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SWR1 Begegnungen

14MAI2023
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Gerlinde Kretschmann Foto: Staatsministerium BW

… und mit Gerlinde Kretschmann. Ich treffe mich mit der Katholikin und Politikerin, mit der Mutter und Großmutter, weil sie eine ganz besondere Geschichte mit der Kirche hat. Während viele sich heute fragen: „Will ich noch zu dieser katholischen Kirche gehören? Soll ich bleiben oder lieber gehen?“, hat Gerlinde Kretschmann beides getan: Sie ist aus der Kirche ausgetreten und sie ist zurückgekommen. Davon erzählt sie in dem Buch „Wir bleiben! Warum sich Frauen nicht aus der katholischen Kirche vertreiben lassen“ [1].

Gerlinde Kretschmann war 27, als sie die Kirche verlassen hat.

Zu diesem Zeitpunkt war das für mich nicht mehr schwierig, weil das für mich schon ganz lange klar war, dass ich diesen Schritt mache. Die Kirche, die war nicht mehr existent in meinem Leben.

Eigentlich erstaunlich. Denn das katholische Leben, mit all seinen Ritualen und Festen hat ihre Kindheit und Jugend auf dem Dorf in Oberschwaben geprägt. Und ihre Schulzeit hat sie auf einem Gymnasium der Franziskanerinnen erlebt. Doch gleichzeitig hat Gerlinde Kretschmann schon früh gespürt, dass es Dinge gab, die ihr in der katholischen Kirche ganz und gar nicht gefallen haben.

Also als Kind hat mich als erstes wahnsinnig gestört -die Beichte. Ich konnte da überhaupt nichts mit anfangen. Ich hatte da immer ein ungutes Gefühl, weil ich immer gedacht habe: Nein, das bin ich nicht. Warum soll ich jetzt beichten? Ich habe unsere Katze geärgert und das als Sünde vor Gott. Also das war mir nie nachvollziehbar.

Nach der Erstkommunion wollte sie Ministrantin werden, da war sie knapp 10 Jahre alt – und auch da war das ungute Gefühl:

Ich war wirklich ein frommes Kind. So habe ich mich selber gesehen. Und ich wusste immer, ich kann das. Ich würde das so aus vollem Herzen machen. Aber nein, meine Brüder wurden Ministranten. Also das war schon auch was, wo ich dann dachte, das ist einfach nicht in Ordnung.

Nach und nach ist ihre Beziehung zur Kirche abgebrochen, weil es keine Berührungspunkte mehr für Gerlinde Kretschmann gab. Und dann hat sie entschieden zu gehen. Es war eine Zeit, in der sie mit vielen anderen Dingen befasst war.

Mit meinem Beruf und mit meinem Mann und mit Freundschaft, mit anderen Sachen. Es kamen andere Rituale dazu, die mir damals wichtiger waren; und reisen und fortgehen und einfach die Welt wenigstens ein Stückchen weit kennenlernen.

Die Kirche hat sie nicht vermisst; und trotzdem gab es einen Punkt, an dem sie ihr über die Jahre treu geblieben ist. Genauer gesagt, nicht der Kirche, sondern dem Kirchenraum. Und zwar wegen der Kunst.

Bei uns in Oberschwaben ist ja vor allem Barock und das hat mich schon immer fasziniert. Und was ich auch heute noch immer dabeihabe, ist so ein Heiligenlexikon. Und wenn ich mal einen Heiligen nicht definieren kann, dann schaue ich immer in meinem Lexikon nach, was die bedeuten, für was sie stehen. Also das war eigentlich immer die Beziehung, die nie abgebrochen ist.

Als junge Frau ist Gerlinde Kretschmann bewusst aus der katholischen Kirche ausgetreten. Weil sie mit der Kirche nichts mehr anfangen konnte. Ihr Weg zurück in die Kirche begann, als sie mit der Familie wieder in die Heimat gezogen ist, in die Nähe von Sigmaringen. Ihr Elternhaus steht dort direkt unterhalb der Kirche.

Wenn man dann das Glockengeläut wieder hört - das sind dann schon Sachen, wo die Kirche auch räumlich wieder näherkommt.

Ihre Tochter hat dann den Anfang gemacht. Sie wollte unbedingt in den Religionsunterricht gehen und auch Erstkommunion feiern. Das war allerdings gar nicht so einfach, denn: Die Tochter war nicht getauft und die Kretschmanns waren zu diesem Zeitpunkt nicht in der Kirche.

Für diesen jungen Pfarrer war das natürlich dann schon schwierig. Und dann habe ich aber gleich zu ihm gesagt, also das muss er wissen, wenn meine Tochter das will, kämpf ich dafür, dass sie getauft wird und dann auch zur Erstkommunion darf.

Und so ist es dann auch gekommen. Gerlinde Kretschmann erinnert sich noch sehr genau an den Tag, als ihre Tochter getauft wurde:

Also da hat Irene dann schon ihr Kommunionkleid angehabt. Und dann durfte sie natürlich die ganzen Antworten, die normalerweise die Paten sagen, durfte sie selber und - Sie sehen, jetzt bin ich so gerührt. Also das war schon sehr beeindruckend und das war ein richtiges Fest.

Für sie selbst sollte der Weg zurück in die Kirchengemeinde aber noch viele Jahre dauern. Er führte schließlich über den Kirchenchor. Den Sängerinnen und Sängern war es egal, ob auch Evangelische oder Konfessionslose mitgesungen haben.

Also da hat nie irgendjemand irgendwas gesagt. Und so bin ich wieder so langsam und so für mich in den Schritten, die für mich gut waren, bin ich dann da wieder so reingewachsen.

Und im Alter von 51 Jahren war es soweit:

Dann dachte ich: Nein. Also jetzt will ich da wieder richtig dazugehören.

Im Rückblick sieht sie ihren Kirchenaustritt noch immer als richtig und notwendig an. Nur deshalb könne sie sich heute in aller Freiheit wieder in der Kirche engagieren, sagt sie.

Diese Gemeinschaft muss immer auf freiwilliger Basis sein. Ich mach das jetzt aus freiem Willen und ich mach das, weil ich das jetzt will!

Es ist jetzt ziemlich genau 25 Jahre her, seit Gerlinde Kretschmann wieder in die Kirche eingetreten ist. Vieles ist seither ans Licht gekommen. Deswegen möchte ich zum Schluss wissen: Gehört sie heute immer noch gerne und freiwillig zu dieser Gemeinschaft? Oder denkt sie womöglich darüber nach, nochmals auszutreten?

Ich würde mich als eine sehr stark zur Treue neigende Person bezeichnen. Nein, ich habe den Schritt gemacht. Und ich sage immer, es ist wie mit der Ehe in guten und in schlechten Zeiten. Und so ist es mit der Kirche auch. Also ich hoffe und ich denke das auch, dass die Kirche, die muss das einfach verarbeiten und überwinden. Aber was hätte ich jetzt davon, wenn ich austreten würde? Das ist wie mit der Politik auch, ich kann doch nur Einfluss nehmen, wenn ich dabei bin.

 

[1] „Wir bleiben! Warum sich Frauen nicht aus der katholischen Kirche vertreiben lassen“, Hirzel Verlag

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SWR1 Begegnungen

16APR2023
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Bernhard Medla Foto: Manuela Pfann

Mit Bäckermeister Bernhard Medla möchte ich über seine Leidenschaft sprechen, das Backen. Und natürlich über das Brot und die Gemeinschaft. Denn diese beiden Dinge stehen heute im Mittelpunkt in vielen katholischen Kirchengemeinden. Heute ist der sogenannte Weiße Sonntag. Es ist der Tag, an dem die Kommunionkinder zum ersten Mal die Hostie empfangen, das heilige Brot. Anlass also, einen katholischen Bäckermeister zu fragen, was Brot für ihn bedeutet.
Ich treffe Bernhard Medla in seiner Backstube in Nürtingen. Es ist später Vormittag, alles ist still, die Öfen sind aus. Sein Tagwerk ist heute schon geschafft. Er sagt: Hier sind wir in den heiligen Hallen. Und ich spüre sofort: trotz aller Anstrengung, jeden Tag hier zu stehen, das ist für ihn noch immer der Traum:

Den habe ich schon im Kindergarten gehabt. Weil mein Großvater ist ja Bäckermeister und hat auch ein Geschäft gehabt hat und das hat mir so gefallen. Und da habe ich gesagt: Also das ist mein Beruf.

Er ging als kleiner Junge sogar zu Fasching als Bäcker verkleidet, mit einer Brezel um den Hals.

Und dann hat meine Kindergärtnerin, die hat gemeint, sie muss da reinbeißen. Da war ich dann stinksauer! Ja, das war so ne Geschichte und den Traum habe ich dann verfolgt.

Die Bedingungen für einen kleinen Familienbetrieb sind heute allerdings nicht mehr so traumhaft. Bernhard Medla führt die Bäckerei jetzt seit ziemlich genau 30 Jahren, zusammen mit seiner Frau. Und er erzählt mir, dass sie sich zunehmend Sorgen machen. Immer mehr kleine Bäckereien um sie herum schließen; auch sie kämpfen. Mit hohen Rohstoffpreise und Energiekosten. Wie es weiter gehen soll, da ist man bei den Medlas zuhause am Familientisch nicht immer einer Meinung:

Mein Sohn sagte immer: Vater, die Kleinen werden sterben. Es gibt nachher noch sieben große Bäckereien. Da habe ich gesagt: Ja, kann möglich sein, aber dadurch wird die Vielfalt sterben und auch die Qualität wird vielleicht sterben und die Auswahl wird sterben.

Das möchte Bernhard Medla nicht einfach so hinnehmen. Denn vor allem das Brot ist für ihn ein Lebensmittel, das nicht einfach nur satt macht:

Ein gutes Brot, das macht doch was! Gutes Brot ist für mich ein Stück Lebensqualität, es ist nahrhaft und hat Geschmack; und da ist ein gewisser Stolz bei mir dann, dass ein gutes Brot gelingt. Und wenn das Brot mal nichts wird, dann ärgert mich das auch.

Seine Frau hat vor einiger Zeit eine Ausbildung zur Ernährungsberaterin gemacht – den beiden geht es darum, dass sie den Leuten sagen können, was gut und gesund ist. Auch deshalb kauft Bernhard Medla, wo immer es möglich ist, seine Zutaten in der Region.

Nur so kann der Kreislauf weiterleben, wenn hier vor Ort auch welche leben können. Nur so kann der Bäcker, der Müller, auch der Landwirt leben.

Bernhard Medla ist Bäckermeister und hat zusammen mit seiner Frau seit 30 Jahren eine kleine Handwerksbäckerei. Brot ist für ihn nicht nur ein besonderes und wichtiges Lebensmittel. Es ist eines mit großer Symbolkraft. Für Christinnen und Christen etwa steht das Brot auch im Mittelpunkt des Abendmahls, der Eucharistie. Dem Katholiken Bernhard Medla ist die Eucharistie wichtig, gemeinsam das Brot im Gottesdienst teilen. Aber es geht was verloren, sagt er, wenn immer weniger Menschen daran teilnehmen.

Jesus sagt: Man lebt nicht nur vom Brot allein. Aber das Wichtige ist die Gemeinschaft. Die Mahlgemeinschaft ist nur dann schön, wenn auch viele da sind und es wirklich feierlich ist. Dann ist es schön, weil wenn sie nur zu zweit da drüben hocken und das ist nicht das, was sich der Jesus auch vorgestellt hat, glaub ich.

Da drüben hocken, das meint er wörtlich, denn seine Kirche ist nur ein paar Meter weiter hinter der nächsten Straßenecke. Dort ist er seit vielen Jahrzehnten zuhause. Er kennt die Leute in der Gemeinde, immer wieder sind auch Erstkommunionkinder zu Gast in seiner Backstube. Er hat jetzt die Osterlämmer für die Gemeinde gebacken und jedes Jahr ist er verantwortlich für das Brot zum Erntedankgottesdienst, das macht er für beide Kirchen in der Stadt, für die evangelische und die katholische.

Ich back da gerne, weil die Leute müssen wieder mehr denken, wo das eigentlich herkommt und wo es wächst. Entweder schreibe ich „Erntedank“ oder „Unser täglich Brot“ drauf.

Unser tägliches Brot gib uns heute. Diese Bitte steht im Vaterunser und ist eine Bitte um Wesentliches. Denn: Brot zur Zeit Jesu, das war mehr als nur ein Lebensmittel unter vielen, es war das Grundnahrungsmittel.
Weil ihm das wichtig ist, das zusammensitzen, hat Bernhard Medla vor gut zwei Jahren ein kleines Café neben der Bäckerei aufgemacht. Mit gemütlichem Sessel am Kaminofen. Die Leute sollen runterkommen von der Hektik. So wünscht er sich das. Und einmal in der Woche, wenn das Café schon geschlossen hat, dann kommt da eine ganz besondere Gemeinschaft zusammen. Ich höre zum ersten Mal von einem Bäcker-Chor. 12 Sänger sind noch dabei, alles Männer. Mit seinen knapp 60 Jahren ist Bernhard Medla der Jüngste.

Früher haben wir noch Auftritte gehabt, aber jetzt sind wir so wenige. Und so alt sind die Kameraden, dass wir nur noch für uns singen. Das hebt die Seele. Und solange wir singen können, kommen wir zusammen. Und das fördert die geistige Vitalität.

Wenn er an seinen Bäckerchor denkt, dann wird Bernhard Medla aber gleichzeitig ein bisschen wehmütig. Denn da verschwindet gerade eine ganze Bäcker-Generation.

Die haben noch richtig Herzblut, diese Jungs, die jetzt schon 80, 90 sind, die haben das ja so wie ich aufgebaut. Aber sie sind jetzt froh, Gott froh, dass sie alle keine Bäckerei mehr haben. Sie sind froh, dass es vorbei ist.

Was irgendwie auch sehr schade ist. Wie es mit seiner eigenen Bäckerei weitergeht, das kann er momentan nicht sagen. Noch funktioniert es. Auch, weil Bernhard Medla dem Fachkräftemangel mit großer Offenheit begegnet. Sein kleines Team ist bunt zusammengesetzt, zwei Helfer in der Backstube kommen aus Syrien, ein Auszubildender aus Afrika. Weil Brot backen für ihn nichts mit Nationalität zu tun hat. Im Gegenteil: Brot verbindet die Menschen. In seiner Backstube und überall auf der Welt.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

08APR2023
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Der Karsamstag heute wird als stiller Tag bezeichnet. Es ist der Tag der Grabesruhe; der Tag der Trauer für diejenigen, die Jesus nahegestanden sind. Auch für Maria, seine Mutter. Sie muss aushalten, was geschehen ist. Sie hat den Tod ihres Sohnes nicht verhindern können. Ich kann mir gut vorstellen: An diesem Tag ist das ganze Leben mit ihrem Sohn noch einmal vor ihren Augen abgelaufen. Von dem Tag an als der Engel ihr verkündet hat: du wirst ein besonderes Kind zur Welt bringen– bis heute.

Wenn ich an Maria in dieser Situation denke, dann denke ich auch an den Islam. Das mag auf den ersten Blick verwundern, denn: Muslime feiern Ostern nicht. Dem islamischen Glauben nach wird Jesus nicht gekreuzigt und es gibt auch keine Auferstehung. Aber: Es gibt Maria. Dieselbe Maria wie bei den Christen. Und im Islam ist sie eine bedeutende Persönlichkeit. Das zeigt der Koran: Maria ist die einzige Frau, die dort mit Namen erwähnt wird, und das mehr als 30 Mal! Ebenso wie in der Bibel ist Maria die Mutter von Jesus. Im Koran ist sie allerdings alleinerziehend. Die koranische Weihnachtsgeschichte schildert sehr eindringlich, wie verlassen sie sich fühlt und wie verzweifelt sie ist, weil sie mit dem Vorwurf konfrontiert wird: Du hast ein uneheliches Kind geboren. Auch die koranische Maria muss eine Menge aushalten. Deshalb verbindet Maria Christen und Muslime auf eine besondere Weise. Sie ist in beiden Religionen diejenige, die von Gott auserwählt ist – und die seinen Plan annimmt, ohne damit zu hadern.

Der Karsamstag kann deshalb ein Tag sein, an dem sich Christinnen und Musliminnen durch Maria gestärkt fühlen. Zum einen: Weil sie uns Kraft geben kann, unsere persönlichen Karsamstage, also manche Verzweiflung und Ohnmacht im Leben, auszuhalten. Und zum anderen: Weil sie Anstoß und Inspiration sein kann, unsere Rolle als Frauen in Religion und Gesellschaft selbstbewusst zu gestalten.

Der mittelalterliche persische Theologe und Mystiker Al-Ghazali hat Maria mit einem schönen Wort bezeichnet. Er nennt sie „Gottesfreundin“ Das gefällt mir gut und ich bin mir sicher, dass Christinnen und Christen so auch „ihre“ Maria charakterisieren können. Vielleicht trägt dieses Wort - über alle Unterschiede, die es zwischen Christentum und Islam natürlich gibt - hinweg. Der Karsamstag ist ein stiller Tag, an dem Maria für mich besonders in den Blick rückt; Maria, die Gottesfreundin, die Frauen auf der ganzen Welt verbinden kann.

 

https://www.deutschlandfunkkultur.de/maria-im-islam-brueckenfigur-im-gespraech-der-religionen-100.html

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Anstöße sonn- und feiertags

07APR2023
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Mein Lieblingskreuz ist blau. Es hängt in der Kirche St. Willehad auf der Nordseeinsel Wangerooge. Alle vier Seiten dieses Kreuzes sind gleich lang und an jedem Ende ist eine silberne Platte mit vielen bunten Edelsteinen besetzt. Die Mitte des Kreuzes leuchtet blau. Es sind wohl glasierte, blaue Keramikplatten, die dort eingelassen sind. Und darauf: die Figur des gekreuzigten Christus’. Sie ist nicht groß, sie trägt feine Züge und schimmert messingfarben. Dieses Kreuz hat mich von der ersten Begegnung an fasziniert. Und das Besondere: Es wird von einem mächtigen Holzbalken getragen. Den hat das Meer vor zwei Jahren angeschwemmt. Keiner weiß genau, wohin der Balken einst gehört hat, wie alt er ist und welche Geschichte er übers Wasser mitgebracht hat. Wir haben ihn eines Morgens am Strand von Wangerooge gefunden. Wir, das sind die Leute vom Team der Urlauberseelsorge.

Mit einem Handkarren haben wir den Balken vom Strand zur Kirche transportiert. Eher: Geschleppt und gehievt, denn der Balken ist sicher zweieinhalb Meter lang und richtig schwer. Wir haben ihn dann gereinigt, abgehobelt und mit Schleifpapier bearbeitet. Und mit einem Stück blauen Tau haben wir anschließend das Edelsteinkreuz am Balken befestigt. Seitdem hängt es dort in St. Willehad.

Normalerweise kann ich der Praxis der Anbetung nicht viel abgewinnen. Also lange Zeit vor einem Kreuz, einem Bild oder dem Heiligen Brot verweilen und beten. Doch dieses Kreuz hat mich in seinen Bann gezogen. Ich bin oft davorgestanden, habe es unzählige Male fotografiert und war immer wieder neu fasziniert: wenn das Sonnenlicht in unterschiedlichen Winkeln durch die Seitenfenster eingefallen ist und das Kreuz regelrecht beleuchtet hat.

Vielleicht liegt es an dem besonderen Blau: die Farbe von der gesagt wird, sie steht für das Göttliche, für die Sehnsucht und für den inneren und äußeren Frieden. Vielleicht auch, weil die Christusfigur den kleinsten Lichtschein reflektiert und zu leuchten beginnt und damit irgendwie Hoffnung und Zuversicht ausstrahlt.

Das Kreuz erinnert uns an den Tod, an Leid und Schmerzen, an die Ungerechtigkeit, die Jesus erfahren hat. Dieses blaue Kreuz lässt mich aber ahnen: Es ist nicht vorbei mit dem Tod. Da kommt noch was. Weil es die Erlösung, weil es die Auferstehung schon miterzählt. In dieser Gegenwart fühle ich mich aufgehoben; und getragen - mit allem, was ich aus meinem Leben mitbringe. So wie der mächtige Balken mit seiner Geschichte dieses Kreuz trägt.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

06APR2023
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Wir stehen an einem kleinen Fischteich am Fuße der Schwäbischen Alb. Die Kinder haben wir in Gummistiefel und Matschhose gesteckt. Mit Angel und Kescher versuchen wir Forellen zu fangen. Viele Jahre war das unsere Tradition an Gründonnerstag. Weil wir an Karfreitag ja Fisch essen wollten. Die Kinder hatten große Freude daran und waren natürlich mächtig stolz auf den selbst gefangenen Fisch. Am nächsten Tag haben wir uns mit Freunden getroffen und unsere Fische über offenem Feuer auf einer Wiese gegrillt. Mahlgemeinschaft unter freiem Himmel. Klingt idyllisch; war es auch.

Dass wir unseren Fisch damals quasi vor der Haustüre gefangen haben, hatte keinen klima-politischen Hintergrund. Vor 20 Jahren hatte ich noch keine Ahnung, was in den Meeren der Welt passiert. Durch die Meeresschutzorganisation Sea sheperd habe ich mittlerweile viel dazugelernt. Sea sheperd bedeutet übersetzt: Hirte der Meere. Die Organisation geht weltweit gegen illegalen Fischfang vor und gegen kriminelle Machenschaften. Ihre Mission ist manchmal lebensgefährlich. Weil teils mafiöse Strukturen hinter dem kommerziellen Fischfang stecken, weil es um viel Geld geht, weil Menschen wie Sklaven auf den großen Fangflotten gehalten werden. Denn das Problem ist: Die Hochsee ist bisher ein weitgehend rechtsfreier Raum, das heißt: die Meere werden ausgebeutet und keiner kontrolliert das.

Mir ist Sea sheperd zuerst wegen ihres eigentümlichen Logos aufgefallen: Ein Totenkopf und darunter der Dreizack vom Meeresgott Neptun gekreuzt mit einem Hirtenstab. Derselbe Hirtenstab, wie ihn jeder katholische Bischof besitzt. Dieser Stab symbolisiert: Der Bischof ist Hirte und damit verantwortlich für die Katholiken in seiner Region.

Sea sheperd ist weltweit unterwegs und besitzt große Schiffe. Alle sea-sheperd-Boote tragen einen Namen. Und jetzt kommt meine Vision: Ich wünsche mir einen Bischof, der einem dieser Schiffe seinen Namen gibt und damit die Patenschaft für so ein Einsatzboot übernimmt. Ein Bischof, der sich ganz konkret dort auf dem Meer verantwortlich zeigt: Für die Artenvielfalt, für unser Ökosystem, für Menschenrechte – für die Schöpfung. Das wäre ein Signal! Ein echter Hirte für die Meere.

Das Ökosystem Meer kann aber weder sea-sheperd noch ein einzelner Bischof retten. Es liegt auch an uns. Die Überfischung der Meere hängt auch mit unserem Fischkonsum zusammen. Auch wenn wir mittlerweile nicht mehr angeln gehen. Wir holen uns immer mal wieder einen Fisch von „unserem“ kleinen Teich, gezüchtet im heimischen Quellwasser. Und das hat für mich heute mehr mit Verantwortung als mit Idylle zu tun.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

05APR2023
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Jesus sitzt zusammen mit seinen Jüngern am Abendmahlstisch – und da liegt, neben Wein und Fisch, eine Brezel. Das Bild ist kein Fake. Die Zeichnung ist echt und rund 1000 Jahre alt. Es ist das älteste Bild, das es von einer Brezel gibt. Ich habe es in einem Buch über die Geschichte der Brezel entdeckt. Und bin ziemlich baff gewesen. Hat Jesus tatsächlich schon unsere Brezel gekannt?

Woher die Brezel stammt oder wer sie zuerst erfunden hat, das lässt sich nicht mehr eindeutig nachweisen. Da gibt es zahlreiche Legenden. Am besten gefällt mir die vom Bäcker Frieder aus Bad Urach. Er war um das Jahr 1500 Hofbäcker beim Grafen Eberhard. Weil Frieder sich etwas zu Schulden kommen ließ, sollte er gehängt werden. Doch er nutzte seine letzte Chance und backte ein Brot, wie es der Graf gewünscht hatte: Eines, durch das drei Mal die Sonne durchscheinen kann. Inspiriert hat ihn dazu anscheinend seine Frau: die hatte vor lauter Sorge um den Mann ihre Arme vor der Brust verschränkt.

Vermutlich hat die Brezel ihren Ursprung aber nicht in Schwaben. Die Form der Brezel soll sich im Laufe der Jahrhunderte entwickelt haben. Und zwar aus einem Ringbrot. Und das hat es bereits im römischen Reich gegeben.

Was auf jeden Fall sicher ist: das Wort Brezel stammt vom lateinischen Wort „brachium“, also Arm. Das hat mit den dünnen Ärmchen, den geschlungenen Enden der Brezel, zu tun. Später wurde daraus Brezila und schließlich Brezel.

Was hat die Brezel nun mit der Kirche und der Karwoche zu tun? Eine ganze Menge: Denn im Mittelalter war die Brezel eine typische Fastenspeise, zunächst in den Klöstern, dann auch außerhalb in den Städten. Weil man sie ohne Fett backen konnte. Denn Butter und andere tierische Produkte waren früher in der katholischen Fastenzeit verboten. In die Form der Brezel wurde im Laufe der Jahrhunderte so manches hineininterpretiert: Zum Beispiel galt sie als Symbol für das Ewige – weil sie keinen Anfang und kein Ende hat. Dieser Gedanke findet sich auch bei der Palmbrezel, die noch immer in einigen Regionen traditionell zu Palmsonntag gebacken wird – sie soll gleichzeitig das Ende der Fastenzeit und den Neuanfang verkünden.

Haben Jesus und seine Jünger nun Brezeln gekannt und gegessen? Die Antwort habe ich bei der Historikerin Irene Krauß gefunden. „Nein“, sagt sie. „Brezeln sind die Vorgänger der heutigen Hostien. Sie wurden in der Kirche zum Abendmahl gereicht.“ Und weil Maler eben nur das darstellen konnten, was sie gekannt haben, gab es eben Brezeln beim Abendmahl von Jesus und seinen Jüngern.“

 

Das große Buch der Brezel, Irene Krauß, Silberburg-Verlag

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

04APR2023
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Meine Tochter geht zur Bundeswehr. Sie schreibt in den nächsten Wochen ihr Abitur und im Sommer ist sie mit der Schule fertig. Dann packt sie ihre Tasche und zieht in eine Kaserne. Mein Abitur liegt gut 30 Jahre zurück, damals haben fast alle Jungs bei uns nach der Schule Zivildienst gemacht. Die wenigen, die bei der Bundeswehr waren, haben kein gutes Haar an dieser Zeit gelassen; sie haben von Schikanen erzählt und sinnlosen Tätigkeiten. Der Wehrdienst war kein Thema, über das wir diskutiert haben. Es hat uns nicht wirklich interessiert.

Und jetzt haben wir Krieg in Europa. Über die Bundeswehr wird wieder gesprochen. Nicht nur im Bundestag oder in den Nachrichten. Sondern auch bei uns am Tisch. Ja, ich habe geschluckt, als meine Tochter gesagt hat, sie will nach der Schule zur Bundeswehr. 18 Monate. Freiwilliger Wehrdienst, erst mal. Und dann schauen, ob sie bleibt. Da waren dann auf einmal all die Fragen, die mich nie interessiert hatten: Wie gefährlich ist dieser Job? Was ist, wenn sie wirklich einmal die Waffe auf jemanden richten muss? Kommt sie klar in dieser Männerdomäne? Und ganz grundsätzlich: Brauchen wir die Bundeswehr für den Frieden? Ich habe noch nicht auf alle Fragen eine abschließende Antwort gefunden.

Die Antwort meiner Tochter, warum sie gerade zur Bundeswehr will, die hat mich überrascht. Sie war eine Woche zum Praktikum in einer Kaserne und hat dann gesagt: „Was mit Kindern machen oder was Soziales, das passt nicht zu mir. Aber Soldat sein, das können nicht so viele. Ich glaube ich kann das. Und da kann ich was zurückgeben, das hab ich ja bisher nicht gemacht.“ Das stimmt. Ihre Lebenszeit hat sie bis dato ausschließlich der Schule und dem Fußball gewidmet.

Sie wird jetzt herausfinden, ob die Bundeswehr tatsächlich der richtige Ort für sie ist. Wir werden ganz sicher weiter miteinander diskutieren. Und nicht nur wir beide. Die Generation der Großeltern wird ihre Erfahrung und Haltung dazulegen: Denn die haben den 2. Weltkrieg als Kinder noch erlebt. Meine Mutter hat ihren Vater im Krieg verloren. Mein Vater ist damals ins Ausland abgehauen, als er Mitte der 60er Jahre zum Wehrdienst eingezogen werden sollte. Trotzdem können wir alle hinter der Entscheidung meiner Tochter stehen, weil wir der Meinung sind: Wer sich als Soldat oder Soldatin einsetzt, um Demokratie, Freiheit und Recht zu schützen, der leistet einen guten Dienst. Denn nur unter diesen Voraussetzungen kann es Frieden geben. Und das verdient in jedem Fall meinen Respekt und meine Anerkennung.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

03APR2023
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Mitten im Dorf steht eine große Werkbank. Auf einem kleinen Stück Wiese vor einem Schuppen. Ein Hammer liegt drauf, ein Hobel und ein paar Werkzeuge. Daneben eine Tafel. Dort ist zu lesen: „Alle Armeen, die jemals marschiert sind, alle Parlamente, die jemals zusammengetreten sind, alle Könige, die jemals regiert haben, haben keinen so großen Einfluss auf die Menschen auf diesem Planeten ausgeübt, wie das Leben dieses Zimmermanns.“

Es geht um Jesus. Ich stehe an der ersten Station des Passionsweges in Grafenberg am Rande der Schwäbischen Alb. Auf einem Rundweg durch das Dorf kann man den letzten Tagen im Leben von Jesus nachgehen; 20 Stationen erzählen seine Geschichte.

Seit vielen Jahren laufe ich in der Karwoche auf diesem Weg. Die Geschichte von Jesus fasziniert mich immer wieder aufs Neue. Und das ist doch eigentlich verrückt. Denn ich weiß ja, wie sie ausgeht. Noch erstaunlicher ist: Sogar der griechische Philosoph Platon wusste das - obwohl der lange vor Jesus gelebt hatte. Platon hatte damals gefragt: „Wie wird es in unserer ungerechten Welt einem wahrhaft gerechten Menschen ergehen?“ Seine Prophezeiung lautete: „Man wird ihn aus der Stadt vertreiben, ihn blenden und ans Kreuz heften.“ Platon sollte recht behalten.

In Platons Formulierung steckt für mich der Grund, weshalb Menschen bis heute von Jesus fasziniert sind: Weil er radikal gerecht war; im Sinn von: Liebe und Gerechtigkeit stehen an erster Stelle. Ohne Kompromisse. Weil er immer auf der Seite derer stand, die unterdrückt oder ausgegrenzt wurden. Es hat ihn überhaupt nicht geschert, was andere über ihn gesagt haben.

In dieser Radikalität war Jesus sicher einzigartig. Und doch trifft Platons Prophezeiung in ähnlicher Weise bis heute zu: Ich denke zum Beispiel an Menschen wie Pablo Hernández aus Honduras. Der katholische Aktivist hat sich jahrelang für die Rechte Indigener eingesetzt und gegen die Umweltzerstörung gekämpft. Er wurde im vergangenen Jahr ermordet. Auch er war ein Hoffnungsträger, für eine andere, für eine bessere Welt.

Der Passionsweg in Grafenberg endet mit der Auferstehung und einem überlebensgroßen Jesus-Schriftzug. Durch den kann man hindurchblicken und es öffnet sich das Panorama der Schwäbischen Alb. Der Weitblick tut gut. Denn er lässt mich hoffen: Sich für den Nächsten und für Gerechtigkeit einzusetzen ist immer noch richtig, trotz allem, was schlimm ist. Und er lässt mich glauben, dass Auferstehung nicht einfach Rückkehr in alte Verhältnisse bedeutet. Es hat sich etwas verändert. Es gibt eine neue Perspektive.

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Anstöße sonn- und feiertags

02APR2023
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Sie haben ihm den roten Teppich ausgerollt. Genau das, was man heute macht, wenn ein Star zu Besuch kommt. Jesus war zu seiner Zeit so ein Star. Er war der berühmte Wanderprediger und Wunderheiler aus Nazareth. Und die Menschen haben ihn euphorisch empfangen, als er nach Jerusalem gekommen ist: Der rote Teppich von damals waren ihre Kleider und große grüne Palmzweige, die sie auf der Straße ausgebreitet hatten. Die sollten ihren Helden vor dem staubigen Boden schützen und ihm zeigen, dass er für sie etwas Besonderes ist. Seine Jünger haben Jesus dann wie Bodyguards den Weg durch die Menschenmenge gebahnt, denn es waren sehr viele gekommen, um ihm zuzujubeln.

Heute, am Palmsonntag, erinnern Christen auf der ganzen Welt an dieses Ereignis. An vielen Orten gibt es Prozessionen mit Palm- oder anderen Zweigen. Der Palmsonntag ist der Beginn der Karwoche. Diese Woche vor Ostern wird auch als Heilige Woche bezeichnet und in der orthodoxen Kirche wird sie als „Große Woche“ gefeiert. Weil in dieser Woche alles passiert, weil sie erzählt, wie das Leben ist - von himmelhochjauchzend bis zu Tode betrübt.

Diese Heilige Woche beginnt etwas skurril. Der rote Teppich ist ausgerollt und dann kommt der von allen herbeigesehnte König, der neue Herrscher auf einem Esel dahergeritten. Auf diesem Tier der einfachen Leute. Ohne Krone und ohne Zepter. Ein Herrscher nach damaligem Verständnis wäre hoch zu Ross auf einem Pferd in die Stadt eingezogen.

Dass Jesus auf einem Esel einreitet, das war kein Zufall. Das war schon rund 500 Jahre vor diesem Tag klar: Der Prophet Sacharja hatte es im Alten Testament vorausgesagt: „Jauchze, Tochter Jerusalem! Siehe, dein König wird zu dir kommen: Gerecht und ein Retter ist er, demütig und auf einem Esel reitend.“ Die Erwartungen an Jesus als neuen König waren hoch: die Leute hofften, dass er die Gewaltherrschaft der Römer beendet, dass er Frieden bringt. Und zwar sofort.

Diese Erwartung hat Jesus enttäuscht. Und deswegen haben viele, die ihm beim Einzug nach Jerusalem noch zugejubelt hatten, wenige Tage später gerufen: „Kreuzige ihn“.

Die Leute hatten Jesus‘ Idee für den Weg zum Frieden nicht wirklich ernst genommen. Sein Weg war der an der Seite der Armen, ohne Gewalt; seine Waffen waren Liebe und Gerechtigkeit.

Sie hatten den Arme-Leute-Esel zwar gesehen, aber den roten Teppich hatten sie für das königliche Schlachtross ausgerollt. Und das konnte nicht gut gehen.

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SWR4 Abendgedanken

03MRZ2023
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„Welcher Fastentyp bist Du?“ Diese Frage kommt mir auf einer Seite im Internet entgegen. Und verweist mich dann auf eine Box mit gefriergetrockneten Suppenzutaten und süßen Riegeln für ziemlich viel Geld. Ich schließe die Seite. Doch die Frage bringt mich zum Nachdenken. Welcher Fastentyp bin ich? Das Thema Fasten schiebe ich nämlich gerne ein wenig von mir weg. Weil ich es mit „verzichten“ verbinde. Ich möchte gar nicht darüber nachdenken, was ich in den Wochen zwischen Aschermittwoch und Ostern weglassen kann. Ich finde: das Leben ist herausfordernd, und manchmal kostet es mich ganz schön Kraft, alles gut hinzubekommen: Job, Kinder, Familie, Haushalt, Ehrenamt. Warum soll ich wochenlang zusätzlich noch auf etwas verzichten und mich damit quälen?

Der eigentliche Sinn des Fastens in vielen Weltreligion ist: sein Leben neu auf Gott ausrichten. Also: Gewohnheiten zu hinterfragen und dann gegebenenfalls zu ändern. Das kann gelingen, indem ich zum Beispiel auf etwas verzichte. Weil ich dann merke, was mir fehlt und was nicht. Wovon ich abhängig bin. Es gibt aber auch einen anderen Blick auf das Thema Fasten. Den finde ich bei Hildegard von Bingen.

Die berühmte Ordensfrau und Heilige hat im 12. Jahrhundert gelebt. Sie hat erkannt, wie Vieles miteinander zusammenhängt: Körper, Seele und Geist, Ernährung und Gesundheit. In ihren Schriften finden sich auch Hinweise zum Fasten. Was mir dabei auffällt: Hildegard von Bingen schreibt an keiner Stelle, dass Fasten etwas mit Entbehrung zu tun haben muss. Oder gar mit asketischem Hungern. Hildegard hat grundsätzlich alles abgelehnt, was in die Richtung geht: Wenn ich leide, wenn ich mich aufopfere, dann komme ich näher zu Gott. Sondern ganz im Gegenteil: Für Hildegard war Gott einer, der barmherzig ist und die Menschen liebt; und der ihnen deshalb nichts abverlangen kann, was sie quält. Fasten hat Hildegard von Bingen als Gesundheitsmaßnahme verstanden. Körper und Geist sollen sich erholen.

Hildegard hat keine Koch- oder Backrezepte aufgeschrieben. Aber sie hat herausgefunden, was den Menschen guttut. Speisen aus Dinkel beispielsweise oder alte Gewürzpflanzen wie Quendel und Bertram. Hildegards Verständnis vom Fasten motiviert mich. Deshalb will ich in den kommenden Wochen ganz bewusst auf Körper und Geist achtgeben. Mit gesunden Zutaten kochen und mir dafür auch Zeit nehmen. Was mir auch gefällt: Hildegard hat für ihre Schwestern im Kloster einst eine tägliche Regenerationszeit eingeführt. Damit auch der Geist zur Ruhe kommt. Für mich bedeutet das: mit gutem Gewissen in der Fastenzeit regelmäßig ein Mittagsschläfchen zu halten. Somit ist meine Antwort auf die Frage: „Welcher Fastentyp bist Du?“ ganz klar: Ich bin ein Hildegard-Fasten-Typ.

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