SWR2 Wort zum Tag

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01JUN2023
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Eines meiner liebsten Märchen ist das von Hans im Glück. Die Geschichte vom dummen Hans, der mit einem Klumpen Gold loszieht, diesen für ein Pferd tauscht, das Pferd für eine Kuh, die Kuh für ein Schwein, das Schwein für eine Gans. Zuletzt lässt er sich von einem Scherenschleifer einen alten Wetzstein andrehen, der ihm prompt in einen Brunnen fällt. So kommt er mit leeren Händen nach Hause.

Wie kann man nur so dumm sein? könnte man fragen Der Klumpen Gold war doch wertvoll, Hans hätte sich eine ganze Pferdeherde dafür kaufen können, Kuh Schwein und Gans noch dazu. Und der Tölpel merkt noch nicht einmal, dass sich alle über ihn lustig machen und ihn übers Ohr hauen. Am Ende ist der närrische Kerl noch froh darüber, dass er auch noch seine letzten Habseligkeiten verliert und kehrt glücklich zu seiner Mutter zurück. Na, die wird ihm aber was erzählt haben!

Es bleibt aber die Frage, wer die eigentlich Dummen in diesem Märchen sind. Ich meine: Der Hans ist es nicht. In seiner unschuldigen Naivität ist er nämlich die glücklichste Figur in der ganzen Geschichte. Er bekommt ja alles, was er sich wünscht, und er muss es sich noch nicht mal ergaunern. Sogar für den Verlust des Wetzsteins dankt er am Ende Gott auf den Knien: der Stein war ihm doch arg lästig gewesen. Wie armselig sehen dagegen diejenigen aus, die ihm auf seinem Weg begegnen. Ihre diebische Freude wirkt schal gegen die ehrliche Begeisterung des Jungen.

Ob sie später wenigstens Gewissensbisse hatten, weil sie einen einfältigen Menschen betrogen haben? Ich fürchte: Nein. Doch dem Märchen ist ihr weiteres Geschick gleichgültig. Es blickt auf Hans im Glück. Während die anderen in ihren Begierden gefangen bleiben, ist der zum Schluss ganz frei. Und diese Freiheit kann sich niemand erhandeln oder ergaunern, da hat Hans ganz recht, dass er Gott dafür dankt. Befreit von jeder Last läuft er zu seiner Mutter. Während die anderen auf ihre Beute starren, blickt Hans einem lieben Menschen in die Augen.

Seine Mutter wird ihm sicherlich viel erzählt haben. Sie wird ihm erzählt haben, wie sehr sie sich darüber freut, dass er wieder zuhause ist. Sie wird ihren Hans in die Arme genommen haben. Vielleicht haben beide dann gemeinsam Gott dafür gedankt, dass er ihnen das Wertvollste geschenkt hat, das es gibt: die liebevolle Zuneigung eines Menschen.

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