Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Unsere Eltern prägen uns. Wie sehr, das merkt man manchmal erst im mittleren Lebensalter. Also dann, wenn man selbst dasselbe Alter erreicht hat, in dem man sich an die eigenen Eltern bewusst erinnern kann. Gut, wenn sich dann schöne Erinnerungen einstellen. Weniger gut, wenn die Erinnerung eine Last ist, die man nur zu gerne los wäre.
Walter Kohl hat von solchen belastenden Kindheitserinnerungen erzählt. Und von der Schwerstarbeit, sich als erwachsener Mensch davon zu lösen. Besonders, wenn man der Sohn eines berühmten Vaters ist. „Leben oder gelebt werden“ heißt das Buch von Walter Kohl, in dem er sich die Erinnerungen an seine Kinder- und Jugendzeit von der Seele schreibt. Wie hart es war, der Sohn des Altbundeskanzlers Helmut Kohl zu sein. Wie überbehütet er als Kanzlerssohn gelebt hat. Und wie schrecklich die ganze inszenierte Familienidylle für ihn gewesen ist. Der Schmerz über den Freitod seiner Mutter hat ihn dann fast selbst soweit gebracht, sich das Leben zu nehmen. Aber dann hat er sich doch therapeutische Hilfe gesucht als letzten Ausweg. Seine entscheidende Erkenntnis ist gewesen: Irgendwann merkst du, du musst nicht immer das Opfer sein. Keiner zwingt dich dazu.“ In einem Interview sagt er: „Man wird (dann)selbst zum Akteur ( seines Lebens), man sitzt nicht länger im Opferland auf der berühmten Coach, wo alles so vermeintlich böse ist, wo die anderen schuld sind, sondern man nimmt das Steuerrad seines eigenen Lebens selbst in die Hand.“ Es bringt nichts, den eigenen Eltern die Vorwürfe ein Leben lang nachzutragen. Besser ist es, selbst die Lasten aus der eigenen Kindheit und Jugend anzuschauen und zu lernen, wie man sie loslassen kann.
In dieser Zeit hat Walter Kohl auch seinen christlichen Glauben wiederentdeckt und viel in der Bibel gelesen. Besonders geholfen hat ihm die Geschichte Hiobs. Bei Hiob hat er entdeckt, dass es in der Seele eines Menschen so etwas wie eine „Trotzmacht“ gibt, die zum Leben hilft. Und die hat er ergriffen. Und er hat Menschen gefunden, die ihn bei der Versöhnung mit seiner Vergangenheit unterstützt haben.
Eltern prägen uns, ob wir wollen oder nicht. Aber erwachsen sein heißt, selbst leben und nicht gelebt zu werden. Und das immer wieder neu zu versuchen. Ich meine, das ist eine Lebensaufgabe, die jeder Mensch hat. Das eigene Leben selbst in die Hand zu nehmen. Und nicht gelebt zu werden, sondern selbst zu leben.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=19249
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