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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Unsere Eltern prägen uns. Wie sehr, das merkt man manchmal erst im mittleren Lebensalter. Also dann, wenn man selbst dasselbe Alter erreicht hat, in dem man sich an die eigenen Eltern bewusst erinnern kann. Gut, wenn sich dann schöne Erinnerungen einstellen. Weniger gut, wenn die Erinnerung eine Last ist, die man nur zu gerne los wäre.
Walter Kohl hat von solchen belastenden Kindheitserinnerungen erzählt. Und von der Schwerstarbeit, sich als erwachsener Mensch davon zu lösen. Besonders, wenn man der Sohn eines berühmten Vaters ist. „Leben oder gelebt werden“ heißt das Buch von Walter Kohl, in dem er sich die Erinnerungen an seine Kinder- und Jugendzeit von der Seele schreibt. Wie hart es war, der Sohn des Altbundeskanzlers Helmut Kohl zu sein. Wie überbehütet er als Kanzlerssohn gelebt hat. Und wie schrecklich die ganze inszenierte Familienidylle für ihn gewesen ist. Der Schmerz über den Freitod seiner Mutter hat ihn dann fast selbst soweit gebracht, sich das Leben zu nehmen. Aber dann hat er sich doch therapeutische Hilfe gesucht als letzten Ausweg. Seine entscheidende Erkenntnis ist gewesen: Irgendwann merkst du, du musst nicht immer das Opfer sein. Keiner zwingt dich dazu.“ In einem Interview sagt er: „Man wird (dann)selbst zum Akteur ( seines Lebens), man sitzt nicht länger im Opferland auf der berühmten Coach, wo alles so vermeintlich böse ist, wo die anderen schuld sind, sondern man nimmt das Steuerrad seines eigenen Lebens selbst in die Hand.“ Es bringt nichts, den eigenen Eltern die Vorwürfe ein Leben lang nachzutragen. Besser ist es, selbst die Lasten aus der eigenen Kindheit und Jugend anzuschauen und zu lernen, wie man sie loslassen kann.
In dieser Zeit hat Walter Kohl auch seinen christlichen Glauben wiederentdeckt und viel in der Bibel gelesen. Besonders geholfen hat ihm die Geschichte Hiobs. Bei Hiob hat er entdeckt, dass es in der Seele eines Menschen so etwas wie eine „Trotzmacht“ gibt, die zum Leben hilft. Und die hat er ergriffen. Und er hat Menschen gefunden, die ihn bei der Versöhnung mit seiner Vergangenheit unterstützt haben.
Eltern prägen uns, ob wir wollen oder nicht. Aber erwachsen sein heißt, selbst leben und nicht gelebt zu werden. Und das immer wieder neu zu versuchen. Ich meine, das ist eine Lebensaufgabe, die jeder Mensch hat. Das eigene Leben selbst in die Hand zu nehmen. Und nicht gelebt zu werden, sondern selbst zu leben.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

In einem Wohnzimmer liegt ein Hund unter dem Tisch und eine Katze auf dem Sofa. Sagt der Hund: „Da kommt mein Mensch. Er füttert mich jeden Tag. Er muss ein Gott sein“. Sagt die Katze: „Da kommt mein Mensch. Er füttert mich jeden Tag. Ich muss ein Gott sein.“
Wenn Sie einen Hund oder eine Katze haben, können Sie über dieses Bild vielleicht schmunzeln. Wie verschieden die beiden Haustiere hier doch das Verhältnis zu ihrem Menschen bestimmen.
Aber umgekehrt ist es ja genauso: Auch Menschen beschreiben das Verhältnis zu ihren Haustieren höchst unterschiedlich. „ Ich geh jetzt mit meinen Mädels spazieren“, sagt ein Mann und meint damit seine beiden Jagdhunde. „Komm zu Mama“, höre ich eine Frau nach ihrer Katze rufen. Und dann gibt es wieder andere, die schlagen ihre Haustiere mit dem Schuh oder treten zu oder lassen sie an der nächsten Raststätte zurück, wenn sie ihnen nicht mehr passen.
Beides ist problematisch. Denn ein Hund ist ein Hund und kein Mensch. Und eine Katze wird auch durch noch so viel Liebe kein kleines Kind werden. Und kein Kanarienvogel kann eine Freundin ersetzen. Haustiere geben uns viel, vor allem Zuwendung und Freude und das Gefühl von vertrauter Nähe. Aber Haustiere haben vor allem auch ein Recht darauf, Tiere zu bleiben und nicht als Menschenersatz missbraucht zu werden.
Die meisten Menschen wissen das ja eigentlich. Tiere haben ein eigenes Lebensrecht. Christen sagen: beide, Mensch und Tier sind Teil der göttlichen Schöpfung. In der biblischen Geschichte vom Garten Eden sollen die Tiere dem Menschen eine Hilfe sein. Der Mensch darf ihnen ihre Namen geben. Aber dann erzählt die Bibel: Bald stellt sich heraus, dass die Tiere nicht die Hilfe sind, die der Mensch braucht – der Mensch braucht ein menschliches Gegenüber, um glücklich zu sein. Und das bekommt er dann auch.
Manche Menschen sagen: Ohne mein geliebtes Haustier wäre ich ganz allein. Ich habe nur noch meinen Hund auf der Welt oder meine Katze. Denen wünsche ich von Herzen so einen anderen Menschen. Ihnen wünsche ich, dass ihre Haustiere Ihnen helfen in der  Zeit der Einsamkeit, dass sie dann aber wieder in Kontakt zu anderen Menschen kommen.
Und wer weiß, vielleicht ist es ja gerade das Haustier, das Ihnen dann dabei hilft ?

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Alle im Haus haben es mitbekommen. Der Nachbar ist gestorben. Doch wie verhält man sich jetzt richtig? Einfach hochgehen und klingeln? Eine Beileidskarte in den Briefkasten werfen? Oder besser ein paar Tage warten und die Witwe nicht stören in ihrer Trauer?
Ich meine, das Wichtigste in so einer Situation sind nicht die großen Worte, sondern das Mitgefühl. „Mitgefühl“, das ist eine gute Übersetzung für das etwas altmodische Wort „Bei-leid“. Genau darum geht es beim Kondolieren. Einem anderen Menschen mein Mitgefühl zu zeigen, mit dem Verlust und den Schmerz, den er gerade erlebt.
Und wie genau geht das? Vielleicht so:
Kennt man sich als Nachbarn nur vom Grüßen im Treppenhaus,  dann ist eine Beileidkarte angebracht. Aber auch, wenn man sich nicht besonders gut mit den Nachbarn verstanden hat, ist eine Karte das richtige. Angesichts des Todes eines Menschen, kann man vielleicht doch über einen nachbarschaftlichen Ärger hinwegsehen?
Und wenn man sich besser gekannt hat? Dann ist es gut, bei der Nachbarfamilie zu klingeln – und mit ganz normalen Worten zu sagen, wie leid es einem tut. Man muss dabei nicht unbedingt  „Mein Beileid“ sagen. Viel wichtiger ist, dass man es zeigt. Trauernde wollen meistens gar nicht viel hören.
Und wenn man nicht weiß, was man sagen soll, dann darf man genau das ruhig sagen:  „Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Ich bin so erschrocken über den Tod Ihres Mannes. Ich will Ihnen sagen, dass ich an Sie denke“. Das reicht schon. Trauernde sind in einer Ausnahmesituation. Es tut ihnen gut, wenn sie spüren: Der andere ahnt, wie es mir geht. Und wenn die Hinterbliebenen weinen, dann ist das nicht schlimm und auch nicht peinlich. Das ist normal. Das darf so sein. Und auch dann braucht man nicht groß mit Worten zu trösten, viel wichtiger ist es, dann nicht wegzugehen, sondern da zu bleiben.
Sich die Trauererfahrungen anderer anzuhören – das hilft allerdings gar nicht. Keine Trauer lässt sich mit der anderen vergleichen. Auch gute Ratschläge bringen jetzt nicht viel. Sie verletzen eher, als dass sie trösten. Und auch wer selbst in seinem Glauben Trost und Zuversicht findet, sollte sie dem trauernden Menschen nicht ungefragt überstülpen. Manchen Trauernden tut es aber gut, wenn man ihnen sagt: Ich werde für sie beten.
Am wichtigsten ist, dass man überhaupt kondoliert und dass man damit nicht allzu lange wartet. Und manchmal tut es auch eine Kerze, eine Blume oder ein Teller Suppe, den man vorbeibringt. Denn mein Mitgefühl, mein Beileid, kann ich auch ohne viele Worte ausdrücken.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

„Gestern habe ich mit meinen Kindern über meine Beerdigung gesprochen“, erzählt mir die 74 Jährige. Sie ist eigentlich noch sehr rüstig und so Gott will hat sie sicher noch ein paar schöne Jahre vor sich. Aber trotzdem will sie alles geregelt haben. „Man weiß nie, wann es soweit ist“, sagt sie. „Der Tod kann einen von heute auf Morgen überraschen. Darum will ich jetzt schon alles vorbereiten“. Sie hat ein Testament gemacht und eine Sterbeversicherung abgeschlossen. Sie weiß, was sie will. Nur bei einer Sache, da ist sie unsicher. Sie weiß nicht, ob sie nach ihrem Tod verbrannt oder beerdigt werden will. Darum ist sie zu mir gekommen, weil sie sich von einer Pfarrerin eine Hilfe bei der Entscheidung erhofft.
In biblischen Zeiten war die Sache klar. Verstorbene wurden in ein Grab gelegt. Eine Feuerbestattung war damals unüblich. Über 1500 Jahre lang gab es auf einem christlichen Friedhof nur Erdbestattungen. Die Begründung: So wie Jesus in ein Grab gelegt wurde, so sollten auch Christen körperlich begraben werden – und wie Jesus körperlich auferstehen. Die Erdbestattung ist also die traditionelle christliche Form der Beisetzung.
Aber auch gegen eine Feuerbestattung gibt es aus christlicher Sicht keinerlei Einwände.  Christen hoffen ja auf die Auferstehung, in der Gott einen Menschen ganz neu machen wird. Der verstorbene Körper wird dazu nicht benötigt. Er ist eher wie ein Kleid, das man ablegt, weil man es nicht mehr braucht. Und wohin man dieses Kleid ablegt, ob in die Erde oder ins Feuer, das ist nicht entscheidend. Beides ist möglich. Ob Erdbestattung oder die Feuerbestattung, - es gilt der Wille des verstorbenen Menschen oder der Angehörigen.
Meist sind es ganz praktische Gründe, weshalb Menschen für sich oder ihre Angehörigen eine Feuerbestattung wählen. Viele Menschen leben heute nicht mehr an dem Ort, an dem ihre Angehörigen begraben sind. Oder sie müssen aus beruflichen Gründen oft umziehen. Da ist die Pflege eines Grabes über 20 oder 30 Jahre schwierig. Auch sind Urnengräber billiger und eben leichter in Ordnung zu halten.
Ich habe der Frau geraten, die Sache mit ihren Angehörigen zu besprechen. Ihnen zu sagen, was sie sich vorstellt. Und sie zu fragen, was sie brauchen. Wie und vor allem wo wollen sie sich an die Verstorbene erinnern? Was brauchen sie dafür? Und auch ganz praktisch: was können sie sich an Grabpflege leisten und haben sie auch die Zeit dazu?
Ich meine, entscheidend ist nicht diese oder jene Art der Beisetzung. Entscheidend ist die Hoffnung, dass ein Mensch nach seinem Tod zu Gott geht, in ein neues Leben.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

„Versprich mir, bei meiner Beerdigung nicht zu weinen“, wünscht sich der Großvater von seiner Enkelin. Er ist krank und alle wissen, dass er bald sterben wird. Das junge Mädchen hängt sehr an ihrem Opa und natürlich verspricht sie, seinen letzten Willen zu erfüllen. Und dann, auf dem Friedhof bei der Beerdigung des Großvaters, vergießt sie wirklich keine einzige Träne. Mit all ihrer Kraft hat sie um ihre Trauer eine innere Mauer aufgebaut. Unglaublich gefasst übersteht sie die Beerdigung.
Wahrscheinlich war es für den Großvater eine schreckliche Vorstellung, dass sein geliebtes Enkelkind um ihn weint. Er wollte nicht, dass sie trauert. Er wollte ihr vermutlich den Abschied leichter machen. Aber in Wirklichkeit hat er alles nur viel schwerer gemacht. Was sie versprochen hat, ist fast über die Kräfte des jungen Mädchens hinausgegangen.
Manchmal hat der letzte Wille eines Menschen ja eine große Kraft zum Guten. Z.B. wenn zerstrittene Geschwister der Mutter am Sterbebett versprechen, in Zukunft wieder miteinander zu reden. Oder wenn ein Mann seinem Freund verspricht, der Witwe zu helfen und sich um das verwaiste Kind zu kümmern.
Doch ich finde, man sollte einem Menschen vor seinem Tod wirklich nur das versprechen, was man auch wirklich halten kann und will. Und man sollte auch anderen Menschen helfen, nur das zu versprechen, was sie wirklich halten können. Vielleicht sollten wir auch in solchen Situationen einfach rechtzeitig miteinander sprechen. Erfragen, was dem anderen wirklich hilft. Nicht voraussetzen, dass man das selber am besten weiß. So kann man in Erfahrung bringen, was man sich und dem anderen wirklich zumuten will.
In der Bibel steht eine Geschichte, die zeigt, wie ein letzter Wille aussehen kann. Als Jesus starb, hat er seinen Lieblingsjünger gebeten, sich um seine Mutter zu kümmern. Und ihr hat er gesagt, dass sein bester Freund ihr nun beistehen wird, wie ein Sohn. Die zwei sollten sich gegenseitig stützen, auch in ihrer Trauer.
Diese biblische Geschichte hat mir gezeigt, ein letzter Wille ist dann sinnvoll, wenn er das Wohl der Hinterbliebenen im Auge hat. Wenn er ihnen dabei hilft, alleine weiter zu leben. Und wenn er hilft, aus der Trauer in Leben zurück zu finden.
Zum Glück hat damals jemand das junge Mädchen nach der Beerdigung ihres Großvaters in den Arm genommen und hat ihr geholfen, doch noch zu weinen. Auch gegen den Willen des Großvaters.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Männer sind im Kommen – und zwar in der häuslichen Pflege eines Familienmitglieds. Traditionell war die Pflege eine reine Frauensache. Aber die Männer legen zu. Heute pflegen in Deutschland 1,5 Millionen Männer ein Familienmitglied zu Hause. Sie haben sich in ein traditionelles Frauengebiet vorgewagt und sie machen es gut. Auch, wenn sie manches vielleicht anders machen.
Hermann zum Beispiel profitiert von seiner Berufserfahrung als Lehrer. Früher hat er Stundenpläne erstellt, heute managt er den Wochenplan seiner gelähmten Ehefrau. Jeden Tag schiebt er sie im Rollstuhl eine halbe Stunde an die frische Luft. Freitags kommt die Friseurin ins Haus zum Haare waschen. Montags der Physiotherapeut, mittwochs die Nachbarin für zwei Stunden. In dieser Zeit geht er im Supermarkt einkaufen. Auch das Kochen, Waschen und Putzen hat er im Griff. Sogar an einen freien Nachmittag für sich selbst hat er gedacht. Da kommt dann die Nachbarschaftshilfe.
Noch hat er alles ganz gut im Griff, sagt Herrmann, noch wird es ihm nicht zu viel. Er will seine Frau zu Hause pflegen solange es geht. Warum er das tut? Aus Dankbarkeit, sagt er. „Sie hat damals meine Eltern gepflegt. Das gebe ich ihr jetzt zurück. Und außerdem haben wir uns das versprochen, damals in der Kirche bei unserer Trauung,- füreinander da zu sein in guten und in schweren Zeiten. Wir hatten viele gute Zeiten. Jetzt sind die schweren Zeiten da. Und die werden wir mit Gottes Hilfe auch schaffen. Der Segen, damals vor 40 Jahren bei unserer Trauung in der Kirche, der gilt ja nicht nur für die Flitterwochen, sondern auch für die schweren Zeiten“.
Herrmann müsste seine Frau nicht pflegen. Niemand würde ihn kritisieren oder ihm einen Vorwurf machen, wenn er seine Frau in die Obhut eines Pflegeheims geben würde. Aber weil er sie pflegt, bekommt er viel Lob. Mehr vielleicht, als eine Frau es bekommen würde.
Es hat einige Zeit gedauert, bis Männer sich getraut haben, Babys zu wickeln und öffentlich einen Kinderwagen zu schieben. Heute ist das ein selbstverständlicher Anblick. Dass es bald mit der Pflege eines Angehörigen genau so sein wird – das ist mehr als eine Hoffnung. Die 1,4,Millionen pflegenden Männer zeigen heute schon, dass das geht.

Literaturempfehlung: Eckhart Hammer, Unterschätzt: Männer in der Pflege, Was sie leisten und welche Unterstützung sie brauchen, Freiburg, 2014.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

„Fast ein Gebet“ heißt ein Gedicht, das der Dichter Reiner Kunze geschrieben hat. Es geht so:

Wir haben ein Dach
und Brot im Fach
und Wasser im Haus,
da hält man’s aus.

Und wir haben es warm
Und haben ein Bett.
O Gott, daß doch jeder
Das alles hätt’!

Das kenne ich auch. Solche Momente, in denen mir plötzlich bewusst wird, wie viel das ist: Ein Dach über dem Kopf, eine schöne Wohnung,  immer Essen auf dem Tisch und Getränke, nicht nur Wasser, sondern auch Kaffee oder Wein und ein gemütliches Bett für den ungestörten Schlaf
Das haben längst nicht alle. Aber ich und Sie, wir haben das.
Ich erschrecke manchmal darüber, wie selbstverständlich ich das alles nehme.
Und zugleich bin ich auch dankbar,  dass alles da ist, was ich brauche. Auch für die Menschen, die mir wichtig sind.
Aber ich muss nur kurz die Nachrichten anschalten, um zu wissen, wie bevorzugt ich leben kann und was für ein Glück das ist. Unverdientes Glück.
Ich finde, in so einem Moment das «Danke» auch nur zu fühlen, das  ist schon ein Gebet, auch ohne viele Worte.
Der Dichter Reiner Kunze nimmt es da genauer. Er nennt sein Gedicht: „fast“ ein Gebet. Er besteht auf seinem „fast“. Er schreibt es sogar in die Überschrift.
Vielleicht nennt er sein Gedicht so,  weil er spürt, dass Dankbarkeit leicht auch bequem machen kann.  Reiner Kunze aber begnügt sich gerade nicht damit, selbstgenügsam und zufrieden ein Loblied zu singen.
In dem Moment, in dem er dankbar feststellt, was er alles hat, merkt er ja, was anderen Menschen alles fehlt. Er sieht die Kluft  zwischen denen, die alles haben und denen, die zu wenig haben.
Er merkt, dass das ist nicht gerecht ist.
„O Gott, dass doch jeder/das alles hätt’», schreibt er.
Dass nur Gott helfen soll, wird  nicht genügen. Gott hilft, indem wir helfen. Nicht anders.
Meine Erfahrung ist, am besten kann ich helfen, wenn ich einmal wieder aufgewacht bin aus der Selbstverständlchkeit, alles zu haben, was ich zum Leben brauche.
Und dann fange ich irgendwo ganz klein an. Vielleicht verdopple oder verdreifache ich den Geldbetrag, den ich normalerweise sonntags im Gottesdienst in die Kollekte gebe. Oder ich schenke jemandem etwas, weil ich weiß, er braucht es. Und ich versuche, die Partei zu wählen, die es auch wichtig findet, dass alle das haben:

… ein Dach
und Brot im Fach
und Wasser im Haus,
da hält man’s aus.

Und wir haben es warm
Und haben ein Bett.
O Gott, daß doch jeder
Das alles hätt’!

(in :Reiner Kunze, Gedichte, Frankfurt/M 2001, 320):

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

„Ich mache mir Sorgen um meine Freundin. Sie ritzt sich mit dem Zirkel die Arme auf. Ich weiß nicht mehr, was ich machen soll.“ Die Schülerin steht in der Pause vor dem Pult der Relilehrerin und das sagt das fast wie nebenbei. Aber die Religionslehrerin merkt sofort, wie ernst ihr Problem ist.
Fragen wie diese gehören ihrem Alltag als Schulseelsorgerin. Kleine, aber wichtige Sorgen und ernsthafte Probleme und meistens sehr wenig Zeit für eine erste Klärung.
Doch genau für solche kurzen Gespräche zwischen Tür und Angel sind die Schulseelsorger extra ausgebildet. Sie haben gelernt, sehr gut zuzuhören und gemeinsam mit dem Schüler oder der Schülerin zu entscheiden, was jetzt am besten zu tun ist. Und besonders wichtig: sie stehen unter Schweigepflicht, so wie alle anderen kirchlichen Seelsorgerinnen und Seelsorger auch.
Besonders Jugendliche verbringen heute viel mehr Zeit in der Schule als früher, manchmal 8 oder 9 Stunden. Ihre Schule ist für sie der Lebensraum, in dem sie unter der Woche fast so viel Zeit verbringen wie zu Hause.
Darum muss es in der Schule um mehr gehen als nur um das Lernen von Sprachen und Naturwissenschaften. Es muss auch Raum da sein für die anderen Dinge. Man muss auch lernen, wie man mit einer Enttäuschung umgehen kann, wie man trauert oder wie man einen Streit schlichtet.
Es ist viel, was Kinder und Jugendliche belasten kann: die Scheidung der Eltern, der Leistungsdruck in der Schule, der Unfalltod eines Klassenkameraden, Gewalt und Kriminalität im schlimmsten Fall. In diesen Fällen sind in vielen Schulen in Baden-Württemberg die evangelischen oder katholischen Schulseelsorger da und begleiten ein Kind, das trauert oder einen anderen großen Kummer hat.
Und manchmal begleiten sie auch eine ganze Klasse. Mit Gesprächen und vielleicht auch mit einer Andacht, in der der gemeinsame Kummer vor Gott gebracht werden kann.
Dass Gott für einen Menschen da ist, das wird in der Schule nicht nur unterrichtet, das können die Kinder auch erleben.
Sie erleben, dort, wo meine Eltern mir nicht helfen können, ist auch in meiner Schule jemand für mich da und hilft mir.
Und übrigens, die Schulseelsorger sind nicht nur für die Schülerinnen und Schüler da. Sie haben auch Zeit für die Eltern und für die Lehrer.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Ich bin evangelisch. Und ich freue mich über den Feiertag heute, den ich den katholischen Christen zu verdanken habe. Denn Fronleichnam ist ein katholischer Feiertag. Ich werde deshalb den freien Tag heute genießen und nach draußen gehen und  in meinem Dorf miterleben, wie meine katholischen Nachbarn diesen Tag feiern. Diese wunderbaren Blumenteppiche auf den Straßen. Die Hingabe, mit der sie gestern oder heute frühmorgens schon Stunden auf Knien gelegen und diese so vergänglichen Kunstwerke auf den Straße ausgelegt haben. Und dann die feierliche  und fröhliche Prozession durch die Straßen mit Musik und Gesang.
Denn mit einem „Leichnam“ und einem Trauerzug hat Fronleichnam rein gar nichts zu tun. Das Wort leitet sich ab vom mittelhochdeutschen „vrône lîcham“, und das bedeutet – Herr und Leib. Fronleichnam heißt also „Leib des Herrn“.
Und dieser „Leib des Herrn“ wird heute durch die Straßen getragen. Feierlich geschmückt in der  Monstranz,  Protestanten würden sagen, im Abendmahlsgeschirr, wird das Abendmahlsbrot durch den Ort getragen. Sozusagen Christus selbst. Denn er ist nicht nur in den Kirchen zu finden, sondern auch draußen, auf den Straßen. Draußen im Alltag sollen die Menschen auf ihn vertrauen, nicht nur drinnen, hinter den Kirchenmauern. Das zeigt Fronleichnam.
Wir Christen haben es gelernt, einander zu respektieren. Auch in unseren verschiedenen Feiertagen. Und was den anderen heilig ist, das können heute beide Seiten gelassen hinnehmen.
Ich finde auch, heute stehen die beiden Konfessionen vor derselben Herausforderung. Der Glaube muss raus aus den Kirchenmauern, egal, ob sie nun evangelisch oder katholisch sind.  Das Vertrauen auf Gott gehört auf die Straßen. In ihrem Alltag sollen die Menschen spüren: Gott stärkt und stützt mich. So wie Jesus das gemacht hat.
Ich finde es gut, wenn Christen ihren Herrn herumzeigen. Weil sie ja auch sonst Stellung beziehen von ihrem Glauben her. Zum Beispiel, wenn sie sich für den Frieden einsetzen oder wenn sie Fremde in unserm Land willkommen heißen. Die Herausforderung für Christen liegt draußen auf den Straßen und nicht hinter den Kirchenmauern. Deshalb finde ich es ganz gut, wenn katholische Christen genau das heute bei ihrer Fronleichnamsprozession zeigen.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Für Eltern bricht oft eine Welt zusammen, wenn die Tochter oder der Sohn sich scheiden lassen.
Manchmal haben sie es ja schon länger geahnt, dass etwas nicht stimmt in der Beziehung ihrer Kinder. Vielleicht haben sie längst gemerkt: so geht das nicht weiter.
Es kann aber auch sein, dass sie völlig überrascht sind. Eine Freundin hat mir erzählt, wie sie aus allen Wolken gefallen ist, als der Sohn ihr mitgeteilt hat, dass er sich von seiner Frau trennen will.
Und jetzt hat sie das Gefühl, zwischen zwei Stühlen zu sitzen. Auf der einen Seite die Liebe und Nähe zum eigenen Kind und auf der anderen Seite die Loyalität zur Schwiegertochter. Die hat sie auch lieb gewonnen über die Jahre. Wird sie sie jetzt verlieren? Zu wem soll sie halten?  Und die neue Partnerin des Sohnes? Im Moment ist sie überhaupt nicht offen dafür, sie kennen zu lernen.
Sie sorgt sich um die Enkelkinder. Sie sorgt sich um die finanziellen Belastungen nach der Scheidung. Aber es hilft ja niemandem, wenn sie schimpft. Es hilft auch nicht, wenn sie nach dem oder der Schuldigen sucht.
Was sie jetzt braucht, das sind Gesprächspartner außerhalb der Familie. Sie braucht jetzt Menschen, die selbst nicht betroffen sind. Und die ihr gestatten, traurig zu sein und Abschied zu nehmen von einem Teil ihrer Familie.
Aber ganz ohnmächtig muss sie sich auch nicht fühlen. Sie kann aus ihrer Großmutterposition durchaus etwas dazu beitragen, dass die Familie langsam wieder in die Balance kommt. Sie hat den Jungen nämlich eines voraus. Es ist nicht das erste Mal, dass sie in ihrem Leben erlebt hat, dass etwas aus den Fugen geraten ist. Sie hat das schon erlebt, dass auch nach dem Scheitern das Leben weitergegangen ist. Und vielleicht sogar nicht einmal schlechter.
Was nicht hilfreich ist, das sind die Befürchtungen, dass jetzt alles ganz schrecklich wird. Hilfreich ist die innere Haltung: Es kann wieder gut werden. Jetzt ist unsere Familie in der Krise. Aber es wird auch wieder eine bessere Zeit kommen. Für die, die bleiben und für die die gehen. Und ich bin für Euch da in dieser schwierigen Zeit. Selbst dann, wenn ich nicht für gut heiße, was ihr da tut.
Im Grunde geht es um den elterlichen Segen. Nicht für die Fehler, die Menschen machen und in denen sie aneinander schuldig  werden, sondern für die Vergebung und für den Neuanfang. Und für die Hoffnung, dass es auch nach einem Scheitern einer Beziehung wieder ein gutes Leben geben kann. Das weiter zu geben ist ein kleines Stück Lebenserfahrung und ein großes Stück Gottvertrauen.

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