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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Am Anfang war es ein Skandal, das neue Kruzifix in der Kirche in Hohenwart bei Pforzheim. Jürgen Goertz, ein moderner Künstler, hatte den Körper Jesu am Kreuz nach seinen Vorstellungen neu gestaltet. Und zwar ganz anders als gewohnt.  Kein schmerzverzerrtes Antlitz, kein gekrümmter Körper.

Sondern ein schöner Mensch mit muskulösen Gliedern und mit glatter Haut. Sein langes Haar ist sanft gewellt. Auf den Lippen liegt fast so etwas wie ein Lächeln. Aber wenn man nahe herantritt, dann sieht man: Dieser Mensch ist nicht nur schön. Dunkle Risse sind unter der Haut zu sehen, dort, wo das Tonmaterial gesprungen ist. Und man kann auch die Schmerzen ahnen in der unnatürlichen Haltung und in der Anspannung in diesem Körper. Würde man sich selbst so hinstellen, man könnte sich nicht halten und würde fallen.

Die eine Hand vor der Brust presst einen Kelch so sehr, dass der Inhalt herausfließt. Die andere Hand hält über dem Kopf  eine Schale mit einem halben Laib Brot. Das erinnert mich daran, dass Jesus gesagt hat: Mit meinem Tod vergieße mein Blut für Euch wie diesen Wein. Und meinen Leib breche ich für Euch, wie dieses Brot.  Doch mit den Fingern, da greift dieser Christus - ein einzelnes großes Auge. Ein Ochsenauge vielleicht ? Jedenfalls war der Künstler nach einem Besuch im Schlachthof der Meinung : Wir Menschen kreuzigen im Grunde auch unsere Nutztiere, wenn wir sie quälen und in Todesangst versetzen beim Schlachten.  Deshalb hat er seinem Christus auch die von uns Menschen gequälte Kreatur mit ans Kreuz gegeben.

Wirklich angenagelt am Kreuz ist nicht Jesus, sondern eine Hose aus Sackleinen. Und zwar, hinten am Kreuz, mit den Hosenbeinen nach oben. Es ist eine Sklavenhose. Sie steht für das Leid, das wir Menschen anderen Menschen angetan haben und bis heute antun. 

Mich erinnert das an einen Satz aus der Bibel. Da steht, dass  Christus uns eines Tages fragen wird, wo wir denn eigentlich waren, als andere neben uns gelitten haben. Und wo wir waren, als sie unsere Hilfe nötig hatten. Und dass er dann sagen wird : «Wahrlich, was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.»( Mt 25.40).

Die gesamte gequälte Kreatur, Mensch und Tier, - sie werden bis heute gequält von uns Menschen. Ans Kreuz genagelt gewissermaßen. Für all ihr Leiden bis hinein in unsere Tage steht der gekreuzigte Jesus. Die moderne Kreuzesdarstellung von Jürgen Goertz hat mir dafür den Blick geöffnet.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Der Kuss des Verräters. So könnte ein Kriminalroman heißen. Und es ist in der Tat eine Geschichte auf Leben und Tod, an die wir Christen uns in dieser Woche erinnern. Heute ist Gründonnerstag. Der Tag, an dem Jesus mit seinen Jüngern zum letzten Mal gemeinsam gegessen hat, bevor er von Judas verraten wurde. Mit einem Kuss hat er ihn verraten. Mit dem Judaskuss, dem Verräterkuss. Mit den Soldaten hatte er ausgemacht, den, den ich küssen werde, das ist Jesus. Den könnt ihr verhaften. Das ist der Volksverhetzer und der Gotteslästerer.

Er ist richtig schlimm, dieser Judaskuss. Ein Verrat am besten Freund, der ihm den Tod bringt. Schlimmer kann ein Verrat gar nicht sein.

Warum hat Judas das getan? Wir wissen es nicht. Nichts wird in der Bibel darüber berichtet, warum er es getan hat. Wir können nur vermuten. Offenbar hat er von Jesus etwas anderes erwartet.  Mehr politischen Einsatz. Einen Umsturz im Staat. Eine neue Machtverteilung im Land. Aber Jesus hat andere Ziele gehabt und andere Pläne als Judas.

Ganz sicher aber ist es Judas nicht ums Geld gegangen, um diese 30 Silberlinge, die er für seinen Verrat bekommen hat. Jesus und Judas haben beide ein anderes Leben gewollt, ein neues Reich der Gerechtigkeit und der Liebe, das Reich Gottes. Aber wie sie es erreichen wollten, das war grundverschieden. So haben sie sich auseinandergewickelt. Schließlich war Judas enttäuscht von Jesus. So konnte aus einer engen Freundschaft der Verrat wachsen.

Warum verraten Menschen einander? Manchmal, weil einer loskommen will von einem anderen und es nicht anders schafft, als so. Frauen und Männer, die ihren Partner, ihre Partnerinnen mit jemand anderem betrogen haben, erzählen das manchmal: «Ich konnte nur so von ihr/von ihm weggekommen.»

Oder Freunde in einer politischen Partei oder in einem Verein. Jahrelang haben sie sich gemeinsam engagiert und einander blind vertraut. Und dann kommt es zum Bruch. Einer wendet sich ab. Sie werden zu erbitterten Gegnern. Nie mehr finden sie zueinander und sind verletzt fürs Leben.

Wer verraten wird, wird innerlich schwer verwundet. Aber ich glaube: wer verrät, der ist genauso verletzt. Er weiß ja, was er dem anderen angetan hat. Judas ist es so gegangen. Er hat mit seinem Verrat nicht weiterleben können und sich selbst das Leben genommen.

Verraten und verraten werden, das passiert oft.  Es gibt keine Liebe, keine Beziehung, kein Zusammenleben, keine Zusammenarbeit ohne kleinere oder größere Formen des Verrats.
Dass es aber auch dafür Vergebung gibt, das glaube ich fest. Dafür ist Jesus gestorben.
Nicht wegen Judas. Sondern für ihn.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Was Schmerzen sind, das weiß wahrscheinlich nur derjenige, der sie hat. Wie sie bohren, brennen, hämmern, stechen und dröhnen können. Glücklicherweise hören die meisten Schmerzen irgendwann einmal auf. Es gibt aber auch Menschen, die haben chronische Schmerzen. Sie müssen leben mit ihren Schmerzen. Und das bringt sie oft bis an die Grenzen ihrer Kraft.

Zu ihnen gehörte die mexikanische Malerin Frida Kahlo. 1907 in Mexiko geboren. Als Kind hatte sie sich mit Kinderlähmung angesteckt und blieb als Folge gehbehindert. Mit siebzehn hat sich bei einem schrecklichen Verkehrsunfall eine Eisenstange quer durch ihren ganzen Körper gebohrt, direkt neben der Wirbelsäule. Aber sie hat auch das überlebt. 39 Operationen und immer neue Gipskorsette, Stahlkorsette und Nägel am ganzen Körper. Sie hatte ständig Schmerzen. Mit Hilfe von Alkohol und Morphium hat sie sie ausgehalten. Und sie hat gemalt. Sich selbst und ihre Schmerzen. Weil sie so oft liegen musste, hat sie im Bett gemalt.  Vor sich eine kleine Staffelei. Über sich einen großen Spiegel, den ihr die Mutter übers Bett gehängt hat. So sind viele ihrer Selbstportraits entstanden. Bilder einer Schmerzensfrau. Einmal malt sie sich ein Halsband aus Dornen. Dann sieht man ihren Rücken mit zwei offenen, klaffenden Wunden. Ein anderes Mal malt sie sich von Lanzen und Nägeln durchbohrt, mit blutenden Wunden am ganzen Körper.

Das alles erinnert mich an Jesus, den Schmerzensmann. Frida Kahlo war keine Christin. Trotzdem hat sie in ihren Bildern dieselben Schmerzensmotive verwendet, die früher die Maler benutzt haben, um das Leiden Jesu darzustellen. Oft haben sie in ihre Bilder alle Schmerzen hineingemalt, die Menschen so haben können. Diese Bilder waren im Mittelalter ein Teil der Medizin für die Kranken. Sie haben davor gesessen oder gelegen. Sich den Schmerzensmann angeschaut. Und viele haben wohl Trost und Linderung dabei gefunden. Weil sie gespürt haben, - ich bin nicht ganz allein. Gott leidet mit mir meine Schmerzen. Gott wird mich heilen, wenn nicht jetzt, dann aber doch nach dem Tod.

Bei Frida Kahlo hätte diese Art der Medizin nicht geklappt und wohl auch nicht bei den meisten Menschen heute. Bei Frida Kahlo und bei den alten Malern habe ich aber eines gelernt: wer den Mut hat, die eigenen Schmerzen anzuschauen und sie auszudrücken, der wird auch oft das finden können, was immer noch heil und ganz und gesund und schön ist – trotz aller Schmerzen. Und wenn das geschieht, ich finde, das ist dann ist das wie ein Ausblick auf die Auferstehung. Mitten im Schmerz.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Unfallkreuze am Straßenrand. Gerade jetzt in der Karwoche fallen sie mir besonders ins Auge, wenn ich morgens mit dem Auto zur Arbeit fahre. Sie zeigen, hier ist jemand bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen.

Meistens sind es einfache Holzkreuze. Manchmal mit einem Foto. Daneben frische Blumen oder solche aus Plastik, Grablichter, kleine Erinnerungen, ein Stofftier, ein Gedicht.

Dort, wo jemand gestorben ist, sollen wir anderen nicht achtlos vorbei fahren.  Wir sollen mit-gedenken. So wie es die Angehörigen und die Freunde tun, die diesen Ort eingerichtet haben. Als einen Ort des Gedenkens, wo es passiert ist, wo man hingehen kann und trauern und sich erinnern.

Jedes dieser Unfallkreuze steht ja für ein tragisches Lebensende und erzählt deshalb auch von Schuld und von Verkehrsopfern - aufgrund von menschlichem Versagen, von zu hoher Geschwindigkeit, von Ablenkung, von Emaillesen, Telefonieren oder von Alkohol am Steuer.

Jedes Unfallkreuz steht auch für die Partnerinnen und Partner, die Kinder, die Freunde, die zurück bleiben und von einem Moment auf den anderem alleine dastehen, ohne den geliebten Menschen. Und jedes Unfallkreuz erzählt von den Rettungskräften, die ausgerückt sind und deren Hilfe dieses Mal zu spät kam. Ich frage mich, sind die Unfallkreuze eigentlich auch Zeugnisse des christlichen Glaubens?

Wahrscheinlich nicht für alle, die sie aufgestellt haben. Ich glaube aber: wer die Botschaft des Kreuzes kennt, wird sie mitlesen, wenn er vorbeifährt. Jesu ist an so einem Kreuz gestorben. Er ist grausam hingerichtet worden.

In dieser Woche, der Karwoche, der Klagewoche, erinnern sich Christen an seine Leidensgeschichte. Und an die große Hoffnung, dass der Tod Jesu der Beginn eines neuen Lebens war. Sein Kreuz ist deshalb nicht nur ein Zeichen des grausamen Todes. Es ist auch eine Erinnerung daran, dass es nach dem Tod ein neues Leben bei Gott geben wird. Und kein Leid mehr und auch keinen Schmerz und auch keine Trauer. Es wird alles neu sein. Für unsere Verstorbenen und für uns.

Deshalb bin ich froh, dass die Behörden und die Polizei die Unfallkreuze dulden, aus Achtung vor der Trauer der Hinterbliebenen. Obwohl sie nach der Straßenverkehrsordnung ja eigentlich verboten sind. Denn diese Unfallkreuze helfen bei der Verarbeitung dieses schrecklichen Erlebnisses, dass ein Mensch bei einem Verkehrsunfall gestorben ist. Und vielleicht erinnern sie ja auch an die Hoffnung, die wir Christen haben: Bei Gott wird das Leben neu.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Es beginnt mit einem großen Bahnhof und dann kommt ziemlich schnell der Absturz. Erst der rote Teppich, dann folgt der Rufmord. Beweise für begangene Straftaten werden gefunden. Dann kommt die Verurteilung.

Stars, Funktionäre und Politikerinnen erleben das heute. Erst hat man ihnen zugejubelt, dann gibt`s nur noch Häme und Schadenfreude. Und wir verfolgen ihren Absturz mit großem Interesse und meistens auch ziemlich schadenfroh. „Hatte der eben doch Dreck am Stecken.“ „Hätte sie sich selbst nicht so aufs hohe Ross gesetzt, dann wäre sie auch nicht so tief gefallen.“

Die Leidensgeschichte Jesu könnte man auch so verstehen – wenn sie nicht ganz anders ausgegangen wäre als die normalen Absturzgeschichten, die wir so kennen. Heute beginnt mit dem Palmsonntag die Karwoche, die Erinnerungswoche an die Leidensgeschichte Jesu. Heute denken wir Christen daran, wie Jesus und seine Jünger nach Jerusalem gekommen sind. Ein paar Tage vor seiner Hinrichtung. Offenbar hatte es sich herumgesprochen, dass er kommt, der große Heiler, der Gottesmann, der das Friedensreich bringen wird.

Die Leute haben an den Straßenrändern gestanden und ihm zugejubelt. Sie haben Hosianna gerufen, gelobt soll er sein, der da kommt im Namen Gottes. Begeistert haben sie Palmzweige abgerissen und sie auf die Straße gelegt. Manche haben sogar Ihre Jacken und Hemden dort ausgebreitet als Teppich, wie für einen König.

Komisch nur, dass der Star des Tages gar nicht königlich und hoch zu Ross in Jerusalem eingezogen ist. Er hat sich nur einen Esel ausgeliehen und auf dem kam er jetzt in die Stadt geritten.

Dass Jesus das Theater da am Straßenrand genossen hat, davon berichtet die Bibel nichts. Ich vermute, Jesus hat es wohl eher geschehen lassen. Weil er vielleicht schon so eine Ahnung gehabt hat, was nach diesem Auftritt folgen muss und wie das alles ausgehen wird für ihn.

Der Absturz ist schon ein paar Tage später gekommen. Jesus wird verhaftet. Er wird verhört, gefoltert, verspottet und schließlich bekommt er den Prozess gemacht mit dem Urteil: Volksverhetzer und Gotteslästerer. Schuldig und zum Tode verurteilt. Der absolute Tiefpunkt. Jesus stirbt am Kreuz.

Aber drei Tage später wird er gesehen. Von drei Frauen an seinem leeren Grab. Von einer Freundin im Garten. Von zwei Jüngern auf dem Weg nach Emmaus. Kein Absturz für immer, – sondern Auferstehung. Darauf läuft die Passionsgeschichte Jesu hinaus. Keine total zerstörte Existenz, - sondern ein ganz neues Leben.

Ich finde, das ist die Hoffnung für alle, die abstürzen und meinen, nun sei alles aus.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Ella hat ein freiwilliges soziales Jahr gemacht. Bei Aktion Sühnezeichen Friedensdienste. Sie hatte von einem ganzen Jahr ganz ohne Lernen geträumt, bevor es dann mit der Berufsausbildung weitergeht. Und dann hat sie gemerkt, dass man in einem „freiwilligen sozialen Jahr“ trotzdem Dinge lernt, die man ein Leben lang nicht vergisst.
Ella hat ihren Freiwilligendienst bei Aktion Sühnezeichen in Israel geleistet. Dort hat sie Gretel kennengelernt, in einem Altersheim in Haifa.  Ihr wöchentliches Highlight waren bald die Besuche bei der 94jährigen Gretel. Gretel hat ihr oft erzählt von ihrer Kindheit und Jugend in Frankfurt. 1934 war sie  mit einer zionistischen Jugendorganisation von Frankfurt nach Haifa gekommen. Sie selbst war im Nationalsozialismus nie in Gefahr Aber ihren Eltern, Norbert und Julie Baum, ist es nicht mehr gelungen ein Visum für die Auswanderung nach Israel zu bekommen. Sie wurden nach Lodz deportiert und dort ermordet.
Ella, der jungen Frau aus Deutschland, haben in solchen Momenten oft die Worte gefehlt.  Immer wieder hat sie sich ihr die Frage gestellt: „ Wie ist es möglich, dass Gretel mir überhaupt in die Augen sehen kann?“ Aber Gretel war der Meinung:“ Ihr jungen Leute in Deutschland seid nun eine neue Generation. Ihr werdet aus der Geschichte lernen und es nie mehr so weit kommen lassen.
Und dass du, als junge Frau aus Deutschland, hier  freiwillig in einem Altersheim in Israel arbeitest, das ist ein wichtiges Zeichen für uns, die wir im Nationalsozialismus in Deutschland gelebt haben.  Wir sehen, dass Ihr Jungen den Frieden wollt und die Versöhnung.
Ella ist in dem Altersheim in Haifa aber auch mit Menschen in Kontakt gekommen, die in deutschen Konzentrationslagern waren und deren ganze Familie vernichtet wurden. Manche von ihnen können den Klang der deutschen Sprache bis heute nicht ertragen. Gretel gehört nicht dazu. Sie liebt die deutsche Sprache und sie hat die anderen Heimbewohner oft belehrt darüber, dass heute doch andere Menschen als damals in Deutschland aufwachsen würden.
Aus den wöchentlichen Besuchen von Ella, der 2ojährigen aus Deutschland bei Gretel, der 94jährigen Jüdin ist eine persönliche Freundschaft entstanden. Etwas Wertvolleres hätte Ella in ihrem freiwilligen sozialen Jahr gar nicht lernen können.  Dass Freundschaft zwischen Menschen stärker  ist als die Verbrechen der Vorfahren. Ich finde, solche Freundschaften sind der sicherste Garant für den Frieden.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Frauen sollten eigens genannt, nicht nur mitgemeint werden.
„Ich bin Ingenieur “, sagt die junge Frau. „ Ingenieur?“ , frage ich. „Sie sind doch IngenieurIN!“
„Ach, wissen Sie“, sagt sie, „Wir jungen Frauen sind doch sowieso emanzipiert. Das mit der weiblichen Endung an den Berufen, das haben wir doch nicht mehr nötig.“
Ich war sprachlos im ersten Moment. Das muss ich gestehen.
Da steht eine junge Frau und sagt mir, dass es für sie überhaupt keine Rolle mehr spielt, wofür wir Frauen aus der Generation ihrer Mutter noch gekämpft haben:
Dass wir als Frauen auch sprachlich sichtbar sind: Nicht als weiblicher Lehrer, sondern als Lehrerin. Nicht als weiblicher Kaufmann, sondern als Kauffrau. Wir wollten nicht nur mitgemeint sein. Wir wollten auch mitgenannt werden. Denn es ist uns völlig klar gewesen,- so wie wir sprechen, so denken wir und so schaffen wir auch Fakten in der Welt.

Es hat sich ja auch wirklich viel geändert mit den Jahren. Frauen kommen in vielen Bereichen heute auch sprachlich ausdrücklich vor. Die Banken z.B. lassen uns Frauen nicht mehr als Kontoinhaber, sondern als Kontoinhaberin unterschreiben. Frauen können heute selbstverständlich Männerberufe ausüben als Dachdeckerin, als Kauffrau oder eben als Ingenieurin. Und wir haben eine Bundeskanzlerin und keinen weiblichen Bundeskanzler.
Ich frage mich, ob das wirklich ein Zeichen von gewachsener Gleichberechtigung ist, wenn die jungen Frauen sich wieder in männlichen Berufsbezeichnungen mitgemeint fühlen?
Das habe ich auch der jungen Ingenieurin gesagt. Und dass die ausdrückliche Nennung von Männern und Frauen für mich ein christlicher Wert ist, hinter den ich selbst nicht mehr zurück möchte. Gott war mit einem geschlechtsneutralen Menschen nicht zufrieden. Das ist das Erste, was in der Bibel über den Menschen steht. Die Schöpfung war für Gott erst dann vollkommen, als aus dem neutralen Menschen zwei geschlechtliche Wesen wurden. Frau und Mann.  Aufeinander bezogen, aber eben doch verschieden.  Beide mit eigenem Namen.
Es ist das gute Recht der jungen Frauen von heute, sich von ihrer Müttergeneration abzunabeln, so wie das jede neue Generation macht.
Aber ich glaube, wir Frauen aus der Müttergeneration sollten den jungen Frauen mehr davon erzählen, wie die Sprache ein Bild von der Wirklichkeit schafft. Als die Frauen nicht genannt wurden, kamen sie in vielen Lebensbereichen gar nicht vor. Und wenn die Frauen nicht mehr ausdrücklich genannt werden, verschwinden sie wieder aus dem Bild, das wir uns von der Wirklichkeit machen. Und das wäre schade.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Kann man die Flüchtlinge von damals, nach dem 2. Weltkrieg, mit den Flüchtlingen von heute vergleichen?
„Das kann man überhaupt nicht vergleichen“, sagt die alte Dame. Sie ist 90 Jahre alt. Aber an ihre Flucht aus Ostpreußen kann sie sich noch immer gut erinnern. Als junge Frau musste sie sich damals getrennt von ihrer Familie auf den Weg machen. Einen Koffer in der Hand und die Kleider doppelt unter dem Mantel. Alles andere ist zurückgeblieben. Und hätte Sie sich damals, beim Einsteigen in den letzten Zug in den Westen, nicht als junge Mutter ausgeben können, weil eine andere Frau ihr ein Kind in den Arm gedrückt hatte, ihre Flucht wäre gescheitert. Dann wäre ihr Leben ernsthaft in Gefahr gewesen. Noch an viele solcher Begebenheiten auf der Flucht kann sie sich erinnern. An glückliche Fügungen, wie das Wiederfinden ihrer Familie. Und an schreckliche, leidvolle Erfahrungen. Doch über die spricht sie nicht gern, weil sie ihr bis heute wehtun.
„Aber vergleichen kann man uns nicht, mit den Flüchtlingen von heute. Wir waren doch Deutsche“ sagt sie. „Und die heute zu uns fliehen, das sind Ausländer. Das versteht ihr Jungen nicht.“
Ja, es ist wirklich schwer etwas zu verstehen, was man nicht selbst miterlebt hat.
Aber gibt es nicht doch viele Parallelen zwischen den Flüchtlingen von damals und heute?
Damals haben die Flüchtlinge alles verloren, ihr Vermögen, ihren Besitz, ihre gesellschaftliche Stellung, ihre Freundschaften. Sie waren nicht mehr geduldet in ihrer alten Heimat. Das erleben viele der Flüchtlinge heute auch. Viele sind unter Lebensgefahr geflohen. Damals, wie heute. Und sie trauern und haben Heimweh, auch wenn nicht dort bleiben konnten, wo sie zu Hause sind. Das geht allen Flüchtlingen so, egal zu welcher Zeit.
Ich weiß, jedes Schicksal und jede Fluchtgeschichte ist anders. Aber ich stelle mir vor, wer etwas so Schweres wie eine Flucht durchgemacht hat, der kann doch ganz anders Anteil nehmen. Und wessen Eltern oder Großeltern selbst einmal fliehen mussten,  der hat doch vielleicht erzählt bekommen, wie wichtig es gewesen ist, geachtet zu werden. Und wie unvergesslich bis heute die Menschen sind, die einfach so geholfen haben, ohne irgendwelche Vorbehalte. Flüchtlinge zu achten und zu schützen ist ein hohes Gut. Und ich hoffe: wessen Familie selbst einmal auf der Flucht war, der kann das besser verstehen als alle anderen. So sieht das übrigens auch die Bibel. Da werden die Israeliten erinnert: Die Fremdlinge sollst du nicht bedrängen und bedrücken; denn ihr seid auch Fremdlinge in Ägyptenland gewesen.“

Diesen Gedanken können Sie in der Bibel nachlesen :
2. Mose 22,20, 2. Mose 23, 9, ähnlich auch in 3. Mose 19,33-34; 5. Mose 10,8-19

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Was meinen Sie? Wirkt sich das, was die Vorfahren getan oder erlebt haben, auf das Leben ihrer Kinder aus? In der Zeit der Aufarbeitung des Nationalsozialismus in Deutschland war das die große Frage: Sind wir Nachkommen mitverantwortlich, auch wenn wir selbst gar nicht mit dabei waren?   70 Jahre nach Kriegsende ist diese Frage noch immer nicht endgültig geklärt.
Eines jedenfalls scheint sicher, dass wusste man schon im alten Israel: Die Taten der Vorfahren wirken sich auf das Leben der Kinder aus. Da gibt es das biblische Sprichwort: „Die Väter haben saure Trauben gegessen und den Kindern sind die Zähne stumpf geworden“( Ez 18,2).
Wer nämlich unreife, also saure Trauben isst, der wird schnell merken, dass nach der ersten Erfrischung ein unangenehmer pelziger Belag auf den Zähnen entsteht. So, als seien die Zähne stumpf geworden. Ins Sprichwort übertragen meint das: Eine Tat hat Folgen bei den Kindern. Erst merkt man es  gar nicht, aber dann umso deutlicher.
Eltern und Großeltern geben den Kindern mit, was sie erlebt haben. Selbst dann, wenn die Kinder zu der Zeit noch gar nicht geboren waren. Das Verhalten der Eltern und Großeltern ist belastet von dem, was sie erleben mussten. Und die Kinder spüren das.
Kriegskinder sind davon geprägt. Oder Kriegsenkel. Dass die Erfahrungen von Flucht und Vertreibung nach dem Krieg nicht einfach ausradiert sind, wenn die nächste Generation geboren wird. Erfahrungen werden unbewusst von einer Generation zur anderen weitergegeben. Und das Misstrauen zum Beispiel, die Angst vor Fremden, die Sorge um das eigene Leben –das teilt sich den Kindern oder Enkeln mit. Die sind dann auch irgendwie misstrauisch, ängstlich und sorgenvoll.
Aber: Sind sie auch mitverantwortlich? Nach dem, was in der Bibel steht, heißt es das nicht. Der Prophet Ezechiel meint: Egal, welche Schuld die Eltern tragen und egal, welche schweren Schicksalsschläge die Großeltern erleiden mussten, - jeder Mensch und jede Generation soll die Chance haben, neu anzufangen. Manchmal ist es bis dahin ein langer Weg. Vergangenes muss aufgearbeitet werden. Man muss Einsicht gewinnen in die eigenen Wurzeln. Das ist mühsam. Aber: Jeder Mensch bekommt von Gott eine eigene Geschichte. Und diese Geschichte beginnt nicht nur einmal. Sondern immer wieder neu. Mit jeder neuen und eigenen Erkenntnis was richtig ist und was falsch. Dann kann man ein selbst verantwortetes, eigenes Leben beginnen..

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

In gut 20 Minuten ist Pforzheim durch einen Fliegerangriff nahezu komplett zerstört worden. Heute vor 70 Jahren, am 23. Februar 1945, also kurz vor Kriegsende. Ein Fünftel der Bevölkerung ist damals ums Leben gekommen. Kaum eine Pforzheimer Familie, die nicht Tote zu beklagen hatte. Bis heute wird in Pforzheim jedes Jahr an dieses traumatische Geschehen gedacht.
Am 23. Februar findet auch in jedem Jahr der Fackelzug der Neonazis in Pforzheim statt. In diesen Stunden haben sich die Einwohner bisher immer in ihre Häuser eingeschlossen, aus Angst vor Krawallen und vor gewaltsamen Ausschreitungen. Dieses Jahr soll es anders sein. Die christlichen Kirchengemeinden  in Pforzheim laden die Einwohner zu einem Fest ein, draußen auf der Straße. Die Leute sollen dieses Jahr rauskommen aus den Häusern und sich zeigen. Vor allem sollen sie zeigen, dass es nicht darum geht, an irgendwelche Helden Deutschlands zu erinnern.  Die Christen sagen, wir vergessen die Opfer dieser schrecklichen Bombardierung nicht. Doch wichtiger ist heute, dass wir zusammenkommen, weil wir den Frieden wollen. Für uns und für alle Länder auf der Welt. Deshalb wollen sie heute nicht feierlich schweigen, sondern Feste feiern, möglichst draußen auf der Straße. Mit Posaunen –und Kirchenchören mit Gauklern und Spielen, mit Essen und Trinken. Und am Abend dann mit Friedensmärschen von den Gemeindehäusern zum Lichtermeer auf den Marktplatz.
Ein Friedensfest gegen den Aufzug von ein paar Neonazis zu feiern, das kann man für naiv halten. Doch der christliche Glaube ist nun mal eindeutig und parteiisch, weil Jesus Christus in seiner Friedensbotschaft eindeutig war. „Selig sind die Menschen, die Frieden stiften“ hat er gesagt. Und „liebet eure Feinde und tut Gutes denen, die euch hassen.“ Man kann das auch naiv finden. Man kann sagen, so etwas gehört hinter die Kirchenmauern oder ins Privatleben, aber nicht in die Politik.  Viele Jahrhunderte haben Christen ja so argumentiert. Und einen Krieg nach dem anderen angefangen.
Mir imponiert, dass viele Menschen in Pforzheim heute Abend für den Frieden auf die Straße gehen werden und zwar egal, welcher Religion, welcher politischen Richtung und welcher Generation sie angehören. Das große Lichtermeer auf dem Marktplatz wird mit dem Segen der Religionen enden. Ich hoffe, dann gibt es ganz viel erlebte Gemeinsamkeit und Dankbarkeit für 70 Frieden in Deutschland.

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