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11JUL2025
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Allein sein kann richtig schön sein. Ich persönlich genieße ab und an die Stille, die Ruhe im Haus, wenn die Kinder nicht da sind und das Telefon schweigt. Wenn niemand etwas von mir will. Aber ich weiß: Dieser Zustand wird nicht lange dauern. Meine Freundin kommt bald nach Hause, die Kinder ebenso. Für diese kurzen, überschaubaren Momente genieße ich also das Alleinsein.

Anders Hilda. Sie ist 83, und vor einigen Jahren ist ihr Ehemann gestorben. Seitdem ist sie viel allein. So viele Jahre haben ihr Mann und sie das Leben geteilt, alles miteinander gemacht. Seit seinem Tod ist das Haus leer, still. Die Kinder und Enkel kommen zwar regelmäßig vorbei und Hilda genießt diese lebendigen, lauten und wuseligen Momente. Danach ist die Stille jedoch noch stiller als zuvor.

Deswegen geht Hilda regelmäßig unter Leute. Immer, wenn im Dorf eine Veranstaltung ist, ist sie dort anzutreffen. Sie sagt: „Dann habe ich Gesellschaft, ich habe jemanden zum Reden, ich erfahre die neuesten Neuigkeiten.“ Sie lacht: „Alleine habe ich viel weniger Appetit, aber in der geselligen Runde, da schmeckt es mir wieder.“

Ich bewundere Hilda für die Art und Weise, wie sie mit ihrer Einsamkeit umgeht. Sie resigniert nicht, sondern sie geht raus. Lässt sich nicht aufs Alleinsein festlegen. Das kostet Kraft. Aber es lohnt sich.

Einsamkeit betrifft mehr Menschen als ich mir selbst vorstellen kann. Von Jugendlichen weiß ich: Einsam sind nicht nur ältere Menschen, sondern auch jüngere. Denn Freundschaften in sozialen Netzwerken ersetzen oft nicht den richtigen Kontakt und eine wirkliche Begegnung.

Wir Menschen brauchen einander. So empfinde ich das. Mal alleine sein, das kann erholsam sein, aber einsam zu sein, macht traurig.

„Es ist nicht gut, dass der Mensch alleine sei“ – so heißt es schon im biblischen Schöpfungsbericht. Gott selbst stellt das fest und hat dem ersten Menschen deshalb ein Gegenüber geschaffen. Adam und Eva nennt er die ersten Menschen. Sie konnten in Beziehung treten, miteinander reden, etwas unternehmen, sich zuhören, sich umarmen, füreinander da sein.

So freut es mich zu sehen, dass es an vielen Orten immer mehr Initiativen und Angebote gibt, um Menschen aus ihrer Einsamkeit zu holen. Hier in unserem Dorf gibt es für ältere Menschen den Seniorentreff mit Kaffee und Kuchen und einem schönen Programm, damit das Gesellige nicht zu kurz kommt. Damit möglichst viele wie Hilda den Segen einer Gemeinschaft spüren können.   

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10JUL2025
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Hier bei uns in Rheinland-Pfalz ist die erste Ferienwoche nun schon fast wieder vorbei. Ich genieße diese besondere Zeit, die ich deutlich hören und spüren kann.

Morgens zum Beispiel gehen keine schwatzenden Kinder am Pfarrhaus vorbei, die sich lautstark über die Schule oder die Freizeit unterhalten. Dafür höre ich bewusster die Vögel, die ihr Lied zwitschern.

Die Ferienzeit ist eine besondere Zeit. Eine Unterbrechung des gewohnten Alltags. Und diese Unterbrechungen sind wichtig. Finde ich. Endlich kann ich mal den üblichen Trott verlassen, einen anderen Rhythmus für den Tag finden. Das tut mir gut.

Unterbrechungen sind Auszeiten, beinahe schon heilige Zeiten. Weil sie Ruhe schenken, Erholung bringen. Allerdings nur, wenn ich mich darauf einlasse. Natürlich kann ich mir die Urlaubszeit auch mit all den Dingen vollpacken, die ich schon immer mal machen wollte und für die mir sonst die Zeit fehlt.

Ich kann mich aber auch so einlassen auf diese besondere Zeit. Gelassen. Mit Ruhe, mit Freude. Mal was unternehmen, mal chillen, mal aktiv sein, mal faul auf der Liege liegen. Ich kann meinen Gedanken nachhängen über Gott und die Welt, über mich und mein Leben. Ich kann mir für all das Zeit nehmen.

Ruhezeiten, Unterbrechungen der Arbeit und des Alltags sind auch gut biblisch. Denn sogar Gott selbst hat sich nach getaner Arbeit eine Auszeit gegönnt. Nach biblischem Bericht hat er in sechs Tagen eine ganze Welt erschaffen. Und sich am siebten Tag ausgeruht.

Ein guter Rhythmus. Er hat sich durchgesetzt: Den siebten Tag soll ich heiligen. Als einen ganz besonderen Ruhetag. Nichts tun, sondern einfach nur sein.

Diese Ruhe gilt in der Bibel nicht nur für die Menschen, sondern für die gesamte Schöpfung. Die Idee: Sechs Jahre sollen die Menschen das Feld bestellen, aber im siebten Jahr soll das Feld brach liegen, sich erholen, der Boden soll wieder zu Kräften kommen, damit er danach wieder ertragreich ist. Ein Siebtel der Zeit ist bestimmt für Ruhe und Entspannung.

Ferien, Urlaub, Ruhezeit – das sind göttliche Empfehlungen für mein Leben. Heilsame Unterbrechungen. Sie holen mich aus dem Alltagstrott und schenken mir neue Kraft.

Und so nehme ich mir diese Empfehlung zu Herzen, höre morgens den Vögeln zu und setze mich abends mit einem Glas Wein zu den Nachbarn vors Haus. Und lasse den Tag ausklingen, der meine Sinne anders bereichert, weil ich mehr Zeit habe, um mich selbst zu besinnen.

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09JUL2025
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Was ist Frieden doch für ein kostbares Gut! Noch nie ist mir das so deutlich vor Augen geführt worden wie in den letzten Wochen und Tagen. Ich mag schon gar nicht mehr Radio hören, Fernsehen schauen oder Zeitung lesen, so schockierend sind die Nachrichten, die tagtäglich übermittelt werden.

Warum hört das denn nie auf? Warum führen Menschen immer wieder Krieg gegen Menschen? Ich verstehe es einfach nicht. Vielleicht will ich es auch gar nicht nachvollziehen.

Denn es tut mir weh, wenn ich sehe: Mütter müssen nachts ihre Kinder aus dem Schlaf rütteln, sie anziehen, in den Bunker tragen. Väter werden gezwungen, zur Waffe zu greifen, sind monatelang weg und wären viel lieber bei ihren Familien. Kinder können nicht zur Schule gehen, Krankenhäuser sind zerstört, Menschen erfahren dort keine Heilung und keine Hilfe mehr.

Inmitten solcher Bilder und Nachrichten halte ich an den biblischen Visionen vom Frieden fest. Ich brauche sie. Nicht, um mich einer falschen Realität hinzugeben, sondern um überhaupt noch eine Perspektive zu haben. Der Prophet Jesaja hat in der Bibel den Menschen Bilder gemalt von einem neuen Himmel und einer neuen Erde. Er hat davon berichtet, dass Wolf und Lamm friedlich beieinander wohnen, ohne sich zu töten. Er hat davon geträumt, dass Schwerter zu Pflugscharen geschmiedet werden, damit die Gewalt ein Ende nimmt und ein zivilisiertes Leben wieder möglich wird.

Ja, ich weiß, es sind Bilder, aber sie drücken genau das aus, wovon ich träume: Nämlich von einer friedlichen, gerechten Welt, in der nur noch zählt, dass Menschen Menschen sind, von einer Welt, in der Herkunft und Religion, Geld und Macht keine Rolle mehr spielen, sondern in der einfach das Menschsein wichtig ist.

Für mich gehört zu dieser neuen Welt, dass wir liebevoll und respektvoll miteinander umgehen. Das fängt im Kleinen an und endet im Großen, und das Große spiegelt sich auch im Kleinen.

Vom Frieden kann geträumt werden, aber noch schöner ist es, wenn wir den Frieden auch spüren. Und somit versuche ich, ihn zu leben. In meinem Alltag. Ich setze meine Meinung nicht immer auf Biegen und Brechen durch. Ich gebe auch mal nach und vermittle zwischen verschiedenen Positionen. Und ich träume weiterhin vom großen Frieden für die Welt, von Waffen, die unbrauchbar werden, deren Material aber umgenutzt wird für den Lebensunterhalt. Ich träume vom Lamm und Wolf, die sich nicht gegenseitig auffressen, sondern in Frieden miteinander leben.

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08JUL2025
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Vor kurzem hat jemand zu mir gesagt: „An dir ist ein Kind verloren gegangen!“- Irritiert habe ich mich gefragt: Bin ich wirklich so kindisch? Verhalte ich mich nicht meinem Alter gemäß?

Die Bemerkung war aber lieb gemeint. Denn meine Kollegin war ganz glücklich, weil ich spontan, voller Lust und Freude bei einem Anspiel mitgemacht hatte. Ich war das größte Kind von allen und rannte laut jubelnd mit den Kindern umher und hatte richtig diebische Freude daran. „An dir ist ein Kind verloren gegangen!“

So bin ich doch gerne ein Kind. Und ich glaube, manchmal tut es einfach gut, das Kind in sich rauszulassen. Es auszugraben unter den vielen Schichten aus Pflichtbewusstsein, Organisiertheit, Arbeitswut und Strukturiertheit, die es sonst unter sich begraben. Es wach kitzeln und neugierig sein, Langeweile zulassen, spielen, offen und ungehemmt auf Neues und auf andere Menschen zugehen.

„Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder“ – hat Jesus einmal zu seinen Freunden gesagt, die ihm Kinder lieber vom Leib halten wollten, „dann habt ihr von Gottes Welt noch gar nichts begriffen“. Mit diesem Satz stellt er auch meine Erwachsenenwelt in Frage.

Kinder sagen oder machen ganz oft einfach das, was sie denken. Sie stellen unverblümt ihre Fragen, gehen neugierig auf die Dinge zu, sagen aber auch ganz direkt, worauf sie keine Lust haben. „Wir wollen jetzt aber nichts von der Tafel abschreiben“, haben die Kinder im Religionsunterricht gesagt, „wir wollen lieber die Geschichte weiterhören.“ Eine klare, ehrliche Ansage. Und ich habe mich darauf eingelassen: Spontan haben wir gemeinsam den Unterricht verändert.

Vielleicht möchte Jesus mit seinem Satz genau diese Spontanität in mir wecken: „Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, so habt ihr von Gottes Welt noch nichts begriffen.“ Vielleicht soll ich mehr hinterfragen und deutlicher meine Meinung sagen? Nicht einfach hinnehmen, was ist, sondern überlegen, wie es gehen könnte.

Wie ein Kind sein. Nicht kindisch, sondern – in einem guten Sinn -kindlich. Denn für Kinder ist vieles ganz normal: Ihnen fällt kein Zacken aus der Krone, wenn sie Hilfe annehmen – Sie nehmen eine Entschuldigung an und sind nicht nachtragend. Sie fragen nach Gott und sie fragen ihn Löcher in den Bauch.  

Offen und neugierig sein, auf Menschen zugehen, aber auch wissen, wann ich Hilfe brauche. Mich freuen an Kleinigkeiten. Dann ist kein Kind an mir verloren gegangen, sondern wieder eins in mir erwacht. Und ich bin Gottes Welt wieder ein Stück näher gekommen.

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07JUL2025
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„Sabine, du schuldest mir noch eine Tasse Kaffee!“ – So hat eine Freundin mich augenzwinkernd an ein Versprechen erinnert. Stimmt, als Dankeschön für ihre Hilfe beim Aufräumen des Gemeinderaums hatte ich ihr eine Einladung zum Kaffee versprochen.

Das war eine Schuld, die ich gerne beglichen habe. Wir haben uns getroffen, miteinander Kaffee getrunken und erzählt. Es war schön.

„Und vergib uns unsere Schuld wie auch wir vergeben unsern Schuldigern“ – so beten Christinnen und Christen regelmäßig im Gottesdienst. Es ist eine Bitte aus dem Vaterunser, dem Gebet, das auf Jesus zurückgeht und das in der Bibel überliefert ist.

Diese Bitte wirft ein ganz anderes Licht auf meine Schuld und auf die Menschen, die mir etwas schuldig geblieben sind. Da geht es nicht um Geld oder um nicht eingelöste Versprechen, sondern um Menschen, die ich verletzt habe mit Worten oder Taten oder denen ich Unrecht getan habe.  

Ich verstehe diese Vater-unser-Bitte so: Es geht hier darum, Schulden einander nicht länger vorzuhalten. Also zu vergeben. Auch wenn das nicht immer einfach ist. Einen Kaffee zu bezahlen, ist leicht. Aber wirklich zu verzeihen, das fordert mich ganz anders heraus.

„Es tut mir leid, Sabine, bitte verzeih mir!“ Darum hat mich ein Bekannter gebeten, der mit unschönen Worten seinen Frust an mir abgelassen, mich damit gekränkt und verletzt hatte. „Ist okay, vergiss es einfach“, habe ich gesagt, aber gemerkt, dass es noch lange in mir genagt hat. Aber wenn ich verzeihe, vergebe, so muss ich auch den Fehler wirklich loslassen.

Wenn mich jemand darum bittet, zu vergeben, so kann ich diese Bitte erfüllen. Weil Gott auch mir meine Fehler vergibt. Weil ich selbst erfahre, wie gut es tut, wenn mir jemand nicht immer wieder meine Fehler, meine Fehltritte, meine Schwächen vor Augen führt.

„Sabine, du schuldest mir noch einen Kaffee“ – diese Schuld zu begleichen war einfach. Meine Freundin hat mir sofort verziehen, dass es so lange gedauert hat, bis ich meine Schuld beglichen habe. Mir wurde danach leichter ums Herz.

Ich hoffe, dass auch meinem Bekannten ein Stein vom Herzen gefallen ist, als ich seine Entschuldigung angenommen, ihn sozusagen entschuldet habe.

Vergeben und verzeihen, sich entschuldigen und die Entschuldigung anzunehmen, sind nötig und wichtig für einen Neuanfang. Daran erinnert mich die Vater-unser-Bitte.

Ich glaube, wenn wir einander vergeben, dann gehen wir beschwingt und leichter durch das Leben.

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04JUL2025
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Freitag, kurz nach sieben in der Straßenbahn. Ich sitze hier auf dem Weg zur Arbeit. Die meisten haben Kopfhörer in den Ohren oder starren aufs Handy. Ich bin noch nicht richtig wach, aber immerhin habe ich einen Sitzplatz bekommen.

Gegenüber sitzt jemand, der einen speziellen Anhänger an der Tasche hat. Ein kleines Ulrichskreuz. Es ist dunkel gehalten und mit vergoldeten Elementen. Eine kleine Darstellung Jesu und rechts und links die Köpfe vom Heiligen Ulrich auf der einen und von der Heiligen Afra auf der anderen Seite. Nicht groß, nicht auffällig. Aber ich erkenne das Motiv sofort. Ich muss schmunzeln. Der heilige Ulrich in der Straßenbahn – das hat was.

Ulrich ist Bischof von Augsburg gewesen – vor über tausend Jahren. Es sind schwierige Zeiten gewesen. Die Stadt ist bedroht worden und die Leute sind verunsichert gewesen. Und er? Er ist dageblieben. Und nicht geflohen. Er stand ihnen bei, war mutig und klar, aber auch barmherzig. Ulrich war kein Held aus dem Bilderbuch, aber er war ein Mann mit Rückgrat, einer, der Verantwortung übernommen hat, weil er sich für seine Mitmenschen verantwortlich fühlte. Das beeindruckt mich bis heute. Nicht nur im Rückblick auf die Geschichte, sondern gerade auch im Alltag.

Denn genau das fehlt mir heute manchmal: Menschen, die stehen bleiben, wenn andere weglaufen. Leute, die Haltung zeigen für eine offene Welt und eine offene Kirche, in der jede und jeder einen Platz hat – ohne auszugrenzen, ohne in Kategorien einzuteilen, ohne andere und ihre Art katholisch zu sein abzuwerten. Eben auszuhalten, dass es verschiedene Meinungen zu einem Thema gibt und vielleicht auch manchmal beide Seiten gute Argumente für ihre Haltung haben. Mir fehlen manchmal Menschen, die ruhig bleiben können, wenn es eng wird und die Stimmung in der Diskussion angespannt ist. Leute, die vermitteln können und nicht dafür sorgen, dass sich Fronten bilden und vielleicht sogar verhärten. Die auf andere zugehen können und Brücken bauen. Zwischen verschiedenen Standpunkten und Lagern.

Heute ist Ulrichstag – kein Feiertag für die breite Masse. Aber vielleicht genau deshalb ein guter Moment, sich an das zu erinnern, was im Hintergrund Kraft gibt.

Ich steige zwei Stationen später aus. Ich nehme den Heiligen Ulrich aber in Gedanken mit. Und mir nehme ich vor: Einer zu werden wie er. Dass ich da bin, wo ich gebraucht werde, Brücken baue, wo sie verschüttet sind und Haltung zeige, ohne andere vor den Kopf zu stoßen.

Ulrich erinnert mich daran, dass Mut im Alltag beginnt. Und dass es gut ist, wenn wir einander im Blick behalten.

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03JUL2025
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Ich sitze mit einer Freundin in einem Kaffee. Einfach um uns gemeinsam Updates darüber zu geben, was gerade so los ist. Sie erzählt mir von einer schwierigen Entscheidung vor der sie gerade steht. Es geht um eine berufliche Veränderung, auf der sie schon lange herumdenkt. Ich finde, dass die neue Stelle voll zu ihr passt und alle um sie herum auch. Sie ist sich aber unsicher, ob sie den Schritt wagen soll oder nicht. Sie spricht darüber, wie sie sich immer wieder hin und hergerissen fühlt und dabei mit vielen Zweifeln kämpft. Vor allem Zweifel an sich selbst. Kann ich das überhaupt? Bin ich gut genug dafür? Was ist, wenn ich das nicht schaffe?

Und über allem das Gefühl: Sich nicht entscheiden zu können, weil ich/sie nicht weiß wie es wird. Das kenne ich auch von mir. Ich muss Dinge erst selbst erfahren und erleben, bevor ich weiß ob es das Richtige ist.

Bei Thomas, einem Menschen aus der Bibel, ist es ähnlich. Er ist ein Freund von Jesus. Als Jesus nach seinem Tod wieder aufersteht, kann er es einfach nicht glauben. Jesus soll auferstanden sein? Leben? Wie kann das sein? Jesus ist nicht mehr da - er ist tot. Davon ist er überzeugt. Wie soll er also auf einmal leben?

Er sagt: „Wenn ich nicht in seinen Händen das Mal der Nägel sehe und meine Hand in seine Seite lege, glaube ich nicht.“ Als er Jesus selbst vor sich sieht, ihn und seine Wunden anfassen darf, kann er es glauben. Jesus lebt.

Ich verstehe, was meine Freundin meint: Sie will ihre Entscheidung nicht einfach darauf stützen, was Freunde von ihr halten und was sie ihr sagen. Sondern sie muss es selbst erleben, es ausprobieren. Genau wie Thomas, der muss sehen und fühlen, dass Jesus lebt. Erst dann fühlt er sich sicher.

Während ich darüber nachdenke, wird mir bewusst, dass auch Glaube nicht immer etwas ist, das wir nur durch eigenes Erleben finden. Das Leben verlangt manchmal von uns, zu vertrauen. Daran zu glauben, dass es gut werden kann. Das ist nicht einfach. Vor 2000 Jahren nicht und auch nicht heute. Was bleibt, ist: Dass ich manche Schritte wagen muss, indem ich auf andere vertraue. Das ist schwer, weil ich so ein Stück meiner eigenen Sicherheit aufgeben muss – vertrauen muss darauf, was andere zu mir sagen.

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02JUL2025
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Wir wollen mit Freunden zusammen grillen. Das Holz? Leider ziemlich feucht, nicht richtig durchgetrocknet. Aber wir geben nicht auf: Pusten, wedeln, nochmal pusten … und irgendwann klappt’s! Das Feuer fängt an zu knistern.

Jetzt warten wir ab, bis genug Glut da ist und wir anfangen können. Ich liege auf einer Bank und schaue nach oben – direkt ins grüne Blätterdach der Bäume. Die Sonne blinzelt durch die Zweige. Ich erinnere mich an die Zeit bei den Pfadfindern.

Mit denen war ich jedes Jahr im Sommer zwei Wochen auf einem Zeltlager. Irgendwo auf einer grünen Wiese haben wir unsere Zelte aufgeschlagen und uns eingerichtet, um dort das Leben für die Zeit teilen zu können. Alle zusammen – der ganze Stamm. Das heißt es sind Kids mit am Start gewesen, die gerade erst in die Schule gekommen sind, aber auch Erwachsene, die schon mitten im Leben und Beruf stehen. Obwohl wir alle unterschiedlich alt sind, uns verschiedene Dinge interessieren und wir alle ganz individuelle Sorgen haben, sind wir auf dem Zeltlager zu einer Gemeinschaft gewachsen. Die wichtigsten Momente sind für mich die Abende gewesen. An denen haben wir am Lagerfeuer gemeinsam gesungen. Und sind ins Gespräch gekommen über Gott und die Welt. Manchmal habe ich mit Wölflingen, gesprochen, die stolz waren auf das was sie geschnitzt haben. Ein anderes Mal habe ich mich mit Leuten aus meinem Alter ausgetauscht über unsere Sorgen von heute und unsere Pläne für die Zukunft. Und dann habe ich mich auch mit Erwachsenen unterhalten, die im Alltag Filialleiter der Bank sind und darüber was ihnen wichtig ist im Leben. Manchmal war ich aber auch nur in Gedanken bei mir und dem Feuer. – ich bin mitten drin gewesen. Die Erfahrungen, die ich dort mit anderen gesammelt habe prägen mich bis heute. Weil ich verstanden habe, dass eine Gemeinschaft davon lebt, dass verschiedene Leute sich einbringen und jeweils das dazu beitragen, was sie können. Die eine kann vielleicht gut schnitzen und weiß wie man eine Jurte aufbaut, der andere kann gut Geschichten erzählen und ist am Lagerfeuer voll dabei; und wieder jemand anderes kann kreativ mit zwei Töpfen für eine ganze Menge Leute kochen. Alle können sich einbringen und etwas dazu beitragen – so wird es gut. Dass ich nicht nur an mich denke, sondern für andere mit und dort helfe, wo ich gebraucht werde. Pfadfinder sein bedeutet für mich weit mehr als Abenteuer, Lagerfeuer und Zeltlager. Es ist eine Lebenseinstellung. Dass ich eben mit einer offenen und klaren Haltung durchs Leben gehe. Es bedeutet, Gemeinschaft zu leben und daran zu glauben, dass wir zusammen etwas verändern können. Das habe ich als Jugendlicher in der Gruppe gelernt, als Leiter weitergegeben, und es begleitet mich bis heute. Als aus dem nassen Holz Glut geworden ist, auf der wir jetzt grillen können, fühlt sich dieser Abend an wie früher auf dem Zeltlager.

In diesem Sinne: einen schönen Abend und Gut Pfad!

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01JUL2025
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Das Schuljahr geht zu Ende. Die Luft ist warm, ein bisschen schwer. In den Fluren der Schule ist es lauter als sonst. Ich merke: Die Konzentration wird weniger; die Sommerferien stehen vor der Tür.

In einer Planungsrunde in der Schule sitzen wir zusammen. Es geht um die „Good Morning“ Feier in diesem Schuljahr. Eine Feier, in der wir alle noch einmal zusammenkommen – Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte, einfach alle, die dazugehören.

Die Idee ist: Einen kurzen, gemeinsamen Abschluss, bevor die Zeugnisse verteilt werden. Bevor es auseinandergeht. Und wir dann gut und gestärkt in die Ferien starten können. Aber wie macht man das so, dass sich wirklich alle angesprochen fühlen?

Egal, welcher Religion ich angehöre oder auch nicht. Egal, aus welcher Familie, aus welcher Richtung der Welt ich komme. Alle kommen in dieser Feier zusammen und haben Zeit: Zeit für sich, Zeit über das eigene Leben nachzudenken und Neues zu entdecken, Zeit für Gott und Zeit miteinander.

Wir entscheiden uns für ein Thema, das jeder kennt: Chaos und Ordnung. Ein Lehrer sagt: „Wenn dieses Schuljahr eines war, dann chaotisch.“

Chaos – das ist das Gefühl, wenn der Bus zu spät kommt, der Laptop streikt, der Stundenplan sich wieder ändert. Wenn ich nicht mehr weiß, wo ich anfangen soll. Wenn die Gedanken durcheinanderlaufen. Wenn ich darum bangen muss, nach meiner Ausbildung übernommen zu werden oder in einer neuen Stadt anzufangen. Chaos ist das Gefühl nicht zu wissen wohin mit mir. Mich unsicher und allein zu fühlen. Mich nicht orientieren zu können in meinem Leben.

Und Ordnung – das ist der Moment, wenn etwas plötzlich Sinn ergibt. Wenn ein Tag rund läuft. Wenn ich mich selbst wieder ein kleines bisschen sortieren kann. Wenn ich merke: Hier bin ich richtig, hier bin ich gewollt und angenommen mit meinen Sorgen. Hier habe ich Platz und kann mich einbringen mit dem was ich kann. Ordnung ist der Zustand, in dem ich mir sicher bin, einen Safespace habe und das Leben leicht erscheint.

Aus Chaos wird nicht einfach so Ordnung. Ich denke, für mich braucht es da Gott, der Ordnung schafft. Mit ihm an meiner Seite kann ich Perspektiven erkennen, mutiger sein, meinen Platz in der Welt finden. Anderen hilft vielleicht der Freundeskreis oder die Familie sich neu zu orientieren. Manche schaffen es aus dem Chaos ihres Lebens selbst heraus und ordnen ihre Dinge für sich. Klar ist aber, dass niemand in seinem Chaos allein ist, auch wenn es sich manchmal so anfühlt. Und das wollen wir in der Feier erlebbar machen.

Es soll eine Feier sein, bei der niemand denkt: „Das ist nicht für mich.“ Sondern eine, bei der man sagen kann: „Ja, das kenn ich. So fühlt sich Schule manchmal an. Und das Leben sowieso.“ Und vielleicht gehen wir am Ende nicht nur mit dem Zeugnis nach Hause. Sondern auch mit dem Gefühl: Ich bin nicht allein in meinem Chaos.

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30JUN2025
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Einfach mal Pause machen. Gar nicht so einfach, gerade wenn viel los ist, fällt mir das oft schwer. Dafür brauche ich Zeit und einen Ort. Einen, an dem ich einfach da sein kann. Ohne Erwartungen, ohne dass ich funktionieren muss. Auf meinem Weg nach Hause liegt unsere Kirche – direkt an der Straßenbahnhaltestelle. Manchmal nehme ich mir die Zeit. Gehe hinein und setze mich in eine der hinteren Bänke. Es ist leicht kühl und ich kann zur Ruhe kommen.

Ein paar Minuten nur. Keine großen Worte. Einfach still dasitzen, durchatmen, in meinen Gedanken sein.

Über dem Altar steht ein Satz, in goldenen Lettern, leuchtend im Licht der Kerzen: „Gott selbst und Euch Er.“

Der Satz liest sich leicht. Aber ich verstehe ihn nicht gleich. Er klingt geheimnisvoll. Und er beeindruckt mich, weil er kurz zusammenfasst wer Christus für mich ist. Er ist nicht irgendeiner. Er ist Gott selbst. Also etwas, das nicht von dieser Welt ist. Größer, höher, unbegreiflich. Ein Gott, der da zu finden ist, wo Menschen Frieden schließen. Einer, der da ist, wo Menschen füreinander leben. Ein Gott, der einer von uns ist, weil er Mensch ist: Christus einer von uns. Ein Mensch, wie du und ich. Einer, der gezeigt hat wie gutes Zusammenleben funktionieren kann und einer, der für andere da ist. All das steckt in dem kurzen Satz: „Gott selbst und euch er.“

Das ist nicht leicht zu verstehen. Wie soll das gehen – Gott und Mensch zugleich?

Jesus spricht mit einer Autorität, die kein Mensch einfach so hat. Aber er redet nicht von oben herab. Er geht zu den Menschen, hört zu, isst mit ihnen, heilt Kranke; berührt, wo andere ausweichen. Und er diskutiert – lässt Fragen zu, lässt Zweifel stehen. Er verurteilt nicht vorschnell. Gerade das macht ihn so besonders – und auch göttlich. Ich selbst bin immer schnell darin andere in Schubladen zu stecken. Anderen mit Vorurteilen zu begegnen und nur halb zuzuhören, was sie zu sagen haben. Aber Jesus ist da anders.

Er ist den Menschen zugewandt. Nicht kämpferisch. Auch wenn sich viele damals etwas Anderes erhofft haben. Nämlich einen, der die Macht übernimmt. Einen, der die Regeln macht und die Ordnung schafft. Manche waren enttäuscht, dass er so anders war. Und auch heute, wenn ich ehrlich bin, wünsche ich mir manchmal jemanden, der mir genau sagt, was richtig und falsch ist. Der mir die Entscheidung abnimmt. Aber Jesus tut das nicht. Er macht keine Ansagen von oben.

Er schaut mich an, stellt Fragen. Und traut mir zu, dass ich meinen Weg finde. Mit Fehlern, mit Umwegen, mit Zweifeln. Ich verstehe das heute so: Eben, dass ich zu ihm kommen kann, mit meinen Sorgen, mit dem was mich umtreibt. (Dass er mir zuhört und da ist, dass er mich begleitet, gerade wenn es schwierig ist, weil er mich versteht, weil er selbst Mensch geworden ist. Bei dem Satz: „Gott selbst und euch er“, merke ich: Ich bin gemeint. Für mich ist er auf die Welt gekommen. Für mich ist er da.) Für meinen Alltag bedeutet das: Ich muss nicht perfekt sein. Ich muss nicht alles wissen, nicht alles im Griff haben. Ich darf mich irren, darf Fragen haben, darf zweifeln. Aber ich bin nicht allein. Da ist einer, der mich sieht. Der bei mir bleibt, auch wenn ich mir selbst nicht sicher bin.

Und vielleicht genügt das manchmal: Zu wissen, dass ich mit meinen Fragen nicht durchfallen kann – sondern getragen bin.

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