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„Singe, du Volk des Herrn, das er aus Not erlöste.
Im Leid blieb er nicht fern; er kam, dass er dich tröste.“
Diese Worte nach Psalm 107 sind aus einem alten Lied des reformierten Dichters Matthias Jorissen. Hören wir in eine neue Bearbeitung hinein:
Musik
Heute ist der Gedenktag an die Reichspogromnacht im Jahr 1938. Mit ihr hat die letzte Phase der Ausgrenzung und systematischen Vernichtung der Juden in Deutschland begonnen. Ich denke heute an die Kirchenmusikerin Lili Wieruszowski. Bis 1933 hatte sie in verschiedenen Kirchengemeinden in Köln die Orgel gespielt. Doch dann erhielt sie plötzlich Berufsverbot. Nach den Rassegesetzen der Nationalsozialisten galt die evangelische Christin nun als Jüdin. Sie konnte in die Schweiz flüchten.
In ihrem Exil hat sie die Strophen des Psalmliedes neu formuliert. Die Worte einer ihrer Strophen passen zu ihrem eigenen Schicksal:
„Die schmachtend irreliefen, trostlos im fremden Land,
und die zum Herren riefen, der ihnen Wege fand …“
Musik
Lili Wieruszowski hat für sich einen Weg aus der Verfolgung gefunden. Aber wirkliche Sicherheit fand sie erst nach dem Krieg. Sie konnte überleben, doch nur in ständiger Angst, wieder ausgewiesen zu werden.In ihrer nächsten Strophe beschwört sie die Menschen, „die da gefangen saßen in Kerker und in Zwang“ und die nach Gott „schrien bang“, der „sie mächtig riss aus aller Finsternis“:
Musik
Lili Wieruszowski wurde als Jüdin geboren und als Christin erzogen. Auch Jesus wurde als Jude geboren – und er blieb sein Leben lang Jude. Nicht erst im „Dritten Reich“ hat die Kirche das vergessen. Unzählige Menschen wurden verfolgt und vernichtet – und die Kirche hat geschwiegen. Daran denke ich heute voller Scham und Trauer.Aber der Psalm wäre kein Psalm Israels, wenn er nicht von einer unbeirrbaren Hoffnung erzählen würde:
„Denen in Wind und Wellen wollt aller Mut entfliehn,
ihr Schifflein gar zerschellen, und die zum Herren schrien,
und er gebot der Flut, gab ihnen heimzureisen
in seiner treuen Hut: sollen den Herren preisen.“
Musik
Diese Worte sind fast nicht auszusprechen angesichts der Millionen, die nicht mehr „heimreisen“ durften. Und doch gibt es Israel, eine Heimat für Juden. Heute, am 9. November, denke ich an die entführten Geiseln, die überleben und heimkommen konnten. Und ich denke an die Juden in Deutschland. Ich wünsche mir, dass sie hier eine sichere Heimat haben.
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Musikangaben:
Titel / Lied: „Dankt, dankt dem Herrn und ehret“ (EG RWL 627)
Komponist:
T: Matthias Jorissen 1798 / Lili Wieruszowski 1942/1946
M: Loys Bourgeois / Michiya Azumi
Musik: Kammerchor der Hochschule für Kirchenmusik Heidelberg / Michiya Azumi / Chorfest Baden / „Nacht der Chöre“ / 05.07.2025 / St. Bonifatius, Emmendingen
O Tod, wie bitter bist du,
Wenn an dich gedenket ein Mensch,
Der gute Tage und genug hat
Und ohne Sorge lebet;
Und dem es wohl geht in allen Dingen
Und noch wohl essen mag!
O Tod, wie bitter bist du.
O Tod, wie wohl tust du dem Dürftigen,
Der da schwach und alt ist,
Der in allen Sorgen steckt,
Und nichts Bessers zu hoffen,
Noch zu erwarten hat!
O Tod, wie wohl tust du!
„Das ist bitter!“ Mit 41 Jahren zu sterben. In der Mitte des Lebens. Auf dem Höhepunkt der Karriere als Sängerin. Ich spreche von Kathleen Ferrier. Sie ist die Interpretin des Lieds, über das ich heute spreche. O Tod, wie bitter bist du!
Johannes Brahms hat ein Jahr vor seinem Tod einen kleinen Zyklus von vier Gesängen nach Bibeltexten komponiert. Brahms nennt sie ernste Gesänge, weil sie sich mit der Vergänglichkeit des Menschen auseinandersetzen. Aber auch mit der Hoffnung auf ein Weiterleben nach dem Tod.
Es gibt eine große Zahl von Einspielungen des Werks. Alle großen Baritone haben diese Brahms-Lieder aufgenommen. Fischer-Dieskau, Quasthoff, Gerhaher und wie sie alle heißen. Aber eine Frau, die Interpretin unserer Aufnahme, die britische Altistin Kathleen Ferrier scheint besonders gut zu wissen, wovon sie singt. Ihre Stimme klingt süß und zugleich zerbrechlich, als stünde ihr der Tod schon vor Augen. Wie ein Mädchen, das nicht wissen kann, was sie da singt, und es doch schon ahnt.
Als Kathleen Ferrier zusammen mit dem Pianisten John Newmark 1950 diese Aufnahme macht, ist sie erst 38 Jahre alt. Das ist drei Jahre vor ihrem Tod. Mit ihrer unverwechselbar zarten Stimme ist sie während des Kriegs durch die Dörfer und Fabriken von Großbritannien gezogen, hat oft im Rundfunk gesungen, um den Menschen Mut zu machen. Und dabei wohl immer wieder auch die „Vier ernsten Gesänge“ von Johannes Brahms, aus dem unser Lied zum Sonntag stammt. Ein Jahr nach der Schallplattenaufnahme, die wir hören, bekommt sie die Diagnose Brustkrebs und wird operiert. Erst scheint sie geheilt, dann muss sie erneut operiert werden.
Der Tod ist nicht nur bitter, sondern tut auch wohl. O Tod, wie wohl tust du dem Dürftigen, der alt und schwach ist. So jedenfalls sagt es das biblische Buch Jesus Sirach am Beginn seines 41. Kapitels. Es sind die Verse, die Brahms vertont hat. Unser Lied ist mit „Grave“ überschrieben, schwer. Aber der letzte Teil klingt erstaunlich leicht, fast frohgemut. Er verschleiert erst das moll und wechselt dann nach Dur. Die Melodie wird warm und harmonisch. Als ob der Todgeweihte sein Glück finden kann, wenn er daran glaubt: Hier auf dieser Welt geht es für mich zu Ende. Aber das ist nicht alles, was mich ausmacht. Ich kann Abschied nehmen und hoffen.
Kathleen Ferrier stirbt 1953 im Alter von 41 Jahren. Davor hat sie sich musikalisch immer mehr ins Thema Tod hineinbegeben; hat die „Kindertotenlieder“ von Gustav Mahler aufgenommen und dessen „Lied von der Erde“; ein Werk, das davon geprägt ist, Abschied zu nehmen. Ihr Mut, sich dem zu stellen, macht mir Mut, es ihr gleichzutun. Den Tod anzunehmen. Den von anderen und den eigenen, der kommen wird. Dass es bitter ist, wenn der Vater stirbt. Das es schwer ist, aber auch wohl tut zu wissen: Es war alles in allem gut so. Dass es hilft, den Abschied von dieser Welt zu üben. Gerade heute - an Allerseelen, an den Gräbern meiner Lieben.
AMS M0303192(AMS) 01-016 4'12 4'12 Nr. 3: O Tod, o Tod, wie bitter bist du
aus: Vier ernste Gesänge, op. 121.
Für Singstimme und Klavier
Kindertotenlieder; Frauenliebe und Leben; Four serious songs; Lieder
Brahms, Johannes; Ferrier, Kathleen; Newmark, John
https://www.kirche-im-swr.de/?m=43207Das Meer ist mein Sehnsuchtsort: Das Wasser, das gemütlich an den Sand plätschert, die kreisende Kraft von Flut und Ebbe, der blaue Blick bis an den Horizont, die Wolken von Wattebausch bis schwarz und bedrohlich, ganz egal, ob Wind oder Wetter oder Sturm.
Musik
Hauptsache: Wellen, die kommen und gehen und kommen und gehen, rauf und wieder runter. Eine klein-feine und kunstvoll komponierte Tonfolge. Wellen, die kommen und gehen, rauf und wieder runter. Jede Strophe fängt an mit: „Ich sage Ja“.
Okko Herlyn, Theologe und Kabarettist, hat mit diesem Lied ein kleines Kunstwerk geschaffen, eine Einheit aus Text und Musik. Klar und schnörkellos fasst er zusammen: die Dreiheit im Einen. Lebensgrund und Schöpfer, Freund und Bruder, Gottes guter Geist. Und damit das alles nicht zu statisch wird, rollt eine weitere Welle hinterher und wiederholt jeweils den letzten Teil der Strophe.
Ich sage Ja zu dem, der mich erschuf.
Ich sage Ja zu seinem Wort und Ruf,
zum Lebensgrund und Schöpfer dieser Welt,
und der auch mich in seinen Händen hält.
Ich sage Ja, zu dem, der uns gesandt
Und aus dem Tod zum Leben auferstand
Und so trotz Hass, Gewalt und Menschenlist
Für uns zum Freund und Bruder worden ist.
Ich sage Ja zu Gottes gutem Geist,
zum Weg der Liebe, den er uns verheißt,
zu wagen Frieden und Gerechtigkeit
in einer Welt voll Hunger, Angst und Leid.
Kürzer als in diesem Lied kann man Kirche nicht zusammenfassen: Wasser, Kelch und Brot, Wegzehrung, Zeichen, Zuspruch in der Not. Kirche ist auch so ein Sehnsuchtsort für mich: In den alten Versprechen baden, in den Segen eintauchen. Und dann kommt ein Lied und nimmt mich mit auf die Trostwelle. Schenkt mir Worte und Sätze, die ich selbst gerade nicht habe. Okko Herlyns Lied legt mir ein Ja in den Mund. Mir ist eher nach Nein zumute, nach Keine-Ahnung und Weiß-ich-doch-nicht. Aber ich singe trotzdem: Ich sage Ja. Und warum? So kurz und knapp kann das nur Okko Herlyn beantworten: „Weil gewiss ein andres Ja schon längst gesprochen ist.“
Ich sage Ja zu Wasser, Kelch und Brot,
Wegzehrung, Zeichen, Zuspruch in der Not.
Ich sage Ja und Amen, weil gewiss
Ein andres Ja schon längst gesprochen ist.
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Musikangaben:
Text und Melodie: Okko Herlyn
Übersetzung für das Beiheft der Badischen Landeskirche von Danielle Guerrier Koegler (2013)
Aufnahme: Johannes Blomenkamp (Klavier) und Mitglieder der Durlacher Kantorei (Gesang)
Copyright© tvd-Verlag Düsseldorf, 2011
Orgel Vorspiel
Der erste tote Mensch, den ich gesehen habe, war mein Großvater. Wir hatten nie ein sonderlich enges Verhältnis, obwohl er direkt nebenan wohnte. In meiner Erinnerung war er immer steif und streng, ich hab ihn nie lachen gesehen. Vielleicht kein Wunder. Er hat zwei Weltkriege überlebt und eine Schule geleitet. Da kann einem das Lachen vergehen. Aber wie er da so lag, tot und kalt, da konnte ich mit meiner Trauer nicht so richtig umgehen. Wusste nicht wohin damit. Und hab das erste Mal so richtig verstanden, dass das ein Schicksal ist, das auch mir blüht. Das mein Leben auch nur seine begrenzte Zeit hat.
Stimmwerck
- O Welt, ich muss dich lassen, ich fahr dahin mein Straßen ins ewge Vaterland. Mein Geist will ich aufgeben, dazu mein Leib und Leben legen in Gottes gnädg Hand.
O Welt, ich muss dich lassen, ein Choral, der zu meinem toten Großvater passt. Er nimmt diese besondere Stimmung auf: die Endlichkeit des Lebens, aber auch das Abschied nehmen. Und nicht zuletzt: Die Hoffnung, dass das eigene Leben am Ende in Gottes Hand liegt. Wenn ich meiner Trauer von vor vielen Jahren nachspüre, dann merke ich auch: Musik macht die Tränen ein bisschen weniger salzig, macht das Herz ein bisschen leichter.
Playfords Instrumental
O Welt, ich muss dich lassen, hat eine verschlungene Entstehungsgeschichte. Es greift eine alte, bekannte Melodie auf. In der Kunst spricht man von Kontrafaktur. Ein Beispiel: Aus Shakespeares Romeo und Julia wird die West Side Story von Leonhard Bernstein. O Welt, ich muss dich lassen geht auf ein altes Volkslied aus dem 16. Jahrhundert zurück: Innsbruck, ich muss dich lassen. Da muss jemand seine Liebste verlassen. Er klagt, verspricht ihr Treue, hofft, dass Gott sie beschützt.
Calmus
- Innsbruck, ich muss dich lassen, ich fahr dahin mein Straßen, in fremde Land dahin. Mein Freud ist mir genommen, die ich nit weiß bekommen, wo ich Elend bin.
Ein unbekannter Dichter macht dann aus dem engen Innsbruck die ganze Welt. Aus dem Abschiedslied ein Glaubenslied. Aber auch ein Lied, dass das Sterben radikal in den Blick nimmt. Da wird nichts beschönigt. Melodie und Text geben der Trauer Buchstaben und Töne. Der Tod verändert den eigenen Blick auf das Leben.
Ich habe das erlebt, als mein Vater starb. Hab deutlich gespürt, was es heißt, dass das Leben angesichts seiner Kürze kostbarer wird. Worte, die nicht gesagt wurden, Versöhnung, die verpasst wurde, das alles kann nicht nachgeholt werden. Vergangene Zeit kommt nicht mehr zurück. Und trotzdem bleibt viel von den Toten: Erinnerung, eine bestimmte Geste, ein typischer Satz, ein Licht.
Da passt es, dass Paul Gerhardt auf die bekannte Melodie wieder ein neues Lied schreibt. Nun ruhen alle Wälder. Ein Lied, das auch um Sterben kreist, aber auch von seinem Gegenteil erzählt: Dass auch die Nacht und das Dunkel bewahrt werden. Dass meine Trauer begleitet werden kann: durch andere Menschen, durch Gott. Ich finde: Ein tröstlicher Gedanke.
Gerhaher/Huber
- Auch euch, ihr meine Lieben, soll heute nicht betrüben, kein Unfall noch Gefahr. Gott laß euch selig schlafen, stell euch die güldnen Waffen ums Bett und seiner Engel Schar.
Musik
01 O Welt, ich muß dich lassen; Orgel: Haas, Rosalinde
02 O Welt ich muss dich lassen; Stimmwerck
03 O Welt, ich muss dich lassen; The Playfords
04 Innsbruck, ich muß dich lassen; Calmus Ensemble Leipzig
05 Nun ruhen alle Wälder; Gerhaher, Christian/ Huber, Gerold
https://www.kirche-im-swr.de/?m=43127Ein einzelnes Akkordeon. Ein ungewöhnlicher Klang an einem Sonntagmorgen. Im langsamen Walzertakt erklingt die bekannte Melodie „Amazing Grace“. Ein Lied, das von einer Verwandlung erzählt: Wie einer vom grausamen Sklavenhändler zum gläubigen Christen wird.
In Amerika hat es seinen Weg gefunden weit über die Kirche hinaus in die Bürgerrechtsbewegung der 1950er und 1960er Jahre. Bei der Amtseinführung Joe Bidens ist es vorgetragen worden. Und Barak Obama hat es bei einer Beerdigung für ermordete schwarze Kirchenmitglieder gesungen.
Hubert von Goisern, ein Musiker aus der Steiermark, hat in das Lied hineingehorcht und es in seine musikalische Sprache und Welt übertragen. Es ist, wie im Original, ein Lied voller Dankbarkeit geblieben. Und erzählt darüber hinaus in seiner Version vom Segen, der uns umgibt: „So ein Segen, der uns geschenkt ist. Und dass wir uns so gut spüren. Und dass wir miteinander spielen und hören, wie es ist...“
So ein Segen, der uns geschenkt ist,
Und dass wir uns so gut spüren
Und das wir miteinander spielen und hören,
wie es ist, und das,
dass es so ist, wie es ist
Von früh an hat Hubert von Goisern die Ohren gespitzt und Melodien aufgegriffen, wo er sie gefunden hat. Auf der ganzen Welt. Angefangen in seiner Heimat, der Steiermark. Und von dort stammt auch die Klangfarbe seiner Texte. Wie bei diesem Lied, dessen atmosphärische Wärme im Hochdeutschen nur schwer wiederzugeben ist. Und dessen zweite Strophe etwa so lautet: „Dass uns heute so etwas geschieht, das tut uns gut, weil ja kein Tag wie der andere ist, weil uns das Glück und auch der Segen im Leben zufallen wie vom Himmel der Sommerregen.“
Dass uns heute so etwas geschieht, das tut uns gut,
weil ja kein Tag wie der andere ist,
Weil uns das Glück und auch der Segen im Leben zufallen -
Wie vom Himmel der Sommerregen
Hubert von Goisern schaut in diesem Lied nicht auf das, was sein könnte oder sein sollte, sondern auf sein Leben. Was es ist und wie es ist. Was ihm geschenkt ist und was meistens übersehen wird, weil es so alltäglich ist, so selbstverständlich.
Dafür öffnet mir das Lied die Augen. Macht die kleinen Dinge groß. Hebt das Übersehene ans Licht. Verlangsamt das Tempo meines Lebens, damit ich nicht an dem vorbeihaste, was mir segensreich begegnet. Wie so ein Sonntagmorgen wie dieser. Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag!
*
CD: Hubert von Goisern, Federn, Capriola 2015, Blanko Musik GmbH, München, Distributed by Sony Music Entertainment Germany
https://www.kirche-im-swr.de/?m=43108„Bruder Sonne, Schwester Mond, Bruder Wind und Schwester Wasser“. Was im ersten Moment vielleicht kitschig oder einfältig klingt, ist Weltliteratur! Der Sonnengesang des Heiligen Franz von Assisi feiert sein 800-jähriges Jubiläum, sein Text ist das älteste Dokument in altitalienischer Sprache.
Wir hören eine schlichte Liedvariante aus den 70er Jahren. Die Melodie stammt vom italienischen Filmkomponisten Riz Ortolani.
Musik
1) Höchster, allmächtiger und guter Herr, dein sind der Lobpreis, die Herrlichkeit und Ehr.
Herr, sei gelobt durch Bruder Sonne, er ist der Tag, der leuchtet für und für.
Wenn ich diese Hymne des Heiligen Franziskus höre, kann ich mir leicht vorstellen, wie er in seiner braunen Kutte barfuß im Gras steht, zu den Vögeln predigt und fröhlich die ganze Schöpfung als Familie besingt. Aber so romantisch war es eben nicht.
Im Winter 1225 liegt Francesco nämlich todkrank und fast blind in einer Hütte. Die Mäuse sollen über ihn gekrochen sein, so ärmlich war die Situation. Völlig entkräftet formuliert er seinen Sonnengesang. Er wählt den umbrischen Dialekt, nicht das hochgestochene Kirchenlatein. Das passt, denn was Franziskus schreibt, ist ganz persönlich, und es ist erstaunlich: denn wer lobt schon die Sonne, wenn er nichts mehr sieht?
Der Sonnengesang steckt voller Ehrfurcht. Vor dem ganzen Kosmos und der Erde, vor allen friedfertigen Menschen, und sogar vor dem Tod. Der klingt in dieser Strophe an.
Musik
2) Herr, sei gelobt durch unsren Bruder Tod, dem kein Mensch lebend je entrinnen kann. Der zweite Tod, tut uns kein Leides an.
Franziskus hat viel von sich selbst verlangt. Er hat freiwillig ganz arm gelebt, und unter seiner Zeit gelitten. Im 13. Jahrhundert gab es die Kreuzzüge. Das war für Franziskus so unerträglich, dass er sogar – krank wie er war – zum damaligen Sultan in den Orient gereist ist. Und obwohl die Begegnung zwischen christlicher und muslimischer Welt fruchtbar gewesen ist, hat sich die Friedensmission des Franziskus nicht erfüllt.
Musik
3) Herr, sei gelobt durch jene, die verzeihn, und die ertragen Schwachheit, Leid und Qual.
Höchster, allmächtiger und guter Herr, dein sind der Lobpreis, die Herrlichkeit und Ehr.
Franziskus wollte, dass sein Sonnengesang unter die Leute kommt. Dieser Wunsch ist in Erfüllung gegangen, sein Vermächtnis wirkt immer noch. Jedenfalls bei mir.
Ich kann in großer Verbundenheit mit allem Gott loben. Verbunden mit der Schöpfung, mit anderen Menschen und meinem eigenen Leben, bis zum Schluss.
Das ist nicht blauäugig. So kann ich beten, mit weitem Horizont und „in Dankbarkeit und mit großer Demut“ – wie es im Lied heißt.
Musik
4) Lobet und preiset den Herrn in Dankbarkeit und dienet ihm mit großer Demut.
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Quellen:
1) Eigenproduktion von Lukas Grimm vom 25.09.2025, Liedrechte: Textübertragung: Johannes Lehrner, Musik: nach der Filmmusik zu „Fratello sole sorella luna“ von Riz Ortolani.
Musik
Ein junger Mann reist quer durchs Land, auf dem Weg zu einer Universität. Doch er kommt nie dort an. Er wird überfallen und ausgeplündert, irrt weiter, hin und her – gibt seine Studienpläne auf, findet aber endlich eine gute Anstellung. Glücklich schreibt er ein Lied – es wird eins der bekanntesten Kirchenlieder:
„Wer nur den lieben Gott lässt walten und hoffet auf ihn allezeit, den wird er wunderbar erhalten in aller Not und Traurigkeit.“
Der junge Mann – Georg Neumark heißt er – ist überzeugt: „Wer Gott, dem Allerhöchsten, traut, der hat auf keinen Sand gebaut!“ Heute, fast 400 Jahre später, schreibt der Chorleiter Klaus-Martin Bresgott neue Strophen auf die alte Melodie:
Musik
Mein Gott, im Widerstreit der Welten,
im Flug der Zeit vergeht mein Tun.
Ich weiß nicht, welche Ziele gelten,
mein Schlaf ist ein unsich’res Ruhn.
Ich suche nach dem Gleichgewicht
voll Sehnsucht und doch zögerlich.
Hin und her gerissen sein. Zu viele sich widersprechende Ziele. Den jungen Georg Neumark haben zur Zeit des dreißigjährigen Krieges vor allem äußere Einflüsse aus dem Gleichgewicht gebracht. Viele Menschen heute kämpfen damit in ihrem Inneren.
Wohin soll die Reise gehen? Wie komme ich zum Ziel? Ohne unterwegs ausgeplündert zu werden?
Musik
Ich stehe zaghaft vor der Freiheit,
die, Vater, du mir zugetraut.
Mein Herz ist bang und deine Klarheit
Erschreckt mich tief unter der Haut.
Mein Mut ist wie ein Emigrant,
sucht fragend Trost im fremden Land.
Freiheit. Wunderbar und oft ersehnt. Doch auch eine große Herausforderung.
Was erwartet Gott von mir? Offenbar geht es darum gar nicht. Gott erwartet nichts, Gott traut mir etwas zu. Aber ist mein Herz stark genug dafür? Reicht mein Mut?
„Mein Mut ist wie ein Emigrant ...“
Mein Mut zieht in die Fremde. Zögernd, zaghaft stolpere ich hinterher. Wo geht das hin?
Musik
Doch blitzt dein Segen in der Sonne,
lacht mir die Ewigkeit in dir.
Von Neuem spür ich voller Wonne
die Freiheit deiner Kraft in mir.
Im Morgentau und Mondeslicht
blickst, Vater, du mir ins Gesicht.
Segen. Lachen. Ein freundliches Gesicht. Es ist Gottes Freiheit, die mir Kraft gibt. Ja, so komme ich zum Ziel. Vielleicht nicht zu dem, das ich im Sinn hatte. Aber zu dem, das Gott für mich bereithält. So hat es auch Georg Neumark erlebt. Hören wir ihn zum Schluss noch einmal selbst:
Musik
Sing, bet und geh auf Gottes Wegen,
verricht das Deine nur getreu
und trau des Himmels reichen Segen,
so wird er bei dir werden neu.
Denn welcher seine Zuversicht
auf Gott setzt, den verlässt er nicht.
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Musikquellen
Choral: Gut. 500 Jahre Evangelischer Choral. Athesinus Consort Berlin, Klaus-Martin Bresgott
Komponist
T: Georg Neumark / Klaus-Martin Bresgott (Strophen 4 - 6)
M: Georg Neumark / Satz: Georg Neumark / Felix Mendelssohn
Unser heutiges Lied zum Sonntag ist ein Lied über Wandlung. Ein Lied, das Gott darum bittet, meine Schwächen in Stärken zu verwandeln.
Das Lied heißt „Meine engen Grenzen“ und ist 1981 in ökumenischer Zusammenarbeit entstanden. Der katholische Kirchenmusiker Winfried Heurich hat es komponiert, und der evangelische Pfarrer Eugen Eckert hat den Text gedichtet. In der ersten Strophe heißt es: „Meine engen Grenzen, meine kurze Sicht, bringe ich vor dich. Wandle sie in Weite, Herr, erbarme dich.“
Meine engen Grenzen, meine kurze Sicht, bringe ich vor dich.
Wandle sie in Weite, Herr, erbarme dich.
Eugen Eckert verarbeitet in dem Text all das, was er als Sozialarbeiter in einem Wohnheim für Mädchen aus schwierigen Familien erlebt hat. Die Mädchen haben ihn bestohlen, betrogen und bedroht. Eine besonders tragische Erfahrung war, als ein Mädchen, das er begleitet hat, Suizid begangen hat. Der einzige Weg, mit diesen Herausforderungen fertig zu werden, war oft, die Mädchen und sich im Gebet Gott anzuvertrauen. Eugen Eckert sagt: „Meine eigenen Grenzerfahrungen trage ich in diesem Gebets-Text vor Gott, weil ich Gott zutraue, dass er mit meiner Ohnmacht fertig wird, dass er sie wandelt und mir neue Dimensionen für mein Leben eröffnet.“
Meine ganze Ohnmacht, was mich beugt und lähmt, bringe ich vor dich.
Wandle sie in Stärke, Herr, erbarme dich.
Eugen Eckert hat den Text geschrieben aus der Überzeugung heraus, dass sich Menschen verändern können, wandeln lassen. Dass aus dem, was uns begrenzt, eine Weite werden kann. Dass wer sich ohnmächtig fühlt, wieder stark werden kann. In der dritten Strophe geht es um unsere Ängstlichkeit, aus der ein Gefühl der Wärme entstehen soll. Die vierte und letzte Strophe beschreibt ein Gefühl, das viele Menschen haben: die Sehnsucht nach Geborgenheit und die Bitte, dass Gott sie in ein Gefühl der Heimat wandeln möge.
Mein verlornes Zutraun, meine Ängstlichkeit, bringe ich vor dich.
Wandle sie in Wärme, Herr erbarme dich.
Meine tiefe Sehnsucht nach Geborgenheit bringe ich vor dich.
Wandle sie in Heimat, Herr, erbarme dich.
Wenn im katholischen Gottesdienst Brot und Wein in den Leib Jesu gewandelt werden, dann hat das nichts mit einem magischen Trick zu tun. Mit dem Brot verzehre ich nicht Jesus, ich beiße nicht von ihm ab. Aber ich nehme ihn zu mir, ich hoffe, dass er sich mit mir verbindet, dass ich dadurch ein bisschen wie er werden kann. Im besten Fall wandeln sich im Gottesdienst nicht nur Brot und Wein, sondern auch die Menschen. Und Gott findet bestimmt Wege, auch diejenigen zu wandeln, die nicht im Gottesdienst sind. Deshalb singe ich das Lied „Meine engen Grenzen“ so gerne. Ich bitte damit: Gott, hilf mir dabei, meine Unzulänglichkeiten zu verwandeln. Schenke mir Herzensweite statt eingefahrener Muster. Lass mich zupacken statt dichtzumachen, zuversichtlich sein statt zu resignieren. Und vor allem gib mir das Gefühl, endlich irgendwo angekommen zu sein.
Quellen:
- Track Nr. 8: „Weite“ von der CD:
“Psalmcode”, Move Dove, LC 30755
- Chor des christlichen Entwicklungsdienstes unter der Leitung von Klaus Richter:
Meine engen Grenzen
ARD Archiv-Nr: C1608720Z00 (Aufnahme des BR)
Ein fast grenzenloses Gottvertrauen – das strahlt unser Lied zum Sonntag heute aus. Ein Kinderlied ist es – und lange Zeit ein vielgesungener Klassiker in jeder Kinderkirche: Meinem Gott gehört die Welt.
Strophe 1
Eine schlichte Melodie und einfache Worte. Und doch steckt schon in dieser ersten Strophe ein grundlegendes Bekenntnis. Eines, das nicht nur eine religiöse, sondern auch eine politische Dimension hat:
Meinem Gott gehört die Welt. Meinem Gott das Himmelszeit. Ihm gehört der Raum, die Zeit – als Arno Pötzsch, damals Vater von zwei kleinen Töchtern, diese Zeilen im Jahr 1934 geschrieben hat, waren es in Deutschland die Nazis, die den totalen Anspruch auf das Leben und Denken erhoben haben
Meinem Gott gehört die Welt – und nicht dem Führer. Das Kinderlied sagt in einfachen Worten das, was im gleichen Jahr auch die Synode der Bekennenden Kirche in Barmen festgehalten hat: Wir verwerfen die falsche Lehre, als gebe es Bereiche unseres Lebens, in denen wir nicht Jesus Christus, sondern anderen Herren zu eigen wären. So heißt es in der Zweiten Barmer These.
Nur Gott bin ich zu eigen, sagt auch Pötzsch in seinem Lied.
Strophe 2+3
Ganz in Gottes Hand geborgen, immer von ihm geführt und begleitet, und ganz in seinen Willen ergeben – mir selbst fällt es nicht immer leicht, das so mitzusingen.
Doch auch Arno Pötzsch, der so gedichtet hat, kannte Zweifel. Im Ersten Weltkrieg hatte er sich als Siebzehnjähriger freiwillig zur Marine gemeldet. Nach Ende des Krieges wollte er Religionslehrer werden, brach die Ausbildung aber nach einem Jahr ab. Sein Selbstvertrauen und auch sein Gottvertrauen waren tief erschüttert, er litt unter Depressionen. Er fand Halt in der Herrnhuter Brüdergemeine und ließ sich dort zum Erzieher und Sozialarbeiter ausbilden. Erst als Dreißigjähriger begann er noch ein Theologiestudium. In seinen Liedern spiegelt sich kein kindliches, sondern eher ein trotziges Vertrauen – gegen die erlebte und erlittene Wirklichkeit.
Meinem Gott gehört die Welt – heute ist das Lied aus der Mode gekommen. Die Kinder in meinen Grundschulklassen wünschen sich Melodien mit mehr Drive.
Bei einem Thema singen wir das Lied aber trotzdem jedes Mal. Dann, wenn es um Sterben und Tod geht. Wenn wir vorher zusammen auf dem Friedhof waren. Und ein Kind erzählt hat, wie es war, als der Uropa gestorben ist. Dann tut das Lied uns allen gut. Die feste Zuversicht, die es bekennt: Wir sind in Gottes Hand – im Leben und im Tod.
Strophe 6
https://www.kirche-im-swr.de/?m=42959Musik 1: Georg Friedrich Händel: Gloria; Emma Kirkby (Sopran) und Royal Academy of Music Baroque, Leitung: Laurence Cummings
Gloria in excelsis Deo! – Ehre sei Gott in der Höhe!
Es kommt festlich und virtuos daher, das „Gloria“ von Georg Friedrich Händel für Solosopran und Streichorchester. Händel ist erst 22 Jahre alt, als er dieses Stück um 1707 für einen katholischen Gottesdienst in Rom komponiert. Weil er in Sachsen aufgewachsen ist, nennen seine römischen Fans ihn den liebenswerten Sachsen, „il caro Sassone“. Diese Fans und Auftraggeber, darunter einige Kardinäle, sind natürlich katholisch. Händel bleibt jedoch zeitlebens seiner lutherischen Religion treu, auch als er später in London wirkt, wo alle anglikanisch waren. Als man ihm dort Bibelverse für eine Krönungsmusik vorschreiben will, entgegnet Händel selbstbewusst und typisch lutherisch: „Ich kenne die Bibel gut und kann die passenden Verse selber aussuchen.“
Musik 2: – Laudamus te, benedicimus te, adoramus te, glorificamus te. – Wir loben dich, wir preisen dich, wir beten dich an, wir rühmen dich.
Musik verbindet die Konfessionen. Sie ist schon viel weiter, als die Kirchen insgesamt. Gerne denke ich an meinen ersten Orgellehrer zurück. Er hat als evangelischer Kirchenmusiker auch die Katholiken – wie mich - unterrichtet, für die es weit und breit ansonsten keinen Lehrer gab. Einmal pro Woche fuhr er mit seinem VW-Variant – der war gut und geräumig, wenn man als Dirigent auch mal Pauken transportieren muss – über die Dörfer, um jungen Menschen das Orgelspielen beizubringen. Als guter Lutheraner hat er sich an der Bibel orientiert. Und in der Bibel gibt es, so hat er es mir auf der Orgelbank erklärt, keinen Hinweis darauf, dass er bedürftige Katholiken nicht unterstützen dürfe. Dafür bin ich ihm bis heute dankbar!
Musik 3: Gratias agimus tibi propter magnam gloriam tuam. – Wir danken dir, denn groß ist deine Herrlichkeit.
Mit dieser Musik will der junge Lutheraner Händel im katholischen Rom eine feste Anstellung erreichen, vielleicht bei einem Kardinal. Hat aber leider nicht geklappt. Mich erinnert diese Musik daran, dass die Kirchen sich noch mehr versöhnen sollten. Die Musik macht es uns vor: In kirchlichen Chören singen viele aus verschiedenen Konfessionen und manche, die eben kulturell interessiert sind. Vieles darf konfessionell verschieden sein, auch musikalisch: die katholische Orchestermesse zum Hochamt und die evangelische Kantate mit Worten aus der Luther-Bibel oder der anglikanische Evensong mit viel Chormusik. Das ist ein großer Reichtum, so reich wie ein Orchester mit seinen vielen Instrumenten. Und Gott selbst macht es uns ja vor: Ein Gott in drei Personen: Vater, Sohn und Heiliger Geist! Warum also nicht ein Christentum in mehreren Konfessionen, die sich gegenseitig achten, in „versöhnter Verschiedenheit“ zusammenwirken und gemeinsam das Abendmahl feiern. An Musik hierfür fehlt es nicht. Händel eignet sich bestens, vom anfänglichen „Gloria“ bis zum kraftvollen „Amen“ am Ende. Da hört man förmlich, wie die irdischen Klänge alle Grenzen sprengen wollen.
Musik 4: Cum Sancto Spiritu in gloria Dei patris, Amen – mit dem Heiligen Geist zur Ehre Gottes, des Vaters, Amen.
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