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SWR1 Begegnungen

26DEZ2023
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Stephan Wahl Foto: privat

… und mit Stephan Wahl. Seit mehr als fünf Jahren schon lebt der Priester des Bistums Trier nun in Jerusalem. Davor war er viele Jahre lang für die Kirche bei Hörfunk und Fernsehen unterwegs. Hat das „Wort zum Sonntag“ gesprochen und ein paar Jahre auch diese Sendung „Begegnungen“ gemacht. Zur Zeit ist er auf Heimaturlaub - und auf einer Lesereise. Unter anderem mit Psalmen, die er in den vergangenen Jahren in Israel geschrieben hat. Schon sehr früh, als Austauschschüler erzählt er mir, habe er sich in dieses Land verliebt.

Und dass ich zum Ende meiner beruflichen Tätigkeit dann die Möglichkeit bekam, noch mal was völlig Anderes zu machen und dann in dem Land, in das ich mich schon früh verliebt hatte, ist für mich eine große Herausforderung und ein großes Geschenk.

Als deutscher Christ im Heiligen Land vermeidet Stephan Wahl es, sich auf eine Seite zu schlagen. Vielmehr versucht er beide, soweit das möglich ist, irgendwie zu verstehen.

Ich bin kein Palästinenser, ich bin kein Israeli. Ich werde nie ein Palästinenser, nie ein Israeli sein. Wenn, stehe ich auf beiden Seiten oder auf keiner. Es ist nicht mein Land. Also von daher surfe ich zwischen den Fronten und das war vor dem Krieg schon schwierig genug. Und jetzt muss ich sagen, es zerreißt es mich.

Was das konkret heißen kann, dieses innere Zerissensein, schildert er mir mit einem Erlebnis, das er während der mehrtägigen Feuerpause im November erlebt hatte.

Ich war am letzten Tag der Feuerpause nach Tel Aviv gefahren und war dann auch auf dem Platz vor dem Museum, der jetzt der „Vermissten-und Geisel-Platz“ heißt. Die haben ihn umbenannt. Es ist sehr bewegend. Da steht der große Schabbat-Tisch, der leer ist mit so und so viel Stühlen. Für jede gefangene Geisel einer, und einen Teller und dann ein Glas. Aber niemand sitzt dort. Und viele Leute waren da. Sehr eindrückliche und belastende Stimmung. Von da aus bin ich zurück in mein arabisches Shuafat, wo ich wohne, ich wohne in Ostjerusalem, und da springen einem die Gesichter entgegen, die um ihre Verwandten und Freunde in Gaza zittern oder trauern oder weinen. Das zerreißt dich.

Und ich frage mich und auch ihn, wie da jemals wieder Frieden herrschen kann, bei so viel Leid und so viel Hass.

Die Frage wüsste ich auch gerne beantwortet. Im Moment weiß ich nicht, wie diese offenen Wunden auf beiden Seiten irgendwie zu schließen sind. Das Land hat viel erlebt. Seit Israel existiert werden laufend Wunden geschlagen und nur notdürftig verdeckt. Aber ich sage trotzdem, ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass vielleicht irgendetwas passiert, was wir jetzt nicht überschauen, was ermöglicht, über diese Gräben zu springen.

Was ihm trotz Allem ein bisschen Hoffnung macht, darüber sprechen wir gleich.

…ich spreche mit Stephan Wahl, der seit 2018 in Israel lebt.

Seit dieser Krieg dort tobt frage ich mich, wie Juden, Muslime und auch Christen in dieser Katastrophe überhaupt zu Gott beten können. Einen Gott, den es doch eigentlich auch zerreißen müsste. Wie geht es ihm damit seit dem 7. Oktober?

Mir geht es da so, wie es mir bei der Ahr-Katastrophe ging. Und ich mich wiedergefunden habe in dem Versuch, trotz allem zu glauben, wie es uns die Psalmen lehren. Die ja mit Gott sehr hart ins Gericht gehen zwischendurch. Und ich kann nicht trösten im Moment mit: Der liebe  Gott wird schon alles irgendwie gut machen. Das wird alles fade, wenn man es schon sagt. Mein Gebet ist eigentlich, ihm diese Fragen in den Himmel zu schleudern und zu fragen: Wie kann das sein? Wie kannst du das selber aushalten, dass in deinem Heiligen Land, das so oft unheilig ist, so was passiert?

Scheitert unser Reden vom „lieben Gott“ also an der Realität?

Deswegen bin ich immer vorsichtiger, was fromme Sprüche angeht. Also ich, ich kann diesen Satz nicht mehr schreiben: Gott weiß, oder Gott hat das und das gemacht. Ich weiß nicht. Ich kann mir das vorstellen, ich kann mir das wünschen, ich kann es bitten, ich kann es erflehen. Aber ich weiß es nicht.

Gibt es denn bei all diesen Gräben etwas, das Hoffnung macht für die Zeit danach. Wenn die Waffen schweigen und die Menschen ja weiter miteinander leben müssen?

Hoffnung macht mir zum Beispiel die israelische Menschen- und Friedensbewegung Tag Meir. Das sind Israelis, die sich einfach nicht nehmen lassen, Menschenrechtsverletzungen auf beiden Seiten anzugehen und auch entsprechend zu reagieren. Zum Beispiel vor Jahren: Ein behinderter Palästinenser, Autist, junger Mann. In der Altstadt von einem Soldaten, der meint, er wär ein Terrorist, weil er sich auffällig verhalten hat, der wird erschossen, was ein entsetzliches Drama ist. Dann geht Tag Meir, gehen Israelis in das Trauerzelt der Familie und ich bin damals mitgegangen - ich merke jetzt, dass es mich noch berührt, wenn ich es erzähle - um bewusst zu sagen: Wir finden das genauso schrecklich wie ihr! Und man hat das genau in den Gesichtern gesehen. Auf der einen Seite die Verachtung gegenüber Israel und auf der anderen Seite die tiefe Dankbarkeit, dass die diese Schwelle überwunden haben und in diese Familie gehen. Da gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass dieser Wille, die eigenen Gräben zu übersteigen, auch durch den Krieg bei vielen nicht ausgelöscht sein wird.

Ende Januar will Stephan Wahl auf jeden Fall wieder zurück nach Jerusalem. Nach Hause, wie er sagt.

Obwohl es so schwierig ist, im Moment in diesem Land zu leben. Ich bin trotz allem immer noch dankbar, jeden Morgen in Jerusalem aufwachen zu dürfen. Und ich bin gerne hier in Deutschland, aber je länger ich dann immer hier bin merke ich, dass ich sage: hier ist meine Heimat, aber zu Hause bin ich in Jerusalem.

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SWR1 3vor8

25DEZ2023
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Der Stall mit dem neugeborenen Kind in der Krippe. Daneben Maria und Josef. Draußen auf den Feldern die Hirten, die Wache bei ihren Tieren halten. Und über der ganzen Szene die himmlischen Chöre, die vom Frieden auf Erden singen. Die Geschichten der Weihnachtsnacht sind voll von herzerwärmenden Bildern und großen Gefühlen. Randvoll zudem mit der Sehnsucht so vieler Menschen nach Frieden, Glück und Harmonie. Doch nun ist die Nacht vorbei. Nun ist es Tag und in den katholischen Kirchen ist eine ganz andere Geschichte zu hören. Eine Geschichte, die eher philosophisch daherkommt. Die meinen Verstand ansprechen will und nicht so sehr Herz und Gemüt. Ja, die fast schon wie ein Gegensatz erscheint zur Familiengeschichte im Stall von Bethlehem. Und doch ist sie eine Weihnachtsgeschichte. Denn die ersten Verse des Johannesevangeliums erzählen von Gottes Wort, das in die Welt gekommen ist. Sie erzählen davon, dass dieses Gotteswort „Fleisch geworden“ ist in einem Menschen und dass es „unter uns gewohnt“ (Joh 1,14) hat. Im Griechischen steht dafür das Wort „Logos“. Das wird zwar meistens mit „Wort“ übersetzt. Tatsächlich aber bedeutet es viel mehr. Gott selbst, so will dieser Weihnachtstext damit sagen, ist in die Welt gekommen. In einem konkreten Menschen, in Jesus aus Nazareth, konnte man ihm begegnen.

Diese beiden so grundverschiedenen Weihnachtsgeschichten habe ich lange nur sehr schwer zusammen bekommen. Der Stall, das kleine Kind und die Hirten am einen Tag, und dann diese abstrakten Gedanken vom göttlichen Wort am andern. Heute finde ich, dass das sogar ganz gut zusammenpasst. Ein hilfloses Kind in einem armseligen Stall ist ein wunderbares Bild. Es kann mich anrühren und mir zeigen, wie das gemeint sein soll mit dem Frieden auf Erden. Aber das Bild zerbricht schnell an der brutalen Wirklichkeit, auch heute. Wo russische Truppen gezielt Kinderkrankenhäuser bombardieren und ukrainische Kinder töten. In meiner Wut und Hilflosigkeit hilft mir da der Gedanke vom göttlichen Wort, das in die Welt gekommen ist und sie nie verlassen wird. Das auch heute bei denen sein will, die unter der Gewalt anderer leiden und sterben. Und auch bei denen, die verzweifelt um den Frieden ringen. In der Ukraine, in Israel und anderswo. Wenn Kinder dort wieder unbeschwert und ohne Angst leben und aufwachsen können, dann hätte sich der tiefere Sinn von Weihnachten erfüllt.

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SWR4 Sonntagsgedanken

17DEZ2023
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Genau eine Woche noch, dann ist Heiligabend. „Endlich“ sagen die einen, vor allem wohl viele Kinder, denen diese Adventszeit schon jetzt viel zu lange dauert. „Na und“ werden dagegen andere sagen, denen das Fest nur wenig bedeutet. Weil sie nichts damit anfangen können oder niemanden haben, der es mit ihnen feiert. „Was? Schon?“, das rufen eher die, die gerade vor lauter Hektik kaum noch zur Besinnung kommen. Denen noch alle Geschenke fehlen und die noch gar nichts vorbereitet haben.
Es ist eine ziemlich bunte Gemengelage in diesen Tagen kurz vor Weihnachten. Und da hinein heißt es in den katholischen Kirchen heute: Freut euch! So heißt nämlich dieser dritte Adventssonntag: Gaudete! Zu deutsch: Freut euch! Ehrlich gesagt, lange hat das für mich immer ein bisschen wie ein Befehl geklungen. Irgendwie nach: „Jetzt freu dich endlich!“ „Weihnachten steht vor der Tür und da hat man sich gefälligst zu freuen.“ Als Katholik ist man das zwar gewohnt: Du darfst nicht. Du musst. Du sollst. Aber sich freuen auf Kommando, das erscheint dann doch ziemlich grotesk. Und ist so wohl auch nicht gemeint. Freut euch! Das soll eher heißen: Ihr dürft euch freuen. Ihr habt Grund dazu.
Nur fällt das derzeit nicht unbedingt leicht. Auch mir nicht. Viele Menschen, die ich kenne, tun sich gerade schwer damit, sich einfach unbeschwert zu freuen. Haben den Eindruck, dass bei jedem Lachen trotzdem ein Kloos im Hals stecken bleibt. Und ja, selbst manchem Fastnachter fällt das Lachen inzwischen ein bisschen schwerer. Zu sehr drücken all die Krisen aufs Gemüt. Nach der Pandemie gleich der Krieg, all der Hass, die riesige Zahl vertriebener Menschen. Eine globale Klimakrise, die sich von Jahr zu Jahr weiter verschärft. Und über allem die Ungewissheit, was das alles für mich bedeutet. Für meine Zukunft, mein bisschen Glück. Freut euch! Fast schon naiv klingt das, wie das Pfeifen im dunklen Wald.
„Freut euch“, das steht so in der Bibel. In einem Brief an die Christengemeinde in Philippi im heutigen Griechenland. Da heißt es: Freut euch! Denn der Herr ist nahe. (Phil 4,4f) Wenn ich mir die Zeit im ersten Jahrhundert vor Augen führe, als diese Briefe entstanden sind, dann dürfte die allerdings kaum besser als heute gewesen sein. Christen waren eine winzige Minderheit. Und die Aufforderung sich zu freuen zeigt mir: Schon damals haben sich einige schwer damit getan. Freut euch, das ist auch kein Appell. Vielmehr eine Erinnerung. Erinnern an eine Hoffnung.

Worüber freue ich mich eigentlich? Da überrascht mich ein Mensch, der mich gut kennt, mit meiner Lieblingsschokolade. Einfach so, ohne Anlass. Darüber freue ich mich! Ein Violinstück, an dem ich schon wochenlang übe, gelingt mir endlich. Ich bin stolz auf mich und freue mich. Ein Projekt im Job läuft genau so, wie ich es geplant hatte. Das freut mich.
Ich merke: Es sind kleine Dinge, die mein Leben für einen Moment heller machen, die Seele streicheln, mir gut tun. Selbst dann, wenn die Welt gerade alles andere als erfreulich ist. Und es gibt ja noch eine andere Freude, die sogar in die Zukunft reicht. Auf ein paar Tage Urlaub freue ich mich oft schon Wochen im Voraus. Stelle mir vor, wie gut mir die Erholung tut. Pure Vor-Freude also! Hoffen auf das, was bald schon sein wird.
So eine Vor-Freude müssen die Christen damals gehabt haben. Fest haben sie darauf gehofft, dass Jesus bald wiederkommen wird. Sicher, er war am Kreuz gestorben und jetzt im Himmel. Aber von dort würde er zurückkommen. In Kürze schon, ganz sicher. Und dann, so hofften sie, werde Gottes neue Welt anbrechen und alles Elend hier ein Ende haben. Glücklich würden sie sein. Darauf haben sie vertraut. Darauf haben sie sich gefreut. Und daran sollen sie sich erinnern: „Freut euch. Der Herr ist nahe!“
Heute, 2000 Jahre später, erscheint das ziemlich naiv. Trotzdem hoffe ich als Christ darauf, dass Gottes neue Welt kein Hirngespinst bleibt. Dass sie einmal sein wird. Irgendwann. Die Bibel spricht in menschlichen Bildern davon: Von einem neuen Himmel und einer neuen Erde, wo Gerechtigkeit herrscht. Wo kein Tod, keine Trauer, keine Klage mehr sein werden. Aber wie und wann das sein wird, das weiß ich nicht.
In einer Woche ist Weihnachten. Da erinnern sich auch heute noch Christinnen und Christen überall auf der Welt, dass Gott diese Welt nicht vergessen hat. Dass er in einem Menschen in diese Welt gekommen ist
Konkret und greifbar. Und dass er durch das, was dieser Jesus später gesagt und wie er es vorgelebt hat, eine Hoffnung in die Welt gesetzt hat. Eine Hoffnung in den Köpfen und Herzen. Freut euch darüber, heißt es heute, und hört nie auf zu hoffen. Auf eine bessere Welt, die möglich ist.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

29NOV2023
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In den letzten Wochen ist es mir schon manchmal schwergefallen, morgens das Haus zu verlassen. Wenn es draußen regnet und stürmt. Wenn feuchte Kälte in jede Ritze kriecht. Bestimmt war ich damit nicht alleine. Aber ich merke dann auch besonders, wie gut jeder kleine Lichtblick in diesen Tagen meiner Seele tut. Wenn zumindest einen Moment lang ein Stückchen blauer Himmel zu sehen ist. Wenn die Wolken aufreißen zwischen zwei Regenfronten und ab und zu sogar ein paar Sonnenstrahlen durchlassen. Es sind Tage, an denen dann auch ein Regenbogen in den Wolken erscheint. Natürlich weiß ich, wie so ein Bogen physikalisch entsteht. Trotzdem, wenn ich ihn in diesen Tagen sehe, dann muss ich einfach an Gottes Bogen in den Wolken denken. So jedenfalls steht es in der Bibel. Am Ende jener Geschichte, die von der alles zerstörenden Sintflut erzählt. Als der Regen nämlich endlich aufhört, heißt es da, da stellt Gott seinen Bogen in die Wolken. Als Friedenszeichen. Gott, der den Regen zuerst aus Zorn geschickt hatte, wie es die Bibel erzählt, besinnt sich also. Er will keine völlige Zerstörung mehr, kein unendliches Leid. Nie wieder, heißt es da. Gott stellt seinen Friedensbogen in die Wolken. Ein wunderbares Bild.

Was das Bild leider nicht verheißt: Dass es ab sofort kein Leid mehr geben wird. Das werden wir weiter ertragen müssen. Vermutlich auch, solange diese Welt existiert. Was es deshalb unbedingt braucht, sind solche Regenbogentage. Ganz besonders, wenn es mal wieder dicke kommt, es trübe und dunkel wird im Leben. Weil mir eine Krankheit zu schaffen macht. Weil ich einsam bin. Weil ein anderer mich tief verletzt und verstört hat. Dann sehne ich mich nach einem Lichtblick, der das Grau der trüben Gedanken für einen Moment durchbricht. Vielleicht ja durch eine nette Begegnung, die mich wieder aufleben lässt. Ein liebevolles Wort, das meine Seele streichelt. Oder auch einfach durch einen leuchtenden Regenbogen vor meinem Fenster. Mitten im tristen Novembergrau.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

28NOV2023
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Bärbel Bas, die Präsidentin des Deutschen Bundestags hat Klartext geredet: „Euer Verhalten widert die Leute an“. Ihren Abgeordnetenkolleginnen und -kollegen hat sie das kürzlich ins Stammbuch geschrieben. Immer wieder bekomme sie Zuschriften von Bürgern. Und die beschwerten sich darüber, dass sich manche Mitglieder im sogenannten Hohen Haus aufführten wie Halbstarke auf dem Pausenhof. Bas möchte nun erreichen, dass die Geldbußen für Pöbeleien und persönliche Beleidigungen im Parlament drastisch erhöht werden.

Dabei spiegeln die Umgangsformen mancher Abgeordneter ja nur wider, was sich seit ein paar Jahren überall zeigt. Leider! Man muss nur in Internetforen schauen. Im Bus den Leuten zuhören. Sich manche Slogans anschauen, die auf Demoplakaten herumgetragen werden. Natürlich darf ich aussprechen, was mich ärgert. Und wenn ein anderer in meinen Augen etwas falsch gemacht oder gesagt hat, dann darf ich ihm das auch sagen. Die Frage ist bloß, wie ich das tue. Und da ist auch mein Eindruck – nicht nur im Parlament – dass der Ton immer öfter verroht. Dass es gar nicht um die beste Lösung zu gehen scheint, sondern darum, den anderen abzukanzeln. Als minderbemittelt, gestört oder gleich als kriminell. Das Wort „Volksverräter“ für Politiker, die anders denken als man selbst, ist ein trauriger Tiefpunkt.

Klar, die Vorstellung, dass ICH auch falsch liegen könnte, nicht genug nachgedacht habe, ist schon schwer zu ertragen. Trotzdem soll es ja vorkommen, dass auch ein Anderer mal recht hat. Wer das dann auch zugeben kann, hat immerhin eine wichtige christliche Tugend gelernt. Sie heißt Demut. Der große Papst Johannes XXIII. hat das einmal wunderbar zum Ausdruck gebracht, als er zu sich sagte: „Johannes, nimm nicht dich nicht so wichtig.“ Ich darf mich ernst und auch wichtig nehmen. Bloß sollte ich dabei nie vergessen, dass ich nicht den Stein der Weisen habe, nicht schlauer oder besser bin als die meisten anderen. Ja, dass sogar das, was andere sagen, manchmal ernst und wichtig sein kann.                                                                           

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

27NOV2023
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Eine Bekannte erzählt mir, dass sie bald Oma wird. Sie freut sich riesig auf das Enkelkind, fast so wie die werdenden Eltern. Aber dann erzählt sie mir, dass die jungen Eltern sich auch bohrende Fragen stellen. Ob das bei aller Vorfreude auf das Kind nicht irgendwie auch verantwortungslos ist. Ein Kind in eine Welt zu setzen, die scheinbar jede Woche mehr aus den Fugen gerät. Eine Welt, in der Krieg auch hier bei uns wieder vorstellbar wird. Eine Welt, bei der nicht mehr so ganz klar ist, ob sie klimatisch in fünfzig Jahren überhaupt noch bewohnbar sein wird. Was für eine Zukunft wird ein Kind erwarten, für das Eltern doch immer das Beste wollen.

Ich kann die jungen Leute verstehen. Ihre Fragen richten sich indirekt ja auch an mich und meine Generation: Was habt ihr damals eigentlich getan, um eine lebenswerte Welt zu hinterlassen? Und nun schaut euch an, was für eine Welt ihr uns stattdessen übergeben habt!

Ich bin mir sicher: Auch diese jungen Eltern werden Fehler machen, so wie wir auch. Auch sie werden am Ende nicht alles Menschenmögliche getan haben, um die Erde zu einem friedlichen, lebenswerten Ort zu machen. Aber ich bin mir auch sicher, dass sie kaum etwas Besseres tun können, als ein Kind in diese Welt zu setzen. Eine Welt die Hoffnung und Zuversicht so dringend braucht. Wir sind ja nicht nur Opfer der Verhältnisse. Wir können die Welt gestalten. Und in jedem Kind schlummert die Chance auf eine bessere Zukunft. Und deshalb wünsche ich diesen jungen Eltern auch, dass sie ihrem Kind genau das fürs Leben mitgeben können. Die felsenfeste Hoffnung, dass es immer möglich ist, etwas zum Besseren zu verändern, auch wenn es noch so unwichtig und unscheinbar erscheint. Im eigenen Umfeld, dem Ort, in dem ich lebe, in der Kirche. Verbunden mit der Zuversicht, dass das nicht nur theoretisch möglich ist, sondern dass es wirklich gelingen kann.

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Anstöße sonn- und feiertags

26NOV2023
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„Christkönig“. So heißt das Fest, das die katholische Kirche heute feiert. Seit fast hundert Jahren gibt es das. Bloß scheint es inzwischen ziemlich aus der Zeit gefallen, selbst für fromme Katholiken. Viel präsenter dürfte sowieso der Totensonntag sein, den die evangelischen Christinnen und Christen heute feiern. Erstaunlich ist das nicht. Mit dem Tod bekommt schließlich jede und jeder von uns zu tun. Weil ein geliebter Mensch plötzlich nicht mehr das ist. Oder weil ich selbst merke, dass auch meine Zeit begrenzt ist. Die Idee von einem König Christus erscheint dagegen doch ziemlich abstrakt und weit weg.

Und trotzdem, finde ich, passt beides zusammen. Weil ich als Christ auch darauf hoffe, dass da noch was kommt nach dem Tod. Natürlich weiß ich, dass mein Leben hier irgendwann zu Ende ist. Aber ich vertraue eben darauf, dass danach nicht einfach Nichts ist. Dass etwas von mir weiterlebt. Wie genau das sein wird, das weiß ich nicht. Aber ich hoffe darauf. Und Hoffen hat ganz viel mit dem Glauben zu tun.

Und noch etwas erhoffe ich mir als Christ: Dass es Gerechtigkeit gibt über den Tod hinaus. Dass all die Diktatoren und Tyrannen, die sich für ihre Taten nie verantworten mussten, doch noch Rechenschaft ablegen müssen. Und dass ihre Opfer eine späte Gerechtigkeit erfahren, wenigstens nach ihrem Tod. Auf so eine umfassende Gerechtigkeit haben schon die Menschen der Bibel gehofft. Sie haben sich das wie eine Art Gerichtsprozess vorgestellt. Mit einem König Christus als Richter. Es ist ein ziemlich menschliches Bild für diese Hoffnung. Aber es bleibt eben ein Bild.

Ich selbst brauche diese Bilder nicht. Das Bild dieses Gerichts nicht und auch nicht das eines Königs auf einem Thron. Ich finde sogar, dass sie Gott, der doch unbegreiflich ist, allzu menschlich machen. Aber dass da noch etwas kommt nach dem Tod, wie auch immer es sein wird. Und dass Unrecht nicht einfach ungesühnt bleiben darf, das ist trotzdem meine große Hoffnung. Und die gehört zu meinem Glauben untrennbar dazu.

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SWR1 3vor8

19NOV2023
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Wer sich anschaut, wie es um den Wohlstand in Deutschland steht, der könnte schon zornig werden. Denn Wohlstand ist auch in unserm Land äußerst ungleich verteilt. Während die Wohlhabenden in den letzten Jahren ihr Vermögen oft noch vermehren konnten, sind viele, die kaum etwas haben, sogar ärmer geworden.

Auf den ersten Blick scheint das einen Satz zu bestätigen, der heute in den katholischen Gottesdiensten zu hören ist. Da heißt es nämlich: „Wer hat, dem wird gegeben werden und er wird im Überfluss haben; wer aber nicht hat, dem wird auch noch weggenommen, was er hat.“ (Mt 25,29) Zugegeben, so ein Satz, dazu noch in der Bibel, klingt schon ziemlich krass. Vor allem, weil er am Ende eines Gleichnisses steht, das Jesus selbst erzählt haben soll. Vordergründig geht es auch da um Geld. Um sehr viel Geld sogar. Ein reicher Mann, heißt es, hat es seinen drei Dienern anvertraut. Die sollen sich darum kümmern, solange er weg ist. Kurz gesagt: Zwei schaffen es, das anvertraute Geld zu vermehren. Der Dritte aber geht auf Nummer Sicher. Er versteckt das Geld lieber, gibt es dem Mann nach langer Zeit unversehrt zurück - und wird genau dafür bestraft.

Ich fand das irgendwie immer unfair. Hab immer ein wenig Mitleid gehabt mit diesem dritten Diener. Dabei hatte der doch bloß Angst, etwas falsch zu machen. Zu versagen. Das kenne ich nämlich auch. Und ich weiß, es geht vielen so. Nur, Geldgeschäfte haben Jesus nie besonders interessiert. Was ihn interessiert hat, war das Leben und wie es gelingt. Und zu jedem Leben gehört eben auch die Angst. Die ist wichtig, weil sie vor Gefahren warnt. Aber sie kann Leben auch verhindern, wenn sie mich beherrscht und übermächtig wird. Und darum geht es: Die Angst nicht übermächtig werden zu lassen. Mir klar zu werden, was ich kann. Wo ich gut bin. Und dann: Etwas daraus zu machen – auch auf die Gefahr hin, dass ich vielleicht scheitere. Denn wenn ich nie etwas wage, kann ich auch nichts gewinnen. Kein Glücksgefühl, weil mir ein Beitrag fürs Radio vielleicht gut gelungen ist. Keinen dankbaren Händedruck eines Bekannten, dessen Frau gestorben ist. Weil ich meine Scheu überwunden und ihn in seiner Trauer besucht habe.

„Wer hat, dem wird gegeben werden“. Für mich heißt das darum: Auch du kannst was. Bring dich ein damit in die Gesellschaft. So kannst du nicht nur Anderen Gutes tun. Du profitierst selbst davon. Hier und jetzt und später vielleicht durch einen Platz im Himmel.

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SWR3 Gedanken

11NOV2023
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Hin und wieder begegnen mir Menschen, die konsequent und bedingungslos ihrer Überzeugung folgen. Keine Kompromisse dulden. Zum Beispiel der überzeugte Klimaschützer, der kein Auto hat, jede Flugreise kategorisch ablehnt. Und der auch andere immer wieder penetrant darauf hinweist, dass sie anders leben müssten.

Ich gebe zu, ein bisschen bewundere ich ja solche Menschen, auch wenn sie ziemlich anstrengend sein können. Weil sie gradlinig für das einstehen, was ihnen wichtig ist. Weil sie bereit sind, dafür persönliche Nachteile in Kauf zu nehmen. Ich tue mich da schwer, obwohl mir Klimaschutz und vieles andere am Herzen liegt. Vielleicht, bin ich zu schwach oder zu inkonsequent. Vielleicht bin ich aber auch einfach nur zu katholisch.

Katholisch, das heißt eigentlich nämlich weit und umfassend. Genau das Gegenteil also von eng und kleinkariert. Es bedeutet, leben und andere leben lassen zu können. Klar zu haben, was angesagt und geboten ist. Aber auch zu sehen, dass wir alle nur Menschen sind, die schwächeln. Die sündigen, wie die Kirche das nennt. Ich und alle anderen auch. Dass meine Kirche das viel zu oft vergessen hat. Menschen drangsaliert und ihr Leben eng gemacht hat, finde ich traurig.

Aber wenn ich nun erlebe, wie kompromisslos und unversöhnlich, ja, hasserfüllt inzwischen um so Vieles unter uns gestritten wird, dann denke ich manchmal: Ein bisschen mehr von dem, was katholisch eigentlich meint, weit, tolerant und gelassen, täte uns allen ganz gut.

                                                                                                         

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SWR3 Gedanken

10NOV2023
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In den Zug, in dem ich sitze, steigt eine junge Frau ein, das Handy am Ohr. Sie setzt sich, nicht weit von mir weg. Ich weiß nicht, mit wem sie da redet, verstehe sie auch nicht. Aber die junge Frau redet und redet. Mehr als eine Stunde geht das so. Irgendwann bin ich ziemlich genervt - und komme ins Grübeln. Nur ein paar Tage vorher ist mir in einem Café nämlich ein älteres Paar aufgefallen. Lange saßen die beiden zusammen am Tisch, sprachen kein Wort miteinander. Ob die sich auseinandergelebt, sich nichts mehr zu sagen haben, hab ich gedacht. Dann sagte die Frau doch etwas. Der Mann antwortete nicht. Er schaute sie nur an und beide lächelten.

Vielleicht liegt genau da ja der Unterschied zwischen „kennen“ und „Vertraut sein“. Kennen kann ich ziemlich Viele. Doch wenn ich ehrlich bin, weiß ich von den einzelnen Menschen oft erschreckend wenig. Ihre Hobbies vielleicht, wo sie arbeiten oder welche Musik sie mögen. Ganz anders ist das bei den Menschen, die mir vertraut geworden sind. Das sind nur sehr wenige. Meine Frau zum Beispiel. Natürlich gibt es immer noch genug zu erzählen und zu besprechen. Um sich zu verstehen aber, da braucht es oft nur ganz wenig. Manchmal sogar nur einen Blick und ein Lächeln.

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