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Ein Hund wird von zwei anderen Hunden totgebissen. Ein kleiner Hund von zwei großen. Sie sind ihm in jeder Hinsicht überlegen. Es dauert nur ein paar Augenblicke, er hat keine Chance. Der kleine Hund gehört einem Mann, den ich ganz gut kenne und der mir davon erzählt. Er ist sehr traurig, immer noch ein Stück weit fassungslos. Denn er war dabei, musste das mit ansehen und konnte dann nur noch feststellen, dass sein Kleiner tot ist. Furchtbar! Ich habe selbst Hunde und kann mich deshalb einigermaßen in ihn einfühlen. Obwohl: vorstellen will ich mir das lieber nicht.
Was ist da passiert? Und weshalb? Einen Grund scheint es nicht gegeben zu haben, dass da plötzlich so eine Aggression entsteht. Und überhaupt: Totbeißen? Ich weiß schon, dass Hunde auch mal härter zur Sache gehen. Mein Kuno ließ sich die Butter nicht vom Brot nehmen, wenn ein anderer ihn angeknurrt hat. Aber ich war immer dabei und konnte verhindern, dass je Schlimmeres passiert wäre. Was schließlich meine Aufgabe als Hundehalter ist. Und was offenbar bei meinem Bekannten nicht der Fall war.
Für mich stellt sich die Frage aber noch grundsätzlicher: Was passiert denn da überhaupt, wenn ein Geschöpf auf ein anderes losgeht? Weshalb ist das so? Im weitesten Sinn hat das wohl etwas mit dem Überlebenstrieb zu tun, der zu unserer Welt gehört. Und offenbar gehört es so auch zu Gottes Plan mit der Welt, die er geschaffen hat. Wenn’s drum geht, Nahrung zu beschaffen, und die knapp ist, überlebt der Stärkere. Fortpflanzen darf sich das Alpha-Männchen mit dem Alpha-Weibchen. Die anderen haben erstmal das Nachsehen.
So weit, so klar. Aber jetzt kommt’s: Warum ist es bei uns Menschen oft genauso? Obwohl wir doch einen Verstand haben und nicht nur von unseren Trieben gesteuert werden; einen Verstand, der uns hilft, Gut und Böse zu unterscheiden. Obwohl unser Gewissen sich regt, wenn wir sehen, dass einem anderen Leid zugefügt wird. Obwohl Christen und andere wissen, dass es falsch, ja verboten ist, zuerst und nur an sich selbst zu denken. Geschweige denn zu töten.
Der Mensch ist ein Vernunft-Wesen. Aber wie weit es damit her ist, das sehen wir, wenn wir in die Ukraine schauen, wo ein Großer – Russland – einen Kleinen totzubeißen versucht. Wenn ich sehe, wo überall Menschen Gewalt angetan wird; wenn eine Regierung auf die eigenen Leute losgeht; oder wenn ich daran denke, wie wenig es uns kümmert, dass wir das Klima der Erde blind zerstören, … dann muss ich mich schon fragen, ob wir den Verstand verloren haben.
Das zu erkennen, ist bitter und es tut mir weh. Aber es nicht alles. Der Mensch ist mehr, er kann anders.
Es ist erschreckend, wie wenig sich der Mensch manchmal vom Tier unterscheidet. Manchmal frage ich mich sogar, ob Tiere alles in allem nicht freundlicher und friedlicher miteinander umgehen als wir. Aber dann gibt es da eben auch anderes. Gottlob!
Als mein Bekannter mir von der tödlichen Beißattacke gegen seinen Hund erzählt, bleibt er nicht dabeistehen. Er erzählt mir auch davon, wie freundlich die Menschen waren, mit denen er dann in diesem Zusammenhang zu tun hatte. Eine Passantin bietet ihm sofort Hilfe an und zeigt großes Mitgefühl. Die Tierärztin, die den Tod feststellt, gibt seiner Frau und ihm im Anschluss ein eigenes Zimmer, damit sie in Ruhe weinen und Abschied nehmen können. Und sie stellt den Kontakt zum Tierkrematorium her, weil das Ganze auf einer Auslandsreise passiert ist, und sie die sterblichen Überreste ja nur so mit nach Hause nehmen können. Es ist nicht zu überhören, wie gut das alles tut, gerade in so einer Situation. Wie sehr es tröstet, wenn Menschen das tun, was wir normalerweise mit dem Attribut „menschlich“ verbinden: auf andere achtzugeben, sie zu unterstützen, sich zu sorgen, zu helfen.
Es mag schon sein, dass in manchen Menschen vom guten Kern, der in ihnen angelegt ist, nicht mehr viel übrigbleibt. Und trotzdem gibt es sogar im schlimmsten Unglück fast immer auch Gutes. Es ist mir wichtig, das herauszustellen. Gerade in Zeiten, die wir als schwierig erleben. Es ist mir auch deshalb wichtig, weil das ein Charakterzug ist, der von Jesus in den Evangelien überliefert ist. Ich fasse es schlicht so zusammen: Jesus glaubt an das Gute im Menschen. Daran hält er sogar fest, als er zwischen zwei Verbrechern am Kreuz hängt. Er sieht die Chance, dass sogar daraus noch etwas Gutes werden kann. Wenn der Mensch will, dann kann er.
Es scheint mir wichtiger denn je zu sein, das Gute nicht zu übersehen und dem, was böse, gar tödlich ist, das Positive entgegenzuhalten. Ich weiß von etlichen Freunden, dass sie keine Nachrichten mehr anschauen und in der Zeitung die schlimmen Meldungen überblättern. Ich halte es gerade noch aus. Aber für meine Seelenhygiene ist dann auch wichtig, dass ich mir Bilder von dem einpräge, was ich an Gutem erlebe. Daran halte ich mich fest, um nicht niedergeschlagen oder gar verzweifelt zu sein. Ich trage das Bild in mir, wie sehr mein Hund sich freut, wenn ich heimkomme. Das Bild von der Tochter, die sich geduldig um ihre Mutter kümmert, weil sie nicht mehr alles versteht. Das Bild von dem Straßenbahnfahrer (aus Karlsruhe), der sofort anhält und hilft, als er sieht, wie ein Auto neben den Gleisen in den Graben fährt.
Ich glaube auch an das Gute im Menschen. Und ich weiß, dass ich wach bleiben muss, um es nicht zu übersehen.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=42475„Zum Mitnehmen!“ steht auf den Pappschildern am Straßenrand. Ich sehe sie inzwischen an vielen Orten. Es ist in Mode gekommen, Sachen, die man nicht mehr brauchen kann, einfach vor die Tür zu stellen. Das spart lästige Wege, und vielleicht findet sich ja im Vorbeigehen ein dankbarer Abnehmer für Bücher, Blumentöpfe und ausrangierte Gesellschaftsspiele. Ehrlich gesagt habe ich aber beim Blick in diese Kisten noch nie etwas entdeckt, das ich spontan mitnehmen wollte. Meistens sehe ich da nur das Zeug, das ich selber im Keller habe.
Oder ist es umgekehrt? Finde ich nur deshalb nichts Brauchbares, weil ich insgeheim denke: Was nichts kostet, kann auch nichts wert sein? Da höre ich dann die Stimme meiner längst verstorbenen Oma seufzen: „Umsonst ist der Tod. Und der kostet das Leben!“ Ja, ich gebe es zu: Ich bin misstrauisch bei Dingen, die nichts kosten. Ich vermute einen üblen Trick, der mich reinlegen will, suche nach dem Haken an der Sache, der mich ködern und in Wirklichkeit für teuer Geld etwas unterjubeln will. Also bin ich auf der Hut.
Und bin damit nicht allein. Denn das Problem mit dem Misstrauen gegenüber kostenlosen Angeboten ist so alt wie die Menschheit. Und sogar Gott selbst hat damit zu kämpfen. Das beschreibt jedenfalls der Prophet Jesaja in der Bibel in einem Text, über den heute in vielen evangelischen Gottesdiensten gepredigt wird. Es ist eine originelle Szene. Jesaja stellt Gott wie einen orientalischen Marktschreier hinter einen Stand am Straßenrand und lässt ihn seine Waren feilbieten. Das hört sich dann so an: „Auf, ihr Durstigen, hier gibt es Wasser! Auch wer kein Geld hat, kann kommen. Kommt, kauft euch zu essen! Kommt und kauft ohne Geld! Wein und Milch – sie kosten nichts. Warum wollt ihr Geld ausgeben für Brot, das nicht wie Brot schmeckt? Warum wollt ihr euren mühsam verdienten Lohn für etwas vergeuden, das nicht satt macht? Hört doch auf mich, dann bekommt ihr Gutes zu essen und könnt köstliche Speisen genießen. Hört mich an und kommt zu mir! Hört, dann lebt ihr auf!“
Ja, auch Gott scheint seine liebe Not damit zu haben, seine Sachen an den Mann und an die Frau zu bringen. Weil alles umsonst ist, was er anzubieten hat. Kostenlos, und trotzdem unendlich kostbar.
„Umsonst ist der Tod. Und der kostet das Leben.“ Diesen Spruch habe ich früher oft gehört. Da steckte die bittere Lebenserfahrung einer ganzen Generation drin: Uns ist nichts, aber auch gar nichts geschenkt worden. Alles haben wir uns sauer verdienen müssen. Und auch wenn ich selbst in ganz anderen Zeiten aufgewachsen bin, ist mir ein Misstrauen geblieben gegenüber Dingen, die nichts kosten. Es könnte ja einen haken haben, wenn mir jemand einfach so etwas geben will.
Gott nimmt mir dieses Misstrauen aus der Hand. Er dreht den alten Spruch um. Er sagt: Umsonst ist nicht der Tod. Umsonst ist das Leben. Und ich habe es im Angebot. Ich schenke es dir. Kostenlos. Umsonst. Gratis. Und ich weiß nicht, wie ich es Dir beibringen soll, aber du kannst es dir einfach nehmen. Du musst es dir nicht verdienen. Es wird keine Gegenleistung erwartet.
Ich glaube, das ist ein richtiger evangelischer Sonntagsgedanke. Heute gilt eine andere Logik als an den Werktagen. Heute darf der Mensch ruhen und Gott schiebt Standdienst am Straßenrand. Dort hat er sich aufgebaut. Dort hat er sein Schild aufgestellt: „Zum Mitnehmen“. Und er legt sich mächtig ins Zeug für uns. Der Prophet Jesaja lässt ihn rufen:
„Auf, ihr Durstigen, hier gibt es Wasser! Auch wer kein Geld hat, kann kommen. Kommt, kauft euch zu essen! Kommt und kauft ohne Geld! Wein und Milch – sie kosten nichts. Warum wollt ihr Geld ausgeben für Brot, das nicht wie Brot schmeckt? Warum wollt ihr euren mühsam verdienten Lohn für etwas vergeuden, das nicht satt macht? Hört doch auf mich, dann bekommt ihr Gutes zu essen und könnt köstliche Speisen genießen. Hört mich an und kommt zu mir! Hört, dann lebt ihr auf!“
Ja, aufleben können. Das täte gut. Aufleben an heißen Sommertagen. Aufleben inmitten von Todesnachrichten. Ich sauge dieses Wort auf wie einen Schluck kühles Wasser. Und ich setze darauf, dass Gott seinen Stand am Straßenrand noch den ganzen Sommer lang stehen lässt. Und mich versorgt mit allem, was nottut für Leib und Leben.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=42448Kaum hatten wir unsere Ferienwohnung verlassen, kam eine E-Mail in mein Postfach. Zu einer Umfrage wurde ich eingeladen. Ob und wie gut es mir und meiner Familie gefallen hat. Wie der Blick aus dem Fenster war, wie störend der Lärm auf der Straße davor und wie sauber die Wohnung bei der Ankunft. Das und noch viel mehr wurde ich gefragt. Die Einladung, ein Häkchen zu setzen, einen Smiley anzuklicken, oder eine Bewertung auf einer Skala von 0 bis 10 abzugeben beginnt immer so: Wir würden uns freuen, wenn Sie sich an unserer kurzen Umfrage beteiligen, denn unser Ziel ist es noch besser für sie zu werden.
Meinungsumfragen zu allem Möglichen und in allen Bereichen begegnen uns auf Schritt und Tritt. Nach dem Autocheck in der Werkstatt werde ich befragt, ob ich wiederkomme. Wie zufrieden ich mit dem Service war, oder ob ich Bekannten empfehlen würde ihr Auto auch in diese Werkstatt zur Reparatur zu bringen. Mit der berühmten Sonntagsfrage werden seit 1997 Sonntag für Sonntag 1000 repräsentativ ausgewählte Menschen nach der aktuellen politischen Stimmung in Deutschland befragt. Die zentrale Frage ist immer gleich: Welche Partei würden Sie wählen, wenn am kommenden Sonntag Bundestagswahl wäre?
Im katholischen Gottesdienst heute wird eine Geschichte vorgelesen in der auch Jesus einmal so eine Art Umfrage gestartet hat. Zunächst geht sie an die Jünger. Für wen halten die Leute mich? will er von ihnen wissen. Jesus scheint daran interessiert zu sein, welchen Eindruck die Menschen von ihm haben. Was sie von ihm halten. Was die Anderen über ihn denken. Die Antworten seiner engsten Freunde zeigen zunächst einmal, wie unterschiedlich er wahrgenommen wird. Jeder und jede hatte ein anderes Bild von ihm. Die einen vergleichen ihn mit Johannes dem Täufer, der so wie er durch die Lande zog. Seine Botschaft war aber so ganz anders. Johannes drohte den Leuten mit Gericht und Unheil. Wieder andere meinen, er trete so auf wie der Prophet Elija. Der war radikal. Denn Elija und all die anderen Propheten bekämpften wortgewaltig und angsteinflößend Götzendienst und soziale Ungerechtigkeit.
Doch die Meinung Fremder über ihn, die genügte Jesus nicht. Seine zweite Frage, hat es deshalb in sich: Ihr aber, für wen haltet ihr mich? Wer bin ich für euch ganz persönlich? Darum geht es ihm. Ganz persönlich will er das wissen, von denen die ihm nachfolgen. Da gibt es kein ausweichen mehr. Kein Verstecken vor der Meinung anderer. Selbst gilt es jetzt Farbe zu bekennen.
Die Antwort des Petrus lässt nicht lange auf sich warten. Fast wie eine Liebeserklärung, aber auch wie auswendig gelernt sagt er: „Du bist der Messias. Du bist mein Retter, auf den ich so sehr gewartet habe.“ Aber dieser Jesus zeigt sich so ganz anders als all die Erwartungen, die die Menschen damals mit einem Messias verbinden. Er proklamiert nicht den politischen Umsturz mit Macht und Gewalt. Die Vertreibung der Römer, die das Land besetzt halten ist nicht sein Ziel. Gott und den Nächsten lieben, wie sich selbst. Das ist sein Herzensanliegen. Es kommt nicht gut an bei den Frommen seiner Zeit. Und so spricht er nach dem Liebesbekenntnis des Petrus von seinem Leidensweg und nahen Tod am Kreuz. Schwere Kost für seine Jünger.
Der Schweizer Schriftsteller Max Frisch war fasziniert von biblischen Texten und von der Forderung, sich kein Bild von Gott zu machen. So dachte er darüber nach, was es eigentlich bedeutet, sich ein Bild von anderen Menschen zu machen. Am ausführlichsten kam er in einem Tagebucheintrag aus dem Jahr 1946 mit der Überschrift „Du sollst Dir kein Bildnis machen“ darauf zurück:
Es ist bemerkenswert, dass wir gerade von dem Menschen, den wir lieben, am mindesten aussagen können, wie er sei. Wir lieben ihn einfach. Eben darin besteht das Wunderbare an der Liebe, dass sie uns in der Schwebe des Lebendigen hält, in der Bereitschaft, einem Menschen zu folgen in allen seinen möglichen Entfaltungen. … Die Liebe befreit aus jeglichem Bild. Das ist das eigentlich Spannende, dass wir mit den Menschen, die wir lieben, nicht fertigwerden; weil wir sie lieben, solang wir sie lieben. Unsere Meinung, dass wir andere Menschen kennen, ist das Ende der Liebe.
Das mussten auch Jesu Jüngerinnen und Jünger lernen. Ihr Messias war so ganz anders. Ging einen ganz anderen Weg als von ihnen erwartet. Dem Weg der Liebe blieb er treu. Bis ans Kreuz. Verhaftet wurde er, gewehrt hat er sich nicht. Und seinen Gott suchte er selbst noch in der äußersten Not.
Und eigentlich gilt es bis heute. Gott übersteigt mein Denken. Erspart mir nicht Krankheit und Leid. Lässt das Unbegreifliche zu. Unsere Meinung, dass wir andere Menschen kennen, ist das Ende der Liebe, sagt der Schrifsteller Max Frisch über die Liebe zwischen uns Menschen. Das gilt genauso auch für Gott: Wenn ich glaube Gott zu kennen, dann wäre es das Ende meines Glaubens.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=42394Ich bin ja evangelischer Pfarrer. Aber trotzdem gern auch zu Gast bei einer katholischen Messe, bei meinen katholischen Brüdern und Schwestern. Das letzte Mal am Weißen Sonntag, das ist der Sonntag nach Ostern: In den ersten beiden Reihen saßen dreißig Kinder bereit für ihre Erstkommunion. Darunter mein Neffe. Tief habe ich den Duft des Weihrauchs inhaliert. Ich mag das. Als evangelischer Pfarrer einen katholischen Gottesdienst zu besuchen, ist immer ein Erlebnis für die Sinne. Ich anerkenne: Die katholischen Gottesdienste haben ästhetisch einfach was drauf. Unsere klassisch evangelischen Gottesdienste kommen doch eher nüchtern daher.
Gut, das ist jetzt vielleicht ein wenig übertrieben. Wenn bei uns ein Chor singt oder eine Bachkantate aufgeführt wird, dann ist das Schönheit für die Ohren. Aber der römisch-katholische Mix aus Geruch, Klang, Aufstehen, Hinknien – das nimmt die Menschen ganz anders mit. Und dann kommt etwas, was ich sehr liebe: die Wandelkommunion.
D.h. es gibt – wie wir Evangelischen sagen – Abendmahl. Dabei strömen aus allen Bänken die Menschen zu drei oder vier Stationen in der Kirche. Dort bekommen sie dann den Leib Christi ausgeteilt. Also ein Stück Brot bzw. eine Oblate – aber, wissen Sie: Ich möchte hier nicht über theologische Spitzfindigkeiten sprechen. Was mich einfach total anspricht: diese Dynamik mitten im Gottesdienst. Alle gehen vor, kehren kauend zurück oder stecken die Oblate auf dem Rückweg in den Mund. Ich finde das toll. Mir gefällt das als Symbol: Mit „Gott ganz nah“ herumlaufen.
Heute, an Fronleichnam, faszinieren mich ganz ähnlich die Prozessionen. Schon als Gemeindepfarrer in Rheinhessen habe ich an Fronleichnam immer die Fenster geöffnet, um den Zug durch den Ort zu betrachten. Die katholische Gemeinde trägt den Leib Christi, ein Stück Brot des Lebens in einem prächtigen Gefäß – der sogenannten Monstranz – durch ihren Ort. Zum Segen. Sie laufen herum mit „Gott ganz nah“. Ganz offensichtlich bringt die katholische Kirche ihre Gläubigen in Bewegung.
Auf der anderen Seite ist das Gras ja immer grüner. Und vielleicht denkt sich jetzt eine katholische Person: Mir gefällt es bei den Evangelischen, wenn Abendmahl im Kreis gefeiert wird. Wenn alle vor Gott stehen und nicht einfach weiterlaufen. Für mich ist das evangelische Abendmahl auch schön – keine Frage. Das ist immer wie eine Insel im Ozean des Lebens. Da lass ich mir sagen: Du bist gut, wie Du bist.
Aber mir gefällt eben auch das katholische Bild: Man ist als Mensch eben Teil des Lebens; des Alltags. Und in diesem gilt es, sich zu regen und weiterzugehen. In einem Brief aus dem neuen Testament heißt es: „Lasst uns laufen in Geduld mit Blick auf Jesus“ (Hebr. 12, 1c.2a). Und ich finde in Fronleichnam da einfach eine sehr schöne praktische Umsetzung.
Ich finde: Prozessionen an Fronleichnam sollten als Symbol gewürdigt werden. Da geht eine Gruppe Menschen durch die Straßen der Dörfer und Städte und zeigt: Das Leben kann beschwerlich sein. Aber wir haben den Blick zum Himmel gerichtet. Geduldig gehen wir weiter.
Das zeugt doch wohl für Widerstandskraft, oder: Resilienz – wie man heute sagt. Also für die Fähigkeit, die eigene Realität als Realität zu akzeptieren und unter den Bedingungen weiterzugehen.
Ich habe lange gebraucht, um mir diese Perspektive auf Fronleichnam zu eröffnen. In meinen ersten Jahren als evangelischer Pfarrer haben mir die älteren Rheinhessinnen erzählt: Wir haben früher extra immer die Wäsche an Fronleichnam gewaschen und rausgehängt, um die Katholiken zu ärgern. Das war ja deren höchster Feiertag und da haben wir gezeigt: so ein Quark, dass Ihr da mit dem Leib Christi rumlauft.
Dahinter stecken zum Teil fünfhundert Jahre alte Vorurteile. Aber eben auch unterschiedliche Glaubensstile. Ich für meinen Teil gehe nicht bei den Prozessionen mit „Gott ganz nah“ mit. Ich bin einfach in der evangelischen Kirche daheim. Aber ich freue mich an den katholischen Geschwistern, wenn sie zeigen: Wir ziehen mit Gott durchs Leben. Und tragen ihn buchstäblich zum Segen für die Welt mit uns. Darüber, finde ich, gibt es nichts zu spotten und zu ärgern.
Ich als evangelischer Christ habe für mich einen Zugang zu Fronleichnam gefunden. Und das ist das Bild: geduldig weitergehen. Das kann jeder Mensch nachvollziehen. Und sich fragen: Bin ich geduldig? Das kann ich natürlich für Sie nicht beantworten. Aber ich gebe Ihnen noch eine kleine Info: Geduld kommt von einem Wort, das ‚aushalten‘ heißt.
Fronleichnam ist in diesem Sinne ein Geduldsfest. Weil die Prozession – so sehe ich es – eben einen biblischen Vers ganz real werden lässt: Lasst uns laufen in Geduld mit Blick auf Jesus. Fronleichnam als Fest feiert, dass bei diesem Lauf Gott mitgeht. Der Mensch ist nicht allein in der Welt. Oder weniger christlich formuliert: Lasst uns aushalten, was auszuhalten ist und hoffnungsvoll weitermachen.
Mir ist dabei schon klar, dass es Realitäten gibt, die ausgehalten werden müssen, ohne Hoffnungsperspektive. Auch ich habe Familienmitglieder an Krankheiten verloren. In solchen Momenten kommen Gottvertrauen und christliche Feste natürlich an ihre Grenzen. Aber gerade auf der Grenze ist für mich die Botschaft von Fronleichnam eine echte Kraftstation: Gott geht mit.
Ihnen allen einen schönen Feiertag und ein gerüttelt Maß Geduld.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=423883 ist gleich 1. 3 = 1??? – über so eine Gleichung würde wohl jeder Mathematiklehrer den Kopf schütteln. Aber sie drückt etwas von dem aus, was Christen heute am Dreieinigkeitssonntag feiern: Der eine Gott ist gleichzeitig drei Personen, nämlich Vater, Sohn und Heiliger Geist. Und doch ist er nur ein einziger Gott… Die ersten Theologen, die Kirchenväter, haben versucht, sich das in Bildern vorzustellen. Sie sagen: Es ist, wie wenn man drei Kerzen zusammenhält. Dann werden drei Flammen zu einer großen Flamme, und es ist gleichzeitig nur eine und doch drei. Oder: Ein Baum besteht aus Wurzel, Stamm und Zweigen. Alle sind etwas eigenes, bilden aber doch den einen Baum.
Genau so begegnet mir der eine Gott in der Bibel in drei verschiedenen Personen. Und je nachdem, wie ich gerade unterwegs bin, ist mir die eine oder die andere näher: Gott, der Vater, als Schöpfer dieser wunderschönen Natur. Oder Jesus, der mir in ganz menschlichen Gesten Gottes Liebe zu uns zeigt. Oder Gottes Heiliger Geist, der mir immer dann begegnet, wenn sich meine Intuition meldet. Oder in Schönheit und Kreativität, die unsere Welt durchsichtig machen für etwas viel Größeres und Schöneres, als ich es mir vorstellen kann.
Diese Vielfalt zeigt mir: Gott ist nicht immer nur ein und derselbe. Er kann mir heute so und morgen so und übermorgen wieder ganz anders begegnen, und trotzdem ist und bleibt er der eine Gott.
Und nicht nur das: Diese unterschiedlichen Personen, in denen Gott mir begegnet, stehen nicht einfach nur isoliert für sich. Nein, sie sind ganz lebendig miteinander verbunden. Ich habe angefangen, über dieses ganze Thema nachzudenken, als ich mit einer Freundin spazieren war, die Ordensschwester ist. Ganz plötzlich hat sie mich gefragt: „Anna, wie stellst du dir den Himmel vor?“ Ich war zuerst ein bisschen überfordert von dieser Frage. Aber dann habe ich angefangen nachzudenken…
Eine Freundin hat mich beim Spazierengehen gefragt: „Anna, wie stellst du dir den Himmel vor?“ Zuerst wusste ich gar nicht, wie ich diese Frage beantworten soll. Und dann kam mir eine Idee: „Himmel“ ist für mich ein Sehnsuchtsort. Ein Ort oder eine Art zu leben, wie ich sie mir zutiefst ersehne. Nicht wie in der Erzählung vom „Münchner im Himmel“. Der wird mit einer Harfe in der Hand auf einer einsamen Wolke dazu verdonnert, den ganzen Tag „Halleluja!“ zu singen. Kein Wunder, dass er irgendwann unzufrieden ruft: „Luja soag i“, und dann wieder auf die Erde in ein Bierlokal flieht. Nein, ich glaube, der Himmel ist nichts, was mir aufgezwungen wird. Es ist ein Ort, dem ich nichts in dieser Welt vorziehen würde.
Wahrscheinlich hatte diese Vorstellung damit zu tun, dass es mir in der Zeit gerade nicht so gut ging. Es gab einen Menschen in meinem Leben, der mir viel bedeutet hat. Das war sehr schön, bis ich irgendwann gespürt habe: Da kippt was, ich fühle mich nicht mehr frei. Ich habe angefangen, genau zu überlegen, was ich ihm von mir erzähle und was nicht. Aus der Angst heraus, dass ich abgelehnt werden könnte, wenn ich etwas Falsches sage oder tue.
Es war in dieser Zeit schmerzhaft für mich zu erfahren, dass etwas so Schönes wie die Liebe so gefährdet sein kann. Dass es in dieser Welt passieren kann, dass sich die Liebe irgendwie verdreht. Dass einer sich so sehr dem anderen anpasst, dass er damit sich selber aufgibt.
In dieser Situation ist mir eine tiefe innere Sehnsucht bewusst geworden. Und deshalb habe ich der Freundin geantwortet: Ich stelle mir den Himmel als totale Liebe vor. So wie Vater, Sohn und Heiliger Geist ganz eng miteinander verbunden sind: Gott, der Vater, liebt seinen Sohn. Und der Sohn den Vater. Und diese Liebe ist sehr stark. So stark, dass diese Liebe selbst als Heiliger Geist spürbar wird, der zwischen den beiden hin- und herfließt. Und das Besondere daran: Die Drei sind so nah miteinander verbunden, wie das nur irgend möglich ist. Und trotzdem bleibt jeder ganz und gar er selbst, ohne sich auch nur im geringsten zu verbiegen. Sie bleiben frei füreinander, ohne jemanden von den Dreien in Eifersucht ausschließen zu müssen.
Das ist für mich „Himmel“: Mit Gott und Menschen zusammen sein, ganz nah verbunden mit ihnen und gleichzeitig auch verbunden mit mir selbst und meinen Eigenarten und darin frei – das wäre schön!
Ich glaube tatsächlich: Wenn wir Menschen gemeinsam mit Gott und untereinander immer mehr so zu lieben lernen, dann braucht keiner mehr Angst zu haben, dass er zu kurz kommt. Dann kann jeder Mensch ganz so sein, wie er ist, und ist gleichzeitig mit allen liebevoll verbunden. Und es braucht schließlich keine Feinde und keine Kriege mehr, denn in dieser liebevollen Verbundenheit kann man auch mal Fünfe gerade oder Dreie eins sein lassen.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=42364Vor kurzem habe ich einen Zeitungsartikel gelesen, in dem der Journalist das Leben auf dem Land charakterisiert. Er schreibt: „Hier leben die meisten Kirchgänger und Schwenkgrillbesitzer“. Daran bin ich hängen geblieben. Was bitte sollte das heißen? Also – in meinen Augen ganz eindeutig: Hier leben - die Spießer; die, die in überholten Traditionen hängen geblieben sind; die alten weißen Männer und Frauen; halt die von gestern – eher von vorgestern – eben die Kirchgänger und Schwenkgrillbesitzer.
Ich kann Ihnen sagen: In mir hat’s angefangen zu brodeln. Aber nicht, weil ich auch einen Schwenkgrill im Garten stehen habe. Ich weiß, dass ich ein bisschen spießig bin. Da darf man von mir aus auch gerne drüber lächeln. Aber belächelt zu werden, weil ich zur Kirche gehöre? Da werde ich ärgerlich. Dafür habe ich viel zu lange selbst Gottesdienste gehalten. Und habe erlebt, warum Menschen in die Kirche kommen – in den Gottesdienst, in den Kirchenchor, den Männerkreis, die Krabbelgruppe. Wenn jemand aus dem Ort verstorben war, und die Angehörigen ihre Liebe nur noch in Gottes Hand legen konnten – aber genauso auch ihre Fragen oder womöglich ihren Zorn. Weil sie Trost gesucht haben. Oder auch einfach nur Gesellschaft gesucht haben – um nicht allein zu sein. Es sind Menschen gekommen, um ihre Ehe, ihre Partnerschaft oder ihre Kinder unter dem Segen Gottes zu bergen. Oder sie sind gekommen, um sich zu engagieren: im Besuchsdienst, im Krankenhaus, für Geflüchtete, für Menschen in finanziellen Nöten oder einfach nur für die Gemeinschaft am Ort.
Natürlich geht es auch um Tradition beim Gang in der Kirche, und vielleicht geht es auch mal ums „Sehen und Gesehen-werden“. In jedem Klischee steckt ein Körnchen Wahrheit - auch in dem von den „Kirchgängern und Schwenkgrillbesitzern“. Aber viel wichtiger ist eben doch etwas anderes. Das Selbstverständnis von Kirche ist ein anderes! Das Pfingstfest heute, ist da ein guter Fingerzeig, denke ich. Es feiert die Geburtsstunde der Kirche und ihren bleibenden Auftrag. Um den geht es heute in vielen evangelischen Gottesdiensten. Und warum Christen von Anfang an zusammengekommen sind und sich unter einem gemeinsamen Dach zu versammelt haben.
Eine biblische Geschichte aus dem Matthäusevangelium erzählt, wie Jesus mit seinen Jüngern allein unterwegs gewesen ist. Da wusste er schon: Irgendwann würden seine Freunde ohne ihn auskommen müssen. Und zwar ab dem Moment, an dem er an Himmelfahrt die Welt verlassen würde, und zurückgehen würde ins himmlische Reich seines Vaters. Aber ohne ihn - würde sich der Freundeskreis da nicht sofort auflösen?
Jesus stellt seinen Freunden deshalb eine Frage: „Wer, glaubt ihr, bin ich eigentlich?“ fragt er sie. Und einer aus der Runde, Simon Petrus, antwortet: „Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes“.
Ich denke, in dem Moment hat Jesus gewusst, dass die Gemeinschaft der Freunde halten würde. Weil sie ein stabiles Fundament hatte: nämlich den festen Glauben und das grenzenlose Vertrauen seiner Freunde. Allen voran: Simon Petrus, zu dem Jesus sagt: „Simon, du bist Petrus, der Fels. Und auf diesem Felsen will ich meine Kirche bauen.“
Eins ist klar, denke ich: Aus reiner Gewohnheit oder wegen einer angestaubten Tradition wären die ersten Christen wohl kaum zusammengeblieben. Und schon gar nicht hätte sich eine Kirche entwickeln können, die Jahrtausende überdauert hat. Es ist der Glaube an die lebendige Gegenwart des auferstandenen Jesus Christus, der die Kirche zusammenhält. Das gemeinsame Bekenntnis zu ihm. Gemeinsam das Leben nach Jesus Christus auszurichten - verbunden durch die Kraft des Heiligen Geistes.
Die Menschen, die mir in der Kirche begegnen, die kommen jedenfalls nicht einfach nur aus Tradition oder weil sich das angeblich so gehört. Diese Menschen SIND die Kirche. Und ich mit ihnen ein Teil der Gemeinschaft Jesu Christi. Es ist eine Gemeinschaft, die trägt. Weil sie fest gegründet steht auf Vertrauen und dem felsenfesten Glauben der ersten Zeugen.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=42331Ob das wirklich so stimmt, was man von den allerersten Christen sagt? Dass sie ein „Herz und eine Seele“ waren? Alles gemeinsam hatten? Oder anders gesagt: Dass ausgerechnet diese erste kleine Christengemeinde das Ideal einer kommunistischen Gemeinschaft gelebt haben soll. So beschreibt es jedenfalls ein Text in der Bibel. Ob das tatsächlich so war damals, das wissen wir heute nicht mehr. Aber die kleine Geschichte schildert eben ein Ideal. Ein Zusammenleben, wie es sein könnte unter Menschen.
Um dieses Ideal geht es auch in einem anderen Text, der heute in den katholischen Kirchen verlesen wird. Genau genommen ist er ein inniges Gebet, das Jesus an Gott richtet. „Alle sollen eins sein“, heißt es da. Damit sind natürlich zuerst mal die Christinnen und Christen gemeint. Alle also, die Jesus folgen wollen. Am Ende aber zielt es auf alle Menschen. Egal, wer sie sind und wo sie leben. Alle sollen eins sein. Eine große Einheit der weltweiten Menschenfamilie.
Wie weit wir davon entfernt sind, dass sehe ich jeden Tag, wenn ich die Zeitung aufschlage oder die Nachrichten einschalte. Gesellschaftliche Spaltungen. Und bei uns die wachsende Unfähigkeit, andere Meinungen auszuhalten. Den oder die andere einfach mal anders sein zu lassen. Es ist oft das Bild einer Gemeinschaft, die vergessen hat, dass jede und jeder immer auch auf andere angewiesen ist. Die letztlich aber nicht mehr funktioniert, wenn jeder nur noch sich selbst sieht und an sich selber denkt.
Wenn ich etwas länger über das Eins-Sein nachdenke, dann wird mir aber auch bewusst, dass das nicht so einfach ist. Denn Einheit ist ja kein gleichförmiger Einheitsbrei. Unter dem Vorwand, dass alles eins sein muss, sind schon furchtbare Dinge geschehen. Geschehen heute noch in vielen Ländern. Wo totalitäre Systeme an die Macht kommen, versuchen sie, Menschen möglichst gleichzuschalten. Alle sollen dasselbe sagen, dasselbe denken, derselben Ideologie folgen. Wer abweicht wird geächtet. Im schlimmsten Fall bestraft, weggesperrt oder umgebracht. In Deutschland haben wir das von 1933 bis 1989 in zwei Diktaturen erlebt. In Russland und vielen anderen Staaten der Erde erleben es die Menschen heute. Allerdings wird dort auch nicht Einheit erwartet, sondern Einheitlichkeit, Uniformität. Nicht Weite sondern Kleingeist.
Und auch die Kirche, die sich auf diesen Jesus beruft, seine Botschaft weitertragen will, hat immer wieder kläglich versagt. Hat schon bald die befreiende Botschaft Jesu in ein Korsett aus Dogmen und Katechismussätzen gezwängt. Hat Menschen drangsaliert und gequält, die das nicht glauben konnten oder wollten. Hat anders Glaubende bekämpft. Statt Eins-Sein in Gott auch hier viel zu oft Uniformität. Gleichförmigkeit. Einheit meint aber mehr. Wie könnte sie also aussehen, eine Einheit in der bunten Vielfalt?
Eins sein sollen sie, die Jüngerinnen und Jünger Jesu. Darum bittet er selbst in einem Gebet, das er an Gott richtet. Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, heißt es da. Vermutlich war auch Jesus aber klar, dass die Truppe, die sich da um ihn versammelt hatte, ziemlich bunt war. Divers würde man heute vielleicht sagen. Fischer und Zolleintreiber waren ebenso dabei wie Frauen, die damals öffentlich nichts zu melden hatten. Sogar ein paar jüdische Würdenträger bewunderten ihn, auch wenn sie nicht mit ihm umherzogen.
Wenn ich heute höre, was Jesus seinen Anhängerinnen und Anhängern gesagt und wie er es vorgelebt hat, dann finde ich das durchaus attraktiv. Bei näherem Hinsehen allerdings auch alles andere als einfach. Leute, die ich absolut nicht ausstehen kann und sie mich auch nicht. Ausgerechnet denen soll ich Gutes tun? Menschen, mit denen ich total zerstritten, ja verfeindet bin. Die soll ich lieben? Ein Leben, wie Jesus es predigt. Das ist für die Meisten wohl ein ziemlich hoher Anspruch. Auch für mich. Und ich glaube, dass ihm und seinen Anhängern klar war, dass das auch für das Eins-Sein gilt. Sonst gäbe es dieses innige Gebet um Einheit wohl nicht.
Denn Eins zu sein, das schließt Widersprüche nicht aus. Eins sein können Menschen auch dann, wenn sie ganz unterschiedlich sind. Wenn sie andere Vorlieben haben. In unterschiedlichen Lebensformen leben. Politisch überhaupt nicht einer Meinung sind. Da kann es dann durchaus mal krachen. Kann Streit und Konflikte geben. Und trotzdem können Menschen eins sein. Wenn sie bereit sind, trotz allem zusammenzuhalten. Und sich an ein paar universellen Werte orientieren, die nicht verhandelbar sind. Etwa, dass jede und jeder eine Würde hat, die heilig ist. Unantastbar. Weil jede und jeder ein Abbild Gottes ist. Dass jede und jeder ein Recht hat zu leben, so, wie sie oder er es möchte. Weil Menschen grundsätzlich frei sind vor Gott. Dass die eigene Freiheit aber da enden muss, wo ich andere bedränge und einschüchtere.
Eins sein. Wenn das klappen soll, dann geht es wohl nur, wo Menschen offen, tolerant und rücksichtsvoll miteinander umgehen, allen Differenzen zum Trotz. Und verbunden mit einer großen Portion Barmherzigkeit. Barmherzig mit den Schrullen und Schwächen der anderen. Und auch mit meinen eigenen.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=42270Also, wenn es einen idealen Tag zum Heiraten gibt in diesem Jahr, dann doch wohl heute, am 25.05.25. Dieses Datum vergisst man nicht mehr so leicht. Wer dafür allerdings einen Termin beim Standesamt ergattern wollte, musste früh dran sein. Schnell war alles ausgebucht. Für kurz Entschlossene gibt es aber trotzdem eine Möglichkeit, zumindest den Traum von einem Trausegen noch ganz spontan wahr werden zu lassen. Denn an vielen Orten im ganzen Sendegebiet bieten evangelische Kirchengemeinden heute kirchliche Trauungen und Segnungen an. „Einfach ja zu Dir!“, heißt der Aktionstag zum Beispiel in der Bodenseeregion. Pfarrerin Martina Stockburger erklärt, wie das abläuft:
Die Paare kommen spontan. Dann gibt es einen kleinen Fragebogen; das füllen die in Ruhe aus. Und dann gibt es 20 Minuten Gespräch mit dem Pfarrer oder der Pfarrerin, die die dann traut. Dann dürfen die noch mal 20 Minuten in den Park gehen oder einfach noch einen Kaffee trinken und dann beginnt die Trauung und die geht auch ungefähr 20 Minuten. Und die ist eben sehr festlich; das Paar hat sich einen Trauspruch ausgesucht und eine Wunschmusik. Wir ziehen gemeinsam ein. Dann gibt es wirklich so einen kleinen Gottesdienst.
Erste Ideen, ein Traugespräch, Planung und Durchführung der Feier: was oft viele Wochen und Monate in Anspruch nimmt, passiert hier alles in einer guten Stunde. Und schafft trotzdem eindrückliche Erlebnisse. Für Martina Stockburger ist es nicht die erste Aktion dieser Art. Wenn sie davon erzählt, kommt sie schnell ins Schwärmen:
Manche haben ihr Kind mitgebracht, aber manche kamen auch ganz allein, und manche kamen mit weißem Hochzeitskleid und andere kamen in Jeans … Ein Ehepaar kam und sagte, nächstes Jahr haben wir goldene Hochzeit, wir üben schon mal, und für die war es dann so berührend, dass sie gesagt haben, sie wissen jetzt gar nicht, wie sie es dieses Jahr feiern sollen, weil eigentlich kann man das nicht toppen.
Frisch Verliebte sind genauso willkommen wie Menschen, die schon jahrelang in einer Zweierbeziehung leben oder ohne viel Tamtam ein Ehejubiläum begehen möchten. Wer standesamtlich verheiratet ist, bekommt eine kirchliche Trauung, wer einfach seine Liebe feiern möchte, wird gesegnet, egal in welcher Beziehungsform das Paar lebt. Alle kriegen auf jeden Fall eine persönliche Zeremonie an einem festlich geschmückten Ort. Was der Pfarrerin Martina Stockburger auch gefällt: Die Vielfalt der Beziehungen bringt auch Bewegung in gottesdienstliche Traditionen. Zum Beispiel bei den Traufragen:
Oft haben wir auch gemerkt, dass das gar nicht so passt, wenn die dann schon so lange verheiratet sind. Und dass es vielleicht auch einfach andere Fragen braucht, oder Liebe ist ja auch sehr unterschiedlich. Und vielleicht mussder eine der andern was anderes versprechen als sie ihm. Und das kam eben ganz oft, dass die Paare sich gegenseitig noch einmal gesagt haben: „Ich bin so froh, dass du an meiner Seite bist!“ oder: „Ich danke Gott für dich an meiner Seite“, und das kriegt eben in der Kirche nochmal einen ganz anderen Rahmen, als wenn ich das am Küchentisch, vielleicht beim Frühstück, sag: „Ich bin so froh um dich!“ Und oft haben sie sich dann nochmal was versprochen: „Ich will weiter bei dir bleiben.“ Oder: „Ich möchte unbedingt mit dir alt werden.“ Und das wurde dann gesegnet.
Heute gibt es wieder die Gelegenheit zu einer kirchlichen Hochzeit für Kurzentschlossene oder einen kirchlichen Segen für Segens-Sehnsüchtige. Zum Beispiel in Überlingen direkt am Bodensee oder, etwas weiter im Hinterland, in der Kapelle von Schloss Langenstein im Hegau. Eine große Gästeschar kriegen Sie dafür wahrscheinlich nicht mehr zusammengetrommelt, aber an einem festlichen Rahmen wird es nicht fehlen: Musik, Blumen, Sekt – alles da.
Aus meiner Gemeinde waren welche da, die haben Kaffee gekocht und haben auch Sekt ausgeschenkt. Und wir hatten dann so im Freien Stehtische aufgestellt in dieser Parklandschaft von Schloss Langenstein. Das war ganz schön, und viele sind dann geblieben, haben noch einmal angestoßen und haben dann noch gewartet, bis die nächsten aus der Kapelle kamen. Und so ist auch eine kleine Gemeinschaft entstanden.
Nicht nur die Veranstalterinnen waren von den vielen Begegnungen überwältigt, auch viele der spontanen Hochzeitspaare waren am Ende überrascht, wie nahe ihnen das Erlebnis ging.
Ein Paar hat mir dann hinterher noch ein Selfie geschickt, wie sie da Arm in Arm in der Bank sitzen; das hat die nochmal zusammengebracht. Ein halbes Jahr später hab ich sie noch mal getroffen, da haben sie gesagt: „Es wirkt immer noch nach!“ Wenn du zu zweit in der Kirche bist, traust du dich vielleicht auch nochmal was anderes zum Partner zu sagen, als wenn da jetzt irgendwie die ganze Gesellschaft hinter dir sitzt. Also, es hat einfach einen eigenen Charme.
Einfach Ja. Heiraten ohne jahrelange Orga. Anders als gewohnt, aber vielleicht mit der guten Erfahrung, dass man das, was einen wirklich berührt, nicht selber machen kann, sondern geschenkt bekommt. Wenn Sie jetzt neugierig geworden sind, dann nehmen Sie doch Ihren Herzensmenschen einfach an die Hand und machen sich auf. Nach Schloss Langenstein im Hegau oder nach Überlingen ins Pfarrhaus am See. Von 11.00-17.00 Uhr gibt es dort heute Segen satt.
Und auch, wenn Sie zu Hause bleiben: Einen unvergesslichen Maientag wünscht Ihnen Martina Steinbrecher von der evangelischen Kirche
Die Zeit zwischen Ostern und Pfingsten gehört für mich zur schönsten Zeit des Jahres: die Wiesen sind grün, der Raps leuchtet und die Pfingstrosen blühen. Das hat etwas Frisches; da ist Leben drin.
Auch in den Kirchen wird zwischen Ostern und Pfingsten vom Leben erzählt, davon, dass etwas aufbricht: besonders gerne höre ich, wie die Jünger die ersten Gemeinden gegründet haben. Das war nicht leicht damals. Jesus hatte Feinde und auch die Jünger ecken an. Dennoch haben sie großen Erfolg. Der römische Schriftsteller Tertullian hält fest, woran das liegt. Er zitiert die „Heiden“, also Leute, die andersgläubig sind. Sie sind von den Christen fasziniert und bescheinigen ihnen: „Seht wie sie einander lieben … und füreinander zu sterben bereit sind.“ Offenbar haben sich die Christen anders verhalten als andere. Sie waren sogar bereit, ihr Leben hinzugeben – für andere und für Gott. Woher kommt das?
Die ersten Jünger haben erlebt, wie Jesus auferstanden ist. Sie sind sich deshalb sicher: Gott begleitet Menschen und auch wenn sie sterben, geht es für sie weiter. Davon erzählen sie einander und schreiben es auf; in verschiedenen Formen. Heute zum Beispiel wird in den katholischen Gottesdiensten aus der Offenbarung des Johannes vorgelesen.
Johannes hat eine Vision, wie das Leben bei Gott aussieht. Er sieht einen neuen Himmel und eine neue Erde. Der alte Himmel und die alte Erde sind vergangen. Sogar das Meer ist nicht mehr. Das klingt heute vielleicht etwas traurig – ich mag das Meer und mache dort gerne Urlaub. Aber das Meer war damals nichts, woran man sich erfreut hat. Es war unberechenbar und gefährlich. Die Menschen sind davon ausgegangen, dass dort das Böse schlummert. Das Meer war also ein Bild für alles, was den Menschen Angst macht. Wenn es nun das Meer nicht mehr gibt, dann ist das etwas Gutes. Johannes macht das in seiner Vision konkret und erklärt: „Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal.“ Johannes sieht, wie Gott unter den Menschen wohnt. Sie können ihm ihr Leid klagen – und er tröstet sie und trocknet ihre Tränen.
Das also könnte die Christen bei Gott erwarten. Die Jünger erleben wie Jesus aufersteht und sind sich sicher, dass Gott auch sie zu sich holt unter einen neuen Himmel und auf eine ziemlich verlockende Erde. Das macht sie innerlich frei! Es nimmt ihnen die Angst vor dem Tod und damit auch davor anzuecken, Unrecht anzuprangern und sich für andere einzusetzen. Dadurch fallen sie auf – denen, die anderes glauben, und auch dem Schriftsteller Tertullian.
Wer an die Auferstehung glaubt, lebt anders; vielleicht freier und gelöster. Damals und womöglich auch heute. Ich muss dabei an Beate denken.
Von ihr erzähle ich gleich mehr …
Wer an die Auferstehung Jesu glaubt, lebt anders. In meinen Sonntagsgedanken habe ich eben erzählt, wie das bei den Jüngern damals war. Und ich habe angedeutet, dass es auch heute Menschen gibt, bei denen das so ist – Beate zum Beispiel.
Sie war lange Zeit Notfallseelsorgerin. Beate ist für mich ein „österlicher Mensch“, also einer, der fest damit rechnet, dass Gott Menschen beisteht – wenn sie leben, leiden oder sterben und auch nach dem Tod. Das wirkt sich darauf aus, was Beate tut und wie sie es tut. Sie hat Menschen begleitet, die mit Leid konfrontiert waren. Sie hat Todesnachrichten überbracht, ist zu Unfällen gerufen worden und ist Menschen in den dunkelsten Momenten ihres Lebens beigestanden.
Ich habe sie gefragt, wie sie so etwas durchstehen konnte. Beate sagt: „Mein Glaube gibt mir Kraft. Er macht mich innerlich frei, denn ich weiß: es hängt nicht alles an mir; ich darf an Gott abgeben.“ Daraus hat Beate ein Ritual entwickelt: Bevor sie zu einem Einsatz fährt, zündet sie schnell noch eine Kerze an und stellt sie in ein Glas. Sie vertraut die Situation, die Menschen und sich selbst Gott an. So ist sie sich sicher, dass Gott mit ihr unterwegs ist. Sie fragt ihn nicht, warum er Leid zulässt. Sie vertraut darauf, dass er ihr und den anderen alles gibt, um es zu bewältigen. Wenn die Kerze später erlischt, kann Beate loslassen. Sie glaubt, dass Gott weiterhin da ist, die Toten zu sich nimmt und die tröstet, die trauern.
Aber Beate überfällt die Menschen nicht mit ihrem Glauben an die Auferstehung. Und sie übergeht ihre Fragen und ihre Trauer auch nicht mit platten und vorschnellen Antworten wie: „am Ende wird alles gut“. Sie sagt, das wäre fatal. Beate hört lieber zu und schaut, was die Menschen gerade brauchen: ein Glas Wasser zum Beispiel für klare Gedanken oder etwas Lavendelöl, um ruhiger zu werden. Es ist oft nicht viel.
Ich weiß nicht, ob sich Beate selbst als österlichen Menschen bezeichnen würde. Für mich ist sie einer. Denn aus einer österlichen Haltung zu leben, heißt für mich damit zu rechnen, dass Gott etwas bewirken und verwandeln kann. Zu glauben, dass er damit nicht bis irgendwann wartet, sondern schon jetzt damit anfängt: wenn Beate im Gebet abgeben kann zum Beispiel oder wenn die Menschen das Leid besser ertragen, weil sie mit ihnen die Stille und die Leere aushält. Österlich leben heißt für mich, anderen durch das, was ich sage und tue, eine Ahnung von dem zu geben, was ich hoffe: dass Gott an meiner Seite ist – heute und für immer. Dafür braucht es nicht immer große Gesten. Oft reicht es, wenn ich mich dem anderen zuwende und ihm wie Beate zuhöre, oder wenn ich im Alltag jemanden aufmuntere oder mich um Versöhnung bemühe, wo alles verfahren zu sein scheint.
In der Offenbarung des Johannes sagt Gott: „Seht, ich mache alles neu.“ Österlich zu leben, heißt für mich, daran mitzuwirken; hier und heute. Denn das neue Leben, das Gott verspricht, beginnt, wo immer sich etwas zum Guten wandelt.
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Das hätte ich gerne auch in meinem Alltag. Wenn ich nicht weiterweiß. Wenn eine wichtige Lebensentscheidung ansteht. Wenn es eng und schwierig wird. Wenn es mal nicht um die großen Fragen der Welt geht, sondern um die für mich nicht weniger großen meiner persönlichen Welt.
Aber wenn ich so darüber nachdenke: Auf eine Expertin konnte ich doch von Anfang an immer wieder zurückgreifen – auf meine Mutter. Wenn ich als Kind Kummer hatte. Oder später, als ich nicht wusste, was ich studieren soll. Bei allen größeren und kleineren Fragen des Lebens. Und noch später – als meine eigenen Kinder mit ihren Sorgen und Problemen kamen: Da hatte ich auch immer eine Expertin an meiner Seite, nämlich meine Frau. Natürlich wusste sie auch nicht immer weiter. Aber eines habe ich an ihr immer bewundert: Wie sie trösten konnte. Das tut sie heute noch, wo die Kinder längst erwachsen sind.
Ich glaube wirklich, im Trösten sind Mütter von Natur aus Expertinnen. Meist ein Leben lang, dann auch als Großmütter oder Urgroßmütter. Es gibt auch Mütter, die das nicht so gut können. Und leider auch welche, die das nicht einmal wollen. Vielleicht haben sie selber von ihrer eigenen Mutter zu wenig bekommen. Aber trotzdem: Trösten – das gehört doch schon immer zum Bild einer Mutter dazu!
Ja, nicht jede Mutter kann es gleich gut. Und natürlich können auch Väter und Großväter trösten. Einige können das sogar richtig gut! Aber – in der Regel kann die Mama es doch besser. Sie weiß genau, was hilft. Was gerade jetzt gefragt ist. Und die Oma, die kennt dann gleich noch ein Sprüchlein oder einen Liedvers. „Heile heile Segen.“ Und es wird wieder gut.
Auch erwachsene Kinder brauchen solchen Trost immer wieder. Wenn die Ehe in die Brüche geht. Wenn der Arbeitgeber einem kündigt. Oder wenn etwas richtig Schlimmes passiert. Eine schwere Krankheit. Ein Todesfall. Die Mutter tröstet, hört zu, gibt einen Rat. Ich kann mich ausweinen, aussprechen.
Heute, am Muttertag – da frage ich mich: Geben wir diesen Expertinnen eigentlich den Platz, der ihnen zusteht? Unsere Welt, die ist doch schon zuweilen recht trostlos. So vieles macht Angst, tut weh, löst Leid und Schmerz aus. Und hier, mitten unter uns, sind haufenweise Expertinnen! Sollten die nicht viel mehr beachtet werden? Damit die Welt getröstet wird?
Damit meine ich gar nicht einmal, dass Mütter gleich die Welt regieren sollen. Mir würde es schon reichen, wenn sie immer wieder um Rat gefragt werden, wenn es wirklich wichtig ist. Wenn sozusagen jeder Tag im Jahr ein Muttertag wäre. Wenn Mütter nicht nur einmal im Jahr einen Blumenstrauß bekommen würden. Sondern, wenn sie jeden Abend zur besten Sendezeit gefragt würden. Als Expertinnen: „Was leisten Sie – so nebenbei? In der Pflege Ihrer eigenen Eltern? Oder für die Bildung Ihrer Kinder? Was sagen Sie dazu, dass Ihre Kinder in den Krieg ziehen sollen?“
Wer fragt die Mütter? Etwa in einer Wirtschaftskrise, von der sogar die Milliardäre etwas merken – denn die stößt ärmere Menschen richtig in Not und Elend. Da sollte in der Tagesschau oder in der Radiosendung zwischen der Musik eine Mutter befragt werden: „Was heißt das für Sie und für Ihre Familie? Welche Erwartungen, welche Forderungen hätten Sie jetzt an Wirtschaft und Politik? Und welchen Rat würden Sie den Mächtigen mit auf den Weg geben?“
Und am nächsten Tag hieße die Schlagzeile auf allen Titelseiten: „Mutter fordert bezahlbare Lebensmittel!“ Oder: „Mütter für Gerechtigkeit in der Pflege“. Oder auch: „Weltmüttergipfel legt Friedensplan für die Ukraine vor“. Und an den Vorschlägen und Ratschlägen dieser Expertinnen käme keiner so leicht vorbei!
Wie viel mütterlicher, wie viel barmherziger sähe es da auf der Welt aus! Überhaupt: Barmherzigkeit. Das ist in der Bibel ein ganz wichtiges Wort. Ständig ist von Gottes Barmherzigkeit die Rede. Barmherzigkeit ist Gottes mütterliche Seite. Genauso wie das Trösten. „Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet“, sagt Gott einmal. Ohne Trost und Barmherzigkeit funktioniert die Welt einfach nicht. Davon erzählt die Bibel immer wieder.
Ja, davon muss einfach immer wieder die Rede sein. Nicht nur am Muttertag. Und überhaupt nicht nur an den Sonntagen. Immer. Und nicht nur geredet werden soll davon – wir brauchen Menschen, die barmherzig sind und die trösten können. Überall. Also brauchen wir überall Mütter, die das können und die anderen gerne zeigen, wie das geht. Damit unsere Welt mütterlicher wird.
Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Muttertag!
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