SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

Wer hat ihn nicht schon einmal geträumt, diesen Traum, der Beste zu sein. Diesen Traum, besser, schneller, klüger zu sein als die anderen. Und eines Tages wirklich der Beste zu sein. Nicht in allen Bereichen, aber wenigstens in einem. Die Beste im Weitsprung, oder der Beste in Mathe, das sind die Schulträume. Später dann träumt mancher den Traum, das beste Examen seines Jahrgangs zu machen oder die beste Gesellenprüfung hinzulegen.
Dieser Tage träumen vermutlich viele einen ähnlichen Traum. Nicht für sich, aber doch für ihre Fussballmannschaft. Endlich Europameister werden. Die Besten sollen sie sein in Europa. Und die anderen Konkurrenten in den Schatten stellen.
Es gehört wohl schon immer zu uns Menschen dazu, besser sein zu wollen als die anderen. Besser als die, die mit uns unterwegs sind, mit uns zusammenlaufen, wie das Wort Konkurrenz übertragen heißt.
Solche Konkurrenzen werden nicht nur im Sport ausgetragen. Auch Familien können solche Schauplätze sein oder Parteizentralen. Büroräume oder Königshäuser. Um der Beste zu sein trainieren wir hart, lernen die Nächte durch und machen uns unentbehrlich im Job. Und manchmal sind es auch die guten Beziehungen oder das attraktive Aussehen, der gewinnende Charme oder einfach nur das Lebensalter, um das Rennen um den besten Platz zu gewinnen.
Die Bibel erzählt auch von einem solchen
Wettbewerb. Zwischen zwei sehr unterschiedlichen Männern. Saul und David heißen die beiden. Der eine eher melancholisch, der andere ein Draufgänger. Der eine ist König, der andere möchte es werden. Beide sind ähnlich begabt mit militärischen Fähigkeiten. Und doch hat David mehr Glück als Saul, mehr Charisma, mehr Persönlichkeit, so dass ihm die Herzen der Frauen zufliegen. Das wiederum sieht Saul mit zunehmenden Groll. Er spürt, wie der attraktivere und geschicktere ihm das Wasser abgräbt. Dabei hat er selbst den jungen David als hoffnungsvolles Talent an seinen Hof geholt. Dass David ihm mit seinem Spiel auf der Harfe die Schwermut vertreiben konnte, hat schließlich auch für ihn gesprochen. Doch jetzt wird der Amtsinhaber Saul überflügelt. Und das kann er nicht hinnehmen. Nach einer gewonnenen Schlacht jubeln David die jungen Mädchen zu: Saul hat tausend Männer erschlagen, David aber zehntausend. Das sitzt. Der erfolgreiche Kriegsherr David festigt seinen Ruf als Multitalent, während Sauls Stern schon im Sinken ist. Es ist schwer zu ertragen, eben nicht oder nicht mehr der Beste zu sein.

Teil 2
Die nächsten Wochen fiebert das ganze Land wieder mit. Wird es die Nationalmannschaft schaffen, Europameister zu werden? So jedenfalls lautet das erklärte Ziel des Bundestrainers. Die Besten in Europa wollen sie werden. Ich bin gespannt, ob der Traum wahr wird.
Wenn es aber dieses Mal wieder nicht klappt und andere Meister werden, finde ich das auch nicht tragisch. Anders ist das schon, wenn ich mir selbst ein Ziel vornehme, das ich unbedingt als Beste erreichen möchte. Die beste Köchin oder die Mutter mit den besten Kindergeburtstagsideen, die beste Tennisspielerin oder die eleganteste Frau im Büro.
Saul und David, die beiden Könige aus der Bibel,
wetteifern um die Bewunderung ihres Volkes. Und schenken sich in ihrer Konkurrenz gegenseitig nichts. Doch Saul, der ältere und schwermütige, muss einsehen, dass er seinem jungen und charismatischen Konkurrenten unterlegen ist. Seine Verzweiflung geht soweit, dass er David umbringen will. David kann nur mit knapper Not ins Ausland flüchten.
Manchmal zeigt uns das Leben: Dieses Mal bin ich nicht mehr der Beste. Meine besten Zeiten sind vorbei.
Andere sind auf dem Zenit angekommen. Sie haben jetzt das, was ich einst hatte und nie mehr bekommen werde. Macht, Einfluss, Bewunderung. Diese Einsicht schmerzt. Sie tut weh. Ich muss mich neu verstehen lernen.
Vielleicht eine neue Rolle für mich finden. In ein neues Kleid schlüpfen. Meine Denkweisen überprüfen und meine Ziele neu bestimmen. Unter einem neuen Vorzeichen: Nicht der Beste, Stärkste und Schönste sein, sondern der werden, der einverstanden ist mit sich und seinen nun zwar begrenzten, aber vielleicht ungeahnt neuen Perspektiven.
Ich begreife, dass der Wert meines Lebens nicht davon abhängt, ob ich auf dem Siegertreppchen ganz oben stehe oder nicht.
Ein Wort aus der Bibel hilft mir sehr dabei:
Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.
Ich verstehe das so: Gottes Kraft ist nicht zuerst mit den Besten und den Starken, sondern in denen, die weit hinten abgeschlagen liegen. Denen die Luft ausgegangen ist und die das Rennen abgebrochen haben.
Sie sind in Gottes Augen die Besten. Sie haben es am besten mit ihm getroffen.
Denn er hilft, das Leben als Geschenk zu begreifen, das ich mir nicht verdienen kann. Durch keine Leistung der Welt. Ich werde weiter versuchen, mein Bestes zu geben. Aber mein Lebensgefühl möchte ich nicht mehr vom Ergebnis meiner Bemühungen abhängig machen. Und vielleicht bekomme ich dann die Leichtigkeit, die es braucht, tatsächlich einmal den Traum, die Beste zu sein, wahr werden zu lassen. https://www.kirche-im-swr.de/?m=3843
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