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SWR1 3vor8

07APR2023
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Das Bildchen war so klein, dass ich es fast übersehen hätte und daran vorbeigelaufen wäre. Gerade mal vier auf sechs Zentimeter. Das Bild steht in einer Vitrine im spanischen Avila und ist nur mit ein paar Federstrichen gezeichnet. Es zeigt Jesus am Kreuz aus der Vogelperspektive. Also nicht von vorne, sondern von oben.

Gezeichnet hat das Bildchen Johannes vom Kreuz vor rund 430 Jahren. Er hat als Ordensmann in Spanien gelebt und war von Beruf Gottsucher, ein so genannter „Mystiker“. Über seine Suche hat er viele Gedichte und Texte verfasst, gerade auch in den Krisen seines Lebens. Einmal hat er geschrieben: „Mein Gott, bring mich heraus aus diesem Tod und gib mir das Leben.“ Johannes wusste, wie schwer das Leben sein kann. Als er zum Beispiel einige Monate in einem dunklen Keller gefangen gehalten wurde, hat er gespürt, wie verlassen man sich von anderen Menschen und von Gott fühlen kann.

Die kleine Zeichnung mit dem Blick von oben auf das Kreuz ist für mich wie eine Antwort auf diese verlassenen Momente. Denn die Zeichnung zeigt gewissermaßen Gottes Blick. Die Vorstellung von Gott im Himmel ist zwar überholt, aber trotzdem finde ich sie hilfreich, weil ich mir dann vorstellen kann: So hat Gott Jesus am Kreuz hängen sehen. Gott sieht den gequälten, sterbenden Sohn und ist in diesem Blick mit ihm verbunden. Für mich ist es, wie wenn Gott sagen würde: So vieles bin ich bereit auszuhalten. Ich lasse mich blutig schlagen, hinauswerfen aus der Welt. Mehr kann ich nicht mehr tun, als gerade so für dich da zu sein. Indem ich auf dich schaue, indem ich mit dir aushalte, indem ich dir beistehe.

Dieser Blick erspart Worte. Denn zu verstehen ist es nicht, dass es solches Leid gibt. Damals am Kreuz und bis heute nicht. Wie sehr wünsche ich mir manchmal, dass Gott eingreifen würde in unsere Welt. Dass er den Krebs einer Kollegin ein für alle Mal heilt. Dass Menschen nie mehr vor einem sinnlosen Krieg fliehen müssen oder dass junge Mütter und Väter am Grab ihres gestorbenen Kindes stehen.

Wenn heute an Karfreitag in den Gottesdiensten die Geschichte von Jesu Leiden und seinem Tod erzählt wird, und dann das Kreuz hochgehalten und verehrt wird, dann sind es zwei Blickrichtungen, mit denen ich auf das Kreuz schaue.

Zum einen schaue ich von vorne und trage dabei all die Menschen im Herzen, die heute leiden. Und dann möchte ich aber auch an die Perspektive denken, die Johannes vom Kreuz gezeichnet hat. Ich möchte mich erinnern, wie Gott voller Liebe auf mich und die Welt schaut. Und daran, dass er uns im Blick hat und mitleidet.

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SWR1 3vor8

26FEB2023
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Das Leben ist nicht immer glänzend und leuchtend. Und früher war´s das auch nicht. Doch zur Zeit habe ich den Eindruck, dass nach jeder Krise gleich die nächste kommt. Dass die Zuversicht und die Hoffnung unter einem Berg aus Sorgen, Nöten und Stress zugedeckt sind.

Umso wichtiger ist mir eine Gedichtzeile von Hilde Domin. In einem ihrer Texte schreibt sie: „Wir essen Brot, aber wir leben vom Glanz.“

Brot essen – das ist das, was ich zum Leben brauche. Zum Überleben. So etwas wie ein Zuhause, etwas zu trinken und anzuziehen. Das ist notwendig! Aber um wirklich leben zu können, braucht es auch den Glanz. Das, was schön ist, was mir Spaß macht oder wo ich Gänsehaut kriege.

Bücher gehören für mich dazu, weil sie mir neue Welten erschließen und mich in die Weite entführen. Musik – am besten live, so dass sie mich bis in die letzte Faser meines Körpers durchdringt. Mein Leben fängt an zu glänzen, wenn mir jemand nahe ist oder wenn ich einfach mal umarmt werde. Oder wenn ich Ideen mit anderen entwickeln kann und wir richtig in einen Flow kommen. Das sind Glitzermomente, in denen mein Leben zu funkeln beginnt.

Auch mein Glaube bringt Glanz in mein Leben. Weil er das, was ich jeden Tag erlebe, in ein anderes Licht taucht. Weil er meinem Leben Sinn verleiht, und weil die Worte, die ich in der Bibel finde, mich trösten und stärken.

 

„Wir essen Brot, aber wir leben vom Glanz.“ Diese Gedichtzeile klingt bei mir mit, wenn heute im katholischen Gottesdienst der Abschnitt aus der Bibel dran ist, in dem Jesus in der Wüste auf den Teufel trifft. Hartnäckig und schlau versucht er Jesus zum Beispiel zu überreden, Steine in Brot zu verwandeln. Verlockend – denn damit würde Jesus, der nach vierzig Tagen in der Wüste sicher hungrig ist, satt werden. Doch Jesus lässt sich nicht durcheinanderbringen. Er durchschaut, dass alles Materielle auf Dauer nicht glücklich macht. Und deshalb weist er den Teufel zurück und antwortet: „Der Mensch lebt nicht nur vom Brot.“ (Mt 4,4)

Jesus macht deutlich: Der Mensch braucht mehr! Mehr als das, was für den Moment satt macht. Damit der Mensch wirklich leben kann, braucht es neben dem Notwendigen auch das, was dem Leben Glanz verleiht.

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SWR2 Lied zum Sonntag

29JAN2023
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Musik

Es gibt sie: die Momente im Leben, in denen sich etwas in mir löst, was mich zuvor fest im Griff hatte. Dann fühle ich mich leichter. Erlöst. Das heutige „Lied zum Sonntag“ bringt dieses Gefühl zum Klingen:

„My soul has been redeemed, …“

My soul has been redeemed – meine Seele wurde erlöst. Wie ein roter Faden zieht sich diese Liedzeile durch das Lied.

Erlöst. So fühle ich mich, wenn ich eine Aufgabe geschafft habe, die mir im Vorfeld Kopfzerbrechen und Bauchschmerzen bereitet hat. Wenn etwas nicht eintrifft, was ich befürchtet hatte. Wenn ich endlich eine Lösung für ein Problem finde, das ich lange mit mir rumgeschleppt habe. Oder wenn ich mich nach einem Streit mit dem anderen aussprechen kann. Dann wird mein Herz weit.

Einer, der den Raum der Menschen weit gemacht, sie aus engen Grenzen gelöst hat, war Jesus. Er heilt Frauen, Männer und Kinder und ermöglicht ihnen dadurch wieder am Leben teilzunehmen. Er löst Menschen aus Bezügen, die ihnen schaden – aus ihrem Beruf, aus ihrer Gier oder ihrem Egoismus. Er sieht, was sie brauchen und gibt ihnen den Mut und die Kraft, gegen das aufzustehen, was sie daran hindert erfüllt zu leben.

Viele Menschen in der Bibel merken, dass sich ihr Leben zum Besseren verändert, wenn sie Jesus begegnet sind. Denn Jesus ermutigt, das Leben aus seiner Perspektive anzusehen. Und ihm liegt sehr daran, dass sich Verstrickungen lösen. Dass aus Enge Weite wird.
An einer Stelle im Lied heißt es: Er lässt mich erkennen, dass ich der Mensch sein kann, der ich sein möchte oder wie es im englischen Original heißt: He made me see that I can be what I want to be:

Musik:

„He made me see that I can be what I want to be…“

Jesus hat sich jedem einzelnen Menschen voll und ganz zugewendet. Und ich stelle mir vor, dass die Menschen dadurch gespürt haben: in seinen Augen bin ich wertvoll und liebenswert. So wie ich bin. Mit ihm an der Seite habe ich festen Boden unter den Füßen, auch wenn alles um mich herum gerade heftig ins Wanken geraten ist. Und selbst wenn es ganz dunkel um mich wird: er führt mich ins Helle. Ins Leben.

„He turned my life around, placed my feet on solid ground, turned my darkness into day…“

Wenn ich mich so liebevoll von Gott angesehen fühle, dann kann ich dankbar durchs Leben gehen. Und befreit von der Sorge sein, nicht zu genügen oder zu scheitern.

Und wenn es mir im Alltagstrubel wieder eng ums Herz wird, dann atme ich ein paar Mal tief ein- und aus. Beim Einatmen bete ich: „Gott, du bist bei mir“ und beim Ausatmen: „und ich bei dir.“ So verbunden mit Gott, ist dann wieder ein bisschen mehr Platz in der Seele.

 

 

Komponistin

T + M: Pamela Baskin-Watson

 

Aufnahme:

„Freiburger Chorbuch 2“

Chormusik zur Liturgie

Degott, Matthias; Rastatter Hofkapelle

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SWR1 3vor8

15JAN2023
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„Frohes neues Jahr“ oder einfach nur „ein gutes neues“ – das habe ich in diesen ersten Januartagen häufig gehört, wenn ich andere getroffen habe. „Gnade und Friede“ hingegen hat mir niemand gewünscht. Aber genau das tut der Apostel Paulus zu Beginn fast all seiner Briefe. Er wünscht seinen Leserinnen und Lesern: „Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus.“ (1 Kor 1,3) Heute ist einer dieser Briefanfänge in katholischen Gottesdiensten zu hören.

Gnade und Frieden – das sind zwei große Wünsche, die es in sich haben. Es lohnt sich, die beiden einmal genauer anzuschauen.

Wenn Paulus von Gnade spricht, dann meint er damit, dass Gott sich dem Menschen zuwendet, ihn annimmt, versteht und sogar liebt. Mit all seinen Gedanken, seinen Gefühlen, mit der ganzen Person. So wie wenn Gott sagen würde: „So wie Du bist, bist Du recht. Du musst kein anderer Mensch werden.“ Die Gnade, so stelle ich mir vor, ist dann wie ein Mantel, der sich um die Schultern legt und das, was kalt in mir ist, wärmt. Oder wie Wasser, das an die tiefsten, die innersten Stellen fließt und sie ganz ausfüllt. Die Zweifel, die an mir nagen und sagen: „du bist nicht genug“, haben dann keinen Platz mehr. Und – zumindest für einen Moment – kann ich bis in die letzte Faser meines Körpers glauben: es ist alles gut.

Und hier schließt sich der zweite Wunsch an: der um Frieden.
Dieser Wunsch wird bei uns leider wohl nie ganz in Erfüllung gehen. Frieden ist zerbrechlich. Es gibt so viele Menschen, die einander Gewalt und Leid zufügen. Das einzige, was da bleibt ist, dass sich Menschen nach Frieden sehnen. Und es ist gut, diese Sehnsucht wach zu halten.

Wenn Paulus in seinen Briefen den Menschen Frieden wünscht, geht es aber noch um etwas anderes: nämlich um den Frieden, der das ganze Herz erfüllt. Der mich innerlich vollkommen zufrieden sein lässt: mit mir, meinem Leben, mit dem, was ist. So einen inneren Frieden kann ich nicht auf Knopfdruck herstellen. Den kann nur Gott mir schenken. Aber vielleicht kann ich Gott den Weg dafür ein wenig freiräumen, indem ich z.B. versuche zu lernen, dass manches im Leben eben so gelaufen ist, wie es ist. Die Vergangenheit kann ich nicht mehr ändern. Oder wenn ich mich weniger mit anderen vergleiche. Das macht sicherlich zufriedener.

 „Gnade sei mit Euch und Friede von Gott.“ Ich höre diese alte Briefzeile von Paulus gern. Und ich finde, es sind gute Wünsche – nicht nur am Jahresanfang. Sondern eigentlich für jeden Tag.

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SWR1 3vor8

18DEZ2022
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Was tun, wenn man nicht mehr weiter weiß?

Papst Franziskus hat da eine ganz eigene Methode. In seinem Büro gibt es eine Holzfigur des heiligen Josef, der auf der Seite liegt und schläft. Und – so hat er einmal erzählt –: „Wenn ich ein Problem habe, eine Schwierigkeit, dann schreibe ich es auf ein kleines Blatt und schiebe es unter den heiligen Josef, damit er davon träumt!“

In der Heimat des Papstes, in Argentinien, ist der Brauch sehr verbreitet. Die kleinen Zettelchen, auf denen Probleme und Bitten aufgeschrieben sind, sind wie Gebete, die die Menschen Gott hinlegen. Und sie hoffen darauf, dass der Heilige Josef ihr Gebet unterstützt, indem er darüber schläft. Dann – davon sind sie fest überzeugt – wird sich schon ein Weg zeigen. Bei Josef selbst hat der Schlaf schließlich auch alles verändert. In katholischen Gottesdiensten ist heute davon zu hören.

Josef hat erfahren, dass Maria schwanger ist. Aber nicht von ihm. Ich kann mir richtig vorstellen, wie Josef abwägt und grübelt und eigentlich völlig überfordert ist von der Situation. Was ist jetzt bloß das Richtige? Soll er sich einfach ohne großes Aufsehen von Maria trennen? Das könnte für beide das Beste sein. Während er nachdenkt, schläft Josef ein. Im Traum sagt ihm ein Engel: „Josef, [ … ] fürchte dich nicht, Maria als deine Frau zu dir zu nehmen; denn das Kind, das sie erwartet, ist vom Heiligen Geist [ … ] ihm sollst du den Namen Jesus geben“ (Mt 1, 20f.). Josef vertraut seinem Traum und handelt. Jetzt weiß er, was zu tun ist. Er lässt Maria nicht allein, sondern sorgt sich um sie und um das Kind.

So konkret wie bei Josef hat noch kein Engel in der Nacht zu mir gesprochen. Und manchmal wird ein Problem nachts auch riesengroß und erst beim Aufwachen merke ich, dass ich mir viel zu viele Gedanken gemacht habe. Aber ich kenne es auch, dass sich nachts manche Ungereimtheiten des Tages auflösen. Dass ich im Schlaf für Dinge empfänglich werde, an die ich tagsüber nicht dran komme. Ich weiß dann auch nicht, wo es herkommt, aber morgens habe ich eine Idee, auf die ich abends nie gekommen wäre.

Schlafen: das heißt für mich, loslassen. Den Tag, die Begegnungen. Was mir gelungen ist und was nicht. Was mich ärgert und worüber ich mir den Kopf zerbreche.

Zettelchen, wie Papst Franziskus, schreibe ich nicht. Aber kurz vor dem Einschlafen schaue ich nochmal, was heute alles los war. In Gedanken lege ich Gott dann all das hin. Und dann bitte ich ihn um die Klarheit zu erkennen, was am nächsten Tag dran ist und um den Mut und die Kraft, das dann auch anzupacken.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

14DEZ2022
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Es klingt wie in einem mittelalterlichen Krimi: Mitten in einer kalten Dezembernacht wird die Tür aufgebrochen. Eine Horde bewaffneter Männer stürzt sich auf einen schlafenden Mann, stülpt ihm einen Sack über den Kopf und schleppt ihn in eine andere Stadt. Dort wird er monatelang eingesperrt. In einem Kellerloch – dunkel, stickig und fensterlos. Er hungert und friert. Und sprechen kann er auch mit niemandem.

Was wie ein Krimi klingt, hat Johannes vom Kreuz erlebt. Vor über 430 Jahren hat er in Spanien gelebt. Heute ist sein Todestag. Zusammen mit der Heiligen Teresa von Avila hat er viele Reformbewegungen innerhalb der Kirche angestoßen. Das hat nicht allen gefallen. Leute aus seinem eigenen Orden haben ihn deshalb gefangen genommen.

Die Zeit im Kerker hat Johannes stark geprägt. Denn nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich ist es finster in ihm geworden. Es gibt viele Stunden voller Angst, und oft fühlt er sich verlassen. Nicht nur von den Menschen, sondern vor allem auch von Gott. Dass ihm Gottes Nähe fehlt und dass er sich von Gott im Stich gelassen fühlt, beschreibt Johannes vom Kreuz als „Nacht des Glaubens“. Und zugleich hat Johannes gerade in dieser Finsternis Gott am intensivsten erfahren.
Das klingt ziemlich merkwürdig und widersprüchlich. Aber ich ahne, was Johannes vom Kreuz meint. Denn als er in seinem Kellerloch sitzt, da bricht alles, was ihm sonst Sicherheit gibt, weg. Er ist sich selbst ungeschminkt ausgeliefert. Schonungslos sichtbar wird alles, was er gerne vor anderen und auch vor sich selbst verborgen hält. Und auch all die Vorstellungen, die er von Gott hatte, tragen nicht mehr. In diesen Momenten kann er die Initiative voll und ganz Gott überlassen, und er spürt, Gott ist da. Näher, als er es bisher je erlebt hatte. Und so schreibt er in einem seinem Gedichte: „Nichts andres führte mich, als nur mein Licht im Herzen innerlich.“

Johannes vom Kreuz gibt mir zu denken. Ich frage mich: Was hilft mir, durchzuhalten, wenn es schwer wird? Wenn mir der Boden unter den Füßen weggezogen würde.

Und auch: was trägt mich durch die Zeiten, in denen der Alltag mir so banal vorkommt? Wenn nichts „Aufregendes“ passiert und die Frage in meinem Kopf, ob es das im Leben schon gewesen sein soll, immer lauter wird? Auch dann breitet sich eine Leere und Verlassenheit in mir aus.

Ich finde, es lohnt sich, diesen Fragen nachzugehen, um gerade jetzt, im Winter, wenn es tagsüber nur kurze Zeit hell ist, dem inneren Licht auf die Spur zu kommen.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

13DEZ2022
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Um eine Energiekrise der besonderen Art geht es in einem Gleichnis von Jesus. Es geht um Öl und Lampen und um Energie, die knapp wird, doch der Reihe nach.

Jesus erzählt in dem Gleichnis von zehn jungen Frauen. Am besten lassen sie sich wohl als Brautjungfern beschreiben. Ihre Aufgabe ist es, bei einer Hochzeit auf den Bräutigam zu warten. Dann ist ihr Einsatz gefragt. Wenn der Bräutigam kommt, um die Braut abzuholen, sollen sie ihm mit brennenden Öllampen in den Händen entgegengehen und ihn zum Festsaal geleiten.

Mir sind die zehn Frauen unsympathisch. Fünf sind verpeilt, die anderen fünf egoistisch. Als der Bräutigam auf sich warten lässt, schlafen alle ein. Mitten in der Nacht heißt es dann: „Auf, der Bräutigam kommt. Geht ihm entgegen!“ Da merken fünf der Frauen, dass sie vergessen haben, genug Öl mitzunehmen. Ihre Lampen werden schnell wieder ausgehen. Gern hätten sie Öl von den anderen Frauen gehabt, doch die sind nicht bereit zu teilen und sagen: „Wenn wir euch Öl abgeben, reicht es für niemanden von uns. Geht zu den Händlern und kauft dort, was ihr braucht.“ Die fünf sind noch unterwegs, da kommt der Bräutigam. Das Fest beginnt, die Türen zum Festsaal werden geschlossen. Als die fünf Frauen mit dem nachgekauften Öl endlich kommen, müssen sie draußen stehen bleiben. Das Fest findet ohne sie statt, Pech gehabt.

Ich habe mich oft gefragt, wieso das Gleichnis so kompromisslos endet. Hätten die fünf Zu-spät-Kommerinnen nicht einfach noch mitfeiern können? Und auch, wenn das Licht ausgegangen wäre: Gibt es nichts Wichtigeres? Wie oft fordert Jesus seine Freunde auf, dass sie teilen und einander im Blick haben sollen.

So unbequem und provozierend dieses Gleichnis auch ist, mir gibt es zwei Impulse:

Zum einen bin ich aufgefordert, wachsam zu sein. Ich glaube nicht, dass Gott, wenn es wirklich hart auf hart kommt, irgendjemanden vor der Tür stehen lässt. Aber gleichgültig und bequem sollte ich deshalb nicht werden. Gott will ernstgenommen werden.

Zum anderen könnte die Überschrift über das Gleichnis auch heißen: Teile, so viel du willst, aber nicht die Verantwortung für dein Leben.

Für meinen inneren Öl-Vorrat bin ich allein verantwortlich. Ich kann nicht für andere da sein, wenn ich nicht selbst für genug Energie gesorgt habe. Mit einer Pause, Bewegung, gutem Essen oder genügend Schlaf. Auch die Pläne für mein Leben kann ich mir nicht von anderen ausleihen. Und Entscheidungen, die im Lauf des Lebens anstehen, muss ich selbst treffen. Und – das sagt mir das Gleichnis – Gott traut mir und uns zu, dass wir das können.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

12DEZ2022
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Der Historiker Rutger Bregman ist überzeugt: Die meisten Menschen sind im Grunde gut. Und deshalb heißt sein Buch ganz schlicht: Im Grunde gut.

Ich kenne einige Leute, die das Gegenteil behaupten. Ich höre immer wieder Sätze, wie „Die Menschen werden immer egoistischer.“ Oder „Alle denken doch nur noch an sich.“ Und auch die Medien berichten meist über das, was Menschen einander antun. Vom Guten ist da wenig zu sehen.

Und doch. Rutger Bregman hält an seiner These fest, dass das Böse zwar oft stark ist und deshalb viel Aufmerksamkeit auf sich zieht, das Gute aber häufiger vorkommt. Selbst da, wo man es nicht vermutet. Er erzählt von zahlreichen Beispielen aus der Geschichte. Von Ereignissen, wie im Ersten Weltkrieg am Hl. Abend 1914. Als die Soldaten beider Kriegsparteien in ihren Schützengräben gemeinsam Weihnachtslieder gesungen haben und für ein paar Stunden kein einziger Schuss gefallen ist. Oder wie am 11. September 2001 tausende Menschen geduldig die Treppen der Twin Towers hinunterliefen und Feuerwehr und Verletzten Platz gemacht haben, obwohl sie wussten, dass ihr Leben in Gefahr war.

Mal unabhängig von Rutger Bregmans These glaube ich, dass der Mensch im Grunde gut und zum Guten fähig ist. Denn das passt zu meinem christlichen Menschenbild. Am Anfang der Bibel, nachdem Gott den Menschen gemacht hat, heißt es: es war alles sehr gut. Und auch Jesus sieht dieses Potenzial. Er traut den Menschen viel zu, wenn er sagt: „Ihr seid das Licht der Welt. Euer Licht soll leuchten.“ (Mt 5)

Für Rutger Bregman ist Jesus ein Vorbild. Er schreibt in seinem Buch: „Meistens spiegeln Menschen einander. Man bekommt ein Kompliment und ist geneigt, es zu erwidern. Jemand sagt etwas Unfreundliches, und man hat sofort das Bedürfnis, mit etwas Gemeinem zu antworten. […] Es ist leicht Gutes zu tun, wenn man selbst auch gut behandelt wird. Leicht, aber nicht genug. […] Die Frage ist, ob wir noch einen Schritt weiter gehen können. Was wäre, wenn wir nicht nur das Gute in unsren Kindern, unseren Kollegen und Mitbürgern, sondern auch in unseren Feinden vermuten würden?“[1]

Ich möchte Rutger Bregmann gerne glauben: Das Gute im Menschen hat eine Chance, wenn ich mich bemühe, mit anderen in Kontakt zu kommen. Auch wenn das manchmal schwerfällt. Aber das ist die wirksamste Methode, das Liebenswürdige im anderen herauszukitzeln und so einen kleinen Teil dazu beizutragen, dass das Gute sich ausbreitet.

 

[1] Rutger Bregman: Im Grunde gut. Eine neue Geschichte der Menschheit, Rowohlt-Verlag, Hamburg 2020, S.354-355.

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SWR1 3vor8

06NOV2022
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Gibt es in unserer Gesellschaft noch ein „Wir“ – oder driften wir immer weiter auseinander? Dieser Frage geht die ARD Themenwoche nach, die heute beginnt. Das Motto lautet: „WIR GESUCHT – was hält uns zusammen“. Im Vorfeld hat sich die ARD in einer bundesweiten Mitmachaktion auf die Suche nach Orten gemacht, an denen sich Menschen vorurteilsfrei begegnen – trotz unterschiedlicher Standpunkte. Orte, an denen sie hass- und angstfrei miteinander sprechen können. Melden konnte man sich aber auch, wenn man ganz konkret bei der Arbeit, im Verein oder im Stadtteil erlebt, dass Konflikte sich verhärtet haben, oder Gruppen gar nicht mehr richtig miteinander reden. Ich finde gut, dass in der Themenwoche beides Platz hat: dass mutige Beispiele gezeigt werden, wo Spaltungen überwunden werden, aber auch, dass Konflikte nicht ausgeblendet, sondern angeschaut werden. Nur dann kann sich etwas ändern.

In katholischen Gottesdiensten ist heute ein Bibeltext zu hören, der ganz gut zur ARD-Themenwoche passt. Innerhalb des Judentums gab es Gruppen, die nicht gut aufeinander zu sprechen waren. Zum Beispiel die gesetzestreuen, aber oft auch kleinkarierten Pharisäer. Ganz anders die Zeloten, die radikal und – wenn es sein musste – mit Gewalt ihre Position durchsetzen wollten. Im heutigen Bibeltext ist von einer dritten Gruppe die Rede. Von den Sadduzäern. Sie waren reich, gehörten der oberen Gesellschaftsschicht an und hatten sich mit den Mächtigen im Land arrangiert. In dieser komfortablen Situation kann ihnen wenig passieren. Alle anderen sind ihnen egal. Ganz im Gegensatz zu Jesus, der sich gerade den Armen zuwendet.

Die Sadduzäer wollen Jesus provozieren und benutzen alle Tricks und Spitzfindigkeiten, um ihn bloßzustellen. Beachtlich finde ich, wie Jesus auf die Sadduzäer reagiert. Er weicht ihnen nicht aus, sondern nimmt sie ernst. Ganz sachlich antwortet er, betont das Gemeinsame und begibt sich damit auf Augenhöhe. Gleichzeitig macht er deutlich: „Gott ist ein Gott von Lebenden.“ (Lk 20,38) Und gutes Leben will Gott für alle Menschen. Nach dem Tod, aber auch schon heute. Und für alle. Nicht nur für eine Gruppe, wie die der Sadduzäer. Sondern gerade auch für die schwächeren, ärmeren oder weniger gelehrten Menschen.

Die Bibelstelle endet damit, dass einige Schriftgelehrte feststellen: „Jesus, du hast gut geantwortet.“ (Lk 20,39) Und ich denke weiter: so kann Gemeinschaft gelingen. Trotz unterschiedlicher Standpunkte miteinander im Gespräch bleiben und ganz besonders die, die in unserer Gesellschaft am Rand stehen, in den Blick nehmen.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

05OKT2022
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Es ist eine merkwürdige biblische Geschichte mit einem Wahrsager und einer störrischen Eselin. Der Wahrsager heißt Bileam. Er hat die Fähigkeit, mit dem, was er sagt, Glück oder Unglück zu verbreiten. Und genau deswegen braucht ihn Balak.

Balak ist König der Moabiter und sein Land liegt auf der Route des Volkes Israel, das von Ägypten ins gelobte Land unterwegs ist. Vor diesem fremden Volk hat Balak Angst. Sie könnten ihn vom Thron stoßen und sein Land plündern. Deswegen setzt er auf Bileam, der das Volk Israel verfluchen soll, so dass sie schwach werden und leicht zu besiegen sind. Zunächst sträubt sich Bileam. Zwar kennt er das Volk Israel nicht und ihm könnte eigentlich egal sein, was mit ihm passiert. Aber ihm ist nicht ganz wohl bei der Sache. Er zögert, schiebt dann aber seine Bedenken bei Seite, setzt sich auf seine Eselin und reitet dem Volk Israel entgegen.

Doch das Tier hat seinen eigenen Kopf. Es biegt einfach ab und nimmt einen anderen Weg. Der Grund: Ein Engel verwehrt ihm den Weg. Bileam, der den Engel nicht sieht, wird sauer. Mehrmals schlägt er seine Eselin und treibt sie an, weiterzugehen. Doch schon kurze Zeit später wiederholt sich die Szene. Beim dritten Mal läuft die Eselin überhaupt nicht mehr weiter. Erst jetzt gehen Bileam die Augen auf. Er sieht den Engel und ihm wird klar: Ich bin auf den falschen Weg geraten. Aber es ist noch nicht zu spät.

Manchmal ist es auch bei mir dran, meine Pläne über den Haufen zu werfen. Denn wenn ich die ohne Rücksicht auf Verluste durchziehen würde, würden andere darunter leiden – und manchmal auch ich selbst.

Zum Beispiel als ich neulich echt viel zu tun hatte. In meinem Kopf waren nur noch to-do-Listen. Trotzdem war es gut, dass ich mich mit einer Bekannten getroffen habe – auch wenn mir gar nicht danach war. Wir hatten uns lange nicht gesehen und auch sonst nur wenig Kontakt. Aber irgendwie habe ich gespürt, dass ein Treffen dran ist. Wie gut, dass ich diesem Impuls gefolgt bin, denn bei ihr war Land unter und sie brauchte mal jemanden, um darüber zu reden.

Bileam hatte eine Eselin und einen Engel an seiner Seite, aber mit denen habe ich eher selten zu tun. Vielleicht geht es darum, auf andere Signale zu achten: Wenn mein Körper mir signalisiert, dass er jetzt mal Ruhe braucht. Oder wenn mein Gewissen zu mir spricht – diese Instanz in mir, die mir das Gespür dafür gibt, was gut ist, und was gerade dran ist. Auch wenn ich das nicht immer auf Anhieb wahrnehme. Aber das war bei Bileam und seinem Engel auch nicht anders.

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