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14JAN2025
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Wenn man einen längeren Weg vor sich hat, sollte man sich vorher überlegen, was man unterwegs alles benötigt.  Für einen kleinen Spaziergang reicht der Hausschlüssel. Für eine lange Wanderung benötigt man Proviant. Und bei einer richtig langen Reise muss man gut abwägen, was unbedingt ins Gepäck muss und was eigentlich überflüssig ist.

Dieses Problem hat Hermine nicht. Hermine ist die Freundin von Harry Potter aus der gleichnamigen Geschichte von J.K. Rowling. Sie kann zaubern und besitzt eine Tasche, die wahrscheinlich jede gerne hätte. Von außen ist sie so groß wie eine ganz normale Handtasche. Aber im Innenraum ist durch einen Raumvergrößerungszauber unendlich viel Platz. Und so ist Hermine in jeder Situation gut ausgerüstet. Ihre Freunde staunen nicht schlecht, als sie mitten in der Wildnis ein Zelt, Kleidung für jeden, eine Reiseapotheke und ihre wichtigsten Bücher aus der Tasche hervorzaubert. Praktisch!

Ich habe mich auch gerade auf den Weg gemacht. Nicht in die Wildnis, aber in ein neues Jahr. Und ich habe überlegt, was ich wohl auf diesen Weg mitnehmen würde, wenn ich so eine Zauberhandtasche hätte wie Hermine.

Wahrscheinlich wäre allerlei Alltagskram drin. Und das ist schon bei meiner normalen Handtasche zu viel. Da muss ich jetzt schon manchmal lange suchen, bis ich meinen Schlüssel finde unter Taschentüchern, Handy, Stiften, Bonbons und Handcreme. Wenn ich jetzt noch mehr Krempel einpacke, wird die Tasche mir zu schwer.

Also sollte ich wohl besser mit richtig leichtem Gepäck reisen. Und mich auf meinem Weg ins neue Jahr auf drei Dinge beschränken, die mir auf jeden Fall weiterhelfen:

Zuversicht, dass das Jahr mir Gutes bringt und dass ich genügend Kraft finden werde, auch für die anstrengenden Etappen.

Humor, damit ich mich selbst nicht zu ernst nehme und das, was mir begegnet, nicht zu schwer.

Und Vertrauen, in mich selbst und meine Fähigkeiten, aber vor allem auch in die, die mit mir unterwegs sind. In Gott und die Menschen.

Das ist leichtes Gepäck. Damit komme ich hoffentlich ziemlich weit. Und kann vielleicht unterwegs sogar anderen aushelfen, die davon zu wenig dabei haben.

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13JAN2025
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Die berühmte Erzählung „Der Herr der Ringe“ handelt davon, wie ein kleiner Hobbit namens Frodo mit einer großen Aufgabe betraut wird. Um die Schreckensherrschaft einer finsteren Macht zu verhindern, muss er sich auf eine lange Reise in ferne, unbekannte Länder machen und einen bestimmten Ring vernichten. Niemand weiß zu Beginn seines Weges, was Frodo erwartet. Aber dass es gefährlich wird, ist klar. Darum soll er sich nicht alleine auf den Weg machen. Der Autor der Geschichte, John Tolkien, stellt Frodo eine besondere Weggemeinschaft zur Seite: drei weitere Hobbits, die genau so klein und arglos sind wie Frodo selbst, einen sturen, ruppigen Zwerg, einen scharfsichtigen und etwas unterkühlten Elben, einen Zauberer, der in Rätseln spricht, und zwei Menschen – der eine argwöhnisch, der andere von rätselhafter Herkunft.

Keiner dieser Gefährten ist perfekt. Sie haben alle ihre Fehler, Schwächen und Schattenseiten. Aber ein jeder trägt zum Lauf der Geschichte bei, jeder ist auf seine Weise unersetzlich und jeder wird mit seinen Eigenschaften gebraucht, damit es ein Happy End geben kann. Am Ende sind alle Helden.

Unsere eigenen Lebensgeschichten sind natürlich nicht so spektakulär. Aber auch wir sind gerade noch am Anfang eines Weges. Denn was uns in diesem Jahr alles noch erwartet, das weiß keiner. Wem wir begegnen, was wir erleben, welche Aufgaben wir bewältigen müssen, kann niemand vorhersehen.

Und auch wir haben Weggefährtinnen und Begleiter an unserer Seite: unsere Familien, Freundinnen, Kollegen. Wir sind alle sehr unterschiedlich, haben alle unsere Schwächen und Fehler.

Unser Ziel ist nicht so klar definiert wie in Tolkiens Geschichte. Es gibt nicht die eine Aufgabe, die wir schaffen müssen, um ein für allemal das Böse zu besiegen.

Aber wenn wir es uns zum Ziel setzen könnten, unsere Welt dieses Jahr zu einem freundlicheren, helleren Ort zu machen, dann könnte doch jeder von uns unperfekten Weggefährten mit seinen Eigenschaften dazu beitragen. Dann wäre jede von uns auf ihre eigene Weise unersetzlich. Und wenn es uns gelingt, sind wir am Ende alle Helden.

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11JAN2025
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„Ich bin vergnügt, erlöst, befreit, Gott nahm in seine Hände meine Zeit …

Was macht, dass ich so furchtlos bin an vielen dunklen Tagen?

Es kommt ein Geist in meinen Sinn, will mich durchs Leben tragen“*

Ich liebe diese Zeilen, sprechen sie doch von einem großen Gottvertrauen. Sie stammen von Hanns Dieter Hüsch, dem Poeten unter den Kabarettisten. 
„Ich bin vergnügt, erlöst, befreit, Gott nahm in seine Hände meine Zeit.“ Auch wenn ich diesen Satz liebe, so muss ich doch zugeben, dass ich ihn nicht immer und zu jeder Zeit voll unterschreiben kann. Oft plagen mich Zweifel, ob er denn wirklich „meine Zeit in seinen Händen hält“. Dann wird aus freudiger Zuversicht eher ein banges Hoffen, von dem am Ende manchmal nur eine große Sehnsucht übrigbleibt. Aber die gebe ich nicht auf.

Der Satz stammt aus einem Gedicht von Hüsch, dem er den Titel „Psalm“ gegeben hat. Die Psalmen sind eine Sammlung von Gebeten, die die Menschen zu ganz unterschiedlichen geschichtlichen und persönlichen Situationen gebetet haben. Es gibt Psalmen der Zuversicht und der Nähe zu Gott. „Der Herr ist mein Hirte, nichts wird mir fehlen. “ (Ps 23) Auch jubiliert und gelobt wird in den Psalmen: „Lobe den Herrn meine Seele, und was in mir ist, seinen heiligen Namen.“ (Ps 103). Aber auch der Zweifel und die Gottesferne kommen vor: „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ (Ps 22)

Die Psalmen sagen mir, dass es ein Auf und Ab im Glauben gibt. Und meine Erfahrung lehrt mich: Aus meiner Sehnsucht kann auch wieder Hoffnung und Zuversicht werden. Und das lässt mich dann mit Hüsch sagen:

Ich bin vergnügt, erlöst, befreit, Gott nahm in seine Hände meine Zeit …

Was macht, dass ich so furchtlos bin an vielen dunklen Tagen?

Es kommt ein Geist in meinen Sinn, will mich durchs Leben tragen“*

 

* Psalm. in: Hanns Dieter Hüsch. Das Schwere leicht gesagt. Herder 1994, S.45

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10JAN2025
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„Es ist dem Menschen beigegeben ein kleines Stück von einem großen Leben, ob Bettler oder hohes Tier, von einer Handvoll Erde sind wir alle hier.“ Mit diesen Versen beginnt Hanns Dieter Hüsch, der Poet unter den deutschen Kabarettisten, eines seiner Gedichte. Der Mensch ist ein Teil von etwas ganz Großem. Hüsch bezieht sich hier auf die Erzählung von der Erschaffung des Menschen in der Bibel.

Da gibt es ja zwei Geschichten. Zum einen die, in der Gott die Welt in sieben Tagen erschafft. Das ist natürlich nur ein Bild, eine Erzählung. Sie macht deutlich, dass die Erde sich entwickelt hat und der Mensch relativ spät in dieser Entwicklung entstanden ist. Und die zweite Geschichte, auf die sich Hüsch hier bezieht, ist die, in der Gott den Menschen aus einem Klumpen Erde formt wie ein Künstler eine Figur schafft. Und zum Schluss haucht Gott diese Figur an, und damit wird der Mensch lebendig. Natürlich ist dies auch wieder nur ein Bild, ein Bild dafür, dass in jedem Menschen der Atem, der Geist Gottes steckt. „Es ist dem Menschen beigegeben ein kleines Stück von einem großen Leben.“ Ich gebe zu, bei einigen Mitmenschen fällt es mir schwer, diesen Funken Göttlichkeit in ihnen zu entdecken. Aber ich weiß, auch bei mir ist dieser Funke oft nicht spürbar. Im nächsten Vers zieht Hüsch eine wichtige Konsequenz aus diesem Schöpfungsglauben: „Ob Bettler oder hohes Tier, von einer Handvoll Erde sind wir alle hier.“ Eindrücklicher kann man den Satz: „Alle Menschen sind gleich, alle haben die gleichen Rechte und Pflichten“ nicht ins Bild setzen. Keiner darf sich über den anderen erheben, auch kein Volk darf sich über ein anderes erheben.

Bald sind Wahlen, der Kampf um unsere Stimmen hat ja bereits begonnen. Ich habe mir vorgenommen dies zu meinem Wahlprüfstein zu machen: Wer sich über den andern erhebt, den andern herabwürdigt und beleidigt, wird meine Stimme nicht bekommen.

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09JAN2025
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„Gesegnete Weihnachten und ein gutes neues Jahr“, das war auf so einigen Weihnachtskarten der vergangenen Wochen zu lesen. Bei Weihnachten, einem immer noch irgendwie christlichen Fest, da bedient man sich schon mal des frommen Wortes „gesegnet“. Bei dem profanen Ereignis des Jahreswechsels bleibt man lieber etwas nüchterner und wünscht sich ganz einfach nur ein „gutes“ neues Jahr. Dabei liegen segnen und Gutes wünschen ganz nahe beieinander. Das lateinische Wort für gesegnet -„benedictus“ -  bedeutet übersetzt nichts anderes als „dem wird Gutes zugesagt“.

Aber trotzdem ist ein Segen mehr als nur ein guter Wunsch. Denn segnen bleibt nicht im zwischenmenschlichen Bereich, sondern segnen bringt Gott mit ins Spiel.

Wenn ich segne, stelle ich eine Beziehung her zwischen dem, was ich segne, und Gott. Segne ich ein Brot, so ist es für mich nicht nur ein Nahrungsmittel, sondern eine von Gott geschenkte Gabe. Segne ich ein Tier, so sehe ich darin einen Teil der guten Schöpfung Gottes. Und segne ich ein Kind, sage ich ihm, du bist ein von Gott geliebter Mensch. Segnen lässt mich das, was mich umgibt mit Respekt und Ehrfurcht betrachten. Segnen heiligt den Alltag. Und so möchte ich uns mit einem Segenswort von Hanns Dieter Hüsch, dessen 100. Geburtstag wir dieses Jahr feiern werden, ein gesegnetes Jahr 2025 wünschen. Das hat ja auch gerade erst begonnen.

 

Gott der Herr möge unser Glück und unser Leid

Unsere Trauer und unsere Freude

Mit seiner grenzenlosen Güte begleiten…

 

Uns ein großes Gefühl dafür geben

Dass einer des anderen Last mittrage

 

Und nachsichtig möge er mit uns sein

Wenn alles nicht von heute auf morgen geschehen kann

Weil

Wir sind seine Kinder von ganzem Herzen

Aber oft noch von halbem Verstand*

 

* Michael Blum und Hanns Dieter Hüsch: Das kleine Buch vom Segen. Düsseldorf. 4. Auflage 2000, S. 28

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08JAN2025
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Heute vor sieben Jahren wurde der „Immerather Dom“ abgerissen. Die Pfarrkirche St. Lambertus in Nordrhein-Westfalen musste dem Braunkohle-Tagebau weichen. Viele Menschen haben damals dagegen protestiert. Trotzdem wurde die Kirche zerstört.

Solche Geschichten gibt es inzwischen öfter. Immer mehr Kirchen werden geschlossen oder verkauft. Manchmal sind die Gebäude einsturzgefährdet, wie zum Beispiel die Kirche in Elgendorf bei Montabaur. Dort finden die Gottesdienste jetzt in einem kleinen Nebenraum statt.

Das alles ist traurig. Denn eine Kirche ist nicht nur ein Bauwerk. Wer glaubt, für den bedeutet das mehr. Wo eine Kirche abgerissen wird, bleibt oft ein Gefühl der Leere. Nicht nur bei denen, die sie regelmäßig besucht haben.

Doch die Kirchen-Krise hat auch eine gute Seite. Sie zwingt die Gläubigen, darüber nachzudenken: Was ist Kirche? Gehört sie nur den Gläubigen, die sie besuchen? Oder tragen vielleicht noch viel mehr Menschen Verantwortung für sie?

Der heilige Franziskus hörte vor 800 Jahren in San Damiano die Stimme Gottes: „Franziskus, bau meine Kirche wieder auf!“ Zuerst dachte er, es geht um das baufällige Gebäude. Später erkannte er: Es geht um die Menschen.

Vielleicht ist das auch heute wieder eine Aufgabe: Die Kirchen, die Gotteshäuser so zu verändern, dass Gemeinschaft, Glauben und Hoffnung neu spürbar wird. Denn ich bin mir sicher: das ist der eigentliche Zweck, für den die Kirchen einmal mit viel Mühe und Geld gebaut worden sind.

 

 

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07JAN2025
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Trauer ist schwer. Sie macht oft auch einsam. Doch niemand muss allein damit bleiben. Auf dem Friedhof in Montabaur-Horressen gibt es an jedem ersten und dritten Samstag im Monat ein besonderes Angebot.

In der Trauerhalle oder im Sommer draußen unter den Bäumen treffe ich zusammen mit der ehrenamtlichen Seelsorgerin Ingrid Müller Menschen, die jemanden verloren haben. Bei einer Tasse Tee oder Kaffee entsteht Raum, um zu reden oder einfach still beieinander zu sitzen. Oft reicht das, um den Schmerz ein wenig erträglicher zu machen.

Seit September 2024 laden wir zu dieser Aktion ein. Sie wird gut angenommen. Viele berichten, dass die Gemeinschaft Trost schenkt und hilft, die eigene Trauer besser zu tragen. Trauer verbindet. Und die Menschen spüren: Lebende und Verstorbene gehören zusammen.

Das Zweite Vatikanische Konzil, eine große Kirchenversammlung vor 60 Jahren, hat das so formuliert: Alles, was Menschen bewegt – Freude und Hoffnung, aber auch Trauer und Angst – gehört in die Mitte der Kirche. Menschliches Leben soll dort seinen Platz haben.

Ähnliche Angebote gibt auch in anderen Orten in Rheinland-Pfalz. Unsere Aktion „Wir hören zu“ findet jedenfalls auch in Zukunft an jedem ersten und dritten Samstag im Monat von 10 bis 12 Uhr statt. Ohne Anmeldung, einfach da sein, was erzählen, oder auch zusammen schweigen. Damit die Trauer nicht auch noch einsam macht.  

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06JAN2025
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Früher war es die quietschende Kreide, mit der die Kinder den Segen an die Tür schrieben. Heute ist es oft ein kleiner Aufkleber, der zeigt, dass die Sternsinger da waren. Doch die Begeisterung der Kinder bleibt die gleiche. Sie singen und sammeln, und tragen den Segen von Haus zu Haus – nicht nur heute am Dreikönigstag, sondern auch an anderen Tagen, mit einer Energie und Freude, die einfach ansteckend ist.

Die Reaktionen der Menschen, besonders der älteren Generation, sind immer wieder rührend. Oft fließen Tränen, wenn die Kinder vor der Tür stehen und den Menschen mit ihren Liedern den Segen bringen. Es wird nicht nur gespendet, es wird geteilt, gesungen und ein Stück Freude verschenkt.

Am Ende bleibt der Aufkleber an der Tür. Die lateinischen Anfangsbuchstaben für „Christus segne dieses Haus.“ Segen bedeutet, etwas Gutes zu sagen oder zu wünschen. Und genau das passiert hier. In jedem Segen steckt der Wunsch:  den Bewohnern dieses Hauses möge es gut gehen im neuen Jahr. Für die Kinder, die in Kenia, Kolumbien und anderen Ländern dieser Welt für ihre Rechte kämpfen, ist dieser Segen aber nicht nur ein Symbol, sondern ein Hoffnungsfunke, dass sich etwas ändert. Mit jeder gesammelten Spende, jedem Lied und jedem Schritt kann dieser Wunsch ein Stück mehr Realität werden.

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04JAN2025
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Eine Patientin im Krankenhaus hat mir erzählt: „Heute würde ich alles anders machen.“ „Was alles würden Sie anders machen?“, frage ich. „Wissen Sie, ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr ich mich über so daher gesagte Sprüche aufgeregt habe! So Sprüche wie: Die Haare wachsen doch wieder... Oder: Anderen geht‘s doch noch viel schlechter.

Heute würde ich das von vorneherein verhindern. Heute würde ich so eine Art Phrasen-Hitliste erstellen. Und die würde ich allen Freunden und Bekannten in die Hand drücken und sagen: Passt mal gut auf: Alle Sätze, die auf diesem Blatt Papier stehen, werdet Ihr auf gar keinen Fall zu mir sagen.“

„Was stünde denn ganz oben auf Ihrer Phrasen-Hitliste?“ frage ich. „Also, ganz oben stünde: Du bist eine Kämpferin. Du schaffst das. Wer so etwas sagt, möchte sich nicht damit befassen, wie lebensbedrohlich meine Erkrankung ist. Stattdessen versteckt man sich hinter einer Phrase.

Und macht mich dann auch noch dafür verantwortlich, wie die Sache ausgeht:
Du bist doch eine Kämpferin. Es liegt nur an dir...- Und wenn ich sterbe, tja - dann hab ich mich wohl nicht genügend angestrengt...“

„Was stünde denn da noch so auf der Hitliste?“ frage ich. „Oh, ganz weit oben stünde auch: Du musst positiv denken. Also: ich muss überhaupt nichts; und schon gar nicht muss ich mir etwas Schlimmes schönreden. Denn davon geht kein Tumor weg. Was wirklich weggehen soll - das ist meine schlechte Stimmung...“

„Gibt es denn auch eine Hitliste an hilfreichen Tipps?“, frage ich. Sie lehnt sich zurück und überlegt eine Weile. Dann sagt sie:
„Also, was mir hilft ist, das ist das Gefühl, gesehen zu werden. Wenn ich echtes Interesse spüre, an mir und meiner Situation, das hilft mir. Und wenn die Leute anteilnehmend fragen, und dann auch wirklich zuhören.

Ja, und wenn sie auch meine schlechten Gefühle einfach mal so stehenlassen. Wenn man mich so nimmt, wie ich gerade bin, das hilft.“

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03JAN2025
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„Was du nicht willst was man dir tu, das füg auch keinem anderen zu.“ Was der Volksmund in diesem kleinen Reim zusammenfasst – das ist eine gute Regel für das friedliche Miteinander.

Jesus hat sie sogar noch zugespitzt. Er hat gesagt: „Was ihr wollt, dass die anderen Menschen euch tun, das tut ihnen zuerst.“ Das heißt: Wir sollen den anderen sogar noch zuvorkommen. Und: Es geht nicht nur darum, andere nicht schlecht zu behandeln, sondern ihnen explizit etwas Gutes zu tun.

Ein schöner Gedanke. Aber leider scheitert er bei mir oft schon bei der geringsten Provokation. Vor ein paar Tagen ist mir auf einem ganz engen Bürgersteig ein Radfahrer entgegengekommen. Um ihm auszuweichen, musste ich vom Bürgersteig auf die Straße wechseln.

„Das ist ein Bürgersteig und kein Radweg!“, habe ihn angeschnauzt. Was er mit einer wilden Schimpftirade beantwortet hat. 

Ein paar Tage später habe ich eine junge Frau beobachtet, die hat sich so völlig anders verhalten: Sie hatte gerade ihr Auto eingeparkt, aber so, dass es etwas über die eingezeichnete Parkfläche hinausgeragt hat. Und direkt ist ein Mann aus der Einfahrt nebenan rausgekommen und hat sie beschimpft:

„So können Sie doch nicht parken! Da kommt ja kein Mensch mehr aus unserer Einfahrt heraus! Immer dieses rücksichtslose Verhalten!“

Die Frau hat ganz freundlich geantwortet: „Sie müssen nicht laut werden. Ich höre Ihnen zu. Wir können das in aller Ruhe besprechen und finden bestimmt eine Lösung...“ Der Mann hat noch eine Weile weiter herumgezetert, aber sie hat ihn ganz ruhig und geduldig herunterreguliert. 

„Wissen Sie, ich rege mich ja nur so auf, weil das andauernd passiert“, hat er am Ende fast entschuldigend gesagt. Und er hat ihr sogar angeboten, dort stehenzubleiben, weil er ohnehin nicht vorhatte, sein Auto zu bewegen. Es war richtig schön, das mitanzusehen.

Vielleicht hätte ich ja bei dem Mann mit dem Fahrrad einfach stehenbleiben können und fragen: „So, und wie lösen wir das jetzt?“ Und zwar so freundlich und souverän, wie die junge Frau. Schließlich möchte ich selbst so behandelt werden. Und es ist ein richtig gutes Gefühl, wenn Konflikte friedlich enden.

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