Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

11NOV2023
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„Das Schlimmste ist die Hilflosigkeit“, sagt eine Frau zu mir, deren Mutter im Sterben liegt. „Nichts tun können; nur dasitzen und warten...“

In der einen Hand hält sie die Hand ihrer Mutter; in der anderen ein zerknülltes Taschentuch, mit dem sie sich immer wieder eine Träne aus dem Auge wischt.  

„Das kann ich sehr gut nachvollziehen“, sage ich. „Aber..., auch wenn Sie es vielleicht nicht merken: Sie tun eine ganze Menge.“

Sie sieht mich erstaunt an.

„Sie kommen jeden Tag hierher ins Krankenhaus. Sie nehmen den Weg auf sich; Sie lassen alles stehen und liegen, was Sie eigentlich tun wollten. Und Sie sitzen stundenlang am Bett ihrer Mutter...“

Sie lässt nachdenklich das Taschentuch sinken.

„Ja, und jetzt sprechen Sie mit mir“, sage ich. „Und ihre Mutter kann ihre Stimme hören. Und das ist sicher schön für sie, so eine vertraute Stimme zu hören... Und Ihre Hand zu spüren... - Auch das tun Sie gerade für sie.“

Sie sieht auf die Hand und nickt unmerklich.

„Ja, stimmt schon...“, sagt sie. „Meine Mutter hätte das `Geheischnis´ genannt. Das sagt man bei uns so, auf dem Land, wenn man sich geborgen fühlt.“

„Geheischnis...“, wiederhole ich. „Das ist ein schönes Wort...

„Ja“, sagt sie und lächelt.

„Und da ist noch etwas, das Sie für Ihre Mutter tun. Und es ist vielleicht sogar das Tapferste von allem: Sie halten dies alles hier aus. Das ist schwer; das ist Schwerstarbeit für die Seele.“

Da nickt sie lebhaft.

„Ja, wirklich! Da haben Sie recht. Das ist Schwerstarbeit... Und jetzt, wo Sie das sagen, weiß ich auch endlich, warum ich so erschöpft bin, in letzter Zeit.“

„Ja“, sage ich, „das wundert mich nicht.“

Beim Abschied bedankt sich die Frau und sagt: „Darauf wäre ich nie gekommen: Auch wenn ich nur hier rumsitze, tue ich etwas. Und das ist harte Arbeit, wirklich.“

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