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08DEZ2024
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Mein Lieblingslied im Advent ist „Die Nacht ist vorgedrungen“. In seinen Worten und der Melodie kommt für mich beides zusammen: die Hoffnung und die Gewissheit, dass die düsteren Zeiten einmal enden und dass es Licht und Frieden wird.

Jochen Klepper hat es geschrieben. Auch in seiner Lebensgeschichte kommt beides zusammen. Große Liebe und große Tragik. Am kommenden Mittwoch ist es 82 Jahre her, dass Jochen Klepper mit seiner Frau und der Stieftochter ihr Leben beendete, am 11. Dezember 1942. Immer wieder hatte er verzweifelt und erfolglos versucht, für seine jüdische Frau und seine Tochter eine Ausreisemöglichkeit aus Deutschland zu organisieren. Am Ende sah der feinsinnige Theologe und Liederdichter keinen anderen Ausweg mehr.

Elf Jahre davor hatte er seine Hanni geheiratet, eine Witwe mit zwei Töchtern. Sie war eine Jüdin, die sich später taufen ließ. Er war bei der Hochzeit gerade mal 28 Jahre alt, seine Frau 41 Jahre. Für den Staat wurde er durch die Ehe mit einer jüdischen Frau untragbar. Er wurde als „wehrunwürdig“ aus der Armee entlassen. Man hat ihm mit Zwangsscheidung gedroht, die Deportation von Frau und Stieftochter stand unmittelbar bevor. In dieser tiefen Verzweiflung wussten sie keinen Ausweg mehr. Am 11. Dezember 1942 hat Jochen Klepper ein letztes Mal in sein Tagebuch geschrieben: „Wir sterben nun – ach, auch das steht bei Gott – wir gehen heute Nacht gemeinsam in den Tod. Über uns steht in den letzten Stunden das Bild des segnenden Christus, der um uns ringt. In dessen Anblick endet unser Leben.“

Mich berührt dieser tragische und stille Tod, der zum Himmel schreit. Jochen Klepper hatte die Hoffnung vor Augen – auch in den finstersten Zeiten. An seinem letzten Abend ist es das Bild des segnenden Christus. In seinem Adventslied ist es der Blick auf die Hoffnung, die selbst in den Nächten der menschlichen Schuld auf uns fällt.

Dort heißt es: „Noch manche Nacht wird fallen auf Menschenleid und Schuld. Doch wandert nun mit allen der Stern der Gotteshuld.“

Inmitten der Nacht, die ihn umgab, vertraute Jochen Klepper darauf, dass Gottes Licht ihn durch die Dunkelheit führen würde.

Genau diese Hoffnung findet sich auch beim Propheten Jesaja. In der Bibel finden sich seine wunderbaren Hoffnungsworte. Sie sind selbst ein Lichtstrahl in die dunklen Zeiten. Im 35. Kapitel schreibt Jesaja: „Stärkt die müden Hände und festigt die wankenden Knie! Sagt den verzagten Herzen: Seid stark, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott!“

Der Prophet Jesaja spricht zu Menschen, die erschöpft sind und deren Hoffnung verblasst ist. Ich habe in diesem Jahr viele Menschen getroffen, denen es so geht. So viele erleben Momente, in denen sich das Leben wie eine Wüste anfühlt – trocken, leer, ohne Perspektive. So viele fragen sich, wie es weitergehen wird. Ganz persönlich, in unserem Land und erst recht mit Blick auf das viele Leid in den Kriegs- und Krisengebieten. Aber Jesaja malt in seinen Worten in der Bibel eine Vision, die mein Herz anrührt: Ein Weg führt durch die Wüste, auf dem die Blinden wieder sehen, die Lahmen springen, die Stummen jubeln. Die Wüste beginnt zu blühen. Aber es ist nicht der Mensch, der die Wüste zum Blühen bringt. Gott selbst greift ein. Er kommt, um uns zu erlösen und unsere Herzen mit Freude zu erfüllen. Im Advent gehen wir auf Gott zu – und warten darauf, dass er uns nahekommt – wir ersehnen Jesus Christus, das Licht der Welt. Er ist der Stern, der uns Orientierung gibt und der die Dunkelheit erhellt. Dieser Weg beginnt oft klein und unscheinbar. Jesaja fordert uns auf, müde Hände zu stärken und verzagte Herzen aufzurichten. Dafür braucht es oft nicht viel. Es beginnt mit kleinen Zeichen der Ermutigung: ein Anruf bei der Freundin, die allein lebt, ein liebevolles Wort an den Kollegen, der gerade strauchelt, eine Umarmung für die, deren Tränen heimlich fließt.

Auch Jochen Klepper hat in der Dunkelheit Trost gefunden, weil er wusste: Gott ist da. Er hatte das Bild des segnenden Christus vor Augen. Das hat ihm die Kraft gegeben, von der Hoffnung zu singen, obwohl er selbst keinen Ausweg mehr sah. Sein Leben endete tragisch, aber seine Texte sind ein starkes und ermutigendes Zeugnis des Glaubens.

Jesaja verheißt uns: „Die Erlösten des Herrn werden wiederkommen und nach Zion gelangen mit Jauchzen; ewige Freude wird auf ihren Häuptern sein.“ Es ist ein Bild, das über unser eigenes Leben hinausweist. Gottes Weg führt uns in die Freude, in eine Welt, in der alle Tränen getrocknet werden.

Lassen wir uns in dieser Adventszeit von dieser Vision anstecken. Lassen wir uns vom Stern der Gotteshuld leiten, der uns durch alle Nacht hindurchführt. Und sagen wir uns und anderen: „Fürchtet euch nicht!“ Gott ist schon auf dem Weg zu uns.

Ich wünsche Ihnen einen gesegneten zweiten Advent!

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01DEZ2024
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Komm, Herr Jesus, sei unser Gast und segne, was Du uns bescheret hast“, so haben meine Eltern mit mir vor dem Essen am Küchentisch gebetet. So richtig verstanden habe ich das Gebet damals nicht, aber es gehörte einfach zum Essen dazu. Ich kannte diesen Jesus vom Religionsunterricht und von der Kirche. Mit dicken Buntstiften habe ich Bilder von ihm gemalt. Es waren für mich Geschichten aus der Vergangenheit, damals, vor 2000 Jahren. Dass er wirklich kommen könnte, darüber habe ich nicht groß nachgedacht.

Dieses Komm, Herr Jesus war für die Christen im ersten Jahrhundert ein ganz besonderes Gebet. Unerschütterlich glaubten sie, dass ihr Herr Jesus praktisch jeden Moment in Macht und Herrlichkeit wiederkommen könnte. Wie ein unerwarteter Gast. Komm, Herr Jesus. Das war ein Seufzer voller Sehnsucht und Hoffnung. Jesus würde es endlich richten. All der Brutalität und Zerstörung könnte er allein ein Ende setzen.  Denn die Zeiten waren alles andere als rosig. Das Land war von den Römern besetzt. Jerusalem war zerstört und lag in Schutt und Asche. Die vielen Kranken und Bettler auf der Straße zeigten, wie sehr das Land von Armut und sozialen Spannungen gezeichnet war. Inmitten all der Sorgen und Angst war ihr Gebet umso stärker: Komm, Herr Jesus.

Im Text aus der Bibel, der heute im katholischen Gottesdienst zum ersten Advent vorgelesen wird, berichtet der Evangelist Lukas wie erschüttert die Menschen damals waren. Mit drastischen Bildern beschreibt er eine Weltuntergangsstimmung, die einem Angst und Schrecken einjagt. Da tobt und donnert das Meer und die Sonne, der Mond und die Sterne werden erschüttert. Die Völker der Erde sind all dem hilflos ausgeliefert und vergehen vor Angst. Widersprüchlicher als mit solchen Texten kann man die Adventszeit nicht beginnen. Einerseits hören wir verstörende Schreckensbilder, andererseits soll doch jetzt eine Zeit der Stille beginnen. Eine Zeit der Besinnung und des Friedens. Eine Vorbereitungszeit auf die Geburt Jesu im Stall von Bethlehem.

 

MUSIK

 

Vielen Menschen geht es heute, am ersten Advent, ähnlich wie den Menschen zu Jesu Lebzeiten. Tagtäglich sehen wir Bilder der Zerstörung. Menschen mit Tränen in den Augen in den Nachrichten und Zeitungen. Irgendwo auf der Flucht. In Kellern und Bunkern, oder vor ihren zerbombten Häusern. Und auch uns hier in Europa geht es alles andere als gut. Ängste machen sich schon bei Kindern und Jugendlichen breit. Der Klimawandel kommt bis vor unsere Haustür. Fremdenhass ist wieder mittendrin in der Gesellschaft und die Gefahr eines Krieges beschäftigt uns. Gefühlt war es schon lange nicht mehr so dunkel in der Welt.

Kaum jemand betet heute noch Komm, Herr Jesus,sei unser Gast.

Und doch, so schrieb kürzlich der Publizist Heribert Prantl über diese letzten beiden Monate im Jahr: Es ist die Zeit der kleinen Lichter. Sie brennen auf den Gräbern an Allerheiligen, sie leuchten beim Martinszug, sie stecken dann auf dem Adventskranz und auf dem Weihnachtsbaum. Die kleinen Lichter stehen für die Hoffnung. Ihr Licht ist schwach und klein - aber es reicht wohl, um Ritzen im Gebäude der Geschichte kenntlich zu machen; es sind die Ritze, durch die Hoffnungsschimmer fallen. Das stimmt. Je länger und dunkler die Nächte werden, desto mehr Kerzen zünden wir an. Sie stehen dafür, etwas gegen die Dunkelheit zu tun. Davon erzählt auch ein Adventslied, das weder in der Bibel noch im Gesangbuch steht. Geschrieben hat es der jüdische Poet und Sänger Leonhard Cohen. Dass das Licht immer stärker ist als die Dunkelheit, daran lässt der Refrain seines Liedes keinen Zweifel, wenn er immer wieder singt: Da ist ein Riss, ein Riss in allem. Das ist der Spalt, durch den das Licht einfällt. Cohens Lied ist kein billiger Trost. Die Analyse der Zeit in seinem Liedtext ist geradezu nüchtern und niederschmetternd. Es beschreibt wie all die Kriege endlos weitergehen. Wie sich Gesetzlosigkeit Platz verschafft und wie Menschen, die töten ihre Gebete scheinheilig sprechen. Plärrend – so heißt es im Lied. In Cohens Lied heißt es aber auch an einer Stelle: Läute die Glocken, die noch läuten können. Es sind Glocken, die daran erinnern sollen, dass es da noch einen Riss gibt. Einen Spalt in allem, der dem Licht eine Chance gibt. Weil keine Finsternis so finster ist, dass nicht doch etwas Licht durchdringen könnte.

Komm, Herr Jesus, sei unser Gast. Das mir damals fremde Gebet am Küchentisch bleibt mir unvergessen. Jesus war da irgendwie auch noch da. Wie ein Gast. Unerwartet. Mitten im Alltag und seinen Zumutungen. Er hat dem Licht getraut. Seinem Vater im Himmel wie er sagte. Dort wo Jesus war, atmeten die Menschen auf. Hatten keine Angst. Fühlten sich wertgeschätzt.

Weihnachten ist vielleicht nur so ein kleiner Lichtblick. Ein Ritz. Ein Spalt. Ein kurzes Innehalten im Trubel der Welt. Und doch eine Ermutigung dem Licht zu trauen. Licht zu bringen. Dort wo Hass und Hetze sind. Dort wo Angst geschürt wird und Zukunftsängste sich breitmachen. Haben Sie ihre Adventskranzkerze schon angezündet? Wenn ich gleich die erste Kerze auf dem Kranz anzünde, dann möchte ich diesen kleinen Spalt nutzen, der sich damit auftut. Ich möchte dem Licht trauen.

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24NOV2024
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Der alte Mann saß auf seinem Sessel, als der Tod leise ins Zimmer trat. Ebenso leise schloss er die Tür hinter sich. Der alte Mann hatte nichts gehört. Er hatte die Augen geschlossen. Das Buch, in dem er gelesen hatte, lag umgekehrt auf seinen Beinen.

Eine ganze Weile stand der Tod vor dem alten Mann und schaute ihn an. Schließlich öffnete der alte Mann die Augen, rückte seine Brille zurecht und blickte dem Tod ins Gesicht.

„Heute habe ich dich nicht erwartet“, sagte er. Der Tod verzog die Lippen zu einem Lächeln. „Ich komme meistens unerwartet“, antwortete er. „Ja“, nickte der alte Mann. „Zu früh. Oder zu spät.“
„Manchmal darf ich noch nicht“, sagte der Tod. „Dann scheint es euch zu spät.“
„Meine Frau hat Jahre lang gelitten“, stellte der alte Mann fest. „Sie hat sich so sehr gewünscht, dass sie endlich gehen könnte.“
Der Tod sagte leise: „Und bei eurer Tochter war ich zu früh dran.“ – „Viel zu früh. Warum?“

Der Tod schwieg lange. Dann sagte er: „Ihr sagt manchmal: Die Zeit von jemandem ist um. Aber ich bin es nicht, der darüber bestimmt. Ich komme nur, wenn es soweit ist.“

„Nun, bei mir ist es noch nicht soweit“, bemerkte der alte Mann. „Meine Enkelin wird morgen zehn. Ich hab ihr einen Kuchen gebacken und will ihr ein Lied singen. Übermorgen – da können wir drüber reden. Sie hat ja keine Mutter mehr. Und sie hat keine Oma mehr, auch der andere Opa ist schon tot.“

Der Tod dachte eine Weile nach. „Du weißt, dass ich nicht selbst bestimme, wann ich jemanden hole“, sagte er schließlich.
„Das kommt mir entgegen“, meinte der alte Mann. „Also bestimme ich, dass du heute zu früh gekommen bist. Aber wo du einmal da bist: Nimm Platz, wir können es uns gemütlich machen. Ich habe einen guten Cognac, den ich gerne mit dir teile.“
„Danke“, sagte der Tod. „Das ist ein großzügiges Angebot. Leider trinke ich keinen Cognac. Auch sonst nichts.“

Aber er nahm den Platz an, den der alte Mann ihm angeboten hatte. Und nahm das Foto, dass der alte Mann ihm hinhielt.
„Ich weiß“, sagte der Tod. „Das ist deine Enkelin.“
„Du kennst sie? Das gefällt mir nicht.“
„Ich kenne euch alle“, antwortete der Tod. „Aber hab keine Angst, ich habe keinen Auftrag, zu ihr zu kommen.“
„Aber zu mir sollst du kommen?“, fragte der alte Mann. „Gut. Von mir aus. Aber nicht heute. Und auch nicht morgen.“
Der Tod stand auf. „Also gut“, sagte er. „Ich komme ein anderes Mal wieder.“
„Übermorgen?“
„Wer weiß“, antwortete der Tod. „Ich habe Zeit.“
Er ging hinaus und schloss leise die Tür hinter sich.

Ein paar Wochen später kam der Tod wieder beim alten Mann vorbei. Inzwischen war es Herbst geworden. Der alte Mann saß wieder auf seinem Sessel. Heute hatte er eine Wolldecke auf den Beinen. Die letzten Sonnenstrahlen des Spätnachmittags fielen durch das Fenster. Wieder lag ein Buch umgekehrt auf seinen Beinen. Wieder hatte er die Augen geschlossen.

Doch er öffnete sie sofort, als der Tod hereinkam.
„Ich habe dich erwartet. Vielleicht nicht heute. Aber irgendwann die Tage jetzt.“
„Und heute willst du nicht, dass ich wieder gehe?“, fragte der Tod.
„Heute bin ich bereit“, erwiderte der alte Mann. „Soweit man das überhaupt sein kann. Das Leben ist immer noch schön.“
„Du hattest eine schöne Feier bei deiner Enkelin“, sagte der Tod. „Ja“, sagte der alte Mann. „Wenn ich ganz ehrlich bin: Ich würde zu gerne sehen, wie sie groß wird.“
„Aber wenn es nun vorbei ist?“, fragte der Tod. „Heute?“
„Nun,“ sagte der alte Mann. „Sehen werde ich es doch vielleicht schon. Sie sieht nur nicht, dass ich es sehe. Aber vielleicht denkt sie ab und zu an ihren Opa.“

„Du hast keine Angst?“
„Ein bisschen traurig bin ich“, antwortete der alte Mann. „Sie wird mir fehlen. Aber ich habe versucht, ihr etwas da zu lassen.“
„Was?“, fragte der Tod.

„Gott hat uns Menschen die Ewigkeit ins Herz gelegt“, antwortete der alte Mann. „Aber viele haben keine Zeit, darüber nachzudenken. Ich hatte jetzt viel Zeit. Und habe die Ewigkeit fest in meinem Herzen gespürt. Ich habe versucht, sie das auch spüren zu lassen.“
„Davon verstehe ich nichts“, sagte der Tod.
„Das ist wie bei einem Geschenk“, erklärte der alte Mann. „Da kommt jemand und bringt etwas mit. Wenn man es auspackt, kann man sich darüber freuen. So hat Gott uns die Ewigkeit geschenkt.“

Der alte Mann schloss die Augen wieder. Der Tod beugte sich langsam über ihn und ergriff sanft seine Hand. Zusammen gingen sie hinaus. Der Tod schloss leise die Tür.

Als man am nächsten Tag den alten Mann tot in seinem Sessel fand, lag auf seinen Beinen eine aufgeschlagene Bibel. Dort stand: „Gott hat alles schön gemacht zu seiner Zeit, auch hat er die Ewigkeit in ihr Herz gelegt.“

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17NOV2024
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Es gibt Gedenktage, mit denen tue ich mich schwer. Auf den ersten Blick zumindest. Der Volkstrauertag heute ist so ein Tag. Das Volk trauert um die Toten der beiden Weltkriege. Meine Generation hat diese Kriege weder direkt noch indirekt miterlebt. Dafür habe ich mich in der Schule und später immer wieder damit beschäftigt. Ist es nicht irgendwann auch mal gut?

Ich habe in diesen Tagen ein Foto in die Hand bekommen. Es trägt den Titel: „Taxis zur Hölle – und zurück – in den Rachen des Todes“. Es zeigt ein Boot, das 1944 Soldaten der Alliierten in der Normandie absetzt. Die Männer springen ins Wasser und waten die letzten Meter durch die Wellen zum Strand. Sie werden beschossen und viele erreichen das Ufer nicht. Die Boote drehen derweil ab und holen weitere Soldaten, die zur „Schlachtbank des Krieges“ geführt werden – so wie „Taxis zur Hölle“.

Braucht es den Volkstrauertag? Die Landung der Alliierten in der Normandie ist dieses Jahr 80 Jahre her. Allein an diesem Tag, dem sogenannten „D-Day“ sind bis zu 15.000 Soldaten gefallen. Väter, Ehemänner, Söhne. Bis heute werden aus dem 2. Weltkrieg 1,3 Millionen Soldaten vermisst. Ja, es braucht den Volkstrauertag – allein um an all das zu erinnern und den Hinterbliebenen zu zeigen, dass ihr Leid nicht vergessen ist.

Aber da ist noch mehr: ich habe das Gefühl, Gewalt ist heute wieder salonfähig. Die Kriege in der Ukraine und in Israel sind nur die Spitze des Eisbergs. Es fängt bereits auf dem Schulhof an: wenn Schüler draufschlagen statt Dinge auszuhandeln; immer nach dem Motto: „Der andere hat angefangen.“ Und es zieht sich durch: Nachbarn köpfen sich ihre Gartenzwerge, weil der ewige Streit leichter auszuhalten ist als zu sagen: „Du, ich hab das nicht so gemeint.“ Fehler zuzugeben ist auch in der Politik schwer. Wer sagt: „Ich war auf dem Holzweg und muss den Kurs korrigieren“, wird in der Regel abgesägt. Und ich denke auch an den Fremdenhass, der immer mehr um sich greift: Viele tun sich schwer mit dem, was sie nicht kennen. Leider ist es leichter, auf Klischees zu hören und Menschen wegen ihrer Kultur oder Religion zu verurteilen, als sich ernsthaft mit ihnen zu beschäftigen und nachzufragen: „Was steckt dahinter, dass ihr das so oder so macht – und damit so ganz anders als wir?“

Braucht es den Volkstrauertag? Ich glaube: ja, unbedingt. Er erinnert nicht nur daran, wie viele Menschen damals gestorben sind und wie viele Familien gelitten haben. Erzählungen und Bilder wie die von den „Taxis zur Hölle“ zeigen, wohin es führt, wenn Gewalt ausufert. Sie fordern mich regelrecht dazu auf, Konflikte und Gewalt schon im Keim zu ersticken – indem ich zum Beispiel nicht nur auf mein Recht poche, Fehler eingestehe oder mich ehrlich auf andere einlasse, die anders sind als ich.

 

Frieden – mehr noch: „Schalom“

Heute ist Volkstrauertag. In meinen Sonntagsgedanken habe ich überlegt, welche Rolle dieser Gedenktag 80 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg noch spielt. Mir zeigt er, wie Gewalt eskalieren kann, und er fordert mich heraus, schon im Kleinen etwas dagegen zu tun.

Streit und Gewalt, Krieg und Terror haben aber meist ganz konkrete Ursachen, die über das Klein-Klein hinausgehen. Friedlich zu sein und Frieden zu halten ist leicht möglich, wenn man zufrieden ist. Wer ausgenutzt oder verfolgt wird, will doch gerecht behandelt werden. Wer Hunger hat und nicht weiß, wovon er leben soll, sehnt sich nach einem besseren Leben. Das schlägt sich dann oft in Gewalt nieder: die Piraten vor Somalia greifen westliche Schiffe nicht aus Spaß an; in Israel fühlen sich Menschen bevormundet; und in Syrien kriselt es, weil sich Menschen betrogen und unterdrückt fühlen.

Ich will in keiner Weise Gewalt und Terror rechtfertigen! Aber wenn ich am Volkstrauertag an Kriege erinnere, muss ich mir auch überlegen, wie sie zustande kommen: Sie entstehen oft, wo Menschen unzufrieden sind. Und genau dort muss man ansetzen, um Frieden zu schaffen!

Das alte Judentum weiß das schon lange – obwohl oder gerade weil das alte Israel oft in Konflikte verstrickt war. Die jüdischen Texte der Bibel verwenden das Wort „Schalom“ für „Frieden“. Das deutsche „Frieden“ hängt mit „Einfriedung“ zusammen. Da schwingt mit, die Grenzen zu halten und sich abzugrenzen; auf dass mir keiner in die Quere komme. „Schalom“ hingegen ist mit dem hebräischen Wort „Vollkommenheit“ verwandt. Mitgedacht werden diejenigen, die hinter der Einfriedung leben. Friede hat also etwas mit einem heilen Zustand zu tun, der möglichst alle umfasst. Alle sollen zufrieden sein und bekommen, was sie brauchen, sie sollen aufeinander zugehen und überwinden, was zwischen ihnen steht.

Das ist ein echt schöner Gedanke, den die jüdischen Autoritäten heute und ihre Widersacher scheinbar schon fast vergessen haben. Die Propheten aus der Bibel wissen aber auch, dass „Schalom“ ein Ideal ist, das auf Erden kaum erreicht werden kann. Und doch werden sie nicht müde, Gerechtigkeit einzufordern, sich für die Menschen einzusetzen und immer wieder den Finger in die Wunde zu legen. Der Prophet Amos ist so einer. Er prangert an, dass die Reichen auf Kosten der Armen leben. Sie nutzen Menschen aus, um immer noch reicher zu werden.

Und was kann ich tun für den Schalom, also dafür, dass Menschen weltweit zufriedener sind? Die Antwort frustriert mich etwas, denn mir fallen nur die üblichen Dinge ein: faire Preise bezahlen und nachhaltig leben, Hilfsorganisationen unterstützen und Partei für die Schwachen ergreifen.

Aber kann ich damit wirklich etwas ausrichten? Ich sehe es ähnlich wie die Propheten: Für einen echten umfassenden Frieden müssten alle Menschen zusammenhalten und umdenken. Das wird nicht passieren. Und doch will ich dranbleiben – wie sie damals. Und ich will meine Hoffnung auf Frieden Gott anvertrauen; gerade heute am Volkstrauertag: „Herr, ich kann nicht mehr tun, als mein Bestes geben. Ich lege es in deine Hände. Verwandle du meine und alle unsere kleinen Schritte in Segen, damit Frieden wachsen kann – ein echter Schalom.“

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10NOV2024
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Gerade jetzt, wenn die Tage immer kürzer werden, genieße ich jede einzelne Sonnenstunde. Jeden Morgen hoffe ich inständig, dass der Nebel sich verflüchtigt und etwas vom Gold des Herbstes in meinen Alltag leuchtet. Und ich brauche auch noch ein anderes Licht. Ein Hoffnungslicht. Denn dunkel sind nicht nur die Tage, selbst hier bei uns bangen viele um ihren Arbeitsplatz. Da schrumpft die Zuversicht. Ich brauche Hoffnungsbilder!

Heute, am Sonntag, ohne den Alltagsstress geht das leichter. Da sind die Gedanken freier. Frei, um nicht nur die eigenen Grenzen, sondern auch die Möglichkeiten Gottes wahrzunehmen. Oft genügt ein kleiner, heller Punkt am Horizont, um die eigene Hilflosigkeit zu überwinden, ein Licht, an dem ich mich neu ausrichten kann.

Bei mir sind es oft bestimmte Bibelworte. Sie beschreiben zum Beispiel, wie Gott Gerechtigkeit und Frieden, ja himmlische Zustände herbeiführen wird. Ein solches Wort von Gottes Hilfe hat der Prophet Micha vor 2800 Jahren formuliert. Es ist ein ganz wirkungsvolles Bild, und auch bei mir setzt es Hoffnung frei, – obwohl die Umstände heute ganz andere sind.

Micha sagt: Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen machen und ihre Spieße zu Sicheln. Es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen. 

Ein wunderbares Bild von einer Friedenszeit! Ich sehe den Schmied vor mir, wie er mit kräftigen Schlägen das glühende Eisen formt und Schwerter zu Pflugscharen macht… Wie die Leute aufhören, sich gegenseitig umzubringen und stattdessen gemeinsam das Feld bestellen …

Andererseits frage ich mich: ist das nicht naiv, angesichts der vielen gegenwärtigen Konflikte, einfach unrealistisch, was Micha da vor sich sieht?  Wie soll das Wirklichkeit werden? Es passiert doch eher das Gegenteil: Die Kriegsmaschinerie wird aufgebläht; es wird in Rüstung investiert.

Auch Micha hatte diesen Sätzen harte Kritik an den damaligen Zuständen vorangestellt und nichts beschönigt. Micha war Realist. Er meinte also nicht, dass es ab sofort keine Konflikte und keinen Krieg mehr gibt, und schon gar nicht, dass Menschen diese Konflikte und andere Probleme einfach im Handumdrehen lösen könnten.

Nein, so nicht. Das Bild vom Schmied, der aus Schwertern Pflugscharen macht, ist eher eine Vision, die von der Zukunft her denkt. Vom Ziel, das Gott mit der Welt vorhat. Ein Zukunftsbild, das Gottes Willen ernst nimmt, ihn einbezieht. Es ist die Hoffnung, die sehnsüchtig darauf wartet, dass Gott etwas tun und die Dinge wenden wird. Micha glaubt daran. Er ist überzeugt, dass Gott die Dinge heilt. Und von diesem Bild, dass Gott tatsächlich einschreitet, von diesem Ende der Entwicklung her, strömt neue Kraft und Hoffnung in die Gegenwart hinein.

Ich habe gelernt, dass man ein Problem am besten lösen kann, wenn man es von seinem Ziel her betrachtet. Wenn ich klar vor Augen habe, wie das gute Ende aussehen soll, dann kann ich auch die schwierigen Schritte dorthin durchdenken. Viele Dinge scheitern, wenn man wie fixiert auf die Schwierigkeiten starrt, die sich bis zu einer Lösung vor einem auftürmen oder sich im Kleinklein der Problemlösungen verzettelt. Wenn das Ziel aber klar ist, dann kann jeder leichter darauf zugehen.

Diese Sätze habe ich in einem Vortrag gehört. Eigentlich ging es um große Bauvorhaben mit vielen Beteiligten. Und wie man Architekten, die vielen Handwerker, aber auch Bauherren und Planer besser untereinander zu Abstimmungen bringt. Gerade bei schwierigen Vorhaben haben die Projektentwickler die Erfahrung gemacht, dass nicht jeder Beteiligte nur seine Aufgabe und seine Interessen verfolgen sollte, sondern immer auch das große Ganze im Blick behält, alle miteinander ein gemeinsames Zielbild vor Augen haben. So kommt man schneller und besser ans Ziel.

Und ich habe mich gefragt: Ist es mit dem Glauben an Gott nicht ganz ähnlich? Wenn ich mich allein in meine Zweifel und Anfragen vergrabe, dann werden sie oft immer größer. Aber wenn ich mich mit anderen darüber austausche, wenn ich von meinen eigenen Erfahrungen und Hoffnungen berichte, auch einfach mal zuhöre, die Worte auf mich wirken lasse, dann kommt etwas in Gang. Bei mir selbst und bei anderen. Miteinander die Hoffnungsbilder teilen, miteinander vertrauen, sich inspirieren lassen und dann auch mutige Schritte tun, da kommt etwas in Bewegung.

Ich habe schon oft gestaunt, was in Gesprächen über den Glauben alles passiert ist oder in ganz normalen Gottesdiensten. Plötzlich fühle ich mich angesprochen und bin berührt. Oder ich erkenne, wie Gott schon längst am Wirken ist und Neues schafft.

Auch Frieden! In Familien! Zwischen Völkern und Ländern. Auch wichtige Fragen in unserer Gesellschaft, in unserer Welt, die sonst kaum lösbar sind, können neu gesehen, durch Beten und entschlossenes, positives Handeln vorangebracht werden. Und manches löst sich sogar wie durch ein Wunder. Weil Gott wirkt.

Neue Hoffnung wünsche ich Ihnen heute am Sonntagmorgen, und von Herzen Gottes Segen.

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03NOV2024
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Das Wichtigste auf der Welt, die oberste Priorität. Was ist das bloß? Ich konzentriere mich hier einmal auf den Bereich des Glaubens. Also auf die Frage: Was ist das Wichtigste, wenn jemand an Gott glaubt. Das herauszufinden, da könnte einem ganz schön viel in den Sinn kommen. Der Papst, wenn man katholisch ist. Oder Martin Luther für Protestanten. Aber das ist natürlich Quatsch und reicht noch längst nicht, wenn es um das Allerallerwichtigste geht. Die Bibel, weil es die Heilige Schrift ist, und dort vielleicht die Zehn Gebote im Alten Testament oder die Bergpredigt im Neuen. Womöglich kommt man mit dieser Antwort der Sache schon näher. Als Jesus einmal direkt danach gefragt wurde, hat er das Folgende gesagt: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit deinem ganzen Denken und mit deiner ganzen Kraft. Und: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst[1].

Jesus macht es also ziemlich konkret und verständlich, wenn er sagt: Es geht vor allem anderen immer und zuerst um die Liebe. Das ist, finde ich, eine großartige Antwort, der ich sofort hundertprozentig zustimme. Sie ist aber auch schwierig, weil die Liebe etwas so Großes ist, und oft von ihr gesprochen wird, ohne dann genau zu wissen, was eigentlich damit gemeint ist. Liebe: Das können große Gefühle sein. Es kann bedeuten, dass ein Mensch sich einem anderen völlig hingibt, alles um sich herum vergisst. Dann aber besteht auch die Gefahr, dass Liebe blind macht und einen vergessen lässt, wie schlicht die Wirklichkeit ist und wie heftig es oft auf unserer Welt zugeht. Es sind schon schlimme Dinge passiert, und nachher hat einer gesagt, er habe es aus Liebe getan. Gerade wenn’s um Religion geht, wird das Reden über die Liebe gern missbraucht für egoistische Interessen.

Trotzdem halte ich hier einmal fest: Für Jesus ist die Liebe das Größte, das Wichtigste von allem. Eben auch in Glaubensdingen, auch wenn es darum geht zu sagen, was Gott von uns erwartet. Es geht, sagt Jesus, um die Liebe zu Gott und um die Liebe zum Nächsten, also zu dem Menschen, der mir eben gerade nahesteht. Den soll ich lieben.

Was damit konkret gemeint ist, davon gleich mehr nach einer kurzen musikalischen Denkpause.

 

INSTRUMENTALES ZWISCHENSPIEL

 

In den SWR4-Sonntagsgedanken geht es heute darum herauszufinden, was das Wichtigste von allem ist. Das Zwischenergebnis lautet: Das Größte ist die Liebe. Aber wie muss ich die Liebe verstehen und dann auch leben, damit sie tatsächlich das Wichtigste wird?

Von Franz von Assisi wird berichtet, er sei ein liebenswerter und liebevoller Mensch gewesen. Die Tiere und Pflanzen hat er als Mit-Geschöpfe des Menschen angesehen. Anderen Menschen ist er mit fast grenzenlosem Vertrauen begegnet. Der englische Schriftsteller Gilbert Chesterton hat sich intensiv mit Franziskus beschäftigt. Er kommt zu dem Ergebnis, dass Franz bei aller Liebe nicht naiv oder blauäugig war. Wörtlich schreibt Chesterton: „Er (also Franz) ehrte alle Menschen und das besagt, dass er sie nicht nur liebte, sondern auch alle achtete.[2]“ Zu einer Liebe, die wirklich groß sein will, größer als alles andere, gehört also, dass man den Menschen achtet, den man liebt. Was für mich so viel bedeutet wie, dass man ihm Respekt erweist. Und damit seine Freiheit akzeptiert, ihn also nicht in eine bestimmte Richtung zwingen will, schon gar nicht, so zu werden wie man selbst.

Achtung – Respekt – Freiheit. Das sind die Spielregeln für wahre Liebe. Sie gelten in der Liebe zu Gott und zum Nächsten. Ich versuche sie nun möglichst konkret zu machen, damit am Ende wirklich deutlich wird: Solche Liebe ist das Größte, das Wichtigste.

Jemanden zu achten, weil man ihn liebt, bedeutet: Ich traue dem anderen etwas zu, mindestens so viel, wie ich mir selbst zutraue, am besten aber mehr. Ich nehme ernst, wenn er eine andere Meinung hat und lasse diese gelten. Ich sehe in ihm etwas Einmaliges.

Jemanden zu respektieren, weil man ihn liebt, bedeutet: Ich komme niemals auf die Idee, mich für etwas Besseres zu halten, mich über den zu stellen, den ich liebe. Ich lasse mir von ihm etwas sagen, mich korrigieren und nehme Kritik dankend an. Und ich lasse ihn spüren, wie sehr ich ihn schätze und zeige das auch unübersehbar.

Jemanden als frei zu betrachten, weil man ihn liebt, bedeutet schließlich: Ich darf nie Zwang ausüben, nie versuchen, den anderen mit Gewalt zu etwas drängen oder ihn für meine Interessen zu vereinnahmen. Wo Macht ins Spiel kommt, die immer Recht haben will, hat die Liebe keine Chance.

Jesus hält die Liebe für das Wichtigste von allem – überall und für alles.

 

[1] Markus 12,30f.

[2] G.C. Chesterton, Der heilige Franziskus von Assisi, 1923, 93.

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Gibt es etwas, das Ihnen wichtig ist, von dem sie sogar sagen würden: „Das ist mir heilig.“? Die Familie vielleicht, Menschen, die Sie lieben oder die wichtig für Sie sind oder auch etwas, das Sie leidenschaftlich gerne tun?

Einer Freundin von mir ist ihre Musik heilig. Sie spielt wunderschön Klavier, und ich kann sie mir gar nicht ohne ihren Chor und ihre Leidenschaft fürs Singen vorstellen. Nach einem Konzert strahlt sie übers ganze Gesicht, und wenn es ihr im Alltag zu viel wird, dann zieht sie sich für eine Weile ans Klavier zurück. Das sind ihre heiligen Momente. Sie tun  ihr gut.

Musik ist ihr heilig – und macht sie auf eine gewisse Weise wieder „heil“. Für mich ist dieser Zusammenhang heute, am Festtag „Allerheiligen“, eine ganz wichtige Spur, um dem „Heiligen“ nahe zu kommen und um zu verstehen, was das überhaupt ist. Ist vielleicht das heilig, was meine menschliche Seele heil macht? Wenn Gottes Liebe mich berührt, seine Heiligkeit?

Ich denke, da ist was dran – auch, wenn ich mich im landläufigen Sinn absolut nicht für eine Heilige halte - mit meinen Fehlern, Ecken und Kanten. Aber wenn ich spüre, dass meine Seele wund ist – eben weil ich etwas falsch gemacht habe, mich meine Sorgen plagen oder ich einfach sehe, wie schlimm es zugeht auf der Welt… Wenn ich spüre, dass meine Seele wund ist, dann schenkt mir Gott manchmal seine Berührung – und ich werde ein bisschen heil.

Für meine Freundin passiert das in ihrer geliebten Musik. Und manchmal, wenn ich ihr beim Klavierspielen zuhöre, nimmt sie mich mit in ihren heiligen Raum. Beide kommen wir dann ein wenig zur Ruhe – in dem ganzen Trubel unserer Tage.

Ja, heilig, das hat für mich etwas mit Heilen und Heilwerden zu tun. Genau dann, wenn meine Seele von etwas berührt wird, was mich aufatmen lässt – und den Blick lenkt über den Horizont hinaus.

Ich denke, das trifft auch auf die „offiziellen“ Heiligen zu, an die heute, an Allerheiligen in vielen katholischen Gottesdienten erinnert wird. Warum ich das denke, und warum Heilige auch für evangelische Christen etwas sind, davon mehr nach etwas Musik.

Heute ist das katholische Fest „Allerheiligen“. In vielen Gottesdienten wird an Heilige erinnert, wie zum Beispiel Sankt Martin, oder an die weniger bekannten wie Bonifatius oder die heilige Edith Stein.  Es geht aber auch um alle, die vielleicht nicht berühmt geworden sind für ihren mutigen Glauben, und die auf besonderer Weise heilig gelebt haben – aber im Verborgenen.

Ich habe mich oft gefragt, woher diese Menschen die Kraft hatten, so entschieden für ihren Glauben an Gott und Jesus Christus einzutreten. Mutter Theresa zum Beispiel. Sie war eine englische Ordensfrau, die im letzten Jahrhundert ihre ganze Kraft eingesetzt hat, um den Menschen in den Elendsvierteln von Kalkutta in Indien zu helfen. Auch Mutter Theresa hatte natürlich ihre Schwächen und Fehler, und man hat ihre Arbeit auch kritisiert – aber ich bewundere ihren Einsatz. Und denke: Das eigene Leben anderen zu widmen, das geht eigentlich nur, wenn die Seele heil ist. Oder besser: Wenn sie berührt ist von etwas Heiligem, das den eigenen Horizont weit werden lässt. Das Heilige spüren, ein wenig Frieden finden im Vertrauen darauf, dass Gott das Leben trägt.

Und auch, wenn ich keine Heilige bin – dieses Geschenk erlebe ich auch immer wieder: Wenn ich meiner guten Freundin zuhöre, wenn sie Klavier spielt. Oder wenn ich überhaupt Musik höre oder sogar selbst singe.

Musik ist mir heilig, würde ich sagen. Meiner Freundin auch. Ihnen geht es mit etwas anderem im Leben vielleicht ähnlich? Mir öffnet auch ein Gebet aus der Bibel, Psalm 36, manchmal die Tür zum Heiligen. Manchmal sehe ich über mein alltägliches Leben hinaus wenn ich spreche:

HERR, deine Güte reicht, so weit der Himmel ist, und deine Wahrheit, so weit die Wolken gehen.  Deine Gerechtigkeit steht wie die Berge Gottes / und dein Recht wie die große Tiefe. HERR, du hilfst Menschen und Tieren. Wie köstlich ist deine Güte, Gott, dass Menschenkinder unter dem Schatten deiner Flügel Zuflucht haben! Sie werden satt von den reichen Gütern deines Hauses, und du tränkst sie mit Wonne wie mit einem Strom. Denn bei dir ist die Quelle des Lebens, und in deinem Lichte sehen wir das Licht.

Einen gesegneten Feiertag wünscht Ihnen Ihre Barbara Wurz aus Stuttgart

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27OKT2024
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Es ist ein normaler Sonntagmorgen. Ich sitze in der Kirche, und der Gottesdienst beginnt vorerst ganz normal. Der Pfarrer kommt mit den Ministranten herein, die Orgel beginnt zu spielen, alle in der Kirche stehen auf und singen gemeinsam inbrünstig das erste Lied. Dann, nach dem Kreuzzeichen, stelle ich mich darauf ein, dass der Pfarrer uns erzählen wird, worum es heute geht. Aber genau das tut er nicht. Er sagt, zuerst sollen wir uns zwei oder drei Minuten Zeit nehmen und den Leuten um uns herum einen „Guten Morgen“ wünschen, ihnen zulächeln und uns kurz vorzustellten. Im ersten Moment bin ich ein bisschen ratlos, weil ich nicht darauf eingestellt bin, aktiv werden zu müssen. Trotzdem. Ich schaue nach rechts und dort strahlt mich schon eine ältere Dame an, grüßt mich und erzählt mir, wer sie ist. Für kurze Zeit entsteht ein großes Stimmengewirr in der ganzen Kirche, so, dass der Pfarrer die Gespräche nach ein paar Minuten sogar unterbrechen muss, weil sich viele auf Anhieb so gut unterhalten haben. Es ist eine wunderbar ungezwungene Atmosphäre entstanden. Was mir auffällt: Ich bin alleine in diesen Gottesdienst gekommen und trotz all der Menschen um mich herum auch ziemlich alleine dort gesessen. Und plötzlich fühle ich mich gesehen und sehe auch die anderen. Zumindest die um mich herum. Und das alles nur durch zwei Minuten Lächeln, ein „Guten Morgen“ und drei Infos, wer man ist. Der Pfarrer hat das mit Absicht gemacht, wie ich später verstehe. Denn im heutigen Sonntagevangelium sitzt Bartimäus auch ziemlich alleine da. Am Straßenrand und Jesus geht vorbei. Bartimäus ist ein Bettler. Außerdem ist er blind. Niemand beachtet ihn in dem ganzen Pulk von Menschen, die Jesus begleiten oder extra gekommen sind, weil sie etwas von ihm wollen. Aber Bartimäus möchte sich nicht damit abfinden, ignoriert zu werden, am Rand zu sitzen. Er fängt an rumzuschreien: „Sohn Davids, Jesus, hab Erbarmen mit mir.“ Natürlich passt so ein Schreihals nicht allen. Manche schreien zurück: Sei still. Das bringt ihn aber nur dazu, noch lauter zu schreien und Jesus hört ihn und ruft ihn her, redet mit ihm und heilt ihn. Meist scheint die Heilung das Entscheidende in so einem Evangelium zu sein, aber ich bin mir nicht sicher, ob das hier stimmt. Genauso wichtig scheint mir, dass dieser Bartimäus, der am Rand sitzt, den niemand beachtet, auf einmal beachtet wird. Natürlich, weil er sich wehrt. Das ist für mich das erste Wunder, dass der, der nicht sehen kann, gesehen wird. Der alleine und einsam war, gerufen wird und nicht alleine bleibt. - In den SWR4-Sonntagsgedanken spreche ich heute von Bartimäus, einem Mann aus der Bibel, der blind und ein Außenseiter ist. Als Jesus ihn beachtet und
anschaut, wird er heil. Wie viele Menschen gibt es in meiner Umgebung, die sich einsam und nicht beachtet fühlen? Vor vielen Jahren hat sich der Papa einer Freundin von mir versucht umzubringen. Ein paar Wochen später habe ich sie getroffen und ich war mir unsicher, was ich zu ihr sagen darf. Ob es überhaupt ok ist, darüber zu reden. Ich dachte dann: „Wenn sie nicht darüber reden will, wird sie es sagen.“ Deshalb habe ich vorsichtig zu ihr gesagt: „Darf ich fragen: Wie geht’s Deinem Papa und wie geht’s Euch?“ Sie hat mich kurz mit müden Augen angeschaut, aber auch ein leichtes Lächeln war auf ihren Lippen zu sehen und sie sagte: „Ja, du darfst fragen. Endlich fragt mal einer.“ Wir haben eine Weile gesprochen, und ich hab festgestellt, dass es meinen anderen Freunden genauso ging, wie mir. Sie waren unsicher, etwas zu sagen. Mit dem Ergebnis: Unsere Freundin hat sich noch einsamer gefühlt. Alle haben es gewusst, aber niemand hat etwas gesagt. Ihre Situation ist dadurch noch dunkler geworden. Wenn etwas Schlimmes geschieht, schaffen es die meisten Menschen nicht wie Bartimäus im heutigen Evangelium sich laut zu Wort zu melden. Aber wenn sie niemand ansieht und anspricht, bleiben sie allein. Doch, wenn sie gesehen und angesprochen werden, geschieht etwas Wunderbares. Das Gespräch mit meiner Freundin hat uns beiden gutgetan. Mir hat es meine Unsicherheit genommen und für sie war es gut, mal mit jemandem darüber zu reden zu können. Klar, ihre Ausgangssituation ist dadurch nicht einfacher geworden, aber ich weiß aus eigener Erfahrung: Es hilft, mit den eigenen Sorgen nicht allein zu sein. Zu wissen: Da sieht mich jemand und weiß um mich und meine Situation. Und es tut so gut zu wissen: Wenn es mir nicht gut geht, gibt es jemanden, zu dem ich gehen kann. Darum will ich nicht, dass es in meiner Umgebung Menschen gibt, wie Bartimäus, die am Rand sitzen und die nicht gesehen werden. Und deshalb habe ich mir fest vorgenommen so oft wie möglich Menschen, denen ich begegne ins Gesicht zu blicken, sie anzulächeln und einen „Guten Tag“ zu wünschen. Erst recht, wenn ich sehe, dass ihnen was fehlt, dass sie es nötig brauchen: So angeschaut, so beachtet zu werden!

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20OKT2024
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„Wenn du mit Jesus redest, dann ist das okay. Aber wenn Jesus mit dir redet, dann bist du ein Fall für den Psychiater“. So habe ich es letztens auf einer Tagung gehört, und alle haben gelacht. Aber ist es wirklich so schräg, wenn Menschen mit Jesus reden? Ist das Gebet nicht auch eine Form von Reden und Hören?

Es stimmt schon, Menschen, die Stimmen hören, sind irgendwie verdächtig. „Die ham doch einen an der Waffel“, denkt man da doch unwillkürlich. Und es gab schon so manche Sektenführer, die angeblich die Stimme Gottes gehört und dann Menschen mit sich in den Tod gerissen haben.

Auf der anderen Seite erzählen mir Menschen, dass sie übernatürliche Erfahrungen machen: In einer Studie habe ich gelesen, dass 80 Prozent aller Menschen bereits übernatürliche Erfahrungen gesammelt haben. Sei es ein Traum in der Nacht, eine Erscheinung beim Wandern in der Natur, ein wohliges Umhülltsein beim Besuch einer Kirche oder auch ein besonderer Satz einer Freundin mitten im Gespräch.

Als Christ glaube ich, dass Gott mit uns kommunizieren will, dass er den Kontakt mit uns Menschen sucht. Als er seinen Sohn Jesus Christus in die Welt geschickt hat, hat er Kontakt zu uns Menschen aufgenommen. Kurz bevor Jesus dann starb, versprach er, einen „Tröster“ zuschicken: den Heiligen Geist. Der soll den Kontakt zu uns Menschen auch weiterhin halten.

Aber wie macht er das? Viele Jahre gab es für mich darauf nur eine Antwort: Durch die Bibel. Gott redet durch die Bibel. Über meinem Schreibtisch hängt der Spruch: „Behaupte nicht, Gott redet nicht mit dir, wenn deine Bibel geschlossen ist.“ Die Beschäftigung mit der Bibel führt oft zu erstaunlichen Erkenntnissen. Denn Gott redet durch die Bibel zu meinen Verstand.

Dann habe ich entdeckt, dass er auch über mein Gefühl und über meine Sinne mit mir redet. Zum Beispiel in der Musik. Ich mache selbst gerne Musik, weil Musik mich sehr berührt. Genau an dieser Stelle hat mich Gott erreicht: In meinem Gefühl. Es gibt Lieder, die mich zu Tränen rühren, unbändige Freude in mir auslösen oder tiefe Hoffnung und Zuversicht gegeben. Darum habe ich angefangen, in einer Band mit anderen Musik zu machen und Gott zu loben und zu danken.

Andere Menschen erleben Gott in der Natur. Beim Wandern in den Bergen, am Strand bei einem Sonnenuntergang. Gott redet zu mir über meinen Verstand, meine Gefühle und Sinne.

Ich glaube, dass es eine weitere Art und Weise gibt, in der Gott zu uns Menschen spricht. Manchmal möchte ich geradezu sagen: Ich höre seine Stimme.

 

Es gibt verschiedene Weisen, in denen Menschen Gott begegnen können. Vor ein paar Jahren, 2011, habe ich die Erfahrung gemacht, dass ich seine Stimme auch hören kann.

Damals war ich als Pastor in einer schweren, beruflichen Krise. Ich wusste nicht mehr weiter, hatte kein Ziel mehr und schon gar keine Hoffnung.

In dieser Phase habe ich mich erinnert, wie ich mir als Kind vorgestellt habe, dass Jesus mein Freund ist. Genauso wie andere Freunde auch. Und so habe ich damals mit ihm gesprochen.

Aber ob das heute auch so funktioniert? Ich habe es ausprobiert. Habe mich an meinen Esszimmertisch gesetzt und mir vorgestellt, dass Jesus mir gegenübersitzt, wie ein guter Freund.

Dann habe ich gebetet: „Jesus, wenn du mir etwas zu sagen hast, ich hör dir jetzt zu.“ Danach habe ich geschwiegen. Eine ganze Zeit lang. Am nächsten Tag habe ich mich wieder hingesetzt. Drei Tage lang.

Plötzlich war es wie eine innere Stimme, dir mir sagte: „Ruf die Person mal an, “ „schreib der mal eine E-Mail“, oder: „mach da mal einen Besuch.“ Das habe ich dann auch getan. Und staunend festgestellt: das war genau das, was diese Menschen jetzt gebraucht haben. Ich war fasziniert, wie konkret Gott mich hier geleitet hat.

Sicher, da war nichts akustisch messbar. Aber doch würde ich sagen, ich habe seine Stimme gehört. Es sind kleine Gedankenimpulse, die auf einmal in meinem Kopf entstanden sind. Ich nenne das das Reden des Heiligen Geists mit meinem Geist.

Aber woher weiß ich, dass es wirklich Gott ist, der zu mir spricht? Könnte doch sein ein, dass ich mir das alles nur einbilde...

Zwei Dinge helfen mir zu unterscheiden: Einmal die Heilige Schrift, die Bibel. Wenn ich in der Bibel lese, bekomme ich ein Gefühl für die Stimme Gottes, was er sagen würde.

Die andere Unterscheidungshilfe ist mein gesunder Menschenverstand, die Vernunft: Wenn es guttut, fördert und Menschen aufblühen lässt, dann ist es wahrscheinlich von Gott.

Wenn ich Gott hören will, dann braucht es meine innere Offenheit und – manchmal viel Geduld, wenn er nicht gleich antwortet. Oft ist seine Stimme auch nicht so laut wie viele andere Stimmen und dann habe ich mich schon gefragt: „War das wirklich Gott?“

Da hilft nur ausprobieren und einfach mal machen: Anrufen, eine Mail schreiben oder eben einen Besuch machen. Am besten gleich. Wenn es von Gott ist, macht er Segen draus.

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Leben umbauen

Das Leben ist doch ganz einfach. Zumindest wenn ich den meisten Ratgeber und Umfragen Glauben schenke. Ein ordentliches Einkommen, ein Dach über dem Kopf, Familie. Das reicht. Vielleicht auch noch Gesundheit und ein paar Tage Urlaub. Das Problem dabei: Auch wer all das hat, kann unglücklich sein. Irgendwas scheint da also noch zu fehlen.

Das spürt auch ein junger Mann in einer biblischen Geschichte. Der kommt nämlich zu Jesus, so wird erzählt. Und der Mann macht alles richtig. Er hat Geld. Verhält sich tadellos. Tötet nicht, stiehlt nicht, lügt nicht, geht mit seinen Eltern gut um. Und doch: Glücklich macht ihn das nicht. Irgendwas fehlt. Und so fragt er: Was soll ich tun, dass ich auf ewig glücklich bin? Die Antwort ist radikal. Verkauf alles, sagt Jesus, gib es denen, die es nötig haben. Und folge mir nach.

Jesus fordert in der Geschichte eine 180-Grad-Wendung. Krempel dein Leben um, sagt er. Die Richtung, in die du läufst, die ist die falsche. Da hilft nur eins: Sich umdrehen, anders werden.

Eine ganz schöne Zumutung. Ich finde es schon schwierig, weniger Süßigkeiten zu essen. Obwohl ich weiß, dass zu viel Zucker ungesund ist. Trotzdem landet beim Einkauf immer irgendwie Schokolade oder Lakritz im Einkaufswagen. Das ganze Leben umkrempeln ist da nochmal eine ganz andere Hausnummer.

Allerdings: In der Geschichte geht es nicht einfach darum, arm zu werden, sondern sein Leben auf eine besondere Art und Weise umzukrempeln. Auf die Jesus-Art. Dazu gehört vor allem der Kontakt mit anderen Menschen. Jesus ist ziemlich gut darin, Beziehungen aufzubauen. Ganz egal zu wem. Fischer, Soldaten, Kranke, Reiche und Arme, sogar Tote, und immer wieder: Menschen, die am Rand der Gesellschaft stehen. In diesen Begegnungen macht Jesus klar: Ich mag dich. Ich hör dir zu. Ich setz mich mit dir an einen Tisch. Und dann merken die Menschen: Das macht mich gesund. Macht mich zufrieden. Gibt mir Sinn. Leben auf die Jesus-Art, das heißt: Sich mit anderen Menschen verbinden. Beziehungen lebendig halten. Jesus macht klar: Geld und Ressourcen und Wahlmöglichkeiten – das ist zu wenig für ein rundum gelungenes Leben. Es ist nötig, dem wirklich nahe zu kommen, was lebendig ist und macht: Andere Menschen.

 

 

Glück finden

Das eigene Leben leben. Das ist eine ganz schöne Herausforderung. Und dann auch noch so zu leben, dass man glücklich ist. Eine noch größere Herausforderung. Darum geht es heute in den Sonntagsgedanken in SWR 4.

Wie finde ich Glück? Auf die Frage gibts viele Antworten. Eine lautet: Halt dich an ein paar grundlegende Regeln. Das Leben achten, niemandem Schaden zufügen, die Wahrheit sagen, Beziehungen respektieren, mit deiner Familie gut umgehen. Dann wirst du glücklich.

In allen großen Religionen gibt’s solche Anleitungen zum Glücklich-Werden. In Judentum und Christentum die Zehn Gebote. Die haben einen schlechten Ruf. Werden oft als Verbotskataloge wahrgenommen. Und sind doch genau das Gegenteil. Die Zehn Gebote bündeln ganz zentrale Lebensregeln. Ohne die es keine Freiheit gibt. Denn frei bin ich doch nur, wenn ich sorglos leben kann. Wenn ich ohne Angst lebe. Wenn mein Leben sicher ist. Wie wichtig das ist, lässt sich in den Kriegsgebieten der Welt sehen. Wenn ich dauernd Angst haben muss, dass eine Rakete in mein Haus einschlägt, dann kann ich nicht frei sein. Dann bindet mich die Angst und die Sorge.

Ganz ähnlich wollen alle Sätze aus den Zehn Geboten ein gutes Leben vermitteln: Nicht töten. Nicht lügen. Nicht stehlen. Das sind alles Grundregeln, die Menschen brauchen, um friedlich und frei miteinander zu leben. Pause machen – das ist auch so eine Regel. Denn wer nie abschalten kann, wer immer auf sein Handy guckt, wer dauernd nur im Kopf hat, was noch alles im Haus und Garten und am nächsten Tag und nächste Woche zu tun ist, der ist wenig frei.

Die Zehn Gebote wollen Freiheit sichern. Und legen damit auch die Basis für ein glückliches Leben. Denn ohne Freiheit, da hat es das Glück schwer. Ohne Freiheit spielen meine Interessen und Wünsche keine Rolle. Ohne Freiheit sagen mir andere, was ich tun und lassen soll.

Ich weiß: Sich an diese grundlegenden Regeln zu halten, das ist noch keine Garantie für ein glückliches Leben. Aber: Ein guter Anfang.

 

 

 

Zu Mk 10, 17-27

In jener Zeit lief ein Mann auf Jesus zu, fiel vor ihm auf die Knie und fragte ihn: Guter Meister, was muss ich tun, um das ewige Leben zu erben? Jesus antwortete: Warum nennst du mich gut? Niemand ist gut außer der eine Gott. Du kennst doch die Gebote: Du sollst nicht töten, du sollst nicht die Ehe brechen, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht falsch aussagen, du sollst keinen Raub begehen; ehre deinen Vater und deine Mutter! Er erwiderte ihm: Meister, alle diese Gebote habe ich von Jugend an befolgt. Da sah ihn Jesus an, umarmte ihn und sagte: Eines fehlt dir noch: Geh, verkaufe, was du hast, gib es den Armen und du wirst einen Schatz im Himmel haben; dann komm und folge mir nach! Der Mann aber war betrübt, als er das hörte, und ging traurig weg; denn er hatte ein großes Vermögen. Da sah Jesus seine Jünger an und sagte zu ihnen: Wie schwer ist es für Menschen, die viel besitzen, in das Reich Gottes zu kommen! Die Jünger waren über seine Worte bestürzt. Jesus aber sagte noch einmal zu ihnen: Meine Kinder, wie schwer ist es, in das Reich Gottes zu kommen! Leichter geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt. Sie aber gerieten über alle Maßen außer sich vor Schrecken und sagten zueinander: Wer kann dann noch gerettet werden? Jesus sah sie an und sagte: Für Menschen ist das unmöglich, aber nicht für Gott; denn für Gott ist alles möglich.

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