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SWR4 Sonntagsgedanken

Brüder in ganz und gar unbrüderlicher Konkurrenz. Menschen, die ja eigentlich zusammen gehören, aber so konträr sind, dass sie es sich schwer miteinander machen. Wie soll das gut gehen?  Kann das überhaupt jemals gut werden?  Dieser unselige Wettstreit. Nicht nur unter Geschwistern. Die Rangfolgen, auf die wir manchmal so festgelegt sind. Die Rollen, die uns zugeteilt sind: Erstgeborner. Zweitgeborener. Es ist ja manchmal wirklich nicht fair, wie da Zuwendung und Gaben und Chancen verteilt sind.

Die Bibel erzählt diese alte, immer gleiche Geschichte. Sie erzählt von Esau und Jakob, den Zwillingen. Die beiden waren noch gar nicht auf der Welt, da haben sie sich schon gestritten. Wer wird der Erste? Wer setzt sich durch? Wer bekommt die meiste Anerkennung? Wer kriegt am Ende das Erbe?

Deswegen verstehe ich Rebekka gut. Rebekka, die Mutter der beiden ungleichen Söhne. Als sie endlich mit den beiden schwanger geworden ist und spürte, wie sie sich in ihrem Leib boxen und knuffen, da war sie sehr traurig, erzählt die Bibel. In ihrer Not hat sich Rebekka an Gott gewandt. Hat gebetet, meditiert, die Stille gesucht – jedenfalls: Irgendwann ist ihr klar geworden, was das soll, was Gott vorhat.

„Zwei Völker sind in deinem Leib … und ein Volk wird dem anderen überlegen sein. Und der Ältere wird dem Jüngeren dienen.“  So hat die Bibel das formuliert. Ein verwirrender Satz, zumal für eine werdende Mutter, finde ich. Das kommt mir vor wie ein Omen, ein Orakel, das weit über die eigene Familie hinaus geht. Ein bisschen bedrohlich.

Wie soll das werden, wenn Gott die bewährten Regeln außer Kraft setzt?  Aber ich finde, es ist auch eine wunderschöne Verheißung: Der Zweite ists!

Mit dem Zweiten hat Gott etwas Besonderes vor! Der Zweite steht für Gott an erster Stelle! Gott scheint eine besondere Vorliebe für die Menschen zu haben, die es nicht so schnell und gut schaffen wie andere. Oder die durch Recht und Herkunft bedingt nicht so gute Voraussetzungen haben wie andere.

Jetzt am Schuljahresende denke ich an die Kinder, die nach der vierten Klasse nicht aufs Gymnasium gehen. Ich denke an die jungen Leute, die nicht den Ausbildungsplatz bekommen haben, den sie sich erträumt haben. Und ich denke an die Eltern und Großeltern, die sich da viele Gedanken machen.

Der Zweite: eben kein Loser, kein Versager. Sondern im Gegenteil einer, der vollen Respekt verdient, insbesondere durch die an erster Stelle. Ja, gerade die haben eine besondere Verantwortung. Gerade die sollten die anderen wertschätzen und nicht durch ihre Arroganz beschämen. Oder durch ihr Mitleid. Die Ersten, denen alles zufällt und alles leicht fällt, die können für die Zweiten sorgen. Dass auch die zu ihrem Recht kommen. Ich glaube, dass das zu einem fairen Miteinander beiträgt.
Gott jedenfalls achtet darauf, dass auch der Zweite nicht zu kurz kommt.

 

Der Zweite ists! Auf den Zweiten achtet Gott besonders und sorgt selbst dafür, dass die nicht zu kurz kommen, die es nicht auf den ersten Platz schaffen. Darum geht’s in der Geschichte von Esau und Jakob, diesen ungleichen Brüdern. Aber ihre Geschichte geht in dem Augenblick schief, als Jakob, der Zweite, sie selbst in die Hand nimmt.

Auf ganz unfaire Weise versucht er, sich auf den ersten Platz zu setzen. Auch davon weiß die Bibel zu berichten und zeigt an einer Alltagssituation, wo es hakt: Eines Tages hatte Jakob daheim einen Linseneintopf zubereitet. Da kam Esau mit Heißhunger vom Feld nach Hause.

„Hm. Linsen. Toll, Bruder. Gib mir einen Schlag!“
„Aber klar doch! – Was krieg ich denn dafür?“
„Was willst du denn dafür?“ „
Gib mir dein Erstgeburtsrecht, und du kriegst die Linsen!“
„Okay. Gib schon!“ „Schwörst du´s?“
„Mann, ich hab Hunger. Ja!“

So stelle ich mir das Gespräch zwischen den beiden Brüdern vor. Eine kurze Verhandlung mit weitreichenden Folgen. So kann es gehen, wenn Menschen sich benachteiligt fühlen. Wenn sie keine Chance sehen, aus eigener Kraft voran zu kommen. Dann ist ihnen jedes Mittel recht. Dann fragen sie nicht, ob das fair ist, was sie tun. Und das Verhältnis zwischen Brüdern zerbricht. Jetzt werden sie zu Konkurrenten. Zu Feinden. Ich glaube, das hat sich Gott anders vorgestellt.

Esau und Jakob waren doch Brüder. Und wenn ein Bruder Hunger hat, dann geb ich ihm was zu essen. Wenn ein Bruder vor Hunger fast umkommt, dann nutze ich diese Situation nicht aus und setze ihn unter Druck. Warum hat Jakob Gott nicht mehr vertraut und ist einfach nur Bruder gewesen, Mitmensch? Darauf kommt es doch an, auch heute.

Das Nötige tun. Ohne Hinterabsichten. Ohne Berechnung. Ohne die Frage, was bringt mir das und was bietet der andere als Gegenleistung? Es gibt da so eindrückliche Beispiele.
Die Hilfsbereitschaft bei den Leuten in den Hochwassergebieten, die ich im Fernsehen gesehen habe.
Dieses Engagement in den Cafés international, die es bei uns ringsherum als Anlaufstelle für Flüchtlinge gibt. Erstmal helfen und für das Nötigste sorgen.

Alles Weitere kann man später klären. Ob mir das gelingt, wenn ich als Mitmensch gefordert bin? Esau und Jakob hätten nicht zu Feinden werden müssen, glaube ich. Mit ein bisschen mehr Gottvertrauen hätten die ungleichen Brüder es nebeneinander ausgehalten. Denn Gott würde dafür sorgen, dass keiner von ihnen zu kurz kommt. Ich wünsche Ihnen einen erholsamen Sonntag! Bleiben Sie behütet und kommen Sie gut durch die neue Woche!

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SWR4 Sonntagsgedanken

Wenn man offen aufeinander zugeht, dann verändert das Menschen und bringt sie enger zusammen. Auch eine Geschichte aus der Bibel ermutigt mich dazu, mit weitem Herzen auf andere zuzugehen. Diese Geschichte erzählt nämlich, wie Jesus das gemacht hat.  Jesus hatte eines Tages einen Mann namens Matthäus bei seinen ziemlich eigennützigen Geschäften angetroffen. Hauptsache, ich komme gut über die Runden, hatte der sich schon seit Jahren in seiner Zollstation gedacht. Wie es den anderen geht, war ihm nicht so wichtig. Und Jesus hatte einfach zu ihm gesagt: „Folge mir!“ Da ist Matthäus aufgestanden und ist mit Jesus gegangen. Als hätte er nur darauf gewartet, dass er endlich wegkommt von seiner Zollstation, die ihn wahrscheinlich nicht wirklich glücklich gemacht hat. Als hätte er nur darauf gewartet, dass ihm jemand den Anstoß dazu gibt, sein Denken und Leben zu ändern und nicht noch jahrelang weiter zu machen wie bisher. Los, steh auf, gib dir einen Ruck! Du schaffst das!

 

Ich finde das eindrücklich, wie viel Jesus uns Menschen zutraut. Wie viel er sogar einem Menschen wie diesem Matthäus zugetraut hat. Denn wenn einer wie Matthäus sich ändert und neu anfängt, dann ist das ein hartes Stück Arbeit. Dann muss man sein Leben neu sortieren. Kürzer treten, verzichten. Man ist vielleicht nicht mehr so wichtig und einflussreich wie früher. Vielleicht verliert man auch alte Freunde und steht allein da. Und bis man sich neue Beziehungen aufgebaut hat, braucht es Zeit.

 

Folge mir! Hat Jesus zu Matthäus gesagt. Für mich heißt das auch. Verlass dich drauf, Gott wird dir dabei helfen. Wie Gott Matthäus dabei geholfen hat, das erzählt die Bibel so:  

 

Jesus hat sich mit Matthäus und seinen Kollegen zusammen zum Essen getroffen. Und Jesus hatte seine Freunde, die Jünger, auch mitgebracht. Wie das so ist, wenn man in großer Runde zusammen sitzt: Erstmal wird gegessen. Und es wird geredet. Vielleicht erstmal über das schlechte Wetter und die gute Suppe. Und dann kommen vielleicht auch ernstere Themen auf den Tisch, strittige Themen. Aber immerhin, man spricht miteinander. Und man hört einander zu. Und man merkt plötzlich: Mensch, da sind noch andere, denen geht´s ganz ähnlich wie mir. 

Ich kann mir gut vorstellen, dass auch bei diesem Essen ganz viel passiert ist, was Matthäus dabei geholfen hat, einen anderen Weg einzuschlagen. Diese Offenheit, sie hilft, einen anderen Weg einzuschlagen.

Folge mir! Ein kleiner Satz mit großer Wirkung. Neu anfangen, sich neu sortieren, sich verändern. Wie gut, dass Jesus uns Menschen das zutraut. Einem wie Matthäus. Und mir auch.

 

Es passiert etwas, wenn Menschen mit offenem Herzen aufeinander zugehen. Jesus will dazu ermutigen, dass ich das auch selber ausprobiere. Denn es gar nicht so leicht. Warum tut der das? Warum setzt der sich mit solchen Leuten zusammen?“ so haben  sich damals die Pharisäer gefragt und waren empört. Warum tut der das? Ich kann diese Frage gut nachvollziehen. Mit manchen Leuten kann man sich doch einfach nicht an einen Tisch setzen, denke ich manchmal. Ich denke an die Männer, die junge Frauen belästigen und Handys klauen. Mit denen will ich lieber nichts zu tun haben, um die muss die Polizei sich kümmern. Aber ich erschrecke auch, wenn Leute, die selber mal als Flüchtlinge oder Heimatvertriebene oder Spätaussiedler nach Deutschland gekommen sind, nun gegen „die Fremden“ wettern. Wenn ich so was höre, dann wechsele ich lieber das Thema.

Bin ich auch so eine wie die Pharisäer, die sich damals über Jesus aufgeregt haben? Das waren Leute, die es mit ihrem Glauben an Gott sehr ernst gemeint haben und versucht haben, nach den Geboten zu leben. Gehört es da nicht dazu,  jedermann erstmal freundlich und aufgeschlossen zu begegnen? Und Menschen zu helfen, die in Not sind?

Warum tut Jesus das? Warum redet er mit denen, die eigentlich nicht zu ihm gepasst haben? Warum sollte ich das tun? Anstrengende Diskussionen führen, Streit riskieren und Ablehnung, vielleicht sogar im eigenen Familien- und Freundeskreis? Warum sollte ich Verständnis aufbringen für Einstellungen, die ich gar nicht nachvollziehen kann?

Warum? Weil es wahrscheinlich die einzige Möglichkeit ist, dass unsere Gesellschaft nicht auseinanderdriftet. Unsere Dorfgemeinschaften und Stadtviertel, unser Kindergärten und Schulen brauchen diese Offenheit füreinander. Auch unsere Kirchengemeinden.

Vielleicht hilft es in der aufgeheizten Stimmung dieser Tage wirklich am meisten, immer wieder den Kontakt zu suchen und aufeinander zuzugehen, vielleicht ist es gerade jetzt wichtig, sich an einen Tisch zu setzen, zu reden, zu hören,  auch zu streiten. Ich finde es wichtig, miteinander klare Absprachen zu treffen. Miteinander reden und klären, was für ein vertrauensvolles Zusammenleben unverzichtbar ist. Respekt vor allem. Vor Mädchen und Frauen. Vor Andersgläubigen. Respekt vor den Regeln, die für alle gelten müssen, damit das Zusammenleben funktioniert.  

Jesus hat das so gemacht. Er ist mit weitem Herzen auf die Menschen zugegangen und hat dafür geworben, das selber auszuprobieren, offen und klar:  Los, steh auf, gib dir einen Ruck. Du schaffst das. Und ich werde dir dabei helfen.

Ich wünschen Ihnen einen guten Sonntag, kommen Sie gut durch die neue Woche, bleiben Sie behütet!

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SWR4 Sonntagsgedanken

Ob Gott in diesen Tagen wohl auch mit Weihnachtsvorbereitungen beschäftigt ist, frage ich mich.
Ich denke dabei an einen Satz aus der Bibel, der wie ein Motto über dem dritten Advent steht.
„Tröstet, tröstet mein Volk.“ Sagt Gott. Und zwar sagt er das zu seinen Engeln.
Für mich ist das wirklich eine tröstliche Vorstellung, dass Gott seinen Boten diesen Auftrag gibt.
Denn Trost, glaube ich, das ist das, was wir nach diesem Jahr besonders dringend brauchen.
Sicher, vieles ist so wie immer. Doch habe ich den Eindruck, dass viele Menschen in diesem Jahr bedrückter wirken als sonst, ratlos irgendwie. Als hätten sie einfach genug von den Nachrichten, die sie Tag für Tag erreichen. Erst die Finanzkrise, dann die Flüchtlingskrise, und nun zieht Europa sogar in einen Militäreinsatz gegen den Terror. Keiner weiß so richtig, wie es jetzt eigentlich weiter gehen soll. Nicht einmal die Politiker und die Experten. Und viele Menschen wissen nicht einmal, wie es bei ihnen persönlich weiter gehen soll.
Ich denke an die Frau, die im Sommer ganz plötzlich ihren Mann verloren hat. Wie mags der wohl dieser Tage zumute sein, wenn sie ihre Weihnachtsdeko aus dem Keller hochholt? Bestimmt tut das weh, zum ersten Mal allein. Aber vielleicht tut es auch gut: Weihnachtsbrödle backen, Sterne ausschneiden. Ein bisschen „Alle Jahre wieder“, wo doch vieles so anders ist. Ich glaube, das kann auch Halt geben.
Und dann denke ich an den Mann, der von seinem Arzt erfahren hat, dass es nicht gut aussieht mit ihm. Wie für ihn wohl die schönen alten Adventslieder klingen, es könnte ja seine letzte Adventszeit sein. Gerade Menschen wie diesen beiden wünsche ich von Herzen, dass jetzt Gottes Engel zu ihnen unterwegs sind.
Engel sind doch Boten Gottes. Sie sollen Gott dabei helfen, etwas zu ändern. Sie haben von Gott den Auftrag, uns Menschen zu verändern, so lese ich es in der Bibel.
„Tröstet, tröstet mein Volk!“ Für mich klingt das so, als wollte Gott damit sagen: „Berührt die Herzen der Menschen und haltet die Sehnsucht in ihnen wach! Sie dürfen ihr Vertrauen nicht verlieren, sonst werden sie am Ende noch ganz zynisch und verbittert. Sie brauchen Zuspruch, ein gutes Wort, ein Dankeschön, ein „Ich habe dich lieb.“ Zeigt ihnen, wo sie gebraucht werden und wo ihre Talente gefragt sind. Die Menschen brauchen Aufgaben, sie wachsen sogar an ihnen.“
Hoffentlich finden Gottes Engel auch den Weg zu mir. Denn Trost, das ist es, was ich mir nach diesem aufregenden Jahr wünsche. Ich möchte getrost auf das zugehen, was ansteht, denn so kann ich es schaffen, glaube ich. Deswegen ist es für mich wie ein Gruß vom Himmel, wenn ich in der Bibel lese. „Tröstet, tröstet mein Volk.“

Aber wie tröstet Gott?
Folgende Auskunft entnehme ich der Bibel: Die Engel sollen den Menschen freundlich begegnen. Aber es geht dabei wohl nicht nur um Bestätigung und Anerkennung, sondern auch um ein Stück Selbstkritik. Vielleicht sind ja nicht immer nur die anderen schuld an meiner Misere – die Politiker, die Lehrer, der Staat, die Gene, das Schicksal … Auch ich ertappe mich immer wieder dabei, wie schnell ich andere verantwortlich mache. Dabei könnte ich ja auch gucken, wo ich selber etwas versäumt habe. Oder einen Fehler gemacht habe.
Wie tröstet Gott?
Die zweite Dienstanweisung an die Engel lautet: „Sagt, dass die Knechtschaft zu Ende ist.“ M.a.W.: Das Unheil nimmt nicht einfach seinen Lauf, und ihr könnt etwas dazu beitragen: Z.B. die Heizung eine Stufe runterstellen und dafür eine Strickjacke anziehen. Und statt jeden Apfel einzeln in eine Plastiktüte zu stecken, könntet ihr daran denken, eine Korb zum Einkaufen mitzunehmen. Sicher, damit wird nicht die Welt gerettet und der Klimawandel gestoppt. Aber es ist ein Beitrag, der zeigt, dass alle zusammen doch etwas ändern können.  Manch einer, der grad jetzt vor Weihnachten für die Flüchtlinge in seinem Ort Kleider sammelt oder alte Fahrräder für sie repariert, der löst damit natürlich nicht die Flüchtlingskrise. Aber vielleicht löst er damit seine eigene Krise, hört auf, sich ständig um sich selbst zu drehen, kann sich nützlich machen, wird gebraucht.   
 „Bereitet dem Herrn den Weg!“ so rufen es die Engel einander zu. So lese ich es in der Bibel.
„Alle Täler sollen erhöht werden und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden!“
Wir müssen nicht auf ausgetretenen Pfaden weiter gehen, so verstehe ich das.
Wie das geht, das habe ich bei dem Mann erlebt, der so schwer erkrankt ist, dass es vielleicht sein letztes Weihnachten ist. Wo ich den jetzt überall treffe: bei der Seniorenfeier, auf dem Wochenmarkt, im Adventskonzert. Da hat er sogar noch geholfen,  Stühle zu tragen. „Was soll ich mich jetzt zu Hause einigeln.“ Hat er zu mir gesagt. „Ich freu mich doch, wenn ich unter Leute komme und was tun kann. Das lenkt mich ab.“
Wenn Gott mit seinem Trost zum Zuge kommen will, glaube ich, dann wird sich etwas verändern. Dann wird er die nötige Kraft geben.
„Tröstet, tröstet mein Volk!“ Freundlich. Aber bestimmt. So sind sie hoffentlich auch heute und in der kommenden Woche unterwegs, Gottes Boten. Also: Bleiben Sie getrost! Ich wünsche Ihnen einen gesegneten dritten Advent.

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SWR4 Sonntagsgedanken

Jetzt geht es wieder richtig rund. Für uns Erwachsene sowieso. Die Urlaubszeit ist vorbei. Die Kinder gehen wieder in die Schule und sogar für die Erstklässler hat er jetzt begonnen: Der Ernst des Lebens, wie viele sagen.
Wie man diesem Ernst des Lebens froh und zuversichtlich begegnen kann, das erzählt eine Geschichte aus der Bibel.
Jemand ist krank geworden. Ein junger Mann wohl noch. Lazarus sein Name. Zum Glück hat er zwei Schwestern, die sich um ihn kümmern. Die waren mit Jesus bekannt. Der wird uns bestimmt auch jetzt helfen, haben sie wahrscheinlich gedacht. Maria und Martha. Zwei Frauen, die dem Ernst ihres Lebens mit viel Tatkraft und Organisationstalent begegnet sind. Zwei im besten Sinne „fromme“ Frauen, die darauf vertrauen: Mit Gottes Hilfe packen wir das!
Doch dann hat Jesus sie zwei Tage lang warten lassen und als er dann endlich gekommen ist, da war es schon zu spät. Lazarus war schon gestorben.
Ich kann mir vorstellen, wie enttäuscht Lazarus´Schwestern da gewesen sind. Wie kann man Freunde in der Not denn nur so hängen lassen?
Mir gefällt es, wie Martha damit umgeht. Martha geht auf Jesus zu. Ganz offensiv. Sagt ihm, was Sache ist: „Wärst du hier gewesen, mein Bruder wäre nicht gestorben.“ Sie ist ja bestimmt eine fromme Frau. Aber hier ist ihr Gottvertrauen nun doch erschüttert. In ihren Worten höre ich all die Anfragen mit, die ich auch habe, wenn ich sehe, was dieser Tage los ist – bei uns in Europa. Bei uns in Deutschland.
Beachtlich finde ich, wie Jesus reagiert: „Ich bin die Auferstehung und das Leben.“ Hat er gesagt. „Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt. – Glaubst du das?“ Was für eine Frage! Glaubst du das? Glaubst du, dass Gott hilft, wenn jetzt die vielen Flüchtlinge bei uns sind. Glaubst du, dass es mit Gottes Hilfe ein friedliches Miteinander wird? Glaubst du, dass Gott denen hilft, die jetzt helfen wollen und sich einsetzen? Glaubst du, dass Gott dir selber beisteht, wenn du dir  Sorgen machst, wie das wohl alles weiter geht?
Martha hat diese Fragen wohl für sich mit einem Ja beantwortet: Ja. Du bist Gott. Du bist da. Und kaum hatte sie das gesagt, da kam tatsächlich etwas bei ihr in Bewegung. Trotz Trauer und Enttäuschung. Sie ist aufgestanden. Hat ihre Schwester motiviert. Hat ein paar Leute zusammen getrommelt und ist mit ihnen und Jesus zusammen noch einmal zum Grab des Bruders gegangen. So. Mal schauen, was jetzt passiert. Mit Gottes Hilfe! Martha verschließt nicht länger die Augen. Sie stellt sich den Tatsachen.

Und dann ist etwas schier Unglaubliches passiert. Als Jesus mit Martha und Maria und einer ganzen Schar von Leuten am Grab von Lazarus stand, da hat er jemanden gebeten, den dicken Stein vor dem Grabeingang wegzurollen. Und dann hat er mit lauter Stimme ins Grab hinein gerufen: „Lazarus, komm heraus!“ Und Lazarus kam heraus. Ein wenig benommen noch und unbeholfen, denn er hatte sich offensichtlich in den Leichentücher verheddert. In solche Tücher hat man damals die Toten eingewickelt. Und nun bat Jesus, dass man Lazarus doch bitte diese Binden abnehmen soll, damit er gehen kann.
Ich kann mir vorstellen, dass Martha und Maria da genauso verblüfft waren wie ich, wenn ich heute die Geschichte in der Bibel nachlese. Ein Toter wird wieder lebendig? Das kann ich mir schlecht vorstellen. Alle Menschen müssen doch eines Tages sterben, das ist natürlich, auch wenn es oft sehr traurig ist. Und auch Lazarus ist ja eines Tages dann vielleicht als alter Mann gestorben. Aber damals, als er mit seinem Bindengewirr um sich herum aus dem Grab herausgewankt kam, da, glaube ich, haben die beiden Frauen es  wirklich begriffen, was Jesus damit meint: „Ich bin die Auferstehung und das Leben.“
Sie hatten ihren Bruder wieder. Das hätte doch niemand für möglich gehalten. Sie wahrscheinlich auch nicht. Vielleicht haben sie sich sogar damit abgefunden, dass es nun mal so ist, wie es ist. Mit Gottes Hilfe würde es schon irgendwie weiter gehen, haben sie vielleicht gedacht.  Aber dass es mit Gottes Hilfe dann ausgerechnet so weiter geht. Dass auf einmal alles wie weg war, was sie vor kurzem noch betrübt und bekümmert hat. Erklären konnten sie sich das bestimmt nicht. Aber es war gut so. Und sie waren sehr froh!
Wunderbar, solche Erfahrungen, wie diese beiden Frauen sie gemacht haben. Diese überraschenden Wendungen, die ein Leben nimmt. Diese Kraft, die dir auf einmal zufällt. Diese Türen, die sich auf einmal doch noch auftun. So stelle ich mir das vor: Auferstehung, neues Leben. Nicht erst in ferner Zukunft wird Gott dafür sorgen, sondern auch hier und jetzt. Ich hoffe, dass ich das so ähnlich erleben kann wie Martha und Maria. Denn damit, glaube ich, kann ich zuversichtlich auf den Ernst des Lebens zugehen.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen gesegneten Sonntag! Kommen Sie wohl behütet durch die neue Woche!

 

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SWR4 Sonntagsgedanken

Richtig urteilen, wie geht das eigentlich?
Ich finde das nämlich gar nicht so einfach, andere Leute zu beurteilen.
Und doch ist es ja immer wieder angesagt, z.B., wenn ich in diesen Tagen die Zeugnisse für meine Schüler schreibe.
Richtig urteilen, ich glaube, das ist eine ganz große Verantwortung, die auch ich übernehme, wenn ich andere Leute beurteile.
Deswegen bin ich froh, dass ich bei Jesus einige hilfreiche Kriterien finde, wie ich dieser Verantwortung gerecht werden kann.
„Ihr sollt andere nicht verurteilen, damit Gott euch nicht verurteilt!“ lese ich in der Bibel, in der Bergpredigt. Da wird gleich deutlich, um was es geht. Urteilen ist oft nötig. Aber verurteilen – das ist etwas anderes. Das kann Menschen zerstören.
Für mich hört sich das so an, als hätte Jesus nur zu gut gewusst, wie schnell und gedankenlos so manches Urteil gefällt wird. Zack, und schon hat jemand seinen Ruf weg. Ich denke z.B. an eine Firmenchefin, die ihren Betrieb aufgeben musste. „Die Bankrotteurin“, wurde sie da von manchen genannt, wenn sie irgendwo auftauchte. Ein hartes Urteil, zumal ja gar nicht klar war, was zu der Insolvenz geführt hatte. Und was, wenn einem so etwas selbst passiert? Ein finanzieller Engpass? Einbußen beim Gehalt? Eine ausgebliebene Beförderung? Eine unfreiwillige Versetzung? Sowas geht ja manchmal ganz schnell. Und dann? Stecken die Leute dann auch die Köpfe zusammen?
„Mit dem Maß, mit dem ihr messt, wird man euch auch wieder messen.“ Vielleicht hat Jesus das so klar gesagt, weil er darum wusste, wie oft mit zweierlei Maß gemessen wird. Ein Gläschen über den Durst trinken – ach komm, was ist das schon. Und einem Kollegen mal am Samstag auf der Baustelle helfen – ein Freundschaftsdienst. Aber wenn das der Chef macht oder ein Politiker oder gar noch jemand von der Kirche, dann geht das gar nicht.
Heuchelei hat Jesus so etwas genannt: Den Splitter, den der andere im Auge hat, den sieht man. Dabei sollte man erstmal den Balken heraus ziehen, den man selber im Auge hat.
Richtig urteilen, für Jesus hat das ganz viel mit Barmherzigkeit zu tun.
„Vergebt, so wird euch vergeben!“ rät er und: „Gebt, so wird euch gegeben“.
Ich glaube, mit diesem Rat ist es sehr wohl möglich, eine klare, ehrliche Beurteilung zu finden: für seine Kollegen und Vorgesetzen und Schwiegerkinder. Und ebenso für Politiker und Fußballmanager. Weiß Gott ist das bei uns nicht alles sehr gut, sondern manches auch nur befriedigend oder noch schlimmer. Und da sind klare Worte manchmal auch angesagt.

Also: Empört euch - Aber eben nicht von oben herab, nicht selbstgefällig, sondern einfühlsam und solidarisch.
So könnte es aussehen, das richtige Urteilen, zu dem Jesus rät.

Und wie macht Gott das? Wie beurteilt er uns, was denkt er wohl über mich und wie ich lebe?
Eine wunderbare Geschichte stimmt  mich da ganz froh und zuversichtlich.
Eines Tages, so erzählt die Bibel, ist eine Frau zu Jesus gebracht worden, die Ehebruch begangen haben soll. Kein Wunder, waren es gerade die Männer, die sich furchtbar darüber empört haben. Sie wollten nun auch, dass Jesus sein Urteil über diesen skandalösen Fall abgibt. Er ist schließlich auch ein Mann, er müsste sich doch eigentlich dafür einsetzen, dass diese Frau hart bestraft wird, dachten sie vielleicht. Und wenn er wider Erwarten doch ein milderes Urteil fällen sollte, dann könnte es ja mit seinem Sinn für Recht und Ordnung nicht so ganz weit her sein.
Bestimmt hat sich Jesus da auch gefragt, wie das in so einer Situation geht: Richtig urteilen.
Und was hat er gemacht? Er hat sich auf die Erde gehockt und mit dem Finger irgendetwas in den Sand geschrieben. Herrlich, wie die Bibel das erzählt. Jesus hat sich einfach nicht provozieren lassen. Er hat sich nicht zu einem schnellen Urteil hinreißen lassen, wie es ja oft geschieht, wenn die Wellen der Empörung hochschlagen. Da kommt es ja oft zu Schnellschüssen. Jesus dagegen ist ruhig geblieben, bedacht, als hätte er in der aufgeheizten Stimmung erst mal die Luft raus lassen wollen.
Und dann hat er diesen berühmten Satz gesagt: „Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.“ Und sie sind alle gegangen! Einer nach dem anderen hat sich verdrückt. Und das war wohl auch gut so, denn so konnte Jesus mit der Frau alleine in aller Ruhe reden.
Ein Gespräch unter vier Augen. Keine Öffentlichkeit. Keine Bloßstellung.
Mir gefällt das sehr gut, wie Jesus mit der Frau umgegangen ist.
Das ist so diskret, so höflich.
Ja, die Frau war eine Ehebrecherin und hatte etwas Schlimmes gemacht, dieses Urteil konnte Jesus ihr nicht ersparen.
Aber er hat diese Frau nicht beschämt, sondern ihr dabei geholfen, es in Zukunft besser zu machen.
„Geh und sündige ab sofort nicht mehr!“ so hat er sie entlassen.
„Sündige ab sofort nicht mehr!“ Versuche es wenigstens! Versuche fair und anständig mit anderen umzugehen und in Zukunft nicht nochmal die Fehler zu machen, die dich jetzt so in die Bredouille gebracht haben!
Ja, ich hoffe darauf, dass Gott auch mir dazu hilft und die nötige Kraft gibt.
Kommen Sie gut  in die neue Woche! Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag!

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SWR4 Sonntagsgedanken

Einen alten Bekannten wieder zu treffen – das ist merkwürdig.
Plötzlich ist alles wieder da
Sie werden das auch schon erlebt haben.
Auf einmal bin ich wieder „die Jutta“ von damals und nicht die gestandene Frau in den besten Jahren, als die ich heute durchs Leben gehe.
Obs dem Jakob wohl ähnlich ergangen ist, als er damals am Flüsschen Jabbok diesem Mann begegnet ist?
Auch das ein merkwürdiges Wiedersehen, von dem die Bibel da erzählt.
Jakob hatte jahrelang im Ausland gelebt, hatte dort eine Familie gegründet und es zu Wohlstand und Ansehen gebracht und hatte dann beschlossen, seine zweite Lebenshälfte in der alten Heimat zuzubringen.
Und dann, genau an dem Abend, als er an die Grenze seines Heimatlandes kam, an dieses Flüsschen, da stand dieser alter Bekannte vor ihm und er wusste.
So, jetzt bin ich dran. Er hat mich gesehen. Der lässt mich nicht durch, bevor ich nicht einiges mit ihm geklärt habe.
Und dann haben sie miteinander gekämpft, die ganze Nacht lang.
Als ob die Vergangenheit über Jakob hergefallen wäre, so hat ihn dieser Unbekannte gepackt, ihn umklammert, hat ihm sogar die Hüfte verrenkt.
Und Jakob kämpft!
Als ging es um sein Leben.
Als ob er gewusst hätte: wenn ich mich dem hier nicht stelle, dann wird er mich weiterverfolgen, er wird mir keine Ruhe lassen.
Also: da muss ich jetzt durch.
Wer war dieser Mann, den Jakob am Jabbok getroffen hat?
Die Bibel lässt das bewusst offen, glaube ich.
So kann ich überlegen: Was könnte das sein, was einem keine Ruhe lässt?
Ich denke an das schlechte Gewissen.
Ja. Wie ein alter Bekannter steht das schlechte Gewissen manchmal vor mir und sagt:
Hallo, hier bin ich wieder.
Du erinnerst dich?
Die Geschichte von damals.
Die Sachen, die du ganz weit weggesteckt hast, weil sie dir so furchtbar peinlich sind und für die du dich so schämst.
Vielleicht war es das, auch bei Jakob am Jabbok.
Und Jakob hat die Herausforderung angenommen.
Jakob hat sich nicht gedrückt, sondern mit dem Schatten auf seiner Seele gekämpft.
Ja, er hatte vor Jahren seinen Bruder und seinen Vater übers Ohr gehauen und sich den Segen erschlichen.
Was, wenn das jetzt alles raus kommt?
Wenn ihn das alles wieder einholt.
Wie stünde er dann da?
Ich finde es eindrücklich, wie Jakob sich all dem gestellt hat – dem schlechten Gewissen, der Angst.
Lass es ruhig kommen, lauf nicht weg, verdrück dich nicht, vermeide nicht die Begegnung, auch wenn es weh tut,  so klingt es aus dieser Geschichte für mich heraus.
Denn am Ende wirst du ein anderer sein.

All die alten Geschichte, die dunklen Seiten in ihm, das schlechte Gewissen, all das  ist da auf einmal über ihn her gefallen.
Und Jakob hat dem standgehalten, er ist nicht davor weggelaufen, hat sich nicht verdrückt, er hat sich davon nicht unterkriegen lassen.
Im Gegenteil, als es Morgen wird und die Auseinandersetzung endlich zu Ende geht, da sagt Jakob: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.
Wie ein Gebet klingt diese trotzige Bitte für mich.
Als hätte Jakob in dieser Nacht auch mit seinem Gott gerungen und ihm all seine Zweifel, all seine Fragen entgegengeschleudert.
Warum tust du mir das an, mein Gott, warum muss mir das nun passieren, warum schlägst du mich?
Wenn das schon sein muss, mein Gott, und wenn ich das hier alles durchstehen muss, dann sorge du wenigstens dafür, dass das gut wird!
Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.
Eindrücklich, wie Jakob sich an Gott geklammert hat.
Er hat Gott beinahe darauf festgenagelt, dass er ihm beisteht.
Ja, Jakob hat irgendwie darauf bestanden, dass Gott gerade in den Krisen und den dunkelsten Stunden etwas für ihn tut!
So wie Jakob möchte ich auch glauben können.
Denn bei seinem nächtlichen Ringkampf hat Jakob ja Gott noch einmal neu kennen gelernt, wie einen neuen Bekannten.
Für mich ist das eine wunderbare Vorstellung.
Wenn ich daran denke, welche Kämpfe manchmal in Familien ausgetragen werden, ums Geld, ums Erbe, um Mein und Dein. Oder was das für ein Kraftakt ist, wenn man seine Beziehung geklärt kriegen möchte. Das ist anstrengend. Das tut richtig weh.
Aber kann das auch ein Segen sein?
Vielleicht tut es ja gut, wenn es endlich mal offen und ehrlich zugeht.
Wenn endlich mal ausgesprochen werden kann, was man schon so lange mit sich rumgetragen hat. Wenn man mit einer Sache abschließen kann, weglegen, was man schon ewig mit sich herumschleppt.
Und hoffentlich kann ich dabei auch das erleben, was Jakob erfahren hat nach seinem nächtlichen Kampf.
Als am nächsten Morgen die Sonne aufgeht, da ist der Schmerz in der Hüfte immer noch da und er hinkt. Der Kampf ist nicht spurlos an ihm vorüber begangen.
Aber: Er hats geschafft.
Er ist noch einmal davon gekommen.
Gott hat ihn gesegnet.
Hinkend gesegnet.
Als wollte er ihn und mich und jeden, der seine Kämpfe durchsteht, daran erinnern, dass manchmal auch diese schmerzlichen Erfahrungen sehr heilsam sein können.
Ich wünsche Ihnen einen guten Sonntag und - dass Sie gesegnet durch die neue Woche kommen!

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SWR4 Sonntagsgedanken

Vor zehn Tagen war ich in Berlin und hab am Brandenburger Tor gestanden, da, wo damals die Mauer gestanden hat.
Bei mildem Herbstwetter herrschte ein reges Treiben.
Einige junge Chinesinnen fielen mir auf. Sie fotografierten fröhlich kichernd einen russischen Soldaten. Der hatte sich aber nur so verkleidet. Der war gar nicht echt.
Als Jugendliche habe ich vor dem Brandenburger Tor noch echte russische Soldaten gesehen, schwerbewaffnete Grenzer, die hinter der Mauer patroullierten. Eine Mauer, hinter der Menschen eingesperrt waren.
Und dann, jene Abendstunden, jene Nacht vor 25 Jahren – diese Bilder von verdutzen Polizisten und der nicht minder verwunderten Menschen an den Grenzübergängen. Junge Männer, die einfach auf die Mauer draufklettern. Ich kann mich noch gut an die Fernsehbilder erinnern. Wahnsinn.
Mir ist dabei auf einmal David eingefallen. Der berühmteste König Israels, der ein Schafhirte vom Lande gewesen ist. Und irgendwann König wurde. Die Bibel erzählt seine Geschichte.
„Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen.“ So hat er seine Erfahrungen zusammengefasst. Davon war David überzeugt. David war davon überzeugt, dass mit Gottes Hilfe Dinge möglich werden, die niemand für möglich hält.  Er hatte das selbst so erfahren. Einmal hat er sogar sich selbst überwunden, seine Angst, seine Wut.
Einmal, erzählt die Bibel, hätte David die Gelegenheit gehabt, seinen Hauptwidersacher gewaltsam aus dem Weg zu räumen. Aber er tuts nicht.
Ich finde, das ist wirklich ein Wunder. Dass einer friedlich bleibt, defensiv, sich nicht provozieren lässt, sich nicht einschüchtern lässt von einem überlegenen Gegner. Sondern darauf hofft, dass man mit Gott gewinnen kann – und zwar mit friedlichen Mitteln.
David damals hat darauf gehofft: „Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen.“
Und es ist gut gegangen!
Mit dieser Hoffnung haben viele Menschen vor 25 Jahren in der DDR gebetet:
Gott, hilf uns, die Mauern zu überwinden!
Ja, ich glaube, dass es auch die Gebete gewesen sind, die damals die Mauer überwunden haben. Bestimmt sind es auch diese Gebete gewesen, die den Leuten den Mut gegeben haben, Montag für Montag loszuziehen, ohne zu wissen, ob sie am Abend wieder nach Hause kommen oder ob man sie verhaften würde.
Und dann habe es die Leute tatsächlich erlebt: „Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen.“ Sie frei passieren, einfach hindurchlaufen oder hinüberklettern. Das war ein Abend damals! Als ich das damals gesehen habe, war ich mindestens genauso erstaunt wie Horst Sindermann von der SED-Führung, der nur noch sagen konnte: „Wir haben mit allem gerechnet. Nur nicht mit Kerzen und Gebeten.“

Dieses bunte Treiben, diesen internationalen Flair. Wo früher die Mauer nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa getrennt hat, merke ich, dass doch ziemlich viel zusammen gewachsen ist. Das hat mich richtig dankbar gemacht.
Aber ich muss auch daran denken, dass heute wieder Mauern hochgezogen werden, und zwar an den europäischen Außengrenzen. Beklemmend, diese Bilder, wenn nachts das Scheinwerferlicht der Grenzpolizei auf die jungen Männer fällt, die versuchen, über den Grenzzaun zu klettern. Sicher haben sie viel dafür bezahlt und ein hohes Risiko auf sich genommen, damit sie von ihrer afrikanischen oder arabischen Heimat ins sichere Europa kommen können.
Aber was erwartet sie hier? Europa, eine uneinnehmbare Festung? Oder eine offene Gesellschaft, die sich für die Menschen stark macht, die sich hierher vor Terror und Verfolgung und auch Armut flüchten?
Ich hoffe, dass es wirklich so ist, wie es die Bibel ausdrückt, ich hoffe, dass auch ich mit meinem Gott über Mauern springen kann. Und zwar über die inneren Mauern, die Blockaden und Bedenken, die ich manchmal habe. Ich weiß ja auch nicht, wie das alles weiter gehen soll. Aber resignieren möchte ich nicht! Sondern mit anderen zusammen überlegen: Was können wir tun, damit es den Leuten, die sich zu uns flüchten, gut geht? Gibt es z.B. in unseren Kirchengemeinden freie Wohnungen? Oder können wir irgendwie finanziell dazu beitragen, dass eine Familie ihre Wohnung bezahlen kann? Vielleicht brauchen die Kinder aus der Sammelunterkunft ja Unterstützung bei den Hausaufgaben. Oder jemanden, der hilft, all die vielen Formulare zu übersetzen.
„Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen.“ Oder zumindest über meinen Schatten. Das hoffe ich.  Mit meinem Gott kann ich mir selber einen Ruck geben, einen Schritt zurücktreten und schauen, was machbar ist.
Ein Kerzchen und ein Gebet, die sind bestimmt machbar. Im stillen Kämmerlein daheim oder mit anderen zusammen. Überall kommen dieser Tage ja Menschen zusammen, um zu beten, Friedensgebete und Mahnwachen gibt es auch in unserer Stadt.
Wer weiß, vielleicht wird man in 25 Jahren dann auch sagen: Es waren auch diese Gebete, die Mauern überwunden und Menschen zusammen geführt haben. Ich vertraue jedenfalls darauf, dass jedes dieser Gebete bei Gott ankommt und er hilft, dass ich mutig und zuversichtlich werde.

Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag. Kommen Sie behütet durch die neue Woche!

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SWR4 Sonntagsgedanken

Früher ist sie sonntags regelmäßig in die Kirche gegangen. Und montags zum Kirchenchor. Das schafft sie aber seit einigen Monaten schon nicht mehr. Da bleibt sie lieber zu Hause, bei ihrem Mann, dem geht’s gar nicht gut, und wer weiß, wie lange sie noch zusammen bleiben können.
„Das verstehen Sie doch, Frau Pfarrerin?“ hat sie mal  zu mir gesagt, als wir uns getroffen haben.
Als ob sie sich entschuldigen wollte bei mir, so kam mir das vor. Dabei ist es doch großartig, was diese Frau leistet. Für sie ist es selbstverständlich, das gehört sich doch so.
Für mich ist es – Liebe.
Und darauf kommt es an. So hat das zumindest Jesus gesehen.
Eines Tages, so erzählt es die Bibel, wollte jemand von ihm wissen, was für ihn denn das höchste und wichtigste Gebot ist. Da hat Jesus geantwortet: „Du sollst den Herrn, deinen Gott lieben und deinen Nächsten wie dich selbst.“
Für Jesus scheinen also in diesem Satz alle anderen Gebote und Regeln und Vorschriften zusammen gefasst zu sein. Das gefällt mir. Kein kompliziertes Regelwerk, das sich außer den Spezialisten sowieso kein Mensch merken kann. Kein Gängelung, wo mir mit erhobenem Zeigefinger genau gesagt wird, was ich zu tun und zu lassen habe. Kein „Du musst und du darfst nicht.“
Sondern: Liebe!
Gott, deinen Nächsten! Es kommt eigentlich aufs Gleiche heraus. Gottesliebe und Nächstenliebe sind für Jesus zwei Seiten einer Medaille.
Mit dieser Idee steht Jesus sogar ganz fest in der Tradition seiner Vorfahren, dieses Gebot verbindet bis heute Menschen jüdischen und christlichen Glaubens. Ja, ich glaube, es verbindet ihn sogar mit den Menschen, die nicht so richtig glauben können oder wollen und ihre Schwierigkeiten mit Gott und der Kirche haben.
Auf die Liebe kommt es an.
Ich finde: Das ist Gottesdienst. Gottesdienst im Alltag. Nächstenliebe ist so etwas wie Gottesdienst.
Ich bin davon überzeugt, dass Gott das sieht, wenn Leute jeden Sonntagmorgen die Schwiegereltern abholen und mit ihnen zum Essen fahren. Oder auf dem Sommerfest für ihren Verein Schüsselweise Kartoffelsalat zubereiten, der dann zu 1, 50 Euro pro Person für die Behinderteneinrichtung am Ort verkauft wird. Ich glaube, dass Gott das sieht, wenn Menschen sich für andere einsetzen und dass er dafür sorgt, dass das alles nicht vergeblich ist und das Zusammenleben voran bringt.
Eigentlich ganz einfach das und wunderschön, diese Nächstenliebe, mit der man nicht nur was für andere tun, sondern sogar Gott ein Stückchen näher kommt.

Auf die Liebe kommt es an.
Auf die Liebe zu den Nächsten. Und auf die Liebe zu Gott.
Folgende Anekdote macht mir das deutlich.
Bei einem Besuch in der DDR trifft der Theologieprofessor Karl Barth auf den Staatsratsvorsitzenden Wilhelm Pieck. „Nicht wahr, Herr Professor“, sagt der kommunistische Politiker zu dem Schweizer Theologen. „Sie sind doch auch der Ansicht, dass es gut ist, wenn eine Gesellschaft nach den 10 Geboten lebt.“ „Aber sicher doch!“ entgegnet ihm dieser. „Vor allem nach dem ersten!“
„Ich bin der Herr, dein Gott – du sollst keine anderen Götter neben mir haben!“ Das steht noch vor den anderen Geboten: Nicht stehlen, nicht töten, nicht das begehren, was anderen gehört. Respektvoll mit anderen umgehen und nicht nur das eigene Wohl, sondern das der Gemeinschaft im Blick haben, das ist auf jeden Fall gut, wo Menschen zusammen leben: in einem Staat, einer Dorfgemeinschaft, einer Familie, einem Kollegenkreis. Ich erlebe da wirklich ganz eindrückliche Beispiele von gelebter Nächstenliebe, wenn ich mich bei mir umschaue.

Aber ich erlebe auch viel Druck dabei, viel Stress, wenn es darum geht, es gut zu machen.
Ja, die Erwartungen sind oft sehr hoch. Die Erwartungen, die andere an mich haben. Und die Erwartungen, die ich selbst an mich habe.
Ich weiß ja, dass ich‘s nicht allen recht machen kann, aber das wurmt mich auch.
Und dass ich nicht alles schaffen und überall helfen kann, das tut mir richtig Leid.
Ich denke, deshalb hat Jesus an das erste Gebot erinnert. Du sollst auf Gott vertrauen – darauf kommt es an! 
Gott lieben – von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzer Kraft.
Für Jesus ist das offensichtlich sogar die Voraussetzung, um wirklich für andere da zu sein und es gut zu machen.
Für mich hat das etwas sehr Befreiendes.
Gott zuerst, der ist für mich da – und dann erst kommen die anderen, die mir sagen, was ich zu tun habe.
Gott zuerst, der weiß doch, was ich brauche und wie‘s um mich steht  – und dann erst kommen die Anforderungen, die Beruf und Familie an mich stellen.
So möchte ich mich einfach ganz fest auf Gott verlassen: Wenn mein schlechtes Gewissen mich quält, macht er mich wieder ruhiger. Und da kann ich auch mal fragen, ob das eigentlich wirklich alles so nötig ist, was „man“ von mir erwartet –  auch als Mitarbeiterin und Vereinsmitglied und Bürgerin.
Ich muss nicht perfekt sein, ich  bin nicht für alles und alle verantwortlich.
Aber voller Gottvertrauen kann ich tun, was in meiner Macht steht.
Soweit meine Kräfte reichen und meine Zeit es zulässt.
Ich kann mit der fröhlichen Gewissheit ans Werk gehen, dass Gott es gut machen wird, was bei mir vielleicht doch nur bruchstückhaft bleibt.
Dann kann ich tun, wozu mich die Liebe treibt. Denn auf die Liebe kommt es an!
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen heute einen guten, gesegneten Sonntag und eine gute Woche!

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SWR4 Sonntagsgedanken

Heute feiern die Christenmenschen bei uns im Dorf Fronleichnam wieder gemeinsam.
Treffpunkt ist der Park hinter der Kirche.
Da ist zuerst der Gottesdienst und dann geht’s los zur feierlichen Prozession.
Der Musikverein und die beiden Kirchenchöre ziehen voran.
Dann kommen die Fahnenträger.
Und dann kommen wir:
Der katholische Pfarrer trägt die Monstranz, das kostbare Gefäß, in dem das Abendmahlsbrot aufbewahrt wird.
Ich als evangelische Pfarrerin trage die Bibel.
So ziehen wir dann mit der ganzen Gemeinde alle zusammen durchs Dorf, an der neuen Kindertagesstätte vorbei über den Feldweg neben der Schafweide bis hin zum Friedhof und von dort die Straße entlang zur Kirche.
Für mich ist das ein bewegendes Gefühl:
Als würden wir zusammen Christus durchs Dorf tragen, so kommt mir das vor.
Denn dafür stehen ja das Brot und die Bibel, das „Wort Gottes“
Sie zeigen mir, dass Gott ganz nahe bei uns ist, mitten drin im Leben, in der Natur – der Schöpfer also mittendrin in seiner Schöpfung.
Fronleichnam, für mich ist das ein Fest, an dem ich das mit allen Sinnen miterleben kann.
Wie heißt es so schön in einem Psalm in der Bibel?
„Seht und schmeckt, wie freundlich der Herr ist!“
Ja, seht! Die Natur zeigt sich von ihrer üppigsten Seite, die Gärten stehen da in voller Pracht, die Straßen sind geschmückt. Und dann: die schönen Blütenteppiche, die die Frauen heute morgen schon in aller Frühe dekoriert haben – mich erinnern sie an einen roten Teppich, der dazu einlädt, dass Gott einzieht:
In die neue Kindertagesstätte z. B.
Für mich eine gute Vorstellung, dass Gott mitten dabei ist, wo unsere Jüngsten spielen, lernen. Von Herzen wünsche ich ihnen, dass sie bewahrt bleiben, dass Gott sie bewahrt – und ihren Eltern und Erzieherinnen ganz viel Geduld mit ihnen schenkt.
Und ich denke an den Friedhof, denke an die Leute, die da immer hingehen und die Gräber ihrer Lieben besuchen. Hoffentlich kommt Gott zu ihnen und gibt ihnen Zuversicht und neuen Lebensmut.
Und dann, was mag wohl alles in den Häusern passieren, an denen wir mit der Prozession vorbei  ziehen. Kummer in der Familie, Ärger im Geschäft, Geldsorgen, gesundheitliche Sorgen? Ich finde, genau da hat doch Gott seinen Platz, genau da braucht es diesen „freundlichen“ Gott.
Und: Genau da braucht es auch  Menschen, die diesen freundlichen Gott vorbei bringen. Da braucht es mich!
Der freundliche Gott braucht auch freundliche Menschen, glaube ich, Menschen, die sich mit ihm zusammen auf den Weg machen, Menschen, die achtsam und aufmerksam sind und schauen, wo sie gebraucht werden und jemandem helfen können.
„Seht!“ Sieh selber hin! Und geh mit Gott dahin, wo er dich braucht!

Es braucht Menschen, die den freundlichen Gott in der Welt spürbar machen.
Davon habe ich gerade schon in den SWR 4 – Sonntagsgedanken erzählt.

Mir ist noch ein Bereich eingefallen, wo man das besonders gut erleben kann:
Beim Essen und Trinken kann man das gut erleben.
Liebe geht durch den Magen, sagt man ja.
Der Schokoladenpudding zum Nachtisch, die heiße Brühe am Abend – solch kleine Aufmerksamkeiten zeigen doch: Ich bin um dein Wohl bemüht und möchte, dass es dir gut geht.
Die Bibel sieht da einen Zusammenhang.
„Seht und schmeckt, wie freundlich unser Gott ist!“
Für mich hört sich das so an, als ginge auch bei Gott die Liebe durch den Magen.
Gott – um mein Wohl bemüht, einer der möchte, dass es mir gut geht.
Eine tröstliche Vorstellung für mich.
Ich denke an das kleine Stück Brot, das ich beim Abendmahl bekomme.
Auch heute, wenn wir bei uns im Dorf gemeinsam Fronleichnam feiern.
Fronleichnam ist ja das Fest, wo man sich daran erinnert, wie Jesus zum ersten Mal mit seinen Jüngern das Abendmahl gefeiert hat.
So wie damals, beim ersten Abendmahl, gibt es auch heute ein Stückchen Brot für jeden, der zur Kommunion geht.
Eine ganz einfache Oblate, ungesalzen, eher fad im Geschmack.
Und doch ein Stückchen Brot, das an die Liebe erinnert, an Gottes Liebe.
Ja, so erahne ich es manchmal beim Abendmahl. So erahne ich es hoffentlich auch heute wieder:
Jesus hat es doch selber gesagt, dass er das Brot des Lebens ist.
„Ich bin das Brot des Lebens“, hat er gesagt, „wer zu mir kommt, den wird nicht hungern.“
Diese Verheißung möchte ich mir grad auf der Zunge zergehen lassen und lange schmecken.
Nicht mehr hungern? Auch nicht nach Anerkennung und Erfolg und immer noch mehr? Hoffentlich hilft mir Gott dabei, dass ich einfach auch mal den Tag genießen kann, dankbar für das, was er mir heute schenkt und anvertraut.
Nicht mehr hungern? Aber was ist dann mit den harten Brocken, frage ich mich und denke an das harte Brot, das manche zu kauen haben und richtig gefordert sind: in der Familie, im Beruf und selbst im Ruhestand noch. Ich hoffe, dass Gott uns auch mit den harten Brocken satt macht, satt und zufrieden mit dem Bewusstsein, dass wir gebraucht werden, eine sinnvolle Aufgabe haben und uns für andere nützlich machen können.
Gottes Liebe geht durch den Magen.
„Seht und schmeckt, wie freundlich der Herr ist!“ ermuntert die Bibel.
Hoffentlich können Sie das erfahren. Ich wünsche Ihnen einen freundlichen, einen gesegneten Feiertag.

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SWR4 Sonntagsgedanken

Ich bin ja nun auch nicht selber dabei gewesen.
Hab das leere Grab von Jesus nicht mit eigenen Augen gesehen.
Hab nicht gesehen, wo Jesus gelegen hat.
Hab nicht die Engel gesehen im Grab, von denen die Bibel erzählt.
Und ich möchte es trotzdem glauben können, dass es genauso gewesen ist.
Ja, ich möchte glauben können, dass Jesus auferstanden ist und dass Gott das heute noch möglich macht – neues Leben. Dass er auch mich herausholt aus Tod und Traurigkeit.
Deswegen gefällt mir die biblische Geschichte von Thomas so gut.
Der ungläubige Thomas, so wird er ja ganz oft genannt.
Dabei ist er doch eigentlich gar nicht so ungläubig gewesen, finde ich.
Im Gegenteil.
Thomas war von Jesus überzeugt, hat ihm vertraut, ist ihm nachgefolgt, war sein Jünger, genauso wie die anderen auch.
Nur im entscheidenden Augenblick, da ist er irgendwie nicht mit dabei gewesen.
Als Jesus nochmal zu seinen Freunden gekommen ist und ihnen gezeigt hat, dass sie keine Angst haben müssen.
Irgendwie hat Thomas das wohl verpasst.
So ist das ja manchmal.
Es kann passierten, dass man das einfach verpasst, was einem Mut machen könnte.
Das Leben fängt neu an, man könnte einen neuen Anfang machen.
Aber irgendwie kriegt man es nicht mit. Das kommt vor.
Vielleicht war es an den Feiertagen so hektisch, dass man grad froh ist, dass der Besuch wieder abgereist ist und die Schule wieder anfängt.
Ich kann Thomas gut verstehen.
Als die anderen ihm freudestrahlend erzählt haben, dass sie Jesus wirklich gesehen haben, da ist erstmal skeptisch geblieben und wollte die Hände und Füße von Jesus anfassen, wo sie ihm die Nägel durchgeschlagen haben.
Mir kommt das so vor, als hätte er fragen wollen: Und, was ist damit? Was ist mit diesem Unrecht, dass da geschehen ist. Ist das wirklich vorbei? Und was ist mit dem Leid, was ist mit den Schmerzen, die Jesus erdulden musste. Ist da jetzt wirklich überwunden?
Das sind Fragen, die stelle ich mir auch manchmal. Grad dieser Tage, wenn ich daran denke, was in der Ukraine los ist, in Nigeria. Da kann man ja wirklich zum ungläubigen Thomas werden. Richtig traurig kann man dabei werden.
Wenn ich es doch sehen könnte: Dass das endlich mal aufhört, dass es endlich mal friedlich zugeht. Und dass es was bringt, wenn man sich dafür einsetzt, und wenn man geduldig nach friedlichen Lösungen sucht. Dafür hat Gott doch Jesus auferweckt, damit Leid und Unrecht endlich ein Ende haben.
Und auch einer wie Thomas Mut und Zuversicht bekommt.

Andere laufen freudestrahlend und voller guter Dinge durchs Leben und du selbst hast den Eindruck, an dir zieht das Leben vorüber. Das tut weh. Davon habe ich gerade hier in den SWR4 Sonntagsgedanken erzählt.
So ist es Thomas gegangen, erzählt die Bibel. Thomas hat nicht glauben können, dass Jesus lebt und das Leben neu beginnen kann..
Aber immerhin: Er hat sich nicht von den anderen zurückgezogen, sich nicht in sein stilles Kämmerlein verzogen. Thomas  will nicht begraben bleiben in seinem Pessimismus. Und die anderen ertragen ihn mit seinen Zweifeln. Das hat ihm anscheinend gut getan.
Ich glaube, das könnte ein erster Schritt sein, um wieder Freude am Leben zu bekommen und Zuversicht.
Komm, lass uns was zusammen machen. Einen Kaffee trinken oder am Sonntagmittag mal schön zusammen essen gehen. Grad Frauen erzählen mir manchmal, wie sie sich zusammentun, was unternehmen, sich nicht damit abfinden, dass sie keinen Partner mehr haben, der sie begleitet, sich auch mal was gönnen, was sie sich früher niemals zugestanden haben.
Zusammen bleiben und den Kontakt halten.
Nicht nur für einen wie den Thomas ist das eine echte Herausforderung, denke ich mir, sondern eben auch für die anderen, mit denen er zusammen ist. Wie geht man damit um, wenns einem im Kreis nicht so gut geht? Wie ermuntert man den, wie kann man den trösten?
Ich kann mir gut vorstellen, dass die anderen Jünger Thomas immer wieder davon erzählt haben, wie das für sie war, als Jesus zu ihnen gekommen ist. Wie das für sie war, wie sie durch ihn ihren Frieden wirklich auch gefunden haben, den er ihnen gewünscht hat. Und wenn Thomas dann trotzdem traurig geblieben ist, dann haben sie das bestimmt auch zusammen ausgehalten.
Und dann?
Dann hat Thomas es tatsächlich erlebt. Auf einmal ist Jesus mitten unter ihnen. Und dann hört Thomas, wie Jesus sagt: „Friede sei mit euch!“. Und dann geht Jesus zu ihm hin und zeigt ihm seine Hände und seine Füße mit den Nagelspuren drin.
Und dann?
„Mein Gott!“ kann Thomas da nur noch stammeln.
Ich finde es wunderbar, wie die Bibel das erzählt.
Also würde da auf einmal ein Knoten platzen.
Mein Gott, ja, es ist vorbei, keine Ahnung wie, aber ich bin durch, ich habs überwunden.
Ich finde es wunderbar, wie Gott einen Weg gefunden hat.
Für  Thomas. Und hoffentlich auch für mich.
Ob 8 Tage nach Ostern oder 80 oder wann auch immer: Irgendwann wird der Knoten platzen, irgendwann wird sich eine Tür auftun, irgendwann wird das Leben wieder voran gehen.
Ich glaube, wer sich das das immer wieder vor Augen hält, der kann zuversichtlich leben.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen gesegneten Nach-Ostersonntag – einen guten Start wieder nach den Ferien und kommen Sie behütet durch die neue Woche!

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