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SWR4 Abendgedanken
Heute vor 84 Jahren haben deutsche Bomber im Zweiten Weltkrieg die Innenstadt von Coventry in England zerstört. Solch einen „Krieg aus der Luft“ hatte es vorher nicht gegeben. Und „Coventrieren“ wurde zu einem Begriff für die Vernichtung einer Stadt aus der Luft.
Auch von der Kirche des Ortes sind damals nur die Außenwände stehen geblieben. Im Inneren war sie total ausgebrannt. Richard Howard, der damals Probst an der Kirche von Coventry war, hat nach der Zerstörung seiner Kirche etwas getan, was zunächst einige verstört hat. In der vom englischen Radio übertragenen Weihnachtsmesse rief er die Zuhörer zur Versöhnung auf. An Versöhnung hatte mitten im Krieg gewiss keiner gedacht. Doch dem Pfarrer war dieser Aufruf wichtig, weil ihm klar geworden war, dass die Gewaltspirale zwischen den Kriegsparteien sonst nie ein Ende finden würde. Das Kriegstreiben, das eigentlich niemand will, wird sonst, wenn keiner den ersten Schritt wagt, immer nur weiter gehen.
Coventry war eine Industriestadt. Neben den Fabriken wurden 4330 Häuser und Kulturgüter zerstört. 568 Menschen sind gestorben und 850 Menschen wurden verletzt, später wurde auch London bombardiert und Dresden, Berlin und andere Städte erlebten ähnliche Schicksale. Wenn ich die Bilder von damals oder gerade auch die Bilder aus den Kriegs- und Krisengebieten unserer Tage sehe, dann lässt mich das sprachlos sein. Wie kann es sein, dass Menschen sich gegenseitig so etwas antun? Und wie kann es sein, dass wir seit damals anscheinend nichts dazu gelernt haben?
Der Probst von Coventry hat damals ein Symbol für seinen Gedanken der Versöhnung hergestellt, das die Menschen bis heute berührt: Aus zwei zerstörten Dachbalken der mittelalterlichen Kirche stellte er ein großes Kreuz in der Ruine seiner Kirche auf, später gestaltet er ein Kreuz aus drei Nägeln aus den verbrannten Balken. Die Botschaft ist klar: Christus leidet, wenn er sieht, was wir Menschen uns auf dieser Welt gegenseitig antun. Als Geschenk der Gemeinde von Coventry findet sich ein Nagelkreuz heute in der Dresdener Kreuzkirche und eines in der Kaiser -Wilhelm-Gedächtnis-Kirche in Berlin.
Es bleibt als Symbol der Hoffnung und ein Zeichen der Versöhnung und hört nicht auf, nach Frieden zu rufen: auch und gerade heute!
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Bei uns in Tauberfranken liegt im November oft bis zum späteren Vormittag der Nebel in den Tälern, dazu wird es am Abend früh dunkel.
Ein trister Monat. Aber mir gefällt an dieser Zeit, dass ich in ihr so viel Ruhe finde, wie kaum zu einer anderen Jahreszeit. An frühen Abenden nehme ich mir jetzt gerne eine Decke und setze mich mit einer warmen Tasse Tee auf mein Sofa. Ich denke über die vergangenen Monate nach.
In diesem Jahr ist bei mir ganz schön viel zusammengekommen. Ich musste von mehreren lieben Menschen Abschied nehmen, die mich weite Teile meines Lebens begleitet haben. Mein Mann hat seinen Arbeitsplatz gewechselt, ein Freund bekam eine Krankheitsdiagnose, meiner Mutter ging es nicht gut. Manches liegt auf meiner Seele wie der Novembernebel in den Tälern. Das kann einen ganz schön erdrücken.
Es gibt aber auch eine andere Seit, die ich Gott sei Dank genauso aus diesem Jahr in den Blick nehmen kann: Da gab es Gutes, Schönes, Überraschendes und Gelungenes: Wir haben dieses Jahr unsere Silberhochzeit mit Freunden feiern dürfen, wir konnten mit unserem Sohn seinen Schulabschluss feiern, es gab nicht nur ein schönes Geburtstagsfest und im Urlaub habe ich in Finnland zum ersten Mal Polarlichter gesehen. Ich war völlig aus dem Häuschen, als ich das grün-violette Licht am Himmel erblickt habe. Die ganze Familie habe ich lautstark nachts um ein Uhr zusammengerufen. Damit alle dieses unglaubliche Himmelsphänomen sehen konnten. Noch jetzt staune ich darüber – Monate später im ach so tristen November.
„Alles Ding währt seine Zeit-Gottes Lieb in Ewigkeit“, heißt es in einem Kirchenlied. Mir tut der November gut, um die Dinge meines Lebens nach den übervollen Monaten zu sortieren. Das Schöne wie das Schwierige hat in diesem Jahr seinen Platz darin gefunden. Und, was sich noch nicht sortieren lässt, lege ich einfach in Gottes Liebe ab – vielleicht sortiert er es für mich, wenn nicht heute, dann vielleicht an einem anderen Abend.
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Heute in sechs Wochen ist Heiligabend. In diesem Jahr habe ich mir vorgenommen, soll es möglichst ruhig zugehen. Ich möchte kurz vor Weihnachten nicht noch durch Geschäfte hetzen, um ein passendes Geschenk zu finden. Also fange ich schon zwei Wochen vor dem ersten Advent mit den Vorbereitungen an, obwohl ich noch gar nicht in Weihnachtsstimmung bin. Egal, ich mache mir schon jetzt eine Liste, mit den Namen aller, die mir wichtig sind. Meine Familie, ist ja klar, dazu die besten Freunde, aber eben auch ein paar Menschen, die es dieses Jahr einfach gut mit mir gemeint haben.
Da gibt es z.B. eine ältere Dame. Sie hat mir manch gutes Wort in den vergangenen Monaten geschenkt. Mich ermahnt, mich ins Bett zu legen, wenn ich mit einer Erkältung aus dem Haus gegangen bin, mich in den Arm genommen, als ein lieber Mensch verstorben ist. Ihr möchte ich zu Weihnachten eine Karte schreiben und mich bei ihr für ihre Fürsorge bedanken.
Ich habe Kolleginnen und Kollegen. Wir helfen und unterstützen uns gegenseitig, tragen einander in schwierigen Zeiten - wir können gemeinsam Lachen und Weinen. Das ist an vielen Arbeitsplätzen nicht selbstverständlich – in diesem Jahr möchte ich sie mit selbstgebackenen Plätzchen bei einer Tasse Tee überraschen. Gemeinsame Zeit ist ein Geschenk ganz anderer Art, und oft haben wir viel zu wenig davon.
Nun, meine Liste ist noch nicht fertig, ich werde mich in den kommenden Tagen auf jeden Fall weiter daransetzen. Denn, was ich nicht gedacht habe, ist, dass mir das Aufschreiben der Namen all dieser Menschen große Freude bereitet. So viele waren für mich in den vergangenen Wochen und Monaten da, das ist so schön. Die Liste ist eigentlich ein Geschenk für mich und das fühlt sich ganz und gar anders an als der Druck, kurz vor Weihnachten schnell noch irgendwas besorgen zu müssen. Und ich habe schon ein paar wirklich schöne Ideen, die ich nun gerne in Ruhe angehe.
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Als unser Sohn noch klein war und am 11. November abends nach einem Martinsumzug mit Musikkapelle und Pferd nach Hause gekommen ist, da war für ihn eines klar: „Teilen ist cool!“.
Im Kindergarten wurden die Laternen - auch mit den Allerkleinsten -selbst gebastelt. Mit viel Liebe entstanden durch die Jahre bunte Kugeln, leuchtende Igel und andere farbenfrohe Modelle, die im Kinderzimmer aufbewahrt werden mussten. Während des Bastelns haben die Erzieherinnen den Kindern die Legende von St. Martin erzählt: Martin war ein römischer Soldat, der mit einem Bettler, als er ihn in Schnee und Eis frierend vor dem Stadttor sitzen saß, seinen Mantel geteilt hat. Und das nicht irgendwie, sondern mit einem großen Schwert. Martin hatte Mitleid mit diesem Mann, andere Menschen offensichtlich nicht. Von Sankt Martin kann man lernen, zu teilen.
„Teilen ist cool“ – diese Botschaft ist bei unserem Sohn damals eindeutig angekommen.
Eine Zeitlang wurde in der Folge des Martinstages darum alles von ihm bei uns zu Hause geteilt: ob Butterbrote oder Süßigkeiten - am besten mit einem Holzschwert.
Nun, diese Leidenschaft hat im Laufe der Jahre ein wenig nachgelassen, geblieben aber ist noch eines: Noch heute, wenn unser inzwischen erwachsener Sohn am Straßenrand einen Bettler sitzen sieht, zieht er selten einfach an ihm vorbei. Er holt seinen Geldbeutel heraus und gibt ihm eine Münze oder besorgt heißen Kaffee oder etwas zu essen – und manchmal ergibt sich daraus auch ein Gespräch. Er mag einen Menschen nicht einfach so sitzen lassen.
Mit der Sankt Martinsgeschichte haben die Erzieherinnen unserem Sohn auf gute Weise eine Haltung zu anderen Menschen in sein Herz eingeschrieben. Dafür bin ich ihnen noch heute sehr dankbar. Einen Blick für andere Menschen zu haben, die einem im Alltag begegnen, und nicht nur bei sich selbst stehenzubleiben, ist ein besonderes Geschenk.
Heute ist wieder Martinstag und die Kinder ziehen mit ihren Eltern singend mit Laternen in der Hand durch die Straßen. Und ganz bestimmt findet Sankt Martin heute Abend auch neue Fans, die für ihr Leben mitnehmen, dass „Teilen cool ist.“
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In ein paar Tagen fängt das neue Lehrjahr an. Was für eine spannende Zeit für die jungen Auszubildenden, die direkt aus der Schule kommen und zugleich auch für die Ausbilderinnern und Ausbilder in den Betrieben. Viele Fragen stehen bei den Neuen im Raum: Werde ich klarkommen? Wird man Geduld mit mir haben, wenn ich am Anfang nicht gleich alles verstehe? Das hoffe ich doch; es gibt doch das schöne Wort, dass noch kein Meister vom Himmel gefallen ist. Auch in den Betrieben werden einige sich gespannt fragen, wer da in wenigen Tagen zu ihnen kommt. „Mal sehen, wie die neue Azubi ist, ich bin gespannt! Ich hoffe, dass der Neue mich versteht, wenn ich ihm die Dinge erkläre. Manches ist für mich so selbstverständlich geworden.“ Meister und Schüler - das kann zu einem besonderen Miteinander werden, wenn man sich aufeinander einlässt. Auch die Bibel berichtet von dem besonderen Verhältnis zwischen Jesus und seinen Jünger. Seine Schüler lernen viel von ihm. Sie nennen ihn Meister. Hier und da hält er Reden; an anderer Stelle lebt Jesus seinen Schülern praktisch vor, was ihm wichtig ist. Ich glaube, dass Jesus auch selbst durch die Fragen und Rückmeldungen seiner Jünger viel gelernt hat.
Der Meister gibt seine Handwerkskunst- und -erfahrung an seine Schüler weiter. Heute ist das Lernen ein anderes als früher. Es geht um das eigene Nachdenken, Tüfteln und Ausprobieren, die Arbeit im Team, den Umgang mit Computern, bei dem die Jungen oft bereits sehr fit sind.
Gute Meisterinnen und Meister sind stolz auf ihre Auszubildenen, sie freuen sich an den Fortschritten, später an ihrem Können. „Das war einmal mein Lehrmädchen! – Schaut einmal, zu was sie es gebracht hat!“, habe ich einmal einen alten Orgelbaumeister über das Werk seiner ehemaligen Auszubildenen sagen hören. „Andere dachten, eine Frau kann das nicht. Was für ein Unsinn! Was für ein Meisterstück!“ Sich in aller Unterschiedlichkeit aufeinander einlassen, einander respektieren und wertschätzen, das dürfte beide Seiten miteinander beim Lernen am weitesten bringen.
Ein gesegnetes neues Lehrjahr für alle, die ihre Ausbildung beginnen und sie dabei begleiten!
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im August lege ich mich spätabends gerne einmal auf der Terrasse in einen Liegestuhl, um den Sternenhimmel zu bewundern. Einfach ein wenig träumen, loslassen vom Alltag. Nach ein paar Minuten, wenn meine Augen sich an die Finsternis gewöhnt haben, sehe ich deutlich mehr Sterne als zu Beginn, dazu dann auch die Satelliten, die um die Erde kreisen, und mit etwas Glück vielleicht auch einmal eine Sternschnuppe.
„Weißt du, wieviel Sternlein stehen an dem blauen Himmelszelt?“ Unweigerlich kommen mir Melodie und Text dieses alten Kinderliedes in den Kopf. Mein Vater hat es oft mit uns Kindern vor dem Einschlafen gesungen. Noch heute tönt für mich seine Stimme beim Singen dieses Liedes mit. Aus Kindheitstagen war mir nur noch die erste Strophe in Erinnerung geblieben. Dabei geht es nach der Sternenstrophe mit dem Lied noch weiter: Es wird in der nächsten Strophe zum Beispiel gefragt, wie viele Fischlein sich in der hellen Wasserflut kühlen. Ein echtes Sommer-Abendlied! Am Ende des Liedes fällt mein Blick auf die Kleinen. „Weißt du, wie viel Kinder frühe stehn aus ihrem Bettlein auf, dass sie ohne Sorg und Mühe fröhlich sind im Tageslauf?“
Sterne, Fische, Kinder - Gott hat sie, hat uns alle im Blick. Diese Vorstellung tut mir einfach gut, ein Teil eines großen Ganzen zu sein: Oben die Sterne, das kühle Nass, das im Sommer für eine Erfrischung sorgt, in dem die Fische fröhlich springen. Das ist für mich Sommer pur. Dazu die Zusage, dass Gott seine ganze Schöpfung, ja, auch dich und mich, im Blick hat. Dass ich bei Gott nicht irgendeine Nummer bin, sondern er meinem Namen kennt, er mich bei meinem Namen ruft – wie es in der Bibel heißt. Diese Zusage des Liedes, dass Gott auf uns Menschen schaut, dass kein Mensch bei ihm verloren geht, gefällt mir und tut mir auch als Erwachsene gut. Sie schenkt mir auf eigene Weise Geborgenheit. „Gott im Himmel hat an allen seine Lust, sein Wohlgefallen, kennt auch dich und hat dich lieb. Kennt auch dich und hat dich lieb.“
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Wir sind jetzt mitten in den Ferien. Das Wort stammt aus dem Französischen: „faire rien“ - und könnte einfach mit „Nichtstun“ übersetzt werden. Ich finde, das hat was. Ein paar Tage im Jahr, an denen wir bewusst nichts tun. Stunden, in denen wir keine Verpflichtungen haben, den Kopf freibekommen, um wieder ein wenig mehr bei uns selbst zu sein.
Auch die Bibel lädt zu solchen Ruhepausen ein. Der Sonntag wird als Auszeit verstanden. Ein Tag der Ruhe, des Nachdenkens. Ein Tag, an dem wir uns an Gottes Schöpfung erfreuen, ja, Gott im Blick haben. Ferien – das ist eine Auszeit am Stück. Für Schüler und Arbeitnehmer ist das klar, aber nicht alle Menschen haben geordnete Ferien- und Urlaubszeiten. Ich denke da zum Beispiel an die Menschen, die einen Angehörigen pflegen. Rund vier Millionen Menschen werden in unserem Land tagaus, tagein zu Hause versorgt. Das ist eine enorme Leistung, und ich habe davor hohen Respekt.
Meine Mutter war einer dieser Menschen. Sie war für meinen Vater da. 24 Stunden, sieben Tage die Woche, acht Jahre lang. Jeden Tag selbstverständlich, wie sie sagt - wie so viele, viele andere Ehefrauen, Ehemänner, Töchter und Söhne. Das war und ist alles andere als selbstverständlich. Meine Mutter hat nie geklagt. Doch leider ist diese lange Zeit der Pflege, bei der sie rund um die Uhr für ihren Mann da gewesen ist, nicht ohne Folgen für ihre eigene Gesundheit geblieben. Darum habe ich gestaunt, als meine Mutter mit etwas Abstand nach dem Tod meines Vaters gesagt hat: „Das war ein Fehler von mir, mir keine freie Zeit zu erlauben. Das hat mein Körper nicht weggesteckt, das hat mich krank gemacht. Ich habe alle Hinweise und auch Angebote anderer immer beiseitegeschoben. Jetzt rufe ich meine Freundinnen, die ihre Männer pflegen, regelmäßig an und sage: „Zeit für eine Auszeit! Lasst uns zusammen frühstücken gehen!“ Das letzte Mal habe ich ihnen erzählt, dass pflegende Angehörige Urlaub nehmen können und dann die Pflege bezahlt wird. Ich habe ihnen geraten, das auch zu tun. Ferien, eine Ruhepause für alle – auch für pflegende Angehörige. Das wäre schön!
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Als ich vor kurzem in einem Bus durch die Stadt gefahren bin, hat sich jemand laut mit seiner Sitznachbarin unterhalten. „Die Menschen sind furchtbar. Sie benehmen sich schrecklich.“ Mehrere Mitfahrende haben sofort zustimmend genickt. Das hat mich ins Nachdenken gebracht. Ist das wirklich so?
Die allermeisten Menschen in meiner Umgebung sind nicht furchtbar, sie begegnen mir freundlich. Morgens auf dem Weg zur Arbeit grüßt man sich in unserer Kleinstadt. Der Junge, der mit seiner Mutter zum Kindergarten geht, winkt mir oft fröhlich zu. Beim Bäcker hält ein Mann mir die Tür auf, die Zeitungsfrau fragt nach meinem Mann, der ein paar Tage krank gewesen ist. Kleine Gesten, die mir guttun, gerade, wenn das Leben nicht einfach nur geradeaus verläuft. Ich glaube, dass dieses Miteinander im Kleinen allen guttut. Der kleine Junge hat vor ein paar Tagen ganz traurig gewirkt. „Hey, was ist denn heute los?“ „Ich komme jetzt in die Schule, ich werde meinen Kindergarten so vermissen.“ Und so kann ich mich mitfreuen, mitsorgen – kann an meinen Mitmenschen Interesse zeigen. Sie sind mir nicht egal. Wenn ich ein wenig von ihnen weiß und sie von mir, dann ist unser Umgang miteinander ein anderer. Schlecht über andere zu reden, ist einfach. In der Bibel heißt es (Prediger 7, 20): „Es gibt keinen Menschen auf der Welt, der sich in allen Lebenslagen richtig verhält und niemals irgendetwas Schlechtes tut.“
Worte sind schnell gesprochen, Urteile gefällt, erst recht, wenn ein anderer nicht dabei ist. Und was habe ich davon? Einen kleinen Moment fühle ich mich besser, mehr nicht. „Urteile nicht über andere, verhalte dich selbst so gut wie möglich“, könnte man diese biblischen Worte auch zusammenfassen. Klar, das schafft man nicht immer. Auch ich strauchle in manchen Situationen und verhalte mich nicht so, wie ich es von mir erwarte. Dann würde ich mich freuen, wenn jemand mich fragt, was denn eigentlich mit mir los ist. Denn, davon bin ich überzeugt: Menschen sind nicht furchtbar. Furchtbar ist es für mich, wenn wir nicht mehr hinschauen und das Interesse aneinander verlieren. Ich hätte den Mann im Bus fragen sollen, was ihm den gerade passiert ist, dass er alle Menschen furchtbar findet. Vielleicht hätte sich sein Ärger auflösen lassen.
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Heute vor 64 Jahren sind die beiden Hunde Belka und Strelka mit der Sputnik 5 zu einer Reise in den Weltraum aufgebrochen. Achtzehnmal sollen sie die Erde umkreist haben. Diese beiden Hunde, nicht wir Menschen, waren die ersten Lebewesen im All.
Viele Menschen träumen davon, einmal in den Weltraum zu fliegen. Ich empfinde ja schon das Fliegen mit einem Flugzeug als sehr besonders. Diese Sicht von oben auf die Alpen oder das Meer lässt mich staunen. Wie wunderschön unsere Erde, vor allem die Natur, aus der Höhe wirkt! Die Bilder, die die Astronauten aus noch größerem Abstand sehen dürfen, sind vermutlich noch eindrucksvoller.
Die Erde als Ganzes von außen sehen. Diese so große Erde, auf der wir jeden Tag neu unseren Mann und unsere Frau im Kleinklein des Alltags stehen. Von dem russischen Astronauten Juri Gagarin stammen die Worte „Ich sah, wie schön unser Planet ist. Leute, lasst uns diese Schönheit erhalten und nicht zerstören.“ Der deutsche Astronaut Alexander Gerst hat nach seinen Weltraumaufenthalten gesagt, dass die Erde auf ihn bei dem Blick aus dem Raumschifffenster zerbrechlich und klein gewirkt habe.
„Overview - Effekt“ nennt man diese Reaktion der Astronauten in der Wissenschaft: „Blick von außen -Effekt“. Er verändert den eigenen Blick auf den Planeten Erde und das Leben darauf. Der Besuch im All löst bei Astronauten, ganz gleich aus welchem Land sie stammen, ob sie religiös sind oder nicht, ein tiefes Gefühl der Ehrfurcht sowie der Verbundenheit mit dem Leben auf der Erde aus. Das ist ein Grundgefühl, das alle Religionen durch die Jahrhunderte, wenn nicht durch die Jahrtausende verbindet. Für mich setzt die Schöpfungsgeschichte der Bibel auf so etwas wie den „Overview – Effekt“ – ein tiefes Staunen über die Natur und ihre Vielfalt. Jede Pflanze, jedes Tier, jeder Mensch, ja, Himmel und Erde sind von Gott geschaffen. Jedes Wesen ist für sich kostbar und einzigartig. Es hat seinen Platz und ist zugleich Teil eines großen Ganzen. So wie die Hunde Belka und Strelka einen Platz in der Raumfahrtgeschichte haben. Ich stimme Juri Gagarin zu: „Leute, lasst uns die Schöpfung erhalten.“
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Vor wenigen Wochen ist eine langjährige Wegbegleiterin von mir verstorben. 95 Jahre alt ist sie geworden. Was für ein gesegnetes Alter! Ich hatte sie als Schülerin in der Kirche kennengelernt. Auch nach ihrem Ruhestand und meinem Umzug von der Nordsee nach Süddeutschland sind wir durch die Jahrzehnte in Kontakt geblieben. Wenn wir telefoniert haben, hat sie erst einmal zugehört und dann einfach ein paar Fragen gestellt. Sie war keine Frau fürs oberflächliche, ihr ging es um das Wesentliche, um das, was einen im Herzen umtreibt. Sie hat sich mit ihrer Meinung und ihrem Wissen nicht aufgedrängt, ihr ist es darum gegangen, dass ihr Gegenüber eigene Antworten findet.
Nun fehlt sie mir mit ihrer großen Lebenserfahrung als Ratgeberin. Manche Gedanken von ihr sitzen jedoch tief in mir. „Weißt du, manchmal lohnt es sich gar nicht, sich aufzuregen. Der neue Nachbar mit anderen Vorstellungen, die unfreundliche Verkäuferin, Stress auf der Arbeit? Das legt sich alles von selbst. Bleib einfach freundlich, wenn man dir unfreundlich kommt. Fertig.“
Als Jugendliche schien mir diese Haltung ein wenig schräg, Unfreundlichkeit mit Freundlichkeit zu begegnen, aber sie hat recht. Energie und Einsatz braucht es an anderer Stelle, das war für meine Bekannte klar. Als junges Mädchen hatte sie erlebt, wie ihre jüdischen Freundinnen von einem auf den anderen Tag in Königsberg verschwunden waren, später auf der Flucht hat sie Dinge gesehen, die brutal waren. Den Schmerz darüber hat sie bis ins hohe Alter im Herzen bei sich getragen.
„Du musst, wenn Du Dich ärgerst, genau unterscheiden, ob etwas im Grunde albern ist und vorübergeht oder ob eine Grenze überschritten wird, die nicht überschritten werden darf. Frag dich das jedes Mal ganz genau!“ Antisemitismus und Machtgehabe waren für sie solche Grenzen. Wenn die überschritten wurden, war es ihr egal, wer vor ihr stand, auch als sie die 90 schon weit überschritten hatte. Da wurde Klartext gesprochen. „Weißt du, in der Bibel heißt es: ‚Behüte dein Herz mit allem Fleiß, denn aus ihm fließt das Leben‘ – das ist wichtig. Habe dein Herz bei allem, was Du tust, im Blick. Sei klar, was dir wichtig ist und was nicht.“ Ihr Herz hat nun aufgehört zu schlagen, aber, das spüre ich nun ganz genau, mein Herz schlägt weiter für das, was ihr in ihrem langen Leben wichtig geworden war.
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