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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

21NOV2022
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Es kommt auf das Licht an, das denke ich, wenn ich unterwegs bin, ob bei ersten Hellwerden oder in der Dämmerung, ob am helllichten Tag oder im Nebel. Jede Stimmung in der Natur ist besonders. Und wie ich einen Baum, eine Wegstrecke oder einen bestimmten Ausblick wahrnehme, das hat ganz viel mit dem Licht zu tun: wie es fällt, wie stark es ist.

Manchmal ist es sogar schön, wenn weniger Licht da ist, wenn es dämmrig ist. Das Novemberlicht ist manchmal wie in Weichzeichner und bringt einen ganz besonderen Zauber mit.

Neben dem natürlichen Licht brennen jetzt im Herbst und Winter auch allerlei andere Lichter. Wir werden dieses Jahr anders mit Licht umgehen als in den Jahren zuvor. Bewusster sparen, auch bei der Adventsbeleuchtung umdenken. Kerzen mit aller Vorsicht anzünden. Und auch mal im Halbdunkel sein.

Ohne Licht gibt es kein Leben auf Erden, und ohne inneres Licht würde die Welt verkümmern. So sieht es Jesus, wenn er sagt: Ihr seid das Licht der Welt! Eine Art Aufruf:  Versteckt Euch nicht!

Wenn ich in der Nachfolge Jesus ein Licht sein soll, dann kommt es also auch auf mich an. Wie und wo ich leuchte, wie ich mich verhalte. Ich glaube, man kann das auch so verstehen: Gottes Liebe ist in uns, in jedem Menschen. Wenn wir Vertrauen haben, kann diese Liebe wie ein Licht in der Welt aufscheinen. Da wird niemand gedrängt oder ausgeleuchtet, niemand geblendet oder im Dunkel gelassen. Sondern da ist ein Licht gemeint, welches genau richtig ist: hell macht, wo ich nach einem Weg suche, Hoffnung schenkt, wo vieles einen verzweifeln lässt.

Ihr seid das Licht der Welt! Jesus sagt damit auch: Ohne Euch Menschen geht es nicht. Ihr alle seid wichtig! Wenn ihr mit Liebe und Gottvertrauen in der Welt wirkt, dann verändert sich ganz viel. So wie in einem dunklem Raum, in dem nur eine einzige Kerze brennt.

Wenn das keine Ermutigung ist! Und etwas, was ich schon heute umsetzen kann. Sehen, wer für mich Licht ist, und wem ich Licht bringen kann.

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SWR1 Anstöße sonn- und feiertags

20NOV2022
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Eine Freundin ist neulich auf einer Beerdigung gewesen und hat erzählt: Stell Dir vor, da hat niemand gesungen! Dabei gehört Singen für sie einfach zu einer Beerdigung dazu – auch, um den Abschied erträglicher zu machen.

Tatsächlich merke ich, dass nicht mehr oft bei Beerdigungen gesungen wird. Auch weil viele sagen: „Ich könnte jetzt gar nicht singen, meine Kehle ist wie zugeschnürt.“ Ich finde das schade, denn ich habe selber erlebt: Singen hilft. Und vor allem: Musik hilft. 

Nicht als Hinwegtrösten. Nicht um zu beschönigen, wie schwer Sterben ist. Sondern weil vieles nicht in Worte gefasst werden kann. Ich glaube, Musik kann auf ganz eigene Weise helfen, sich mit der Endlichkeit auseinanderzusetzen und dabei trotzdem Trost und Weite zu erfahren. Durch Musik können auch Momente der Unendlichkeit im Leben bewusstwerden und etwas von Ewigkeit aufscheinen.

Für mich kommt in Musik oft ein Stück vom Himmel zum Vorschein. Himmel: als Kind habe ich gelernt, dass ist der Ort, wo die Verstorbenen hinkommen. Heute würde ich es anders beschreiben. Ich würde sagen: Ein Teil vergeht. Aber der Kern der Verstorbenen, Seele, Geist, wie immer wir es nennen, findet zwei Orte: einen Ort im Herzen derer, die zurückbleiben. Die lieben und nicht vergessen. Und die auch durch Musik manchmal verbunden bleiben.

Und einen zweiten Ort, der selbst dann bleibt, wenn die Anderen selber irgendwann sterben: Ein Ort bei Gott, von dem wir herkommen. Wo die Seele ein Zuhause hat, und wo Schmerz und Angst aufhören. Wenn ich den Himmel sehe, einen Regenbogen oder ein besonderes Wolkenspiel und auch in manchen Liedern erlebe ich einen Hauch dieser Unendlichkeit. Das nimmt nicht allen Schmerz, denn im Lebenslied fehlt nach dem Tod eines lieben Menschen ein entscheidender Ton, eine Stimme. Aber irgendwann, glaube ich, klingt das Lied wieder voll und schön.

Und darauf lassen mich jetzt schon die kleinen Erfahrungen von Unendlichkeit hoffen. Sie sagen mir: es kommt noch was. Und das wird gut.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

03SEP2022
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Abschiedsbriefe- nicht jeder Mensch hinterlässt so etwas. Ich habe einmal bei einer Beerdigung einen Abschiedsbrief vorlesen dürfen. Und obwohl ich oft Menschen auf den Friedhof begleite und nicht immer dabei weinen muss – an dem Tag ging es fast nicht, die Tränen zurückzuhalten. Es war, als ob der Verstorbene selber da wäre und sagt, schaut: das war mein Leben.

Ich habe noch nicht oft Briefe von Verstorbenen bei Beerdigungen vorgelesen. Als die Angehörigen mich das gebeten habe, habe ich gedacht, eigentlich ist das richtig schön. Die Familie und die Freunde stehen da mit ihrer Trauer und werfen ja oft auch noch mal einen Brief mit ins Grab, die Kinder ein Bild, oder es werden Reden gehalten. Oft wird Danke gesagt. Und hier sagt der oder die Verstorbenen selber: ich habe noch etwas für euch. Ich bin weg und doch nicht weg. Und auch wenn es weiterhin traurig ist, dass dieser Mensch nicht mehr da ist: es ist wertvoll, wenn mit solchen Worten eine Brücke vom Diesseits ins Jenseits geschlagen wird.

Ich muss nicht unbedingt einen Abschiedsbrief in Händen halten, um so etwas zu spüren – etwas, was bei Verlusten hilft.  Ob ein Umzug, eine Trennung, ein Tod – es hilft, wenn ich Zeichen haben, Erinnerungen oder ein Gedenken an das, was mir wichtig war und bleibt.

Als Christin glaube ich fest daran, dass ein Mensch nach dem Tod nicht einfach weg ist, sondern bei Gott. Und dass es da sehr gut ist. Aber aus eigener Erfahrung weiß ich: selbst wenn ich davon überzeugt bin, tut es trotzdem weh, jemanden gehen zu lassen.

Trauer braucht Zeit und Trost und Verständnis. Und manchmal vielleicht ein Lebenszeichen inmitten vom Tod. Ein Brief von jemand, egal ob bei der Beerdigung vorgelesen oder aus alten Zeiten gefunden, ein Andenken oder ein Foto - all das kann Balsam für die Seele sein. Ich schreibe heute noch einen Brief. Nicht als Abschiedsbrief. Aber ein kurzes Wort für die, die mir wichtig sind. Vielleicht können sie es ja irgendwann mal gut gebrauchen.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

02SEP2022
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Scham, das ist etwas, worüber wir nicht oft reden, stelle ich fest. Dabei ist es laut Forschern eines der stärksten Gefühle überhaupt. Und ich kenne das nur zu gut, dass ich rot werde, ohne es zu wollen, dass ich mich schäme, manchmal ohne zu wissen wofür. Und was Menschen dann beschreiben, ist so etwas wie ein Kloß im Hals, ein Druck, vielleicht auch ein Fluchtimpuls.

In der Schule, wenn abgefragt wird und es einen dann doch unerwartet erwischt: Scham. Oder wenn jemand sagt: du hast da was im Gesicht und ich denke: wer hat mich jetzt so gesehen? Dann schäme ich mich. Wir lernen früh, dass es sich nicht gut anfühlt, sich zu blamieren – selbst, wenn das niemand sagt. Kinder spüren Scham sehr früh. Nicht auffallen. Nicht versagen, nicht enttäuschen. Die anderen lachen vielleicht über mich.   Ein uraltes Thema.  Schon in Jesu Zeiten. Er hat gerade die aufgesucht, denen alle Welt zurief: Schämt Euch!  Er sprach zum Beispiel mit einer Ehebrecherin. Oder mit Zachäus, dem zu klein geratenen Zöllner, den niemand mochte. Mit Aussätzigen, die sich für ihre Krankheit schämten.

Jesus hat Worte gefunden, die Fehler nicht vertuschen. Die offen waren, aber nicht abwertend.  Er sagt: niemand hat das Recht, schlecht zu reden oder gar Steine zu werfen. Sondern mit Gott im Reinen zu sein, darauf kommt es an. Der will nämlich nicht, dass wir in unserer Scham feststecken wie in einem Sumpf.

 Deshalb hat Jesus das vorgelebt: Nicht Beschämen, sondern Entlasten. Vergeben. Aufrichten. Was für ein Vorbild bis heute, wo immer noch manche andere beschämen und selber dreist und unverschämt sind. Leider scheint es leichter, sich über andere lustig zu machen als solidarisch zu sein und barmherzig. Daher: Was Jesus hier macht, kann heute auch eine Orientierung geben. Er lädt ein, aufeinander zuzugehen. Einander zu bestärken und zu sagen: Du bist es wert. Gott liebt dich und niemand ist besser - wir sind doch alle nur Menschen!

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

01SEP2022
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Tag des Zebrastreifens - Das ist heute. Ich finde, Zebrastreifen ist ein tolles Wort. Es bringt ein bisschen Safari in unser oft tristes Straßenbild. Aber natürlich sind Zebrastreifen vor allem nützlich, weil sie helfen, sicher über die Straße zu kommen -  in der Regel. Wie haben wir das immer wieder geübt mit unseren Schulanfängern und wie wichtig ist es auch für ältere Menschen, dass hier angehalten wird, mit Geduld. Jetzt begegnet mir der Zebrastreifen noch manchmal unerwartet woanders. Im Internet wird bei bestimmten Formularen ein Test gemacht und gefragt: Auf welchem der gezeigten Bilder sehen Sie einen Zebrastreifen? Um sicherzustellen, dass ich kein Roboter bin. Dabei versage ich meistens, weil ich auf irgendeinem Bild den Zipfel vom Zebrastreifen übersehe. Vor allem will ich meinem Bildschirm am liebsten entgegenrufen: Ich bin doch kein Roboter, siehst du das nicht? Was für eine blöde Frage. Sind Sie ein Roboter? Aber ich muss mich damit abfinden: Willkommen in der modernen Zeit. In der Medienwelt.

Und ich merke, manchmal wünsche ich mir für den Übergang in diese moderne Welt noch mehr Zebrastreifen. Nicht als Sicherheitsfrage, sondern als Hilfe, um gut in dieser neuen Welt anzukommen.  Wir alle müssen viel Neues lernen, ständig. Wäre es da nicht toll, öfters mal solche Übergangswege zu haben. Vielleicht auch Lotsen – und das gibt es ja:  Menschen, die schon wissen, wie all die digitalen Möglichkeiten funktionieren, und das mit links machen und geduldig den anderen den Weg erklären.  Generationen, die Verständnis füreinander haben. Der eine geht schneller über den Zebrastreifen, die andere langsamer. Irgendwie kommen wir an – wenn wir nur Rücksicht aufeinander nehmen. Uns wie über einen Zebrastreifen Schritt für Schritt auf neue Herausforderungen zugehen lassen. Es gilt immer wieder neue Zebrastreifen zu erfinden -  und alles Weitere mit Augenmaß und Weisheit anzugehen, dann kann auch die Zukunft gelingen.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

31AUG2022
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Wie schnell ist der Sommer vorbei, das habe ich jetzt schon ein paar Mal gehört, dabei ist er ja noch gar nicht vorbei.

Und schon vor den Sommerferien sagten viele: Ach, die Sommerzeit, das geht jetzt so schnell. Wer hat an der Uhr gedreht?  Wie in dem Lied bei Paulchen Panther frage ich manchmal: Wo ist die Zeit geblieben?  Ist für heute wirklich Schluss?

Der Freiburger Psychologe Marc Wittmann hat ein Buch geschrieben, das heißt „Gefühlte Zeit“. Und dort sagt er: Das Leben ist zu vergleichen mit einem Urlaub: Man kommt an und lernt Neues kennen, eine andere Gegend, neue Gerüche, Geschmäcker und Aussichten. Alles ist spannend und aufregend. Und weil wir das so bewusst wahrnehmen, dehnt sich die Zeit anscheinend.  Aber wenn das Neue zur Gewohnheit wird und man jeden Morgen den Berg sieht, der anfangs noch neu war, oder immer mittags beim gleichen Restaurant isst oder die Gegend besser kennt, dann geht die Zeit schneller vorbei und man ist nicht mehr so achtsam und verlangsamt wie am Anfang. So geht es im Leben auch oft: Neues und besondere Momente halten die Zeit an, und dann gibt es diese Phasen von Beschleunigung, Zeitdruck und Gewohnheit – und schon wieder ist der Sommer vorbei. Als ich das gelesen habe, habe ich gedacht: Ich will versuchen, mich selber mal auszutricksen und etwas zu tun gegen die Gewöhnung: Vielleicht bestelle ich im Restaurant mal etwas, was ich noch nie gegessen habe, oder ich fahre mal mit dem Fahrrad eine ganz andere Route oder schaue auf meine Straße von einer neuen, anderen Perspektive. Mit Entdeckergeist und Neugier, mit Offenheit und ein klein bisschen Muße im Alltag lässt sich vielleicht was machen. Nicht, dass die Zeit dann wirklich langsamer vergeht. Aber ich setze meine Antennen neu, meinen inneren Tempomat. 

Und dann heißt es vielleicht nicht nur: Ach, es geht alles viel zu schnell, sondern: Danke für diesen Moment, der jetzt ist und noch nicht vorbei ist. Denn wie es in der Bibel heißt: ALLES hat seine Zeit.  So ist es - jeder Atemzug hat seine Zeit.  Und diese Zeit ist unsere  Zeit – kostbar und geschenkt.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

30AUG2022
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Eine Taufe mit vielen Kindern. Das Kind, das getauft werden soll, ist da - und Geschwister, Cousins, Freunde.

Die Kinder sind die ganze Zeit über mucksmäuschenstill und beobachten alles ganz genau. Am Ende bedanken sich viele Erwachsene: Dass es für die Kinder so besonders war und auch sie viel mitnehmen konnten. So erlebe ich es oft – dass Kinder uns Großen helfen, zu Gott zu finden. Ich muss da auch an einen Jungen im Kindergottesdienst denken, der gedankenverloren nach einer Geschichte ein Bild malte. Eine Jugendliche hat ihn gefragt: „Was malst du denn da?“ „Ich male Gott“, hat er geantwortet. In tiefster Überzeugung. Und die Helferin meinte: „Aber es weiß doch niemand, wie Gott aussieht?“ Der Junge hat sie ernst angeschaut und erklärt: „Aber jetzt gleich! Das Bild ist ja noch nicht fertig.“

Ich werde die Szene nicht vergessen -  ein Beispiel für das, was auch Jesus an Kindern geliebt hat. „Lasst die Kinder zu mir kommen,“ hat er gesagt.  Auch wenn die Jünger das nicht toll gefunden haben und es damals wie heute Menschen gegeben hat, die genervt waren, wenn es um Kinder ging. Jesus meinte – wer das Reich Gottes nicht empfängt wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen. Kinder sind nicht immer Engel. Wir alle waren mal Kinder und mussten einiges lernen auf dem Weg, und das ist auch gut so.

Aber schade, dass Menschen beim Erwachsenwerden auch vieles verlernen. Neugier zum Beispiel. Unverblümt von Gott sprechen, fragen, Bilder malen. Oder Vertrauen. Ohne dieses kindliche Vertrauen zu Gott, der uns alle liebt und die Hand reicht wie Eltern einem Kind - ohne das ist das Reich Gottes schwer erreichbar. Keine Ahnung, wie der Himmel ist und wer reinkommt. Ich bin froh, dass ich das nicht zu entscheiden habe. Aber ich finde schön, dass Jesus mir einen Weg dahin zeigt. Werde wie ein Kind. Vertrau wieder wie ein Kind.

Nimm Geschenke an wie ein Kind, voller Freude und ohne die erwachsene Antwort „..das war doch nicht nötig“. Denn wenn ich Jesus richtig verstehe, dann ist es so: Gott freut sich, wenn seine Liebe wie ein Geschenk empfangen wird – mit Freude und offenem Herzen.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

29AUG2022
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Kann eine Sucht auch etwas Gutes sein? Eigentlich nicht, denke ich. Da ist man abhängig von etwas, und ich will nicht immer abhängig sein, sondern mich lieber frei und unabhängig fühlen. Und trotzdem:  Es gibt ein Wort, da steckt das Wort Sucht drin, aber für mich ist es ein positives und wertvolles Wort: das Wort Sehnsucht.

Süchtig sein danach, sich zu sehnen nach etwas. Komische Vorstellung eigentlich. Und es kann auch schmerzhaft sein und schwer, so eine Sehnsucht. Wenn da Sehnsucht nach der Heimat ist, die jemand verlassen musste. Oder eine Sehnsucht nach einem Menschen, und der ist nicht mehr da. Solche Sehnsucht tut weh, weil es unmöglich oder bestenfalls ungewiss ist, dass diese Sehnsucht jemals gestillt wird.

Aber Sehnsucht ist für mich trotzdem etwas Wertvolles. Sie zeigt mir, was wichtig ist, wo jemand geliebt wurde. Wo einem etwas ganz viel wert war oder ist – und das ist was tolles. Nicht jeden Schatz kann ich immer behalten, aber allein davon gewusst zu haben, was mir eine Zeit, ein Mensch, eine Gegend bedeutet, dieses Gefühl zu kennen - das macht das Leben reicher. Was wären wir Menschen ohne die Sehnsucht?

Für mich ist Sehnsucht auch etwas Religiöses - im positiven Sinne. Religion wird oft missbraucht für Macht und Eigeninteressen, für so vieles, was mit Gott in meinen Augen nichts zu tun hat. Aber bei der Sehnsucht fühle ich mich Gott ganz nah. Da habe ich das Gefühl, die hat Gott selber für mich in mein Herz gepflanzt. Höchstpersönlich. Und vielleicht ist diese Sehnsucht auch mehr Suche als Sucht, -  ein Nichtaufgeben, das Gute zu finden, den Verlorenen Schatz, die Ganzheit und die Liebe, zu der wir bestimmt sind. Im Leben gibt es ein Auf und Ab: Menschen verlieren Heimat oder geliebte Menschen. Aber die Sehnsucht, danach und auch nach Frieden, dass ich Frieden finde, dass Liebe und Vergebung möglich sind in der Welt – das schenkt Hoffnung.  Sehnsüchtig glauben, das ist eine Sucht, von der ich nicht geheilt werden möchte.

Sie trägt mich, ohne mich zu zerstören.  Sie lässt mich suchen und hoffen auf das, was wirklich wichtig ist.  

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SWR1 Anstöße sonn- und feiertags

28AUG2022
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Hägar der Schreckliche - das ist eine Comicfigur, von der ich schon viel gelernt habe. Wenn Hägar nicht als schrecklicher Wikinger unterwegs ist, sitzt er mit seinem Freund Sven Glückspilz, der leider grundsätzlich Pech hat, in der Kneipe. Und da wird über das Leben philosophiert. Auch über das Glück. Hägar sinniert und meint: „Wenn es eines gibt, was ich im Laufe des Lebens gelernt habe, dann das… - Der Schlüssel zum Glück liegt in einem selbst!“ Und Sven, der allseits ehrliche, der ruft ganz erschrocken: „Du hast den Schlüssel zum Glück verschluckt?!“
Das wäre in der Tat schlecht. Wenn der Schlüssel zum Glück verlierbar oder schluckbar wäre und nur ein Chirurg vielleicht noch was retten könnte. Doch bei aller Naivität hat Sven Glückspilz den Nagel auf den Kopf getroffen. Denn die meisten Menschen suchen den Schlüssel zum Glück wie die Brille, die sie aus Versehen gerade auf der Nase haben oder wie das Papier, das einfach nicht mehr auftauchen will. Andere wirken dauerhaft niedergeschlagen oder überdreht, aber nicht so, als hätten sie den Schlüssel zum Glück parat – ich sicher auch nicht.

Aber dann denke ich an den Satz von Hägar. In mir selbst liegt der Schlüssel: Unverlierbar, eben nicht verschluckt, sondern als Teil von mir.  In mir heißt aber nicht für mich allein. Ich glaube, ich allein könnte ihn kaum nutzen. Ich bin kein Alleinewesen und ein Schlüssel muss ja auch irgendwo passen. Ich glaube, der Schlüssel zum Glück liegt im Aufschließen. Darin, dass ich das, was ich in mir habe, nutze, um Neues zu öffnen: die Tür zu meiner Welt, zu besonderen Momenten, zu lieben Menschen, zu Gott und Mitgeschöpfen. In mir liegt der Schlüssel und auch das Gottvertrauen und der Mut, den Schlüssel zu benutzen. Ich glaube, dass dadurch eine gute Portion Glück zu finden ist. Es wird auch weiter traurige und nicht nur glückliche Momente geben. Und auch die Sehnsucht nach dem Glück wird mich weiter begleiten. Aber es liegt an mir, das aufzuschließen, was Gott mir jetzt schon schenkt -  jeden Tag neu. Also: nicht verschlucken, den Schlüssel zum Glück, sondern nutzen, auch heute.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

28MAI2022
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Die Sonne scheint. Nach Regen endlich mal wieder Wärme und sattes Grün. Blumen und frische Luft. Ich bin überwältigt. So ein strahlender Tag – und dann eine Beerdigung, die gar nicht sonnig ist. Die Frau, die ich beerdige, bei ihr würden viele von Scheitern reden.  Sie ist sehr krank gewesen, viele ihrer Beziehungen sind zerbrochen und sie hat viel Leid gekannt. Sie hat keinen Preis gewonnen und es nicht geschafft, alles in Ordnung zu halten. Man könnte viel über sie erzählen, was alles schiefging und man könnte auch sagen, das war´s jetzt. Aber ich bin überwältigt, welche Resonanz bei ihrer Beerdigung da ist.  Die Zahl der Menschen ist überschaubar, aber die zu spürende Trauer – überwältigend.

Diese Wertschätzung beeindruckt mich. Alle sagen: Bei allem Schwierigen, bei allem Scheitern war da ganz viel Herz. Sie war nicht erfolgreich, aber dafür auf jeden Fall warmherzig und liebevoll, so gut es ging. Sie war dankbar und echt.  Neben Versagen und Schuld gab es noch so viel mehr. Menschen, die ihr vieles vergeben konnten. Oder die Erfahrung von echtem Bemühen, von Versöhnung.

Was ist wichtiger im Leben als das? Dass wir uns versöhnen können. Und versuchen zu lieben und so zu leben, dass wir niemandem Leid zufügen.  Viele Biographien sehen von außen sicher perfekter aus. Und man wünscht niemanden solche Krankheiten und Krisen wie ihr. 

Trotzdem werde ich sie nicht vergessen, diese Frau mit Fehlern, aber mit viel Liebe, die im Krankenhaus im Nu das Herz aller Pflegenden erobert hatte.

Nachbarn und Verwandte, Fremde und Nahe kommen zusammen und fragen sich: Was bleibt von diesem Leben?  Wenn ein Mensch zeitlebens nach Liebe gesucht hat, und viel Schweres erlebt hat, dann hoffe ich in meinen Glauben, dass genau DAS ihr am Ende geschenkt wird. Liebe, die stärker ist als der Tod. Hoffnung, dass ein Mensch alleine nicht alles schaffen muss. Gott war bei ihr und er bleibt da, das wurde deutlich: im Moment, als bei der Beerdigung Hände gereicht wurden und die Frühlingsluft eine Ahnung brachte von der Hoffnung, die sich nicht unterkriegen lässt.

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