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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

30MRZ2024
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Heute ist Karsamstag. Der Tag der Grabesruhe. Am Karsamstag ist das Schlimmste vorbei. Vorbei das Leiden; vorbei der Schmerz. Jesus ist tot.

Jetzt heißt es, die Leere ertragen. Und nicht wissen, wie es weitergeht...

Ein Gefühl der Leere und der Hoffnungslosigkeit hat sich auch damals unter den Jüngerinnen und Jüngern breitgemacht. Die einen haben sich vor Schreck in ihren Häusern verkrochen. Andere sind traurig davongelaufen. Und wieder andere sind nicht von ihm gewichen; auch nicht, als er tot war.

In der Bibel wird erzählt: Noch in der Nacht seines Todes wurde Jesus in einer Gruft beigesetzt. Da war nämlich dieser angesehene Bürger, Joseph von Arimathäa, der wollte Jesus begraben. Deshalb hat er hat die Behörden um seinen Leichnam gebeten.

Das ist ganz schön mutig gewesen, denn Jesus ist ja als Unruhestifter getötet worden. Und wer mit so einem sympathisiert, der macht sich verdächtig...

Doch Joseph hat Glück; vielleicht hat ihm auch sein Ansehen geholfen.  Jedenfalls: die Behörden überlassen ihm den Leichnam. 

Joseph besitzt eine Grabstätte. Dorthin bringt er Jesus; dort soll er ruhen.

Er wickelt ihn in ein Leinentuch und legt ihn in die Gruft. Dann wälzt er einen großen Stein davor und geht. Was er tun konnte, hat er getan. (Mt 27, 57-61)

Im Matthäusevangelium heißt es weiter: „Es waren aber dort Maria Magdalena und die andere Maria, die saßen dem Grabe gegenüber.“

Die beiden Marias sind ihm offenbar gefolgt und haben alles mitangesehen. Erstaunlich, oder? Die Frauen bleiben. Und harren weiter aus.

Ich glaube, ich wäre auch weggelaufen, so wie die anderen Jünger. Aus Angst um mein Leben.

Aber Maria Magdalena und die andere Maria bleiben. Das ist der Ort ihrer Trauer; hier sind sie dem Toten nah. Und sie tun, was das Richtige für sie ist: Sie wachen und schweigen.

Wie lange sie wohl so dasitzen? Ich stelle mir vor, bis zur Morgendämmerung. Das Herz randvoll. Und doch auf seltsame Weise furchtlos. 

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

28MRZ2024
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Heute ist Gründonnerstag. Als Kind habe ich gedacht, Gründonnerstag heißt so, weil es wieder grün um einen herum wird. Aber vermutlich geht es eher auf das althochdeutsche Wort „greinen“ zurück - das heißt so viel wie „weinen“. Und das ergibt ja auch Sinn, am Tag vor Karfreitag.

In der Bibel wird erzählt, wie Jesus die Nacht von heute auf morgen in Todesangst verbracht hat (Mt 26,17-56). Mit seinen engsten Freunden flieht er in den Garten Gethsemane. Er möchte beten. Die Freunde sollen ein wenig abseits wachen. „Meine Seele ist betrübt bis an den Tod“, sagt er. „Bleibt hier und wacht mit mir.“

In der Stille des Gartens wirft er sich auf die Erde und bringt seine entsetzliche Angst vor Gott. Und seinen innigsten Wunsch:

„Vater, ist´s möglich, so lass diesen Kelch an mir vorübergehen.

Doch nicht wie ich will, sondern wie du willst.“

Dreimal betet er so, zerrissen zwischen göttlichem Auftrag und menschlicher Angst. Er möchte weiterleben und nicht diesen furchtbaren Tod erleiden. Und zugleich gibt er sich unendlich vertrauensvoll in Gottes Hand.

Während Jesus um sein Leben und Sterben ringt, schlafen seine Freunde ein.

Sie sind so müde und die Todesangst ist so fern...

„Konntet ihr nicht eine Stunde wachen?“, fragt Jesus, als er sie so findet. Und man hört den Vorwurf. Die Enttäuschung. Und die abgrundtiefe Einsamkeit.

Aber eben das ist die Welt, für die er sterben wird:

Eine Welt voller Unzulänglichkeiten. Voller Abgründe. Voller Grausamkeit und himmelschreiender Ungerechtigkeit. Und voller Hass. Und zugleich eine Welt voller Leben und Freude und unergründlicher Schönheit. - Es ist die Welt, die Gott liebt.

Diese göttliche Liebe ist in Jesus Mensch geworden. Eine menschgewordene Liebe, die den Hass überwinden wird, indem sie sich ihm vollkommen ausliefert; bis ans Kreuz, bis in den Tod.

Aber auf den Trümmerfeldern von Tod und Zerstörung wird die Liebe Gottes auferstehen. Denn sie ist stärker; stärker als jeder Tod.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

27MRZ2024
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So eine Szene kommt in jedem besseren Krimi vor:

Da ist jemand getötet worden. Und eine völlig unverdächtige Person aus dem Umfeld gibt sich die Schuld: „Es ist alles meine Schuld“, bricht es aus ihr heraus. Und immer, wirklich immer, ist die Reaktion wie folgt:

Augenblicklich versucht jemand reflexartig, diesem Menschen die Schuld wieder auszureden: „Nein, das ist nicht Ihre Schuld“ beteuert beispielsweise die untersuchende Kommissarin.

Und das, obwohl es nie funktioniert.

Die Schuld geht davon im Krimi genauso wenig weg wie im richtigen Leben.

Aber warum ist das so? Weil alle aneinander vorbeireden.

Für die Außenstehenden ist die Sache klar: Da gibt es eine echte, nachweisbare Schuld. Und eine gefühlte - oder auch nur eingebildete - Schuld. Und von dieser Beurteilung möchten die Außenstehenden dann auch die betroffene Person überzeugen, die sich die Schuld gibt.

Aber die ist gerade ganz woanders. Sie befindet sich in einer Spirale der Selbstvorwürfe. Das gehört dazu, wenn man einen nahen Menschen verloren hat. Schuldvorwürfe und Selbstanklage sind - wenn man so will - der Preis für eine intensive Beziehung. Die Zuneigung und die Liebe löscht der Tod ja nicht einfach aus.

Und deshalb nehmen Schuldgedanken einen so großen Raum ein.

Es reicht auch nicht, dass man sie einmal denkt. Oder zweimal. Schuldgedanken kreisen und kreisen... Und Fragen und Zweifel wiederholen sich tausendfach...

Aber nicht, um Antworten zu hören; oder gar, um korrigiert zu werden.

Sie sind der Ausdruck tiefer Not.

Und das ist das große Missverständnis.

Für mich als Außenstehende sind diese Selbstvorwürfe kaum zu ertragen.

Sie kommen mir vor wie die reine Selbstquälerei.

Deshalb möchte ich die Qualen des anderen auch so gerne beenden.

Aber dagegen wehrt sich der trauernde Mensch. Er fühlt sich nicht verstanden. Denn es geht nicht um meine Sichtweise, es geht um seine. Und die Frage nach Schuld und Unschuld - die ist ein Teil von ihm in seiner Trauer. 

Auch wenn es schwer ist: Es gibt keinen schnellen Ausweg aus dem Leid.

 (Literaturhinweis: Chris Paul: Schuld / Macht / Sinn)

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

26MRZ2024
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Fromme Sprüche sind alles andere als fromm. Jedenfalls dann, wenn ich sie nur benutze, um mich dahinter zu verstecken. Aus Verlegenheit. Oder weil ich nicht weiß, wie ich mein Mitgefühl ausdrücken soll. Aber dann ist es allemal besser, nichts zu sagen und zu schweigen. Denn so ein dahergesagter Spruch kann ungeahnte Folgen haben. 

Ich hab das mal erlebt, im Krankenhaus. Da sitze ich bei einer Patientin am Krankenbett, die erfahren hat, dass ihre Erkrankung nicht mehr heilbar ist.

Plötzlich kommt Besuch hereingeschneit. Und als die Patientin unter Tränen erzählt, was der neueste Stand ist, sagt die Besucherin nach einer kleinen Pause: „Gott lädt keinem mehr auf, als er tragen kann.“

Vermutlich ist ihr gerade nichts anderes eingefallen. Vermutlich hat sie gedacht, das tröstet. Vermutlich...

Aber bewirkt hat sie das genaue Gegenteil:

Die Patientin sieht kurz aus, als hätte man sie geohrfeigt. Dann zeigt sie mit dem Finger auf die Tür und sagt: "Bitte, geh jetzt!"

Die Besucherin verlässt erschrocken das Zimmer. 

„Es tut mir leid“, sagt die Patientin zu mir, „aber das konnte ich keinen Augenblick länger ertragen. - Was maßt sich dieser Mensch eigentlich an? Kommt hier reingeplatzt, macht mein Elend klein und erklärt mir dann auch noch, dass Gott mir das höchstpersönlich aufgeladen hat. Muss ich mich jetzt auch noch verhöhnen lassen!?“

Als sich ihr Zorn gelegt hat, fragt sie mich:

„Glauben Sie das: Gott lädt keinem mehr auf, als er tragen kann?“

„Nein“, sage ich. „Ich glaube nicht an einen Gott, der sich überlegt, welches Leid er, wem am besten aufladen kann. Und es stimmt auch nicht, denn es gibt unendlich viele, die unter ihrer Last zerbrechen.

Ich weiß keine Antwort auf das Leid: Woher es kommt... Wozu es gut ist...

Manchmal können wir einen Sinn darin finden; aber oft genug müssen wir mit der Sinnlosigkeit klarkommen. Nur..., seltsamerweise fühle ich mich Gott ausgerechnet dort am nächsten...“

Wir schweigen eine Weile. Es ist ein gutes Schweigen.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

25MRZ2024
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Gestern hat die Karwoche begonnen. Sie wird auch „stille Woche“ oder „Trauerwoche“ genannt. Weil Christen in dieser Woche an das Leiden und Sterben Jesu erinnern.

Die Karwoche ist auch die Woche der Trauernden; denn es geht auch um ihren Abschied und ihren Schmerz. Da kann die Karwoche wie eine kleine, schützende Pause wirken, vor dem Alltagstrubel.

Denn wer in Trauer ist, fühlt sich oft wie abgeschnitten von der Welt.

Für manche ist es kaum mehr möglich, unter Menschen zu gehen. Weil sie die Normalität nicht ertragen: Wie kann sich die Welt einfach so weiterdrehen, als ob nichts wäre? Wo ich doch das Liebste verloren habe...

Das ist schwer zu begreifen. Und tut weh.

Allein schon der Anblick eines Paares, das einander noch hat....

Oder der Anblick einer Familie, die komplett ist, kann mitten ins Herz treffen.

Ob man nun will oder nicht.

Eine Freundin, die ihren Mann verloren hat, beschreibt dieses Gefühl der Fremdheit so: „Es ist, als wenn ich in zwei Zügen unterwegs wäre, die nebeneinanderher fahren:

In dem einen Zug sitzt das ganz normale Leben. Da geht es unbeschwert zu:

Es wird gelacht, geschimpft und über das Wetter geredet.

Und in dem anderen Zug, da sitzt die Trauer. Das ist eine völlig andere Welt.

Da ist es still und leise. Traurig ist es da. Und düster...“

 

Meine Freundin erzählt, dass sie zwischen beiden Zügen hin und her wechselt.  Wenn sie mit Freunden unterwegs ist, und sich wohlfühlt, dann fährt sie mit im unbeschwerten Zug. Aber kaum endet eine schöne Situation, wird sie direkt wieder in den anderen Zug zurückkatapultiert. Da kann sie gar nichts gegen machen, und fühlt sich wehrlos und ausgeliefert.

Sie sagt:

"Das einzig gute ist: Wenn ich so zurückblicke, ist die Zeit in meinem unbeschwerten Zug immer länger geworden. Und die im düsteren Zug kürzer. Es dauert lange. Aber es wird besser."

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

11NOV2023
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„Das Schlimmste ist die Hilflosigkeit“, sagt eine Frau zu mir, deren Mutter im Sterben liegt. „Nichts tun können; nur dasitzen und warten...“

In der einen Hand hält sie die Hand ihrer Mutter; in der anderen ein zerknülltes Taschentuch, mit dem sie sich immer wieder eine Träne aus dem Auge wischt.  

„Das kann ich sehr gut nachvollziehen“, sage ich. „Aber..., auch wenn Sie es vielleicht nicht merken: Sie tun eine ganze Menge.“

Sie sieht mich erstaunt an.

„Sie kommen jeden Tag hierher ins Krankenhaus. Sie nehmen den Weg auf sich; Sie lassen alles stehen und liegen, was Sie eigentlich tun wollten. Und Sie sitzen stundenlang am Bett ihrer Mutter...“

Sie lässt nachdenklich das Taschentuch sinken.

„Ja, und jetzt sprechen Sie mit mir“, sage ich. „Und ihre Mutter kann ihre Stimme hören. Und das ist sicher schön für sie, so eine vertraute Stimme zu hören... Und Ihre Hand zu spüren... - Auch das tun Sie gerade für sie.“

Sie sieht auf die Hand und nickt unmerklich.

„Ja, stimmt schon...“, sagt sie. „Meine Mutter hätte das `Geheischnis´ genannt. Das sagt man bei uns so, auf dem Land, wenn man sich geborgen fühlt.“

„Geheischnis...“, wiederhole ich. „Das ist ein schönes Wort...

„Ja“, sagt sie und lächelt.

„Und da ist noch etwas, das Sie für Ihre Mutter tun. Und es ist vielleicht sogar das Tapferste von allem: Sie halten dies alles hier aus. Das ist schwer; das ist Schwerstarbeit für die Seele.“

Da nickt sie lebhaft.

„Ja, wirklich! Da haben Sie recht. Das ist Schwerstarbeit... Und jetzt, wo Sie das sagen, weiß ich auch endlich, warum ich so erschöpft bin, in letzter Zeit.“

„Ja“, sage ich, „das wundert mich nicht.“

Beim Abschied bedankt sich die Frau und sagt: „Darauf wäre ich nie gekommen: Auch wenn ich nur hier rumsitze, tue ich etwas. Und das ist harte Arbeit, wirklich.“

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

10NOV2023
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Manchmal hat man so eine dunkle Vorahnung. Kennen Sie das? Man kann es gar nicht so genau benennen. Aber da ist so ein Gefühl...

Bei mir hat sich so eine Vorahnung vor drei Jahren mit meinem Termin-Kalender verbunden. Ich trage immer einen Terminkalender mit mir herum, mit viel Platz für alle möglichen Notizen. Und ich hüte ihn wie meinen Augapfel, denn ohne ihn wäre ich verloren.

Aber im Jahr 2020, ganz am Anfang, ist mir mein Kalender abhandengekommen. Zum Glück habe ich ihn mit viel Mühe wiedererlangt.

Aber genau an dem Tag, als er endlich wieder in meinen Händen war, ist er auch schon wieder verschwunden. Es war zum Verrücktwerden! Ich habe überall gesucht - nichts.

Am nächsten Morgen bin ich nach draußen gegangen, um die Post reinzuholen - und was liegt da unter dem Briefkasten im Gebüsch? Mein Kalender. Mitten im Schnee, aufgeklappt und vollgesogen. Er muss mir tags zuvor aus der Tasche gefallen sein...

Ich habe ihn trocknen lassen und alle verschwommenen Schriftzüge so gut es ging nachgeschrieben. Aber jeder Blick auf seine verformte Gestalt hat diese dunkle Vorahnung verstärkt. Ja, und dann kam Corona...

 

Jetzt will ich freilich nicht behaupten: mein Kalender wollte mich warnen.

Nein, ich glaube, es war genau andersherum: Meine dunklen Vorahnungen haben dazu geführt, dass ich den Kalender verloren hab. Ich war so zerstreut, weil ich unbewusst alle möglichen Hinweise auf eine Bedrohung wahrgenommen habe. Und von daher: Es mach Sinn, wenn man solche Vorahnungen ernst nimmt. Mich hat das vorbereitet auf das, was dann gekommen ist - vor allem in der Krankenhausseelsorge.

Wenn Sie in mein Regal schauen könnten, auf die Sammlung meiner alten Kalender, würde ihnen der von 2020 direkt ins Auge fallen. So lädiert sieht er aus. Aber er bezeugt ja auch eine weltumgreifende, leidvolle Geschichte.

Ich weiß, es ist leider nur eine von vielen. Aber mehr Vorahnungen halte ich wohl nicht aus.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

09NOV2023
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„Ist ja merkwürdig...“, hat einer aus der Gruppe gesagt und hat auf den Boden gezeigt. Zusammen mit dem Mann und anderen war ich auf der Führung durch eine antike Kirche; und er hatte etwas auf dem Boden entdeckt:

„Schauen Sie nur: das Muster der Steine ist überall perfekt. Nur ausgerechnet hier, wo es am meisten auffällt, da haben sie einen Fehler gemacht.“

Es stimmte: Das kunstvolle Mosaik aus hellen und dunklen Grautönen sah an der Stelle irgendwie falsch aus. 

Die junge Frau, die uns geführt hat, musste lachen.

„Wie schön, dass Ihnen das aufgefallen ist! Ich hätte Sie auch gleich darauf hingewiesen. Dieser „Fehler“, den Sie da entdeckt haben - der ist mit Absicht gemacht worden. Er soll uns - bei aller Perfektion - immer auch an unsere menschliche Fehlerhaftigkeit erinnern.“

Wie wahr, habe ich so bei mir gedacht. Und: vielleicht ist Gott ja bei der Erschaffung von uns Menschen auch absichtlich so vorgegangen - und hat Webfehler miteingebaut. Damit wir auf dem Teppich bleiben...

Ich hatte einen Freund, der war in vielen Dingen nahezu perfekt:

Er ist ein wunderbarer Kollege gewesen, ein talentierter Prediger mit einer begnadeten Stimme, ein brillanter Theologe und Gelehrter, ein sprühender Gesprächspartner, ein aufmerksamer Zuhörer und empathischer Seelsorger...

Nur eines hat er zu seinem großen Leidwesen nicht gekonnt:

Er konnte nicht singen.

Nicht, dass er unmusikalisch gewesen wäre - nein, er hat die Musik geliebt.

Er konnte sie nur einfach nicht wiedergeben. Er hat den Ton nicht getroffen.

Da war nichts zu machen.

„Vielleicht hat Gott das ja mit Absicht so gemacht“, habe ich einmal zu ihm gesagt. „Er hat Dich so verschwenderisch mit Gaben ausgestattet, nur diese eine hat er Dir vorenthalten. Damit Du nicht abhebst.“

Ich weiß nicht, ob ihn das getröstet hat.    

Aber mich hat es das auf jeden Fall.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

08NOV2023
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Viele Leute stellen sich Gott ja wie einen Richter vor, der all unsere guten und schlechten Taten sammelt und am Ende in die Waagschale wirft. Und dann werden wir auf ewig belohnt oder auf ewig bestraft...

Ich finde diese Vorstellung furchtbar und beklemmend:

Gott als penibler Buchhalter, der mit gespitztem Bleistift dasitzt und alles fein säuberlich notiert. Das ist mir viel zu menschlich, viel zu eng und viel zu klein von Gott gedacht.

Aber wenn ich diese Vorstellung denn doch mal zulasse - so als Gedankenspiel - ich glaube, Sie und ich, wir würden uns womöglich wundern, was Gott alles notieren würde. Vermutlich würden wir uns gar nicht mal so sehr über all das Schlechte und Falsche wundern, was da auf Gottes Liste zutage treten würde. Denn das Schlechte und Falsche ist uns ja größtenteils bewusst.

Es ist ja oft auch das, woran wir leiden:

Die eigene Unfähigkeit, die Ohnmacht, die miesen Gefühle...

Nein, ich glaube, wir würden uns vermutlich sehr viel mehr über das Schöne und Gute wundern, was da womöglich mit ans Licht käme:

Die unzähligen, kleinen Freundlichkeiten, die wir anderen so ganz nebenbei erweisen; das Grüßen und das Bitten und das Danken; die zahllosen Handreichungen, über die wir nicht einmal nachdenken; das Zuhören und das Anteilnehmen und das Sorgen... - All die tausend Dinge eben, die uns so selbstverständlich vorkommen, dass wir sie gleich wieder vergessen.

„Da bist du mein Engel gewesen“, hat eine Freundin dieser Tage zu mir gesagt. Ich hatte keine Ahnung, wovon sie spricht. Und da hat sie mir von einer Situation erzählt, in der ich alles stehen und liegen gelassen habe, um ihr beizustehen. Und wie entscheidend das für sie gewesen sei...

Ich fand das nicht der Rede wert.

Aber man stelle sich einmal vor: Alles das käme mit in die Waagschale.

Ich finde die Vorstellung von Gott als buchhaltender Richter zwar immer noch furchtbar und beklemmend.

Aber vielleicht käme es am Ende ja doch nicht ganz so schlimm...

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

07NOV2023
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„Von Pädagogik hat Ihr Gott aber keine Ahnung“, hat eine Erzieherin in unserem Fortbildungs-Kurs gesagt. Es ging um die Paradiesgeschichte.

Sie wissen schon: die Geschichte der ersten Menschen, Adam und Eva,

zu denen Gott gesagt hat:

`Ihr dürft alle Früchte essen, die ihr im Garten findet. Nur die Früchte des Baumes dort in der Mitte des Gartens, die sind absolut verboten!´  

Aber die ersten Menschen haben dann doch von dem verbotenen Baum gegessen. Und das Ende vom Lied: Sie sind aus dem Paradies rausgeflogen.

Mein Gott hat also keine Ahnung von Pädagogik?“, habe ich amüsiert nachgefragt. „Und woran erkennen Sie das?“

Da hat sie tief Luft geholt und hat gesagt:

„Also, wenn ich zu meinen Kindern in der Kita sage:

`Passt mal gut auf: Ihr dürft hier mit allem spielen, was ihr nur finden könnt, drinnen und draußen. Nur dieses eine, kleine rote Auto hier auf dem Tisch in der Mitte des Zimmers, das dürft ihr auf gar keinen Fall anfassen!´

- Was glauben Sie wohl, was von diesem Augenblick an der interessanteste Gegenstand in der ganzen Kita sein wird?“

„Hm. Ich vermute mal, das kleine rote Auto...“

„Ganz genau. Wenn ich also will, dass die Kinder wirklich nicht an das kleine, rote Auto drankommen, dann werde ich es gar nicht erst erwähnen; und so verstecken, dass sie es nicht sehen.“

„Verstehe. Sie wollen also sagen: Wenn Gott wirklich nicht gewollt hätte, dass die ersten Menschen an diesen Baum gehen, hätte er mal lieber geschwiegen und ihn irgendwo im dichten Wald wachsen lassen, mit Dornen und Brennnesseln drumherum.“

„Ganz genau“, hat die Erzieherin gesagt.

Aber dann hat sie weiter überlegt:

„Es sei denn... - Gott hat es mit Absicht so gemacht... Unsere Kinder sind ja auch irgendwann zu groß für die Kita. Vielleicht wollte Gott ja, dass die ersten Menschen endlich auf eigenen Füßen stehen. Und das war dann halt seine Art von Pädagogik...“

„Danke sehr!“, habe ich gesagt. Denn so hatte ich die Geschichte noch gar nicht gesehen...

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