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Tom und sein Klassenkamerad, die beiden sind bei mir in der Schule. Zwei quirlige lebendige Jungs. Und sie haben Mist gebaut. Als Schulleiter hole ich die beiden in mein Büro und will hören, was sie selbst zu ihrem Verhalten sagen. Die beiden geben ihre Fehler sofort zu und sagen, dass das blöd war, was sie getan haben. Das finde ich gut. Ich habe Respekt vor Menschen, die zu ihren Fehlern stehen und die Konsequenzen dafür tragen wollen. Auf dieser Basis überlegen Tom, sein Klassenkamerad und ich gemeinsam, wie sie ihren Fehler wieder gut machen können. Ich bespreche auch mit ihnen, wie wir das ihren Eltern erklären. Das mache ich immer so, weil ich abschätzen will, was ihnen zuhause droht. Ich will auf keinen Fall, dass ein Kind zuhause körperliche Gewalt erlebt. Als ich ihnen sage, dass wir die Eltern ins Boot holen, wird Tom immer ruhiger. Ich habe ihn gefragt, was ihn beschäftigt. Tom ist sofort in Tränen ausgebrochen und hat gesagt: „Ich habe mir doch vorgenommen, dass ich es in diesem Schuljahr besser mache als in dem Jahr vorher. Ich will auch ein weißes Blatt sein.“ Jetzt bin ich berührt, ein „weißes Blatt“ ist ja noch reiner als ein „unbeschriebenes Blatt“. Tom will also ein Mensch sein, der als unschuldig und gut angesehen wird. Erwachsene wollen das vermutlich auch oft, aber sie wissen aus Erfahrung, dass niemand ohne Fehler durchs Leben kommt. Wir sind nicht ausschließlich böse oder ausschließlich gut. Aber es gibt einfach rote Linien, über die ich nicht drüber darf.
Und jetzt nochmals zurück zu Tom und seinem Freund. Ich habe den beiden erklärt wie ich das sehe. Und ich habe Tom gesagt: „Du kommst besser durchs Leben, wenn Du Dich selbst nicht entweder als rein gut oder rein böse einstufen musst. Wir Menschen sind immer beides – böse und gut.“
Von meinem Glauben her kommt aber noch etwas anders dazu: Ich bin überzeugt, dass Gott mich noch anders sieht. Ich hoffe darauf, dass er in jedem Menschen einen Kern angelegt hat, der einfach nur gut ist. Und auch wenn niemand ein ganz weißes Blatt sein kann, diesen guten Kern gilt es zu sehen und zu pflegen.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38876Es kommt immer wieder vor, dass Kinder eine Schreckschusspistole zum Spielen in die Schule mitbringen. Das geht in der Schule gar nicht. Als Schulleiter spreche ich mit den Kindern, wenn so etwas vorgefallen ist. Dabei geht mir aber immer wieder durch den Kopf, wie das noch in meiner Kindheit war. Wir haben das ganze Jahr über immer wieder „Cowboys und Indianer“ gespielt. Am Anfang haben wir uns in zwei Gruppen aufgeteilt und uns dann in den Gärten in der Nachbarschaft oder im Wald versteckt und uns gegenseitig überfallen. Mal musste ein Holzstecken in der Phantasie die Waffe ersetzen, manchmal hatten wir von Fasching noch Spielzeugwaffen. Wir haben Gefechte ausgetragen und geschossen und wenn einer getroffen war, musste er aussetzen. Natürlich hat das nicht lange gedauert, dann hat man als Getöteter gerufen „ich lebe noch“ oder „ich lebe wieder“ und schon war man wieder mit im Spiel. Das war spannend, aber aus heutiger Sicht war es auch unbedarft und naiv.
Im Vergleich zu früher haben sich die Umstände gewaltig gewandelt. Wir haben den Amoklauf in Winnenden erlebt oder den Vorfall, dass in Offenburg ein Schüler einen anderen Schüler erschossen hat. Das Spiel aus meiner Kindheit ist da bitterer Ernst geworden.
Einerseits tun mir unsere Kinder heute leid. Denn so naiv unsere Spiele auch waren, sie zeigen in ihrer Unbedarftheit, dass wir in einer sicheren Welt groß geworden sind. Das ist heute nicht mehr so.
Die Kinder von heute können sich so eine Naivität wie wir sie früher hatten nicht mehr erlauben. Aber ich hoffe, dass ihnen das nicht schadet. Ich hoffe, dass sie einst, wenn sie erwachsen werden, mit noch mehr Ernsthaftigkeit an einer Welt bauen, in der Gewalt keine Chance hat. Weder im Spiel noch im Ernst. Alle Pädagogen und Eltern und alle, die mir Kindern arbeiten, müssen das mit den Kindern klären – sowohl, dass wir heute andere Zeiten haben als wir Erwachsene sie noch erlebt haben, als auch, dass diese Spiele keine Spiele für Kinder sind. Unsere Welt ist im Augenblick von Krieg und Gewalt geprägt, und man könnte meinen, dass nur das Recht des Stärkeren zählt. Ich will unseren Kindern und Jugendlichen aber zeigen, dass es ein Gewinn für alle ist, wenn nicht Gewalt über das Schicksal entscheidet, sondern der Mensch. Und zwar der Mensch, der souverän ist und nach Frieden sucht.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38875Am Nikolaustag als Nikolaus bei Familien sein. Ich habe das jahrelang gemacht, und ich erinnere mich daran, wie mich das als Kind berührt hat. Das war einfach faszinierend, dass dieser heilige Mann zu uns in die Wohnung kommt und mich besucht.
Als ich später selbst als Nikolaus unterwegs war, war das sehr spannend. Ich habe mich gefreut, wenn ich den Kindern auch dieses Gefühl schenken konnte: Sie sind voller Stolz Gastgeber dieses heiligen Mannes. Ich habe aber auch erlebt, wie der Nikolaus als Lückenbüßer einer schwarzen Pädagogik herhalten musste. Viele Kinder hatten Angst vor mir, weil man ihnen gesagt hat, dass der Nikolaus sie in seinen Sack steckt und sie mitnimmt, wenn sie nicht brav waren. Und als letzte Chance sollten sie dann beim Nikolausbesuch versprechen, dass sie es besser machen wollen. Ich habe da meistens erst mal Schlucken müssen und dann einen Mittelweg versucht. Also einen Nikolaus gegeben, der milde und gütig ist und die Kinder fördert. Im Endeffekt haben mich diese Momente geärgert. Denn da sind die Eltern ratlos, wie sie ihr Kind erziehen sollen und dem Kind tut das gar nicht gut. Ich finde das schrecklich. Für die Kinder, die von Angst geleitet werden und letztlich doch das Gefühl haben, dass sie nicht in Ordnung sind. Genauso fragwürdig fand ich aber auch die ganz gegenteiligen Erfahrungen, die ich auch gemacht habe. Wenn die Kinder so mit Geschenken überhäuft wurden, dass sie gar nichts mehr damit anfangen konnten. Beides hat mit dem heiligen Nikolaus wenig zu tun.
Was man von ihm weiß, sind vor allem Legenden. Aber diese Legenden haben eine Botschaft gemeinsam: Der heilige Nikolaus wird dort immer als einer Mensch geschildert, der sieht, wo andere in Not sind, und der ihnen Hilfe gibt. Nikolaus sorgt so für das Volk von Myra als eine Hungersnot herrscht und er unterstützt einen alleinerziehenden Vater, dessen Töchter in die Prostitution abzurutschen drohen. Er legt ihnen nachts drei goldene Kugeln vor die Türe und wendet so ihre Not ab. Er überhäuft aber niemanden mit Geschenken, bis der Beschenkte (völlig) überfordert ist und seinen Besitz nicht mehr sortieren kann. Und er macht seine Hilfe nicht davon abhängig, ob ein Mensch sich gut oder schlecht verhalten hat. Er hilft in der Not einfach.
Das ist echte Güte: unabhängig von Moral und nach einem Maß, das den andern einfach nur guttut. Ich vermute, dass der Heilige Nikolaus deshalb so stark verehrt wird, weil er diese Güte verkörpert. Er ist ein passender Vorbote für die Weihnachtszeit.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38874Kaum jemand kennt Elias Chacour. Er ist arabischer Christ. Elias Chacour ist vor 84 Jahren in Galiläa geboren. Als er noch ein Kind war, haben israelische Soldaten ihn mit seiner Familie aus ihrem Haus vertrieben. Seine Schulzeit hat er in Nazareth verbracht, dann hat er Theologie studiert und wurde Priester, später sogar Bischof. Als junger Priester hat er sich besonders dem Judentum gewidmet und an der hebräischen Universität in Jerusalem die Tora und die jüdischen Traditionen studiert. Chacour hat als Kind erlebt, wie schlimm es sein kann, wenn Juden, Christen und Muslime sich bekriegen. Seine Familie hat es ja unmittelbar erlitten. Elias Chacour hat sich danach aber nicht auf eine Seite geschlagen und den Streit weiter entfacht. Im Gegenteil. Er hat darauf gesetzt, dass das Gute sich entwickeln kann, wenn Menschen zusammen leben, zusammen studieren und sich begegnen. Deshalb hat er in Israel Schulen gegründet, in denen arabische und jüdische Kinder gemeinsam lernen und als Juden, Muslime und Christen friedvoll miteinander leben.
Es scheint so, als sei das alles umsonst geschehen. Keiner redet mehr von Chacour und seinen Projekten für den Frieden. Dabei gab es viele Menschen in Israel, die diesen Weg gegangen sind. Zum Beispiel die Mütter von gefallenen Soldaten, israelische und palästinensische Mütter. Sie haben sich schon vor Jahren zusammengetan und setzen sich für Frieden ein.
Es mag sein, dass diese Projekte im Moment keine Schlagzeile wert sind und dass im Augenblick der Krieg dominiert. Aber ich kann und mag mir nicht vorstellen, dass das alles umsonst gewesen ist. Ich bin sicher, dass die Absolventen aus den Friedensschulen von Chacour die Idee weitertragen, dass Friede möglich ist. Auch dort, wo es scheinbar im Moment nichts zu hoffen gibt. Und diese Hoffnung ist meine persönliche Schlagzeile. Darauf baue ich..
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38873Diese alte Dame schätze ich schon immer sehr: Margot Friedländer. Jetzt habe ich gelesen, dass sie gesagt hat: „Ich würde nie hassen wollen.“ Sie ist inzwischen 102 Jahre alt und wirkt topfit für ihr Alter. Vor allem geistig erscheint sie mir so klug und weise, dass ich gerne von ihr lernen möchte. Margot Friedländer hat als Kind erlebt, wie die Nazis alle Juden vernichten wollten. Als Jüdin war sie und ihre ganze Familie höchst gefährdet. Sie, ihre Eltern und ihre Geschwister haben mehrere Fluchtversuche unternommen, aber die Flucht ist ihnen nicht gelungen. Alle Familienmitglieder wurden ermordet bis auf Margot. Sie hat sich längere Zeit versteckt. Aber auch sie wurde entdeckt, verhaftet und ins Konzentrationslager Theresienstadt gebracht. Dort lernte sie ihren Mann kennen. Die beiden überlebten bis zu ihrer Befreiung. Danach wanderten sie in die USA aus.
Margot Friedländer ist erst in hohem Alter wieder nach Deutschland zurückgekommen. Jetzt geht sie dreimal pro Woche in Schulen, um mit Kindern und Jugendlichen über ihr Leben zu sprechen. Die Schülerinnen und Schüler hängen ihr an den Lippen, wenn sie davon erzählt, wie ihre Eltern und ihr Bruder ermordet wurden. Ich könnte verstehen, wenn Margot Friedlländer da Vergeltung fordern würde oder Rachegefühle hätte. Umso mehr beeindruckt es mich, wenn sie sagt: „Ich würde nie hassen wollen.“ Deshalb ist es in meinen Augen so souverän von ihr, nicht hassen zu wollen. Sie lässt sich nicht auf das Niveau von Mördern und Unmenschen runterziehen. Rachefühle wären ja nur allzu menschlich, aber Margot Friedländer ist mehr, sie zeigt eine Würde, die nur wenige Menschen so haben. Sie zeigt noch in hohem Alter diese Menschenwürde, die die Nazis ihr eigentlich nehmen wollten.
Jetzt ist Margot Friedländer 102 Jahre alt geworden und muss es in diesem Alter nochmals erleben, dass jüdische Familien in Deutschland und in vielen Ländern in Angst leben. Judenhass ist ein absolutes No-Go. Und es macht mir Sorgen, dass es Deutschland gerade möglich ist, Judenhass zu zeigen. Margot Friedländer bleibt jedoch auch in der aktuellen Situation, die mir Sorgen macht, dabei dass sie niemals hassen will. Ich verneige mich deshalb tief vor Margot Friedländer und ihrer so würdigen Haltung. Auch ich will niemals hassen lernen, sondern lieben und vergeben.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38872Jedes Jahr im Dezember freue ich mich auf meinen Adventskalender. Der meine ist gefüllt mit Geschichten, Gedichten, besinnlichen Gedanken, nachdenklichen Sprüchen, biblischen Worten und schönen Bildern. Und mit seiner Hilfe wird mein Tagesablauf adventlich. Morgens schon nehme ich mir nämlich ganz bewusst Zeit für diesen besonderen Kalender.
Und um all das genießen zu können, muss ich meinen gut strukturieren, morgendlichen Alltag unterbrechen, anders organisieren. Der Advent braucht seine Zeit. Zehn Minuten am Morgen für den Adventskalender verändern meinen ganzen Tag.
Weil ich mich jeden Tag daran erinnere, auf was ich im Advent warte. Nämlich auf Weihnachten. Auf die Geburt des Kindes im Stall. Darauf, dass Gott uns Menschen ganz nahe kommt, ein Kind wird, um als Mensch bei uns zu sein.
Zehn Minuten am Morgen, zehn Minuten für mich und meine Gedanken. Zehn Minuten Vorbereitungszeit auf Weihnachten. Stressfrei. Gemütlich. Das tut gut. Und so fange ich auch ganz anders an. Mit einem Impuls für den Tag und einem adventlichen Anschubser. Und der Schubser lautet: Mach was aus dieser besonderen Zeit. Unterbrich deinen Alltag und lass dich auf die besinnliche Zeit ein. Lass dich nicht stressen, auch wenn es stressig wird. Lass dich zu Tee und Gebäck einladen und genieße es. Verschenke fünf Minuten an andere, indem du ihnen bewusster zuhörst. Back Kekse, aber nur dann, wenn du wirklich Lust hast. Dekoriere das Haus, aber mit den Sachen, die dir wirklich gefallen. Zünde eine Kerze an und mach nichts. Auch das gehört in diese Zeit.
Das ist für mich Advent. Mitten im Trubel der Weihnachtsmärkte zur Ruhe zu kommen, morgens den Kindern noch einen Zimtstern in die Brotdose zu legen, einfach mal aus dem Fenster zu schauen, Glühwein mit Freunden zu trinken und abends eine Kerze anzünden. Die Wartezeit bis Weihnachten zu überbrücken, mit Freude und Freunden.
Heute Morgen habe ich die erste Seite im Adventskalender gelesen. Zehn Minuten Zeit wurden mir geschenkt. Und voller Freude habe ich den Tag begonnen. Noch 23-mal kann ich das diesen Dezember machen. So bereite ich mich auf Weihnachten vor. In Ruhe. Mit meinem Adventskalender, der meinen Alltag unterbricht. Zehn Minuten, die für mich was Besonderes sind.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38819Mit folgender Frage habe ich neulich meine 20 Konfirmandinnen und Konfirmanden so richtig ins Schwitzen gebracht. Ich habe sie gefragt: „Was ist mir wichtig in meinem Leben?“
Zuerst haben sich die Jugendlichen gar nicht damit auseinandersetzen wollen. Sie mussten erst ein bisschen „aufgetaut“ werden: Familie, Freunde, Geld, später einen guten Beruf haben, ein eigenes Haus, Freundschaft, Gesundheit, Computerspielen, Fußball, abhängen, nichts tun, Schule, Handy haben sie nach und nach genannt.
Wichtige Lebensthemen, ja. Ich war mir aber sicher, dass da noch mehr ist, und habe noch einmal gefragt: „Was ist euch im Leben so wichtig, dass ihr alles andere dafür aufgeben würdet?“
Die Köpfe haben geraucht, die Gespräche wurden intensiver und dann ist die Frage aufgekommen: „Können wir noch mal von vorne anfangen? Denn wir haben vorhin Dinge aufgezählt, die doch nicht so wichtig sind.“
Fasziniert und verblüfft habe ich zugesehen, wie die Jugendlichen eine Sache nach der anderen über Bord geschmissen haben: Handy? Ist schon wichtig – aber sooo wichtig nun auch wieder nicht, außer man verabredet sich mit der besten Freundin Computer genauso. Wobei Zocken mit Freunden schon Spaß macht. Ja, aber mit Freunden. Okay, dann Freunde und nicht der Computer. Fußball? Ja, aber manchmal hat man auch keinen Bock aufs Training, eher dann wieder Lust auf die Kumpels. Und wenn man nach Hause kommt, soll jemand da sein.
Drei Dinge blieben am Ende stehen: Familie, Freunde und Liebe. Und das hat einer der Jugendlichen dann so zusammengefasst: Wir einigen uns einfach auf Liebe. Denn die Liebe umfasst auch meine Familie und meine Freunde.
„Stimmt“, hat ein Mädchen gesagt, „Liebe ist nämlich ganz vielfältig. Ich kann meine Eltern lieben, aber das ist eine andere Liebe als die zu meinen Freunden und meinen Freund liebe ich nochmal ganz anders.“
Zufrieden haben sich alle angeschaut. Erwartungsvolle Blicke ruhten auf mir. „Bestimmt steht dazu auch etwas in der Bibel“, haben die Jugendlichen gesagt. Da habe ich gelacht. „Aber sicher“, habe ich geantwortet. „Der Apostel Paulus hat es so ähnlich gesagt. Der meinte, dass am Ende Glaube, Hoffnung und Liebe bleiben. Aber das die Liebe das Größte ist.“
„Na denn, dann stehen wir doch in einer guten Tradition“, hat jemand gemurmelt. Und alle waren zufrieden. Schön, dass die Liebe den jungen Menschen so wichtig ist.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38818Im November beginnt die Mützenzeit. Als Kind habe ich mich immer geweigert, eine Mütze zu tragen. Oder ich habe sie mir von meiner Mutter aufsetzen lassen, bin los zur Schule und habe das ungeliebte Ding hinter der nächsten Ecke wieder abgenommen und in den Ranzen gestopft. Mütze zu tragen, habe ich damals als uncool und unnötig empfunden.
November ist Mützenzeit – zumindest für mich. Denn inzwischen trage ich gerne Mützen. Nicht nur, weil sie eben doch angenehm warmhalten. Sondern auch, weil es mir gefällt. Und alle meine Mützen haben einen ganz besonderen Chic!
Denn meine Mützen habe ich mir nicht selbst gekauft, ich habe sie geschenkt bekommen. Von meiner Freundin, von einer Frau aus dem Dorf, von Freunden während des Studiums. Alle haben sie mir mit den Mützen etwas gewünscht: Nämlich, dass ich gut durch die kalte Jahreszeit komme. Und wenn ich eine davon über die Ohren ziehe, dann ist es, als würde ich ihre guten Segenswünsche anziehen: „Bleib gesund“ und „Sei gut behütet!“
Somit sind die Mützen für mich mehr als nur eine Kopfbedeckung. Sie sind ein Stück Segen, den mir Menschen mit auf den Weg geben. Mir soll nichts passieren, ich soll mich nicht erkälten
Meine Mützen wärmen meinen Kopf und meine Seele. Durch sie spüre ich die Wärme der Menschen, die sich um mich sorgen, die sich Gedanken um mich machen. Meine Gesundheit liegt ihnen am Herzen, beziehungsweise bedecken die guten Wünsche meine Ohren. Und das erinnert mich an meine Mutter, die es damals ja auch gut mit mir gemeint hat, die mir ihre Fürsorge gezeigt hat, indem sie mir die Mütze aufgesetzt hat.
Behütet durch das Leben zu gehen – das ist ein guter Wunsch, den man anderen mitgibt. Ein Segen. Mich erinnert das an die Zusage Gottes, dass er mit uns Menschen durch das Leben geht und uns für unsere Wege seinen Segen gibt. „Siehe, ich bin mit dir und werde dich behüten, wohin du auch ziehst“. So sagt Gott zu Jakob und verspricht ihm, ihn zu begleiten. Mit Wohlwollen und Fürsorge, auch wenn Jakob schon einige Fehler im Leben gemacht hat.
Daran erinnern mich meine Mützen. Dass Gott mir Fürsorge schenkt und Menschen, denen es wichtig ist, dass ich gut durch den Winter komme, egal wohin mich meine Wege führen. Bemützt und behütet geht es sich besser. Bleiben Sie auch behütet – ob mit oder ohne Mütze.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38817„Liebt eure Feinde!“ Dieses Gebot hat Jesus vor rund 2000 Jahren seinen Mitmenschen als Lebensregel mitgegeben: "Liebt eure Feinde!" Was für eine Herausforderung! Und sie ist bis heute brandaktuell.
Denn wenn ich morgens die Zeitung aufschlage und die Nachrichten lese oder abends die Nachrichten schaue und die Bilder des Tages sehe, bin ich fassungslos. Es gibt so viel Hass und Terror unter den Menschen.
Und wenn mich meine Kinder fragen: Warum leben Menschen nicht friedlich miteinander? Dann merken wir gemeinsam, dass es auch nicht einfach ist im Alltag friedlich miteinander zu leben. Da gibt es Streit in der Schule, Konflikte am Arbeitsplatz. Da ist schon der Frieden im Kleinen gefährdet. Und der Frieden im Großen ist momentan nicht da. Menschen tun Menschen weh, verletzen, töten. Menschen fördern das Unrecht und fordern gleichzeitig, im Recht zu sein.
Jesus hat damals versucht, die Welt zu verändern, das Miteinander zwischen den Menschen ins Lot zu bringen. Oftmals mit ungewöhnlichen Handlungen, oftmals mit Worten, mit denen keiner gerechnet hat. Und mit solchen paradoxen Aussagen, dass wir unsere Feinde lieben sollen.
Das ist nicht einfach. Eigentlich ist es unmöglich. Wie soll ein Opfer von Terrorismus seinen Feind lieben? Wie soll es das schaffen? Und auch im Kleinen ist es schwer. Auch wenn es „nur“ um Alltagsstreitigkeiten geht. Denn, wenn ich meine Feinde lieben soll, dann heißt das ja, dass ich mich mit Menschen auseinandersetzen muss, die es nicht gut mit mir meinen, vielleicht neidisch sind und die Sachen machen, die ich nicht nachvollziehen kann. Einfacher ist doch dann, diese Menschen nicht zu mögen, sie zu verurteilen, zu hassen.
Aber ich soll sie lieben. So sagt es Jesus. Das fordert mich ganz schön heraus. Lieben kann ich ja nicht auf Kommando. Liebe wächst, entsteht, weil ich jemand anfange zu mögen.
Allein schon, dass ich darüber nachdenke, warum ich meine Feinde lieben soll, gibt mir einen anderen Blick. Ich sehe die Menschen. Nicht allein ihre Taten. Ihr Verhalten. Das Warum kann ich trotzdem nicht immer verstehen. Aber ich kann den Menschen sehen, versuchen ihn zu verstehen.
So seltsam es auch klingt. Ich kann versuchen, meine Feinde zu lieben. Einfach ist das nicht. Doch irgendwo muss die Liebe doch auch anfangen. Ein Versuch ist es wert.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38816Kerzen gehören für mich ganz besonders in diese Woche, zwischen Ewigkeitssonntag und ersten Advent.
Gestern am Ewigkeitssonntag im Gottesdienst haben wir uns an die verstorbenen Menschen unserer Gemeinde erinnert und Kerzen für sie angezündet. Und nach dem Gottesdienst haben die Angehörigen die Kerzen mitgenommen und auf den Friedhof getragen. Abends beim Spaziergang mit dem Hund bin ich dann wieder am Friedhof vorbeigekommen. Und all die vielen Kerzen haben diesen traurigen Ort in ein kleines Lichtermeer verwandelt. Es war eine ganz besondere Stimmung: gar nicht mehr so traurig, trotz des feuchtkalten Abends. Das Licht hat mein Herz berührt, mich gewärmt. Die vielen Kerzen auf den Gräbern haben für mich den Friedhof zu einem Ort der Hoffnung gemacht.
„Du bist die Quelle des Lebens und in deinem Licht sehen wir das Licht“ – so heißt es in einem alten biblischen Lied, in Psalm 36.
Gott als das Licht meines Lebens. Gott, der für mich das Dunkel erhellt, so dass ich besser sehen und erkennen kann, was in meinem Leben hinter und was vor mir liegt. Wie die Kerzen auf dem abendlichen Friedhof. In ihrem Schein sehe ich, was hinter mir liegt, sehe, wer mir fehlt, wen ich vermisse. Ich sehe, wie viel Zeit ich mit den Verstorbenen hatte, was wir gemeinsam an schönen und traurigen Dingen erlebt haben.
Im Lichte Gottes sehe ich aber auch, dass da noch etwas vor mir liegt, dass mein Weg nicht auf dem Friedhof endet, sondern dass ich lebe. Heute und hier, gemeinsam mit vielen anderen Menschen.
Ich darf traurig sein, ich kann traurig sein und manchmal muss ich auch einfach traurig sein, weil der Kummer überwiegt, weil mir jemand so richtig fehlt. Aber ich darf auch in traurigen Zeiten nach vorne schauen, darf lachen, darf mich an den schönen Dingen des Lebens freuen.
Für all das stehen die Kerzen auf dem Friedhof. Für das gelebte Leben und für das, was noch kommt. In ihrem Schein leuchten meine Erinnerungen und leuchtet meine Hoffnung, dass Gott die Quelle des Lebens ist und ich in seinem Licht sehe, wie schön das Leben sein kann.
Mit meinen Erinnerungen an viele Menschen, mit denen ich das Leben schon geteilt habe, bin ich an dem Abend weitergelaufen. Nach Hause. Vorbei an vielen hellen, erleuchteten Fenstern. Zu den Menschen, die mit mir weiterleben und mit denen ich in wenigen Tagen die erste Kerze auf dem Adventskranz anzünden werde. Dann wird mein Zuhause hell und warm durch das flackernde Licht der Kerze.
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