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SWR Kultur Wort zum Tag
Ein Freund aus dem Sportverein hat mir erzählt: „Ich habe 700.000 Euro in wenigen Jahren verloren. In den Tiefen der Spielautomaten. Bin rein ins Casino, und zack, wieder 300 Euro futsch. Habe Freunde angepumpt, angelogen, nur um noch etwas zu haben, das ich in den Automaten werfen kann. Am Ende bleibt nichts – alles weg.“
Der Freund ist erst seit zwei Jahren wieder clean. Eine kleine Operation im Krankenhaus, die nichts mit der Spielsucht zu tun hatte, war seine Rettung. Er konnte nicht raus, lag ein paar Tage im Krankenbett. Das hat ihm geholfen, seiner Abhängigkeit zu entkommen.
Was ich erschreckend finde: In Deutschland sind mehr als eine Million Menschen spielsüchtig. Und so viele leiden mit: Die Partnerinnen, die Familien, die Kinder, die Freunde. Ich verstehe einfach nicht, warum in unserem Land trotzdem überall Spielcasinos stehen. In Freiburg kenne ich mindestens sieben dieser Spielhallen –obwohl ich da nie reingehe.
Die Betreiber verdienen an denen, die die Kontrolle verlieren. An denen, die immer weiter zocken. Längst ist erwiesen, wie stark diese Sucht ist. Und selbst nach einer Therapie schaffen es viele nicht, sich dauerhaft zu befreien. Sie fallen zurück, verschulden sich weiter, und die Scham- und Schuldgefühle gibt’s gratis dazu.
Seit Herbst 2020 sind in Deutschland auch Sportwetten legal, und dort geht’s erst richtig los. Das macht mich wütend. Wenn ich ein Prophet aus dem Alten Testament wäre, dann würde ich jetzt in deren Sprache rufen:
„Wehe euch, die ihr das Spielcasino erbaut,
Mit glitzernden Automaten, die die Sucht entfachen!
Ihr lockt die Armen in die Falle des Lasters,
Verführt sie, nehmt sie Tag für Tag aus.
Wo sind die Politiker, die das Volk beschützen sollen?
Wo ist die Stimme der Gerechtigkeit, die ihr erstickt?
Die Gier kennt keine Grenze, doch nur eine Seite gewinnt.
Kehrt um, ihr Betrüger, sonst trifft euch der Zorn Gottes.“
Das hat gut getan. Auch wenn diese Sprache etwas ungewohnt klingt – so kann ich am besten ausdrücken, was ich empfinde. In Gedanken bin ich bei all den Frauen und Männern, die in Casinos und bei Sportwetten ihr Geld verlieren – und das Vertrauen ihrer Familien und Freunde. Ich bitte Gott allen beizustehen, die unter einer Spielsucht leiden.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41673SWR Kultur Wort zum Tag
Mein Buch zur gestrigen Bundestagswahl heißt: Der Staat. Geschrieben hat es Platon vor fast 2500 Jahren, und doch scheint es mir sehr aktuell zu sein. Platon unterscheidet drei Typen von Menschen: den Halunken, den Simulanten und den Gerechten.
Die Halunken, so Platon, sind oft populär. Denken Sie nur an Politiker wie Boris Johnson, Silvio Berlusconi oder Donald Trump. Wir wissen, dass sie in Skandale verwickelt sind – wilde Partys, krumme Geschäfte, Lügen am laufenden Band – und dennoch gewinnen sie Wahlen. Zwar sind sie Halunken, doch sie faszinieren die Menschen mit ihren Erfolgen, ihrem Reichtum, ihrer Dreistigkeit.
Dann gibt es laut Platon noch die Simulanten. Sie tun so, als würden sie sich an die Regeln halten und sich für das Gemeinwohl einsetzen. Doch oft bleibt ein Zweifel: Sind sie wirklich ehrlich, oder spielt da nicht doch ein wenig Taktik mit? Einige von ihnen schwingen große Reden als Politiker. Aber ein paar Jahre später verdienen sie sich als Lobbyisten eine goldene Nase. "Naja, Politiker sind auch nur Menschen", sagen wir uns. „Wer soll dem großen Geld schon widerstehen?“
Und schließlich identifiziert Platon als dritte Gruppe die Gerechten. Diese Menschen glauben so fest an das Gute, dass sie sich selbst keinerlei Fehltritte erlauben. Sie leben bescheiden, verzichten auf Privilegien und bleiben ihren Idealen treu. Doch Platon ist sich sicher: Diese Gerechten haben in der Politik kaum eine Chance. Sie ecken zu oft an, weil sie kritisieren und ihre hohen Maßstäbe durchsetzen wollen. Früher oder später – sagt Platon – hasst das Volk diese Idealisten.
Platon lässt mich etwas ratlos zurück. Denn so richtig überzeugen kann keiner dieser Typen. Ich wünsche mir Menschen in der Politik, die um ihre eigenen Schwächen wissen und mir nichts versprechen, was sie nicht halten können. Menschen, die ehrlich sind und zugleich kluge Kompromisse eingehen.
Platon hat vor fast 2500 Jahren gefragt: Was erwarten wir von denen, die das Land regieren? Wahrscheinlich ist die Antwort darauf nicht in einem der drei Typen zu finden, sondern bei denen, die die Grenzen dieser Rollen überschreiten – die mutig genug sind, sowohl ihre Ideale zu leben als auch die Realität anzunehmen.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41672SWR Kultur Wort zum Tag
Wie feiern junge Leute Weihnachten? Ich habe einige Jahre als Lehrer an einer Berufsschule gearbeitet. Erzieherinnen, KFZ-Mechaniker und Bankangestellte. Nach dem Jahreswechsel habe ich die jungen Leute gefragt: Wie habt Ihr Weihnachten gefeiert?
In den Gottesdienst sind an Weihnachten nur noch ganz wenige meiner Schüler gegangen. Ein typischer Weihnachtstag sieht wohl so aus: Mittagessen bei der Familie von Mama, Geschenke auspacken und mit Oma sprechen. Dann zum Abendessen zu Papa, wieder gibt es Geschenke. Der Abend läuft dann gemütlich aus. Manche chillen auf dem Sofa, andere treffen sich noch mit Freunden auf einen Glühwein.
Da sich bei vielen jungen Leuten die Eltern getrennt haben, kann Weihnachten zu einer kleinen Rundreise werden. Beide Eltern wollen nacheinander besucht sein, die neuen Partner sind mit von der Partie, und die Großeltern tauchen auch noch auf. Oder es bleibt sehr überschaubar: Eine Jugendliche, die allein mit ihrer Mutter feiert und vom Vater seit Jahren nichts gehört hat.
Als Theologe habe ich ganz andere Bilder im Kopf: Krippenspiel, Kirchenchor und großer Weihnachtsbaum. Ein Fest des Friedens und der Familie – mit viel Tradition. Weihnachten ist für mich ganz anders als alle anderen Tage: Den Baum schmücke ich erst kurz vor dem Fest. Das Rezept für das Essen stammt von meiner Urgroßmutter. Und der Gottesdienst ist für mich ein Höhepunkt des Jahres. Aber wehe, wenn nicht alles so klappt, wie ich es mir vorstelle.
Von meinen Schülern habe ich gelernt, dass an Weihnachten nicht alles perfekt sein muss. Dann gibt es halt kein Festessen, sondern nur Pizza. Dann fallen die Geschenke halt kleiner aus. Trotzdem ist Weihnachten für sie keine verlorene Zeit. Viele von ihnen suchen nach Sinn und kommen über die Feiertage auf andere Gedanken.
Leon hat zum Beispiel erzählt, wie er Weihnachten mit seiner kleinen Halbschwester gefeiert hat. In der Zweizimmerwohnung erklingen die Weihnachtshits der Popstars. Der Höhepunkt für Leon war, wie er seiner Schwester mit dem neuen Puppenhaus geholfen hat. So viel Zeit nimmt er sich sonst nie für sie.
Ich nehme daraus mit: Weihnachten lebt von solchen Momenten. Vom Raum für persönliche Geschichten und offene Gespräche. Vielleicht gehen Traditionen verloren, vielleicht weiß niemand in der Familie, warum die Geburt Jesu eigentlich gefeiert wird. Aber wenn das Fest die Herzen berührt, liegt darin auch ein Wert. In solchen unscheinbaren Momenten blitzt für mich ein Stück vom Himmel auf.
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Himmelreich oder Metaverse - welcher Vision gehört die Zukunft? In der Bibel verkündet Jesus das Himmelreich und ruft alle Menschen auf, sich Gott zuzuwenden. Das Metaverse verheißt uns die digitale Welt der Zukunft. Bisher surfen wir durch das Internet und klicken uns durch die verschiedenen Seiten. Doch bald sollen wir nicht mehr surfen, sondern eintauchen. Mit einer Datenbrille sollen wir im Metaverse Freunde treffen, einkaufen, lachen und leben. Himmelreich oder Metaverse – welche Vision führt uns in die Zukunft?
Das Metaverse ist keine ferne Vision mehr. Es existiert bereits. Jahr für Jahr fließen Milliarden, um es zu optimieren. Es soll alles miteinander verbinden – Arbeit, Freizeit, soziale Kontakte. Eine Welt, in der alles digital wird.
Tim Sweeney entwickelt Computerspiele in den USA und ist damit Milliardär geworden. Er prophezeit: Sollte ein Unternehmen die Kontrolle über das Metaverse haben, wird es mächtiger sein als jede Regierung und wie ein Gott auf Erden sein.
Für mich wäre es nichts, mich diesem Computergott anzuvertrauen. Den ganzen Tag in einer digitalen Traumwelt zu verbringen, hört sich für mich nicht verlockend an.
Aber Moment mal: Ist diese digitale Welt wirklich so anders als das, was Christen oft vorgeworfen wird? Viele sagen ja, der Glaube an das Himmelreich sei nur eine Flucht vor der Realität – eine Utopie mit Gott, Engeln und einem Leben nach dem Tod.
Bei dem, was Christen hoffen, geht es allerdings nicht darum, dass jeder mit seiner Datenbrille zufrieden in seinen vier Wänden bleibt. Das Ziel ist nicht eine Insel der Glückseligkeit. Es geht um das echte Leben. Es geht darum, füreinander da zu sein, auch wenn jemand krank oder enttäuscht ist. Trotz der ganzen Probleme, die uns jeden Tag umgeben. Deswegen sind Christen auch in Krankenhäusern, in Schulen, in der Nachbarschaft aktiv. Sie wollen die Welt verbessern – jetzt, hier und heute. Denn das Himmelreich, so wie es in der Bibel beschrieben wird, beginnt nicht irgendwo in der Zukunft, sondern mitten unter uns.
Was ist nun die bessere Vision? Eine digitale Welt, die so groß und verlockend ist, dass ich sie nie wieder verlassen möchte? Oder die Botschaft vom Himmelreich, die seit 2000 Jahren Menschen inspiriert?
Für mich steht fest: Ich wähle die Vision, die keine Datenbrille braucht. Denn an das Himmelreich zu glauben bedeutet, die Ärmel hochzukrempeln und aktiv an einer besseren Zukunft mitzuarbeiten. Und ich hoffe darauf, dass ich mich dabei nicht allein abrackern muss. Sondern dass Gott mir zur Seite steht – und hoffentlich viele andere Menschen, die etwas verändern wollen.
SWR Kultur Wort zum Tag
Was würde Arthur Schopenhauer mir empfehlen, um glücklich zu leben? Ich kann es nachlesen in seinem Büchlein: „Aphorismen zur Lebensweisheit“. Kein aktueller Glücksratgeber, sondern die Gedanken eines Philosophen.
Das Buch ist über 150 Jahre alt, doch vieles liest sich aktuell: Schopenhauer rät, auf die Gesundheit zu achten, Stress zu vermeiden und sich viel zu bewegen. An einer Stelle bin ich hängen geblieben. Da schreibt er:
„Der geistreiche Mensch wird vor Allem nach Schmerzlosigkeit, Ruhe und Muße streben, folglich ein stilles, bescheidenes, aber möglichst unangefochtenes Leben suchen // und demgemäß, (…) die Zurückgezogenheit und (…) sogar die Einsamkeit wählen.“
Schopenhauer empfiehlt mir also, mich zurückzuziehen. Er spricht vom inneren Reichtum, den ein Mensch sich sammeln soll. Denn sonst langweilt er sich und muss viel unternehmen, um der Leere in sich zu entrinnen. Schopenhauer spöttelt über Menschen, die es keine 5 Minuten mit sich selbst aushalten.
Ich stelle mir vor, wie es Arthur Schopenhauer heute gehen würde. Wenn ihm die Welt damals schon zu laut vorgekommen ist, dann wäre er heute wohl komplett überfordert.
Tatsächlich kenne ich einige Menschen, die sich aus dem Beruf oder Freizeitaktivitäten zurückziehen. Manchmal ist es ein leiser Rückzug: Da bleibt jemand nur noch im Homeoffice, ein anderer verlässt den Sportverein, weil ihn die neuen Mitglieder nerven. Eine andere tritt aus der Kirche aus, weil der Reformstau sie frustriert.
Natürlich kann es gute Gründe geben, sich zurückzuziehen oder eine Gruppe zu verlassen. Und manchmal geht es mir auch so: Da möchte ich einfach nur meine Ruhe haben. Doch was tritt dann an die Leerstelle? Oft ist es leichter Brücken abzubrechen, als neue Brücken aufzubauen.
Zumindest erlebe ich es so in meinem Alltag: Wer sich einmal verabschiedet hat, kommt selten zurück. In meinem Sportverein hat ein langjähriges Mitglied gekündigt. Doch so schnell findet sich kein neues Hobby, die meiste Zeit sitzt der Sportsfreund allein vor dem Fernseher. Das finde ich schade.
Darum empfehle ich für das Jahr 2025: Dabeibleiben, statt sich zu verabschieden. Wenn mir der Trubel auf die Nerven geht, kann ich ja eine Pause einlegen. Aber wir Menschen sind „Gemeinschaftstiere“. Egal ob im Verein, in der Kirche oder im Freundeskreis. Vielleicht entdecke ich sogar neue Orte, wo ich mit anderen zusammen bin. Für das neue Jahr habe ich extra eine neue Lebensweisheit überlegt. Sie klingt ein bisschen nach Schopenhauer. Sie lautet: „In der Einsamkeit verstummen wir, doch im Miteinander erklingt das Lied des Lebens.“
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41241SWR Kultur Wort zum Tag
Wahrscheinlich können die Schulen bald aufhören, Fremdsprachen zu unterrichten. Die Vokabelkärtchen können dann ins Museum. Der technische Fortschritt macht es möglich: Neue Handys werden über hundert Sprachen simultan übersetzen. Dank künstlicher Intelligenz fallen bald alle Sprachbarrieren.
Dann wird es endlich wieder so wie früher: Vor langer, langer Zeit haben alle Menschen die gleiche Sprache gesprochen. So konnten sich alle gut miteinander verständigen und große Projekte planen. Zumindest steht es so in der Bibel. Zeichen des Erfolgs sollte ein großer Turm werden. Der so genannte „Turmbau zu Babel“. Doch Gott hat den Menschen einen Strich durch die Rechnung gemacht. Auf einmal haben die Menschen einander nicht mehr verstanden: Alle waren verwirrt, denn jeder hat nun eine andere Sprache gesprochen. Da war es vorbei mit dieser Großbaustelle.
Diese Erzählung aus der Bibel will erklären, warum es so viele Sprache gibt. Ich habe aber nie ganz verstanden, warum Gott so hart eingreifen musste. In der Schule habe ich gelernt, die Menschen seien größenwahnsinnig geworden. Darum musste Gott den Turmbau stoppen und die Menschen durch verschiedene Sprachen trennen. Für mich zeigt sich Gott in anderer Weise: Wenn Menschen sich verstehen und einander zuhören. Wenn sie zusammen an einer guten Zukunft bauen. Darum finde ich es gut, wenn der technische Fortschritt neue Möglichkeiten schafft.
Um im biblischen Bild zu bleiben: Was können wir tun, damit es dieses Mal ein Erfolg wird? Keine Bauruine wie beim letzten Mal. Wenn wir alle mühelos miteinander sprechen können, kann daraus viel Gutes wachsen. Wir können darüber sprechen, welche Dinge wir gemeinsam angehen müssen. Klima, Frieden, Menschenrechte: Da müssen alle mitreden.
Neue Übersetzungsprogramme sind nur ein Werkzeug, das schaden oder helfen kann. In der Bibel geht es um Visionen für die ganze Menschheit: Aus welchem Geist heraus wollen wir leben? Auf welche Zukunft arbeiten wir hin? Ich freue mich bald über alle Grenzen hinweg darüber zu diskutieren. Egal ob auf portugiesisch, chinesisch oder persisch.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=40479SWR Kultur Wort zum Tag
Nach 25 Jahren werde ich sie also alle wiedersehen: Jörn, Tina, Tobias und wie sie alle heißen. Unser Abi-Treffen steht an. Nur von wenigen weiß ich, was sie nach der Schule gemacht und erlebt haben.
Zuerst habe ich mich einfach nur darauf gefreut, meine Mitschüler nach so langer Zeit wieder zu sehen. Doch nun kreisen mir ganz verschiedene Gedanken durch den Kopf: Welche Träume hatte ich nach dem Abitur? Was davon habe ich seitdem erreicht?
Und damit sind wir bei der ersten großen Frage: Wonach bewerte ich eigentlich mein Leben? Habe ich es geschafft, wenn ich im Eigenheim wohne? Zählen Kinder und Familie mehr als der Beruf? Sollte ich um die Welt gereist sein oder einfach ein großes Auto fahren? Darauf werden die meisten nach 25 Jahre eine Antwort gefunden haben – oder die Antwort hat sie gefunden. Denn nicht alles im Leben ist planbar. Der Zufall spielt meistens eine große Rolle: Glück in der Liebe, ein Unfall beim Sport, der Umzug nach Berlin – vieles geschieht unerwartet.
Je länger ich darüber nachdenke, desto weniger geht es mir darum, mich mit anderen zu messen. Ich gönne jedem seine Erfolge und will im Kopf nicht ständig vergleichen. Jeder wird sich ein gutes Leben etwas anders vorstellen. Und ich habe mich damals ganz bewusst für ein Theologiestudium entschieden. Das galt noch nie als besonders cool. Mir ist es wichtig, über Philosophie, Religion und Geschichte nachzusinnen. Würde mich wundern, wenn das die anderen in Ekstase versetzt.
Die zweite Frage, die mich beschäftigt lautet: Wie verändern sich Menschen mit den Jahren? Wen erkenne ich nach 25 Jahren noch an seinem Lachen? Wer war laut, ist nun leise? Wer war wild, ist nun brav? Oder bleiben wir doch dieselben? Das habe ich mir fest vorgenommen: Ich will nicht gleich denken: Der Sebastian hat sich ja überhaupt nicht verändert! Nicht gleich in die alten Muster verfallen. Sondern fragen, zuhören, neu kennen lernen. Jede und jeder wird viele neue Seiten entwickelt haben.
Hoffentlich konnten und können viele ihr Potenzial ausschöpfen. Denn glücklich kann ich sein, wenn ich die Talente nutze, die in mir schlummern. Wenn ich mit den Jahren verstehe, was mich ausmacht, und meine Grenzen und meine Stärken kenne. Und über die vielen Wunder staunen kann, die mir zwischen Himmel und Erde begegnen.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=40478SWR Kultur Wort zum Tag
Worte können verletzen, keine Frage. Aber sollte ich mir deshalb den Mund verbieten lassen? Nein, sagt Frauke Rostalski. Denn wir zahlen einen hohen Preis, wenn wir das freie Wort einschränken. Wer Freiheit will, muss es aushalten, wenn mir die Meinung des anderen nicht gefällt.
Frauke Rostalski ist eine junge Professorin für Strafrecht aus Köln und Mitglied im Deutschen Ethikrat. Sie hat das Buch „Die vulnerable Gesellschaft“ geschrieben. Vulnerabel sein, bedeutet verletzlich zu sein. Natürlich soll der Staat die Menschen im Land schützen, gerade die Schwachen und Verletzlichen. Doch ab wann muss mich der Staat schützen und was muss ich aushalten? Rostalski ist überzeugt: Diese Frage müssen wir als Gesellschaft diskutieren.
Eine verletzliche Gesellschaft stellt immer mehr Stoppschilder auf: Du stellst die Maßnahmen während Corona in Frage? Dann bist Du ein Coronaleugner – mit solchen Leuten rede ich nicht. Abtreibung ist in Deinen Augen ein Verbrechen? Wie frauenfeindlich kann man sein – und tschüss. Politische Ansichten und persönliche Gefühle sind so stark miteinander verbunden, dass ich andere Meinungen nicht mehr aushalten kann.
Vielleicht kennen Sie das Gefühl mit einer Schere im Kopf unterwegs zu sein: Wo steht meine Nachbarin eigentlich politisch? Was darf ich sagen, was ist Tabu? Umfragen zeigen, dass eine wachsende Zahl an Menschen hier sehr unsicher ist.
Aber in einer Demokratie muss es möglich sein, offen zu diskutieren. Natürlich kann ich sagen „Hass ist keine Meinung“ und gegen Rechtspopulisten auf die Straße gehen. Da bin ich sofort dabei. Aber wenn rechtsextreme Politiker im Bundestag sitzen, haben hunderttausende Menschen sie gewählt. Da muss ich zuhören, argumentieren und streiten – selbst wenn ich es schwer aushalte, was andere denken und sagen.
Auch dafür braucht es Regeln. Für Frauke Rostalski ist klar: Einzelne Personen dürfen nicht beleidigt werden. Ansonsten gilt: Ich kann nicht auf jede Empfindlichkeit Rücksicht nehmen. Denn eine Demokratie braucht den offenen Diskurs. Nur so können wir aushandeln, welchen Weg wir als Gesellschaft gehen wollen.
Ich werde ihr Buch weiterempfehlen, weil es mir leidtut, wenn Menschen nicht mehr miteinander reden. Ich habe keine Lust in einer Gesellschaft zu leben, in der jeder nur noch in seiner Blase glücklich ist. Ob im Sportverein, in der Kirche oder in der Familie: Lasst uns einander zuhören, diskutieren und Unterschiede aushalten.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=40477SWR2 Wort zum Tag
In einem engen Schacht tief unter der Erde. Die Luft ist feucht und voller Kohlestaub. Laute Maschinen und ständige Lebensgefahr. Vor rund 150 Jahren hat Joseph als Bergmann in einer schlesischen Kohlemine gearbeitet. Berufsbezeichnung: Oberhauer.
Abends auf dem Sofa hat mir meine Oma früher von ihren Großeltern Thekla und Joseph erzählt. Joseph aus der Kohlemine. Seine Ehefrau Thekla war jedes Mal erleichtert, wenn er unbeschadet von einer Schicht nach Hause kam. Nicht nur, weil sie ihn geliebt hat. Sondern auch weil er mit seinem Lohn eine Familie mit sieben Kindern ernähren musste. Joseph hat immer einen Vogel im Käfig mit in die Mine genommen. Wenn der Vogel von der Stange gekippt ist, wussten alle: Nichts wie raus hier. Denn wenn Gas austritt, kommt es schnell zu tödlichen Unfällen.
Vier Generationen liegen zwischen mir und dem Leben von Joseph und Thekla. Mein Leben kommt mir bedeutend einfacher vor: Urlaub in Italien, ein Handy in der Tasche und volle Regale im Supermarkt. Joseph könnte wohl kaum glauben, wie stark sich alles gewandelt hat. Damals hatte man ein Klohäuschen im Garten. Heute hat jede Wohnung einen Wasseranschluss. Scheinbare Selbstverständlichkeiten, die damals der pure Luxus waren. Darum hatte Joseph auch noch keine Dusche: Seine Frau Thekla hat ihn nach jeder Schicht ordentlich abgeschrubbt. In einem großen Waschzuber. Der Kohlestaub saß in Kleidern und Haaren, einfach überall. Danach war Joseph ein neuer Mensch und konnte sich seine Pfeife anstecken.
Meine Oma hat mir viel aus unserer Familiengeschichte erzählt hat. Wie damals die Familie bei aller Armut zusammengehalten hat. Wenn es zu essen gab, war jeder froh um seine Portion. Wenn gebetet wurde, wusste jeder, wofür er bittet.
Ich will die Schicksale von damals weder verklären noch bemitleiden. Wer weiß, wie Thekla und Joseph auf unser Leben blicken würden. Vielleicht würden sie tatsächlich am meisten über die Toilette und die Dusche in meiner Wohnung staunen. Für mich relativiert der Gedanke an ihre Zeit viele Probleme, über die ich heute oft klage. Damals waren die meisten Menschen damit ausgelastet zu überleben. Heute kann ich streiten über Politik und Kirche, kann reisen, lesen und ins Konzert gehen. Viel mehr Freiheiten, viel mehr Möglichkeiten. Ich meine: Es lohnt sich auf das Gute zu sehen, was sich seitdem entwickelt hat. Denn das kann uns helfen, zuversichtlich in die Zukunft blicken.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=39517SWR2 Wort zum Tag
Das Leben nach dem Tod – ist das nicht ein zentrales Thema für die Bibel? Ich war richtig erstaunt, als ich gemerkt habe, dass es in der Bibel nur an wenigen Stellen um ein Leben nach dem Tod geht. Im Alten Testament scheint sich kaum jemand den Kopf darüber zerbrochen zu haben, was nach dem irdischen Leben kommen könnte. Die großen Gestalten wie Mose, Sarah, Abraham oder Ester, sterben – aber nirgends heißt es, dass sie auferstehen und im Himmel weiterleben. Damals scheinen sich die Menschen voll auf das Leben im Hier und Jetzt zu konzentrieren.
In der Bibel kommt die Frage nach einem Leben nach dem Tod erst nach vielen Jahrhunderten auf. Ein Grund mag gewesen sein, dass das Leben in Israel so viel schwerer wurde. Fremde Herrscher beuten die Menschen aus und fordern immer neue Opfer. Da klingt es trotzig und gleichzeitig hoffnungsvoll, wenn es heißt: Gott wird uns nicht einfach verschwinden lassen. Damals haben die Menschen wild diskutiert: Gott wird einen Retter schicken, er wird Gericht halten oder er wird uns nach dem Tod auferwecken. Irgendwie wird er seine Macht zeigen. Erst mit Jesus Christus wird greifbar, was Auferstehung bedeutet.
Diese Sehnsucht der Menschen, dass der Tod nicht das letzte Wort hat, drückt der Lyriker und Pfarrer Kurt Marti in einem Gedicht so aus:
Das könnte manchen Herren so passen
wenn mit dem Tode alles beglichen
die Herrschaft der Herren
die Knechtschaft der Knechte
bestätigt wäre für immer
das könnte manchen Herren so passen
wenn sie in Ewigkeit
Herren blieben im teuren Privatgrab
und ihre Knechte
Knechte in billigen Reihengräbern
aber es kommt eine Auferstehung
die anders ganz anders wird als wir dachten
es kommt eine Auferstehung die ist
der Aufstand Gottes gegen die Herren
und gegen den Herrn aller Herren: den Tod.
Heute denke ich bei diesen Worten an die Ukraine. Wie viele Menschen mussten dort schon sterben, weil ein böser Herrscher es so wollte? Putin wohnt in seinem Palast, er frönt dem Luxus. Und jeden Tag gehen Bomben und Raketen auf Wohnhäuser nieder. Das macht mich fertig. Für all die Opfer von Krieg, Terror und Diktatur, die ihr Leben nicht leben konnten, vertraue ich darauf: Ihr werdet auferstehen. Besonders denke ich dabei an Alexej Nawalny. Er war ein gläubiger Christ. Er hat darauf vertraut, dass Gott größer ist als aller Terror. An Ostern werde ich an ihn besonders denken. Ich warte auf seine Auferstehung.
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