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SWR4 Abendgedanken

28JUL2023
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Wir haben in unserer Gemeinde gerade das Fest der „Jubelkonfirmationen“ gefeiert. 50, 60, 65 oder noch mehr Jahre nach ihrer Konfirmation treffen sich dazu gestandene Männer und Frauen  zu einem Festgottesdienst in der Kirche ihrer Jugendzeit. 50, 60, 65 oder noch mehr Jahre später: zurück an den Anfang, zurück in die Jugend – als das ganze Leben noch vor ihnen lag. Ob das nicht alles viel zu lange her ist, und vergessen? Ob sich die beschwerliche Anreise überhaupt lohnt? . Manche der Eingeladenen haben lange gezögert, ob sie die Einladung annehmen sollten. Aber, als der Tag dann da war und die Glocken laut über den Marktplatz geschallt haben, war für die Jubilare klar: Dies ist ein besonderer Moment. „Erinnert ihr euch, wie wir damals auch genau hier vor der Kirche gestanden haben?“ hat ein Mann gerufen, „ganz aufgeregt – und der Pfarrer hat uns streng angeschaut. Das ganze Leben lag noch vor uns“. „Ja, das ganze Leben lag noch vor uns“ antwortete eine Frau. „Und heute bin ich Mutter zweier Kinder, habe Enkel und sogar ein Urenkelchen. Gott hat es gut mit mir gemeint.“ Ein Rückblick auf das eigene Leben in der Gemeinschaft, das ist ein Geschenk eigener Art. Eine kleine Zeitreise zu den bedeutenden Ereignissen, die sich in die Weltgeschichte eingeschrieben haben wie das Kriegsende, der Gewinn der Fußball-WM 1954, der Mauerbau und Mauerfall, die Mondlandung, die Zeit der Pandemie. Ja, auch der ein oder andere Schlager aus den 50iger und 60iger Jahren, der die Herzen höherschlagen ließ, wurde in der Kirche angestimmt, um sich miteinander an die Zeit zu erinnern. Der feierlichste Moment war der, als die Jubelkonfirmandinnen und -konfirmanden im Gottesdienst wieder vor den Altar getreten sind und ihnen das Bibelwort zugesprochen wurde, dass ihnen einst von ihrem Pfarrer zugesprochen worden war . Klang manchmal das Wort damals vielleicht einfach nur fromm und weit weg, hat es sich durch die Jahre bei dem einem oder der anderen mit Leben gefüllt. „‘Befiehl du deine Wege und hoff auf ihn‘ war und ist mein Spruch“ hat eine Frau gesagt „Hier und da habe ich ganz schön mit Gott darüber gerungen, weil ich nicht verstanden habe, warum so viele Steine auf meinem Lebensweg liegen mussten. Heute denke ich: So manchen Stein hat Gott für mich zur Seite geräumt.“ Und, wie sieht es bei Ihnen aus? Hat sich Ihr Konfirmationsspruch mit Leben gefüllt?

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SWR4 Abendgedanken

27JUL2023
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Vor Kurzem haben meine Kolleginnen und ich Sonntag nachmittags zu einer Tasse Kaffee eingeladen – und zwar an einem ungewöhnlichen Ort: Mitten auf dem Friedhof unserer Stadt. Die Tische waren schnell gerichtet und wir waren gespannt, was passieren würde. Kaffee-Tische und -Plausch auf dem Friedhof – normalerweise haben wir Pfarrerinnen hier eine andere Rolle: Wir leiten die Trauerfeiern, begleiten die Familien im Moment des Loslassens am offenen Grab  und versuchen, Halt und Trost zu schenken.

Kein Wunder, dass manch einer irritiert geschaut hat, als wir da am Sonntagnachmittag auf einmal gestanden haben. „Wie wird jetzt auch schon sonntags beerdigt?“ „Nein, zum Glück noch nicht, wir möchten Sie einfach auf eine Tasse Kaffee einladen.“ „Das ist ja eine schöne Idee.“ Wir waren erstaunt, wie viel Leben da auf dem Friedhof ist. Erwachsene Kinder sind an das Grab ihrer Eltern gegangen, haben ein paar Blumen abgelegt und erzählten später liebevoll von der Mutter, die immer für die beiden dagewesen sei.

An einer anderen Stelle flossen Tränen. Das Grab war noch frisch, der Tod des Mannes so unerwartet gekommen. Manchmal würde sie jetzt hier mit ihrem Mann schimpfen, hat sie uns erzählt, dass er so einfach gegangen sei. Das würde zwar nichts ändern, aber ihr ginge es dann besser. Und jetzt habe sie das zum ersten Mal auch vor jemanden ausgesprochen.

Erstaunt waren wir, dass manche Frauen sich sogar auf dem Friedhof verabredet hatten „Ja, wir treffen uns hier ab und zu. Wir haben uns hier kennengelernt, unsere Gräber liegen benachbart. Der Friedhof ist mit seinen alten Bäumen einfach ein schöner Ort“ Die Einladung zur Tasse Kaffee hat die Menschen auf dem Friedhof ins Erzählen gebracht, es fanden sich Worte für die eigenen Gefühle. Und irgendwann wurde an diesem Sonntagnachmittag auch gelacht. Ein älterer Mann hat erzählt, dass er jeden Tag käme, um das Grab seiner Frau zu gießen. Schon so manches Mal hätte er überlegt, auf dem Grab Gemüse anzubauen, dann könnte er immerhin hier und da etwas ernten. Aber seine Frau hätte eben Blumen geliebt.  Vielleicht sollten wir das öfters wagen: Über unseren Schmerz und die Trauer ins Gespräch zu kommen. Tränen und vielleicht auch Wut zuzulassen. Ich glaube, dass es allen miteinander guttut, diese Seite des Lebens in den Blick zu nehmen.

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SWR4 Abendgedanken

26JUL2023
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„Manchmal kann die Sonne so viel strahlen, wie sie will. Ich nehme sie gar nicht mehr wahr. Ich komme nicht mal mehr aus meiner Wohnung raus.“ - so eine Bekannte von mir.

Sie leidet an einer schweren Depression. Sie hat selbst lange gebraucht, um sich dessen bewusst zu werden. Und wir, Freundinnen und Kollegen im Umfeld, wir haben das gar nicht so richtig mitbekommen, was mit ihr los ist. Wann sie angefangen hat, sich mehr und mehr zurückzuziehen. „Na, komm!“ - haben wir nicht nur einmal gesagt. „Komm doch mit uns mit“ – haben wir sie gedrängt. Im Nachhinein tut mir das leid, ich hatte damals noch nicht verstanden, wie es um sie stand.

Eine Depression ist eine schwere Erkrankung, die nicht wie ein Schnupfen nach ein paar Tagen wieder abzieht. Sie muss behandelt werden. Eine Depression kann man nicht mit aufbauenden Worten schönreden, man muss sie miteinander aushalten und tragen. Das braucht viel Geduld und Zeit. Da gibt es Auf und Abs – für die Betroffenen und das Umfeld, für die diese Erkrankung auch nicht leicht ist.

Sogar in der Bibel ist das schon beschrieben. König Saul soll depressiv gewesen sein. Sein Verhalten war für seine Umgebung schwer einzuordnen. Darum hat man irgendwann einen Hofmusiker für ihn gesucht. Ein Junge hat ihm auf der Harfe gespielt, damit es ihm besser ging. Musik als Therapie. Kein schlechter Ansatz - Heute weiß man noch viel mehr über diese Erkrankung. Es gibt Profis dafür, die sich mit Depressionen auskennen und sehr oft auch helfen können. Mediziner und Therapeuten.

Doch der erste Schritt dorthin ist alles andere als leicht. Eben die Erkenntnis „So kann es nicht weitergehen.“ Und dann eben doch das Haus zu verlassen, mit anderen mitgehen und Hilfe suchen. Manchmal braucht es gerade für diesen ersten Schritt einen guten Freund, der vorsichtig auf die Betroffene zugeht, von seiner Sorge um sie spricht. Für meine betroffene Bekannte war dieser erste Schritt unglaublich schwer, lange hat sie Hilfe abgewehrt, fröhlich gelacht und uns ein „Alles ist in Ordnung“ zugerufen. Im Rückblick sagt sie heute, hätte sie viel früher Hilfe in Anspruch nehmen sollen. Sie hatte sich selbst noch nicht verstanden.

Im Rückblick denke ich heute, hätte ich doch bloß ein wenig früher verstanden, was los ist. Vielleicht hätten wir gemeinsam erkennen können, was in solch einer Situation dran ist.

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SWR4 Abendgedanken

25JUL2023
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Morgen Mittag erhalten nun endlich auch die Schulkinder in Baden-Württemberg ihre Zeugnisse. In unserer Familie feiern wir den Ferienbeginn mit einem kleinen Ritual: Unser Sohn und unsere Tochter  dürfen den Picknickkorb am Nachmittag mit allem vollladen, was sie gerne essen: Mini-Würstchen, Frikadellen, ganz gewiss etwas Süßes und andere Leckereien. Ein Fest eigener Art.

Mit der untergehenden Abendsonne brechen wir mit den beiden auf und suchen uns einen Platz zum Picknicken. Ich erinnere mich an einen wunderschönen Sonnenuntergang, an ein Jahr unter alten Apfelbäumen, eines am See, wo uns die Mücken schließlich vertrieben haben. Miteinander lassen wir vom Schulalltag los. Wir lachen, wenn die Note unserer Sprösslinge in Sport zu gut ist, denn das widerspricht einer langen Familientradition. Wir freuen uns an guten Noten und tragen den Schmerz einer schlechten gemeinsam.

Dieser gemeinsame Abend ist wohltuend für uns alle. Und, es wird jedes Jahr neu klar: Die Schulnoten sind nur relativ. Sie sagen im Grunde genommen wenig aus. Eine Note, was heißt das schon? Spannend sind eher die Geschichten dahinter. Unser Sohn sollte einmal ein Schuljahr hindurch ein „Baumtagebuch“ führen. . In diesem sollte er dokumentieren, wie sich eine Birke im Laufe der Jahreszeiten verändert. Start der Langzeitaufgabe: September, Abgabetermin: vor den Sommerferien.  Nun, was soll ich sagen? Zwei Tage vor der Abgabe – also Ende Juni - wurde unserem Sohn klar, dass er die Dokumentation der Winterphase leider vergessen hatte, die des Frühlings, bei weiterem Nachdenken auch. Also haben wir geschaut, was jetzt im Sommer noch irgendwie zu retten war: „Klebe ein kahles Winterästlein in dein Tagebuch ein!“. Oh, je! „Trockne doch einen Zweig im Ofen!“. Das war keine gute Idee der kleinen Schwester, denn herausgekommen ist neben einer verqualmten Küche nur ein winziges Stück Holzkohle. Schließlich haben wir uns an den alten Reisigbesen im Keller erinnert und schon war das kahle Ästlein da. Na, also! Was für unseren Sohn zunächst wie eine Katastrophe schien, wurde zu einem echten Highlight in der Familiengeschichte, auf das wir noch heute stolz sind. Ein Highlight, mit großem Lerneffekt: Verschiebe das Erledigen einer Aufgabe nicht zu lang, sei kreativ in der Umsetzung und weiß, dass deine Familie für dich da ist, wenn Du allein nicht weiterkommst. Diese gemeinsame Erfahrung ist viel mehr wert als jede Zeugnisnote.

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SWR4 Abendgedanken

24JUL2023
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Ich bin stolze Besitzerin eines roten Schaukelstuhls. Es ist ein so richtig schönes altes Teil – das Holz geschwungen, der Sitz aus Wiener Geflecht. Meine Familie hat erst ein wenig die Stirn gerunzelt, weil ich dieses „unnütze“ Möbelstück unbedingt haben wollte als ich es im Trödelladen entdeckt habe. Ich höre noch meinen Mann „Muss das sein?“ Ja, wirklich drin sitzen tut man höchstens für ein paar Minuten. So richtig bequem ist dieses Ding nicht. Aber es war  guter Kauf, denn dieser Schaukelstuhl ist zu einem besonderen Ort in unserem Haus geworden. Auf eigene Weise zieht er seine Besucher an: Unsere Familienmitglieder, aber auch Freunde und Gäste.

Ein paar Minuten sanftes Schaukeln – und man sieht, wie sich das Gesicht des Stuhlgastes verändert: Der eine scheint wegzuträumen, die andere lächelt plötzlich sanft, nachdem der Gesichtsausdruck zuvor noch ganz und gar nachdenklich gewesen ist. Beim Nächsten stellt sich ein intensivstes Nachdenken ein. Am Ende stehen sie alle irgendwie verändert aus dem Stuhl auf. Genug geschaukelt! Das Leben geht nach dieser Schaukelpause weiter: Eine Last wurde abgelegt, eine Idee gefunden, etwas anderes kurz sortiert.  Die Aufenthaltsdauer ist immer nur kurz, es sind aber ein paar Minuten Ruhe. In der Bibel heißt es einmal: „Besser eine Hand voll mit Ruhe als beide Fäuste voll mit Mühe und Haschen nach Wind.“ (Prediger 4, 6) Eine Hand voll Ruhe vom Alltag. Eine kurze Unterbrechung. Beim Hin- und Herschaukeln von dem loslassen, was uns hier und da fest im Griff hat: Die Schule, die Arbeit, die nie enden wollende Liste mit Aufgaben und Ansprüchen. Eine Hand voll wohltuender Ruhe als Auszeit. Ich denke, wir alle brauchen manchmal Orte der Ruhe. Bei uns ist sie offensichtlich im roten Schaukelstuhl zu finden, und ich bin froh, dass ich damals dieses scheinbar unnütze Möbelstück gekauft habe. Ich hoffe, Sie haben auch solch einen Rückzugsort für eine Handvoll Ruhe für sich! Falls nicht, kann ich sagen: es lohnt sich, danach Ausschau zu halten.

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SWR4 Abendgedanken

05MAI2023
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Vor Kurzem hat meine Mutter etwas aufgeregt aus Norddeutschland angerufen. In der Zeitung hatte sie gelesen, dass die Kirche, in der ich als Jugendliche gewesen bin, verkauft und künftig anders genutzt werden soll. Als Begegnungs- oder Kulturzentrum oder etwas in der Art. Umwidmung nennt man das, wenn eine Gemeinde sich von einem Kirchengebäude trennt. Am Telefon habe ich erst einmal geschluckt. Viele schöne Erinnerungen habe ich an diesen Ort: Fröhliche Feste, lebendige Gottesdienste, Menschen, die füreinander dagewesen sind. Diese Kirche war für mich als Jugendliche ein Ort, um über Gott und die Welt zu diskutieren: Ich habe Trost erfahren, als ein lieber Mensch gestorben ist, wurde aufgefangen. Dazu haben wir gelernt, wie Bierbänke aufgestellt werden und dass ein Chor nur auftreten kann, wenn man zusammen probt.

Es tut mir weh, dass es diesen Ort, diese Kirche, nicht mehr geben soll. Aber, ich gebe zu, dass ich beinah 30 Jahre nicht mehr dort gewesen bin. Von den Veränderungen dort habe ich wenig mitbekommen. Die Kirche dort hat sich die Entscheidung sicher nicht leicht gemacht. Aber, ich verstehe es:  zwei andere Kirchen sind gleich um die Ecke, die Kosten für alle Gebäude kann sie mit immer weniger Mitgliedern auf Dauer nicht mehr bezahlen. Veränderungen gehören zum Leben dazu. Manche sind ein Fortschritt, über die ich einfach nur froh bin, zum Beispiel wenn ich an den Besuch beim Zahnarzt denke.

Andere Veränderungen tun mir weh: Ich war gerne in dieser Kirche. Es waren richtig gute Zeiten. Heute sieht es am selben Ort mit einem realistischen Blick leider anders aus. Im Kopf kann ich das alles nachvollziehen und weiß, dass die Entscheidung dort richtig ist, im Bauch fühlt es sich noch anders an. Aber, wie es weiter geht, wie und wo ich meinen Glauben heute lebe, das liegt doch an mir. Ich habe in meiner Kirchengemeinde damals eine Menge mitbekommen, dafür bin ich dankbar. Solche besonderen Orte muss es auch heute geben, davon bin ich überzeugt. Orte, an denen der Glauben zeitgemäß gelebt wird. Diese Kirche meiner Jugend gibt es nicht mehr. Jedoch eine im Hier und Jetzt - und diese möchte ich dort, wo ich jetzt lebe, mitgestalten.

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SWR4 Abendgedanken

04MAI2023
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„Meine Koffer sind gepackt“ hat vor kurzem ein älterer Freund zu mir am Telefon gesagt. „Wenn es so weit ist, ich bin bereit zu gehen!“ Etwas flapsig habe ich ihm geantwortet „Gut! Ich finde jedoch, dass deine Koffer noch eine Zeitlang in der Ecke stehen können.“ „Schauen wir mal“ war seine Antwort und er hat gelacht.

Das Bild vom Koffer, der für die letzte Reise gepackt bereitsteht, ist mir nachgegangen. Es hat mich an die gepackte Tasche vor der Geburt meiner Kinder erinnert. Auch sie signalisierte „Ich bin bereit!“ Bereit zu sein für das Leben oder eben auch den Tod, ist ein Gedanke, der mir gefällt. Leben und Tod sind voneinander nicht zu trennen, das eine geht nicht ohne das andere. Über das Leben sprechen wir oft, wir haben Vorstellungen davon. Aber wer spricht schon über das Ende? Tod und Sterben sind , immer noch Tabuthemen.

Mein Vater hat ein Gespräch darüber verweigert. Das habe ich sehr schade gefunden. Ich hätte zum Beispiel gerne gewusst, wie er sich seine Beerdigungsfeier gewünscht hätte. Ich glaube, mein Vater hatte Angst vor dem Sterben. Darum hat er vielleicht seinen Koffer nicht packen wollen, ihn vor sich versteckt. Wie anders klingt da „Ich bin bereit zu gehen!“  - wie mein Freund es von sich sagen kann.

Gewiss am Ende weiß man nie was kommt, aber so zu leben, dass ich gehen könnte und auf eigene Weise mit mir im Reinen bin, fühlt sich für mich gut an. Meine Familie, meine besten Freunde sollen darum jetzt mitten im Leben wissen, wie wertvoll sie mir sind – hier und da sage oder schreibe ich ihnen das. Oder ich lade sie spontan ein, mit mir das Leben und den Moment zu feiern. Wer weiß schon, was morgen sein wird? Wir können auch über den Tod sprechen: Ich glaube, dass Gott mir mein Leben geschenkt hat. Wenn ich sterbe, denke ich, werde ich nicht in ein Nichts gehen, sondern setze darauf, dass ich auf eigene Weise bei Gott aufgehoben bin. Und ich würde mich freuen, wenn zum Abschied mein Lieblingschoral gesungen wird, denn der gab und gibt mir Kraft im Leben: „Wer nur den lieben Gott lässt walten, und hoffet auf ihn allezeit, den wird er wunderbar erhalten, in aller Not und Traurigkeit. Wer Gott dem Allerhöchsten traut, der hat auf keinen Sand gebaut.“

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SWR4 Abendgedanken

03MAI2023
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Ich lebe gerne in einer Kleinstadt. Man kennt sich, miteinander gestaltet man das Leben. Die Vereine, der Stadtrat, die Geschäftswelt, die Kirche. Jeder hat irgendwie seinen Platz und seine Aufgabe. Man merkt, wenn jemand fehlt. In den letzten Monaten hat eine Bankfiliale geschlossen. An der Tür wird auf die nächste Filiale verwiesen, die mal eben 30 Kilometer entfernt ist – dazu der Hinweis: „Nutzen Sie gerne unsere Onlinedienste.“ Das kann ich tun, älteren Menschen fällt das schon schwerer. Auch kleine Fachgeschäfte haben in den letzten Monaten geschlossen, Sportvereine suchen händeringend Trainer, die Kirchen Ehrenamtliche. Was ist nur los?

Ich weiß, heute muss sich alles rechnen und jeder hat viel zu tun. Aber: Das Leben kann doch nicht nur im Internet stattfinden. Das Leben, das sind für mich echte Begegnungen. Das Gespräch mit der Bäckerin am Morgen, die Apothekenmitarbeiterin, die beim Lesen meines Rezeptes gleich wusste, dass mir das Medikament nicht guttun würde. Der vom Fußballverein verantwortete Maihock - das alles hat einen hohen Wert, eine eigene Lebensqualität.

Gut, hier und da knirscht es einmal, weil man sich eben kennt oder man eine lange Geschichte miteinander hat – aber man weiß sich doch verbunden und wird vor allem aufgefangen, wenn das Leben einmal schwer ist. In der Bibel heißt es an einer Stelle „Suchet der Stadt Bestes (…) und betet für sie zum Herrn; denn wenn’s ihr wohl geht, so geht’s euch auch wohl!“ – Der Gedanke gefällt mir und daran möchte ich festhalten. Das Beste einer Stadt oder auch eines Dorfes miteinander zu suchen und zu gestalten, ja, für die Menschen um mich herum zu beten und auch ganz praktisch etwas für die Gemeinschaft tun. Dazu gehört dann, dass ich die lokalen Geschäfte unterstütze, mich hier und da in eine Helfer- oder Kuchenliste eintrage und fünf Euro mehr bezahle als im Internet. Aber, da bin ich mir sicher, die zahlen sich auf ganze andere Weise ganz anders aus: Mit Nähe, mit Vertrautheit und Gemeinschaft. Allesamt Werte, die unbezahlbar sind.

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SWR4 Abendgedanken

02MAI2023
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Am Wochenende feiern wir ein großes Fest. Unsere Tochter feiert ihre Konfirmation. Oma und Opa werden anreisen, die Paten, der Neffe mit seiner Freundin, gute Freunde, ehemalige Nachbarn. Kurzum Menschen, die unserer Tochter wichtig sind. Wir alle freuen uns riesig darauf.

Dabei muss ich aufpassen, dass der Vorbereitungsstress meine Vorfreude nicht auffrisst: Gästebetten beziehen, das Essen planen, Staubsaugen - Fenster putzen. Die Liste ist lang - zu lang. Wir werden nicht alles schaffen, was wir uns vorgenommen haben. Unsere Tochter selbst geht die Vorbereitungen anders an.  Am Wochenende hat sie das Fotoalbum ihrer ersten Lebensmonate hervorgeholt. Miteinander haben wir das Album durchblättert: Haben gestaunt, wie klein sie damals gewesen ist. Ihr Start in das Leben ist alles andere als einfach gewesen: Ein paar Wochen Intensivstation zu Beginn. Dann endlich die Fahrt nach Hause. Diese Tage haben uns geprägt. Als Eltern zu erleben, wie kostbar das Leben ist – wie wenig man selbst in der Hand hat. Ich erinnere mich, wie wohltuend die Unterstützung der Krankenschwestern gewesen ist, wie der junge Oberarzt sich gekümmert hat. Die Klinikseelsorgerin hatte ein offenes Ohr für unsere Sorgen, hat unsere Tochter gesegnet, ein paar Monate später dann getauft. Auf einem Foto sind Familie und Freunde zusammen am Taufstein in der Kirche und freuen sich, dass alles gut verlaufen ist.

In ein paar Tagen werden die Menschen von dem Foto unsere Tochter wieder in die Kirche begleiten. Wir sind Gott dankbar, dass er uns unsere Tochter geschenkt hat. Die Konfirmanden haben vor Kurzem im Gottesdienst berichtet, warum ihnen der Glaube wichtig ist. Ich staune, was sie gesagt haben: Viele schätzen die Gemeinschaft in der Kirche, dass die Menschen hier festhalten am Frieden und um Gerechtigkeit ringen. Gerade jetzt, in der Ukrainekrise, ist ihnen das wichtig, dazu die Bewahrung der Schöpfung. Und unsere Tochter? Sie hat gesagt, dass sie an Gott glaubt, weil er sie zu Beginn ihres Lebens beschützt hat. Darum auch ihre Gelassenheit bei den Vorbereitungen: „Jetzt, bei der Konfirmation, will ich mich bei Gott bedanken und mit Euch allen feiern. Ob die Fenster zu Hause geputzt sind, ist doch völlig egal, Mama!“

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SWR4 Abendgedanken

01MAI2023
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Ich genieße es, jetzt hinauszugehen und die ersten Sonnenstrahlen auf der Haut zu spüren. Die Äste der Bäume, die vor ein paar Tagen noch kahl im Wind standen, sind nun voll von frischem Grün. Überall blüht es: weiß, rosa, gelb. Ich liebe das Leben!

Diese unglaubliche Kraft, die da in Gottes Schöpfung steckt. Wie Neues aus scheinbar Totem aufbricht. Bunt, lebendig, farbig – statt grau. In der Bibel steht: „Denn siehe, ich will ein Neues schaffen, jetzt wächst es auf, erkennt ihr’s denn nicht?“ (Jes 43,18)

Ja, manchmal erkenne ich das Neue nicht. Manchmal verharre ich im Alten, bleibe stecken in dem was ist und finde mich damit ab.

Die Bilder aus dem Ukrainekrieg, die seit über einem Jahr täglich kommen - Sie färben meine Stimmung grau, und im Laufe der Zeit ist mir die Hoffnung abhandengekommen, dass sich etwas zum Guten wenden könnte. Ich merke, es ist ein Krieg, bei dem es wieder einmal allein um Machtinteressen geht. Das Leiden der Bevölkerung auf beiden Seiten wird sich tief in das Gedächtnis der Menschen eingraben.   

Darum hat mir eine Aktion der Kirche in den vergangenen Wochen gefallen. Sie hieß „Hoffnung säen“ – Samenkörner für blaue Kornblumen und gelbe Sonnenblumen wurden verschenkt, als Zeichen der Solidarität mit den Menschen in der Ukraine. Ein Zeichen, dafür, dass man an dem Gedanken des Friedens und der Gerechtigkeit festhält – auch wenn alles so hoffnungslos und festgefahren scheint. Diese unendlichen Diskussionen während Menschen leiden, Familien um ihre Angehörigen bangen, die an der Front sind oder ihre Heimat verlassen, um in Frieden leben zu können, tun mir weh. Ich habe die Samen ausgesät. Noch ist nichts zu sehen. So ist das oft, wenn man mit etwas Neuem beginnt. Es braucht Geduld und Beharrlichkeit, am Anfang ist wenig zu erkennen. Auf den ersten Blick ist vielleicht sogar weniger da als zuvor. Aber Veränderungen sind im Leben, gerade auch im Alltag möglich. Darum und dafür bete ich – immer wieder.  Ich möchte festhalten an der Sehnsucht nach Frieden und Gottes Gerechtigkeit. Denn ich liebe das Leben.

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