Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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04APR2023
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Meine Tochter geht zur Bundeswehr. Sie schreibt in den nächsten Wochen ihr Abitur und im Sommer ist sie mit der Schule fertig. Dann packt sie ihre Tasche und zieht in eine Kaserne. Mein Abitur liegt gut 30 Jahre zurück, damals haben fast alle Jungs bei uns nach der Schule Zivildienst gemacht. Die wenigen, die bei der Bundeswehr waren, haben kein gutes Haar an dieser Zeit gelassen; sie haben von Schikanen erzählt und sinnlosen Tätigkeiten. Der Wehrdienst war kein Thema, über das wir diskutiert haben. Es hat uns nicht wirklich interessiert.

Und jetzt haben wir Krieg in Europa. Über die Bundeswehr wird wieder gesprochen. Nicht nur im Bundestag oder in den Nachrichten. Sondern auch bei uns am Tisch. Ja, ich habe geschluckt, als meine Tochter gesagt hat, sie will nach der Schule zur Bundeswehr. 18 Monate. Freiwilliger Wehrdienst, erst mal. Und dann schauen, ob sie bleibt. Da waren dann auf einmal all die Fragen, die mich nie interessiert hatten: Wie gefährlich ist dieser Job? Was ist, wenn sie wirklich einmal die Waffe auf jemanden richten muss? Kommt sie klar in dieser Männerdomäne? Und ganz grundsätzlich: Brauchen wir die Bundeswehr für den Frieden? Ich habe noch nicht auf alle Fragen eine abschließende Antwort gefunden.

Die Antwort meiner Tochter, warum sie gerade zur Bundeswehr will, die hat mich überrascht. Sie war eine Woche zum Praktikum in einer Kaserne und hat dann gesagt: „Was mit Kindern machen oder was Soziales, das passt nicht zu mir. Aber Soldat sein, das können nicht so viele. Ich glaube ich kann das. Und da kann ich was zurückgeben, das hab ich ja bisher nicht gemacht.“ Das stimmt. Ihre Lebenszeit hat sie bis dato ausschließlich der Schule und dem Fußball gewidmet.

Sie wird jetzt herausfinden, ob die Bundeswehr tatsächlich der richtige Ort für sie ist. Wir werden ganz sicher weiter miteinander diskutieren. Und nicht nur wir beide. Die Generation der Großeltern wird ihre Erfahrung und Haltung dazulegen: Denn die haben den 2. Weltkrieg als Kinder noch erlebt. Meine Mutter hat ihren Vater im Krieg verloren. Mein Vater ist damals ins Ausland abgehauen, als er Mitte der 60er Jahre zum Wehrdienst eingezogen werden sollte. Trotzdem können wir alle hinter der Entscheidung meiner Tochter stehen, weil wir der Meinung sind: Wer sich als Soldat oder Soldatin einsetzt, um Demokratie, Freiheit und Recht zu schützen, der leistet einen guten Dienst. Denn nur unter diesen Voraussetzungen kann es Frieden geben. Und das verdient in jedem Fall meinen Respekt und meine Anerkennung.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37393
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