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SWR4 Abendgedanken

15DEZ2023
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„Soll ich mal beim Förster anrufen und klären, wie das mit dem Weihnachtsbaum in diesem Jahr ist?“ Mit dieser Frage beginnen in unserer Kirchengemeinde die Vorbereitungen für die Weihnachtsgottesdienste. Und zwar schon Anfang Oktober! Erst einmal lachen alle über die Frage unseres jungen Hausmeisters und dann sind wir ihm dankbar. Er gibt damit sozusagen den Startschuss zu den Weihnachtsvorbereitungen in unserer Kirchengemeinde. Da ploppt dann eine Frage nach der anderen auf: „Gibt es eigentlich dieses Jahr wieder ein Krippenspiel?“ „Singt der Chor?“ Was früher vielleicht selbstverständlich war und über viele Jahre eingespielt, ist es heute nicht mehr. Bis die Glocken zum Festgottesdienst läuten, läuft eine Menge Organisationsarbeit im Hintergrund.

Jedes Jahr muss neu geschaut werden, wer dabei ist und was möglich ist: Dann ist die Freude groß, wenn erste Rückmeldungen kommen: „Wir haben dieses Jahr an die zwanzig Krippenspielkinder!“ erzählt die ehrenamtliche Leiterin am Sonntag. Der Kantor kommt dafür ins Grübeln, wenn er hört „Familie Kraus feiert dieses Jahr bei den Großeltern.“ Ohne die Kinder dieser Familie wird die Flötengruppe nicht spielen können. Immerhin hat sich die Tannenbaumtruppe schon gemeldet, dass alle wieder dabei sein werden, den Baum gemeinsam aufstellen und dann auch bis in die höchsten Höhen schmücken werden. „Danach gebe ich eine Runde Glühwein für alle aus!“, ruft der Hausmeister. Aus Berlin erreicht uns eine E-Mail im Pfarramt: „Ich komme an Weihnachten immer nach Hause. Wird dieses Jahr auch am Ende des Gottesdienstes „O, du fröhliche“ gesungen? Dann bringe ich meinen Kindern den Text bei.“ Weihnachten, das ist viel mehr als eine Festpredigt und „Stille Nacht“ auf der Orgel. Ein Weihnachtsgottesdienst wird von der ganzen Gemeinde getragen und vorbereitet. Ich mag diese Zeit der Vorbereitung, ich mag das Miteinander; dadurch wird der Gottesdienst etwas Besonderes. Und erst recht in dem Moment, wenn es am Heiligen Abend heißt: „Denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, in der Stadt Davids.“ Aber noch sind es ein paar Tage bis dahin. Wir freuen uns in den Kirchen, wenn Sie am Heiligen Abend mit uns feiern.

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SWR4 Abendgedanken

14DEZ2023
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„Einer trage des anderen Last!“ heißt es in der Bibel. Ich finde, das ist ein guter Gedanke. Ein Aufruf, miteinander das zu tragen, was einem das Leben zuträgt. Da gibt es Ärger auf der Arbeit, Sorgen um die Gesundheit, es verstirbt ein langjähriger Weggefährte. Miteinander ist vieles leichter zu tragen. Es tut mir gut, meine Sorgen zu teilen.

Manchmal reicht es schon, dass ich das, was mich bewegt, meiner Freundin erzähle. Da wird mein Herz leichter. Manchmal bekomme ich Trost geschenkt: „Das wird schon wieder!“ oder „Komm, ich helfe dir, was ist zu tun?“

Wenn jemand meine Lebenslasten mit mir trägt, tut mir das gut. Und umgekehrt ist es schön, wenn Menschen in meiner Umgebung ihre Sorgen mit mir teilen. Dann höre ich zu, tröste, wir suchen miteinander nach Lösungen oder ich packe mit an.

„Einer trage des anderen Last!“ Einmal trage ich, ein anderes Mal werde ich getragen. Ich empfange und ich gebe – ein Wechselspiel. Aus meiner Sicht ist das die Basis für ein gutes Miteinander, vielleicht sogar die Basis für unsere Gesellschaft. Manchmal kippt das Lastentragen meiner Erfahrung nach aber, da landet sehr viel auf wenigen Schultern. Das geht vielleicht einmal für einen kurzen Zeitraum, aber über Wochen oder Monate kann das nicht gut gehen. Manchen Menschen fällt es, gerade, wenn Not am Mann ist, schwer zu sagen: „Stopp, das ist jetzt zu viel. Ich kann nicht mehr.“ Darum habe ich am Ende ein Schild an der Praxistür unserer Ärztin verstanden, das mich zuerst geärgert hatte. Da stand doch: „Wegen Krankheit unserer Mitarbeiterinnen müssen wir heute unsere Öffnungszeiten reduzieren. Wir schließen heute zwei Stunden eher.“ Hä, was ist das denn? habe ich gedacht, meine Tochter ist krank, ich brauche eine Ärztin. Kann das nicht besser organisiert werden? Muss ich jetzt wirklich zum Notdienst? Und dann habe ich verstanden: Das ist organisiert. Da geht eine Chefin gut mit ihren Mitarbeiterinnen um. Die Last wird sorgsam auf die Mitarbeiterinnen verteilt, und zwar so, dass die Last zu tragen ist und niemand darunter zusammenbricht und dann auch noch ausfällt. Und wir Patientinnen tragen auch ein Stück mit. Wie gut! Ich glaube, man kann von der Ärztin lernen, was gesund ist.

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SWR4 Abendgedanken

13DEZ2023
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„Macht hoch die Tür, die Tor macht weit!“ ist mein Lieblingsadventslied. Es ruft mir zu: „Platz da für das Kind aus dem Stall von Bethlehem, Platz da für seine Friedensbotschaft!“ Das Lied erzählt von einem Herrscher, der für Gerechtigkeit sorgt. Und dies nicht durch Macht und laute Töne, sondern durch Sanftmütigkeit und Barmherzigkeit. Altmodisch klingt das. „Sanftmütig“, „barmherzig“. Dabei hätte ich gerade davon gerne mehr in diesen Tagen. Ich sehne mich nach einem „Frieden auf Erden“, den ja gerade die Engel in der Heiligen Nacht verkündet haben. Ich sehne mich nach mehr Raum und Platz für die leisen Töne, nach kleinen Zeichen des Miteinanders. Ja, dass Tore und Türen füreinander geöffnet werden, man einander begegnet, anstatt sich hinter eigenen Türen abzuschotten.

Vor Kurzem erst habe ich die Geschichte von der Entstehung des Liedes gehört, und schon da ist es um ganz konkrete Türen gegangen. Pfarrer Georg Weissel hat das Lied 1623 in Königsberg geschrieben. Inspiriert hatte ihn der junge Kirchendiener, der bei einem Ostseesturm den Besuchern der Kirche mit einer tiefen Verbeugung die Tür geöffnet hat. „Willkommen im Hause des Herrn! Seine Türen stehen jedem offen, ob arm, ob reich“. „Was für eine Predigt im Kleinen!“, hat sich der Pfarrer gedacht, zumal es ihn an einen Psalm in der Bibel erinnert hat, der sagt: „Machet die Tore weit!“. Der Pfarrer hatte dabei nicht nur die Kirchentüren im Sinn, sondern auch ein anderes, ganz konkretes: das Tor des Nachbarhauses der Kirche. Der reiche Geschäftsmann, der dort gewohnt hat, hatte nämlich seinen Grund und Boden eingezäunt und mit einem Tor verschlossen. Das führte dazu, dass die Bewohner des Armenheimes nur mit einem großen Umweg zur Kirche kommen konnten; und der war für manche zu lang. Und so hat der Pfarrer mit dem Chor das frisch gedichtete Lied „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit“ direkt vor dessen Haus gesungen. Und, was soll man sagen?  Noch vor Ende des Liedes, sagt die Legende, habe der Mann sein Tor geöffnet und die Kranken und Alten konnten auf direktem Weg in die Kirche kommen. Diese Geschichte macht mir Mut. Und darum singe ich „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit!“ in diesem Advent besonders laut.

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SWR4 Abendgedanken

12DEZ2023
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Bei dem kleinen Bäcker in unserer der Straße ist jetzt in der Vorweihnachtszeit das ganze Schaufenster voller Plätzchen. Das sieht so unglaublich lecker aus, dass ich immer einen Moment davor stehen bleiben muss. Es sind große Bleche, und die Plätzchen liegen da alle in Reih‘ und Glied. Eines schöner als das andere. Mit und ohne Glasur, mit Mandeln oder Streuseln. Der Bäcker hat offensichtlich große Freude an seinen kleinen Meisterstücken. Plätzchen, finde ich, sind ein besonderes Gebäck. Sie erinnern mich an meine Kindheit: Im Advent hat unsere Mutter mit meinem Bruder und mir sich ans Plätzchenbacken gemacht. Da wurde zuerst der Teig geknetet und ausgerollt, dann die Plätzchen vorsichtig ausgestochen, Bleche in den Ofen geschoben und dann wurde natürlich dekoriert. Ehrlicherweise muss ich sagen, sind dabei immer sehr viel weniger Plätzchen herausgekommen als es die Teigmenge vermuten ließ. Das lag vor allen Dingen an unserem Vater, der beim Backen vorbeigekommen ist und mit einem Brustton der Überzeugung verkündete, dass man Plätzchenteig immer und unbedingt probieren muss. Meine Mutter hat das zugelassen, und wir Kinder waren glücklich. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum ich im Moment so gerne vor dem Schaufenster mit den Plätzchen stehen bleibe. Denn dort werden für mich im Grunde nicht nur Plätzchen verkauft, sondern Glück - und das sogar in Tüten.

Manchmal backe ich selbst und habe Freude daran, genauso wie früher meine Mutter. Und wie offensichtlich auch der Bäcker mit seinen kleinen Meisterstücken im Schaufenster. Manchmal kaufe ich deshalb auch welche. Denn schon das Aussuchen der kleinen Köstlichkeiten und das Zuschauen, wenn die Verkäuferin die kostbare Ware liebevoll verpackt, hat etwas Eigenes. Das Tütchen kann ein Mitbringsel für einen lieben Menschen bei einem Besuch werden, es könnte ein kleiner Gruß vor der Haustür sein, oder auch für einen selbst eine kurze Auszeit bei einer Tasse Kaffee oder Tee werden. Eine Tüte Plätzchen, eine Tüte Glück, eine Einladung zum Träumen. Für mich, für Sie und wer Ihnen jetzt in den Sinn kommt.

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SWR4 Abendgedanken

11DEZ2023
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In nicht einmal zwei Wochen ist Weihnachten. Ich freue mich auf das Fest. In diesem Jahr ganz besonders, weil es auf einem sehr langen Wochenende liegt. Meiner Erfahrung nach ist das gesamte Weihnachtsfest dann etwas entspannter. Die letzten Einkäufe können am Samstag erledigt werden, und wenn dann die letzten Geschäfte geschlossen haben, wird es auf eigene Art ruhig in der Stadt. Ich freue mich auf diese drei, wenn nicht vier Tage am Stück mit meiner Familie. Ich mag diese Zeit aber im Vorfeld etwas gestalten. Ich nehme mir also jetzt schon Zeit, und bespreche in der Familie, wie wir diese Tage miteinander verbringen möchten. Ein paar Dinge sind gesetzt, besonders am 24. Dezember: Der Morgen wird mit dem Abspielen einer ganz bestimmten Weihnachts-CD gestartet, dann wird gemeinsam der Tannenbaum geschmückt. Das muss sein! Wir freuen uns auf den Gottesdienst, denn der ist am Heiligen Abend immer etwas Besonderes. Danach essen wir in Ruhe, und dann gibt es die Geschenke. Das geht bei uns reihum. Jeder, darf ein Geschenk auspacken, und alle schauen zu. So bekommt jedes Familienmitglied und jedes Geschenk eigene Aufmerksamkeit. An den Feiertagen, die dann kommen, sind die Bedürfnisse jedes Jahr ein wenig anders. Wir besprechen miteinander, wie es mit Besuchen oder Konzerten aussieht. Was tut uns in diesem Jahr gut, wo kommt bei uns Weihnachtsfreude auf? Das ist ja bei jedem anders.

Wie sieht das bei Ihnen aus? Was brauchen Sie, um eine gute Weihnachtszeit zu haben? Ich glaube, dass es guttut, sich für diese Frage Zeit zu nehmen. Jetzt, vor dem Fest, zu überlegen, was Ihnen am Herzen liegt. Gibt es Traditionen, die Ihnen wichtig sind, oder probieren Sie dieses Jahr lieber etwas Neues aus?  Wollen Sie mit anderen Menschen an den Feiertagen zusammen sein oder wollen Sie lieber allein sein? Vielleicht möchten Sie auch einem anderen Menschen eine Weihnachtsfreude bereiten? Jemanden besuchen oder zu sich einladen? Nehmen Sie sich jetzt Zeit für diese Fragen, damit das lange Wochenende auch ein Festwochenwochenende wird.

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SWR4 Abendgedanken

28JUL2023
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Wir haben in unserer Gemeinde gerade das Fest der „Jubelkonfirmationen“ gefeiert. 50, 60, 65 oder noch mehr Jahre nach ihrer Konfirmation treffen sich dazu gestandene Männer und Frauen  zu einem Festgottesdienst in der Kirche ihrer Jugendzeit. 50, 60, 65 oder noch mehr Jahre später: zurück an den Anfang, zurück in die Jugend – als das ganze Leben noch vor ihnen lag. Ob das nicht alles viel zu lange her ist, und vergessen? Ob sich die beschwerliche Anreise überhaupt lohnt? . Manche der Eingeladenen haben lange gezögert, ob sie die Einladung annehmen sollten. Aber, als der Tag dann da war und die Glocken laut über den Marktplatz geschallt haben, war für die Jubilare klar: Dies ist ein besonderer Moment. „Erinnert ihr euch, wie wir damals auch genau hier vor der Kirche gestanden haben?“ hat ein Mann gerufen, „ganz aufgeregt – und der Pfarrer hat uns streng angeschaut. Das ganze Leben lag noch vor uns“. „Ja, das ganze Leben lag noch vor uns“ antwortete eine Frau. „Und heute bin ich Mutter zweier Kinder, habe Enkel und sogar ein Urenkelchen. Gott hat es gut mit mir gemeint.“ Ein Rückblick auf das eigene Leben in der Gemeinschaft, das ist ein Geschenk eigener Art. Eine kleine Zeitreise zu den bedeutenden Ereignissen, die sich in die Weltgeschichte eingeschrieben haben wie das Kriegsende, der Gewinn der Fußball-WM 1954, der Mauerbau und Mauerfall, die Mondlandung, die Zeit der Pandemie. Ja, auch der ein oder andere Schlager aus den 50iger und 60iger Jahren, der die Herzen höherschlagen ließ, wurde in der Kirche angestimmt, um sich miteinander an die Zeit zu erinnern. Der feierlichste Moment war der, als die Jubelkonfirmandinnen und -konfirmanden im Gottesdienst wieder vor den Altar getreten sind und ihnen das Bibelwort zugesprochen wurde, dass ihnen einst von ihrem Pfarrer zugesprochen worden war . Klang manchmal das Wort damals vielleicht einfach nur fromm und weit weg, hat es sich durch die Jahre bei dem einem oder der anderen mit Leben gefüllt. „‘Befiehl du deine Wege und hoff auf ihn‘ war und ist mein Spruch“ hat eine Frau gesagt „Hier und da habe ich ganz schön mit Gott darüber gerungen, weil ich nicht verstanden habe, warum so viele Steine auf meinem Lebensweg liegen mussten. Heute denke ich: So manchen Stein hat Gott für mich zur Seite geräumt.“ Und, wie sieht es bei Ihnen aus? Hat sich Ihr Konfirmationsspruch mit Leben gefüllt?

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SWR4 Abendgedanken

27JUL2023
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Vor Kurzem haben meine Kolleginnen und ich Sonntag nachmittags zu einer Tasse Kaffee eingeladen – und zwar an einem ungewöhnlichen Ort: Mitten auf dem Friedhof unserer Stadt. Die Tische waren schnell gerichtet und wir waren gespannt, was passieren würde. Kaffee-Tische und -Plausch auf dem Friedhof – normalerweise haben wir Pfarrerinnen hier eine andere Rolle: Wir leiten die Trauerfeiern, begleiten die Familien im Moment des Loslassens am offenen Grab  und versuchen, Halt und Trost zu schenken.

Kein Wunder, dass manch einer irritiert geschaut hat, als wir da am Sonntagnachmittag auf einmal gestanden haben. „Wie wird jetzt auch schon sonntags beerdigt?“ „Nein, zum Glück noch nicht, wir möchten Sie einfach auf eine Tasse Kaffee einladen.“ „Das ist ja eine schöne Idee.“ Wir waren erstaunt, wie viel Leben da auf dem Friedhof ist. Erwachsene Kinder sind an das Grab ihrer Eltern gegangen, haben ein paar Blumen abgelegt und erzählten später liebevoll von der Mutter, die immer für die beiden dagewesen sei.

An einer anderen Stelle flossen Tränen. Das Grab war noch frisch, der Tod des Mannes so unerwartet gekommen. Manchmal würde sie jetzt hier mit ihrem Mann schimpfen, hat sie uns erzählt, dass er so einfach gegangen sei. Das würde zwar nichts ändern, aber ihr ginge es dann besser. Und jetzt habe sie das zum ersten Mal auch vor jemanden ausgesprochen.

Erstaunt waren wir, dass manche Frauen sich sogar auf dem Friedhof verabredet hatten „Ja, wir treffen uns hier ab und zu. Wir haben uns hier kennengelernt, unsere Gräber liegen benachbart. Der Friedhof ist mit seinen alten Bäumen einfach ein schöner Ort“ Die Einladung zur Tasse Kaffee hat die Menschen auf dem Friedhof ins Erzählen gebracht, es fanden sich Worte für die eigenen Gefühle. Und irgendwann wurde an diesem Sonntagnachmittag auch gelacht. Ein älterer Mann hat erzählt, dass er jeden Tag käme, um das Grab seiner Frau zu gießen. Schon so manches Mal hätte er überlegt, auf dem Grab Gemüse anzubauen, dann könnte er immerhin hier und da etwas ernten. Aber seine Frau hätte eben Blumen geliebt.  Vielleicht sollten wir das öfters wagen: Über unseren Schmerz und die Trauer ins Gespräch zu kommen. Tränen und vielleicht auch Wut zuzulassen. Ich glaube, dass es allen miteinander guttut, diese Seite des Lebens in den Blick zu nehmen.

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SWR4 Abendgedanken

26JUL2023
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„Manchmal kann die Sonne so viel strahlen, wie sie will. Ich nehme sie gar nicht mehr wahr. Ich komme nicht mal mehr aus meiner Wohnung raus.“ - so eine Bekannte von mir.

Sie leidet an einer schweren Depression. Sie hat selbst lange gebraucht, um sich dessen bewusst zu werden. Und wir, Freundinnen und Kollegen im Umfeld, wir haben das gar nicht so richtig mitbekommen, was mit ihr los ist. Wann sie angefangen hat, sich mehr und mehr zurückzuziehen. „Na, komm!“ - haben wir nicht nur einmal gesagt. „Komm doch mit uns mit“ – haben wir sie gedrängt. Im Nachhinein tut mir das leid, ich hatte damals noch nicht verstanden, wie es um sie stand.

Eine Depression ist eine schwere Erkrankung, die nicht wie ein Schnupfen nach ein paar Tagen wieder abzieht. Sie muss behandelt werden. Eine Depression kann man nicht mit aufbauenden Worten schönreden, man muss sie miteinander aushalten und tragen. Das braucht viel Geduld und Zeit. Da gibt es Auf und Abs – für die Betroffenen und das Umfeld, für die diese Erkrankung auch nicht leicht ist.

Sogar in der Bibel ist das schon beschrieben. König Saul soll depressiv gewesen sein. Sein Verhalten war für seine Umgebung schwer einzuordnen. Darum hat man irgendwann einen Hofmusiker für ihn gesucht. Ein Junge hat ihm auf der Harfe gespielt, damit es ihm besser ging. Musik als Therapie. Kein schlechter Ansatz - Heute weiß man noch viel mehr über diese Erkrankung. Es gibt Profis dafür, die sich mit Depressionen auskennen und sehr oft auch helfen können. Mediziner und Therapeuten.

Doch der erste Schritt dorthin ist alles andere als leicht. Eben die Erkenntnis „So kann es nicht weitergehen.“ Und dann eben doch das Haus zu verlassen, mit anderen mitgehen und Hilfe suchen. Manchmal braucht es gerade für diesen ersten Schritt einen guten Freund, der vorsichtig auf die Betroffene zugeht, von seiner Sorge um sie spricht. Für meine betroffene Bekannte war dieser erste Schritt unglaublich schwer, lange hat sie Hilfe abgewehrt, fröhlich gelacht und uns ein „Alles ist in Ordnung“ zugerufen. Im Rückblick sagt sie heute, hätte sie viel früher Hilfe in Anspruch nehmen sollen. Sie hatte sich selbst noch nicht verstanden.

Im Rückblick denke ich heute, hätte ich doch bloß ein wenig früher verstanden, was los ist. Vielleicht hätten wir gemeinsam erkennen können, was in solch einer Situation dran ist.

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SWR4 Abendgedanken

25JUL2023
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Morgen Mittag erhalten nun endlich auch die Schulkinder in Baden-Württemberg ihre Zeugnisse. In unserer Familie feiern wir den Ferienbeginn mit einem kleinen Ritual: Unser Sohn und unsere Tochter  dürfen den Picknickkorb am Nachmittag mit allem vollladen, was sie gerne essen: Mini-Würstchen, Frikadellen, ganz gewiss etwas Süßes und andere Leckereien. Ein Fest eigener Art.

Mit der untergehenden Abendsonne brechen wir mit den beiden auf und suchen uns einen Platz zum Picknicken. Ich erinnere mich an einen wunderschönen Sonnenuntergang, an ein Jahr unter alten Apfelbäumen, eines am See, wo uns die Mücken schließlich vertrieben haben. Miteinander lassen wir vom Schulalltag los. Wir lachen, wenn die Note unserer Sprösslinge in Sport zu gut ist, denn das widerspricht einer langen Familientradition. Wir freuen uns an guten Noten und tragen den Schmerz einer schlechten gemeinsam.

Dieser gemeinsame Abend ist wohltuend für uns alle. Und, es wird jedes Jahr neu klar: Die Schulnoten sind nur relativ. Sie sagen im Grunde genommen wenig aus. Eine Note, was heißt das schon? Spannend sind eher die Geschichten dahinter. Unser Sohn sollte einmal ein Schuljahr hindurch ein „Baumtagebuch“ führen. . In diesem sollte er dokumentieren, wie sich eine Birke im Laufe der Jahreszeiten verändert. Start der Langzeitaufgabe: September, Abgabetermin: vor den Sommerferien.  Nun, was soll ich sagen? Zwei Tage vor der Abgabe – also Ende Juni - wurde unserem Sohn klar, dass er die Dokumentation der Winterphase leider vergessen hatte, die des Frühlings, bei weiterem Nachdenken auch. Also haben wir geschaut, was jetzt im Sommer noch irgendwie zu retten war: „Klebe ein kahles Winterästlein in dein Tagebuch ein!“. Oh, je! „Trockne doch einen Zweig im Ofen!“. Das war keine gute Idee der kleinen Schwester, denn herausgekommen ist neben einer verqualmten Küche nur ein winziges Stück Holzkohle. Schließlich haben wir uns an den alten Reisigbesen im Keller erinnert und schon war das kahle Ästlein da. Na, also! Was für unseren Sohn zunächst wie eine Katastrophe schien, wurde zu einem echten Highlight in der Familiengeschichte, auf das wir noch heute stolz sind. Ein Highlight, mit großem Lerneffekt: Verschiebe das Erledigen einer Aufgabe nicht zu lang, sei kreativ in der Umsetzung und weiß, dass deine Familie für dich da ist, wenn Du allein nicht weiterkommst. Diese gemeinsame Erfahrung ist viel mehr wert als jede Zeugnisnote.

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SWR4 Abendgedanken

24JUL2023
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Ich bin stolze Besitzerin eines roten Schaukelstuhls. Es ist ein so richtig schönes altes Teil – das Holz geschwungen, der Sitz aus Wiener Geflecht. Meine Familie hat erst ein wenig die Stirn gerunzelt, weil ich dieses „unnütze“ Möbelstück unbedingt haben wollte als ich es im Trödelladen entdeckt habe. Ich höre noch meinen Mann „Muss das sein?“ Ja, wirklich drin sitzen tut man höchstens für ein paar Minuten. So richtig bequem ist dieses Ding nicht. Aber es war  guter Kauf, denn dieser Schaukelstuhl ist zu einem besonderen Ort in unserem Haus geworden. Auf eigene Weise zieht er seine Besucher an: Unsere Familienmitglieder, aber auch Freunde und Gäste.

Ein paar Minuten sanftes Schaukeln – und man sieht, wie sich das Gesicht des Stuhlgastes verändert: Der eine scheint wegzuträumen, die andere lächelt plötzlich sanft, nachdem der Gesichtsausdruck zuvor noch ganz und gar nachdenklich gewesen ist. Beim Nächsten stellt sich ein intensivstes Nachdenken ein. Am Ende stehen sie alle irgendwie verändert aus dem Stuhl auf. Genug geschaukelt! Das Leben geht nach dieser Schaukelpause weiter: Eine Last wurde abgelegt, eine Idee gefunden, etwas anderes kurz sortiert.  Die Aufenthaltsdauer ist immer nur kurz, es sind aber ein paar Minuten Ruhe. In der Bibel heißt es einmal: „Besser eine Hand voll mit Ruhe als beide Fäuste voll mit Mühe und Haschen nach Wind.“ (Prediger 4, 6) Eine Hand voll Ruhe vom Alltag. Eine kurze Unterbrechung. Beim Hin- und Herschaukeln von dem loslassen, was uns hier und da fest im Griff hat: Die Schule, die Arbeit, die nie enden wollende Liste mit Aufgaben und Ansprüchen. Eine Hand voll wohltuender Ruhe als Auszeit. Ich denke, wir alle brauchen manchmal Orte der Ruhe. Bei uns ist sie offensichtlich im roten Schaukelstuhl zu finden, und ich bin froh, dass ich damals dieses scheinbar unnütze Möbelstück gekauft habe. Ich hoffe, Sie haben auch solch einen Rückzugsort für eine Handvoll Ruhe für sich! Falls nicht, kann ich sagen: es lohnt sich, danach Ausschau zu halten.

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