SWR1 Begegnungen

26DEZ2023
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Stephan Wahl Foto: privat

… und mit Stephan Wahl. Seit mehr als fünf Jahren schon lebt der Priester des Bistums Trier nun in Jerusalem. Davor war er viele Jahre lang für die Kirche bei Hörfunk und Fernsehen unterwegs. Hat das „Wort zum Sonntag“ gesprochen und ein paar Jahre auch diese Sendung „Begegnungen“ gemacht. Zur Zeit ist er auf Heimaturlaub - und auf einer Lesereise. Unter anderem mit Psalmen, die er in den vergangenen Jahren in Israel geschrieben hat. Schon sehr früh, als Austauschschüler erzählt er mir, habe er sich in dieses Land verliebt.

Und dass ich zum Ende meiner beruflichen Tätigkeit dann die Möglichkeit bekam, noch mal was völlig Anderes zu machen und dann in dem Land, in das ich mich schon früh verliebt hatte, ist für mich eine große Herausforderung und ein großes Geschenk.

Als deutscher Christ im Heiligen Land vermeidet Stephan Wahl es, sich auf eine Seite zu schlagen. Vielmehr versucht er beide, soweit das möglich ist, irgendwie zu verstehen.

Ich bin kein Palästinenser, ich bin kein Israeli. Ich werde nie ein Palästinenser, nie ein Israeli sein. Wenn, stehe ich auf beiden Seiten oder auf keiner. Es ist nicht mein Land. Also von daher surfe ich zwischen den Fronten und das war vor dem Krieg schon schwierig genug. Und jetzt muss ich sagen, es zerreißt es mich.

Was das konkret heißen kann, dieses innere Zerissensein, schildert er mir mit einem Erlebnis, das er während der mehrtägigen Feuerpause im November erlebt hatte.

Ich war am letzten Tag der Feuerpause nach Tel Aviv gefahren und war dann auch auf dem Platz vor dem Museum, der jetzt der „Vermissten-und Geisel-Platz“ heißt. Die haben ihn umbenannt. Es ist sehr bewegend. Da steht der große Schabbat-Tisch, der leer ist mit so und so viel Stühlen. Für jede gefangene Geisel einer, und einen Teller und dann ein Glas. Aber niemand sitzt dort. Und viele Leute waren da. Sehr eindrückliche und belastende Stimmung. Von da aus bin ich zurück in mein arabisches Shuafat, wo ich wohne, ich wohne in Ostjerusalem, und da springen einem die Gesichter entgegen, die um ihre Verwandten und Freunde in Gaza zittern oder trauern oder weinen. Das zerreißt dich.

Und ich frage mich und auch ihn, wie da jemals wieder Frieden herrschen kann, bei so viel Leid und so viel Hass.

Die Frage wüsste ich auch gerne beantwortet. Im Moment weiß ich nicht, wie diese offenen Wunden auf beiden Seiten irgendwie zu schließen sind. Das Land hat viel erlebt. Seit Israel existiert werden laufend Wunden geschlagen und nur notdürftig verdeckt. Aber ich sage trotzdem, ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass vielleicht irgendetwas passiert, was wir jetzt nicht überschauen, was ermöglicht, über diese Gräben zu springen.

Was ihm trotz Allem ein bisschen Hoffnung macht, darüber sprechen wir gleich.

…ich spreche mit Stephan Wahl, der seit 2018 in Israel lebt.

Seit dieser Krieg dort tobt frage ich mich, wie Juden, Muslime und auch Christen in dieser Katastrophe überhaupt zu Gott beten können. Einen Gott, den es doch eigentlich auch zerreißen müsste. Wie geht es ihm damit seit dem 7. Oktober?

Mir geht es da so, wie es mir bei der Ahr-Katastrophe ging. Und ich mich wiedergefunden habe in dem Versuch, trotz allem zu glauben, wie es uns die Psalmen lehren. Die ja mit Gott sehr hart ins Gericht gehen zwischendurch. Und ich kann nicht trösten im Moment mit: Der liebe  Gott wird schon alles irgendwie gut machen. Das wird alles fade, wenn man es schon sagt. Mein Gebet ist eigentlich, ihm diese Fragen in den Himmel zu schleudern und zu fragen: Wie kann das sein? Wie kannst du das selber aushalten, dass in deinem Heiligen Land, das so oft unheilig ist, so was passiert?

Scheitert unser Reden vom „lieben Gott“ also an der Realität?

Deswegen bin ich immer vorsichtiger, was fromme Sprüche angeht. Also ich, ich kann diesen Satz nicht mehr schreiben: Gott weiß, oder Gott hat das und das gemacht. Ich weiß nicht. Ich kann mir das vorstellen, ich kann mir das wünschen, ich kann es bitten, ich kann es erflehen. Aber ich weiß es nicht.

Gibt es denn bei all diesen Gräben etwas, das Hoffnung macht für die Zeit danach. Wenn die Waffen schweigen und die Menschen ja weiter miteinander leben müssen?

Hoffnung macht mir zum Beispiel die israelische Menschen- und Friedensbewegung Tag Meir. Das sind Israelis, die sich einfach nicht nehmen lassen, Menschenrechtsverletzungen auf beiden Seiten anzugehen und auch entsprechend zu reagieren. Zum Beispiel vor Jahren: Ein behinderter Palästinenser, Autist, junger Mann. In der Altstadt von einem Soldaten, der meint, er wär ein Terrorist, weil er sich auffällig verhalten hat, der wird erschossen, was ein entsetzliches Drama ist. Dann geht Tag Meir, gehen Israelis in das Trauerzelt der Familie und ich bin damals mitgegangen - ich merke jetzt, dass es mich noch berührt, wenn ich es erzähle - um bewusst zu sagen: Wir finden das genauso schrecklich wie ihr! Und man hat das genau in den Gesichtern gesehen. Auf der einen Seite die Verachtung gegenüber Israel und auf der anderen Seite die tiefe Dankbarkeit, dass die diese Schwelle überwunden haben und in diese Familie gehen. Da gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass dieser Wille, die eigenen Gräben zu übersteigen, auch durch den Krieg bei vielen nicht ausgelöscht sein wird.

Ende Januar will Stephan Wahl auf jeden Fall wieder zurück nach Jerusalem. Nach Hause, wie er sagt.

Obwohl es so schwierig ist, im Moment in diesem Land zu leben. Ich bin trotz allem immer noch dankbar, jeden Morgen in Jerusalem aufwachen zu dürfen. Und ich bin gerne hier in Deutschland, aber je länger ich dann immer hier bin merke ich, dass ich sage: hier ist meine Heimat, aber zu Hause bin ich in Jerusalem.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39064
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