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Seit gut vier Jahren gibt es auf Instagram das Projekt „eswarnichtimmereinfach“. Dort werden Geschichten von Heiligen erzählt. Aber nicht über sie, sondern aus der Perspektive der Heiligen selbst. Bekanntere Heilige, wie Nikolaus und Martin, aber auch Unbekanntere mit teilweise schrägen Lebensläufen werden so zugänglich und nahbar. Wenn ich in den Lebensgeschichten lese, gibt es meistens irgendetwas, was ich für mich herausziehen kann. Wie z.B. bei Alfred Delp, der davon überzeugt war, dass ein Mensch so viel Mensch ist, wie er liebt. Oder Hildegard von Bingen, die über sich sagt: „Ich habe gezeigt, dass es wichtiger ist, dem Herz zu folgen, als Gehorsam zu leisten.“
Bei allen Lebensgeschichten zeigt sich aber auch, warum die Macher für ihr Projekt die Überschrift „es war nicht immer einfach“ ausgesucht haben. Denn im Leben der Heiligen gibt es auch viel Schweres. Sie ringen mit sich, der Welt und Gott und sind dabei lange nicht perfekt. Oft brauchen sie eine riesige Portion Mut, um sich gegen ihr Umfeld zu stellen. Sie müssen manches aus- und durchhalten – oft richtig lang. Wie Alfred Delp, der von den Nazis inhaftiert, gefoltert und zuletzt sogar erhängt wurde. Oder eben auch Hildegard von Bingen, die von sich schreibt: „In mir sah man allzu oft nur eine kränkliche Frau.“
Doch so unterschiedlich die Lebensgeschichten der Heiligen sind: immer hat sich Gott in ihrem Leben bemerkbar gemacht. Und zwar so, dass sie verstanden haben, dass Gott da ist. Und dass sie von Gott geliebt sind, dass Sie „Geliebte Gottes“ sind.
Geliebte, genauso werden heute auch alle angesprochen, die in katholischen Gottesdiensten sind. Denn es wird ein Abschnitt aus der Bibel gelesen, in dem es heißt: „Geliebte, wir sind Kinder Gottes.“ Und: „Seht, welche Liebe uns der Vater geschenkt hat.“ (1 Joh 3, 1f.) Was für eine Zusage. Und: gar nicht so leicht zu begreifen. Eigentlich eine Nummer zu groß für mich. Doch mit der Liebe ist es vermutlich immer so. Ich kann die Liebe nicht verstehen und bis ins Letzte erfassen. Aber ich kann mich von ihr tragen lassen. Kann üben, dass ich dem, der mich liebt, vertraue.
Die Lebensgeschichten der Heiligen zeigen, was dann möglich ist. Sie hatten so ein tiefes Vertrauen in Gottes Liebe, dass es nicht nur in ihrem Leben, sondern auch für andere heller und leichter wurde. Für mich sind Heilige deshalb Menschen, durch die Gottes Liebe einen Weg in die Welt findet. Menschen, durch die diese Liebe nicht abstrakt bleibt, sondern wirklich sichtbar wird.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=40931Ich kann es absolut nicht leiden, wenn andere mir sagen, was ich zu tun oder zu lassen habe. Andererseits – manchmal wünsche ich mir genau das. Sehnlichst! Dass mir jemand sagt, was richtig ist und was falsch. Hier ein kleines Beispiel dafür:
Mein Smartphone gibt allmählich den Geist auf – aber soll ich wirklich wieder ein Neues anschaffen? Wo die Dinger doch alle in Ländern hergestellt werden , in denen kein ordentlicher Lohn gezahlt wird? Andererseits haben alle anderen doch auch ständig neue. Und die Welt wird auch nicht besser, wenn ich da nicht mehr mitmache . Eigentlich schade ich mir nur selbst damit.
Was also soll ich tun? Was ist richtig und – gut? Eine Frage, die schon den Propheten Micha in der Bibel vor über 2000 Jahren umgetrieben hat. Heute ist in vielen evangelischen Gottesdiensten davon die Rede. Damals wie heute wollen sich die Menschen nicht so gerne reinreden lassen, was sie zu tun haben und was zu lassen. Aber damals wie heute gibt es eben auch Gewinner und Verlierer eines solchen Systems. Und da müssen sich die, die auf Kosten von anderen ein gutes Leben haben, eben doch auch mal etwas sagen lassen.
Micha hat genau das getan. Im Namen Gottes. Und die Botschaft Gottes lautet:
Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der HERR von dir fordert: nichts als Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott. (Micha 6, 8)
Das Gebot ist keine detaillierte Verhaltensregel, was ich kaufen darf und was nicht– natürlich nicht. Aber Michas klare Aufforderung ist dennoch der Leitfaden, nach dem ich mich richten kann, wenn ich frage: „Was soll ich tun?“ Es kommt eben nicht darauf an, was alle andren machen. Nicht einmal, ob ich mir damit selbst schade. Wichtig ist, dass ich meine Entscheidungen treffe in Respekt vor Gott und in Liebe zu allen Menschen, die ich mit meiner Entscheidung beeinflusse.
Mein jetziges Smartphone – wenn ich ehrlich bin, braucht es nur einen neuen Akku. Die verbaute Kamera ist auch noch zeitgemäß – also erst mal kein Neues. Ressourcen schonen. Irgendwann werde ich aber wieder eins kaufen. Möglichst eins, das seriös und unter menschenfreundlichen Bedingungen hergestellt worden ist. Vielleicht bewirke ich etwas damit, vielleicht auch nicht. Ich kann die Welt nicht retten und sollte trotzdem das richtige tun. Vom Propheten Micha lasse ich mir gerne sagen: Lieber seltener etwas Neues, dafür aber nachhaltig!
https://www.kirche-im-swr.de/?m=40924Bei euch aber soll es nicht so sein. Hinter diesen Satz aus dem heutigen Sonntagsevangelium setze ich ein Ausrufezeichen. Weil ich ihn für die vielleicht wichtigste grundsätzliche Forderung halte, die Jesus überhaupt ausgesprochen hat. Bei euch, die ihr zu mir gehört, die ihr euch auf mich beruft, bei euch soll es nicht so sein. Wie soll es nicht sein? Das sagt er einen Satz zuvor. Und den zitiere ich auch noch, weil er an Deutlichkeit ebenfalls nichts zu wünschen übriglässt: Ihr wisst, dass die, die als Herrscher gelten, ihre Völker unterdrücken und ihre Großen ihre Macht gegen sie gebrauchen. Bei euch aber soll es nicht so sein! Es geht also um die Einstellung zur Macht, genauer: wie man mit den Menschen umgeht, die einem anvertraut sind. Solche „Macht“ gibt es überall: in der Politik, im Berufsleben, in der Schule, in der Familie, in einer Partnerschaft. Die Rollen können zwar wechseln, aber fast immer ist einer der Stärkere. Der oder die kann dann seine Macht ausspielen, kann sie sich zum eigenen Vorteil nutzen. Oder eben nicht. Und exakt das verlangt Jesus. Christen sollen ihre Macht, ihren Einfluss über andere nicht missbrauchen. Darin sollen sie sich ausdrücklich unterscheiden, daran soll man erkennen, dass sie Christen sind und zu Jesus gehören wollen.
Es gibt viele Möglichkeiten, das in die Tat umzusetzen, dieses christliche Anders-Sein. Wenn ein Mensch krank wird, bleibt er Mensch. Und zwar mit aller Würde, die ihm prinzipiell zusteht. Er wird nicht weniger Mensch, weil er nicht mehr allein laufen kann oder aus eigener Kraft seinen Haushalt bewältigt. Im Gegenteil. Je schwächer ein Mensch wird, desto mehr Hilfe verdient er wegen seiner Würde, die unantastbar bleibt. Das zu betonen und sich entsprechend einem Kranken, einem Schwächeren gegenüber zu verhalten, das macht den Unterschied. Als Christ überlasse ich niemanden seinem Schicksal, sondern kümmere mich, wenn ich sehe, dass einer des Lebens müde ist.
Gleichgültig, anonym, ja argwöhnisch – so ist das Zusammenleben unter uns oft. Bei euch soll es nicht so sein, sagt Jesus. Macht es anders. Diese Unterschiede werden andere bemerken, zumal wenn Menschen, die zur Kirche gehören, dabei gemeinsam anpacken. Dann klärt sich auch die Frage, ob Religion und Glauben heutzutage noch einen Wert haben, von ganz allein.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=40793Das Ergebnis zählt, würde ich sagen. Ja! Das Ergebnis zählt– wie ich da hinkomme, ist doch eigentlich egal. Na ja, besser gesagt: Wie ich da hinkomme ist nicht egal, sondern es sollte der beste Weg dahin sein. Und das ist eben auch mal ein ganz neuer Weg. Einer, der mit alten Gewohnheiten bricht.
Und da fangen manchmal die Probleme an. „So haben wir das immer gemacht!“, höre ich dann. Schon möglich – aber was, wenn die alten Wege ihre Schwächen haben, wenn sie überholt sind, weil es etwas Neues gibt – dann sollte man sie doch verlassen, oder etwa nicht? Das Ergebnis zählt doch, da nehme ich doch den besten Weg.
Der Apostel Paulus in der Bibel war so einer, der nach dem besten Weg zu Gott gesucht hat. Ihn hatte die Überzeugung gepackt, dass Jesus Christus den Menschen Gott ganz nahe bringt. Auf eine ganz neue Art. Nach dieser Gottesnähe hatte Paulus sich selbst schon immer gesehnt, hatte sie aber nie wirklich gefunden. Hier, in der Nachfolge Jesu schon. Paulus hat deshalb angefangen zu predigen. Er hat Gemeinden gegründet und war ganz beseelt von der Aufgabe, die unterschiedlichsten Menschen zu einer Gemeinschaft zusammenzubringen, in der die Liebe Gottes, Gerechtigkeit, Vergebung, Vertrauen ins Leben und in die Zukunft spürbar werden.
Paulus hat also etwas völlig Neues gepredigt – und das mit Erfolg! Für Paulus war es deshalb aber auch ein Schock, als er feststellen musste, dass andere Prediger ihm vorgeworfen haben. „So, wie Du von Jesus predigst, so macht man das nicht. Da fehlt was, die alte Tradition und die alten Gesetze der Bibel. Hier – wir haben ein Empfehlungsschreiben aus anderen Gemeinden. Da steht drin, dass wir es richtig machen.“
„Eure Empfehlungsschreiben brauche ich nicht“, antwortet Paulus im zweiten Brief an die Gemeinde in der Stadt Korinther. Um diese Bibelstelle geht es heute in vielen evangelischen Gottesdiensten. Paulus sagt: „Es kommt doch aufs Ergebnis an. Ich habe die Herzen der Menschen erreicht. Der lebendige Beweis: all die Leute, die jetzt zur Gemeinde Gottes dazugehören. Was braucht es mehr für den Neuanfang, den Gott mit uns Menschen machen will?“
Aufs Ergebnis kommt es an. Und auch, wenn die alten Gebote und Traditionen der Bibel für Paulus heilig und gültig bleiben, so schickt Gott ihn eben auf neue Wege. Es kommt aufs Ergebnis an. Es kommt darauf an, dass Gottes Liebe die Herzen der Menschen erreicht.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=40834In den USA ist es eins der wichtigsten Feste des Jahres: Thanksgiving, der Erntedanktag. Allerdings wird er dort erst Ende November gefeiert. Bei uns ist er heute. Nicht wenigen allerdings dürfte dieser Tag inzwischen wohl herzlich egal sein. Angesichts ganzjährig gefüllter Supermärkte scheint es ein Fest, das irgendwie aus der Zeit gefallen ist. Denn wofür danken und vor allem wem, wenn sowieso immer alles zu haben ist? Kaum jemand ernährt sich schließlich noch allein aus seinem Garten. Klar, da sind die Landwirte, die Obst, Gemüse, Milch und Fleisch produzieren. Da sind Händler und Marktleute, die dafür sorgen, dass wir jederzeit alles schnell und einfach bekommen. Aber letztlich leben sie ja davon. Es ist ihr Geschäft. Wir bezahlen schließlich dafür.
Ein paar Worte, die Jesus seinen Zuhörern mal ans Herz gelegt hat, scheinen zu diesem Befund fast ideal zu passen: Sorgt euch nicht um euer Leben, was ihr essen sollt, noch um euren Leib, was ihr anziehen sollt! Denn das Leben ist mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung, heißt es da. Wozu der ganze Stress also, es gibt genug für alle. Und für Jesus zumindest scheint ganz klar, woher das alles kommt: Von Gott natürlich. Gott sei derjenige, der Essen und Kleidung gibt. Der leben lässt. Der schon dafür sorgen wird, dass wir alles Nötige haben. Und dafür dankbar zu sein, das macht letztlich ja auch den tieferen Sinn dieses Erntedanktags aus.
Aber kommt der eine und andere Zweifel an diesem Fest vielleicht auch daher, dass es bei genauem Hinsehen eben doch nicht so einfach ist? Wenn Gott alles gibt, was ist denn dann mit verheerenden Missernten und Hungersnöten? Was mit Menschen, die an Hunger sterben. Auch bei uns gab es die in früheren Zeiten, über Jahrhunderte hinweg. Heute sind sie vielfach menschengemacht. Das Problem des Leids, das sich nicht erklären lässt, beschäftigt Menschen jedenfalls schon, seit sie angefangen haben zu glauben. Auch Jesus hat es nicht aufgelöst. So gesehen erscheinen seine Sätze fast schon zynisch, im besten Fall naiv. Ich bin aber sicher, sie meinen mehr. Jesus hat immer von einem Gott gesprochen, der den Menschen nahe ist. Ein Gott, der sie liebt und sie trägt, was immer auch passiert. „Sorgt euch nicht“, der Satz zielt deshalb nicht nur aufs tägliche Leben, sondern weit über den Alltag hinaus. Am Ende sogar über dieses Leben. Was immer das Leben auch bereithält, soll er wohl sagen, dieser Gott ist bei euch und ihr dürft sicher sein: Ihr seid von ihm getragen.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=40816Als wir Kinder waren, hatte meine Freundin Diana über ihrem Bett ein Bild hängen. Darauf zwei Kinder, die Hand in Hand auf einen Abgrund zulaufen. Doch genau dort – an der Abbruchkante – steht ein Engel und hindert die beiden daran, in die Schlucht zu stürzen. Ein Schutzengel, mit liebevoll strengem Gesicht und goldenen Flügeln. Ich fand das Bild immer ein bisschen gruselig. Aber ich war auch neidisch. Meine Freundin war katholisch und lange habe ich gedacht, dass nur katholische Kinder Schutzengel haben.
Heute am Tag des Erzengel Michael und aller Engel wird nun aber auch in manchen Evangelischen Kirchen über einen Engel gepredigt. Und über die biblische Geschichte, wie Gott diesen Engel zum Propheten Bileam schickt. Bileam steuert nämlich auch auf einen Abgrund zu. Jedenfalls begibt er sich in große Gefahr. Sein Herr, König Balak von Moab, ruft nach ihm. Durch einen Fluch soll helfen, das Volk Israel zu vertreiben, das direkt vor der Hauptstadt Moabs sein Lager aufgeschlagen hat. Gott warnt Bileam, den Auftrag anzunehmen. Deshalb weigert sich Bileam zunächst. Aber irgendwann sattelt er doch seine Eselin und macht sich auf den Weg, denn Balak verspricht ihm reichen Lohn. Auf dem Weg kommt es zu einem Zwischenfall: Balaks Eselin weigert sich auf dem Weg zu bleiben. Bileam wird ärgerlich und schlägt die Eselin sogar. Da dreht die sich um und spricht zu Bileam. Als erstes erinnert sie Bileam daran, dass sie ihm immer eine treue Begleiterin gewesen ist. Sie hat nicht verdient geschlagen zu werden. Und dann weist sie ihn auf den Engel hin, der sich den beiden in den Weg gestellt hat. Und erst da sieht auch Bileam den Boten Gottes. Aber es ist kein Schutzengel mit liebevoll strengem Blick. Sondern einer mit dem Schwert in der Hand – bereit Bileam aufzuhalten und sogar zu vernichten. Gott hatte ihn ja gewarnt, dass er es nicht zulassen würde, dass sein Volk verflucht wird. Trotzdem lässt Gott Bileam nicht einfach in sein Verderben rennen. Gott setzt alles daran, Bileam vor einem großen Fehler zu bewahren. Er schickt ihm zwar keinen Schutzengel, dafür aber eine Eselin. Und die öffnet ihm die Augen. So versteht Bileam schließlich, was Gott von ihm erwartet. Bileam reitet zwar zum König, aber er verflucht das Volk Israel nicht. Im Gegenteil: er segnet das Volk. Er hält sich an Gottes Auftrag.
Vielleicht schickt Gott nicht immer einen Engel, der mich beschützt so wie auf dem Bild im Kinderzimmer meiner Freundin. Seine Boten und Botinnen kommen in ganz unterschiedlichen Gestalten. Manchmal sogar in tierischer. Aber immer so, dass sie es gut mit mir meinen. Und das ist ganz unabhängig davon zu welcher Konfession ich gehöre. Also Augen auf und Ohren auch – vielleicht kreuzt heute ja einer Ihren Weg oder begleitet sie schon lange treu und ergeben – wie die Eselin den Bileam.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=40717Wer hat hier die Macht und das Sagen? Im Büro, Fußballverein oder Kirchengemeinde wird diese Frage selten offen angesprochen. Meist gärt sie eher im Verborgenen, und das tut dem Miteinander gar nicht gut. Doch das ist nichts Neues. Schon die Bibel berichtet davon. Der Abschnitt aus dem Markusevangelium ist heute in katholischen Gottesdiensten zu hören.
Die Freunde Jesu sind mit Jesus unterwegs, und während der von Tod und Auferstehung erzählt, sind sie damit beschäftigt zu klären, wer denn nun das Sagen hat. Jesus bekommt das mit, aber er macht ihnen keine Vorwürfe, sondern sagt: „Wer der Erste sein will, soll der Diener aller sein.“ (Mk 9, 35).
Was für ein starker Satz. Und wie heilsam wäre es für unsere Welt, wenn alle sich das zu Herzen nehmen würden. Alle, die Verantwortung für andere haben: Chefinnen und Politiker, Unternehmensberaterinnen und Sporttrainer. Und auch in der Familie und unter Kollegen. Wer Verantwortung für andere hat, muss auch die Verpflichtung auf sich nehmen, für die da zu sein, die ihm anvertraut sind. Und wer Chef werden will, muss sich zuerst im Dienen beweisen.
Und damit nicht genug. Wie um das Gesagte zu unterstreichen, stellt Jesus ein Kind in die Mitte, nimmt es in seine Arme und sagt: „Wer ein solches Kind in meinem Namen aufnimmt, der nimmt mich auf.“ (Mk 9,37).
Kind zu sein, heißt doch – ganz nüchtern betrachtet –: durchgebracht werden, bis man selbst für sich sorgen kann, machtlos und auf den Schutz anderer angewiesen sein. Allein geht es nicht. Vielmehr helfen wir Kindern dabei, erwachsen zu werden. Wir sagen ihnen, was wir toll an ihnen finden. Wir ermutigen sie, sich auszuprobieren und Talente zu entdecken. Und wir erlauben ihnen auch, Fehler zu machen und halten mit ihnen Enttäuschungen aus. Wäre es nicht wunderbar, wenn auch wir Erwachsene uns so begegnen würden? Ich glaube, diese Haltung würde uns gut zu Gesicht stehen. Denn dann ginge es weniger darum, sich selbst zu profilieren, sondern vielmehr darum, den anderen groß zu machen. Einander wie einem Kind herzlich zu begegnen und sich nicht gegenseitig die schwachen Seiten unter die Nase zu reiben.
Ich glaube, das ist der Blick, den Jesus auf uns Menschen hat. Er sieht, was in jeder und jedem von uns steckt. Und das wünscht er sich auch für uns. Dass wir einander dabei unterstützen groß zu werden. Und ich bin sicher: dann sind wir für Gott die Größten.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=40706„Herr Jericke, beten Sie?“ Eine Schülerin hat mich das im Religionsunterricht gefragt? „Nun ja, ich bin Pfarrer, natürlich bete ich“, habe ich ihr geantwortet. Im Nachhinein finde ich diese Antwort etwas irreführend. Denn bete ich nur, weil es zu meinem Beruf dazugehört?
Ehrlicherweise fällt es mir manchmal schwer zu Beten. Insbesondere dann, wenn ich nicht mit meinen eigenen Worten bete, sondern vorgefertigte Gebete nutze. So wie zum Beispiel das Vaterunser. Oder die Psalmen in der Bibel. Drücken diese Worte anderer wirklich das aus, was ich sagen will? Über einen Psalm wird heute in vielen evangelischen Kirchen gepredigt. Da heißt es:
Gott steht mir immer vor Augen. Mit ihm an meiner Seite falle ich nicht hin. Darum ist mein Herz so fröhlich und meine Seele jubelt vor Freude.
Ich finde, das sind schöne, hoffnungsvolle Worte. Und ich finde es beeindruckend, wenn jemand so ein unerschütterliches Gottvertrauen hat. Und aus diesem Vertrauen heraus betet.
Aber passt das zu mir? Denn ja: ich glaube an Gott, aber er steht mir nicht immer vor Augen. Manchmal habe ich auch das Gefühl, er ist weit weg. Dann zweifle ich an Gott.
Und ja, der Glaube an Gott macht mich sicher auch manchmal fröhlich. Ich glaube, mein Leben wird dadurch in vielen Bereichen leichter. Aber dass meine Seele vor Freude jubelt? Selbst würde ich das so nicht sagen.
Und trotzdem merke ich: Es tut mir gut, mit diesen alten Worten zu beten. Weil Glaube für mich auch immer mit Gemeinschaft zu tun hat. Alleine Glauben, das gibt es für mich nicht. Da hilft es mir zu wissen, dass es auch vor vielen Jahren schon Menschen gab, die auf Gott vertraut haben.
Manchmal bin ich selbst auch sprachlos oder finde keine oder nicht die richtigen Worte finde. Dann helfen mir diese alten Gebete, eine Sprache für das zu finden, was ich denke oder fühle. Und auch der bedingungslose, der zweifelsfreie Glaube, der in diesem Psalm zur Sprache kommt, hilft mir. Weil ich glaube, dass Vertrauen abfärbt. Wenn jemand anderes glaubt und vertraut, hilft das mir zu vertrauen. Und deshalb bete ich heute mit, wenn es in der Kirche heißt: Mit Gott an meiner Seite falle ich nicht hin!
https://www.kirche-im-swr.de/?m=40651Haltet den Glauben an unseren Herrn Jesus Christus, den Herrn der Herrlichkeit, frei von jedem Ansehen der Person![1] Diese Stelle aus dem Jakobusbrief im Neuen Testament wird heute in den katholischen Gottesdiensten vorgetragen. Schon seltsam. Da wird in der Bibel klipp und klar formuliert, wie es sein soll. Und die Realität sieht so anders aus. Und ich meine nicht die Realität der großen weiten Welt, die es sich aussuchen kann, ob sie sich an die Weisung der Bibel hält oder nicht. Ich meine die Realität in der Kirche. Dort, wo die Bibel über allem steht. Der Glaube: Frei von jedem Ansehen der Person. Ich finde, klarer kann man nicht sagen, dass es bei Gott nicht aufs Äußere ankommt, nicht um Oberflächlichkeiten geht. Dass es beim Glauben Wichtigeres gibt als Titel und Geld. Dass es eben nicht darum geht, was einer geleistet oder welchen Namen sie oder er sich im Laufe des Lebens gemacht hat. Sondern nur um den nackten Menschen. Ich bin, wer ich bin, weil Gott mich so gewollt hat. Und nur das interessiert. Alle sind bei ihm gleich wichtig, gleich viel wert.
Das sind Sätze, wie sie von einem Theologen erwartet werden. Und die Gefahr ist groß, dass sie deshalb überhört oder belächelt werden. Nicht zuletzt, weil die Realität so anders aussieht. Eben auch in der Kirche, wo es oft eben doch um Äußerlichkeiten geht. Wer klüger redet, wer fleißiger arbeitet, gilt mehr. Je höher einer in der Rangordnung aufsteigt, desto prächtiger werden die Gewänder und Titel. So, als gäbe es diesen Satz nicht. Der Glaube an Jesus Christus – frei von jedem Ansehen der Person. Die sich am ehesten daran halten müssten, tun’s nicht, und darunter leidet die Glaubwürdigkeit. Wenn es die in der Kirche schon nicht machen, weshalb sollten wir anderen es dann tun.
Es ist immer problematisch, wenn man einzelne Bibelstellen aus ihrem Zusammenhang reißt. Aber die Sache mit dem Ansehen der Person zieht sich wie ein roter Faden durch die Bibel. Schon im Alten Testament sagt Gott von sich selbst: Der Mensch sieht, was vor Augen ist, ich sehe auf das Herz[2]. Wer sich damit beschäftigt, wie Jesus gegenüber Menschen eingestellt ist, merkt schnell, dass bei ihm Geschlecht, Nation, Religion zunächst unwichtig sind. Er interessiert sich für die Person, die ihm gerade gegenübersteht. Der Verfasser des Jakobusbriefs hat das kapiert und es deshalb so niedergeschrieben. Allen ins Stammbuch, die seine Worte heute hören.
[1] Jakobus 2,1
[2] Vgl. 1 Samuel 16,7
https://www.kirche-im-swr.de/?m=40555Vielleicht haben Sie schon einmal von Marlene Engelhorn gehört. Sie ist Enkelin einer reichen Frau und hat beschlossen, dass sie, wenn sie einmal erben wird, einen Großteil davon hergeben wird. Weil sie es ungerecht findet, ein so ungeheuer großes Erbe für sich allein zu behalten, ohne etwas dafür getan zu haben. Einfach nur, weil sie in der richtigen Familie geboren wurde. Verdient hat sie sich das Erbe nicht, sagt sie. Und will darum 90 % davon abgeben, wenn sie es einmal hat.
In einer ähnlichen Ausgangslage befinden sich, wenn man dem Apostel Paulus folgt, Christinnen und Christen. Er erklärt den Gläubigen in Rom, dass sie Kinder Gottes sind. Und dann schreibt er: „Sind wir aber Kinder, so sind wir auch Erben, nämlich Gottes Erben und Miterben Christi, weil wir ja mit ihm leiden, damit wir auch mit ihm zur Herrlichkeit erhoben werden.“
Über diese Bibelstelle wird heute in vielen evangelischen Gemeinden gepredigt.
Dass Christinnen und Christen Kinder Gottes sind, haben sie nicht ihrer eigenen Leistung zu verdanken, sondern dem Glauben. Und der, das ist immer wieder im Neues Testament zu lesen, ist ein Geschenk. Nichts, was wir leisten können.
Kind und Erbe Gottes zu sein – das ist also genauso unverdient, wie einfach so mehrere Millionen Euro zu erben. Vielleicht sogar noch ungerechter – denn mit dem Erbe Gottes ist bei Paulus das ewige Leben verbunden. Die Gewissheit, Gott einmal als sein Kind ganz nahe zu sein.
Paulus glaubt, dass dieses Erbe schon die Gegenwart betrifft. Die Aussicht auf dieses unglaublich schöne und große Erbe kann die Sorge vor dem Scheitern nehmen – weil ich weiß, dass einmal für mich gesorgt sein wird. Und die Aussicht auf ein Erbe, das von so vielen Menschen geteilt werden wird, schafft einen anderen Blick aufeinander – meine Mitmenschen sind auch Erben und Kinder Gottes.
Erben Gottes zu sein – das ist zuerst ein riesiger Grund zu Freude. Weil es sicher ist. Keiner wird einem dieses Erbe streitig machen, weil es nicht von den Menschen damals oder heute abhängt. Sondern vom Versprechen Gottes.
So wie Marlene Engelhorn, die Millionenerbin in Spe, aber verantwortungsvoll mit dem großen Erbe umgeht, so fordert auch Paulus Verantwortung.
Dass das Erbe sicher ist, soll kein Grund sein, gedankenlos in den Tag hineinzuleben. Die Herausforderung besteht darin, das Erbe nicht für sich zu behalten. Schon jetzt auszuprobieren und davon zu träumen, wie Gottes Ewigkeit aussehen könnte. Eine Ewigkeit, in der keiner allein ist. In der Gott alle Tränen abtrocknet. In der alle ein riesiges Fest feiern und darüber jubeln, wie wunderbar und schön Gottes Schöpfung ist. Dieses Erbe ist für alle da. Und Gott ermutigt uns, schon kräftig damit anzufangen, dieses Erbe auszugeben.
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