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Ich stehe ziemlich weit im Osten der Nordseeinsel Spiekeroog. Hier habe ich in diesem Jahr Sommerurlaub gemacht. Und ich stehe dort und gucke und gucke und sehe nur Weite. Das flache Land, Gräser im Sand, vom Wind sacht hin und her bewegt. Dahinter das Meer. Der Horizont. Und dann nur noch Himmel. Nichts, an dem das Auge hängen bleiben könnte. Weite.
Es ist ein wahnsinniges Gefühl. Hier könnte man sich selbst verlieren. Das ist fast etwas beängstigend. Aber mir geht gleichzeitig das Herz auf. Es ist so wunderschön hier. Und es tut so gut. Nichts. Nur Weite. Kein Anspruch, kein: Tu dies, tu das! Die Zeit scheint stehen zu bleiben. Es ist einfach gut. So wie es ist.
In diesem Moment habe ich an den Propheten Elia denken müssen. Elia hat auch einmal im Sand gestanden und auf Gott gewartet. Ein Sturm zieht an ihm vorbei, dann ein Erdbeben, dann ein Feuer. Aber, so mächtig und stark diese Erscheinungen auch sein mögen, Gott ist für Elia darin nicht zu finden. Doch dann hört er ein „stilles, sanftes Sausen“ (1.Könige 19, 12). Und da weiß er: Jetzt ist Gott da. Erst als Ruhe einkehrt, kann Elia Gottes Stimme wahrnehmen.
Ich kann das nachvollziehen. Dort, in der Weite dieser Insel, in der Ruhe, wo schlicht nichts war, da war auch für mich ein Moment, in dem ich mich Gott ganz nahe gefühlt habe. Es war einfach gut, so wie es war. Ein kleiner Moment aus der Ewigkeit, vielleicht. Und gleichzeitig denke ich: Wie oft ist Gott doch auch im Sturm. Wenn mein Leben wild wird, gefährlich vielleicht, wenn ich mich um das Richtige bemühen muss, mit aller Kraft versuche, Kurs zu halten. Dann ist Gott doch auch da. Dann ist er auch an meiner Seite. Oder wenn ich mich um jemanden sorge, für ihn oder sie da bin. Und auch wenn das an meinen Kräften zehrt und ich trotzdem weiß: Es ist richtig, dass ich mich hier abmühe, denn es geschieht aus Liebe. Auch dann ist Gott da. Gerade im Sturm, gerade in brenzligen Situationen, gerade da weiß ich Gott an meiner Seite.
Ich glaube, dass beide Erfahrungen möglich sind. Ich muss die Ruhe, die Weite nicht gegen den Sturm ausspielen. Der eine fühlt sich Gott womöglich beim Spaziergang im Wald nahe, die andere beim Engagement für den Tafelladen und der dritte beim Singen im Kirchenchor und hoffentlich auch während einer tiefen Lebenskrise. Menschen sind verschieden, Erfahrungen mit Gott sind vielfältig. Wertvoll sind sie immer. Und sie tun gut. Einfach so, wie sie sind.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=40690Ich sitze im Gottesdienst eines Kollegen. Es ist Sommer. Draußen wird es so langsam richtig warm. Und, natürlich, singen wir das Lied: „Geh aus, mein Herz, und suche Freud, in dieser schönen Sommerszeit, an Deines Gottes Gaben. Sieh an der schönen Gärten Zier und siehe, wie sie mir und dir, sich ausgeschmücket haben…“
Und ich denke: Och ne, nicht schon wieder. Fällt denn dem Pfarrer nicht mal was anderes ein? Immer die gleiche Leier. Muss das denn sein?
Und dann gehe ich nach Hause. Leicht frustriert. Auf dem Weg steht ein älterer Herr. Und starrt in die Luft. Ich verstehe erst gar nicht, was er da tut. Er guckt… total fasziniert… in die Luft vor sich. So etwa auf Augenhöhe. Als ich näherkomme, grinst er mich an. Und zeigt auf etwas Kleines, Braunes, das da vor ihm schwebt. Eine kleine Raupe. Es sieht aus, als würde sie schweben. Übt sie schon mal für ihr Leben als Schmetterling? Ich muss grinsen. Bei genauerem Hinsehen wird mir klar: Sie hat sich wohl an einem Faden abgeseilt. Von dem ziemlich hohen Baum über uns. Verrücktes Tierchen. Wir unterhalten uns noch kurz über die halsbrecherische Aktion dieser Raupe. Lachen miteinander. Wünschen uns einen schönen Sonntag. Und gehen beschwingt und gut gelaunt weiter.
Am Wegrand sehe ich kleine, zarte, weiße Blümchen. Sie sprießen nach dem vielen Regen der letzten Wochen aus den Ritzen im Beton. Ein weißer Schmetterling tanzt vorbei. Im Garten pflücke ich saftig-süße Mirabellen von unserem Baum. Er hängt übervoll mit leckeren Früchten. Wunderbar! Und die Brombeeren, sehe ich, sind auch schon reif. Brr, sauer! Aber sehr aromatisch.
Nachmittags besuche ich eine Freundin, der nach der Chemotherapie endlich wieder die ersten Haare wachsen. Ihre Perücke hat sie abgelegt. Und sie sieht so fröhlich aus, so chic.
Und abends sitze ich in der lauen Sommerluft im Tübinger Sommernachtskino. Der Film gefällt mir. Aber noch viel mehr genieße ich den warmen Wind, der meine Haut umspielt und die ausgelassene Fröhlichkeit der Menschen um mich herum. Kann so ein Wind alle Sorgen einfach fortblasen? Für einen Moment scheint es tatsächlich möglich.
Naja, und dann, abends, im Bett, da denke ich nochmal an den Gottesdienst vom Morgen. So viele Sommerwunder habe ich heute erlebt. Gottes Gaben. Geschenke, die mir einfach so zugeflogen sind. Und in Gedanken entschuldige ich mich bei meinem Kollegen. Er hat ja recht: Der Sommer bringt eine Zier und eine Freude. Genau, wie wir es gesungen haben. Danke, guter Gott, für all deine Sommerwunder!
https://www.kirche-im-swr.de/?m=40689Seit den Sommerferien trage ich einen kleinen Seestern in meinem Portemonnaie mit mir herum. Aus Plastik, klar. Würde ja sonst stinken.
Ich habe diesen kleinen Seestern von der Inselpastorin auf der Nordseeinsel Spiekeroog geschenkt bekommen. In einem ganz besonderen Gottesdienst: Der hat in einem Zirkuszelt stattgefunden. Auf Spiekeroog gibt es für die Kinder, die dort Urlaub machen, einen Mitmach-Zirkus. Eine Woche lang können sie proben und üben und Spaß haben. Und am Ende steht ein Auftritt im Sonntagsgottesdienst im Zirkuszelt.
Die Pastorin hat eine Geschichte erzählt. Da ging es um ein kleines Mädchen. Es sieht, dass die Flut ganz viele Seesterne an den Strand gespült hat. Und die liegen nun hilflos auf dem Sand. Also fängt es an, die Seesterne ins Wasser zu tragen. Jeden Einzelnen. Aber: Oh je. Es sind so viele. Einige Erwachsene machen sich über sie lustig: Das bringt doch nix. Du kannst eh nicht alle retten. Aber das Mädchen macht weiter. Sie ist überzeugt: Natürlich hilft es. Jeder einzelne zählt. Für jeden geretteten Seestern macht es einen Unterschied. Und so sammelt und sammelt und sammelt sie.
Mitten in der Geschichte sind dann die kleinen Zirkusartisten und Zirkusartistinnen aufgetreten. Haben ihre Kunststücke gezeigt, mal mehr, mal weniger gekonnt. Und nebenbei haben sie auch Seesterne eingesammelt und sie zurück ins Meer gebracht. Einer lag auf dem hohen Trapez. Einer auf der Lauftrommel. Einer fand sich im Hut des Zauberers.
Beim Zuschauen musste ich schmunzeln. Es ist so schön, hier im Zirkus, dass jedes Kind zählt. Dass jedes Kind seinen Auftritt bekommt. Bejubelt wird, egal, ob es nun viel kann oder nicht. Das würde ich mir so sehr für unsere Gesellschaft, für unsere Welt als Ganze wünschen: Dass jeder zählt. Dass niemand am Strand zurückgelassen wird. Sondern dass sich jemand kümmert. Ein Traum, der nur im Zirkuszelt wahr werden kann?
Vielleicht. Ein Traum auf jeden Fall. Und zwar ein Traum, den auch schon Jesus geträumt hat (Mt 25,35ff). Er wünscht sich, ja er verpflichtet uns: Kümmert Euch um die Hungrigen. Nehmt die Fremden auf. Gebt den Armen das Nötigste, das sie zum Leben brauchen. Jeder einzelne zählt. Und für jeden, dem ihr helft, macht es einen Unterschied.
Daran soll mich der kleine Seestern in meinem Portemonnaie erinnern. Klar, ich weiß schon jetzt: Es wird mir mal besser, mal schlechter gelingen. Manchmal werde auch ich diejenige sein, die jemanden braucht, der mich zum frischen Wasser trägt. Aber manchmal werde ich es auch schaffen, mich zu bücken und zu helfen. Im Kleinen nur. Aber das ist nicht schlimm. Denn: Jeder einzelne zählt.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=40688„Rausfahren, wenn andere reinkommen!“ – Ein großes Schild aus rostigem Stahl steht vor einem Backsteinhaus mit einem großen Tor. Darüber ein rotes Kreuz auf weißem Hintergrund. Das habe ich im Urlaub auf einer der deutschen Nordseeinseln gesehen. Und erst mal gar nicht verstanden, worum es hier geht. „Rausfahren, wenn andere reinkommen!?“ Ist das Werbung für eine nächtliche Kneipentour oder was?
Das große Tor stand offen, also bin ich neugierig reingegangen. Und schnell ist mir klargeworden, dass ich mit der Kneipentour wohl auf dem falschen Dampfer war. Das rote Backsteinhaus entpuppt sich als alter Bootsschuppen, darum das große Tor. Und es hat früher ein Rettungsschiff beherbergt. Immer wieder kam es vor den Inseln in der Nordsee dazu, dass Schiffe kenterten und die Besatzung in Not geriet. Im Jahr 1854 sank eins der großen Auswandererschiffe auf dem Weg nach Amerika in einem furchtbaren Sturm und die Inselbewohner mussten zusehen, wie die Menschen in den eisigen Fluten ertranken. Aus dieser Not wurde dann 1865 die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger gegründet. Von da an sind mutige Männer und später auch mutige Frauen rausgefahren und haben ihr Leben riskiert, um das Leben anderer zu retten. Hut ab, kann ich da nur sagen.
Was mag ihre Motivation gewesen sein? - Früher, da hat man den mausearmen Insulanern unterstellt, sie wollten vor allem – nach Seeräubermanier – die Ladung und die wertvollen Gerätschaften auf den Schiffen abgreifen und sich so ein paar Taler dazu verdienen. Mag sein, dass das auch vorgekommen ist. Aber ich bin mir sicher, die Männer, die sich damals in der Seenotrettung ehrenamtlich engagiert haben, die hat etwas anderes angetrieben. Sie wussten, wie erbarmungslos das Meer sein kann. Sie wussten, wie furchtbare Angst man dort draußen haben kann. Und sie haben gehandelt, weil sie helfen wollten. Weil ein Menschenleben, auch das eines Unbekannten, für sie wertvoll war. Vielleicht haben sie auch geglaubt, dass Gott ein Gott ist, der das Leben will, nicht den Tod, ein Gott, der für die Hoffnung steht, nicht für die Verzweiflung. Und dass Gott dort, wo Menschen sich lieben und füreinander da sind, uns ganz nahe ist. Damals, wie heute.
„Rausfahren, wenn andere reinkommen!“ – Ich finde, dass das auch ein gutes Motto für die Arbeit unserer Kirche und vielleicht sogar für jeden Christen und jede Christin heute sein könnte. Dorthin gehen, wo sonst niemand ist. Da helfen, wo alle anderen schon aufgegeben haben. Kein einziges Menschenleben aufgeben. Und so einen Gott bezeugen, der Leben will und nicht den Tod. Eben rausfahren, wenn andere reinkommen.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=40687Am letzten Schultag vor den Sommerferien bin ich über den Schulhof gegangen. Denselben Weg, den gleich auch alle Schülerinnen und Schüler nach Hause gehen würden, die Zeugnisse im Ranzen, einen langen Sommer vor sich. Da lese ich auf dem grauen Asphalt mit bunter Kreide geschrieben: „Du bist mehr als Deine Noten.“ Etwa zehn Schritte weiter folgt eine weitere Zeile „Du bist wundervoll.“ Und wieder etwas weiter steht: „Schöne Ferien!“
Ich gebe es zu: Ich musste an diesem Morgen schnell mal blinzeln und mit den Tränen kämpfen. Denn: Die Kinder, die mit strahlendem Lächeln und nur Einsern und Zweiern nach Hause laufen, die interessiert das, was da steht, vermutlich wenig. Aber die andern, die gerade schwarz auf weiß bescheinigt bekommen haben, dass ihre Leistung eben nicht ganz so gut ist, werden die diesen Satz lesen: „Du bist mehr als deine Noten!“? Und wird das ein Trost für sie sein? Ich hoffe es aus ganzem Herzen. Denn für mich ist es in diesem Moment wie ein Fingerzeig von oben, der mich daran erinnert, was Gott versprochen hat:
„Du bist mehr, als Deine Noten. Du bist wundervoll!“ – Es tut auch mir gut, wenn ich das gesagt bekomme. Gerade in den Momenten, in denen ich daran zweifele. Und solche Momente gibt es ganz sicher auch im Leben einer Lehrerin. Dann gilt der Satz auch mir: Du bist mehr als all das, was schief geht. Du bist wundervoll.
Manchmal, wenn alles um mich herum einzustürzen droht, dann kann ich das nicht glauben. Dann hilft es nichts, mir zu sagen: „Lass mal an uns selber glauben…“, wie die Lyrikerin Julia Engelmann einen ihrer Gedichtbände nennt. Manchmal, da glaube ich nicht mehr mal daran, dass Gott sein Versprechen hält, an mich zu glauben. Und dann kann auch ich nur drauf vertrauen, irgendwann doch wieder Gottes Zusage zu spüren:
„Wenn Du schon lange nicht mehr an Dich glauben kannst, und an mich schon erst recht nicht, dann glaube ich weiter an dich. Wenn Du Dich so gar nicht leiden kannst, Dich hässlich, grausam, lieblos findest, dann mag das ja alles stimmen. Aber ich liebe dich trotzdem.“
Nun hat das neue Schuljahr begonnen. Der Schriftzug auf dem Schulhof ist längst vom Regen weggewaschen. Aber ich nehme mir vor, ihn trotzdem mit ins neue Schuljahr zu nehmen. Und ihn mir und auch meinen Schülern und Schülerinnen ab und an zu sagen: „Du bist mehr, als Deine Noten. Du bist wundervoll!“ – Genau das ist es!
https://www.kirche-im-swr.de/?m=40686Wenn ich irgendwo neu bin, dann bin ich eher schüchtern und zurückhaltend. Ich denke immer darüber nach, was die anderen wohl denken, was sie von mir halten und wie ich auf sie wirke. Das verunsichert mich dann total.
Ich wünsche mir da mutiger zu sein und weniger Angst zu haben.
Dazu habe ich irgendwann mal einen Spruch aufgeschnappt: „Mut ist Angst, die gebetet hat“.
Wenn ich irgendwo neu bin, dann bete ich zwar in solchen Momenten nicht immer bewusst, aber ich hoffe und vertraue darauf, dass Gott an meiner Seite ist. Diese innere Haltung gibt mir Kraft und Zuversicht. Ich glaube, dass Gott in der Lage ist, meine Angst zu verwandeln und mir Mut zu schenken. So traue ich mich auch mal mutiger zu sein.
Auch in anderen Situationen wünsche ich mir diesen Mut. Zum Beispiel, wenn ich in einer Besprechung etwas sagen soll und mir unsicher bin, ob meine Meinung richtig ist. Oder wenn ich mich mit jemandem streite und den ersten Schritt zur Versöhnung machen möchte. Diese Momente sind oft von Angst geprägt – Angst davor, dass ich abgelehnt werde, mich blamiere, oder missverstanden werde.
Es erfordert Mut, mir meine Schwächen zuzugeben, nach einem Streit den ersten Schritt zu machen oder für meine Meinung einzustehen. Wenn ich mich überwinde und dann doch frage, oder auf mein Gegenüber zugehe und für andere da bin merke ich: Ich bin nicht allein. Diesen Schritt zu wagen, dann bin ich überzeugt: Dass Gott mir die Kraft gibt, diese Hürde zu überwinden.
Diese kleinen und großen Mutproben des Alltags zeigen mir, dass Mut nicht die Abwesenheit von Angst ist, sondern der Umgang mit ihr. Wenn ich meine Ängste an Gott übergebe, bin ich nicht allein damit. Es gibt jemanden, der mitträgt. Das gibt mir Mut. Ich kann mich mehr trauen, mir vertrauen und werde dadurch mutiger. Ich kann die großen und kleinen Herausforderungen besser meistern. Denn: „Mut ist Angst, die gebetet hat“.
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https://www.kirche-im-swr.de/?m=40469Wenn ich meine Schülerinnen und Schüler frag', was Glück für sie bedeutet, dann kommen ganz verschiedene Antworten: Ein Gewinn bei einem Tippspiel, die Gemeinschaft mit Freunden, oder wenn ich gesund bin und ein gutes Leben führen kann. Der Philosoph Wilhelm Schmid sagt: „Glück ist eine Lebenseinstellung.“
Er unterscheidet dabei drei verschiedene Arten von Glück. Erstens das Zufallsglück, wie beispielsweise ein unerwarteter Lottogewinn. Dieses Glück ist intensiv, aber meist kurzlebig. Zweitens das Wohlfühl-Glück, das in Gemeinschaft entsteht. Wenn ich mit Freunden oder der Familie zusammen bin und das Leben feiere. Dieses Glück ist tiefer und nachhaltiger, weil es auf menschlichen Beziehungen und gemeinsamen Erlebnissen beruht.
Und dann gibt es noch eine dritte Art des Glücks: Das Glück der Fülle. Wenn Glück zur Lebenseinstellung wird. Das bedeutet, dass alle Facetten des Lebens dazugehören – die Tiefen und die Höhen, das Sterben und die Geburt, die Krankheit und Gesundheit.
Wenn das Leben selbst Glück ist.
Es gibt Tage, an denen fällt es mir schwer, das Glück im Leben zu sehen. Wenn ich beispielsweise einen Durchhänger habe. Wenn ich mich erschöpft fühle. Wenn es mir oder Menschen, die mir am Herzen liegen, schlecht geht. In solchen Momenten scheint das Glück weit entfernt zu sein. Doch Schmid schlägt vor, die Perspektive zu wechseln, weil das ganze Leben dazugehört.
Das klingt einfacher, als es ist. Tod, Verlassen sein, Krankheit. Das erlebe ich so wie es für mich ist – und das als Glück zu bezeichnen fällt mir schwer und fühlt sich falsch an. Doch wenn es wieder geht und ich weiß wie ich damit umgehe – dann kann ich diese Erfahrung für mich mitnehmen und es geht weiter.
Was mir hilft immer wieder die Perspektive zu wechseln und das Leben wertzuschätzen, sind kleine Dinge im Alltag: Ein Lächeln von einem Fremden, das Zwitschern der Vögel am Morgen oder der erste Schluck Kaffee am Tag – diese kleinen Freuden können das Schlechte nicht vollständig beseitigen, aber sie nehmen ihm die Macht über meine Gefühle.
Dieser Perspektivwechsel von Schmid ändert langsam meine Lebenseinstellung. Glück wird nicht mehr nur ein flüchtiger Moment, sondern ein allumfassender Bestandteil meines täglichen Lebens.
Eben: Glück als Lebenseinstellung.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=40468In jeder Kirche stehen Heiligenfiguren. Meistens mit Gold und so reich verziert. Doch je prunkvoller sie sind, desto unerreichbarer wirken diese Heiligen auf mich. Weit weg von mir, meinem Alltag und meiner Welt. Sie sind mir zu glatt, zu perfekt, zu gl舅zend - eben zu heilig.
Mit solchen Heiligen, kann ich nur wenig anfangen. Auch wenn diese Figuren, über Jahrhunderte hinweg verehrt worden sind, erscheinen sie mir zu weit entfernt von meiner Realität heute. Es sind Menschen gewesen, die auf dieser Welt gelebt haben, ja: Aber die Art und Weise, wie sie dargestellt und gefeiert werden, macht sie für mich unerreichbar. Klar, sie haben Großes vollbracht, anderen geholfen und wurden oft schon zu Lebzeiten von vielen verehrt. Das ist beeindruckend und bewundernswert, aber irgendwie wirken sie dann zu groß und damit zu weit weg von mir.
Trotzdem glaube ich fest daran, dass es auch heute noch heilige Menschen gibt. Sie sehen nur anders aus und leben vielleicht weniger auffällig, aber sie sind da. In der Bahn neben mir, an der Kasse im Supermarkt oder im Park. Es sind Menschen, die für andere Menschen wichtig sind. Weil sie ihnen Halt geben und man sich an ihnen orientieren kann. Auch in meinem Adressbuch gibt es bestimmt solche Menschen. Leute, denen ich nahe stehe und mit denen ich mein Leben bestreite. Weil sie da sind für mich. Ohne sie würde ein großer Teil in meinem Leben fehlen und deswegen sind sie mir nicht nur wichtig, sondern heilig.
Heilig - ganz ohne Sockel. Es sind die Alltagsheldinnen und Helden, die stillen Unterstützer. Es sind Menschen, die einem ein Lächeln ins Gesicht zaubern, ohne dass sie sich dessen bewusst sind. Sie tragen vielleicht keinen Heiligenschein, keine prunkvollen Gewänder und stehen nicht im Rampenlicht. Sie tragen Hoodies, Vans und Jeans, sehen aus wie du und ich.
Für mich sind auch heute Heilige da. Sie sind überall um uns herum, wenn wir nur genau hinschauen. Ihre Heiligkeit liegt nicht darin, dass sie perfekt sind. Sondern darin, dass sie für andere da sind, anderen beistehen, trösten und so zu Vorbildern werden. Sie sind nicht perfekt, weil es Menschen sind mitten unter uns.
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https://www.kirche-im-swr.de/?m=40467Meine dreijährige Nichte Anna ist zu Besuch. Ein Grund für mich, das Lego aus meinem Keller zu holen. Mit dem habe ich selbst als Kind richtig gerne gespielt. Früher haben mein Bruder und ich stundenlang gebaut: Häuser mit vielen Balkonen, Autos mit Flammenwerfer-Auspuff und fliegende Schiffe. Das war klasse. Doch irgendwann sind die Kisten voller Klemmbausteinen und Ideen in den Keller gewandert. Fast zwei Jahrzehnte lang waren sie jetzt da unten. Sind von einem zum anderen Umzug immer mitgezogen. Ich habe mich von den Klemmbausteinen nie trennen können. Zu viele schöne Erinnerungen an tolle Nachmittage hängen an ihnen. Und jetzt ist es endlich so weit. Ich kann sie wieder rausholen – für meine Nichte.
Auch wir bauen einen ganzen Nachmittag lang: Häuser, fliegende Schiffe und Autos mit kreativen Konstruktionen. Sie ist begeistert dabei und ich auch. Ihre Begeisterung ist richtig ansteckend. Und sie erinnert mich daran, wie wichtig es ist, die Welt durch die Augen eines Kindes zu sehen.
Es gibt etwas Magisches an der Art und Weise, wie Kinder die Welt wahrnehmen. Sie sind von Natur aus neugierig, erkunden jeden Winkel und jede Ecke mit einer Begeisterung, die ich als Erwachsener irgendwie, irgendwann verloren habe.
Neugierig sein und die Welt entdecken. Offen sein für andere, weil ich von ihnen lernen kann. Kreativ, seine eigenen Ideen entwickeln. Das sind Eigenschaften, die Kindern zugeschrieben werden.
Diese Fähigkeiten von Kindern fand Jesus schon vor über 2000 Jahren so faszinierend, dass er gesagt hat: „Lasst die Kinder zu mir kommen, denn ihnen gehört das Himmelreich.“ Das ist ein starkes Bild für mich. Jesus fordert mich als Erwachsenen dazu auf: Auch ich soll neugierig sein und bleiben. Die Welt mit offenen Augen entdecken. Und mit dem, was ich kann, kreativ umgehen, um eine Idee dafür zu entwickeln, was ich in dieser Welt verändern kann.
Kinder leben im Moment, ohne die Last der Vergangenheit oder die Sorgen um die Zukunft. Sie vertrauen darauf, dass alles gut wird, und lassen sich von der Welt um sich herum verzaubern. Das zeigt für mich, wie wertvoll die kindliche Perspektive ist.
Dadurch wird die Welt ein Ort, an dem es viel Gutes zu entdecken gibt – nicht weil ich naiv bin. Sondern kreativ, offen und neugierig. So wie meine Nichte.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=40466Die Stimmung im Fußballstadion ist grandios. Die Fans singen und bringen die Mannschaft nach vorn. Auch wenn mein Verein nicht gewinnt, lohnt es sich jedes Mal hier her zu kommen: Denn die Atmosphäre ist ganz anders als zuhause vor dem Fernseher. Klar, vielleicht kann ich nicht alles sehen. Manchmal fehlt die Wiederholung oder eine Nahaufnahme. Dafür bin ich aber noch da, wenn das Spiel vorbei ist. Und da sehe ich, wie sich Spieler und Trainer auf dem Platz begegnen. Sie reichen sich einander die Hände. Das finde ich immer wieder schön zu sehen.
Es sind Menschen, die sich gerade noch als Gegner gegenübergestanden haben. Alle bringen dabei verschiedene Geschichten mit. Einige haben vielleicht gerade noch gegen ihr Vorbild gespielt; manche kennen sich von früher, sind sich sympathisch – oder kennen sich gar nicht und sind sich sogar unsympathisch. Trotzdem kommen sie nach dem Spiel nochmal zusammen. Nicht als Gegner. Denn nach dem Schlusspfiff verändert sich etwas: Es ist vorbei – das Spiel ist aus und aus Gegnern werden Leute, denen man den Sieg gönnen kann. Menschen, die sich einander die Hände reichen. Und das ist ein wichtiges Zeichen für mich als Fan.
Denn das H舅dereichen bedeutet, dass man fair miteinander umgeht, auch wenn das Spiel hitzig gewesen sein mag. Es zeigt allen: Die Spieler gehen friedlich vom Platz. Beim H舅dereichen wird deutlich: Es ist ein Spiel und das geht neunzig Minuten. Au゚erhalb dessen gibt es noch viel mehr, das verbindet.
Das Händereichen im Fußballstadion erinnert mich an den Gottesdienst. Auch dort reichen wir uns einader die Hand und verbinden es mit einem Friedensgruß: "Der Friede sei mit dir."
Es ist Versprechen und Zuspruch zugleich. Das Versprechen, dass wir uns gegen Hass einsetzen. Und der Zuspruch, dass ich mit Gott an meiner Seite für Frieden sorgen kann. Das bedeutet nicht, dass alle Kriege und der Hass auf der Welt sofort aufhören. Aber es bedeutet, dass ich und alle anderen, die bei diesem Friedensgruß dabei sind uns dafür aktiv einsetzen wollen. Dass wir dafür sorgen, dass diese Welt weniger aus Gegnern besteht. Sondern mehr aus Menschen, die ich respektiere und auf Augenhöhe begegne. Gott trägt den Frieden mit.
Sowohl im Stadion als auch im Gottesdienst passiert es:
Menschen reichen sich einander die Hände, die sich fremd sind. Nicht nur als netten Gruß. Sondern als Zeichen dafür, Fairplay und Frieden bei mir im Alltag zu integrieren. Ihn hinauszutragen in die Welt.
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