situation sie noch näher zusammengebracht hat.
Was ist also Liebe für Isabelle?
Füreinander da sein. Den anderen tragen, wenn es erforderlich ist.
Isabelle erzählt, dass es oft harte Arbeit war und ist, das alles zu meistern. Vor allem emotional. Bei allem spornt sie an, dass die Kinder bestmöglich gestärkt sind, mit dem Verlust der Mama zu leben.
Die haben ja noch ihr ganzes Leben vor sich, und die sind jetzt noch, glaube ich, so jung, dass sie all diese Dinge vor der Pubertät noch einigermaßen gut verarbeiten können, so dass es sie dann nicht dauerhaft belastet; auch in ihren zukünftigen Beziehungen belastet. Sie werden immer diejenigen sein, deren Mutter gestorben ist. Aber es gibt, glaube ich, einen Unterschied zwischen man trägt das als Last mit sich und man verarbeitet das und das ist einfach ein Teil seiner Geschichte.
Wie sich der Verlust der Mama langfristig für die Kinder auswirkt, weiß natürlich niemand. Aber ich bin echt beeindruckt mit wieviel Liebe, Engagement und Fingerspitzengefühl Isabelle und ihr Mann diese liebevolle Basis geschaffen haben.
Spielt Gott eine Rolle in Isabelles Leben?
Ich glaube, dass alles von irgendwo zusammengefügt wurde. Und ich glaube, dass die Dinge so kommen, wie sie kommen sollen. Und das ist vielleicht das, was Gott für mich am Ehesten ist.
Genau dieser Gedanke trägt mich auch: dass Gott mich stark macht, das Leben anzunehmen, wie es mir entgegenkommt. Ob es nun einfach oder schwierig ist. Für mich steckt dahinter, dass ich auch von Gott angenommen bin, so wie ich bin.
Isabelle hat die Situation und vor allem die Kinder mit offenem Herzen und Armen angenommen und sie haben es gemeinsam bis hierher gemeistert.
Ich wünsche Ihr und der Familie von Herzen, dass es gut weitergeht.

Felix Weise trifft Adelheid und ihren Liegefrosch. Zusammen sind ab Mitte Mai auf Tour zur grünen Kathedrale.
Adelheid möchte in diesem Beitrag nur bei ihrem Vornamen genannt werden. Ihr geht es nicht so sehr um sich selbst – ihr Anliegen ist es, Aufmerksamkeit für die Krankheit ME/CFS zu wecken – und Aufmerksamkeit erregt vor allem ihr auffälliges Gefährt – ihr sogenannter Liegefrosch.
Der Liegefrosch ist ein knallgrünes Elektroliegedreirad. Er hat zwei Funktionen: Einen ganz normalen E- Bike Motor, der mich beim Pedalieren unterstützt. Aber viel wichtiger ist eine Funktion, die mich herumkutschiert mit 4 km.
Auffallen ist aber nicht die Hauptaufgabe des Liegefrosches. Adelheid braucht ihn, um sich draußen selbständig bewegen zu können
Er bedeutet mir erstensmal Freiheit, denn sonst wäre ich überhaupt nicht mobil. Mit dem elektrischen Liege-Dreirad kann ich einfach bis maximal 20 km pro Tag mich herumkutschieren lassen. Es ist einfach mein Hilfsmittel. Mein Kopf ist gestürzt, meine Hände und Füße und meine Finger sind unterstützt, damit ich gut Gangschalten kann.
Auf diese Unterstützung ist Adelheid angewiesen, weil sie seit 2022 nach einer Covid-Infektion an ME/CFS leidet. Hinter diesen Buchstaben verbirgt sich eine Krankheit mit schwerwiegenden Symptomen:
Also bei mir ist es so ich habe maximal 10 % Kraft von meiner früheren Kraft. Ich habe jeden Tag Schmerzen und bin auch mental viel langsamer, weil ich sehr reizempfindlich bin. Also Helligkeit und Lärm ist für mich ein großes Problem. Und was mir am allermeisten Energie zieht, ist der Kontakt mit Menschen. Das heißt, ich bin vielleicht auf unter 5 % von meinen sozialen Kontakten jetzt zusammengeschrumpft.
Soziale Kontakte sind lebensnotwendig, aber auch anstrengend – und darum sind viele an ME/CFS-Erkrankte in der Öffentlichkeit kaum sichtbar, weil sie aufgrund ihrer reduzierten Energiereserven oft zurückgezogen leben müssen.
Man sieht uns nicht, man sieht uns nur, wenn es uns gut geht. Dann sind wir draußen. Aber auch nicht viel. Und da ist es natürlich einfach, Leute zu vergessen.
Adelheid will diesen Vergessenen mehr Aufmerksamkeit verschaffen. Sie sagt von sich, dass ihre Symptome vergleichsweise moderat sind. Für alle, die weniger Kraft haben als sie, will sie sich einsetzen, wie Sara, Karina und Jonas, die alle unter 18 sind und auch an ME/CFS leiden.
Die jungen Leute, die teilweise seit drei, vier Jahren keine Freunde mehr gesehen haben. Die liegen in dunklen Zimmer und rum. Und ich habe gedacht, bei mir geht es jetzt wieder ein bisschen aufwärts. Ich muss etwas machen.
Am 12. Mai soll es losgehen. Von Süddeutschland aus Richtung Niederlande. Langsam. Im eigenen Tempo. Mit Pausen, Schlaf, Rückzug. Aber mit einem klaren Ziel vor Augen. An was man da wohl alles denken muss – neben guter Planung braucht es wahrscheinlich eine ordentliche Portion Mut.
Ich habe keinerlei Angst. Ich habe als junger Mensch von Frère Roger aus Taizé gehört. „Wäre das Vertrauen des Herzens aller Dinge Anfang...“ […] Dieses Vertrauen des Herzens, das ist für mich mit Mut gleichzusetzen. Da liegt auch Ruhe drin und da liegt auch Glauben drin und das, das hilft mir, glaube ich, sehr.
Ich bin beeindruckt von Adelheids Einstellung. Sie überlasst nichts dem Zufall – das wäre auch zu anstrengend das Ziel ihrer Tour schon lang geplant. Vor anderthalb Jahren hat sie auf Instagram die „Grüne Kathedrale“ in den Niederlanden entdeckt.
Da hat ein Künstler 187 Pappeln gepflanzt auf dem Grundriss der Kathedrale von Reims und ich habe das gesehen und hab gedacht, wenn ich irgendwann mal wieder raus kann, dann will ich dahin.
Mit ihrer Tour, die auf Instagram und Bluesky begleitet wird, will Adelheid Aufmerksamkeit auf die Krankheit ME/CFS lenken. Und sie sammelt Geld. Über 60 Sponsoren hat sie schon für die biomedizinische Erforschung der Krankheit zusammen. Die andere Hälfte des Geldes geht an die Botkins Charity:
Das ist eine kleine Gruppe Ehrenamtlicher in der Schweiz, die kleine Roboterli bauen, die wie so ferngesteuerte Autos sind. Und die jungen Leute, die bettlägerig ans Haus gebunden sind, können diesen Roboter mitnehmen lassen, zum Beispiel bei einer Hochzeit oder bei einem Fußballspiel. Und der fährt dann rum, hat eine Kamera dabei und Mikrofon und man kann sozusagen vom Handy aus im Bett interagieren.
Wenn alles gut läuft, dann ist Adelheid mit ihrem Liegefrosch Mitte Juni an ihrem Ziel. Mut und Vertrauen braucht ihr nicht zu wünschen, davon hat sie genug. Welche Überschrift wird sie ihrer Tour wohl im Rückblick geben?
„Eigentlich ausgehend von meinem Lebensmotto: Das Vertrauen des Herzens war aller Dinge Anfang. Also wir müssen ja aus allem, was ist, einen Neubeginn machen. Auch wenn er ganz anders ist. So wie jetzt bei mir dieser Bruch war durch diese Krankheit. Mit dem Vertrauen des Herzens können wir dann auch anderen Gegebenheiten standhalten.
Die Website des Projekts : https://t1p.de/m0ttx
Adelheid und der Liegefrosch auf Instagram: https://www.instagram.com/liegefrosch_mecfs/
https://www.kirche-im-swr.de/?m=42090
Caroline Haro Gnändinger trifft die ungarische Autorin Noémi Kiss.
Ihre Bücher wurden auch ins Deutsche übersetzt und sie schreibt für die Wochenzeitung DIE ZEIT. In ihren Texten geht es oft darum, was Frauen erleben, und wie der Alltag im Sozialismus war. Den hat sie selbst als Kind und Jugendliche erlebt. Was ich an ihren Geschichten mag, sind die Details - sie schaut genau hin. Ein gutes Ende haben ihre Geschichten aber selten - warum eigentlich?
Ich glaube nicht, dass es immer gut sein muss. Es gibt auch Gutes und auch viele Schicksale, einfach Schicksale, die nicht so gut gelungen sind.
Und wie Menschen damit umgehen, wenn etwas ganz anders kommt, als vorher erhofft, das findet sie interessant. Und mir geht es auch so:
Dieses Streben, dieses Vorstellen, gerade, dass du etwas enttäuscht bist und trotzdem weiter machst.
Enttäuschungen erlebt schließlich jeder, auch Noémi Kiss. Als sie vor einigen Jahren Kinder bekommen hat, Zwillinge, gab‘s Komplikationen und sie war manchmal auch überfordert, erzählt sie. Was ihr geholfen hat, war auch: der Glaube, dass Gott bei ihr ist:
Das war schon eine schwierige, ein sehr schöne, aber schwierige Zeit. Bei dem Arzt zu sein, diese ärztlichen Sachen, die nicht unbedingt angenehm sind. Und dass ich dann eine Frühgeburt hatte und dann hat Glauben sehr viel gerettet.
Sie erzählt mir, dass es ihr auch gut getan hat, dass die Kirchengemeinde vor Ort es möglich gemacht hat, dass Eltern sich austauschen können. Auch in ihren Büchern taucht immer wieder Christliches auf. Eine Kinderbibel, die irgendwie tröstet. Oder ein Christusfigürchen aus Blech, das die Mutter zum Schutz unter‘s Kopfkissen ihrer Tochter legt. Von dem Das Figürchen soll auch niemand erfahren und es riecht komisch, metallisch.
Ich bin in Ungarn aufgewachsen. In meiner Kindheit war es verboten zu glauben. Es war nicht gut angesehen, wenn du in die Kirche gegangen bist. Dass Gott überhaupt nicht existiert, das hat auch meine Lehrerin immer gesagt und dann zu Hause waren wir trotzdem gläubig. Es war ein geheimes Leben, ein Doppelleben, sagt man auch, und das ist schon schwierig. Aber deinen Glauben kann das noch mal stärken. Und ich glaube, dass das heute noch verarbeitet wird in meiner Generation.
Den Glauben verstecken müssen, das prägt ihre Gefühle und ihre Seele bis heute noch, findet sie. Bei mir war es anders, als ich aufgewachsen bin: Kirchliche Jugendgruppen und Religionsunterricht, das war zum Glück nicht verboten. Noémi Kiss arbeitet inzwischen übrigens an einer Literatur-Zeitschrift der Erzabtei Pannonhalma mit. Die ist UNESCO-Weltkulturerbe. Dorthin werden regelmäßig Autoren eingeladen. Auch Noémi Kiss – sie hat so dort schon die Wochen vor Ostern verbracht.
Das fand ich auch lustig, weil es nicht so streng war wie ich mir das vorgestellt habe. Wir haben auch gegessen und Gespräche geführt. Kino, Kunst, alles gibt es dort.
Sie hat dort an ihren Geschichten gearbeitet. Und das Gebet der Benediktiner-Mönche ganz früh morgens zum Start in den Tag hat ihr sehr gut gefallen:
Dass du wirklich erst mal dieses Gebet machst und dann fängst du an zu sprechen und denken und überhaupt, dass es Zunge und Sprache beeinflusst.
Ein schöner Gedanke! Wie sehr das, was ich morgens höre und spreche, meinen Tag und was so passiert, inspirieren kann. Und so ein Gebet gehört für sie auch immer noch zu ihrem Tag.
Autorin Noémi Kiss lebt in der Nähe von Budapest in Ungarn. Ich kenne sie von einer Journalistenreise und wir treffen uns in Ulm. Die Stadt liegt ja an der Donau und an dem Fluss spielen oft ihre Geschichten. Die Autorin recherchiert gerade für ein neues Buch über zwei heilige Frauen – die Heilige Elisabeth und die Heilige Margit. Sie haben vor 800 Jahren gelebt und waren Tante und Nichte. Um mehr über sie zu erfahren, bleibt Noémi Kiss nicht an ihrem Schreibtisch sitzen:
Ich besuche Orte, ich spreche mit Menschen. Es wird ein Reportage-Roman sein, oder - ich weiß es noch nicht - also es wird bestimmt ein modernes Format sein, über heilige Frauen zu sprechen.
In der katholischen Kirche gelten Elisabeth und Margit als Vorbilder. Elisabeth kenne ich, weil meine Heimatgemeinde nach ihr benannt ist. Und auf Bildern sind bei ihr oft Rosen zu sehen – weil sie armen Menschen heimlich Brot gebracht haben soll und als sie dabei entdeckt wurde, soll sich das Brot in Rosen verwandelt haben. Eine Legende, aber sie zeigt den großen Einsatz von Elisabeth für Menschen, die es im Leben schwer hatten. Sie, Elisabeth, und Margit waren ursprünglich aus Ungarn:
Die beiden waren aus dem Árpad Haus, aus diesem ungarischen Königshaus. Also das war wirklich eine der bedeutendsten Königsfamilie in Ungarn, auch sehr offen, auch christlich.
Noémi Kiss hat die Erzählungen über die Frauen gelesen und neue Erkenntnisse über sie. Es erstaunt sie, dass Margit und Elisabeth ihre Privilegien abgelegt haben, wegen ihres Glaubens an Gott. Wie ist es eigentlich bei ihr selbst: Wie stellt sie sich Gott vor?
Ich glaube mehr, dass es eine Instanz gibt und dass dein Leben geführt wird, du bestimmte Aufgaben hast und dass du das erfüllen musst.
Die Heilige Elisabeth damals hat ihre Aufgabe darin gesehen, sich für arme und kranke Menschen zu engagieren. Sie hat dafür sogar die Unterstützung ihrer Verwandten verloren und sich für radikale Armut entschieden. Ihre Nichte, die Heilige Margit hat eine Heirat abgelehnt – gegen den Willen ihres Vaters - und hat als Ordensfrau gelebt und Kranke gepflegt:
Sie sind sehr dramatische Dinge und ich finde, die beiden Legenden sind sehr schön emanzipiert. Also zwei Frauen, die selbst Entscheidungen treffen durften und in ihrer Zeit eine andere Mystik, eine andere Spiritualität angefangen haben.
Sich zurückziehen und weg zu kommen von dem, was man halt so macht, und sich stattdessen auf etwas Größeres einzulassen, das ist eigentlich sehr aktuell, findet Noémi Kiss:
Ich merke, dass Spiritualität, Aussteigen, sehr verbreitet ist, besonders unter Frauen. Und das hat bestimmt ein Grund, dass unsere Gesellschaft zu schnell geworden ist.
Den eigenen Alltag so radikal umkrempeln für mehr Mitmenschlichkeit und mehr Nähe zu Gott, wie es Elisabeth und Margit getan haben, das gelingt nur wenigen. Ich als Christin glaube, dass aber auch schon kleine Schritte in diese Richtung viel bewegen können.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=42031
Barbara Wurz trifft Georg Zimmer
Teil I
Wenn ich mit dem Auto auf der A96 unterwegs bin, dann mache ich gerne Halt an der Raststätte „Winterberg“, um die Autobahnkapelle zu besuchen. Vom Parkplatz aus muss ich noch ein ziemlich steiles Stück den Berg hinauf. Aber es lohnt sich, denn oben angekommen erwartet mich nicht nur der weiß leuchtende Rundbau der Galluskapelle, sondern auch ein grandioser Ausblick: über Leutkirch und das Schwäbische Allgäu hinüber zu den Schweizer und österreichischen Alpen. Und mich dieses Mal mein Gesprächspartner, Georg Zimmer. Der hat vor etwas mehr als 25 Jahren den Bau der Kapelle initiiert. Er erzählt mir, wer die Menschen sind, die zur Galluskapelle kommen:
Das sind hauptsächlich Durchreisende, die auf dem Weg nach Süden vor allen Dingen hier Halt machen. Auf den Winterberg auf 750 Meter Höhe steigen und hier auch unter anderem die Aussicht auf die Berge genießen. Die andere Gruppe kommt aus der näheren Umgebung. Die Kapelle hat also zwei Funktionen einmal Autobahnkirche und zum anderen aber auch eine ökumenische Einrichtung in unserer Region.
Das weckt meine Neugier: Die Autobahnkapelle hat ihre Wurzeln also in der christlichen Ökumene. Georg Zimmer erzählt: Ihre Ursprünge reichen zurück bis in seine Schulzeit, als er nach dem Krieg mit seiner katholischen Familie ins evangelische Leutkirch gezogen war.
also 1950, als ich eingeschult wurde, gab es in der Grundschule in Leutkirch noch getrennte Klassen, getrennte Lehrer. (…) Das Gesangbuch hat entschieden, in welche Klasse man kommt. (...)Es gab sogar getrennte Treppenzugänge nach oben.
Und daran hatte sich kaum etwas geändert, als Georg Zimmer Ende der 70er Jahre als Stadtbaumeister nach Leutkirch zurückgekommen ist.
Ich habe dann im katholischen Kirchengemeinde, an dem ich seinerzeit angehörte, einen ökumenischen Ausschuss gegründet, weil es mir einfach ein Anliegen war, dass man hier mit dem Gesangbuch, mit dem „Gläubel“, wie wir sagen, einmal Schluss machen muss in Bezug auf die Beziehungen. (…) Aber zum Jahr 2000 hat es sich angeboten, dass wir mal etwas Richtiges miteinander machen, ein Projekt realisieren.
Und für das Projekt „Galluskapelle“ des ökumenischen Arbeitskreises war es ein Segen, dass Georg Zimmer nicht nur Architekt sondern auch beigeordneter Bürgermeister für den Bereich Bauen und Kultur in Leutkirch gewesen ist. Entstanden ist so ein einladender, heller Rundbau, der bis zu 25 Veranstaltungen jährlich beherbergt: Ausstellungen, Gottesdienste und ganz besonders hervorzuheben: Konzerte und Musik.
Also in der Kapelle kann man wunderschön singen. Wir empfehlen den Leuten immer, sich in der Mitte auf den kreisförmigen Oliven Holz Kreis zu legen und den Himmel anzusingen. (…) Also beispielsweise gibt es einen Ziehharmonika Spiele, der immer wieder kommt und hier oben Musik macht.
Was sind das für Menschen, die hier Halt machen?
Zum Beispiel hat sich gestern eine Gruppe von Pfadfindern aus Polen angemeldet, die hier auf der Reise morgens eine Messe feiern wollen. Wir haben aber auch Besucher, die beruflich unterwegs sind und die immer wieder die Gallus Kapelle besuchen, den Berg besteigen und somit ein bisschen sich vom Alltags Trubel ablenken lassen.
Es war wohl immer schon so, meint Georg Zimmer: wer einen Berg besteigt, der ist etwas befreit ist von seiner Last. Davon erzählen auch die Einträge der Besucher ins „Anliegen-Buch“, das in der Kapelle ausliegt.
Ich habe mal (…) das Anliegenbuch 2022 ausgewertet und das war ganz interessant, dass Menschen hier schreiben: Danke Gott für diesen wunderschönen Ort der Ruhe und Besinnung und all denen, die geholfen haben und jetzt immer noch helfen, dies zu ermöglichen. (…) Wir sind eben hier an einem Punkt, der vielleicht dem Himmel etwas näher ist, könnte man sagen, wenn man auf 750 Meter ist und den Ballast des Alltags unten liegen lassen kann.
Georg Zimmer ist schon lange in Rente, aber er ist bis heute Vorsitzender des Fördervereins Galluskapelle. Ihren Namen hat sie vom Heiligen Gallus, einem der drei Allgäu-Heiligen. Ihre runde Form und ihre schlichte und gleichzeitig einladende Ausstattung verdankt sie nicht zuletzt Georg Zimmer. Bis heute ist er maßgeblich dafür verantwortlich, dass hier ein Ort ist, der den Menschen auf Reisen einfach guttut. Auch solchen, die sonst wenig mit Kirche am Hut haben/Bezug haben zur Kirche
Also man sieht, es sind viele Menschen, die hier hochkommen, die vielleicht nicht unbedingt jeden Sonntag in die Kirche gehen, (...) die aber hier oben offensichtlich ein Bedürfnis haben, (…) an diesen neutralen Ort in diesem ökumenischen Ort zur Ruhe zu kommen.
Kommenden Samstag können sich Radfahrerinnen und Radfahrer um 14.30 Uhr an der Kapelle segnen lassen. Und am 13. Juli feiert die Gallus-Kapelle dann ihr 25-jähriges Bestehen. 25 Jahre die zeigen, dass sich das ökumenische Engagement gelohnt hat. Zum Schluss deshalb noch ein Zitat aus dem Anliegen-Buch. Denn es bringt auf den Punkt, was diesen Ort so lebendig macht:
Herzensdank an alle Menschen, die ihr diesen Ort geschaffen und gestaltet habt. Der Geist der Verbundenheit ist hier lebendig, jenseits von Nationalität, Gruppenzugehörigkeit, Religion. Uns alle verbindet weit mehr, als uns trennt.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=42010
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