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SWR2 Wort zum Tag

01JUN2023
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Eines meiner liebsten Märchen ist das von Hans im Glück. Die Geschichte vom dummen Hans, der mit einem Klumpen Gold loszieht, diesen für ein Pferd tauscht, das Pferd für eine Kuh, die Kuh für ein Schwein, das Schwein für eine Gans. Zuletzt lässt er sich von einem Scherenschleifer einen alten Wetzstein andrehen, der ihm prompt in einen Brunnen fällt. So kommt er mit leeren Händen nach Hause.

Wie kann man nur so dumm sein? könnte man fragen Der Klumpen Gold war doch wertvoll, Hans hätte sich eine ganze Pferdeherde dafür kaufen können, Kuh Schwein und Gans noch dazu. Und der Tölpel merkt noch nicht einmal, dass sich alle über ihn lustig machen und ihn übers Ohr hauen. Am Ende ist der närrische Kerl noch froh darüber, dass er auch noch seine letzten Habseligkeiten verliert und kehrt glücklich zu seiner Mutter zurück. Na, die wird ihm aber was erzählt haben!

Es bleibt aber die Frage, wer die eigentlich Dummen in diesem Märchen sind. Ich meine: Der Hans ist es nicht. In seiner unschuldigen Naivität ist er nämlich die glücklichste Figur in der ganzen Geschichte. Er bekommt ja alles, was er sich wünscht, und er muss es sich noch nicht mal ergaunern. Sogar für den Verlust des Wetzsteins dankt er am Ende Gott auf den Knien: der Stein war ihm doch arg lästig gewesen. Wie armselig sehen dagegen diejenigen aus, die ihm auf seinem Weg begegnen. Ihre diebische Freude wirkt schal gegen die ehrliche Begeisterung des Jungen.

Ob sie später wenigstens Gewissensbisse hatten, weil sie einen einfältigen Menschen betrogen haben? Ich fürchte: Nein. Doch dem Märchen ist ihr weiteres Geschick gleichgültig. Es blickt auf Hans im Glück. Während die anderen in ihren Begierden gefangen bleiben, ist der zum Schluss ganz frei. Und diese Freiheit kann sich niemand erhandeln oder ergaunern, da hat Hans ganz recht, dass er Gott dafür dankt. Befreit von jeder Last läuft er zu seiner Mutter. Während die anderen auf ihre Beute starren, blickt Hans einem lieben Menschen in die Augen.

Seine Mutter wird ihm sicherlich viel erzählt haben. Sie wird ihm erzählt haben, wie sehr sie sich darüber freut, dass er wieder zuhause ist. Sie wird ihren Hans in die Arme genommen haben. Vielleicht haben beide dann gemeinsam Gott dafür gedankt, dass er ihnen das Wertvollste geschenkt hat, das es gibt: die liebevolle Zuneigung eines Menschen.

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SWR2 Wort zum Tag

08MRZ2023
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Atmen kann man als rein physiologischen Vorgang begreifen. Sauerstoff wird vom Organismus aufgenommen und Kohlendioxid wieder abgegeben. Das ist eine Beschreibung aus biologischer Perspektive. Atmen ist jedoch mehr. Eine Atemtherapeutin hat einmal gesagt: Man ist, wie man atmet. Diese Aussage hat Bezüge zum biblischen Verständnis von Atem. Denn in der Bibel steht der Atemvorgang für den ganzen Menschen und seine Persönlichkeit.

Die Bibel sieht die Verbindung zwischen dem Atem, der in uns strömt, und dem Geist, der in uns atmet. Und wenn wir sagen, dass wir Luft zum Atmen brauchen oder dass uns etwas die Luft nimmt, dann meinen wir mehr als das körperliche Geschehen.

Atmen geschieht buchstäblich nicht im luftleeren Raum. Die Räume, in denen wir uns aufhalten und bewegen, haben einen direkten Einfluss darauf, wie frei oder mühsam wir atmen können. Ist der Raum hell und luftig, oder vollgestellt und drückend eng, eine „dumpfe Stube“. All das hat Auswirkungen auf unser Atmen und auf unseren Geist. Besonders betroffen davon sind unsere Kinder, die sich nicht aussuchen können, in welchen Räumen sie leben und atmen müssen.

Ich erinnere mich noch genau an die Schule, in der ich in meinen ersten Amtsjahren Religionsunterricht gegeben habe. An die schmutzigen Wände in dem düsteren Gebäude aus der Jahrhundertwende, das genauso gut eine Kaserne hätte sein können. Es ist sträflich, dass nach wie vor Kinder in lieblos gestalteten, angsteinflößenden Schulgebäuden lernen müssen. Bei manchen Gebäuden aus den sechziger Jahren weiß man nicht, was gefährlicher ist: Asbest in den Dächern oder die Architektur. Oft genug fällt dann noch der Sportunterricht an der frischen Luft aus – im einzigen Freiraum, in dem ein frischer Wind wehen kann. Das ist ein Skandal in einem reichen Land wie der Bundesrepublik.

Menschen - und besonders unsere Kinder - brauchen Räume, in denen sie den Geist der Menschlichkeit atmen und sowohl ihre Lungen als auch ihre Kreativität entfalten können. Wir Menschen - junge und alte - brauchen inspirierende Räume.

Als Christin meine ich: Wir brauchen Räume, in denen Gottes schöpferischer Geist wehen kann, und in denen wir diesen Geist atmen und uns inspirieren lassen können.

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SWR2 Wort zum Tag

07MRZ2023
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Nach der biblischen Schöpfungsgeschichte formt Gott den Menschen aus Erde und bläst ihm den Atem des Lebens in seine Nase. Dieses biblische Bild beschreibt, dass wir Menschen Anteil haben an der göttlichen Kraft. In uns atmet der Geist Gottes. In besonders wertvollen Augenblicken kann ich das deutlich fühlen, und es bewegt mich bis in die Tiefen der eigenen Persönlichkeit. Ich habe die Geburt meines Kindes so erlebt, den ersten Schrei, wenn - bleiben wir einmal bei den Worten der Bibel - Gottes Atem in ein Neugeborenes strömt. Der erste Atemzug, das Wunder der Schöpfung. Ich finde es ein großartiges Bild, dass Gottes Atem in uns fließt und unsere Lungen und unser Leben, unsere ganze Persönlichkeit erfüllt. Es ist die göttliche Schöpfermacht, die uns am Leben hält und in jedem Atemzug erfahrbar werden kann.

Sicherlich ist es daher kein Zufall, dass unsere menschliche Fähigkeit, selbst kreativ zu wirken, mit Atem assoziiert wird - und zwar mit einem göttlichen Atem. Sprichwörtlich wird der Künstler durch die Muse geküsst. Ein Kuss - Atem vermischt sich, die Muse haucht ihre Inspiration ein, und so wird der Mensch fähig zum gestalterischen Prozess.

Ich glaube, dass alle Menschen so geküsst sind, mal mehr, mal weniger lang.

Dem finnischen Komponisten Sibelius ist es nach seiner 7. Symphonie nie gelungen, eine 8. zu schreiben. 30 Jahre lang hat ihn dann in der Einsamkeit der Inseln und Seen seines Heimatlandes eher der Geist des Alkohols erfüllt als der der Musik. Er hat es sozusagen nur unter Narkose ertragen, dass er nicht mehr geistvoll komponieren konnte.

Andere konnten damit besser umgehen. Richard Wagner hat einmal seinen Kollegen Rossini besucht, der – zwar immer noch berühmt und hochgeehrt – jedoch längst die Lust verloren hatte, Opern zu schreiben. Seine Leidenschaft galt inzwischen der Kochkunst. Als Wagner ihn in ein tiefsinniges Gespräch über die Zukunft des Musikdramas verwickeln wollte, hat ihn Rossini mit dem Hinweis unterbrochen: "Ich muss jetzt in die Küche!" Seine berühmten Tournedos Rossini verlangten eben die volle Aufmerksamkeit. Wagner hat den Ort des Geschehens schließlich entnervt verlassen.

Ich vermute: Rossini muss ein sehr glücklicher Mensch gewesen sein. Das wünsche ich mir auch: Dankbar sein für die schöpferischen Küsse, die ich empfangen habe, gelassen mit dem Ausbleiben umgehen können. Dankbar für mein Leben, das sich einem solchen schöpferischen, göttlichen Kuss verdankt. Und, ganz nebenbei, für die anderen Küsse auch.

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SWR2 Wort zum Tag

06MRZ2023
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Es gibt Momente im Leben, in denen es uns die Sprache verschlägt. Vor Aufregung, vor Schmerz, vor Lust… Und es gibt Lebensphasen, in denen wir noch keine oder keine Sprache mehr haben. Am Anfang unseres Lebens ist das so, da steht meist ein Schrei. Und dann dauert es ein Jahr, bis erste Wörter artikuliert werden und die Sprache zum wichtigen Mittel der Verständigung wird. Am Ende unseres Lebens mag es sein, dass die Sprache uns wieder abhanden kommt. Da bleibt dann vielleicht nur noch ein letzter hörbarer Atemzug. Und auch mitten in unserem Leben geschieht es - immer wieder - dass wir nicht sprechen, nicht einmal mehr schreien, sondern nur noch seufzen oder schweigen können.

Das kann übrigens auch dann passieren, wenn ein Mensch ganz Freude ist. Denn auch das ist möglich, dass es einen vor Freude hinreißt und der Jubel jenseits der Sprache liegt, ein Lachen, das mitten aus dem Herzen zu kommen scheint und einfach nicht zu fassen ist. Auch überschäumende Freude sprengt die Grenzen des Sagbaren.

Ich ahne, dass das daran liegen könnte, dass man sich selbst in diesen Augenblicken so nahe ist, dass man sich schon wieder fremd wird. Wie unbekanntes Gebiet, für das die Sprache fehlt. Oder erst noch erfunden werden muss. Dabei wollen doch gerade die sprachlosen Momente geteilt werden!

Beim Apostel Paulus findet sich im Römerbrief die bezaubernde Zusage, dass in solchen Augenblicken der Heilige Geist selbst in uns seufzt und Gott dieses Seufzen versteht. Wenn Menschen sich sprachlos selbst verloren zu gehen drohen, rettet Gott also vor Beziehungslosigkeit und Unverständnis. Und begreift, worum es geht. Die Zusage des Paulus mündet in den schönen Satz: Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen.

Auch Menschen, denen der Glaube fremd ist, kennen die Erfahrung, dass plötzlich mitten in der Sprachlosigkeit ein Wort im Herzen aufleuchtet, das tröstlich ist und Verständnis signalisiert. Du bist nicht allein!

Es gibt Momente im Leben, in denen es uns die Sprache verschlägt. Wir meinen dann vielleicht, wir seien allein. Wir sind es nie. In uns betet der Heilige Geist. Der Apostel Paulus meint übrigens, dass uns dieser Geist mit der ganzen Schöpfung verbindet, die  mit uns auf den Tag wartet, an dem kein Mensch und kein Geschöpf mehr vor Schmerz verstummen muss. Höchstens vor Freude. Und der, der die Herzen erforscht, hört uns.

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SWR2 Wort zum Tag

25JAN2023
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Ein Leben ohne Leiden? Das klingt nach einer absolut phantastischen Idee. „Ich wünsch dir Liebe ohne Leiden“ hat Udo Jürgens einmal gesungen. Was sollte daran auszusetzen sein? Nun, man kann es wünschen, es wird aber niemals funktionieren. Und das hat auch Udo Jürgens gewusst. Aus eigener Erfahrung!

In der Bibel bietet der Teufel Jesus jedoch genau das an. Er sagt zu ihm: „Hat Gott dir nicht versprochen, dass er seinen Engeln befohlen hat, dich auf Händen zu tragen, damit du deinen Fuß an keinem Stein stößt? Also kannst du es doch riskieren, dich von der Zinne des Tempels zu stürzen.“ Verführerisch, dieser Vorschlag. Ein kleiner Sprung als Gottesbeweis. Klingt einfach. Was könnte Jesus sich dadurch alles ersparen: Die mühsamen Auseinandersetzungen mit Schriftgelehrten und Pharisäern, den Ärger selbst mit der eigenen Familie, die vielen kranken und verzweifelten Menschen, die ihm überall hin nachgelaufen sind, die bockigen Jünger, von der Kreuzigung am Ende ganz zu schweigen… Ein kleiner Sprung nur. Ich stelle mir vor, dass die Engel in diesem Augenblick den Atem angehalten haben. Denn mit diesem Sprung würden Himmel und Erde zerreißen. Dann wäre Gott nur ein Zauberkünstler jenseits seiner Welt, ein himmlischer Kraftprotz. Ein Wünscheerfüllautomat. Dann gäbe es keine Hoffnung für alle Menschen, die in dieser Welt auch im Leiden auf der Suche sind nach der Nähe Gottes. „Du sollst Gott nicht versuchen,“ antwortet Jesus dem Teufel und bleibt standhaft. Er will der Welt und ihren Widersprüchen und ihrem Leid nicht ausweichen. Wird sich mit dem Glück und dem Elend seiner Menschen auseinandersetzen. Und damit sich und einem Gott treubleiben, der die Liebe ist. Denn die Liebe beweist sich nicht dadurch, dass sie sich von Engeln retten lässt, sondern dadurch, dass sie auch mühsame, steinige Wege mitgeht. Wenn es darauf ankommt, durch Krankheit und Schmerz bis zum Tod.

Zuletzt hat sich Jesus tatsächlich lieber selbst zerreißen lassen als zuzulassen, dass Himmel und Erde zerreißen. An dieser Liebe sind dann Tod und Teufel verzweifelt und letztlich gescheitert.

Weil das so ist, glaube ich daran, dass Jesus auch weiter die Wege von uns Menschen mitgeht, die schönen und die steinigen. Ganz sicher werden meine Füße sich noch an manchem Stein stoßen, doch werde ich keinen Schritt tun, bei dem ich nicht umgeben bin von seiner Liebe.

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SWR2 Wort zum Tag

24JAN2023
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Die ganze Welt besitzen – das klingt nach einer größenwahnsinnigen Idee. Und in der Tat ist es der Teufel, der in der Bibel ausgerechnet Jesus diesen Vorschlag unterbreitet. Der Teufel führt Jesus auf einen hohen Berg und zeigt ihm die Herrlichkeiten der Welt.

„Ich möchte im Sommer das Mittelmeer pachten“, hat Hildegard Knef einmal gesungen. Kein Problem, wenn man alle Aktien und Goldvorräte der Welt besitzt. Und wieso dann noch pachten? Das Mittelmeer gehört einem ja! Wonach sich alle James-Bond-Gegenspieler die Finger geleckt haben, serviert der Teufel Jesus auf dem Silbertablett: „Das alles will ich dir geben!“ Kleine, harmlose Bedingung: Jesus soll den Teufel anbeten. Nichts leichter als das! Viele Diktatoren und Mächtige dieser Welt haben nicht lange gezögert, sie gehen für ihre Portion Macht den Pakt mit dem Teufel ein. Jesus dagegen schlägt den Vorschlag aus. Denn was der Teufel anbietet, ist kein Geschenk, das wirklich Freude bereitet. Merkwürdigerweise sieht eine Welt im Exklusivbesitz recht traurig aus. So leben die James-Bond-Gegenspieler in der Regel in entlegenen Festungsanlagen und sind von der Angst getrieben, dass ihnen jemand die Macht streitig macht. Im richtigen Leben sieht es nicht besser aus. Ich zweifle daran, dass Putin ein wirklich glücklicher Mensch ist. Xi Jinping wirkt trotz seines Dauerlächeln auf mich nicht gerade wie ein innerlich zufriedener Mensch. Und ob die Mullahs im Iran tatsächlich im Sinne Gottes unterwegs sind darf getrost bezweifelt werden. Einmal ganz abgesehen davon, dass Macht, die nicht geteilt wird, schon immer zerstörerische Auswirkungen gehabt hat. Die Diktaturen dieser Welt sind dafür der beste Beweis!

Die Macht, die Jesus lebt, ist von ganz anderer Art. Zuerst und zuletzt lebt er die grandiose Freiheit, auf jegliche Demonstration von Macht zu verzichten. Keine Paläste, keine Paraden, keine Aufmärsche. Es hat schon eine eigene Komik, dass der Teufel dem Gottessohn eine Welt anbietet, die sich allein der Großzügigkeit des Schöpfers verdankt. „Weiche von mir, Satan“, sagt Jesus nur. Er hätte auch antworten können: „Spar dir die Mühe, die Welt gehört mir doch schon längst, aber anders, als du dir das wünschst und du es willst. Sie gehört mir, weil ich die Menschen liebe, und sie gehört mir so, wie Liebende einander gehören: Frei und leidenschaftlich, nicht als Besitz, sondern als kostbares, lebendiges Geschenk.

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SWR2 Wort zum Tag

23JAN2023
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Steine in Brot verwandeln – das klingt nach einer teuflisch guten Idee! Wenn das ginge, wäre doch auf einen Schlag eines der ganz großen Probleme der Menschheit gelöst. Doch wie so oft steckt auch hier der Teufel im Detail: In der Bibel wird davon erzählt, dass es der Teufel ist, der ausgerechnet Jesus diesen Vorschlag unterbreitet. Er sagt zu ihm: „Nur ein Wort von dir und diese Steine werden zu Brot!“ Diese Einladung kommt übrigens, nachdem Jesus 40 Tage in der Wüste gehungert hat. Da muss er doch eigentlich hungrig genug sein, um Steine in Brot zu verwandeln. Ein verführerischer Vorschlag, des Teufels würdig. Jesus wäre satt. Und der Hunger in der Welt wäre zumindest für einen Tag kein Thema mehr. „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein“ antwortet Jesus. Was für eine Antwort mit 40 Tagen Hunger im Bauch. Aber der Mensch braucht mehr! Nämlich gerechte Verhältnisse, die verhindern, dass Menschen noch nicht einmal das tägliche Brot haben.

Mit einem Tag Brot für alle sind die ungerechten Verhältnisse nämlich nicht aus der Welt zu schaffen, das weiß der Teufel genau. So wie er auch weiß, dass es Menschen gibt, die zwar genug zu essen haben, aber nach dem Sinn des Lebens hungern, nach Glauben, Hoffnung und Liebe. Für sie ist Jesus in die Welt gekommen, und diese Lebensaufgabe gibt er nicht auf für einen Tag Brot. Da sind so viele, die mehr brauchen. Die noch die Sehnsucht kennen nach Liebe. Die sich nicht vertrösten lassen wollen. Jesus speist sie nicht ab, stopft ihnen nicht den Mund, wiewohl es ihm ein Leichtes gewesen wäre, für einen Tag ein gefeierter Held zu sein. Und das ist ja gerade das Teuflische an dieser Versuchung: Es wäre doch wunderbar, wenn einen die Menschen anhimmeln, wie grandios, von allen geliebt zu werden. Und sei es nur für einen Tag. Leider fallen bis heute Menschen immer wieder auf diese teuflische Versuchung herein. Weil sie sich so danach sehnen, angebetet zu werden. Mag der Teufel es auch anders versprechen: Liebe kann man nicht kaufen. Liebe verschenkt sich.

Ich finde es im Grunde tröstlich, dass man so etwas Kostbares wie die Liebe nicht kaufen kann. Es wäre doch schrecklich, wenn die Mächtigen dieser Welt auch nach Lust und Laune über diese Gottesgabe verfügen könnten. So aber ist der ärmste Mensch, der aufrichtig geliebt wird, reicher als sie.

Allerdings hoffe ich auch, dass denen, die das Glück der Liebe erleben, das Elend derjenigen nicht gleichgültig ist, die um das tägliche Brot und um ein Leben in Würde bangen.

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SWR2 Wort zum Tag

17DEZ2022
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Wenn Sie - wie ich - überzeugte Frühaufsteher sind, werden Sie die Stunde kurz vor der Morgendämmerung kennen. Es ist die dunkelste Stunde der Nacht. Zunächst erhellt kein Lichtstrahl die Welt. Dann, ganz zart, färbt sich zögernd die erste Wolke. Konturen schälen sich aus der Dunkelheit - noch verschwommen, langsam immer deutlicher werdend.

Der Apostel Paulus muss ein Frühaufsteher gewesen sein. Die Nacht ist vorgerückt - der Tag ist nahe herbeigekommen, schreibt er im Römerbrief. Es sind adventliche Worte, denn sie verweisen darauf, dass in der dunkelsten Zeit des Jahres die Geburt Christi gefeiert wird. Die erste Christenheit meinte: Das Licht der Welt kommt in der dunkelsten Zeit am besten zur Geltung. Und haben deshalb das Weihnachtsfest in die dunkelste Jahreszeit gelegt. Christen überall auf der Welt bereiten sich gerade darauf vor. Auch in Weltgegenden, in denen jetzt gerade Sommer ist. Und viele andere feiern mit, ob gläubig oder nicht, und zünden Hoffnungslichter an.

Die Stunde vor der Dämmerung, die ersten Strahlen des Lichts, sie verkünden: Es ist jetzt Zeit, gute, segensreiche Zeit, aufzustehen, auch seelisch aufzuwachen. Das, was mein Leben verdunkeln will, soll nicht die letzte Deutungshoheit über mein Leben gewinnen dürfen. Dabei ist durchaus eine gesunde Portion Misstrauen angebracht. Vorsicht ist geboten, wenn mir die Lichter in dieser Zeit das Gefühl für die Dunkelheit nehmen sollten. Wenn ich nicht mehr weiß, was mein Leben verdunkelt, weil ich mich dem nicht stellen kann oder mag, dann kann ich mich auch nicht über das freuen, was mein Leben erhellen und erleuchten will. Ich kann – leider - die Dunkelheit nicht überspringen, sondern muss sie aushalten. Dann erst kommt die Dämmerung.

Mitten in der Dunkelheit kann ich mich sehr einsam fühlen, und wer kennt nicht die einsam durchweinten Nächte. Mit den ersten Lichtstrahlen aber zeigen sich Umrisse. Alles, was die Nacht verschluckt hatte, nimmt langsam wieder Gestalt an. Wird greifbar. Ich finde es eine schöne Vorstellung, dass ich nicht alleine warte. Da sind noch viele andere Menschen, die sich sehnen, die in der Dämmerung warten. Ich stelle mir vor, dass ihre Gesichter mit dem zunehmenden Licht Konturen gewinnen. Viele warten auf das Licht. Warten darauf, dass sich die Welt verwandelt. Warten auf das, was der Engel in der Weihnachtsnacht verkündet hat: Friede auf Erden! Fürchtet euch nicht!

Bald brennen vier Lichter auf dem Adventskranz, zarte Hoffnungsschimmer. Die Nacht ist vorgerückt, der Tag herbeigekommen. In einer Woche ist Weihnachten. Das Licht kommt in die Welt.

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SWR2 Wort zum Tag

16DEZ2022
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Wichtige Ereignisse im Leben brauchen eine Vorlaufzeit. Es gibt Menschen, die sich auf den ersten Blick verlieben. Doch heiraten werden auch sie in der Regel nicht von einem Tag auf den anderen. Und das ist gut so!

Ich meine, Vorlaufzeiten gehören zum Leben. Wir springen nicht als fertige Wesen unseren Eltern aus dem Kopf wie einst die Göttin Athene dem Göttervater Zeus. Wir Menschen brauchen eine, wir brauchen unsere Weile! 9 Monate haben Mütter Zeit, um sich auf die Geburt ihres Kindes und die Kinder, sich im Bauch ihrer Mütter auf das Leben vorzubereiten. Auch die großen Kirchenfeste haben eine Vorlaufzeit: Sieben Wochen vor Ostern, eine Woche vor Pfingsten und immerhin vier Wochen vor Weihnachten. Vorlaufzeiten sind spannend, weil sie Zeit lassen, sich mit großen Dingen auseinanderzusetzen. Sie sind zugleich abgründig und ambivalent sind. Da kommt in der Verlobungszeit schon einmal die Frage auf, ob der andere tatsächlich der Richtige ist, da fragen sich Eltern, ob sie den Anforderungen eines kleinen Kindes tatsächlich gewachsen sind. Da ist ganz viel Liebe und zugleich die Angst davor, nicht genug lieben zu können - oder auch nicht genug geliebt zu werden. Und so liegen in diesen Zeiten himmelhoch jauchzende Begeisterung und unruhige Bangigkeit manchmal ganz nahe beieinander. Folgerichtig sind auch die Lieder der Adventszeit nicht durchgehend fröhlich, viele dunkle Töne, viele Fragen klingen mit. „Wie soll ich dich empfangen?“ fragt Paul Gerhard in einem Adventslied, und das klingt verzagt und zärtlich zugleich, sehnsuchtsvoll und zögernd. Auch das Wort „empfangen“ ist so vielschichtig, kann die Begrüßung eines Königs genauso meinen wie die Zeugung eines Kindes und den Liebesakt. Die Adventszeit schenkt Raum für das Nachdenken über diese großen Fragen, gestaltet mit ihren Ritualen den Weg zum Fest und die Wartezeit.

Sicher, manchmal würde ich diesen Prozess auch am liebsten abkürzen, so wie ein Kind, das heimlich in die Keksdose greift. Erwachsen geworden weiß ich, dass ich Zeit brauche, dass ich mir die ganze Freude am Fest nehmen kann, wenn ich nicht auch die Höhen und Tiefen durchhalte, die zur Vorbereitung dazugehören.

Am Ende des Wartens geschieht die Geburt, ereignet sich das Fest. Und ich merke dann, rückblickend, dass ich meine Zeit gebraucht habe, um dann mit ganzem Herzen mitfeiern zu können.

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SWR2 Wort zum Tag

15DEZ2022
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Es ist eine eigentümliche menschliche Erfahrung, dass gute Worte mitten in katastrophalen Zuständen, in dunkelsten Zeiten, das Leben hell machen können, gerade auch indem sie geteilt werden. Mitten im Dunkel kann es licht werden. So können Menschen, auch und obwohl sie leiden, erfüllt werden vom Licht Gottes.

Ein solches Wort wird vom Propheten Jeremia überliefert: „Siehe es kommt die Zeit, dass ich einen gerechten Spross erwecken will“. Ein Bibelwort, das Christen seit Jahrhunderten in die Adventszeit eingeordnet haben. Von Gerechtigkeit war wenig zu sehen, als der Prophet Jeremia diese Worte verkündet hat. Er hat es mitten in einer der dunkelsten Epochen der Geschichte Israels verkündet. Um ihn herum hat Chaos und Korruption geherrscht, das typische Endzeitszenario eines untergehenden Reiches. Es klingt so erschreckend aktuell. Die herrschenden Reichen und Mächtigen prassen und feiern den Tanz auf dem Vulkan, einen perversen Totentanz, denn die Armen und Schutzlosen wurden übervorteilt und unterdrückt. Und vor der Tür stehen die Truppen der damaligen Weltmacht, die bald diesem ganzen Geschehen ein Ende bereiten sollten. In den Wirren dieser Zerstörung hat dann wahrscheinlich auch der Prophet den Tod gefunden. Anschläge auf sein Leben haben seine Verkündigung begleitet, nach der er sich wahrlich nicht gedrängt hatte. Die Kämpfer für Recht und Gerechtigkeit leben gefährlich. Auch das ist so aktuell! Und dann dieses Wort: Siehe, es kommt die Zeit, dass ich einen gerechten Spross erwecken will.

Ich glaube, Jeremia hat geahnt, dass er nicht lebend aus der Katastrophe hervorgehen würde. Er hat gewusst, dass er das Erwachsen dieses Sprosses nicht erleben würde. Dennoch muss er sich auch glücklich und hoffnungsfroh gefühlt haben, als er diese wunderbaren Worte prophezeien durfte: Es kommt die Zeit der Gerechtigkeit. Indem er einen gerechten Spross verkündigt hat, war dieser schon ein Stück weit Realität geworden, dem Unrecht war die Axt an die Wurzel gelegt. Und diese Hoffnung hat sich weitergetragen.

Jeremias Worte sind deshalb nicht untergegangen in der Katastrophe, haben die Menschen getröstet und sind weiter und weitererzählt worden. Sieh hin. Die Gerechtigkeit treibt einen Spross. Das Unrecht hat nicht das letzte Wort. Solange sich die Botschaft von der Gerechtigkeit weiterträgt, wird sie eines Tages auch Wahrheit werden.

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