Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Der Kuss des Verräters. So könnte ein Kriminalroman heißen. Und es ist in der Tat eine Geschichte auf Leben und Tod, an die wir Christen uns in dieser Woche erinnern. Heute ist Gründonnerstag. Der Tag, an dem Jesus mit seinen Jüngern zum letzten Mal gemeinsam gegessen hat, bevor er von Judas verraten wurde. Mit einem Kuss hat er ihn verraten. Mit dem Judaskuss, dem Verräterkuss. Mit den Soldaten hatte er ausgemacht, den, den ich küssen werde, das ist Jesus. Den könnt ihr verhaften. Das ist der Volksverhetzer und der Gotteslästerer.

Er ist richtig schlimm, dieser Judaskuss. Ein Verrat am besten Freund, der ihm den Tod bringt. Schlimmer kann ein Verrat gar nicht sein.

Warum hat Judas das getan? Wir wissen es nicht. Nichts wird in der Bibel darüber berichtet, warum er es getan hat. Wir können nur vermuten. Offenbar hat er von Jesus etwas anderes erwartet.  Mehr politischen Einsatz. Einen Umsturz im Staat. Eine neue Machtverteilung im Land. Aber Jesus hat andere Ziele gehabt und andere Pläne als Judas.

Ganz sicher aber ist es Judas nicht ums Geld gegangen, um diese 30 Silberlinge, die er für seinen Verrat bekommen hat. Jesus und Judas haben beide ein anderes Leben gewollt, ein neues Reich der Gerechtigkeit und der Liebe, das Reich Gottes. Aber wie sie es erreichen wollten, das war grundverschieden. So haben sie sich auseinandergewickelt. Schließlich war Judas enttäuscht von Jesus. So konnte aus einer engen Freundschaft der Verrat wachsen.

Warum verraten Menschen einander? Manchmal, weil einer loskommen will von einem anderen und es nicht anders schafft, als so. Frauen und Männer, die ihren Partner, ihre Partnerinnen mit jemand anderem betrogen haben, erzählen das manchmal: «Ich konnte nur so von ihr/von ihm weggekommen.»

Oder Freunde in einer politischen Partei oder in einem Verein. Jahrelang haben sie sich gemeinsam engagiert und einander blind vertraut. Und dann kommt es zum Bruch. Einer wendet sich ab. Sie werden zu erbitterten Gegnern. Nie mehr finden sie zueinander und sind verletzt fürs Leben.

Wer verraten wird, wird innerlich schwer verwundet. Aber ich glaube: wer verrät, der ist genauso verletzt. Er weiß ja, was er dem anderen angetan hat. Judas ist es so gegangen. Er hat mit seinem Verrat nicht weiterleben können und sich selbst das Leben genommen.

Verraten und verraten werden, das passiert oft.  Es gibt keine Liebe, keine Beziehung, kein Zusammenleben, keine Zusammenarbeit ohne kleinere oder größere Formen des Verrats.
Dass es aber auch dafür Vergebung gibt, das glaube ich fest. Dafür ist Jesus gestorben.
Nicht wegen Judas. Sondern für ihn.

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