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14OKT2024
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Langsam tritt mein Fuß das Pedal durch und ich höre das beständige Geknatter und Surren meiner Nähmaschine. Ich liebe es zu nähen und es fasziniert mich zu sehen, wie Schritt für Schritt ein neues Kleidungsstück entsteht.

„Kleider machen Leute“, sagt der Volksmund. Vermutlich kannten weder der Apostel Paulus noch seine Schüler diesen Spruch – trotzdem verwenden sie das Bild eines Kleides in einem ihrer Briefe. Für Paulus steht fest: nicht nur Kleider machen Leute, sondern als Menschen kleiden wir uns im übertragenen Sinne mit verschiedenen Eigenschaften. Das imaginäre Kleid besteht für ihn aus Erbarmen, Güte, Demut, Freundlichkeit und Geduld. Diese Eigenschaften sind sozusagen die verschiedenen Stofflagen des Kleides.

Ich finde das einen schönen Gedanken, Freundlichkeit oder Geduld anzuziehen. Mich damit zu bekleiden. Mich ganz von diesen „Stofflagen“ umhüllen zu lassen. Es verändert mich. Genau wie echte Kleidung Menschen verändern kann. Läuft eine zum Beispiel immer in Jeans und T-Shirt herum, sieht sie ganz anders aus, wenn sie auf einmal ein Abendkleid mit High Heels trägt.

Paulus kennt sowas auch. Deshalb ist es ihm so wichtig, sich mit guten Eigenschaften zu bekleiden. Er ist überzeugt: so verändere ich mein Umfeld. Ich wirke positiv auf meine Mitmenschen ein. Und vielleicht ermutige ich sie sogar dazu, sich selber mit guten Eigenschaften zu kleiden. Deshalb sagt er: Kol 3,13-14 Ertragt euch gegenseitig und vergebt einander, wenn einer dem anderen etwas vorwirft. Vor allem aber bekleidet Euch mit der Liebe.

Denn auf die Liebe kommt es an: Als Paulus diesen Brief schreibt, gab es keine Maßanfertigungen. Kleider waren weite Gewänder aus verschiedenen Stofflagen. Passend gemacht wurden sie durch einen Gürtel, der über alle Schichten zuletzt angelegt wurde. Erst dadurch bekam das Gewand eine Form. Die Liebe ist dieser Gürtel. Erst mit der Liebe wird es möglich sich zu verbinden, sich gegenseitig anzunehmen – und manchmal eben auch sich zu ertragen.

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11OKT2024
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„Immer sind die anderen schuld.“ Das denke ich, als ich ein Statement im Internet lese. Der Autor beklagt darin, wir Menschen würden immer mehr wollen, mehr kaufen und immer zügelloser konsumieren. Schuld daran sei „die Gesellschaft“ und der „Kapitalismus“, all die Konzerne und Medien mit ihrer Werbung und ihren Lockstrategien.

Wenn es um die großen Probleme geht, wird oft nach einem Schuldigen gesucht. Ich verstehe das. Vieles ist leichter zu ertragen, wenn es einen gibt, der alles zu verantworten hat. Aber auch, wenn es sinnvoll ist, bei komplizierten Sachverhalten nach den größeren Zusammenhängen zu fragen – manchmal kommt es mir so vor, als will man damit bloß der eigenen Verantwortung aus dem Weg gehen.

Für mich steht das im scharfen Kontrast zu meinem Glauben. Denn als Christin ist es mir wichtig, meine eigenen Fehler ehrlich einzusehen und zu erkennen, in welche Schuld ich selbst eigentlich verstrickt bin.

Natürlich ist es schwer, für die eigenen Fehler gerade zu stehen. Es trotzdem zu tun, ist aber auch deshalb so wichtig, weil ich mir ansonsten wahrscheinlich einen anderen Buhmann oder Sündenbock suche. Das können anonyme und abstrakte Konstrukte wie „die Gesellschaft“ sein. Oder aber es trifft jemanden, der sich nur schwer wehren kann – zum Beispiel Minderheiten wie Migranten. Egal, wem ich dabei versuche die Schuld in die Schuhe zu schieben, es hat vor allen Dingen eins zur Folge, nämlich: Dass sich nichts ändert, geschweige denn besser wird - vor allen Dingen nicht ich selbst.

Jesus stellt in der Bibel die Frage: „Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem eigenen Auge bemerkst du nicht?“ Und er meint damit vermutlich: „Pack dich lieber erstmal an die eigene Nase, bevor du die Schuld bei den anderen suchst.“

Wenn ich lerne, Verantwortung für meine Fehler zu übernehmen, dann kann ich auch einen neuen Anfang machen. Ich brauche nicht die halbe Welt zu beschuldigen, wenn ich mir zum Beispiel schon zum dritten Mal die Woche etwas Unnötiges im Internet bestellt habe. Anstatt fleißig weiter einzukaufen, kann ich ehrlich zu mir sagen: Ja, shoppen macht Spaß und ja, manchmal bekomme ich einfach nicht genug. Aber zu viel ist zu viel. Das nächste Mal spare ich das Geld oder gebe es lieber für etwas Sinnvolles aus, zum Beispiel für jemand anderen.

Ich bin mir sicher: Wenn ich bei mir selbst anfange, dann kann ich tatsächlich etwas ändern.

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10OKT2024
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„Alles steht Kopf“ – so heißt einer meiner liebsten Disneyfilme. Der Film spielt in der Gefühlswelt von Riley. Riley ist ein ganz normales elfjähriges Mädchen, das ihre Familie und Freunde liebt und gerne Eishockey spielt. Doch der eigentliche Star der Handlung ist nicht Riley, sondern sind ihre Gefühle: Freude, Kummer, Wut und Zweifel bekommen im Film eine eigene Stimme und werden als kleine Persönlichkeiten dargestellt. Zusammen sitzen sie wie in Raumschiff Enterprise hinter Rileys Stirn und drehen an den Knöpfen. So steuern sie alles, was Riley macht, sammeln aber auch wichtige Erinnerungen und kümmern sich um ihr Selbstwertgefühl. Am Schaltpult in Rileys Kopf hat dabei hauptsächlich „Freude“ das Sagen. Die anderen Gefühle dürfen nur selten ans Steuer. Erst später versteht die kleine Riley, dass auch Gefühle wie Traurigkeit einen wichtigen Platz haben dürfen.

Dieses Jahr ist die Fortsetzung von „Alles steht Kopf“ in die Kinos gekommen und beide Teile haben mich begeistert. Denn sie machen auf kluge und witzige Weise sichtbar, was sonst immer unsichtbar bleibt: Unser Innenleben. Wie wir Menschen immer wieder unser Gleichgewicht suchen und wie viel dazu gehört, dass wir starke Erinnerungen und gute Werte verinnerlichen.

Jetzt frage ich mich: Wie würde es in diesem Film wohl aussehen, wenn Riley Gott entdeckt? Wie könnte man den Glauben in ihrem Kopf darstellen? Wäre er ein Gefühl? Eine Erinnerung oder ein Wert tief in ihrem Ich?

Würde ich einen dritten Teil von „Alles steht Kopf“ drehen, über den Menschen und seinen Glauben, dann würde ich schon die ganze Bühne anders gestalten. Rileys Innenleben wäre dann kein abgeschlossener Raum mehr, in dem sie alleine mit ihren Gefühlen eingesperrt ist. Sondern wenn Gott mit dabei ist, dann ist das Mädchen Riley nach oben hin offen.

Und natürlich würde das für jeden Menschen, der glaubt, so gelten. Das Innere wäre dann oben nur durch eine zarte Glaskuppel begrenzt. In meiner Fantasie sieht das Glas dieser Kuppel wie ein großes leuchtendes Kirchenfenster aus, mit tausend bunten Mosaiksteinchen. Manchmal fällt Gott von oben wie ein Lichtstrahl herein. Dann bringt er einzelne Erinnerungen zum Leuchten oder zeigt verirrten Gefühlen den richtigen Weg.

Natürlich sind das alles nur Vorstellungen und ich bin keine Regisseurin, die einen dritten Teil von „Alles steht Kopf“ dreht. Aber ich bin mir sicher: Mit den vielen Gefühlen und Stimmen in mir drin bin ich nicht allein. Mein ganzes Ich ist offen für Gott. Und wenn ich zu ihm bete, dann kann er zu mir kommen. Alles, was eben noch wild und rastlos durch meinen Kopf gegeistert ist, wird ruhiger. Und mein ganzes Innenleben erscheint in einem neuen Licht. 

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09OKT2024
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Über was spricht man, wenn man weiß, dass man sich zum letzten Mal sieht?

Darüber hat mein Vater nachgedacht, bevor er seinen besten Freund kurz vor dessen Tod besucht hat. Beide wussten, dass sein Freund bald sterben wird. Eine Sache aus ihrem Gespräch hat mein Vater mir danach erzählt: Die beiden Freunde haben überlegt, wo sie sich nach dem Tod wohl wiedersehen. Mein Vater hat augenzwinkernd gemeint: „Im Himmel vermutlich nicht, denn ich komme bestimmt in die Hölle.“ Doch sein Freund hat voller Zuversicht geantwortet: „Wir sehen uns bestimmt im Fegefeuer.“ Und das hat er durchaus positiv gemeint. Denn für den katholischen Glauben ist das Fegefeuer so etwas wie eine Durchgangsstation zum Himmel.

Mein Vater war erst überrascht über diese Antwort. Denn er hat sich das Fegefeuer immer als etwas Schlechtes vorgestellt, so ähnlich wie die Hölle. Vermutlich sind ihm gleich alte Bilder von Flammen und Teufelsdämonen in den Kopf gekommen.

Aber der beste Freund meines Vaters konnte kurz vor seinem Tod so voller Hoffnung darüber sprechen, was ihn wohl nach dem Tod erwartet. Auch wenn das Wort „Fegefeuer“ so befremdlich klingt – kann es vielleicht tatsächlich ein Ort der Hoffnung sein?

Für mich als katholische Christin ist eines sicher, nämlich, dass es nach dem Tod direkt weitergeht. Nur wo? Im Himmel, wenn man das so vereinfacht sagen kann, oder in der Hölle? Wo das sein wird, da hat glaube ich jeder Mensch zu Lebzeiten ein bisschen Einfluss drauf: Sagt er ja zum Guten und der Liebe und handelt dann auch so oder entscheidet er sich dagegen? Klingt eigentlich ganz simpel. Aber so einfach ist es meistens nicht. Denn bei mir selbst ist es zum Beispiel oft so, dass ich eigentlich ganz gute Absichten habe, aber es mir schwerfällt, die auch wirklich umzusetzen. Ich bin eben einfach keine Heilige. Wie aber komme ich dann, salopp gesagt, in den Himmel?

Genau da kommt das Fegefeuer ins Spiel. Ich stelle es mir wie eine Vorstufe des Himmels vor. Gemeint ist damit nämlich gar nichts Schlimmes. Im Gegenteil: Bevor ich in die vollkommene Liebe des Himmels eintreten kann, habe ich hier die Möglichkeit, alles, was in meinem Leben falsch und schmerzhaft verlaufen ist, umzuwandeln.

So wie für den besten Freund meines Vaters, ist diese Vorstufe deshalb auch für mich etwas, auf das ich hoffe. Weil ich mich selbst dort endlich mit Gottes Augen sehen kann. Als würde er mir einen Spiegel vorhalten, der mir zeigt, wie ich wirklich bin. Und auch wenn ich dann sehe, dass in meinen Leben nicht nur Gutes war – ich brauche keine Angst mehr zu haben. Weil es am Ende Gottes Liebe ist, die mich von allem befreit, was mich vielleicht noch vom Himmel trennt.

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08OKT2024
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Ist es immer wichtig, dass man das Richtige tut? Oder reicht es, dass auch nur manchmal zu machen?

In bestimmten Momenten bin ich versucht zu glauben, dass „manchmal“ reicht. An der roten Ampel auf der einsamen Kreuzung mitten in der Nacht zum Beispiel, wenn weit und breit niemand zu sehen ist. Warum nicht einfach drüber gehen?

Jesus hat dazu einmal folgendes gesagt: „Wer in den kleinsten Dingen zuverlässig ist, der ist es auch in den großen“ (Lk 16,10).

Die einsame rote Ampel ist für mich ein gutes Beispiel für die kleinen Dinge. Aber auch eine große Sache habe ich vor kurzem durchlebt. Ich bin gerade mit meinem zweiten Kind schwanger. Zu Beginn der Schwangerschaft hat mich der Arzt gefragt: „Wollen Sie den Harmonytest machen?“ Und dann hat er mir erklärt: „Dabei wird Ihr Blut untersucht und wir können mit relativer Sicherheit sagen, ob Ihr Kind zum Beispiel Trisomie 21 hat.“

Ich habe lange über diesen Test nachgedacht. Für meinen Mann und mich ist klar: Wir möchten das Kind bekommen, auch wenn es krank ist oder eine Behinderung hat. Eigentlich brauchen wir den Test also nicht. Punkt. Aber dann sind immer wieder Zweifel gekommen: Sollen wir den Test vielleicht trotzdem machen? Dann wüssten wir Bescheid und könnten uns darauf einstellen. Aber in mir hat sich eine innere Stimme gemeldet, die dagegen war.

Lange ist mir nicht klar gewesen, woher diese Stimme kam. Bis manche mir geraten haben: „Mach den Test doch einfach, ignorier die Stimme, dann ist es schneller entschieden.“ Da erst ist mir klar geworden: Diese innere Stimme ist mein Gewissen. Und das meldet sich eigentlich nie ohne Grund. Ich habe erkannt: Der Test ist nicht in erster Linie dafür da, dass das Kind medizinisch besser versorgt wird, sondern soll zu einem möglichst frühen Zeitpunkt feststellen, ob es eine Behinderung hat. Und dann kann die Schwangerschaft auf Wunsch abgebrochen werden.

Ich habe den Test schließlich nicht gemacht. Gleichzeitig kann und möchte ich nicht darüber urteilen, wie andere Eltern in dieser Situation entscheiden. Aber was mein persönliches Gewissen betrifft, bin ich nicht über rot gegangen.

Diese innere Stimme des Gewissens ist so wichtig, dass man immer auf sie hören sollte. Sowohl bei den kleinen Dingen als auch bei den Großen.

Würde ich mein Gewissen bei den kleinen Dingen ignorieren, dann würde es sich bei den großen Sachen vielleicht irgendwann gar nicht mehr melden. So aber bleibt es hoffentlich gut im Training. Und kann im besten Fall zu einer starken und vertrauten Stimme werden, die mich auch bei den großen Entscheidungen sicher leiten kann.

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07OKT2024
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„Tschüss, bis später!“, rufe ich und winke meiner kleinen Tochter von der Tür aus nochmal zu. Eben haben wir uns umarmt und verabschiedet. Jetzt sitzt sie schon zwischen den anderen Kindern und beobachtet gebannt das bunte Treiben im Raum.

Der Kindergartenstart vor einigen Wochen war für uns als Familie ein großer Schritt und ich bin froh, dass es meiner Tochter dort gut gefällt. Und trotzdem – jeden Morgen, wenn das Kindergartentor hinter mir ins Schloss fällt, spüre ich einen kleinen Stich im Herzen. Da ist einmal der Abschiedsschmerz, der einfach dazu gehört. Aber da sind auch immer diese leisen Sorgen, die mich begleiten, bis wir uns wiedersehen. Ich weiß, meine Tochter ist im Kindergarten in guten Händen. Und dennoch – wirklich abschalten lassen sich meine Sorgen nicht.

Seit ich ein Kind habe sind viele neue Ängste in mein Leben eingezogen. Schließlich habe ich jetzt so viel zu verlieren. Es ist schön, wenn das Kind beginnt, seine eigenen Schritte zu gehen. Aber eben auch beängstigend. Und der Kindergarten ist ja nur der Anfang. Wie wird das wohl später in der Schule sein? Oder wenn niemand auf meine Tochter aufpasst, als Teenager auf ihrer ersten Party? Am liebsten würde ich sie vor allem und jedem beschützen. Aber wie? Indem ich meine Tochter bis zum Schulabschluss höchstpersönlich zur Schule bringe und wieder abhole? Ihr alles verbiete?

Sorgen und Ängste um das eigene Kind zu haben ist ganz normal. Das sagt auch die Fachbuchautorin Nora Imlau, die sich in ihren Büchern viel mit Elternschaft beschäftigt hat. Schließlich gehört es zu den wichtigsten Aufgaben der Eltern, für ihre Kinder zu sorgen und sie zu beschützen. Aber, so schreibt sie – und diesen Satz habe ich mir gleich gemerkt: „Wir können unseren Kindern aus Angst um ihr Leben nicht das Leben verbieten.“

Jeder Mensch wird irgendwann verletzt, wir alle sind verwundbar und sterblich. Doch anstatt meine Tochter mit meinen Ängsten einzusperren und sie so zu schwächen, kann ich sie mit meiner Liebe stark machen und ihr Selbstbewusstsein schenken. Und zwar, indem ich ihr vertraue. So, dass sie allem selbstbewusst entgegentreten kann, was für sie gefährlich oder herausfordernd ist.

Auch wenn das heißt, dass ich sie eben nicht für immer festhalten, sondern Stück für Stück loslassen muss. Denn für sein Kind „sorgen“ heißt eben auch: Ich muss meine Tochter lassen, damit sie in ihre ganz persönliche Freiheit hineinwachsen kann.

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04OKT2024
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„Der Zweck unseres Vereins ist es, dass wir einander beistehen.“
So könnte man es zusammenfassen, was im Paragraph eins der Satzung des Küfervereins von 1903 steht.

Die Küfer, das sind Handwerker, die Gefäße herstellen, in denen zum Beispiel Wein aufbewahrt wird. Fassküfer stellen zum Beispiel Holzfässer her. In unserer kleinen Stadt Oppenheim am Rhein gibt es heute nicht mehr viele davon. Aber 1903 lebten hier mindestens fünfzig Küfermeister und -gesellen; und die haben sich zu einem Verein zusammengeschlossen. In der Satzung lese ich, was zu der anspruchsvollen Arbeit als Küfer für die Vereinsmitglieder dazugehört: Man will sich kollegial austauschen. Man will zusammenkommen, um Vorträge zu hören. Die Handwerker wollen sich gegenseitig mit Rat und Tat zur Seite stehen. Und genauso wichtig ist ihnen, dass sie ein Vereinsmitglied, wenn es in Not geraten ist, unterstützen. Mir gefällt diese Haltung der Vereinsgründer. Es geht ihnen nicht nur um das Handwerk, um fachliches und kollegiales. Genauso wichtig ist es ihnen, als Gemeinschaft füreinander da zu sein.

So wie die Küfer es füreinander festgelegt haben, hat der Apostel Paulus es für alle Menschen festgelegt, die durch die Taufe füreinander zu Geschwistern werden:
„Einer trage des andern Last“, schreibt Paulus als christliche Lebenshaltung in einem Brief. Und er fährt fort: „So werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.“ (Gal 6,2) Das Gesetz Christi, das ist füreinander da zu sein und für einander einzustehen.

Wie gut, dass es Vereine gibt, die sich dieses Gesetz zum Vorbild nehmen. Den Küfervereinsgründern von 1903 war das berufliche Miteinander und die qualitätvolle Handwerksarbeit wichtig. Und genauso wichtig ist ihnen gewesen, füreinander da zu sein und einem Kollegen beizustehen, wenn er in Not geraten ist.

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03OKT2024
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Manchmal kommt es mir so vor, als ob Feiertage sogar erst recht zeigen, dass etwas noch nicht gelingt. Auch heute, am Tag der Deutschen Einheit. Dass die Menschen im Osten und Westen unseres Landes eine wirkliche Einheit werden, das will bis heute nicht so recht klappen. Wie ernst ist es uns mit diesem Feiertag?

Für mich als Jugendliche war es unvorstellbar, dass die DDR und die Bundesrepublik sich jemals wieder vereinen würden. Ich bin Jahrgang 57. Als ich in die Schule kam, war die Mauer gerade gebaut worden. Und als wir ein paar Jahre später in der Schule darüber gesprochen haben, dass Deutschland ein geteiltes Land ist, da waren die Mauer und das geteilte Deutschland so sehr zum Normalfall geworden, dass in meiner Umgebung niemand darüber nachgedacht hat, ob das jemals anders sein würde. Als wäre es das Selbstverständlichste von der Welt hat meine Mutter zu Weihnachten Päckchen gepackt für „nach drüben“, wie man damals gesagt hat. Und unsere Kirchengemeinde hat eine Partnergemeinde im Osten gehabt, wo Brieffreundschaften hin und her vermittelt wurden. Mehr Einheit konnten wir uns damals gar nicht ausmalen.

Ich denke, ich gehöre zu der Generation, die noch im November 1989 nicht sofort verstanden hat, was für eine sensationelle Entwicklung die Dinge dann genommen haben. Der Feiertag heute erinnert mich daran, wie unterschiedlich die Erfahrungen sind, die die Menschen in unserem Land gemacht haben, die seitdem die „(deutsche) Einheit“ feiern. Wir kommen aus ganz unterschiedlichen Richtungen. Aber der Tag heute hält für uns alle die Sehnsucht und das Versprechen wach, dass wir zu einer wirklichen Einheit in Frieden zusammenfinden.

Wie großartig es sein wird, wenn Menschen aus den unterschiedlichsten Richtungen zusammenkommen, das haben sich schon die Menschen in der Bibel ausgemalt. Jesus spricht vom Himmelreich, als er sagt:
„Es werden kommen von Osten und von Westen, von Norden und von Süden, die zu Tische sitzen werden im Reich Gottes!“ (Lk 13,29)

Dass alle Menschen in Frieden miteinander leben können, wie schön wäre es, wenn das gelingen könnte. Weil aber die Wirklichkeit so anders aussieht, sind Feiertage wie der Tag der Deutschen Einheit heute wichtig – als Ziel.

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02OKT2024
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Anfang Oktober. Ich singe im Kirchenchor, und dienstags ist für mich der Tag der Chorprobe. Es ist für mich immer wieder faszinierend, wie die Melodien, die wir geprobt haben, mir am Mittwoch und oft noch länger durch den Kopf gehen. Den ganzen Tag summe ich sie vor mich hin, und es ist, als ob die Musik ein Teil von mir wird.

Aktuell proben wir das Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach. Ja, Sie haben richtig gehört – Weihnachtsklänge im Oktober! Das erinnert vielleicht ein wenig an die Lebkuchen, die im Supermarkt bereits ab September zu finden sind. Draußen genießen wir noch die spätsommerlichen Temperaturen, während drinnen die Töne erklingen, die für kalte Winterabende gedacht sind.

Es gibt einen kleinen, aber feinen Unterschied: Während die Lebkuchen im Einkaufskorb eigentlich noch eine Weile warten könnten, ist das Proben für Weihnachten eine dringende Angelegenheit. Es braucht nun mal Zeit und Übung, bis die Klänge richtig sitzen, bis alle Einsätze klappen und bis sich die hohen Töne im Sopran nicht mehr nach Kraftanstrengung anhören.

Die Musik, die wir im Chor proben, ist nicht nur eine Ansammlung von Tönen, sondern sie trägt eine Botschaft in sich: die Botschaft von Hoffnung, Freude und Licht.

Und auf diese Botschaft will ich mich gut vorbereiten. Mir Zeit nehmen, zum Beispiel bei den Chorproben. Wir müssen jetzt üben, damit die schöne Botschaft beim Weihnachtskonzert auch die Hörer erreichen kann. Und es ist eine erfüllende Erfahrung, als Chorsängerin daran Anteil zu haben, wenn dann womöglich der Funke der Begeisterung auf die Zuhörer überspringt und die Menschen sich genauso erfüllen lassen von den Klängen der Zuversicht.

Was ich im Moment an den Mittwochen vor mich hinträllere, reicht noch nicht als Verkündigung, aber die Klänge schaffen es schon jetzt im Oktober, mich gutgelaunt durch die anstrengende Zeit der Vorbereitung zu bringen. Am Tag nach der Chorprobe jedenfalls bin ich schon jetzt immer mit Vorfreude ganz und gar aufgetankt.

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01OKT2024
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„Im Herbscht stirbt mer net.“ – „Im Herbst stirbt man nicht“.  Ich wohne in der Weinbauregion Rheinhessen. Auch die Menschen, die nicht direkt vom Weinbau leben, erleben den Rhythmus, den der Weinbau mit sich bringt, ganz bewusst. Oft hat sich Brauchtum darum herum entwickelt: Das Traubenblütenfest im Frühjahr, die Weinfeste im Sommer, der erste Federweiser im September, die Zeit der Lese im Herbst. Und das Wort „Herbst“ oder „Herbscht“, wie wir hier sagen, das ist eben nicht nur eine Jahreszeit, sondern bedeutet auf Rheinhessisch eben auch „die Zeit der Weinlese“.

Eine große Geschäftigkeit liegt dann in der Luft. In der Elektrofirma werden Nachtschichten und Wochenenddienste eingerichtet, weil die Pumpen in den Wein-Kellern, wenn sie heißlaufen, immer sofort repariert werden müssen. Da darf nichts stillstehen und ausfallen.

„Im Herbscht stirbt mer net.“ Für die Winzerfamilien ist die Zeit der Weinlese eine besonders intensive Zeit, in der alle Generationen eingespannt sind. Für etwas Anderes ist keine Zeit; das muss warten – sprichwörtlich sogar das Sterben. Nur nicht im Herbst, nicht während der Weinlese! Gestorben wird später.

Ich habe eine Bestatterin gefragt, ob es tatsächlich so ist, dass sie im Oktober weniger Beerdigungen zu begleiten hat. Tatsächlich hat sie den Spruch auch gekannt. Aber ihre Statistik scheint das nicht zu bestätigen.  Und dann fügt sie hinzu:  Egal, ob gerade Traubenlese ist oder nicht, egal, ob der Tod den Menschen in den Kram passt oder nicht – wir können nicht darüber bestimmen und sie beruft sich dabei auf einen Satz aus der Bibel: „Meine Zeit steht in deinen Händen“, sagt die Bestatterin; das halte sie für die richtige Einstellung dazu.

Der Bibelvers handelt davon, dass wir den Zeitpunkt des Todes von uns oder von den Menschen, die uns wichtig sind, nicht selbst bestimmen, sondern aus Gottes Hand annehmen. Auch wenn die Herbstzeit des Lebens so sehr angefüllt ist mit Dingen, die uns beschäftigen.

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