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Heute habe ich die Wahl, worüber ich spreche. Weil der 9. November ein Tag mit vielen Erinnerungen ist. Unmittelbar mit dem Ende des Ersten Weltkriegs wird am 9.11.1918 die erste deutsche Republik ausgerufen. 1989 fällt am gleichen Datum die Berliner Mauer. Aber darum geht es mir heute nicht. Für mich steht jetzt etwas anderes im Mittelpunkt, das den 9. November wirklich zum „deutschen Schicksalstag“ macht. In der Nacht auf heute vor 87 Jahren haben Nazis Synagogen überfallen und die Kultstätten geschändet, Juden aus ihren Häusern gezerrt, geschlagen und gedemütigt. Die Reichspogromnacht war der große Auftakt für die Judenverfolgung in unserem Land; die dann so schrecklich wurde, dass man es kaum wahrhaben will und gerade deshalb immer wieder darüber sprechen muss. So wie ich heute. Das ist mein Thema an diesem 9. November 2025.
Ich spreche darüber, weil ich es für unverzichtbar halte, dass wir unsere Geschichte kennen. Unser Leben heute hängt eben notwendig mit dem zusammen, was früher passiert ist. Niemand kann sich der Geschichte des Landes entziehen, in dem er lebt und dessen Bürger er ist, genau so wenig wie seiner Lebensgeschichte. Ich bin der, der ich bin, weil mein Leben so verlaufen ist, wie es nun mal war. Und ich bin Deutscher mit allem, was meine Vorfahren getan haben, das Gute und das Böse.
Die Reichspogromnacht vom 8. auf den 9. November 1938 war böse. Jüdinnen und Juden, Frauen, Männer, Kinder werden wegen ihres Glaubens ausgegrenzt, verachtet, verfolgt, ermordet. Das muss ich mit bedenken, wenn ich als deutscher Pfarrer im Radio immer wieder davon spreche, dass jeder Mensch vor Gott gleich ist. Demnach also keiner wegen eines äußeren Merkmals geringgeachtet werden darf. Die Nazis haben das jedoch im großen Stil getan: Kommunisten, Homosexuelle, Behinderte, Pfarrer – alle, die ihnen nicht ins Konzept passten, haben sie aus dem Weg geräumt. Aber am meisten hat es die Juden getroffen. Sie waren der Sündenbock, auf den man alle Probleme geladen hat, um von sich selbst abzulenken. An allem waren angeblich die Juden schuld: an der Arbeitslosigkeit, an Krankheiten, zuletzt am Krieg.
*Leider hat dieses Denken eine lange Tradition in Deutschland. *Leider sind daran nicht zuletzt Christen beteiligt gewesen. *Leider gibt es wieder mehr Antisemitismus in Deutschland. Weshalb es gerade für Christen wichtig ist, dem etwas entgegenzusetzen, davon gleich mehr nach etwas Musik.
{Heute vor fast neunzig Jahren brannten in Deutschland die Synagogen. Die Erinnerung an diesen dunklen Teil der deutschen Geschichte muss Konsequenzen haben. Darüber spreche ich heute in den SWR4-Sonntagsgedanken - am 9. November, dem deutschen Schicksalstag. Denn …}
… heute leben Juden in unserem Land erneut in Angst. Wenige haben den Mut wie Michel Friedman öffentlich aufzutreten und deutliche Worte gegen Judenfeindschaft zu finden. Im Hessischen Landtag hat er dazu vor einem Jahr eine großartige Rede gehalten. Friedman macht dabei deutlich, dass keiner sich anmaßen darf „zu bestimmen, wer ein Mensch ist, wer ein Deutscher ist.“ Wer in einem deutschen Parlament sitzt, aber so denkt, dem geht es nicht um das Wohl anderer, sondern er arbeitet gegen Menschen. Friedman nennt solche Politiker „geistige Brandstifter“[1].
Auch deswegen müssen jüdische Einrichtungen von der Polizei bewacht werden. Jüdische Kinder gehen unter Polizeischutz in die Schule und trauen sich nicht in ihren Klassen zu ihrem Glauben zu stehen. Wer die Kippa trägt, muss damit rechnen, schräg angeschaut, verhöhnt oder geschlagen zu werden. So weit sind wir inzwischen wieder. Und das ist eine Schande. Weil es auch bedeutet, dass die Erinnerung an das Böse der Nazi-Diktatur sich nicht ausreichend in den Köpfen verankert hat. Was aber dringend nötig wäre: als abschreckendes Beispiel für etwas, das so nie wieder geschehen darf.
Als Christ habe ich dabei eine besondere Verantwortung. Denn mein Glaube hat seine Wurzeln im Judentum. Jesus war Jude. Und in dem, was ich glaube und wie ich lebe, steckt ganz viel an jüdischer Tradition. Weshalb alle Juden meine Schwestern und Brüder sind. An denen ich auch Kritik üben darf, wie man das in einer Familie tut. Ich muss nicht mit allem einverstanden sein, schon gar nicht mit der aktuellen Politik in Israel. Aber, und dies ist ein nachdrückliches Aber: Ich fühle mich jüdischen Menschen gegenüber besonders verantwortlich, in Deutschland mit seiner Geschichte.
Ich frage mich, was ich als einzelner tun kann. Gegen Rassisten, Judenhasser und Hetzer, die unsere Demokratie zerstören wollen. Michel Friedmann hat die Frage in seiner Rede aufgegriffen und dann über Oskar Schindler gesprochen. Der Industrielle Schindler hat versucht, Juden während des Dritten Reichs in seiner Fabrik zu schützen und sich damit in Gefahr gebracht. Friedman sagt im Rückblick: Im Endeffekt, hat er einfach das getan, was er für richtig und zwingend nötig gehalten hat. Und so seine Antwort gegeben: Einfach handeln.
Und weil ich selbst auch oft unsicher bin, was das Richtige ist, und wie ich was bewegen kann, halte ich seinen Rat für klug: Einfach handeln.
[1]https://www.hessenschau.de/politik/landtag/oskar-schindler-wuerde-sie-verachten-wie-michel-friedman-mit-der-afd-abrechnete-v3,friedman-rede-landtag-afd-100.html
https://www.kirche-im-swr.de/?m=43289Endlich wieder festen Boden unter den Füßen! Kennen Sie dieses Gefühl? Ich habe es jedes Mal, wenn ich nach einer Schiffstour wieder an Land gehe. Dann schwankt die Welt trotzdem noch eine ganze Weile hin und her, vor allem im Kopf. Und das geht mir selbst dann so, wenn der Wellengang auf dem Wasser gar nicht so hoch gewesen ist.
Wie muss ich mir das erst bei Noah vorstellen? Die Bibel erzählt von ihm eine kuriose Abenteuergeschichte: Über eine riesige Flutkatastrophe, über meterhohe Wellen, und obendrauf wie in einer Nussschale: Noah und seine Familie in einem selbst gezimmerten Kasten aus Holz. Acht Leute waren da drin: auf engstem Raum zusammengepfercht mit einem ganzen Stall voll Tiere. Monatelanges Schaukeln und Schwanken, bis es nach einer gefühlten Ewigkeit endlich wieder aufgehört hat zu regnen und zu stürmen, sich die Wassermassen verlaufen haben und alle wieder rauskonnten aus der Arche.
Die Bibel erzählt auch, dass Gott selbst es gewesen ist, der alles im Wasser hat untergehen lassen. Und die ersten Tage nach der großen Flut waren sein Neuanfang mit den Menschen. Alles auf Anfang. Eine zweite Schöpfung, eine zweite Chance. Ich stelle mir diesen Moment bildhaft vor: Wie Noah und seine Familie aus der Arche kommen und erst mal ganz schön herumtorkeln. Endlich wieder festen Boden unter den Füßen! Er spürt, dass die Erde ihn wieder trägt. Und baut als erstes aus Treibgut einen Altar und lässt seinen Dank in den Himmel steigen zu Gott, der ihnen das Leben gerettet hat. Gott lässt sich von diesen Bildern beeindrucken. Er hat selbst etwas gelernt. Die riesige Naturkatastrophe, die er herbeigeführt hat, hat ihn zutiefst erschüttert. Die Bibel beschreibt wunderschön, wie Gott mit sich selbst Zwiesprache hält und beschließt: „Nie wieder will ich die Erde wegen der Menschen verfluchen. Denn sie haben sowieso nur Böses im Sinn. Nie wieder will ich alles Lebendige so schwer bestrafen, wie ich es getan habe.“ Und dann gibt er der Welt ein großartiges Versprechen. Es lautet: „Solange die Erde besteht, werden nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.“ Gott begrenzt freiwillig seine Macht, weil er erkannt hat: Es bringt gar nichts, die Menschen mit schrecklichen Naturereignissen auf bessere Gedanken bringen zu wollen. Sie lernen ja doch nichts dazu.
„Nach mir die Sintflut!“ Das war noch nie ein kluges Motto. Was in zehn, zwanzig Jahren los ist, interessiert mich nicht. Hauptsache, jetzt geht es mir gut! Aber inzwischen ist es lebensgefährlich geworden, so zu denken und erst recht so zu handeln. Denn was wir heute tun, hat morgen schon Konsequenzen, nicht erst in einer fernen Zukunft. Und was wir gestern nicht getan haben, belastet uns heute umso mehr. Die Welt ist gewaltig ins Wanken geraten. Was einmal sicher und verlässlich war, schwindet schneller als man gucken kann. Manchmal komme ich mir vor, als säße ich wie Noah in einem klapprigen Kasten, alles um mich herum schaukelt und schwankt, und es ist überhaupt nicht klar, wann und wo wir einmal wieder festen Boden unter die Füße kriegen werden. Es frustriert mich, dass ich meinen Kindern und ihrer Generation keine intakte Welt und keine sorgenfreie Zukunft hinterlassen kann. Da bin ich so realistisch wie der liebe Gott nach der Sintflut: Es kommt nichts Gutes dabei heraus, wenn man die Menschen einfach machen lässt.
Was mich dann trotzdem nicht verzweifeln lässt? Was mir Hoffnung macht? Das sind unter anderem all die Geschichten, die in der Bibel nach der Sintflut erzählt werden. Ich habe es einmal so zusammengefasst: Anfänge zu machen, ist Gottes Lieblingsbeschäftigung. Und damit wir das nie nicht vergessen, hat Gott sich etwas ganz Besonderes einfallen lassen. Nach der Sintflut hat er im Spiegel der letzten Regentropfen und mit den endlich wieder aus den Wolken hervorbrechenden Sonnenstrahlen einen fetten Regenbogen um die Erde gezogen. Dieser Regebogen, hat er zu Noah gesagt, ist mein Geheimzeichen: Immer, wenn er am Himmel erscheint, sollt ihr euch an meine Worte erinnern: Solange die Erde besteht, werden nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.“ Haben Sie in den letzten Wochen auch mal wieder einen Regenbogen gesehen? Es gab so viele. Und jeder einzelne ein Versprechen: Vertrau darauf: Du hast festen Boden unter den Füßen.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=43249Heilig. Das ist so ein Wort, mit dem sich für Menschen von heute Verschiedenes verbindet. Das freie Wochenende ist mir heilig, sagt die eine. Mein Fußballverein, der ist mir heilig, sagt ein anderer. Und dann gibt es da auch noch das „heilig Blechle“, wenn Menschen ganz innig an ihrem Auto hängen. Heilig. Das heißt eigentlich immer, dass irgendwas besonders wichtig ist. Dass es herausragt aus der Menge all dessen, das es sonst noch gibt
Nun hat die Kirche aber auch immer wieder einzelne Menschen hervorgehoben und sie heilig genannt. Damit will sie sagen, dass auch dieser Mensch herausragend war. Außergewöhnlich. Anders als andere. Durch das, was er gesagt oder getan hat. Durch seine Ausstrahlung, die er auf andere hatte. Ja, dass dieser Mensch dadurch, wie er seinen Glauben gelebt hat, eine Art Vorbild sein kann für andere, die an Gott glauben. Die sich damit abmühen, ihren Glauben irgendwie im Alltag unterzubringen und doch oft daran scheitern. Denen, die man heute Heilige nennt, scheint das jedenfalls besser gelungen zu sein. Wer sich ihr Leben anschaut, kann sehen, was das heißen kann. Dabei bin ich mir sicher, dass kaum einer dieser sogenannten Heiligen geplant hatte, mal als Heiliger verehrt zu werden. Die Allermeisten haben einfach so gelebt. Aus innerer Überzeugung und mit besonderer Nähe zu Gott. Da war etwa ein Franziskus aus Assisi. Für ihn war die ganze Schöpfung um ihn herum seine Familie. Pflanzen, Tiere, Sonne und Mond, die Mutter Erde. Alles seine Schwestern und Brüder, die er geliebt und mit denen er sich verbunden gefühlt hat. Oder da war ein Jean-Marie Vianney. Als einfacher Dorfpfarrer in Ars wurde er zum Anziehungspunkt für unzählige Menschen. Weil er zuhören konnte wie kaum ein anderer. Weil die Leute sich von ihm gesehen und verstanden fühlten. Und weil er ihnen das Gefühl gegeben hat, dass auch Gott sie sieht und annimmt. Da war aber auch eine Hildegard von Bingen. Als visionäre Mystikerin hatte sie ein intensives Verhältnis zu Gott. Und als kluge Wissenschaftlerin und mächtige Frau in der Kirche fasziniert sie Menschen noch immer.
Der Tag Allerheiligen heute erinnert an sie alle. Er erinnert aber auch an die, die als Menschen außergewöhnlich waren und von denen kaum noch jemand weiß. Die stillen, die weitgehend unbekannten Heiligen. Die Vorbilder waren für die Menschen um sie herum. Als Eltern, Großeltern, Freunde, Gesprächspartner. Anziehend und inspirierend in der Art, wie sie geglaubt, gelebt und geliebt haben. Und die durch ihr Leben ein Beispiel gegeben haben, wie sie sein kann: Eine Welt in Gottes Sinne.
Eine andere Welt als die, in der wir heute leben. Gut möglich, dass sich das mancher gerade sehnlichst wünscht. Neu wäre es jedenfalls nicht. Denn immer schon haben Menschen von einer anderen, besseren Welt geträumt. Und manche haben ihre Hoffnung dabei auf Gott gesetzt. Gottes neue Welt, oder das „Reich Gottes“, wie es in der Bibel heißt, war die zentrale Botschaft des Jesus von Nazareth. Für ihn kein ferner Zukunftstraum. Im Kleinen vielmehr längst da. Unscheinbar, manchmal kaum zu sehen. Überall da, wo Menschen im Geist Gottes gelebt und gehandelt haben. Jesus hatte gehofft, dass die neue Welt Gottes langsam wachsen würde. Größer und größer sollte sie werden, je mehr Menschen sich auf Gott besinnen und so leben. Gelungen ist das nicht überall. Aber hier und da schon. Und die Sehnsucht nach dieser anderen Welt, die ist geblieben.
Und so gibt es immer wieder Menschen, die Gottes neuer Welt schon sehr nahekommen. Jesus zählt sie auf. Nennt sie „selig“. Und meint damit wohl, dass diese Menschen sich glücklich schätzen dürfen, weil sie Gott näher sind als andere. Selig sind für ihn Menschen, die ihre Hoffnung und Zuversicht ganz auf Gott setzen. Die „arm sind vor Gott“, wie Jesus es sagt. Selig nennt er alle, die traurig sind und sich sehnen, getröstet zu werden. Weil sie noch fähig sind, sich berühren zu lassen vom Leid. Dem eigenen und dem der andern. Selig sind, die sanftmütig und friedvoll durchs Leben gehen. Die weder mit Worten noch Fäusten um sich schlagen. Selig auch alle, die barmherzig sind mit anderen. Weil sie wissen, dass jeder scheitern kann. Und dass man kein schlechter Mensch ist, wenn man versagt oder Fehler gemacht hat. Schließlich sind da die Friedensstifter, die es trotz Hass und Feindschaft fertigbringen, Brücken zu bauen zwischen Menschen.
Wenn ich mir nun anschaue, wen Jesus da seligpreist, dann bekomme ich zumindest eine Ahnung davon, wie sie sein könnte, Gottes neue Welt. Schon jetzt. Eine Welt, in der es zwar noch Konflikte gibt, Unrecht und Leid. Aber auch immer mehr Menschen, die sich damit nicht mehr abfinden wollen. Die aufstehen gegen Hass und Gewalt. Die trösten und helfen, wo andere verwundet sind an ihrer Seele. Die barmherzig sind zu denen, die gestrauchelt und gescheitert sind. Eigentlich gibt es sie längst, diese andere Welt. Und sie kann weiter wachsen durch Menschen wie die, die Jesus selig nennt. Die stillen, unbekannten Heiligen.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=43230Am Kragen meiner Jacken und Sakkos trage ich eine kleine gelbe Schleife aus Metall. Wenn ich was anderes anziehe, dann stecke ich auch die Schleife um. Seit ungefähr anderthalb Jahren trage ich sie. Die meisten Leute achten nicht darauf, sehen sie vielleicht nicht einmal. Nur wenige sprechen mich darauf an.
Aber neulich ist mir das innerhalb einer Woche gleich mehrmals passiert. Beim ersten Mal war es eine Touristin in Heidelberg auf der Straße, die an mir vorbeigegangen ist. Sie nickte zu meiner Schleife hin und sagte: „Beautiful!“ – „Schön!“
Ja, die sieht schon ganz nett aus. Aber die Frau hat offensichtlich mehr gemeint. Kurz darauf hatte ich eine Tagung mit Kolleginnen und Kollegen. Zwei davon haben mich auf meine Schleife angesprochen. Wie toll sie die fänden. Und in der Uni-Bibliothek hat sich ein Student nach mir umgedreht und gesagt: „Ich danke dir für deine Unterstützung!“ Als ich ihn fragend anschaute, hat er erklärt: „Ich bin aus Israel.“
Ja, Israel. Ich habe die Schleife all die Zeit getragen, um zu zeigen: Ich denke an die Familien, deren Angehörige im Gazastreifen als Geiseln gefangen gehalten wurden. Und auch an die, deren Angehörige umgebracht wurden. Und meine Schleife bringt mich darüber ins Gespräch. Zum Beispiel, als ich eine Frau getroffen habe, die auch eine trug. Sie erzählte: „Meine Tochter ist von der Hamas ermordet worden.“ Ihre Tochter war mit einem Freund zu Besuch in einem Kibbuz gewesen. Dort wurden sie beide erschossen. Eigentlich hatten sie an diesem Tag zurückreisen wollen. Ich habe mich lange mit der Mutter unterhalten. Als wir uns voneinander verabschiedet haben, habe ich gesagt: „Jetzt denke ich bei meiner Schleife immer an Sie und an Ihre Tochter.“
Ja, und deshalb trage ich die Schleife immer noch. Gott sei Dank sind die letzten Geiseln jetzt endlich frei! Ich habe mich wahnsinnig gefreut, mit all denen, die sie jubelnd und singend empfangen haben. Aber viele Familien haben ihre Lieben nicht zurückbekommen. Zum Beispiel die Frau, die ich kennengelernt habe. Ich sehe die Fotos all der Ermordeten. Ich denke auch an die Palästinenser in Gaza, die von der Hamas im Grunde auch als Geiseln gehalten werden. Sie können dort ja nicht weg. Von den Terroristen werden sie als menschliche Schutzschilde benutzt. Und ich denke an Juden in Deutschland und in anderen Ländern, die von ihrer Unsicherheit und Angst erzählen.
Für all diese Menschen ist es nicht vorbei. Das Leid bleibt – und es kommt immer noch neues Leid dazu.
Meine kleine gelbe Schleife ist da gar nichts. Aber wenn ich damit zeigen kann: Ich habe all diese Menschen nicht vergessen – dann ist sie zumindest etwas.
Nicht vergessen, gedenken – das ist in der Bibel ein ganz wichtiger Punkt. Immer wieder bitten Menschen Gott: Vergiss uns nicht! Gedenke an uns! Erinnere dich! Und Gott verspricht auch immer wieder: Ich vergesse euch nicht.
Da ist die kleine Schleife für mich so etwas wie ein Knoten im Taschentuch. Für die Menschen, die um ihre Angehörigen gezittert haben – oder die nie aufhören werden, um sie zu trauern. Für Israel – das Land, in dem alle Menschen Anteil genommen haben an ihrem Leid. Und für die Juden in Deutschland, die immer wieder die Erinnerung wachgehalten haben.
Ich will mich daran erinnern, mich zu erinnern. Jeden Tag. So ist die kleine gelbe Schleife für mich auch ein Gebet. Ich gucke auf meine Schleife und schicke mein Gebet in den Himmel. Zum Gott Israels, dem Gott Jesu, dem Gott, der nicht vergisst, der sich erinnert, Tag und Nacht. Zu Gott, der mein Gebet hört.
Ja, es ist auch ein Gebet für all die Opfer des fürchterlichen Krieges, der mit dem Terrorangriff anfing. Die Menschen, in deren Wohnvierteln, unter deren Schulen, Kindergärten und Krankenhäusern sich die Terroristen verschanzt haben.
Ich nenne den gelben Anstecker „meine Fürbittenschleife“. Eine kleine Schleife für ein riesiges Gebet gegen unermessliches Leid. Ich könnte nicht jeden Tag alle die vielen Gebete sprechen, die da nötig wären. Da hilft mir meine Fürbittenschleife. Wenn ich auf sie schaue, dann vergesse ich nicht. Nicht die Menschen in Israel, nicht die Juden in Deutschland, nicht die anderen Opfer des endlosen Schreckens.
Die Schleife wiegt kaum etwas. Aber das, was sie bedeutet, das wiegt eine ganze Welt. Die Welt, in der ich antworten will, wenn Gott fragt: „Mensch, wo bist du?“
Dann sage ich: Ewiger, ich bin hier. Und ich bete für deine Welt. An jedem Tag – und heute am Sonntag!
Einen gesegneten Sonntag wünscht Ihnen Christian Hartung aus Kirchberg im Hunsrück von der evangelischen Kirche.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=43179Was passiert eigentlich, wenn ich bete?
Wer heute in einen katholischen Gottesdienst geht, hört dazu eine Geschichte, die uralte Bilder verwendet, die in heutiger Zeit zugleich fremd und sehr aktuell wirken. Israel wird von einem anderen Volk angegriffen. Mose sagt zu Josua, er solle mit dem Heer der Israeliten in den Kampf ziehen. Er selbst will sich derweil auf den Gipfel eines Hügels stellen. Er hat einen Stab dabei, den er von Gott bekommen hat. Solange Mose den Stab hochhält, ist das Heer der Israeliten stärker, sobald er ihn sinken lässt, haben die Feinde die Oberhand. Irgendwann wird Mose müde und kann nicht mehr. Aber zwei andere Männer sind mit ihm auf dem Berg, lassen ihn sich hinsetzen und stützen seine Arme. So kann er sie weiter hochhalten. Und Israel gewinnt.
So einseitig geschilderte Kampf- und Siegesgeschichten im Namen des Glaubens fallen mir schwer zu lesen. Mit Blick auf den aktuellen Konflikt zwischen Israel und Palästina noch einmal mehr.
Dennoch glaube ich, dass ich in den biblischen Geschichten auch heute noch wertvolle Botschaften für mich finden kann. Auf einer anderen Ebene.
Ich kann versuchen, biblische Texte tiefer zu verstehen, indem ich sie mir innerlich wie auf einer Theaterbühne vorstelle. Dabei versetze ich mich in die unterschiedlichen Personen hinein.
Ich schlüpfe in die Rolle des Josua. Der kämpft gegen ein Heer, tut alles, was er kann, um wieder Frieden zu finden. Dabei fallen mir eigene ungelöste Situationen ein. Konflikte, in denen ich stehe, wo ich weiß, dass ich nicht einfach die Hände in den Schoß legen und denken darf: „Der liebe Gott wird’s schon richten.“ Nein, oft muss ich hart an mir und den Situationen arbeiten, damit sich wirklich etwas ändert.
Als nächstes versetze ich mich in die zwei Helfer hinein, die neben Mose stehen und seine Arme halten. Vielleicht sind sie fasziniert von ihm, von seiner Ausstrahlung, von seiner inneren Kraft. Sie spüren: Da ist jemand, der einen direkten Draht zum Himmel hat. Mir fallen auch solche Menschen ein. Sie ziehen mich an. Vielleicht weil ich mir selber wünschen würde, so vertrauensvoll beten zu können.
Und dann gehe ich innerlich weiter zu Mose. Er sieht Josua kämpfen. Einen Menschen, der ihm am Herzen liegt. Mose spürt innerlich, wie der Freund kämpfen und dabei leiden muss. Und er fängt an zu beten für ihn und für alle, die mit ihm kämpfen. Und er wird dabei müde. Vielleicht fragt er sich: „Was nützt mein Gebet, hört Gott mich eigentlich? Der Kampf geht ja doch weiter.“ Aber Mose spürt auch, dass er zwei Menschen an seiner Seite hat, die an ihn glauben. Und das ermutigt ihn, nicht aufzugeben.
Mein Gebet wird auch manchmal müde. Ich frage mich oft: „Bringt das überhaupt etwas? Kann ich es nicht genau so gut seinlassen?“ Aber vielleicht ist es gerade in solchen Momenten gut, dranzubleiben.
In Momenten, wo ich das Gefühl habe, mein Gebet bringt überhaupt nichts, fällt mir immer wieder ein besonderes Erlebnis ein. Es war zu der Zeit, als Papst Johannes Paul II. sehr krank war. Eine Menschenmenge hat sich damals auf dem Petersplatz versammelt, um für ihn den Rosenkranz zu beten. Als ich an einem Abend in Frankfurt am Main nach Hause kam, fiel mir ein: Gerade jetzt versammeln sich Menschen in Rom zum Gebet. Also habe ich spontan meinen Rosenkranz in die Hand genommen und von ferne mitgebetet.
Ich erinnere mich: Wie Mose in unserer Geschichte war auch ich müde und eher gelangweilt, während ich die Worte des Rosenkranzes ständig wiederholte. Ich habe mich gefragt: „Macht das hier überhaupt Sinn?“ Und während ich da so saß und trotzdem drangeblieben bin, habe ich in einem Moment plötzlich, nur ganz fein wahrnehmbar, so etwas wie Erleichterung gespürt.
Ich hab mir erst nichts weiter dabei gedacht.
Am späteren Abend begann die tiefste Glocke des Frankfurter Doms zu läuten. Ich habe mich gewundert und im Internet nachgeschaut, was denn da los war. Es war die Sterbeglocke: Papst Johannes Paul II. war verstorben an diesem Abend. Und ich war verblüfft, als ich herausfand: Der Moment, in dem ich im Gebet dieses Gefühl von Erleichterung gespürt habe – das war genau der Zeitpunkt, als die betende Menge erfahren hat: Der Papst ist verstorben. Die Menschen dort waren erleichtert, dass er nicht mehr leiden musste. – Auch wenn mir mein Gebet vergeblich erschienen war: Ich war darin so sehr in eine Verbindung mit den anderen Betenden in Rom gekommen, dass ich in mir spüren konnte, was sie gerade fühlten!
Diese Erfahrung hat mich seither nicht mehr losgelassen und mir eine tiefe innere Überzeugung geschenkt: Beten kann viel mehr als nur ein gutes Gefühl erzeugen. Es kann tatsächlich etwas bewirken.
Und wenn ich selbst in inneren oder äußeren Konflikten stehe, weiß ich, es braucht beides: Ich brauche den Kämpfer Josua in mir, der alles tut, was er kann, um nicht unterzugehen. Es braucht aber auch den Mose in mir, der weiß: Ich allein kann aus meiner eigenen Kraft nicht alles lösen. Ich brauche Hilfe und darf auf Gott vertrauen.
Und darum bete ich.
Und schließlich erzähle ich anderen davon, wenn ich in schwierigen Situationen bin. Und es tut mir soso gut, wenn dann jemand sagt: „Du, ich bete für Dich!“ Weil ich weiß: Beten verbindet mit anderen Menschen und mit Gott.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=43148Als Kind hab ich immer mal versucht, mit Gott einen Deal zu machen. Ungefähr so: „Wenn Du machst, dass ich in der Klassenarbeit eine zwei schreibe, dann geh ich dafür viermal hintereinander zum Kindergottesdienst!“ Eine Frau hat mir erzählt, dass sie noch heute so etwas macht: „Wenn ich nur auf hellen Pflastersteinen laufe, dann bleibt mein Haustier gesund.“ Auch eine Art „Deal“ – nicht direkt mit Gott, sondern eher mit dem Schicksal. Vielleicht kennen Sie solche Gedanken ja auch: „Wenn ich das und das mache, dann habe ich vielleicht Glück – oder dann steht Gott mir bei…
Im Grunde ist das ja Aberglaube: Mit Gott oder auch mit irgendwelchen kosmischen Mächten einen Deal machen, der das Glück herbeiholen soll. Andererseits: In jedem Gebet steckt ja irgendwie die Hoffnung, Gott zu überreden, dass er einen Wunsch erfüllt. Die Herausforderung ist: Erzwingen lässt sich jedenfalls vom Himmel runter nichts!
Ich kann nur für mich sprechen: Ich erlebe, dass Gott mich durch mein Leben führt. Obwohl ich ihn im Großen und Ganzen als vergleichsweise still erlebe.
Aber manchmal lässt sich Gott eben doch auf einen Deal ein. Ein richtig krasses Beispiel zu diesem Phänomen erzähle ich Ihnen jetzt: Es geht um das Volk Israel, das in der Wüste umherwandert auf der Suche nach einer neuen Heimat. Moses hatte das Volk Israel aus Ägypten aus der Sklaverei befreit. Und jetzt, nach vielen Jahren, sind alle in der Nähe der Stadt Jericho angekommen. Die politische Lage hat ihnen klargemacht: Jericho muss erobert werden. Sonst wird es unmöglich, weiterzuwandern. Mose Nachfolger Josua schickt zwei Kundschafter los. Man muss ja mal schauen, wie die Stadt verteidigt ist.
Die beiden Kundschafter ziehen also los.
Aber das bleibt ihren Feinden nicht verborgen. Soldaten von Jericho kommen abends in das Haus, in dem die beiden Unterschlupf gefunden haben. Aber sie finden sie nicht. Rahab, die Besitzerin des Hauses, hat die beiden Fremden nämlich versteckt. Und später lässt Rahab die beiden heimlich aus der Stadt fliehen – und lässt sie in einem Weidenkorb an der Stadtmauer hinab. Ihre Begründung: „Euer Gott wird euch siegen lassen, und ihr werdet Jericho erobern. Und ich helfe euch, wenn mich euer Gott dafür am Leben lässt. “
Und so kommt es: Jericho wird erobert und Rahab und ihre Familie bleiben am Leben!
Rahabs Deal mit Gott ist gemacht! Sie rettet die Kundschafter, weil sie von der Kraft des Gottes Israels überzeugt ist. Sie weiß, dass es für sie am besten ist, auf den Gott der Fremden zu bauen. Nicht auf sich selbst, nicht auf die Stadtmauern, nicht auf eine Flucht. Und dafür macht sie einen Deal: „An diesen einen Gott der Fremden glaub ich jetzt“, hat sie gesagt. Und Gott ist darauf eingegangen. Und das ist doch nun wirklich ungewöhnlich!
Dabei ist es ja schon ungewöhnlich genug, überhaupt auf einen Deal mit Gott zu spekulieren. Ich erlebe Gott im Großen und Ganzen eher still. Mein persönlicher Glaube ist darauf angewiesen, immer wieder neu zu beten, immer wieder neu zu bitten und immer wieder neu zu merken: Doch, ja!, Gott ist doch da und begleitet mich. Davon bin ich überzeugt.
Rahab aus der Bibel vertraut auch darauf, dass Gott ihr hilft. Dass dieser Gott wirklich der Gott ist, auf den es im Leben ankommt. Sie konnte sich ja eigentlich nicht sicher sein. Trotzdem war sie – überzeugt. Und bei diesem ersten Deal, den sie mit diesem Gott macht, bekommt sie die Bestätigung. Und vielleicht muss das dann im Leben für den Alltag genügen: Ein klarer Deal und danach immer wieder in der Erinnerung an diesen Deal mit Gott neustarten.
Ich denke an einen Familienvater, den ich kennengelernt habe. Ich werde ihn dieses Jahr taufen. Er ist in einer Familie großgeworden, in der man nicht einmal an Weihnachten in den Gottesdienst gegangen ist. Persönlich hat er aber immer wieder die Erfahrung gemacht, dass ihm Dinge passiert sind, die mehr als Zufall sind. Er hat nach einem Gottesdienst gebetet: Gib mir eine gute Zukunft. Zwei Tage später hat er seine heutige Frau kennengelernt. Und heute sagt er: „Das konnte kein Zufall sein.“ Und dann ist er drangeblieben. Er sagt: Dann soll dieser Gott auch offiziell mein Gott werden.
Auch er macht wie Rahab mit Gott einen Deal. Auch er hat gemerkt: Dieser Gott ist der Gott, auf den es im Leben ankommt. Und das ist, das geb‘ ich zu, auch im 21. Jahrhundert noch ungewöhnlich. Dass ein Mensch sich für diesen Gott entscheidet. Weil man sich ja nicht sicher sein kann. Und trotzdem ist er überzeugt. Und noch viel außergewöhnlich ungewöhnlicher ist es, dass Gott auch hier auf diesen ersten Deal eingegangen ist.
Offensichtlich macht das der Gott der Bibel immer wieder. Zuhören, antworten, einen Deal machen. Und das finde ich einfach richtig gut.
Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag und eine gute Woche.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=43172Glauben können …
Glauben kann Berge versetzen. Eine alte Redewendung. Aber stimmt die auch? Das will der britische Schriftsteller Adrian Plass herauskriegen. In seinem Tagebuch nimmt er das Berge-Versetzen ernst. Er macht ein Experiment. Plass schreibt: Ich „begann, mit einer Büroklammer zu üben. Legte sie auf meinen Schreibtisch und wollte, dass sie sich bewegt. Nichts! Versuchte, es ihr mit lauter Stimme zu befehlen. In diesem Moment kam Gerald herein und fragte: "Warum schreist du so rum, Papa?" Konnte ihm schlecht erklären, dass ich einer Büroklammer Kommandos gab!“
Für das missglückte Experiment gibt es drei Schlussfolgerungen: A) Der Mann glaubt nicht genug. B) Glaube kann keine Büroklammern und erst recht keine Berge versetzen. C) Die Redewendung ist gar nicht wörtlich gemeint.
Für die letzte Lösung spricht: Beim Berge-Versetzen geht es um eine Metapher. Es ist ein Bild. Ganz egal, wie sehr ich glaube, die Büroklammer bleibt auf dem Schreibtisch liegen und jeder Berg da, wo er ist.
Das Bild, dass der Glaube Berge versetzen kann, weist in zwei Richtungen. Ich erfahre oft, dass das unheimliche Kräfte freisetzt, wenn ich mich an was ranwage und sicher bin: Das klappt bestimmt. Kinder sind so ein Wagnis. Hab ich selbst erlebt. Kinder, das sind riesige Berge. Herausfordernd, anstrengend. Aber oft genug habe ich mit ihnen tolle, beglückende Gipfelmomente erlebt. Ohne den Glauben, dass das schon klappen wird, hätten wir die Kinder nicht groß gekriegt. Aber ich weiß auch: Berge-zu-versetzen, das ist kein Selbstläufer. Kann misslingen. Egal, wie positiv ich denke. Da packe ich den Halbmarathon viel langsamer, als ich gedacht habe. Da kann ich nicht dafür sorgen, dass unsere Tochter gesund wird. In solchen Situationen komme ich an meine Grenzen.
Hier kommt ein zweiter Aspekt ins Spiel. Die Kraft für meine Aufgabe, die bekomme ich auch daher, dass andere an mich glauben. Dass andere auf mich vertrauen. Mir sagen: Du schaffst das. Ich glaub‘ an dich. Das setzt Kräfte frei. Und ist manchmal ein Glaube, der mich dann Berge versetzen lässt.
… braucht Liebe
Dass ich mir selbst was zutraue, das ist oft die halbe Miete. Und dass andere an mich glauben, das ist dann die andere Hälfte. So gelingt vieles im Leben. Aber eben nur vieles. Ist der Glaube auch noch so groß, ich kann trotzdem scheitern. Die Partnerschaft, die zerbricht. Die Kinder, die nichts mehr von sich hören lassen. Der neue Mitarbeiter, der so viel jünger und so viel besser ist. Der Körper, der einfach nicht mitmacht, egal, wie sehr ich mich auch anstrenge. Überall da kommt das Berge-Versetzen an Grenzen. Aber muss ich das überhaupt: Berge versetzen? Geht's nicht auch eine Nummer kleiner?
Ja, sagt das Hohelied der Liebe. Ein wunderbares biblisches Gedicht. Da heißt es: „Wenn ich die Sprachen aller Menschen sprechen würde und sogar die Sprache der Engel, aber ich habe keine Liebe – dann bin ich doch nur ein dröhnender Gong oder eine lärmende Trommel. Wenn ich … alle Erkenntnis besitze, wenn ich einen so starken Glauben habe, dass ich Berge versetzen kann, aber ich habe keine Liebe – dann bin ich nichts.“ (1 Kor 13,1-2)
Ich finde diesen Gedanken toll. Der entlastet mich. Gerade gegenüber all denen, die so viel mehr können als ich, die mehr wissen, mehr hinkriegen. Die jeden Tag mindestens einen Berg versetzen. Das Leben, so sagt das Hohelied der Liebe, ist kein dauernder Wettbewerb. Kein Höher-Schneller-Weiter. Das, was ich tue, egal ob groß oder klein, das wird erst wertvoll durch Liebe.
Im Alltag erlebe ich oft, wie richtig das ist. Da geht es weniger um große Taten als um kleine Gesten. Die Schaffnerin, die mich freundlich grüßt. Das kurze Gespräch an der Bushaltestelle. Die nette Mail mit dem Dank, die mich erreicht. Das alles hat mit Berge-Versetzen nur wenig zu tun. Und doch macht es mich froh, macht meinen Tag rund und gut. Deswegen setze ich auf die Liebe – und lasse die Berge da, wo sie sind.
Lk 17,5-10
In jener Zeit baten die Apostel den Herrn: Stärke unseren Glauben! Der Herr erwiderte: Wenn ihr Glauben hättet wie ein Senfkorn, würdet ihr zu diesem Maulbeerbaum sagen: Entwurzle dich und verpflanz dich ins Meer! und er würde euch gehorchen. Wenn einer von euch einen Knecht hat, der pflügt oder das Vieh hütet, wird er etwa zu ihm, wenn er vom Feld kommt, sagen: Komm gleich her und begib dich zu Tisch? Wird er nicht vielmehr zu ihm sagen: Mach mir etwas zu essen, gürte dich und bediene mich, bis ich gegessen und getrunken habe; danach kannst auch du essen und trinken. Bedankt er sich etwa bei dem Knecht, weil er getan hat, was ihm befohlen wurde? So soll es auch bei euch sein: Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen wurde, sollt ihr sagen: Wir sind unnütze Knechte; wir haben nur unsere Schuldigkeit getan.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=43047Ich sehe den Raum in dem Jugendheim irgendwo in der Lausitz noch genau vor mir. Ich war damals Studentin und war mit einer Gruppe aus Konfirmanden aus Leipzig unterwegs. Fast 30 Jahre ist es her. Ich war unterwegs mit Mandy und Thomas, Lukas und Selina, Patrick und Marvin. Jugendliche auf der Suche nach dem, was im Leben trägt und wer sie sind. Wir haben für jeden und jede ein leeres Plakat an die Wand gehängt. Auf jedem Plakat stand ein Name. Sie sollten einander ihre Wahrnehmung schreiben. Was sie am anderen gut finden oder einfach mal sagen wollen. Auch von mir hing ein leeres Plakat an der Wand. Als ich zu meinem Plakat gegangen bin, bin ich an einem Satz auf meinem Plakat hängengeblieben: „Für einen Wessi bist du ganz schön nett.“ Das hat mich gefreut und überrascht. In den Tagen hatten wir nie darüber gesprochen, dass ich aus dem Westen kam. Heute sind es 35 Jahre, dass Ostdeutschland und Westdeutschland wieder ein geeintes Land sind. Am 3. Oktober wurde aus einem geteilten Land wieder ein Land ohne Mauer. Dass es dazu einmal kommen würde, das war noch ein Jahr vorher kaum vorstellbar gewesen. Seitdem die Mauer von mutigen Menschen aus der DDR im Herbst 1989 zum Einstürzen gebracht worden war, hatte sich das Bild geändert. In beiden Teilen Deutschlands. In den Städten Westdeutschlands tauchten plötzlich Trabis auf, Menschen standen Schlange für das Begrüßungsgeld, plötzlich hörte man auch auf dem Heidelberger Markplatz sächsischen Dialekt. Auf der grünen Wiese in Ostdeutschland schossen Gebrauchtautohändler wie Pilze aus dem Boden, bald auch Einkaufszentren.
Aber auch das gehörte dazu: Manch einer der Eltern aus der Leipziger Konfirmandengruppe hatte erlebt, wie ihnen allerlei Versicherungen verkauft wurden – von denen längst nicht alle sinnvoll oder gar nötig waren. Von einem Tag auf den anderen haben sie in einem anderen Land gelebt. Ein Satz aus der Bibel passt für mich zu diesem Tag. Jesus sagt im Matthäusevangelium: „Viele werden kommen von Osten und Westen und mit Abraham und Isaak und Jakob im Himmelreich zu Tisch sitzen.“
Das Bild vom gemeinsamen Tisch spricht mich an. Da sitzen Menschen zusammen. Aus allen Himmelsrichtungen. Sie erzählen ihre Geschichten. Sie hören einander zu. Sie teilen, was sie haben.
Wenn ich auf die deutsche Einheit schaue, spüre ich beides. Dankbarkeit und Freude. Aber auch Brüche und offene Fragen. Denn leicht war es nicht. Viele Menschen im Osten haben erlebt, wie Arbeitsplätze verschwunden sind. Wie Lebenswege abgebrochen wurden. Viele im Westen haben gespürt, dass Sicherheiten verloren gingen. Bis heute gibt es Unterschiede. Manchmal auch Missverständnisse und Vorurteile.
Und trotzdem: Ich sehe so vieles, was gelungen ist. Freundschaften sind entstanden. Familien sind zusammengewachsen. Es gibt Projekte, die ohne die Einheit nie möglich gewesen wären. Wir haben voneinander gelernt. Wir haben uns verändert – alle miteinander. Bis heute bin ich dankbar, dass ich so kurz nach der Wiedervereinigung den Umbruch in Leipzig erleben konnte.
Die Konfirmanden aus Leipzig, mit denen ich 9 Jahre nach der Wiedervereinigung zusammen war, sind noch vor der Wende geboren. Heute arbeiten sie in Ost und West oder sonst wo auf der Welt.
Einheit ist nicht Einheitlichkeit – nicht in Deutschland und auch sonst nicht. Die Grenzen sind gefallen und wir können einander frei begegnen und erleben: Wir gehören zusammen. Mit unseren Unterschieden, mit den unterschiedlichen Lebensgeschichten.
„Sie werden kommen von Osten und Westen“ – das ist eine Zusage aus der Bibel, die weiter reicht als Politik. Sie erzählt von Gottes großem Tisch. An diesem Tisch ist Platz für alle. An diesem Tisch sitzen sie alle – die aus dem Osten und Westen Deutschlands und Europas, aus dem globalen Süden und dem Norden.
Gott fragt nicht zuerst: Woher kommst du? Sondern: Bist du bereit, dich einzulassen auf die Gemeinschaft? Sind deine Ohren und dein Herz offen für die Geschichte des anderen?
35 Jahre nach der Einheit brauchen wir Mut. Damals haben Menschen mit Kerzen in der Hand gesagt: Wir wollen frei sein. Wir wollen, dass das Leben gelingt – für alle. Ohne Gewalt. Mit Vertrauen, dass Gott uns begleitet.
Heute brauchen wir diesen Mut wieder. Vielleicht auf andere Weise. Mut, Spannungen auszuhalten. Mut, Brücken zu bauen. Mut, Frieden zu suchen in einer unsicheren Welt.
Der 3. Oktober erinnert mich daran: Einheit ist mehr als ein politischer Akt. Sie ist eine Haltung. Sie wächst da, wo Menschen zusammenkommen. Von Osten und Westen, von Norden und Süden.
Darum feiere ich diesen Tag mit Dankbarkeit. Mit offenen Augen für das, was gelungen ist. Mit offenen Ohren für das, was noch zu tun bleibt. Und mit offenem Herzen für das, was Gott uns verheißt: dass wir eines Tages alle miteinander an seinem Tisch sitzen werden. „Viele werden kommen von Osten und Westen …“ – das ist ein Wort der Hoffnung. Für unser Land. Für die Welt. Und für uns alle.
Ich wünsche Ihnen solche bereichernde Gemeinschaft am Tisch und einen gesegneten Feiertag.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=42991Was soll aus dem Bauernjungen nur werden?
Was soll aus dem Bub nur werden? 1581 kommt in Frankreich der kleine Vinzenz zur Welt. Seine Perspektive ist bescheiden: er hat fünf Geschwister; seine Eltern sind Bauern. Aber Vinzenz hat Pläne: Er will Priester werden. Die waren damals angesehen und haben genug verdient, um ihre Angehörigen zu unterstützen. Vinzenz schafft das auch. Aber er findet keine passende Stelle!
Er versucht alles, aber es läuft einfach nicht rund: Vinzenz geht das Geld aus und er macht Schulden. Auf einer Reise wird er von Piraten verschleppt und als Sklave verkauft. Er kann fliehen; aber er ist nicht mehr derselbe. Statt der großen Karriere erlebt er Armut, Gewalt und Flucht. Er hinterfragt sich, hadert mit Gott und setzt sich mit seinem Glauben auseinander.
Dadurch denkt Vinzenz um. Er löst sich von der Idee, Karriere zu machen, wird selbstloser und spiritueller – und er nimmt immer mehr die Armen und Kranken in den Blick. 1617 hat Vinzenz dann ein Aha-Erlebnis: er wird Pfarrer in einer Gemeinde und hört von einer Familie in Not. Er ruft dazu auf, ihr zu helfen. Das geschieht auch, nur leider recht chaotisch: die Leute spenden Lebensmittel; aber viel zu viele auf einmal! Vinzenz erkennt: „Ich muss die Hilfe koordinieren!“
Damit beginnt etwas ganz Großes: Es entstehen Gemeinschaften wie die barmherzigen Schwestern der Vinzentinerinnen. Priester werden besser ausgebildet: Sie sollen Seelsorger sein, die sich um die Menschen kümmern – geistlich und auch ganz handfest. Pfarrgemeinden gründen Hilfsvereine; bis heute sind die Vincentius-Vereine nach ihm benannt. Vinzenz organisiert Suppenküchen, sorgt dafür, dass ausgesetzte Kinder, Arme und Kranke versorgt, Pilger, Flüchtlinge und Strafgefangene betreut werden. So bereitet er den Weg für das, wofür heute der Caritas-Verband steht.
Der Bauernjunge macht also doch Karriere. Nur anders als gedacht. Vinzenz stirbt vor 365 Jahren und wird als Vinzenz von Paul heilig gesprochen. Bis heute inspiriert er Menschen. Auch mich; denn:
Vinzenz gibt nie auf – er schaut nach vorne, auch als er ganz unten ist.
Vinzenz packt an, wo er kann und wo ihm Leid begegnet; kleine Schritte, große Wirkung.
Vinzenz glaubt an die Menschen und ist überzeugt: Not wird weniger, wenn die Leute zusammenhalten.
Und Vinzenz ist zutiefst motiviert: er will helfen. Aber nicht nur aus Mitleid, sondern weil er im anderen Gott sieht. Er weiß, dass Jesus einmal gesagt hat: „Was du dem geringsten meiner Schwestern oder Brüder getan hast, das hast du mir getan.“ (vgl. Mt 25,40) Anderen zu helfen, ist für Vinzenz daher Pflicht; und die Nächstenliebe, lateinisch „Caritas“, ist eine Form von Gottes-dienst.
Caritas hat viele Gesichter
In meinen Sonntagsgedanken habe ich von Vinzenz von Paul erzählt. Er hat um 1600 gelebt, sich aus dem Glauben heraus sozial engagiert und der heutigen Caritas den Weg bereitet.
Wer heute das Wort „Caritas“ hört, denkt vielleicht an Sozialstationen und die Autos mit dem rot-weißen Logo. Viele wissen gar nicht, dass sie zur Kirche gehören. Oder man hat den Caritas-Verband vor Augen, der allein in Deutschland 740.000 Menschen beschäftigt. Die Caritas-Arbeit der Kirche scheint sich verändert zu haben. Vieles klingt nach einem Unternehmen und weniger nach dem, was der heilige Vinzenz wollte: Menschen helfen, weil er in ihnen Gott gesehen hat. Und doch passt das alles zusammen.
Ich habe früher in meiner Pfarrgemeinde Tage organisiert, an denen sich behinderte und nicht-behinderte Menschen getroffen haben. Wir haben zusammen gespielt, gegessen und gelacht. Aber schon beim Essengeben sind wir an Grenzen gestoßen: die Betreuerinnen mussten uns einweisen. Ans Frischmachen war gar nicht zu denken: denn eine Person aus dem Rollstuhl zu nehmen und sie zu wickeln, ist nicht nur sehr intim; es will gelernt sein.
Ich bin kein Experte und komme auch in anderen Bereichen der Caritas-Arbeit immer wieder an Grenzen: Wenn Leute an der Tür betteln zum Beispiel. Ich kann ihnen Geld geben; aber hilft ihnen das? Vielleicht sind sie arbeitslos, verschuldet oder gar obdachlos? Vinzenz von Paul hatte recht. Hilfe muss viele Facetten berücksichtigen: soziale und medizinische, mittlerweile auch rechtliche. Dafür braucht es Profis, die sich auskennen und vernetzt sind.
Und hier kommt der Caritas-Verband ins Spiel. Ich kann von Bruchsal berichten: die Caritas macht Dinge, die ich selber oder eine Gemeinde nicht leisten kann. Sie steht Wohnungslosen in akuten Situationen bei, berät sie aber auch in Geldfragen und hilft ihnen dabei, Arbeit oder eine Wohnung zu finden. Die Bruchsaler Caritas betreibt sieben Tafelläden; 4.000 Berechtigte können dort einkaufen. Sie betreut Kinder in Kitas und begleitet Familien. An zehn Schulen bietet sie Sozialarbeit an. Die Caritas fördert jugendliche Zuwanderer – sozial, schulisch und beruflich. Und das ist lange nicht alles.
Diese Arbeit kostet Geld. Die Caritas finanziert sich von dem, was sie erwirtschaftet, von Zuschüssen und dem, was die Pfarrgemeinden beisteuern. Die führen zum Beispiel gerade die Caritas-Sammlung durch. In Bruchsal hofft man darauf, vom Erlös „Aktivtische“ kaufen zu können. Das sind Bildschirme, wie Tablets, nur größer. In Pflegeheimen haben sie sich schon bewährt: Senioren können mit der Hand übers Glas streichen, dabei Rätsel lösen oder Musik abspielen. Das regt ihren Geist an, fördert die Motorik und ist unterhaltsam.
Ich glaube, solche Tische hätten auch Vinzenz von Paul gefallen. Er war ein Mann der Tat; Hilfe soll konkret sein. Aber Vinzenz hätte sich vor allem darüber gefreut, wie organisiert und vernetzt diese Hilfe heute ist: Profis und alle, die Gutes tun wollen, arbeiten Hand in Hand. Und darum geht’s: Not wird weniger, wenn Menschen zusammenstehen.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=43039Was ist für Dich „zu Hause“? Diese Frage habe ich übers Internet gestellt, auf Facebook und auf Instagram. Übers Handy oder den Computer haben viele Menschen diese Frage gelesen. Sie konnten dazu auch ein schönes Bild von unserer Terrasse am Abend sehen. Was ist für Dich „zu Hause“? Eine anregende Frage, und ich war erstaunt, wie viele Menschen mir geantwortet haben.
Eine Frau schrieb: „Ich fühle mich in den Weinbergen zu Hause. Da habe ich schon als Kind viel Zeit verbracht und auch mitgeholfen“. Das kann ich gut verstehen: sonnige Hänge mit einem weiten Ausblick, die bunten Farben, die süßen Trauben und all die schönen Erinnerungen aus Kindertagen. Schön, wenn Kinder sich zu Hause geborgen fühlen und umsorgt.
Ein Mann antwortete. „Zuhause ist für mich da, wo ich meine Füße auf den Tisch legen kann.“ Stimmt - das kann man sich wirklich nur da erlauben, wo man selber zu Hause und Herr im eigenen Haus ist. Das braucht, glaube ich jeder, einen Ort, wo man sich entspannen kann und nicht von anderen bestimmt wird.
Wiederum eine Frau meinte: „Zuhause ist für mich kein fester Ort. Wir dürfen keine Wurzeln schlagen, aus beruflichen Gründen, aber irgendwie liebe ich die Gegend, wo wir jetzt wohnen und auch die Menschen hier.“ Die Menschen machen einen Ort also erst zur Heimat. Sie sind es, die der Gegend eine Seele geben. Diese Frau fühlt sich zu Hause, denn hier weiß sie: Ich bin hier willkommen. Die Leute nehmen mich an.
Für mich ist aus diesen Gründen auch der Glaube ein Zuhause. Zu wissen, ich bin angenommen, wie ich bin. Ich brauche mich nicht zu verstellen. Ich kann denken und aussprechen, was mich bewegt. Auch mal klagen oder weinen. Gott hört geduldig zu und hilft, wenn ich alleine nicht mehr weiterkomme. Hier kann ich entspannen, die Füße auf den Tisch legen, sozusagen. Und wenn es doch einmal knirscht und nicht alles rund läuft, dann kann ich mich darauf verlassen: Gott sorgt wie Vater und Mutter für mein zu Hause. Seine Tür steht offen für mich - immer.
Was ist für Dich „zu Hause“, habe ich gefragt. Für mich auf jeden Fall auch der Glaube. Da bin ich angenommen, so wie ich bin. Ich bin frei von jedem Druck. Und ich bin geborgen und umsorgt. Da muss ich niemals ausziehen.
Nikolai Opifanti, ein junger Pfarrkollege, hat einen ähnlichen Gedanken noch einen Schritt weitergedacht. Auch er hat ein schönes Foto ins Internet gestellt, über das ich am Computer gestolpert bin. Da war ein kleines, aber feines und sehr gemütliches Hotel zu sehen. So wünsche er sich die Kirche in dieser Zeit, schrieb er darunter. Also keine große Kathedrale, auch keine kleine Dorfkirche, sondern etwas zum Erholen und Entspannen von all der Angespanntheit und Nervosität in dieser Zeit.
Vor lauter Sorgen und offenen Fragen fühlt man sich manchmal wie ein Fremder im eigenen Leben - Heimatlos. Wie schön ist da ein Ort, an dem man willkommen ist und freundlich umsorgt wird. Wo man hinsitzen kann. Wo man nicht einsam bleibt oder abseits sitzen muss. Wo man mit Freunden, einen Kaffee oder Tee trinken oder ein Essen genießen kann. Und es wie zu Hause ist. So müsste doch Kirche sein, wie ein kleines, feines Hotel oder wie eine gemütliche, familiäre Pension, wo man seelisch und geistlich auftanken kann. Das ist für mich ein schönes Bild.
Öffnen wir doch die Türen! Schaffen wir in diesen Zeiten des Umbruchs miteinander ein Zuhause. Herzliche Einladung ins kleine und feine Hotel „Kirche“: ein Ort, an dem spürbar wird, wie freundlich Gott ist. Dabei vertrauen wir Gott, dass er uns hilft, dass es gelingt, füreinander da zu sein. Jesus hat es vorgemacht und den Frauen und Männern damals an seiner Seite das Gefühl von Heimat gegeben. Wir helfen einander, in diesem Geist, dass jeder sich zu Hause fühlt und sich angenommen erlebt.
Die Idee von Kirche als einer gemütlichen Pension sehe ich nicht nur als Bild oder Ideal, sondern vor allem als Ermutigung, es einfach so zu wagen. Und erste kleine Schritte in diese Richtung zu tun. Ich knipse die Leuchtreklame über dem Hoteleingang an, z.B., wenn ich einfach mal bei jemandem anrufe, der sich darüber freuen würde. Oder einer anderen Person einen kleinen Gruß vorbeibringe, vielleicht mit einem Segenswort oder einem Mutmachwort der Bibel. So oder auch anders: Öffnen wir die Türen des Hotels „Kirche“. Hier ist jeder und jede willkommen. Hier darf man auftanken. Niemand bleibt allein mit seinen Sorgen, denn hier findet jeder ein offenes Ohr und einen Mitmenschen, der hinhört, wo andere der Lebensschuh drückt oder ihr Zuhause gerade kein Zuhause mehr ist.
So möchte ich meinen Glauben an Jesus leben. Für und mit anderen. Sie vielleicht auch? Wagen wir es doch einfach.
Behüte Sie Gott! Und einen gesegneten Sonntag.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=42967Zeige Beiträge 1 bis 10 von 1043 »









