Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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12DEZ2022
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Der Historiker Rutger Bregman ist überzeugt: Die meisten Menschen sind im Grunde gut. Und deshalb heißt sein Buch ganz schlicht: Im Grunde gut.

Ich kenne einige Leute, die das Gegenteil behaupten. Ich höre immer wieder Sätze, wie „Die Menschen werden immer egoistischer.“ Oder „Alle denken doch nur noch an sich.“ Und auch die Medien berichten meist über das, was Menschen einander antun. Vom Guten ist da wenig zu sehen.

Und doch. Rutger Bregman hält an seiner These fest, dass das Böse zwar oft stark ist und deshalb viel Aufmerksamkeit auf sich zieht, das Gute aber häufiger vorkommt. Selbst da, wo man es nicht vermutet. Er erzählt von zahlreichen Beispielen aus der Geschichte. Von Ereignissen, wie im Ersten Weltkrieg am Hl. Abend 1914. Als die Soldaten beider Kriegsparteien in ihren Schützengräben gemeinsam Weihnachtslieder gesungen haben und für ein paar Stunden kein einziger Schuss gefallen ist. Oder wie am 11. September 2001 tausende Menschen geduldig die Treppen der Twin Towers hinunterliefen und Feuerwehr und Verletzten Platz gemacht haben, obwohl sie wussten, dass ihr Leben in Gefahr war.

Mal unabhängig von Rutger Bregmans These glaube ich, dass der Mensch im Grunde gut und zum Guten fähig ist. Denn das passt zu meinem christlichen Menschenbild. Am Anfang der Bibel, nachdem Gott den Menschen gemacht hat, heißt es: es war alles sehr gut. Und auch Jesus sieht dieses Potenzial. Er traut den Menschen viel zu, wenn er sagt: „Ihr seid das Licht der Welt. Euer Licht soll leuchten.“ (Mt 5)

Für Rutger Bregman ist Jesus ein Vorbild. Er schreibt in seinem Buch: „Meistens spiegeln Menschen einander. Man bekommt ein Kompliment und ist geneigt, es zu erwidern. Jemand sagt etwas Unfreundliches, und man hat sofort das Bedürfnis, mit etwas Gemeinem zu antworten. […] Es ist leicht Gutes zu tun, wenn man selbst auch gut behandelt wird. Leicht, aber nicht genug. […] Die Frage ist, ob wir noch einen Schritt weiter gehen können. Was wäre, wenn wir nicht nur das Gute in unsren Kindern, unseren Kollegen und Mitbürgern, sondern auch in unseren Feinden vermuten würden?“[1]

Ich möchte Rutger Bregmann gerne glauben: Das Gute im Menschen hat eine Chance, wenn ich mich bemühe, mit anderen in Kontakt zu kommen. Auch wenn das manchmal schwerfällt. Aber das ist die wirksamste Methode, das Liebenswürdige im anderen herauszukitzeln und so einen kleinen Teil dazu beizutragen, dass das Gute sich ausbreitet.

 

[1] Rutger Bregman: Im Grunde gut. Eine neue Geschichte der Menschheit, Rowohlt-Verlag, Hamburg 2020, S.354-355.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=36708
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