SWR4 Abendgedanken
Die Europameisterschaft ist vorbei. Und wir haben nicht gewonnen. Das ist schade, aber keine Katastrophe. Allein schon deshalb nicht, weil die deutsche Nationalmannschaft gut gespielt und einen so starken Teamgeist gezeigt hat. Besonders in Erinnerung bleibt mir aber die Stellungnahme des Bundestrainers am Tag nach dem Ausscheiden. Julian Nagelsmann spricht dabei an einer Stelle gar nicht über den Fußball, sondern über unsere Gesellschaft. Wie wir zusammenleben, und was ihm fehlt, was er sich wünscht.
Nagelsmann sagt bei der Pressekonferenz folgende Sätze:
„Wir leben in einem Land, das viel zu viel in Tristesse verfällt, stetig und ständig.
Es gibt mir hierzulande zu viel Schwarzmalerei.
Wenn jeder sein eigenes Süppchen kocht und individueller sein will als der Nachbar – nein. Gemeinsam ist man stärker, mit Fans stärker als ohne. Mit seinem Nachbarn stärker als ohne.
Wenn ich dem Nachbarn helfe, die Hecke zu schneiden, ist er schneller fertig.
Einfach einen Tick mehr Dinge wieder gemeinsam machen.
Diese Gemeinsamkeit hat sehr gutgetan.
Ich hoffe, dass diese Symbiose zwischen Fußballfans und einer Fußballmannschaft auch in der Gesellschaft stattfindet, dass wir begreifen, dass wir als Gemeinschaft (…) mehr bewegen können.“ Soweit Nagelsmann.
Fußball bewegt die Herzen vieler Menschen. Und so ein Bundestrainer auch. Wie sympathisch das ist, dass er nicht jammert, sondern mit schlichten Worten sagt: Es gibt Wichtigeres als den Fußball. Aber wenn das mit der Gemeinschaft bei der EM klappt, weil die Anhänger zusammenhalten, warum sollte es dann in anderen Lebensbereichen nicht klappen?
Ich kann mich dem Wunsch von Nagelsmann nur anschließen. Weil der Mann den Nagel buchstäblich auf den Kopf trifft. Und weil er damit eine Haltung anspricht, die für mich als Christ elementar ist. Zuerst an sich selbst zu denken, auf andere neidisch zu sein und am Ende Gott für alles verantwortlich zu machen – das verträgt sich nicht mit meinem Glauben. Ich sage das jetzt bewusst so unmissverständlich: Es ist meine Pflicht, mich in die Gemeinschaft einzubringen. Das ist keinesfalls freiwillig. Denn das Leben mit anderen ist immer ein Nehmen und Geben. Und dabei kommt es eben auch auf mich an. Je mehr ich habe und kann, desto mehr bin ich in der Pflicht.
Es ist beachtlich, dass ein Bundestrainer uns daran erinnert. Ein junger Mann mit großem Herzen, auf den viele hören, weil sie ihn bewundern. Und ich werde an ihn denken, wenn ich meinen Nachbarn und seine Hecke sehe – und hoffentlich bei vielen anderen Gelegenheiten.
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