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SWR4 Sonntagsgedanken

Teil 1
Lieber ein Nussbecher oder doch das Spaghetti-Eis? Zieh ich das leichte Sommerkleid an oder die praktische Hose? Bleib ich zuhause vor dem Fernseher oder geh ich zum Public Viewing?
Jeden Tag habe ich die Wahl und treffe Entscheidungen. Manchmal bin ich ziemlich entschlussfreudig und weiß schnell, was ich möchte. Zuweilen aber tue ich mich schwer, die richtige Entscheidung zu treffen. Das ist besonders dann so, wenn es um wichtigere Dinge geht als Kleidung, Essen oder Freizeit.
In welcher Schule melde ich mein Kind an? Soll ich im Job ausharren oder mir was anderes suchen? Bleibe ich in meinem Haus oder mach ich jetzt den Schritt ins betreute Wohnen?
Das sind knifflige Fragen, bei denen man sehr gut abwägen muss, wie die Weichen richtig gestellt werden. In dieser Woche haben die Wahlfrauen und -männer die Qual der Wahl. Sie haben die ehrenvolle Aufgabe, den nächsten Bundespräsidenten zu wählen. Sich zwischen drei Persönlichkeiten zu entscheiden. Ob sich wohl schon alle festgelegt haben, wem sie ihre Stimme geben werden?
Es ist schön, sich entscheiden zu dürfen. Und manchmal ist es schwer, sich entscheiden zu müssen.
In der Bibel gibt es einen Mann, der muss sich auch entscheiden. Ihm fehlt etwas in seinem Leben. Obwohl er alles hat, wovon man träumen kann. Denn er ist sehr vermögend. Und trotzdem scheint die Angst in ihm zu nagen. Was muss ich Gutes tun, um das ewige Leben zu gewinnen? Mit dieser Frage kommt er zu Jesus. Er ahnt offenbar, dass großer Reichtum und ewiges Leben bei Gott nicht ohne weiteres zusammengehen. Deshalb möchte er etwas ändern. Ich finde das lobenswert. Er deckt sein Gewissen nicht zu, sondern sucht aufrichtig nach Antworten. Und die bekommt er auch: Jesus zitiert die zentralen Gebote. Du sollst nicht töten, du sollst die Ehe nicht brechen, du sollst nicht stehlen, du sollst Vater und Mutter ehren.
Der junge Mann atmet auf. Damit hat er keine Probleme. Die Gebote haben einen wichtigen Platz in seinem Leben.
Aber das ist nicht alles. Jesus mutet ihm fast Unmögliches zu, als er zu ihm sagt: „Geh, verkauf was du hast, gib das Geld den Armen und du wirst einen bleibenden Schatz im Himmel haben. Dann komm und folge mir nach!" Mir tut dieser junge Mann Leid. Wenn wir heute Menschen in die Kirche aufnehmen, müssen sie vorher nicht ihr ganzes Vermögen hergeben. Wir haben kein Problem mit Wohlhabenden in unseren Reihen. V. a. dann, wenn sie mit ihrem Geld viel Gutes tun, soziale Projekte unterstützen oder der Kirchengemeinde eine neue Orgel ermöglichen. Warum fordert Jesus hier eine so radikale Entscheidung? Entweder Geld oder Nachfolge. Beides geht nicht zusammen. Gäbe es nicht einen goldenen Mittelweg?

Teil 2
Manchmal muss man sich entscheiden. Und tut sich unendlich schwer damit. Pest oder Cholera. Gibt es keinen Kompromiss, der einfacher und schmerzloser wäre? Der junge Mann, der riskierte, Jesus nach dem ewigen Leben zu fragen, hat jetzt die Bescherung. Er muss sich entscheiden: Entweder reich und satt, aber weiter suchend. Oder arm und ohne festes Dach überm Kopf, aber nah bei Gott. Warum legt Jesus die Latte so hoch? Für den jungen Mann ist sie zu hoch; „er wurde betrübt und ging traurig weg" steht in der Bibel.
Warum macht Jesus die Entscheidung, bei Gott zu sein nicht leichter? Man kann doch auch fromm sein ohne sein Konto zu plündern. Ich kann auch an Gott glauben, ohne in die Kirche zu gehen. Ich bin doch ein guter Christ, auch wenn ich im Dauerstreit mit meinem Nachbarn lebe. Ich vermute, dass Jesus dazu sagen würde: Eben nicht. Entweder mit mir oder ohne mich. Entweder ganz oder gar nicht. Dieser ausschließliche Anspruch Jesu auf das ganze Leben, angefangen vom Sonntagmorgen bis zum Geldbeutel macht christlichen Glauben bis heute unbequem. Und manchmal anstößig. Und doch übt der radikale christliche Lebensstil auf Menschen eine hohe Anziehungskraft aus. Z.B. auf Elisabeth, meine alte Freundin. Sie hat sich bewusst entschieden, mit Jesus eine innige Beziehung zu leben. Sie hat nicht geheiratet, arbeitet soviel, dass es für eine bescheidene Wohnung und das Lebensnotwendigste reicht.
Darüber hinaus hat sie Zeit, für andere Menschen da zu sein und zu helfen, wo Not ist. Wann immer es geht, besucht sie morgens vor der Arbeit die Frühmesse. Aus den klaren alten Worten der Messe schöpft sie Kraft für ihren Tag. Sie macht auf mich einen in sich ruhenden und glücklichen Eindruck. Im bewussten Verzicht hat sie die Erfüllung ihres Lebens gefunden. Ihre Entscheidung, diesem Jesus von Nazareth nachzueifern, bereut sie nicht.
Und was ist mit denen, die nicht so asketisch veranlagt sind? Die das Leben genießen wollen, sich an Schönem erfreuen, ob Essen, Kleidung, Autos oder Häuser? Sind die künftig, wenn es um das ewige Leben geht, außen vor? Ich glaube, dass es auf die innere Einstellung zu den schönen Dingen des Lebens ankommt, die ich auch gern genieße. Sie dürfen mein Herz nicht so in Beschlag nehmen, dass meine Gedanken ausschließlich darum kreisen. Ich darf mich nicht zur Sklavin von Geld und Besitz machen lassen. Ich soll nicht horten und mein Leben damit absichern wollen, wo ich es doch an Gott festmachen kann. Diese Entscheidung wird mir nicht abgenommen. Ich habe jeden Tag die Wahl. Und jeden Tag eine neue Chance, es richtig zu machen.

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SWR4 Sonntagsgedanken

Die Sonntagsgedanken
widmen sich heute dem wunderbarsten, was das Leben zu bieten hat, der LIEBE.

Teil 1
Schon mal gehört und mitgeträllert? Die Liebe ist ein seltsames Spiel, sie kommt und geht von einem zum andern. Connie Francis hat es gesungen und vor 50 Jahren die Hitparaden gestürmt. Ein Ohrwurm, der hängen bleibt und gute Stimmung macht. Denn von der Liebe kann man gar nicht oft genug singen, erzählen, malen und dichten. Die Liebe ist das Schönste und Beste, was das Leben zu bieten hat. Sie ist aufregend und inspirierend. Die Liebe setzt ungeahnte Kräfte frei. Die Liebe malt in den schillernsten Farben und entzündet prickelnde Lust am Leben. Verliebt kann man die höchsten Mauern überwinden, trennende Grenzen überschreiten und Barrikaden niederreißen.
Heute am Valentinstag zeigt sich die Liebe ganz offen. Mit Blumen und Pralinen oder einem feurigen Liebesbrief. Für den Liebsten und für die Beste aller Freundinnen. Das stärkt die Liebe. Denn Liebe ist so lebendig, dass sie wachsen, aber auch abnehmen, ja sterben kann. Und deshalb will sie gepflegt und gehegt werden wie ein neu gepflanzter Baum.
Wer nach Worten für seine Liebe sucht kann in der Bibel fündig werden.

„Deine Schönheit ist vollkommen, meine Freundin, kein Makel ist an dir. Du hast mich verzaubert, mein Mädchen. Mit einem einzigen Blick hast du mein Herz geraubt. Schon eine Kette deines Halsschmuckes zog mich in deinen Bann. Wie glücklich macht mich deine Liebe, mein Mädchen. Ich genieße deine Liebe mehr als den besten Wein, dein Duft ist bezaubernder als jedes Parfum. Wie Honig schmecken deine Lippen, ja, süße Honigmilch ist unter deiner Zunge. Und wie der Wald dort auf dem Libanon so duften deine Kleider. Wie schön du bist, meine Freundin, wie wunderschön.“
Im Hohenlied Salomos im Alten Testament finden sich diese leidenschaftlichen Liebesbeschreibungen. Frommen Auslegern war das ganze Buch zu erotisch. Wie konnte es nur sein, dass im ganzen Hohenlied nicht einmal das Wort Gott zu finden ist? Die lustvollen poetischen Liebeslieder könnten nicht wortwörtlich verstanden werden.
Es muss sich um die Liebe zwischen Gott und seinem Volk handeln. Oder um die Liebe zwischen Christus und seiner Kirche, so die Deutung von christlichen Auslegern. Ich finde, das eine schließt das andere nicht aus. Die Liebe ist von Gott. Überall, wo die Liebe wohnt, ist auch Gott. Ob es sich dabei um die Liebe zwischen zwei Menschen handelt, kameradschaftlich, freundschaftlich, erotisch. Oder um die Liebe Gottes zu seinem Geschöpf. Oder um die Liebe des Menschen zu Gott. Die Liebe ist das Entscheidende.
Sie macht das Leben erst richtig schön.

Teil 2
Die Sache mit der Liebe, die heute am Valentinstag so im Mittelpunkt steht. Ist das nur was für frisch Verliebte, die alles rosarot durch eine Herz-Brille sehen? Diesen amerikanischen Kitsch muss man doch nicht mehr mitmachen, wenn man schon als Paar in die Jahre gekommen ist. So grummeln manche. Man muss nicht pünktlich zum Valentinstag seine Liebe zeigen – das nicht. Aber ein Anlass könnte er schon sein. Um nicht zu vergessen: Wir bleiben ein Liebespaar, auch wenn wir schon Silberhochzeit gefeiert haben und Großeltern sind. Die Liebe hat uns einst zusammengeführt und jetzt wollen wir sie hüten und pflegen, dass sie uns nicht zu gewöhnlich wird. Oder gar ganz abhanden kommt vor lauter gepflegter Langeweile. Wie wäre es, der Partnerin bei ihrer nächsten Reise einen kleinen Liebesgruß in den Koffer zu schmuggeln? Oder dem Mann zuliebe mal ins Fußballstadion zu gehen. Sich in Schale werfen, nur für den Partner, weil ich ihm so gefalle.
Überraschendes noch voneinander erwarten und füreinander bereithalten ist eines der Geheimnisse starker Partnerschaften. So werden dem Gemälde der Liebe frische Farben hinzugefügt, damit es wieder leuchtet und strahlt. Denn die Liebe schillert nicht mehr, wenn die Bilder, die man voneinander hat, schablonengleich festlegen. Sich gegenseitig in fest verschlossene Schubladen zu packen, aus denen es kein Entrinnen mehr gibt, verdunkelt jede Zuneigung.
Du sollst dir kein Bild machen von mir, sagt Gott. Ein Bild, das mich festlegen würde, das mich klein macht in deinem Kopf und Herzen. Ein enges Bild, das festnagelt und nicht freimacht. Ich bin der Vertraute, aber auch der Fremde. Verabschiede dein eindimensionales Bild von mir in deinem Kopf und halt Ausschau nach meinen überraschenden Seiten.
Geh auf Entdeckungsreise und erweitere deine Bilder um aufregende neue Perspektiven. Damit unsere Beziehung immer vital und spannend bleibt.

Mach dir kein Bild von mir. Das könnte auch der Liebe zwischen zwei Menschen helfen. Mach dir kein endgültiges Bild von mir, ich möchte mein festgefahrenes Bild von dir auch loslassen. Lass uns gemeinsam nach neuen Ufern Ausschau halten und so werden, wie Gott uns von Anfang an gemeint hat. Neugierig, offen, verbindlich, frei. Lass uns aufmerksam aufeinander achten, über unserer Liebe wachen, zärtlich einander begegnen. Und Worte finden, die wir gemeinsam beten, zum Beispiel so: „Großer Gott, so viele Jahre sind wir zusammen! Wie alter Wein könnten wir füreinander sein, köstlich, feurig, kräftig. Lass es uns sein! Wie ein altes Haus könnten wir füreinander sein: Sicher, fest, wohnlich. Lass es uns sein. Wie ein altes Buch könnten wir füreinander sein, Kostbar, schön und wertvoll. Lass es uns sein.“ (Anton Rotzetter) https://www.kirche-im-swr.de/?m=7735
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SWR4 Sonntagsgedanken

Teil 1
Noch war Zeit bis zur Abfahrt des Zuges.
Ich schlenderte durch den Hauptbahnhof. Plötzlich blieb mein Blick an Fotografien hängen, die mitten in der Halle ausgestellt waren. Porträts waren darauf abgebildet. Gesichter von Menschen mit einem besonderen Blick. Neugierig näherte ich mich und schaute genauer hin. Jetzt sah ich, dass es Porträts waren von Menschen im Sterben und kurz nach ihrem Tod. Fotografien, entstanden mit Einwilligung der Abgebildeten. Mitten im lebhaften Treiben eines Bahnhofs war der Tod auf einmal ganz nahe. Vorsichtig und scheu, so als ob man nicht stören dürfte, bewegten sich die Menschen vor den Bildern. Die Gegenwart des Todes ließ Gespräche verstummen. Manche warfen nur einen kurzen Blick darauf und machten kehrt. Andere verweilten lange und andächtig. Nach einer Weile löste ich mich, um meinen Zug zu erreichen. Noch Stunden später fühlte ich mich seltsam berührt und wie in eine andere Welt versetzt.
Ich fand es mutig, diese zutiefst persönlichen, ja intimen Bilder sterbender und toter Menschen auszustellen. Und das, obwohl ringsum alles lärmte, wuselte und pulsierte.
Und damit zu zeigen: Sterben ist wie eine letzte Reise in ein unbekanntes Land. Alles Reisen ist ein Abbild dieses Weges.
Verbunden mit Abschieden und loslassen müssen.
Aber diese letzte Reise muss jeder alleine antreten. Wie durch einen engen Geburtskanal hindurch werde ich gehen müssen. Und ich werde nicht gefragt, ob ich will oder nicht, wenn die Zeit dafür gekommen ist. Das macht Angst. Denn ich kann nicht mehr eigenständig über mein Leben verfügen, keine Entscheidungen mehr treffen. Ich kann mich nicht mehr entziehen und nicht mehr flüchten. Ich bin ausgeliefert und muss standhalten. Eine Reise ohne Wiederkehr.
Noch einmal denke ich an jene Photos, die in diesen Wochen auch in Stuttgart ausgestellt werden. Und an Menschen, die ich selbst im Sterben begleitet habe.
Manche von ihnen wurden mitten im Leben vom Tod umfangen, wie es ein mittelalterliches Lied sagt. Zur falschen Zeit kam der Tod, zu früh, zu brutal, zu unerwartet. Und andere erwarteten sehnsüchtig die Erlösung von ihren Schmerzen.
„Herr lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden“, betet ein Mensch in der Bibel. Und mahnt damit sich und uns heute, mitten im Leben dem Tod wenigstens einen stillen Tag im Jahr zu widmen. Einen Sonntag wie heute, den Totensonntag, der an die Verstorbenen erinnert. Ein Spaziergang über den Friedhof in der Dämmerung, wenn die vielen Lichter auf den Gräbern tröstlich leuchten, macht den Gedanken an den Tod erträglich. Und erinnert mich an den erlösten Ausdruck der Toten in jener Ausstellung, mitten im Leben.

Teil 2
Gehören Sie auch zu denen, die heute auf den Friedhof zum Grab eines lieben Menschen gehen? Vielleicht ist der Tod noch ganz nahe und der Schmerz unsagbar groß. Alles kommt wieder hoch, was man im Alltag wenigstens ein bisschen verdrängt. Die Tränen fließen und der Kummer bohrt riesige Löcher in die Seele.
Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen. Ja, so fühlt sich das an. Als ob man in der Trauer mehr tot als lebendig wäre. Alle Lebensfreude ist ausgelöscht. Bleierne Erschöpfung liegt über einem. Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen – mitten im Tod sind wir vom Leben umfangen.
Martin Luther war es, der die Umkehr dieses so schweren Satzes versuchte, um zu trösten. Mitten im Tod sind wir vom Leben umfangen.
Das fühlt sich an wie eine geöffnete Himmelstür, die jeder braucht, dessen Seele so weh tut. Denn ist es nicht genau die Hoffnung über diese furchtbare Todesgrenze hinweg, die man jetzt am meisten braucht? Der Tod soll nicht die Oberhand behalten. Er darf nicht für immer und ewig Leben auslöschen und ins Nichts stürzen. Die Kraft des Lebens soll letztlich den Sieg davontragen. Totensonntag ist heute, ja, aber er hat noch einen zweiten Namen: Ewigkeitssonntag. Das gefällt mir besser. Auch wenn ich mir nur mit Bildern eine Vorstellung machen kann von der Ewigkeit, mit Bildern aus der Bibel. Dass Jesus vorangeht, um eine Wohnung zu bereiten für diejenigen, die mit ihm verbunden sind. Das ist so ein schönes tröstliches Bild.
Oder ein anderes: Gott wird mich in einem schöpferischen Akt verwandeln und mir meine Unsterblichkeit wie ein neues himmlisches Kleid überziehen.
Aber es wird nicht nur um mich alleine gehen.

Die ganze Welt wird von Gott hinein genommen werden in diese neue Schöpfung.
Eine geöffnete Himmelstür, ein Blick wie durch ein Kaleidoskop, macht mich nicht zur verträumten Weltflüchtigen. Es hilft mir im Gegenteil, mitten im Leben allem gefährlich Tödlichen zu trotzen: wenn jemand schlimm beleidigt wird, nicht weghören, sondern mich einmischen. Wenn blutige Wunden geschlagen werden, alles dafür tun, dass sie wieder heilen können.
Gottes Ewigkeit oder sein Himmel wird damit schon heute sichtbar. Aber etwas Schöneres und Größeres kommt erst noch, das glaube ich. Es hilft, davon zu erzählen. Sich die Bilder vor Augen zu malen.
Beim gemeinsamen Weinen um einen geliebten Menschen und auch dann, wenn wir uns sicher und unanfechtbar fühlen. Denn mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen – mitten im Tod sind wir vom Leben umfangen. https://www.kirche-im-swr.de/?m=7171
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SWR4 Sonntagsgedanken

Manche Leute sagen: Kirche und Politik vertragen sich nicht. Am besten ist, die Kirche kümmert sich um ihre inneren Angelegenheiten, um den Glauben, die Mission und die Auferbauung. Sie finden, Pfarrer können in keiner Partei sein. Da wären sie parteiisch. Kirche soll die Politik den Profis überlassen.
Andere wiederum behaupten das Gegenteil. Kirche muss sich einmischen in Politik. Sie muss sich zu Wort melden, wenn es um so strittige Fragen wie die Gentechnik geht oder um die Erhaltung des Friedens. Pfarrer sollen sich wie in Ostdeutschland vor 20 Jahren an die Spitze des gesellschaftlichen Wandels stellen. Christen haben sich damals mutig eingemischt und klar gemacht, wofür die Kirche steht. Nämlich für Frieden und Freiheit, für Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung.
Beide Auffassungen zum Verhältnis von Kirche und Politik sind nicht so ohne weiteres von der Hand zu weisen.
Es stimmt ja, dass mancher Kirchenvertreter mit seiner politischen Meinung kräftigen Ärger verursacht hat. Und dem Land und seiner Kirche mehr schadete als nützte. Und es ist auch richtig, dass eine Kirche, die sich verschüchtert in ihr Schneckenhaus zurückzieht, von niemand mehr wahrgenommen wird.
„Suchet der Stadt Bestes“ rät der Prophet Jeremia seinen Landsleuten.
Und ermuntert damit zum politischen Engagement. Gegen alle Einwände. In einer Zeit, in der den meisten Israeliten die Lust am politischen Gestalten vergangen war.
Warum denn Hand anlegen, eine Schaufel anpacken und zur Stärkung der Wirtschaftskraft beitragen? Ausgerechnet im Exil bei den Babyloniern, die sie Jahre zuvor aus ihrer Heimat vertrieben hatten. Da lägen doch bekümmertes Selbstmitleid und fromme Gottesklage viel näher.
Jeremia macht Mut, die Flügel nicht hängen zu lassen und die Ärmel hochzukrempeln. Jeder kann seinen Teil dazu beitragen, dass das Leben in der fremden Stadt angenehmer und gerechter wird. Keiner fühle sich zu wertlos oder zu fein, zu alt oder zu gebildet.
Gebraucht werden alle. „Suchet der Stadt Bestes“. Was als Durchhalteparole oder Überlebensstrategie durchgehen könnte, ist für Jeremia Gottes Willen. Gott möchte, dass Menschen sich einbringen, sich engagieren und für andere einsetzen. Und das über die Mauern ihrer Bethäuser und Gemeinden hinweg. Dort können sie auftanken und Kraft schöpfen. Sich aufrichten lassen bei Rückschlägen und neu orientieren, wenn nicht klar ist, wie es weitergehen soll. Aber dann geht es wieder hinaus in die Stadt, in die Geschäfte und Betriebe und auf die Felder, um das bestmögliche Leben zu gestalten. Für die Alten und die Kinder, die Schwangeren und die Fremden. So wie es Gottes Idee ist.

Teil 2
Politik ist ein umstrittenes Geschäft. Der Wahlkampf der letzten Wochen hat das gezeigt. Da könnte man schnell geneigt sein, sich aus der Distanz das Ganze kritisch anzuschauen und sich über so manches zu ärgern, was da zum Besten gegeben wurde. Oder gleich ganz zu resignieren, weil das, was Politiker versprechen, sowieso schon morgen wieder vergessen ist.
Ich lese in der Bibel anderes. Da gibt es ganz konkrete Aufforderungen, sich einzumischen und dafür zu sorgen, dass es gerechter und ehrlicher zugeht im Leben. Die Fesseln des Unrechts lösen, die Versklavten befreien, den Hungernden Brot zum satt essen geben und für die Obdachlosen ein Dach über dem Kopf finden. So konkret wird Gott in seinen Vorstellungen für seine Welt.
Schon wenn ein Mensch in seiner Zeit diese Ideen Gottes für eine bessere Welt beherzigt, verändert sich etwas. Bei einem Mittagstisch für alle zum Beispiel, den immer mehr Kirchengemeinden anbieten. In meinem Kirchenbezirk laden wir jeden Mittwoch und Donnerstag zu Mittagstischen ein.
Meistens sind es ältere Ehrenamtliche, die hier eine neue und sie erfüllende Aufgabe gefunden haben. Und so kann es sein, dass engagierte Seniorinnen bei der Essensausgabe auf die Nöte allein erziehender Mütter aufmerksam werden. Und allein schon durchs Zeithaben, durchs Zuhören und kleine praktische Hilfestellungen wieder Vertrauen ins Leben schenken können. Migrantenkinder bei ihren Schulaufgaben zu betreuen ist ein anderes Beispiel. Mit Unterstützung gehen eben komplizierte Grammatikaufgaben viel leichter.
Das geschieht ganz unspektakulär und ohne große Öffentlichkeit und ist doch ein Stein im großen Mosaik einer gerechten Welt. Gottes Ideen für ein gutes und gerechtes Zusammenleben auf der Welt funktionieren nicht ohne Leute, die dieselbe Sehnsucht haben. Die sich einmischen und für die Rechte anderer kämpfen.
Es kann passieren, dass man sich dabei nicht nur Freunde macht. Die Gefahr, nicht verstanden zu werden und in eine Schublade gepackt zu werden, besteht.
Doch das Lob Gottes gilt dem, der gerecht handelt und sich an seinem Bild von der Welt orientiert. „Des Gerechten Pfad glänzt wie das Licht am Morgen, das immer heller leuchtet bis zum vollen Tag.“ Das ist ein tolles Versprechen, das Lust macht, sich diese Sehnsucht Gottes zu eigen zu machen. Vielleicht bekommt das Leben dann jenen Glanz, den wir uns so sehr wünschen. https://www.kirche-im-swr.de/?m=6819
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SWR4 Sonntagsgedanken

Teil 1
„Ich möchte dich mal zum Essen einladen“, sagte neulich eine Kollegin zu mir. „Und bring deinen Mann mit. Ein paar andere Freunde sind auch da. Lass uns mal einen schönen Abend machen.“ Ich habe mich über diese Einladung gefreut. Und es wurde dann auch ein fröhlicher Abend. Wir haben geplaudert, fein gegessen und guten Wein getrunken. Ein bisschen Abwechslung im vollen Alltag. Das tat gut.
Manchmal kommen Einladungen aber auch eher ungelegen. Ich bin gerade einfach nicht in Stimmung, zu erschöpft für ein geistreiches Gespräch und im Büro liegt jede Menge unerledigter Kram. Außerdem sind da auch Gäste, mit denen ich nicht kann. Was tun? Absagen mit fadenscheinigen Gründen: Migräneanfall oder Wasserrohrbruch? Oder doch hingehen in der Hoffnung, dass der Abend trotzdem noch entspannt wird?
Jesus erzählt eine Geschichte, in der eine Einladung zum Abendessen im Mittelpunkt steht.
Es war schon ein größeres Essen als nur ein schlichtes Abendbrot. Fast ein Festessen, das da ein Mann geplant hat. Seinen Freunden wollte er was Gutes tun. Er lädt schon mal schriftlich
ein und lässt die Gäste sogar vor dem Essen von einem Angestellten abholen. Welche Ehre, welcher Service! Umso unverständlicher ist, dass jeder der Geladenen absagt. Mit Argumenten, die nicht wirklich überzeugen. Da hat einer gerade ein Grundstück gekauft und muss es angeblich begutachten. Ein anderer hat seinen Fuhrpark verstärkt und muss nun testen, ob sich der Kauf auch bezahlt gemacht hat. Die Absagen sind eine echte Beleidigung. So empfindet es der Gastgeber. Er wird wütend, erzählt Jesus, richtig sauer auf die, die trotz Einladung nicht kommen. Doch das vorbereitete Menü verderben lassen wäre zu schade. Der Mann schickt seinen Angestellten nochmals raus mit einem außergewöhnlichen Auftrag. „Such die, die niemand einlädt.
Die Krüppel und Blinden, die Armen und Obdachlosen. Lad sie ein, zu mir zu kommen. Und mit mir zu essen. Auf dass das Haus voll werde.“ Und so geschieht es dann auch.
Klingt ein bisschen wie ein Märchen, diese Geschichte, die Jesus erzählt. Die Privilegierten sind zu dumm, um ihre Chance zu ergreifen. Deshalb bekommen die Verlierer den Zuschlag.
Jesu Geschichten sind immer graderaus und unmissverständlich. Und sie sind parteiisch.
Auf der Seite derer, die auf die Hilfe anderer angewiesen sind. Auf der Seite derer, die nichts mehr leisten können. Jesus hat aber diese Geschichte nicht nur erzählt.
Er hat selbst die Schwächsten eingeladen. Zu einem Leben mit Hoffnung und Würde.
Und so wurde aus dem vermeintlichen Märchen Wirklichkeit.

Teil 2
Wer was darstellt, wird gerne eingeladen. Ob das der Bürgermeister ist oder die Bischöfin oder der Chef des örtlichen mittelständischen Unternehmens .Wichtige Menschen, die Rang und Namen haben durch das, was sie tun und leisten. Und natürlich gehört es zum guten Ton, auch ein Gastgeschenk mitzubringen. Und sich vielleicht bei nächster Gelegenheit zu revanchieren und eine Gegeneinladung auszusprechen.
Jesus erzählt eine Geschichte, in der die eingeladenen Gäste nichts mitbringen als sich selbst. Kein öffentliches Ansehen, keinen Titel, keine Schaffenskraft. Menschen, die von den Gesunden und Starken, wenn’s gut geht mitleidig durchgefüttert werden. Menschen, die normalerweise nicht mehr eingeladen werden, weil sie aus den meisten sozialen Beziehungen rausgefallen sind. Durch ihr Handicap, wegen ihrer Sucht, wegen ihrer nackten Armut. Die fast schon ärgerliche Solidarität mit denen, die nichts leisten können, gefällt mir an Jesus. Er unterläuft damit das, was viele Menschen geradezu als Glaubensbekenntnis verinnerlicht haben: „Ich leiste etwas und deshalb bin ich Mensch. Ich leiste viel, deshalb bin ich ein besonders wertvoller Mensch.“
Wenn ich so denke, gilt aber auch im Umkehrschluss: „Wenn ich nichts mehr leisten kann bin ich nur noch ein halber Mensch. Oder ein Mensch, der gar nichts mehr wert ist.“ Jesus hinterfragt dieses verhängnisvolle Denken und setzt dagegen: Du bist wertvoll, weil du von Gott geliebt bist. Du als Mensch mit diesem ganz eigenen Namen. Das was du leistest, interessiert mich nicht. Du bist mir unendlich lieb, auch wenn du keine Glanzleistungen vorweisen kannst. Ich gebe dir Würde, gerade dann, wenn du keine Topleistungen mehr bringen kannst und dir alles zwischen den Fingern zerbröselt, was du geschafft hast.
Kann ich das so einfach glauben in einer Welt und in einer Zeit, die völlig andere Maßstäbe und Kriterien hat? Für mich in Anspruch nehmen, weil ich ja auch zu diesen Leistungsorientierten gehöre wie so viele andere auch?
Kann ich das zu einem neuen Lebensmotto machen und Menschen, die mit mir leben, auch dazu motivieren? Jesus lädt dazu ein. Ein bisschen in altertümlichem Lutherdeutsch und trotzdem so schön heilsam: Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken. Dann, wenn wieder viel von mir gefordert wird, erinnere ich mich daran. Und erst recht, wenn gar nichts mehr geht: Auch ohne vorzeigbare überprüfbare Leistungen ist mein Leben wertvoll und würdig.
Von den Einladungen, die ich so bekomme, scheint mir Jesu Einladung die wichtigste zu sein.
Ich tu mir richtig was Gutes an Leib und Seele, wenn ich sie annehme. https://www.kirche-im-swr.de/?m=6243
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SWR4 Sonntagsgedanken

Teil 1

Ich lese gerne Lebensgeschichten von Menschen,
die richtige Kämpfernaturen sind. Die wirklich Schweres in ihrem Leben mitgemacht haben und trotzdem nicht aufgegeben haben. Auch wenn ihnen noch so Furchtbares und Schreckliches zugestoßen ist.
Sie haben trotzdem weitergemacht. Unbeirrt, trotzig, beherzt.
Ich lese diese Bücher gern, weil ich daraus Mut schöpfe. Denn ich bin
keine Kämpfernatur. Leider. Ich gehe den Kämpfen lieber aus dem Weg.
Ob das Konflikte sind oder waghalsige Lebensentscheidungen. Ich liebe viel mehr das Sichere und Gewohnte.
Ich bin ein friedlicher Mensch, der Gewalt verabscheut. Und hat Kämpfen nicht immer etwas Gewalttätiges, Aggressives an sich? Muss ich, wenn ich kämpfe, nicht immer auch anderen weh tun, sie zurückweisen, sie gar angreifen? Das kann doch nicht zum Christsein passen – so habe ich lange gedacht. Hat Jesus nicht selbst gesagt: Wenn dich einer auf die rechte Backe schlägt, dann halte auch die linke hin? Streichen Christen also kampflos die Segel? Sind Christen Weicheier und Kreidefresser?
In der Bibel begegnen mir andere Typen. Da war Paulus, der ziemlich
kompromisslos für seine Überzeugung kämpfte: Jesus von Nazareth
Ist der auferstandene Sohn Gottes. Da war er völlig überzeugt davon.
Und dafür lohnt es sich zu kämpfen. Den guten Kampf des Glaubens nannte er das. Und bei seinem täglichen Überlebenskampf ging es durchaus auch um ganz handfeste Fragen: Womit den knurrenden Magen füllen? Woher neue Schuhe nehmen, wenn die alten durch sind? Wie dem kalten Winter trotzen?
Wo in der nächsten Nacht schlafen, wenn man unterwegs ist?
Wo Freunde finden und ein wärmendes Feuer?
Auch heftige Auseinandersetzungen machten sein Leben manchmal zum mühsamen Kleinkrieg.
Das alles war Überlebenskampf pur. Und gar nicht so viel anders als das,
womit manch einer heute zu kämpfen hat.
Wer da vorschnell aufgibt, hat schon verloren. Kämpfernaturen, diejenigen, die schon mit einem Kampfeswillen
in der Wiege ausgestattet sind, fällt so was natürlich leichter. Aber wie ist es denn mit denen, die dem Kämpfen lieber aus dem Weg gehen?
Die einfach Harmonie im Leben brauchen, um glücklich und zufrieden zu sein. Die eher dazu neigen, anderen kampflos das Feld zu überlassen. Woher nehmen die die Kraft, wenn sie doch mal in den Ring müssen?

Teil2

Kämpfen ist nicht meine Sache. Und trotzdem gibt es manchmal Situationen,
in denen ich kämpfen muss. Das zu erkennen hat eine ganze Weile gedauert.
Ich erinnere mich noch genau. Zwei halbwüchsige Jungs prügelten sich auf dem Schulhof meines Gymnasiums. Zuerst sah das ganz harmlos aus. Dann wuchs sich die Balgerei unversehens in eine derbe Schlägerei aus. Blut floss. Aggression pur war zu spüren. Ich stand damals wie erstarrt. Einen solchen Ausbruch von Gewalt hatte ich noch nie erlebt.
Nein, mit solchen Kämpfen wollte ich nichts zu tun haben. Später hatte ich einen großen Aufkleber auf meinem Auto: Frieden schaffen – ohne Waffen. Damit alle sehen konnten, was für ein friedliebender Mensch ich bin. Kämpfen war out – Frieden war in. Heute sehe ich das anders.
Wer nicht kämpft, z.B. für seine Überzeugungen oder für die Rechte von Benachteiligten,
wer immer nur sein Fähnchen nach dem Wind hängt und sich wegduckt, wenn mal richtig Position verlangt wird, wirkt langweilig. Profillos. Wehleidig. Farblos.
Das möchte ich nun auch nicht sein. Also muss ich mich einüben ins Kämpfen. Gewaltfrei zwar, aber nicht leidenschaftslos. Und das als Christin. Jesus sagt: Selig sind die Friedfertigen. Aber er diskutiert nicht lange mit den Händlern im Tempel, die große Geschäfte machen. Er wirft sie einfach hinaus aus dem heiligen Haus. In diesem Widerspruch bewege ich mich.
Und das ist vielleicht das, was Paulus mit dem guten Kampf des Glaubens meint.
Leidenschaftlich für Frieden kämpfen. Für Menschen kämpfen, die selbst keine Kraft
Mehr dafür haben. Mich für ihre Rechte einsetzen, die sie selbst nicht mehr verteidigen können. Kämpfen, dass die Stimme der Alten noch Gehör findet und die Jungen ihren Platz
erobern dürfen. Kämpfen, dass Menschen nicht kalt und skrupellos ihre Interessen durchsetzen. Sondern barmherzig und großmütig miteinander umgehen. Kämpfen gegen alle aufkommenden Zweifel und Verzweiflungen, die sich im Herzen festsetzen wollen.
Auch wenn ich Gefahr laufe, gegen den Wind anzukämpfen. Ich will für meine Überzeugungen einstehen.
Eine Kämpfernatur werde ich deshalb wohl trotzdem nicht werden.
Aber ich möchte Gott um die Kraft bitten, mich stark zu machen für die Kämpfe, die es zu bestreiten gilt. Für die Kämpfe, die ich nicht umgehen kann, ohne den Respekt vor mir zu verlieren.
Am Ende werde ich manche Niederlage hinnehmen müssen, aber doch letztlich den Sieg über mich selbst errungen haben. Über meine Bequemlichkeit, über meinen Unverstand, über meine Ängste. Und das gibt ein richtig gutes Gefühl.
Das wünsche ich mir und Ihnen: Den Mut zum guten Kampf des Glaubens, der nicht aufgibt und immer wieder einen neuen Anlauf nimmt. Einen gesegneten Sonntag. https://www.kirche-im-swr.de/?m=4566
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SWR4 Sonntagsgedanken

Wer hat ihn nicht schon einmal geträumt, diesen Traum, der Beste zu sein. Diesen Traum, besser, schneller, klüger zu sein als die anderen. Und eines Tages wirklich der Beste zu sein. Nicht in allen Bereichen, aber wenigstens in einem. Die Beste im Weitsprung, oder der Beste in Mathe, das sind die Schulträume. Später dann träumt mancher den Traum, das beste Examen seines Jahrgangs zu machen oder die beste Gesellenprüfung hinzulegen.
Dieser Tage träumen vermutlich viele einen ähnlichen Traum. Nicht für sich, aber doch für ihre Fussballmannschaft. Endlich Europameister werden. Die Besten sollen sie sein in Europa. Und die anderen Konkurrenten in den Schatten stellen.
Es gehört wohl schon immer zu uns Menschen dazu, besser sein zu wollen als die anderen. Besser als die, die mit uns unterwegs sind, mit uns zusammenlaufen, wie das Wort Konkurrenz übertragen heißt.
Solche Konkurrenzen werden nicht nur im Sport ausgetragen. Auch Familien können solche Schauplätze sein oder Parteizentralen. Büroräume oder Königshäuser. Um der Beste zu sein trainieren wir hart, lernen die Nächte durch und machen uns unentbehrlich im Job. Und manchmal sind es auch die guten Beziehungen oder das attraktive Aussehen, der gewinnende Charme oder einfach nur das Lebensalter, um das Rennen um den besten Platz zu gewinnen.
Die Bibel erzählt auch von einem solchen
Wettbewerb. Zwischen zwei sehr unterschiedlichen Männern. Saul und David heißen die beiden. Der eine eher melancholisch, der andere ein Draufgänger. Der eine ist König, der andere möchte es werden. Beide sind ähnlich begabt mit militärischen Fähigkeiten. Und doch hat David mehr Glück als Saul, mehr Charisma, mehr Persönlichkeit, so dass ihm die Herzen der Frauen zufliegen. Das wiederum sieht Saul mit zunehmenden Groll. Er spürt, wie der attraktivere und geschicktere ihm das Wasser abgräbt. Dabei hat er selbst den jungen David als hoffnungsvolles Talent an seinen Hof geholt. Dass David ihm mit seinem Spiel auf der Harfe die Schwermut vertreiben konnte, hat schließlich auch für ihn gesprochen. Doch jetzt wird der Amtsinhaber Saul überflügelt. Und das kann er nicht hinnehmen. Nach einer gewonnenen Schlacht jubeln David die jungen Mädchen zu: Saul hat tausend Männer erschlagen, David aber zehntausend. Das sitzt. Der erfolgreiche Kriegsherr David festigt seinen Ruf als Multitalent, während Sauls Stern schon im Sinken ist. Es ist schwer zu ertragen, eben nicht oder nicht mehr der Beste zu sein.

Teil 2
Die nächsten Wochen fiebert das ganze Land wieder mit. Wird es die Nationalmannschaft schaffen, Europameister zu werden? So jedenfalls lautet das erklärte Ziel des Bundestrainers. Die Besten in Europa wollen sie werden. Ich bin gespannt, ob der Traum wahr wird.
Wenn es aber dieses Mal wieder nicht klappt und andere Meister werden, finde ich das auch nicht tragisch. Anders ist das schon, wenn ich mir selbst ein Ziel vornehme, das ich unbedingt als Beste erreichen möchte. Die beste Köchin oder die Mutter mit den besten Kindergeburtstagsideen, die beste Tennisspielerin oder die eleganteste Frau im Büro.
Saul und David, die beiden Könige aus der Bibel,
wetteifern um die Bewunderung ihres Volkes. Und schenken sich in ihrer Konkurrenz gegenseitig nichts. Doch Saul, der ältere und schwermütige, muss einsehen, dass er seinem jungen und charismatischen Konkurrenten unterlegen ist. Seine Verzweiflung geht soweit, dass er David umbringen will. David kann nur mit knapper Not ins Ausland flüchten.
Manchmal zeigt uns das Leben: Dieses Mal bin ich nicht mehr der Beste. Meine besten Zeiten sind vorbei.
Andere sind auf dem Zenit angekommen. Sie haben jetzt das, was ich einst hatte und nie mehr bekommen werde. Macht, Einfluss, Bewunderung. Diese Einsicht schmerzt. Sie tut weh. Ich muss mich neu verstehen lernen.
Vielleicht eine neue Rolle für mich finden. In ein neues Kleid schlüpfen. Meine Denkweisen überprüfen und meine Ziele neu bestimmen. Unter einem neuen Vorzeichen: Nicht der Beste, Stärkste und Schönste sein, sondern der werden, der einverstanden ist mit sich und seinen nun zwar begrenzten, aber vielleicht ungeahnt neuen Perspektiven.
Ich begreife, dass der Wert meines Lebens nicht davon abhängt, ob ich auf dem Siegertreppchen ganz oben stehe oder nicht.
Ein Wort aus der Bibel hilft mir sehr dabei:
Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.
Ich verstehe das so: Gottes Kraft ist nicht zuerst mit den Besten und den Starken, sondern in denen, die weit hinten abgeschlagen liegen. Denen die Luft ausgegangen ist und die das Rennen abgebrochen haben.
Sie sind in Gottes Augen die Besten. Sie haben es am besten mit ihm getroffen.
Denn er hilft, das Leben als Geschenk zu begreifen, das ich mir nicht verdienen kann. Durch keine Leistung der Welt. Ich werde weiter versuchen, mein Bestes zu geben. Aber mein Lebensgefühl möchte ich nicht mehr vom Ergebnis meiner Bemühungen abhängig machen. Und vielleicht bekomme ich dann die Leichtigkeit, die es braucht, tatsächlich einmal den Traum, die Beste zu sein, wahr werden zu lassen. https://www.kirche-im-swr.de/?m=3843
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SWR4 Sonntagsgedanken

Take 1
Manchmal muss man im Leben Bewährungsproben bestehen.
Jemand fängt neu am Arbeitsplatz an. Die nächsten Monate sind Probezeit für ihn. Wenn er sich gut einbringt und fleißig ist, kann er bleiben. Probezeit bestanden. Er hat sich bewährt.
Früher feierten die meisten Paare Verlobung. Sie betrachteten die Zeit bis zur Eheschließung als Bewährungsprobe für ihre Gefühle. War es wirklich Liebe, dann wurde Hochzeit gefeiert. Die Probezeit miteinander hatte sich bewährt.

Manchmal gibt es Bewährungsproben im Leben, die kommen unerwartet und schwer auf einen Menschen zu. Da muss sich dann bewähren, was man bisher geglaubt hat und wofür man eingestanden ist. Da zeigt sich dann, ob hinter dem Kraftmeier nicht doch ein feiger Mensch steckt. Oder aber, ob aus dem Angsthasen ein tapferer Kämpfer wird.
Bewährungsproben suchen wir uns nicht immer freiwillig.
Als Jesus vom Geist in die Wüste getrieben wird, ging er vermutlich mit bangem Herzen.
Denn er ahnte, was ihn erwarten würde. Beißender Hunger, quälender Durst, bedrohliche Einsamkeit. Der einzige, der ihm in der Wüste begegnet, ist der Teufel. Clever kommt er daher. Er weiß, wo er jeden zu packen kriegt. Einem Hungrigen bietet man Brot an. Einem Machtlosen die Macht. Und wohl jeder ist versucht zuzugreifen.

Der Teufel
weiß das. Doch Jesus greift nicht zu. Er macht aus Steinen nicht Brot, obgleich ihm der Magen elend knurrt. Er springt nicht in den Abgrund, auf den ihn der Teufel führt,
um die Engel Gottes herauszufordern. Und er widersteht der Versuchung, die ganze Welt zu beherrschen, die ihm der Teufel zu Füßen legen will.
So wie Jesus damals würde ich auch gerne meine Bewährungsproben bestehen, die mir das Leben so stellt. Mich so souverän und tapfer den Versuchungen stellen, die mir den lieben langen Tag begegnen. Mich mit ihnen auseinandersetzen, ihnen nicht feige aus dem Weg gehen.
Ich würde gerne mehr Zivilcourage haben, wenn es nötig ist. Mir auch mal den Mund verbrennen und mich unbeliebt machen, dafür aber meine Meinung klar vertreten.
Ich wünsche mir mehr Mut, auch mal „Nein“ zu sagen – auch wenn mich dann ein paar Leute nicht mehr leiden mögen. Ich möchte nicht aufgeben, auch wenn alles nach kapitulieren aussieht. Ich möchte trotzig weiter glauben, auch dann, wenn fast keine Hoffnung mehr besteht.
Das sind die Bewährungsproben, denen ich in meinem Leben begegne. Nicht allen auf einmal – Gott sei Dank!, Aber immer wieder mal. Und dann, wenn es wieder so weit ist,
und ich tapfer und mutig sein muss, denke ich an Jesus. Er ist Vorbild für mich. Er hat sich bewährt.


Take 2
Bewährungsproben gibt es immer wieder im Leben. Eine besondere Bewährungsprobe
könnte auch die Passionszeit sein, die am Aschermittwoch begonnen hat. 7 Wochen dauert sie bis zum Osterfest. Der heutige erste Passionssonntag hat in der kirchlichen Tradition einen Namen.
Er heißt Invocavit. Übersetzt bedeutet das: Er ruft mich an. Aus einem Psalm, der für diesen Sonntag ausgewählt wurde, sind diese Anfangsworte entnommen:
Er ruft mich an, darum will ich ihn erhören, spricht der Herr; ich bin bei ihm in der Not, ich will ihn herausreißen und zu Ehren bringen.“
Da ist ein Mensch in Not geraten. Not macht Angst. Not zieht nach unten. Not engt den Blick ein. Not legt sich wie ein Panzer ums Herz. Aber dieser Mensch hat in der Not eine besondere Erfahrung gemacht. Hilfe kam. Gerade noch zur rechten Zeit. Hat ihn herausgerissen aus dem ganzen Jammer und der Panik, die die Not verursacht hat. Und hat ihn wieder zurückgeführt ins Leben, anerkannt und entschädigt.
Das kann nur Gott gewesen sein. So sieht es jedenfalls dieser Mensch, der das Psalmgebet spricht. Nur Gott kann das bewirkt haben.
Notzeiten sind Bewährungszeiten. Es stellt sich heraus, was wahr ist in meinem Leben. Wie tragfähig mein Glauben ist und wie glaubwürdig mein Reden. Ob ich wirklich vertrauen kann
oder ob alles nur leeres Gerede war. Manchmal offenbaren Bewährungszeiten auch bittere Wahrheiten. Über mich und über andere.
In der Passionszeit werde ich immer wieder an das Leiden Jesu, an seine Not erinnert. Und daran, wie ich selbst mit Leiden und Not umgehe. Laufe ich lieber weg, wenn ich irgendwo Leid erkenne? Werde ich zur Drückebergerin, wenn ich mit Not konfrontiert werde?
Will ich lieber in Ruhe gelassen werden, als schon wieder helfen zu müssen? Das sind Fragen, die mir zur Bewährung werden in der Passionszeit. Denn ich habe bemerkt: Je näher mir das Leid und die Not kommen,
desto schwieriger wird es. Je weniger Fluchtmöglichkeiten ich habe, desto kritischer wird es mit dem tapferen Standhalten. So ist das bei mir. Ich wünsche mir mehr Tapferkeit und
weniger Feigheit und stelle doch immer wieder ernüchtert fest:
Allein schaffe ich das nicht. Da rufe ich mir nochmals den Psalm für den heutigen Sonntag in Erinnerung. Er weist mich auf Gott. Wenn ich zu Gott bete, dann hört er mich.
In meiner Not und meinem Leid bin ich nicht allein. Er ist bei mir.
Ich möchte mir für die vor mir liegende Passionszeit etwas vornehmen: Wo mir Not und Leid begegnen, möchte ich mich nicht wegducken. Ich möchte hinschauen, helfen, wo es nötig ist, ertragen, so weit es in meinen Kräften steht.
Eigene und fremde Not. Ich möchte mutiger sein und tapfer. Und mit Gottes Unterstützung meine Bewährungsproben bestehen. https://www.kirche-im-swr.de/?m=3094
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SWR4 Sonntagsgedanken

Teil 1

Einen Besuch von Gott bekommen? Heute zum Sonntagnachmittagskaffee?
Das wäre überwältigend.
Dann könnte ich endlich meine Fragen loswerden, die ich an Gott habe. Kritische, unangenehme Fragen wären das. Weshalb musste diese fürchterliche Flut in der Sahelzone die Ernte der sowieso schon bitterarmen Menschen zerstören? Darauf hätte ich gerne eine Antwort.
Vielleicht könnte mir Gott auch erklären, weshalb die Christen
immer noch in vielen verschiedenen Kirchen zusammenkommen und einfach nicht zueinander finden. Ich wäre gespannt auf seine Antwort.
Doch Gott wird mich nicht besuchen. Das denke ich zumindest. Abraham, der alte Mann aus der Bibel, hat wohl auch nicht damit gerechnet. Und doch geschah es. Fast unerkannt kommt ihn Gott besuchen. Und erzählt ihm: Du und deine Frau Sara, ihr werdet einen Sohn bekommen. Auch wenn Sara schon längst die Wechseljahre hinter sich hat. Kein Wunder, dass Sara lacht, als ihr Abraham das erzählt. Doch Abraham glaubt felsenfest daran:
Gott hat mich besucht, um mir endlich die Geburt des langersehnten Stammhalters anzukündigen.
Klar, das ist eine archaische Geschichte aus den ältesten Teilen der Hebräischen Bibel. Doch ich finde sie faszinierend. Gott besucht einen Menschen, um ihm Gutes zu tun.
Gott sucht geradezu einen Menschen. Er geht dafür weite Wege. Durch die Wüste z.B. wie
in der Geschichte von Abraham. Aber manchmal auch durch ein Labyrinth von Vorurteilen, Enttäuschungen und schlechten Erfahrungen, die ein Mensch im Lauf seines Lebens so machen kann. Gott scheut keinen Weg, nicht das größte Meer und nicht den höchsten Berg, um bei einem Menschen einen Besuch
zu machen.
Manche Menschen denken ja andersherum: Sie suchen Gott, sie wollen gerne mal einen Besuch bei ihm machen, in seinem Gotteshaus, der Kirche.
Aber gefunden haben sie ihn nicht immer. Zumindest nicht so, wie sie’s gebraucht hätten. Wie’s ihnen gut getan hätte. Mal war die Predigt viel zu hochgestochen. Dann wieder die Musik zu laut und die Liturgie so fremd. Und da
bleibt dann manchmal ein großes Unerfülltsein zurück. Weil sie das Gefühl haben, sich vergeblich auf die Suche gemacht zu haben. Sie haben nicht gefunden. Nicht den Trost, den sie erhofften. Nicht die Wegweisung, die sie brauchten. Nicht die Hilfe, die sie ersehnten.
Eine unerfüllte Suche ist schwer zu ertragen. Manchmal resignieren wir dann. Hören auf zu suchen. Weil wir nicht das gefunden haben, was wir brauchen. Aber haben wir uns von Gott auch finden lassen wollen?

Teil2

Gott möchte einen Besuch machen. Gast sein bei einem Menschen. Und deshalb sucht er.
Er sucht geradezu rastlos und verzweifelt, weil er sich bei diesem einen Menschen vorstellen möchte. Er lässt alles andere stehen und liegen, was sonst wichtig war. Nur um diesen einen Menschen zu finden.
Ist es ungehörig oder naiv, so menschlich von Gott zu sprechen?
Jesus hatte da keine Bedenken. Er vergleicht einmal Gott mit einer Frau. Einer armen Frau. Zehn Silbergroschen sind ihr ganzer Besitz, heute vielleicht zehn Euro. Mehr hat sie nicht. Sie braucht das Geld als Notgroschen.
Eines Tages stellt sie bestürzt fest: Eine Münze fehlt.
Sie stellt das ganze Haus auf den Kopf, fegt bis in jede kleine Ritze, sucht den winzigsten Winkel ab. Alles andere ist jetzt unwichtig. Bloß die Münze finden.
Und tatsächlich – sie findet den Silbergroschen.
Die Münze findet sich wieder. Nun ist was los in ihrem Haus. Nachbarinnen und Freundinnen werden zum Feiern eingeladen. Sie wissen gar nicht, wie ihnen geschieht. Ihre Freundin hat ihren Notgroschen wieder gefunden. Gott sei Dank. Ihre Freude ist überschwänglich.
Genauso überschwänglich ist die Freude Gottes, wenn er einen Menschen gefunden hat. Und ein Mensch sich von ihm hat finden lassen.
Mir gefällt es, wie Jesus von Gott so menschlich erzählt. Beeindruckend, wie Gott alle Hebel in Bewegung setzt, um einen Menschen, um mich zu finden.
Irgendwie habe ich immer gedacht: Ich muss mich in Bewegung setzen. Ich muss Gott suchen, mich anstrengen bei meiner Suche, nichts unversucht lassen, aktiv werden, alle Möglichkeiten ausschöpfen. Nur um Gott zu finden. Bloß mache ich öfter die Erfahrung. So finde ich Gott gerade nicht. Bei aller angestrengten Suche finde ich ihn nicht. Er hat sich offensichtlich geschickt versteckt. Unauffindbar für mein Bemühen.

Vielleicht sollte ich ja andersherum denken: Gott sucht mich, und ich bleibe einfach da, wo ich bin. Und ich bleibe die, die ich bin.
Dann werde ich von Gott gefunden. Und erlebe die Erfüllung, nach der ich mich sehne. Gott sucht mich und möchte mich in meinem Leben besuchen. Und möchte, dass ich mich einfach von ihm finden lasse. Das einzige, was zu tun ist, um dieses besondere Gefundenwerden zu erfahren ist: vertrauen.
Das ist wohl viel schwieriger als meine gesammelten Aktivitäten. Und doch ist es die Haltung, die Jesus empfiehlt. Werden wie die Kinder, sein wie die Vögel unter dem Himmel, sich entfalten wie die Blumen auf dem Felde. Alles das erwächst aus einer Haltung des Vertrauens. Ich möchte mir ein Herz fassen und wieder neu Vertrauen wagen. Gegen alle enttäuschenden Erfahrungen
und Erlebnisse möchte ich mein Vertrauen setzen: Gott ist unterwegs zu mir und sucht mich.
Er möchte mich besuchen und mir Gutes tun. Er möchte für mich da sein. Damit
der Sonntag heute und die neue Woche und überhaupt mein ganzes Leben kostbar, einmalig und erfüllt werden. https://www.kirche-im-swr.de/?m=2313
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SWR4 Sonntagsgedanken

Teil 1

Heute würde ich wohl eher einen Bogen um Johannes machen. Wenn er mir auf der Straße oder in der Fußgängerzone begegnete würde ich schnell vorbeilaufen.
Wieder so ein Verrückter. So ein religiös Überspannter. Einer, der mit der Angst Menschen für die Religion gewinnen möchte.
Nein, Johannes der Täufer würde mich heute zunächst mal nicht in seinen Bann ziehen.
Einer, der sich nur von Honig und Heuschrecken ernährt. Einer, der aussieht, als ob er geradewegs aus der Wüste kommt mit seinem Kamelhaarumhang. Ein Asket, der andere bekehren möchte mit seiner Botschaft – der käme wohl heute nicht mehr an.
Doch damals zur Zeit des Neuen Testaments war das anders.
Die Leute waren fasziniert von Johannes, der so provozierend anders lebte und redete.
Nicht nur extrem in seinen Essgewohnheiten. Unbeugsam und mutig war er, wenn er die moralische Verkommenheit
der Oberschicht anprangerte. Radikal waren seine Predigten.
„Ihr Schlangenbrut, wer hat euch gesagt, dass ihr dem bevorstehenden Gericht Gottes entgeht? Zeigt durch eure Taten, dass ihr euch ändern wollt! Die Axt ist schon angelegt. Jeder Baum, der keine gute Früchte bringt, wird umgehauen und ins Feuer geworfen.“
Damals traf Johannes mit seinen markigen Worten den Nerv der Zeit. Die Menschen hungerten nach Orientierung. Sie sehnten sich nach einer neuen Gotteskraft in ihrem Leben.
Und nicht wenige machten Nägel mit Köpfen. Sie ließen sich von Johannes taufen als Zeichen eines Neuanfangs in ihrem Leben.
Wäre es vielleicht doch nicht so schlecht, dem Johannes heute zu begegnen? Mal abgesehen von seinem wunderlichen Äußeren: Neu anfangen können – das wäre doch was. Wenn mir dadurch neue Kraft zuwächst. Das klingt verlockend.
Vielleicht sollte ich eine Entscheidung, die schon längst überfällig ist, endlich treffen und dann tapfer neu anfangen. Mit allen Konsequenzen, die damit verbunden sind, aber ich wage es jetzt!
Vielleicht sollte ich mutig werden, mein Herz in die Hand nehmen und mit Gottvertrauen einen neuen Weg gehen. Das Alte, das nicht mehr gut war, hinter mir lassen.
Endlich vergeben und verzeihen können, damit in der Familie wieder Entspannung einkehrt und wir uns wieder gelöst und fröhlich begegnen.
In der zerstrittenen Nachbarschaft reinen Tisch machen und einen gemeinsamen Neuanfang wagen.
Gott und dem Glauben eine neue Chance geben. Es noch einmal oder ganz neu mit ihm versuchen.
Johannes der Täufer hat dieses Angebot gemacht. Und die Menschen haben gespürt, dass ihnen das in ihrem Leben weiterhilft. Deshalb sind sie in den Fluss Jordan gestiegen und haben sich von Johannes untertauchen lassen. Das Alte sollte weggespült werden, um dem Neuen Platz zu machen.

Teil 2

Johannistag steht heute in meinem Kalender. Der Tag, an dem sich die Christen an die Geburt Johannes des Täufers erinnern. Die Bibel berichtet, dass Johannes 6 Monate vor seinem Cousin Jesus zur Welt kam. Heute ist der 24. Juni, also 6 Monate vor Heiligabend, der Geburt Jesu.
Was für ein schillernder Mensch war er. Wenn ich ihn mir vorstelle, dann sehe ich einen Mann, der eine Mischung aus Aussteiger, Prophet, Mystiker und Aufrührer war.
Und ein Mann, der sich großer Aufmerksamkeit sicher sein konnte. Durch seine äußere Erscheinung, aber auch durch die Kraft seiner Worte. Eigentlich hätte er sich im Erfolg sonnen können, weil er um seine Wirkung wusste. Denn Zulauf hatte er reichlich.
Tat er aber nicht. Johannes, der selbst zu den ganz Großen hätte werden können, bleibt bescheiden. „Es kommt aber einer, der stärker ist als ich und ich bin es nicht wert, ihm die Schuhe aufzuschnüren. Er muss wachsen, ich muss abnehmen.“
Johannes weiß: Ich bin nur der Vorläufer, ich bin der Wegbereiter. Der Größere, Jesus, der Messias, kommt nach mir. Aber ich spiele eine wichtige Rolle. Und die fülle ich aus.
Mir gefällt und imponiert das bei Johannes.
Sich zurücknehmen, in den Hintergrund treten, um den Weg zu bereiten für den, der zu Höherem, ja zu Höchstem bestimmt ist.
Dazu gehört menschliche Größe. Bewusst in die zweite Reihe treten. Obwohl Johannes doch großen Einfluss auf Menschen hatte. Obwohl er Verehrung und Macht spürte.
Johannes hat die innere Stärke, die Rolle des Wegbereiters anzunehmen. Sich selbst zurückzunehmen, um Jesus den Vortritt zu lassen. Ohne Bitterkeit und gekränkte Eitelkeit.
Einfach, weil das sein von Gott bestimmter Weg ist.
Da kann ich auch heute noch was lernen von Johannes.
Ein Unternehmer übergibt sein Geschäft, das er über Jahrzehnte aufgebaut hat, an seinen Nachfolger. Er hat sein Bestes gegeben. Ein anderer führt es weiter. Wenn dieser andere der Sohn oder die Tochter ist, ist es für die Vätergeneration nicht einfach, zurückzustecken und die Jungen ihre eigenen Entscheidungen treffen zu lassen. Sich selbst zurücknehmen, damit die Jüngeren groß werden können – gerade auch die aus der eigenen Familie. Da braucht es viel innere Größe.
Wegbereiterin sein – dann kann ich fröhlich anderen zuarbeiten, auch wenn die dann die Früchte ernten und ich nicht im Scheinwerferlicht stehe. Ich gönne ihnen den Erfolg, auch wenn ich selbst keinen geringen Anteil an diesem Erfolg habe.
Das alles ist kein Kinderspiel. Wahrlich nicht. Wegbereiter sein, Zuarbeiterin, Vorbereiter, um weiterzukommen um der gemeinsamen Sache willen. Sich selbst zurücknehmen, um einem anderen Platz zu machen. So wie Johannes das gemacht hat. Manchmal bedenkt uns das Leben mit dieser Rolle. Und dann ist es gut, wenn wir das annehmen können. https://www.kirche-im-swr.de/?m=1605
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