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SWR4 Abendgedanken
In unserer Kirchengemeinde finden regelmäßig Seniorentreffen statt. „Seniorentreffen“ klingt etwas verstaubt, aber, was soll ich sagen, mir macht das richtig Freude. Es gibt Ehrenamtliche, die richten den Raum. Da fühlt man sich richtig willkommen. Teller und Tassen stehen auf den Tischen, dazu kommen frische Blumen und Kerzen. Andere bringen selbstgebackene Kuchen mit, die einfach immer lecker schmecken.
Gerade im Winter fällt es manchen unserer Senioren schwer, alleine das Haus zu verlassen. Ein junger Mann aus unserer Gemeinde holt sie dann auch gerne mit dem Auto ab und jeder freut sich, wenn er dann doch dabei ist. Ich wage zu sagen: Bei keiner Veranstaltung geht es so munter zu, wie bei unseren Senioren. Es wird viel miteinander geredet. Vor kurzem ergab sich ein Wiedersehen nach über 60 Jahren. „Ja, sag mal, wir haben doch früher auf dem Dorf zusammen Fußball gespielt!“ Kinder aus dem Kindergarten besuchen uns, sie singen oder tragen ein kleines Stück vor. Das tut Jung und Alt gut. Und auch die Erzieherinnen, für die es ja eine zusätzliche Aufgabe ist, strahlen. Von einem Seniorennachmittag gehe ich, ganz gleich was vorher war, immer gut gelaunt nach Hause.
Ich erinnere mich noch gut, dass meine eigene Großmutter Seniorennachmittage abgelehnt hat. „Was soll ich da? Ich kenne niemanden. Die reden sowieso nur. Das ist nur etwas für alte Leute!“ Heute denke ich: Wie schade, dass meine Oma solch ein Treffen nicht einmal ausprobiert hat. Die Gemeinschaft hätte ihr gut getan und irgendwie, so mein Eindruck, gelingt es, dass sich Menschen treffen, die zusammenpassen und sich für ähnliche Themen interessieren. Und von wegen „alte Leute“ – ich bin immer wieder überrascht, was unsere Senioren auf die Beine stellen! Einige Damen aus diesem Kreis pflegen eine Partnerschaft mit Südafrika und haben einen Besuch des dortigen Kinderchores in unserer Region mit organisiert. Die Kinder wurden bei verschiedenen Familien untergebracht und das Konzert war großartig. Die Kirche war bis auf den letzten Platz gefüllt.
Unsere Senioren und Seniorinnen sind ein Schatz. Ich habe sie gefragt, wie sie das alles organisiert haben. „Na, ich habe mich mal umgehört, wen ich ansprechen kann – und dann läuft das. Wer kann einer Oma schon einen Wunsch abschlagen?“
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In einigen Kirchen und Häusern stehen von Weihnachten noch die Krippenfiguren. Maria, Josef und das Jesuskind. Ein paar Hirten, Ochs und Esel. Die drei Weisen aus dem Morgenland, vielleicht noch ein Engel. Erst wenn an Lichtmess am 2. Februar die Weihnachtszeit offiziell zu Ende ist, werden sie wieder weggeräumt.
Es ist eine schöne Tradition, Krippen über das Weihnachtsfest stehenzulassen. Weihnachten reicht so noch weit ins neue Jahr hinein. Und das ist auch gut so, denn Weihnachten ist mehr als der Heilige Abend und die beiden Feiertage. Weihnachten ist für mich eine Art Lebenshaltung: Gott ist in einem kleinen Kind zu uns gekommen. Dieses Kind ist ein Licht für die Welt, dessen Kraft in unseren Lebensalltag hineinwirkt. Weihnachten sagt mir, dass Gott mich nicht allein im Dunkeln stehen lässt. An der Krippe begegnen sich Menschen, Tiere und himmlische Wesen. Arme und reiche, einfältige und weise Menschen kommen zusammen. In all ihrer Verschiedenheit verbindet dieses Kind sie. So können sie einander anders begegnen, respektieren und achten. Dieser Gedanke ist mir für meinen Alltag wichtig. An der Krippe hat jeder Mensch seinen Platz und das gilt nicht nur im Stall von Bethlehem, sondern auch mitten im Leben.
Es braucht den Josef, der treu für die Seinen da ist. Ebenso braucht es den Esel, seine Sturheit, vielleicht auch seine Gemütlichkeit, damit man die Dinge erst einmal durchdenkt, bevor man handelt. Und was wären wir ohne die Bodenständigkeit und Lebenserfahrung der Hirten ohne das Wissen der Weisen aus dem Morgenland? Ohne die Engel würde mir der Blick zum Himmel fehlen und vor allem der Ruf nach Frieden auf Erden.
In diesem Jahr habe ich bei Freunden eine ungewöhnliche Darstellung der Maria in einer Krippe entdeckt. In der Regel kniet Maria ja vor dem Kind. Der Künstler dieser Krippe aber hat Maria als eine selbstbewusste Frau geschaffen, die vor der Krippe steht. Mit einem klaren Blick schaut sie sowohl das Kind als auch mich als ihre Betrachterin an. Sie scheint mir zu sagen: „Hab keine Angst vor der Dunkelheit, hier im Licht ist auch Platz für dich. Nimm es mit in dein Leben!“
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„Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln!“ Das ist der Beginn des 23. Psalms, dessen Worte vielen Menschen vertraut sind. Der Psalm gehört noch heute zu den Kerntexten im Religions- und Konfirmandenunterricht – nur mit dem früher üblichen Auswendiglernen tun sich meine Konfirmanden heute eher schwer. „Warum auswendig lernen? So was kann man doch schnell auf dem Handy suchen.“
Vor kurzem habe ich eine Frau in einem hohen Alter zu Hause besucht. Voller Stolz hat sie mir ein altes Bild über ihrem Sofa gezeigt. „Dieses Bild hat mich mein Leben lang begleitet, es hing schon über meinem Bett im Kinderzimmer!“ Auf dem Bild war ein Hirte zu sehen, der eine Herde Schafe hütet. Vertrauensvoll schmiegten sich die Schafe an ihn. „Dies Bild ist für mich ein Lebensschatz“ hat die alte Frau mir gesagt. „Psalm 23 – der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln!“ Und sie fügte an: „Mir hat die Vorstellung, dass Gott als guter Hirte an meiner Seite ist, immer gutgetan. Der gute Hirte lässt mich nicht allein, freut sich mit mir und ist auch in den dunklen Zeiten meines Lebens in meiner Nähe. Gerade da fühlt man sich ja oft allein. Hier und da habe ich mein Bild angeschaut und den Hirten dann gefragt: Na, wo steckst du denn? Ich könnte dich jetzt gut gebrauchen. Manchmal habe ich erst später verstanden, dass Gott bei mir war. Vielleicht hat er hat mich auf den ein oder anderen Weg geführt, den ich gar nicht gesehen habe!“
„Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln!“ was für ein schöner Psalm! Der Lebensschatz einer alten Frau. Das Wissen darum, dass Gott auch in schweren Zeiten an meiner Seite steht.
Seit dem Besuch habe ich angefangen mir ein paar Texte zusammenzusuchen, die mir guttun und Kraft schenken, so wie der Psalm 23 der Frau. Darunter sind ein paar Worte aus der Bibel, Gedichte und auch Lieder. Sicher, solche Texte lassen sich immer bei Bedarf schnell nachschlagen oder im Internet finden, aber Lebenstexte, die zu einem Lebensschatz im eigenen Herzen heranreifen, sollten sofort da sein: In mir drin oder in meiner Schatzkiste. Vielleicht sollte ich mit den Konfirmanden solche anlegen. Ob und wie sie sie dann füllen, entscheidet jeder selbst.
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Und wieder ist mein Schlüssel weg. Dabei lege ich ihn eigentlich immer an denselben Ort, wenn ich nach Hause komme. Oben auf’s Regal beim Eingang. Nur, da war er am Morgen nicht. Also beginnt das große Suchen. Schlafzimmer, Küche, Badezimmer und wieder von vorn. Ich ärgere mich über mich selbst. Ich weiß: Irgendwann findet sich zwar mein Schlüssel immer wieder - und sei es in meiner eigenen Hosentasche.
Ich frage mich: Warum habe ich ihn nicht oben auf das Regal gelegt, wo er hingehört?
Manchmal scheint es mir, dass ich nicht nur meinen Schlüssel verlegt habe, sondern im Trubel des Alltags und der Aufgaben ein Stück weit auch mich selbst. So viele Dinge stehen an, so viel scheint getan werden zu müssen. Die Liste der Dinge, die zu tun sind, hört nicht auf, und hier und da rutschen dann noch unerwartete Anfragen und Anforderungen von der Seite rein. Bin ich dann eigentlich noch bei der Sache, die ich gerade mache, oder sind meine Gedanken ganz woanders? Das Rattern und Ordnen in meinem Kopf scheint an manchen Tagen nicht aufhören zu wollen. Selbst dann, wenn ich abends nach Hause komme. Kein Wunder, dass der Schüssel am Morgen nicht mehr an seinem angestammten Ort ist.
Von Jesus erzählt die Bibel, dass er sich immer wieder zurückgezogen hat, raus aus dem Trubel und weg von den Menschen, die ihn hören und sehen wollten. Nur eine Nebensache in den Jesuserzählungen, habe ich früher gedacht. Aber mittlerweile sehe ich das anders. Und ich habe ich mir jetzt vorgenommen, bei jedem Ankommen zu Hause meinen Schlüssel ganz bewusst abzulegen. Ich bin jetzt zu Hause. Dafür nehme ich mir einen Moment Ruhe. Die drei Engel, die bei uns im Flur stehen, habe ich zu meinen Komplizen gemacht. Erst wenn ich sie angelächelt habe, bin ich angekommen. Jetzt bin ich voll und ganz zu Hause. Solches Umschalten und solche Momente sind mir wichtig geworden, um jeweils ganz da zu sein, wo ich bin. Zu Hause, bei meinem Gegenüber, bei meiner jeweiligen Aufgabe. Die Bibel erzählt, dass Jesus sich sogar ganze Auszeiten genommen hat – um immer wieder in sich hinein- und auf Gott zu hören. Von ihm kann man lernen, sich nicht selbst zu verlieren, sondern ganz im Hier und Jetzt zu sein.
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In Washington wurde vor dem Kapitol schon manche Rede gehalten. Einige wenige haben sich in das Gedächtnis der Weltgeschichte eingeschrieben. Dazu gehören die Worte von Abraham Lincoln zur Abschaffung der Sklaverei und die Rede, die Martin Luther King im Sommer 1963 gehalten hat. Seine Worte „I have a dream – „Ich habe einen Traum“ stehen für einen Wendepunkt in der Geschichte der Vereinigten Staaten – es ist der große Ruf zu einem Leben, das von Freiheit, gegenseitigem Respekt und einem friedlichen Miteinander geprägt ist.
Um diesen Gedanken für die Vereinigten Staaten festzuhalten, wurde 1986 nach langen Debatten der „Martin-Luther-King-Tag“ als Bundesfeiertag eingeführt. An diesem Feiertag sollen die Menschenrechte im Land der unbegrenzten Möglichkeiten besondere Aufmerksamkeit erfahren. Die Gleichheit aller Menschen soll mehr als ein Traum sein, sie soll in diesem Land miteinander gelebt werden. Sie ist die Grundlage der Demokratie und fest in der christlichen Wertevorstellung verankert. Das ist kein Wunder, denn Martin Luther King war ein Baptistenpastor. Er hat daran geglaubt, dass Veränderungen mit Gottes Hilfe möglich sind. Darum hat er es in der Tradition der biblischen Propheten gewagt, Missstände in der Gesellschaft zu benennen und zu einer Umkehr im Denken und im Miteinander aufzurufen: Wenn Gott alle Menschen geschaffen hat, dann gibt es keinen Grund, von der Gleichheit aller Menschen nur zu träumen, sondern sie ist schon vorgegeben, es liegt an uns, sie zu leben.
In den Vereinigten Staaten wird heute am Martin-Luther-King-Tag dazu aufgerufen, mit anderen Menschen Zeit zu verbringen. „Share your time: Teile deine Zeit“ heißt es an vielen Orten. Freiwillige lesen Kindern etwas vor oder besuchen Senioreneinrichtungen, andere sammeln gemeinsam an den Stränden Müll ein, damit die Umwelt für alle sauberer ist. Nachbarschaftsfeste werden gefeiert. Mir gefällt die Idee dieses Tages: Träume müssen keine Träume bleiben, sie können Wirklichkeit werden. Das passiert nicht einfach so, sondern irgendein Mensch muss damit beginnen, einen Traum in die Hand zu nehmen und ihn Wirklichkeit werden zu lassen.
Ich hoffe, dass ein wenig vom Geist dieses amerikanischen Feiertages auf den Geist des neuen amerikanischen Präsidenten am Tag seiner Einführung wirkt.
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Am Sonntag ist Volkstrauertag. Ich erinnere mich daran, wie ich als Kind nach dem Gottesdienst an der Hand meiner Großmutter vor der Gedenktafel im Dorf stand und der Ortsvorsteher und der Pfarrer ein paar Worte gesprochen haben. Es ging um Krieg und Frieden. Ehrlich gesagt, habe ich das damals nicht alles verstanden. Was ich aber verstanden habe, war, dass alle, die da gewesen sind, betroffen auf die Steintafel geschaut haben, die an der Wand hing.
Darauf standen die Namen derer, die im Krieg geblieben sind. Namen von Vätern, Ehemännern, Brüdern und Söhnen. Was mir vor allem an diesem Tag in Erinnerung geblieben ist, waren die Tränen in den Augen der Männer und Frauen. Still ging man auseinander.
Die Namen auf den Tafeln sagen uns, die wir heute davorstehen, vielleicht nichts mehr.
Die Alten konnten zu jedem Namen auf der Tafel in unserem Dorf noch eine Geschichte erzählen. Der Heinrich war ein sehr talentierter Tischler, er hatte drei kleine Kinder, Otto gehörte zu den ersten Automechanikern in der Region, es hat seiner Mutter das Herz gebrochen als die Nachricht kam, dass er gefallen ist. Walter wurde direkt von der Schulbank in den Krieg gerufen und kam nie zurück.
Das ist nun über 80 Jahr her, und ihr Schicksal in weite Ferne gerückt. Vielleicht kommen heute auch deshalb nur noch eine Handvoll Menschen am Volkstrauertag, die an die Opfer der Kriege erinnern und zum Frieden in der Welt aufrufen. Dieser Ruf verdient, so finde ich, gerade in diesen Tagen breites Gehör.
Wie lang müsste die Liste mit den Namen auf den Gedenksteinen sein, wenn wir auch an die Frauen, Kinder und Männer denken, die ebenso ihr Leben verloren haben oder auf der Flucht gestorben sind? Wie lang, wenn wir an alle denken, die heute durch Terror, Krieg und Gewalt ihr Leben verlieren?
Darum sind die in Stein gemeißelten Namen für mich ein Aufruf, immer wieder neu auf dieser Welt nach Wegen des Friedens zu suchen – Die Tränen, die Trauer und das Leid, die hinter jedem Namen stehen, dürfen wir nicht vergessen. Ich möchte mich darum für den Frieden auf dieser Welt einsetzen. Auf das ganz Große habe ich keinen Einfluss, aber in meinem eignen Umfeld kann ich dafür Sorge tragen, dass wir gut und menschlich miteinander umgehen.
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Heute vor 84 Jahren haben deutsche Bomber im Zweiten Weltkrieg die Innenstadt von Coventry in England zerstört. Solch einen „Krieg aus der Luft“ hatte es vorher nicht gegeben. Und „Coventrieren“ wurde zu einem Begriff für die Vernichtung einer Stadt aus der Luft.
Auch von der Kirche des Ortes sind damals nur die Außenwände stehen geblieben. Im Inneren war sie total ausgebrannt. Richard Howard, der damals Probst an der Kirche von Coventry war, hat nach der Zerstörung seiner Kirche etwas getan, was zunächst einige verstört hat. In der vom englischen Radio übertragenen Weihnachtsmesse rief er die Zuhörer zur Versöhnung auf. An Versöhnung hatte mitten im Krieg gewiss keiner gedacht. Doch dem Pfarrer war dieser Aufruf wichtig, weil ihm klar geworden war, dass die Gewaltspirale zwischen den Kriegsparteien sonst nie ein Ende finden würde. Das Kriegstreiben, das eigentlich niemand will, wird sonst, wenn keiner den ersten Schritt wagt, immer nur weiter gehen.
Coventry war eine Industriestadt. Neben den Fabriken wurden 4330 Häuser und Kulturgüter zerstört. 568 Menschen sind gestorben und 850 Menschen wurden verletzt, später wurde auch London bombardiert und Dresden, Berlin und andere Städte erlebten ähnliche Schicksale. Wenn ich die Bilder von damals oder gerade auch die Bilder aus den Kriegs- und Krisengebieten unserer Tage sehe, dann lässt mich das sprachlos sein. Wie kann es sein, dass Menschen sich gegenseitig so etwas antun? Und wie kann es sein, dass wir seit damals anscheinend nichts dazu gelernt haben?
Der Probst von Coventry hat damals ein Symbol für seinen Gedanken der Versöhnung hergestellt, das die Menschen bis heute berührt: Aus zwei zerstörten Dachbalken der mittelalterlichen Kirche stellte er ein großes Kreuz in der Ruine seiner Kirche auf, später gestaltet er ein Kreuz aus drei Nägeln aus den verbrannten Balken. Die Botschaft ist klar: Christus leidet, wenn er sieht, was wir Menschen uns auf dieser Welt gegenseitig antun. Als Geschenk der Gemeinde von Coventry findet sich ein Nagelkreuz heute in der Dresdener Kreuzkirche und eines in der Kaiser -Wilhelm-Gedächtnis-Kirche in Berlin.
Es bleibt als Symbol der Hoffnung und ein Zeichen der Versöhnung und hört nicht auf, nach Frieden zu rufen: auch und gerade heute!
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Bei uns in Tauberfranken liegt im November oft bis zum späteren Vormittag der Nebel in den Tälern, dazu wird es am Abend früh dunkel.
Ein trister Monat. Aber mir gefällt an dieser Zeit, dass ich in ihr so viel Ruhe finde, wie kaum zu einer anderen Jahreszeit. An frühen Abenden nehme ich mir jetzt gerne eine Decke und setze mich mit einer warmen Tasse Tee auf mein Sofa. Ich denke über die vergangenen Monate nach.
In diesem Jahr ist bei mir ganz schön viel zusammengekommen. Ich musste von mehreren lieben Menschen Abschied nehmen, die mich weite Teile meines Lebens begleitet haben. Mein Mann hat seinen Arbeitsplatz gewechselt, ein Freund bekam eine Krankheitsdiagnose, meiner Mutter ging es nicht gut. Manches liegt auf meiner Seele wie der Novembernebel in den Tälern. Das kann einen ganz schön erdrücken.
Es gibt aber auch eine andere Seit, die ich Gott sei Dank genauso aus diesem Jahr in den Blick nehmen kann: Da gab es Gutes, Schönes, Überraschendes und Gelungenes: Wir haben dieses Jahr unsere Silberhochzeit mit Freunden feiern dürfen, wir konnten mit unserem Sohn seinen Schulabschluss feiern, es gab nicht nur ein schönes Geburtstagsfest und im Urlaub habe ich in Finnland zum ersten Mal Polarlichter gesehen. Ich war völlig aus dem Häuschen, als ich das grün-violette Licht am Himmel erblickt habe. Die ganze Familie habe ich lautstark nachts um ein Uhr zusammengerufen. Damit alle dieses unglaubliche Himmelsphänomen sehen konnten. Noch jetzt staune ich darüber – Monate später im ach so tristen November.
„Alles Ding währt seine Zeit-Gottes Lieb in Ewigkeit“, heißt es in einem Kirchenlied. Mir tut der November gut, um die Dinge meines Lebens nach den übervollen Monaten zu sortieren. Das Schöne wie das Schwierige hat in diesem Jahr seinen Platz darin gefunden. Und, was sich noch nicht sortieren lässt, lege ich einfach in Gottes Liebe ab – vielleicht sortiert er es für mich, wenn nicht heute, dann vielleicht an einem anderen Abend.
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Heute in sechs Wochen ist Heiligabend. In diesem Jahr habe ich mir vorgenommen, soll es möglichst ruhig zugehen. Ich möchte kurz vor Weihnachten nicht noch durch Geschäfte hetzen, um ein passendes Geschenk zu finden. Also fange ich schon zwei Wochen vor dem ersten Advent mit den Vorbereitungen an, obwohl ich noch gar nicht in Weihnachtsstimmung bin. Egal, ich mache mir schon jetzt eine Liste, mit den Namen aller, die mir wichtig sind. Meine Familie, ist ja klar, dazu die besten Freunde, aber eben auch ein paar Menschen, die es dieses Jahr einfach gut mit mir gemeint haben.
Da gibt es z.B. eine ältere Dame. Sie hat mir manch gutes Wort in den vergangenen Monaten geschenkt. Mich ermahnt, mich ins Bett zu legen, wenn ich mit einer Erkältung aus dem Haus gegangen bin, mich in den Arm genommen, als ein lieber Mensch verstorben ist. Ihr möchte ich zu Weihnachten eine Karte schreiben und mich bei ihr für ihre Fürsorge bedanken.
Ich habe Kolleginnen und Kollegen. Wir helfen und unterstützen uns gegenseitig, tragen einander in schwierigen Zeiten - wir können gemeinsam Lachen und Weinen. Das ist an vielen Arbeitsplätzen nicht selbstverständlich – in diesem Jahr möchte ich sie mit selbstgebackenen Plätzchen bei einer Tasse Tee überraschen. Gemeinsame Zeit ist ein Geschenk ganz anderer Art, und oft haben wir viel zu wenig davon.
Nun, meine Liste ist noch nicht fertig, ich werde mich in den kommenden Tagen auf jeden Fall weiter daransetzen. Denn, was ich nicht gedacht habe, ist, dass mir das Aufschreiben der Namen all dieser Menschen große Freude bereitet. So viele waren für mich in den vergangenen Wochen und Monaten da, das ist so schön. Die Liste ist eigentlich ein Geschenk für mich und das fühlt sich ganz und gar anders an als der Druck, kurz vor Weihnachten schnell noch irgendwas besorgen zu müssen. Und ich habe schon ein paar wirklich schöne Ideen, die ich nun gerne in Ruhe angehe.
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Als unser Sohn noch klein war und am 11. November abends nach einem Martinsumzug mit Musikkapelle und Pferd nach Hause gekommen ist, da war für ihn eines klar: „Teilen ist cool!“.
Im Kindergarten wurden die Laternen - auch mit den Allerkleinsten -selbst gebastelt. Mit viel Liebe entstanden durch die Jahre bunte Kugeln, leuchtende Igel und andere farbenfrohe Modelle, die im Kinderzimmer aufbewahrt werden mussten. Während des Bastelns haben die Erzieherinnen den Kindern die Legende von St. Martin erzählt: Martin war ein römischer Soldat, der mit einem Bettler, als er ihn in Schnee und Eis frierend vor dem Stadttor sitzen saß, seinen Mantel geteilt hat. Und das nicht irgendwie, sondern mit einem großen Schwert. Martin hatte Mitleid mit diesem Mann, andere Menschen offensichtlich nicht. Von Sankt Martin kann man lernen, zu teilen.
„Teilen ist cool“ – diese Botschaft ist bei unserem Sohn damals eindeutig angekommen.
Eine Zeitlang wurde in der Folge des Martinstages darum alles von ihm bei uns zu Hause geteilt: ob Butterbrote oder Süßigkeiten - am besten mit einem Holzschwert.
Nun, diese Leidenschaft hat im Laufe der Jahre ein wenig nachgelassen, geblieben aber ist noch eines: Noch heute, wenn unser inzwischen erwachsener Sohn am Straßenrand einen Bettler sitzen sieht, zieht er selten einfach an ihm vorbei. Er holt seinen Geldbeutel heraus und gibt ihm eine Münze oder besorgt heißen Kaffee oder etwas zu essen – und manchmal ergibt sich daraus auch ein Gespräch. Er mag einen Menschen nicht einfach so sitzen lassen.
Mit der Sankt Martinsgeschichte haben die Erzieherinnen unserem Sohn auf gute Weise eine Haltung zu anderen Menschen in sein Herz eingeschrieben. Dafür bin ich ihnen noch heute sehr dankbar. Einen Blick für andere Menschen zu haben, die einem im Alltag begegnen, und nicht nur bei sich selbst stehenzubleiben, ist ein besonderes Geschenk.
Heute ist wieder Martinstag und die Kinder ziehen mit ihren Eltern singend mit Laternen in der Hand durch die Straßen. Und ganz bestimmt findet Sankt Martin heute Abend auch neue Fans, die für ihr Leben mitnehmen, dass „Teilen cool ist.“
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