SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

Einen alten Bekannten wieder zu treffen – das ist merkwürdig.
Plötzlich ist alles wieder da
Sie werden das auch schon erlebt haben.
Auf einmal bin ich wieder „die Jutta“ von damals und nicht die gestandene Frau in den besten Jahren, als die ich heute durchs Leben gehe.
Obs dem Jakob wohl ähnlich ergangen ist, als er damals am Flüsschen Jabbok diesem Mann begegnet ist?
Auch das ein merkwürdiges Wiedersehen, von dem die Bibel da erzählt.
Jakob hatte jahrelang im Ausland gelebt, hatte dort eine Familie gegründet und es zu Wohlstand und Ansehen gebracht und hatte dann beschlossen, seine zweite Lebenshälfte in der alten Heimat zuzubringen.
Und dann, genau an dem Abend, als er an die Grenze seines Heimatlandes kam, an dieses Flüsschen, da stand dieser alter Bekannte vor ihm und er wusste.
So, jetzt bin ich dran. Er hat mich gesehen. Der lässt mich nicht durch, bevor ich nicht einiges mit ihm geklärt habe.
Und dann haben sie miteinander gekämpft, die ganze Nacht lang.
Als ob die Vergangenheit über Jakob hergefallen wäre, so hat ihn dieser Unbekannte gepackt, ihn umklammert, hat ihm sogar die Hüfte verrenkt.
Und Jakob kämpft!
Als ging es um sein Leben.
Als ob er gewusst hätte: wenn ich mich dem hier nicht stelle, dann wird er mich weiterverfolgen, er wird mir keine Ruhe lassen.
Also: da muss ich jetzt durch.
Wer war dieser Mann, den Jakob am Jabbok getroffen hat?
Die Bibel lässt das bewusst offen, glaube ich.
So kann ich überlegen: Was könnte das sein, was einem keine Ruhe lässt?
Ich denke an das schlechte Gewissen.
Ja. Wie ein alter Bekannter steht das schlechte Gewissen manchmal vor mir und sagt:
Hallo, hier bin ich wieder.
Du erinnerst dich?
Die Geschichte von damals.
Die Sachen, die du ganz weit weggesteckt hast, weil sie dir so furchtbar peinlich sind und für die du dich so schämst.
Vielleicht war es das, auch bei Jakob am Jabbok.
Und Jakob hat die Herausforderung angenommen.
Jakob hat sich nicht gedrückt, sondern mit dem Schatten auf seiner Seele gekämpft.
Ja, er hatte vor Jahren seinen Bruder und seinen Vater übers Ohr gehauen und sich den Segen erschlichen.
Was, wenn das jetzt alles raus kommt?
Wenn ihn das alles wieder einholt.
Wie stünde er dann da?
Ich finde es eindrücklich, wie Jakob sich all dem gestellt hat – dem schlechten Gewissen, der Angst.
Lass es ruhig kommen, lauf nicht weg, verdrück dich nicht, vermeide nicht die Begegnung, auch wenn es weh tut,  so klingt es aus dieser Geschichte für mich heraus.
Denn am Ende wirst du ein anderer sein.

All die alten Geschichte, die dunklen Seiten in ihm, das schlechte Gewissen, all das  ist da auf einmal über ihn her gefallen.
Und Jakob hat dem standgehalten, er ist nicht davor weggelaufen, hat sich nicht verdrückt, er hat sich davon nicht unterkriegen lassen.
Im Gegenteil, als es Morgen wird und die Auseinandersetzung endlich zu Ende geht, da sagt Jakob: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.
Wie ein Gebet klingt diese trotzige Bitte für mich.
Als hätte Jakob in dieser Nacht auch mit seinem Gott gerungen und ihm all seine Zweifel, all seine Fragen entgegengeschleudert.
Warum tust du mir das an, mein Gott, warum muss mir das nun passieren, warum schlägst du mich?
Wenn das schon sein muss, mein Gott, und wenn ich das hier alles durchstehen muss, dann sorge du wenigstens dafür, dass das gut wird!
Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.
Eindrücklich, wie Jakob sich an Gott geklammert hat.
Er hat Gott beinahe darauf festgenagelt, dass er ihm beisteht.
Ja, Jakob hat irgendwie darauf bestanden, dass Gott gerade in den Krisen und den dunkelsten Stunden etwas für ihn tut!
So wie Jakob möchte ich auch glauben können.
Denn bei seinem nächtlichen Ringkampf hat Jakob ja Gott noch einmal neu kennen gelernt, wie einen neuen Bekannten.
Für mich ist das eine wunderbare Vorstellung.
Wenn ich daran denke, welche Kämpfe manchmal in Familien ausgetragen werden, ums Geld, ums Erbe, um Mein und Dein. Oder was das für ein Kraftakt ist, wenn man seine Beziehung geklärt kriegen möchte. Das ist anstrengend. Das tut richtig weh.
Aber kann das auch ein Segen sein?
Vielleicht tut es ja gut, wenn es endlich mal offen und ehrlich zugeht.
Wenn endlich mal ausgesprochen werden kann, was man schon so lange mit sich rumgetragen hat. Wenn man mit einer Sache abschließen kann, weglegen, was man schon ewig mit sich herumschleppt.
Und hoffentlich kann ich dabei auch das erleben, was Jakob erfahren hat nach seinem nächtlichen Kampf.
Als am nächsten Morgen die Sonne aufgeht, da ist der Schmerz in der Hüfte immer noch da und er hinkt. Der Kampf ist nicht spurlos an ihm vorüber begangen.
Aber: Er hats geschafft.
Er ist noch einmal davon gekommen.
Gott hat ihn gesegnet.
Hinkend gesegnet.
Als wollte er ihn und mich und jeden, der seine Kämpfe durchsteht, daran erinnern, dass manchmal auch diese schmerzlichen Erfahrungen sehr heilsam sein können.
Ich wünsche Ihnen einen guten Sonntag und - dass Sie gesegnet durch die neue Woche kommen!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=19579
weiterlesen...