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Jetzt ist es tatsächlich soweit. Seit sieben Jahren bin ich nicht mehr umgezogen. Wir sind seit 2006 vier Mal umgezogen. Und wohnen jetzt eben seit sieben Jahren am Rande der Schwäbischen Alb. Und damit so fest an einem Ort, wie schon lange nicht mehr.
Dabei ist es mir trotz der vielen Ortswechsel eigentlich nie schwergefallen, den neuen Wohnort als mein Zuhause zu bezeichnen. Im Gegenteil. Ich habe schon oft schmunzelnd erzählt, dass ich von zu Hause nach Hause gefahren bin – weil ich zu meinen Eltern gefahren bin, oder so.
Für mich ist „zu Hause“ eigentlich mehr ein Gefühl, als ein Ort.
Die Bibel geht da sogar noch einen Schritt weiter. Immer wieder ist in Geschichten und Gebeten davon die Rede, dass wir noch ein Zuhause haben. Ein Zuhause bei Gott.
Das finde ich eine tolle Vorstellung. Vor allem deshalb, weil es in der Bibel ganz viele Geschichten gibt, in denen Gott die Menschen begleitet. Dieses Zuhause bei Gott hat auch nicht immer den gleichen festen Ort. Und es ist auch eher ein Gefühl von Geborgenheit und Begleitung. Es ist ein Versprechen, dass Gott immer da ist. Gott schenkt uns Menschen also sowas wie ein „zuhause to go“.
Was für eine schöne Vorstellung! Vor allem für die Menschen, die gar kein Zuhause haben, oder ihr Zuhause verlassen mussten. Da gibt es einen Ort, der ihnen Sicherheit gibt – und mir. Da gibt es einen Platz bei Gott, weil wir ihm wichtig sind. Und genau deshalb ist dieser Platz da, wo ich bin. Den gibt es nicht irgendwann einmal. Der ist auch nicht irgendwo versteckt oder nur für ganz bestimmte Leute da. Bei Gott ist Platz für mich. Und für alle, die sich danach sehnen, ein Zuhause zu haben. Und gleichzeitig bedeutet dieses Zuhause bei Gott nicht Stillstand.
Denn: Ein Zuhause zu haben schließt immer auch einen Weg mit ein. Ein Stück Leben, das manchmal auch Umwege beinhaltet. Und ein Zuhause lässt mich auch immer wieder aufbrechen. Auf neuen Wegen, weil ich weiß, dass Gott immer mitgeht. Es tut mir gut zu wissen, dass ich diesen Platz bei Gott habe. Wo ich einfach sein kann. Wo ich dazu gehöre. So, wie ich bin. Wo ich akzeptiert werde und mich nicht rechtfertigen muss. Nicht erklären, warum ich da bin. Wo ich mich sicher und geborgen fühle. Und wo ich einfach spüre: hier bin ich zu Hause
Wo auch immer sie gerade sind. Kommen sie heute gut zu Hause an.
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I han eich no was ibrichglasse – also: „Ich habe euch noch was übrig gelassen …“
… damit hat sich neulich morgens beim Bäcker ein Kunde verabschiedet. Alle anderen mussten natürlich schmunzeln. Im ersten Moment dachte ich: „Was für ein blöder Spruch“. Die Regale der Bäckerei waren ja noch voll mit frischen Brezeln, Brötchen und frisch gebackenen Broten. Je länger ich aber darüber nachgedacht habe, desto sympathischer wurde er mir. Vor allem, weil es der Mann mit diesem einen Satz geschafft hat, uns alle aus unserer morgendlichen Schlafzimmerstimmung zu holen.
Das kennen Sie bestimmt, wenn Sie morgens beim Bäcker sind. Alle schauen einfach nur müde vor sich hin. Und warten nur darauf mit den gefüllten Brötchentüten zu ihrem Kaffee nach Hause zu kommen.
Mittlerweile denke ich, dass es mehr so Menschen geben müsste. Die einfach Mal einen ganzen Laden zum Schmunzeln bringen. Die es schaffen, dass alle für einen kurzen Moment einfach nur lächeln müssen. Kinder können das auch. Ich weiß noch gut: Als unser Sohn noch klein war, und wir in Stuttgart in der U-Bahn unterwegs waren, genügte sein Lächeln und alle haben mitgelächelt.
Als Jesus einmal in der Nähe eines Dorfes war, da kamen auch Kinder angelaufen. Viele der Erwachsenen fanden das aber gar nicht gut. Sie wollten sie wieder wegschicken. Aber das hat Jesus nicht zugelassen. Im Gegenteil. Er hat seine Arme ausgebreitet und gesagt: „Lasst doch die Kinder zu mir kommen, hindert sie nicht daran! […] Wer sich das Reich Gottes nicht wie ein Kind schenken lässt, wird nie hineinkommen. Dann hat er sie auch noch gesegnet. Ich kann mir gut vorstellen, dass das dem ein oder anderen auch ein Lächeln ins Gesicht gezaubert hat.
Vielleicht sogar denen, die vorher geschimpft hatten.
Manchmal braucht es einen Impuls von außen. So einen Lächel-Anstupser. Unser Alltag ist doch ernst genug. Dass ich über den Moment hinausdenken kann. Und es mich vielleicht aus einer bestimmten Stimmung rausholt – zumindest, wenn ich das in dem Moment zulassen will.
Genau das hat der Mann morgens beim Bäcker geschafft. Aus diesem müden jede und jeder für sich, ist ein gut gelauntes wir geworden. Das habe ich an dem Morgen mit nach Hause genommen. Und mir vorgenommen, dass ich genau da drauf mal achten möchte in nächster Zeit. Wo kann ich vielleicht meinen Teil dazu beitragen? In diesem Sinne: Lassen sie mir was übrig …
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38492Tag der Deutschen Einheit – Das heißt für viele heute: Feiertag. Einheit was für ein großes Wort. Und auch ein schönes Wort. Es signalisiert: „Wir halten zusammen“. „Wir sind gemeinsam auf dem Weg“. Und vielleicht: „Wir sind uns einig“.
Allerdings finde ich, dass das, vor allem in den letzten Wochen und Monaten – vielleicht sogar Jahren – so gar nicht der Fall war. Dabei meine ich weniger die Diskussionen über Ost und West. Sondern ich erlebe beinahe täglich, dass das nicht so ist:
Wer darf denn alles nach Deutschland kommen und wer nicht? Kaum ein Thema in der Politik, um das nicht gestritten wird. Der Klimaschutz erhitzt die Gemüter. Wir haben einen Krieg auf unserem Kontinent. Und Nachbarn streiten sich um das Laub von Bäumen.
Mir ist klar, dass das auch die ganz großen Themen unserer Zeit sind. Und, dass es schwierig oder unvorstellbar wäre, dass wir zu jedem Thema eine einheitliche Meinung haben.
Jesus war immer mit ganz unterschiedlichen Leuten unterwegs. Mit seinen Freundinnen und Freunden und ganz fremden Leute. Kurz vor seinem Tod, hat er sich von seinen engsten Freunden verabschiedet und zu ihnen gesagt: Ich gebe euch ein neues Gebot: Liebt einander! Genauso wie ich euch geliebt habe, sollt ihr einander lieb haben.
Ich bin mir eigentlich ziemlich sicher, dass sich auch in dieser kleinen Gruppe nicht immer alle einig waren. Auch da gab es Diskussionen, welchen Weg man nehmen soll. Wie man am besten die Leute erreichen kann. Und überhaupt, wie das alles werden wird. Mit diesem Jesus …
Es fanden sich auch sicher nicht alle gleich sympathisch. Ich glaube nicht, dass das Jesus so gemeint hat, dass sich alle nur in die Arme fallen sollen.
Ich glaube eher, dass es ihm um eine gewisse Grundhaltung gegangen ist. Dass man sich miteinander leidenschaftlich streiten kann – aber wohl immer weiß, dass das Gegenüber kein schlechter Mensch ist. Vielleicht eine gewisse Einigkeit darüber, dass wir uns gegenseitig als Menschen wahrnehmen und auch schätzen. Und mit dieser Grundhaltung auch diskutieren und unsere Konflikte austragen.
Ich glaube, das ist es, was ich mir im Moment in unserer Gesellschaft am meisten wünsche. Diese Wertschätzung von anderen – trotz aller Unterschiede.
Ich finde, dass so etwas von der Einheit spürbar werden könnte. Und das nicht nur am Tag der Deutschen Einheit.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38491Stellen Sie sich Mal vor, jemand sagt zu Ihnen: Lass Dein ganzes Leben hinter Dir und fang ganz neu an. Wo, verrate ich Dir noch nicht. Aber ich will Dich segnen und Du sollst ein Segen sein.
Also ich glaube, dass ich vermutlich nur mit dem Kopf schütteln würde. Abraham, in der Bibel, hat aber genau das gemacht.
Er hat es gemacht, weil Gott ihm versprochen hatte, dass er ihn begleiten wird. Dass er ihn segnen wird und er so auch wieder zu einem Segen werden kann. Darauf hat Abraham sich verlassen. Das hat ihm Mut gemacht und ihm Kraft gegeben.
Wahrscheinlich ist dieser Satz deshalb ein so beliebter Taufspruch. Auch unser Sohn hat diesen Segensvers als Lebensmotto in der Taufe mit auf den Weg bekommen. Ich will Dich segnen und Du sollst ein Segen sein.
Ich will dich segnen: Das klingt gut. Gott wird mich nicht allein lassen und dafür sorgen, dass mein Leben gut wird – das ist zumindest der Wunsch, der da dahintersteckt.
Ich will dich segnen. Das verstehe ich. Aber das „… und du sollst ein Segen sein?" Wie kann ein Mensch ein Segen sein für andere?
Nun – zunächst sind ja Kinder an sich ein Segen. Sie sind für mich wie der Segen ein Geschenk. Einfach deshalb, weil sie da sind. Egal, ob sie lachen oder weinen. Sich freuen oder gerade ein bisschen bockig sind. Dadurch bereichern sie das Leben. Sie machen mich dankbar. Ihre Fragen machen mich weise, wenn ich über die Antworten nachdenken muss. Ihr Staunen zeigt mir, wie schön unsere Welt ist. Oder wie schrecklich.
Sie sind aber auch ein Segen, weil sie mich Zeit kosten. Ja sie haben mich richtig verstanden. Meine Kinder beispielsweise kosten mich Zeit. Und das ist gut so. Denn Zeit füreinander ist etwas sehr Wertvolles und kann zum Segen werden. Wenn ich mir Zeit für einen anderen Menschen nehme, dann reißt mich das raus aus meinem Alltagstrott. Es kostet mich Zeit und gleichzeitig teilen wir ein Stück Leben miteinander. Die kurze Begegnung bei der Kaffeemaschine im Büro. Das lange schon überfällige Eis mit der besten Freundin. Oder bei den leidlichen Hausaufgaben. „Was für ein Segen“ oder: „Dass du für mich in diesem Moment da warst, war ein echter Segen …", sind Aussagen, die genau das beschreiben. Und so bleibt für mich: Auch, wenn „Segen für andere“ sein, Zeit kostet, möchte ich sie mir gerne genau dafür nehmen.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38490Ich zehre von diesem Sommer. Von den Farben, die immer noch in meinem Kopf sind. Von den Düften und Gerüchen, die ich wahrgenommen habe. Und vor allem: Von der Stille, die ich gespürt habe. Es waren Wochen, die ich sehr intensiv erlebt habe.
Ich bin viel unterwegs gewesen. Und die beste Zeit war die, in der dabei nichts passiert ist. In der ich keinen Plan für den Tag gemacht habe. Sondern mit Kaffee oder einem Glas Wein draußen gesessen bin. Und in der ich einfach still sein konnte. Das ist mir auch deshalb gelungen, weil ich drei Wochen lang kein Buch und keine Zeitschrift gelesen habe. Und das Handy habe ich fast nur zum Fotografieren in die Hand genommen. Mir hat es gutgetan, in ein leeres Gästezimmer zu kommen und aus dem Koffer zu leben und mir um Äußerlichkeiten wenig Gedanken zu machen.
Gleichzeitig habe ich gemerkt, dass ich in dieser Zeit Dinge intensiv wahrgenommen habe, Farben und Düfte zum Beispiel. Ich erinnere mich an Lavendel, Pinien, Salzluft, an frische Tomaten, Aprikosenmarmelade mit Ingwer, Hagebutten im Abendrot. Das Licht in einer leeren Kirche am Morgen. Es war fast wie eine heilige Zeit.
Ich glaube, ich habe etwas von dem geahnt, was Mystiker meinen, wenn sie sagen: In jedem von uns ist ein Raum der Stille. Wenn wir es schaffen, den zu finden, dann können wir zur Ruhe kommen. Und etwas vom inneren Frieden spüren, auch wenn wir unruhig sind oder Sorgen haben.
So ein Raum der Stille braucht aber auch Sorgfalt und Pflege; das ist im Alltag natürlich nicht ganz einfach. Da, wo ich wohne, ist es ganz und gar nicht still; rund um die Uhr höre ich den Lärm von der Autobahn oder die Flugzeuge. Und wenn man Familie hat, da geht es nicht, einfach alles zu lassen und still zu sein. Trotzdem versuche ich, mir ein wenig von dem Gefühl eines stillen Raums in mir zu bewahren.
Ich kann mir kleine Auszeiten suchen, wo das möglich ist. Ich werde das auch morgen früh wieder tun, denn für mich ist der Morgen dazu die beste Zeit, solange noch Ruhe im Haus ist. Nach dem Aufstehen schaue ich nicht als erstes aufs Handy und ich schalte nicht gleich das Radio ein. Ich will die Welt um mich herum zuerst mit den Sinnen wahrnehmen und deshalb beginnt mein Tag vor der Tür, im Garten. Die kühle Morgenluft auf der Haut tut mir gut. Katze und Hase bekommen die ersten Streicheleinheiten und dann genieße ich schweigend den ersten Kaffee. Das ist meine heilige Zeit.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38434Ich stehe am Busbahnhof und warte auf meine Tochter. Vor 24 Stunden ist sie in Rumänien in den Bus gestiegen, sie kommt zurück aus den Karpaten. Fast drei Woche war sie mit einer Gruppe Pfadfinder im Gebirge unterwegs. Ich bin froh, als der Bus um die Ecke biegt. Denn da gab es doch einige kritische Situationen zu überstehen in den letzten Wochen: Gewitter und Hagel, heftiger Regen, Zelte wurden weggeweht und zerrissen, die Gruppe ist Bären begegnet, und etliche haben sich mit einem Magen-Darm-Virus durch die Berge geschleppt.
Doch jetzt ist alles gut! Alle sind wohlbehalten zurück. Während die Gruppe zum Abschied am Bussteig noch singt und lacht, fährt gegenüber der nächste große Bus ein. Etliche Menschen warten schon. Mir fällt auf, dass die Leute große Taschen dabei haben. Und ich sehe viele Frauen mit Kindern. Als ich den Lauftext am Bus lese, erschrecke ich. Es werden all die Orte angezeigt, an denen der Bus in den nächsten Stunden und Tagen halten wird. Er fährt über Nürnberg und Bayreuth und weiter nach Dresden und Görlitz. Und die Namen, die ich dann lese, kenne ich nur aus den Nachrichten: Kiew, Odessa, Mykolaiv, Cherson. Dieser Bus fährt ins Kriegsgebiet. In die Ukraine.
Ich kann das in diesem Moment kaum glauben. Da spielen sich innerhalb von wenigen Minuten zwei Situationen am selben Ort ab, die so gegensätzlich sind: Aus dem einen Bus steigen fröhliche junge Leute. Die hatten eine aufregende, aber tolle Zeit miteinander. In den Bus gegenüber steigen Mütter mit teils kleinen Kindern und fahren in ein zerstörtes Land; an Orte, die lebensgefährlich sind. Und ich steh einfach daneben.
Ich fühle mich in diesem Moment so hilflos und denke: Was sind meine Sorgen gegen die Angst dieser Mütter! Ich kann mir deren Situation kaum vorstellen.
Dieser Krieg ist immer noch furchtbar. Und ich habe keine Ahnung, was zu tun ist, damit er endet. Das Mindeste, das wir tun können: Den Ukrainerinnen und Ukrainern, die hier bei uns sind, zeigen: Wir sehen euch, wir nehmen wahr, was passiert. Als der Bus abfährt, hebe ich den Arm und winke vorsichtig.
Gleichzeitig wünsche ich mir, dass ich eines Tages selbst in einem Bus sitze mit Ziel Odessa; um in dieser schönen Hafenstadt am Schwarzen Meer Urlaub zu machen. Und ich hoffe, dass die Frauen und Kinder, die in diesen Wochen in ihre Heimat fahren, den Traum nicht aufgeben: Einmal wieder mit dem Bus in den Frieden zu fahren.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38433Wir sind unterwegs am Bodensee und machen einen Stopp bei der berühmten Wallfahrtskirche Birnau. Als wir sie besichtigen, fällt mir ein Tablett auf, das im Vorraum steht. Darauf sind lauter kleinen Fläschchen mit goldfarbenem Schraubverschluss, der Inhalt ist durchsichtig. Beklebt sind sie mit einem Etikett, auf dem ist die Wallfahrtskirche abgebildet. Ich denke im ersten Moment: Ah, das ist bestimmt ein Obstbrand, ein Schnaps also. Das Kloster hat vielleicht eine eigene Brennerei. Denn die Wallfahrtskirche liegt ja mitten in einem großen Obstanbaugebiet. Ich nehme das Fläschchen in die Hand und schaue genauer hin: Dann muss ich schmunzeln. Nein, es ist kein Obstbrand, es ist Weihwasser!
Auf dem Etikett dieses Weihwasser-Fläschchens steht: „Durch die Kraft Gottes, die im Weihwasser wirkt, möge: Alles Böse von mir weichen und Gottes Segen, Frieden und Gesundheit über mich kommen.“
Ich überlege, ob ich das Weihwasser mitnehmen soll. Und entscheide mich dagegen. Denn ich würde es nicht verwenden. Ich mag das Ritual, mich mit Weihwasser zu bekreuzigen, wenn ich in eine Kirche komme. Das Zeichen erinnert mich an meine Taufe und daran, dass mein Leben zwar endlich ist, aber dass es nach dem Tod ein ewiges Leben gibt. Daran kann ich glauben. Aber dass eine Extra-Kraft in geweihtem Wasser steckt, die mich beschützt, damit kann ich wenig anfangen.
Zum Ende unseres Birnau-Besuchs gehe ich noch nach nebenan in den Klosterladen. Und da gibt es tatsächlich einen Birnauer Obstbrand! Abgefüllt in denselben kleinen Fläschchen mit goldfarbenem Schraubverschluss. Den Obstbrand nehme ich mit. Der erinnert mich an das Ritual in unserer Familie am Ende einer Bergtour oder auf dem Gipfel: Da gab es immer einen Schnaps. Als Zeichen für unsere Gemeinschaft am Berg, dass wir gut miteinander unterwegs waren und das Ziel erreicht haben.
Wir brauchen Zeichen und Rituale im Leben, an denen können wir uns festhalten, sie geben uns Orientierung. Und sie drücken aus, was wir mit Worten manchmal nur schwer formulieren können. Der Benediktinerpater Anselm Grün sagt: „Rituale sind mehr als Alltaggewohnheiten und mehr als bloßes eingespieltes Routineverhalten. Rituale öffnen den Himmel über unserem Leben.“[1]
Ich gehe doch nochmals zurück in die Kirche und stecke ein Fläschchen vom Weihwasser ein. Nicht für mich. Für eine Freundin, von der ich weiß, dass sie gerne Weihwasser im Haus hat. Für mich hat beides in gleicher Weise seinen Platz, wenn es um Rituale geht - Weihwasser und Obstbrand.
[1] Anselm Grün, „50 Rituale für das Leben“, Herder Verlag
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38432Können Sie sich das vorstellen? Es gibt bald keinen Kaffee mehr! Ich trinke jeden Tag Kaffee. Einen am Morgen und einen am Nachmittag, manchmal noch abends einen Espresso. Kaffee ist für mich nicht nur einfach ein Getränk. Kaffee hat für mich mit einem guten Lebensgefühl und mit Gemeinschaft zu tun. Oft sag ich zu Kollegen oder Freundinnen: „Lass uns auf einen Kaffee treffen“. Ein Tag ohne Kaffee - da würde mir echt was fehlen.
Noch etwa 25 Jahre, dann könnte dieses Szenario tatsächlich Realität sein – es gibt keinen oder nur noch wenig Kaffee auf der Welt. Weil der Klimawandel die Kaffee-Anbaugebiete zerstört hat. Den empfindlichen Kaffee-Pflanzen ist es zu heiß geworden, die Böden sind zu trocken, der Regen kommt zur falschen Zeit. Experten können mit Studien ziemlich genau vorhersagen, dass es so kommen wird.[1]
Aktuell findet in ganz Deutschland gerade die sogenannte Faire Woche statt; da gibt es Infos und Aktionen rund um den Fairen Handel. Fairer Handel das bedeutet kurz zusammengefasst: Menschen, die für uns auf der Südhalbkugel Lebensmittel anbauen oder Produkte herstellen, bekommen dafür einen Lohn, von dem sie leben können. Dieser Lohn macht es ihnen möglich, so zu wirtschaften, dass die Natur nicht geschädigt und Arbeiter nicht ausgebeutet werden. Und Kaffee ist das wichtigste Produkt beim Fairen Handel, mit den Kaffeebohnen hat der Faire Handel vor 50 Jahren sogar begonnen.
Durch den Klimawandel ist jetzt auch dieser ganze Faire Handel bedroht. Darunter Hunderttausende kleinbäuerliche Betriebe, die Kaffee für uns anbauen. Um darauf aufmerksam zu machen, lautet das Motto der diesjährigen Fairen Woche: „Fair. Und kein Grad mehr!“
Es ist längst bekannt: Menschen auf der Südhalbkugel tragen mit ihren Lebensgewohnheiten am wenigsten zum Klimawandel bei. Und sind gleichzeitig am stärksten von den Folgen betroffen. Deshalb finde ich es nur fair, wenn wir sie wenigstens finanziell unterstützen, damit sie eine Chance haben, mit den Klimaveränderungen umzugehen. Denn die sind ja jetzt schon spürbar. Die Kaffee-Ernten sind kleiner, die Qualität wird schlechter, neue Krankheiten zerstören die Kaffeepflanzen.
Mich beeindruckt, dass die kleinbäuerlichen Kaffee-Produzenten aber trotzdem nicht resignieren. Sie suchen neue Wege. Sie verlagern Anbau-Fläche in höhere Regionen, wo es kühler ist. Sie versuchen es mit Biodiversität, also unterschiedliche Pflanzen, auf ihren Anbauflächen. Sie nutzen erneuerbare Energien, usw.
In 25 Jahren werde ich wohl keinen Kaffee mehr mit Kolleginnen trinken aber hoffentlich noch mit meinen Senioren-Freundinnen. Damit es aber überhaupt noch Kaffee gibt und damit der nicht nur uns guttut, sondern vor allem denen, die ihn für uns angebaut haben, ist Fair gehandelter Kaffee für mich schon lange eine klare Entscheidung.
[1]https://www.nationalgeographic.de/umwelt/2022/01/studie-kaffee-wird-kuenftig-knapp
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38431Ein großer Friedensstifter hat heute Namenstag. Der heilige Nikolaus von Flüe. Mit dessen Lebensgeschichte hatte ich lange meine Schwierigkeiten. Weil ich den Eindruck hatte, er folgt dem Ruf Gottes auf Kosten seiner Familie.
Kurz zusammengefasst geht seine Lebensgeschichte so: Nikolaus von Flüe hat Mitte des 15. Jahrhunderts in der Schweiz gelebt. Er war Bergbauer und gleichzeitig engagiert als Richter und Politiker. Er und seine Frau Dorothea hatten zusammen zehn Kinder und waren ein gutes und glückliches Paar. Und dann plötzlich die Wende: Nikolaus verlässt Frau und Kinder und baut sich eine Hütte in einer Schlucht. Er glaubt, dass Gott ihn ruft. Deshalb will er als Einsiedler leben und auf diese Weise Gott und den Menschen dienen. Das gelingt ihm tatsächlich. Viele Menschen kommen zu ihm und fragen um Rat, auch Politiker und Staatsmänner. Der Frieden ist sein Thema, Streitigkeiten schlichten. Das kann er, weil er die Gabe hat, sich in andere hineinzuversetzen; und er hat immer gut verstanden, wie weit jemand gehen kann. Sein Ansatz ist, „es niemals bis aufs Äußerste ankommen zu lassen“.[1] Das ist auch heute ein guter Rat. Am Ende jedenfalls ist es Nikolaus sogar gelungen, einen Bürgerkrieg in der Schweiz zu verhindern. Und die Schweizer haben ihn deshalb zu ihrem Nationalheiligen erklärt.
Wenn ich die Geschichte des Klaus von Flüe so lese, dann denke ich zunächst: Der ist einfach gegangen! Er hat sich rausgenommen, sich selbst zu verwirklichen. Und Frau und zehn Kinder hat er sitzen lassen. Da kann man leicht erfolgreich sein, wenn man alles stehen und liegen lässt – selbst wenn Gott einen dazu ruft.
Aber ganz so einfach war es dann doch nicht. Nikolaus hat mehrere Jahre mit dieser Entscheidung gerungen. Und seine Frau Dorothea hat gespürt, dass er unruhig war, dass er gelitten hat. Als Nikolaus schließlich klar war, dass er Hof und Familie verlassen muss, hat er Dorothea gebeten, ihm dafür ihr JA-Wort zu geben. Sie hat es getan, sie hat ein zweites Mal JA zu ihrem Mann gesagt.
Wie stark war diese Frau! Wie groß muss ihre Liebe gewesen sein, dass sie ihren Mann frei gibt. Dass sie verzichtet. Und dass sie den Willen Gottes an die erste Stelle setzt und sich selbst zurücknimmt.
Dorothea hat ihren Mann in Frieden gehen lassen. In Frieden und in Liebe. Für sie war dieses zweite JA ganz sicher eines, das sehr weh getan hat. Doch ich glaube: Ohne dieses JA, hätte Nikolaus von Flüe selbst keinen Frieden gefunden. Nur so war es ihm möglich, sich dann auch für den Frieden zwischen anderen einzusetzen.
Deshalb gehört zum Gedenktag des heiligen Nikolaus von Flüe heute seine für mich mindestens genauso heilige Frau Dorothea.
[1]https://50plusmagazin.ch/interview-mit-schriftsteller-pirmin-meier-ueber-niklaus-von-fluee/
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38430Seit unserem letzten Urlaub hat mich das Fahrradfieber gepackt. Auch zuhause fahre ich seitdem viel öfter Fahrrad. Am Anfang wurden vor allem die Wege, die ich sonst zu Fuß zurücklege durchs Radfahren ersetzt. Mein Auto steht bereits die meiste Zeit in der Garage. Doch einmal in der Woche mache ich einen Großeinkauf – mit dem Auto. Diesen wöchentlichen Großeinkauf mit dem Fahrrad zu erledigen – das wäre eine echte Veränderung.
Doch ganz ehrlich: ich bin kein Mensch, dem Veränderungen leichtfallen. Trotzdem wage ich gern Neues. Sozusagen um mich selbst herauszufordern. Und Schritt für Schritt klappt es dann meistens doch ganz gut. So auch bei diesem Vorsatz: Zunächst habe ich mir eigene Fahrradtaschen genäht. Da ich super gern nähe, habe ich mich so ein stückweit selbst überlistet. Denn nachdem die Taschen fertig waren, wollte ich sie natürlich auch nutzen. Seitdem war ich schon einige Male damit einkaufen. Ich habe schnell gelernt, was ich an den Taschen noch nachbessern muss oder wie ein Einkauf mit dem Rad am entspanntesten abläuft. Mittlerweile ist diese Veränderung langsam in meinem Leben angekommen und ich bin stolz, dass ich Neues gewagt habe.
Und ich bin damit nicht allein: In der Bibel gibt es unzählige Geschichten von Veränderungen. Denn Gott verändert Menschen und ihr Handeln, indem er sie befähigt. Ihnen etwas zutraut. Wie zum Beispiel bei Mose. Er wird von Gott erwählt, das Volk Gottes aus der Sklaverei zu führen. Als junger Mann soll er plötzlich ein großes Volk quer durch die Wüste führen. Das ist keine leichte Aufgabe. Doch mit Gottes Hilfe gelingt die Mission. Und schließlich landen sie gemeinsam im gelobten Land. Schritt für Schritt.
Solche Beispiele helfen mir, wenn sich in meinem Leben Dinge verändern. Denn sie zeigen mir: Veränderungen sind wichtig und gehören zum Leben dazu. Doch gleichzeitig weiß ich: ich muss sie nicht allein meistern. Meine Freunde, meine Familie oder Kollegen unterstützen mich oft. Doch manchmal reicht diese Hilfe nicht. Ich bin dankbar zu wissen: ich bin nicht allein. Gott geht mit. Ermutigt und befähigt mich. So kann ich mich Schritt für Schritt an das Neue gewöhnen, ohne mich selbst zu überfordern.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38425Zeige Beiträge 1 bis 10 von 2935 »