Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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26MRZ2024
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Fromme Sprüche sind alles andere als fromm. Jedenfalls dann, wenn ich sie nur benutze, um mich dahinter zu verstecken. Aus Verlegenheit. Oder weil ich nicht weiß, wie ich mein Mitgefühl ausdrücken soll. Aber dann ist es allemal besser, nichts zu sagen und zu schweigen. Denn so ein dahergesagter Spruch kann ungeahnte Folgen haben. 

Ich hab das mal erlebt, im Krankenhaus. Da sitze ich bei einer Patientin am Krankenbett, die erfahren hat, dass ihre Erkrankung nicht mehr heilbar ist.

Plötzlich kommt Besuch hereingeschneit. Und als die Patientin unter Tränen erzählt, was der neueste Stand ist, sagt die Besucherin nach einer kleinen Pause: „Gott lädt keinem mehr auf, als er tragen kann.“

Vermutlich ist ihr gerade nichts anderes eingefallen. Vermutlich hat sie gedacht, das tröstet. Vermutlich...

Aber bewirkt hat sie das genaue Gegenteil:

Die Patientin sieht kurz aus, als hätte man sie geohrfeigt. Dann zeigt sie mit dem Finger auf die Tür und sagt: "Bitte, geh jetzt!"

Die Besucherin verlässt erschrocken das Zimmer. 

„Es tut mir leid“, sagt die Patientin zu mir, „aber das konnte ich keinen Augenblick länger ertragen. - Was maßt sich dieser Mensch eigentlich an? Kommt hier reingeplatzt, macht mein Elend klein und erklärt mir dann auch noch, dass Gott mir das höchstpersönlich aufgeladen hat. Muss ich mich jetzt auch noch verhöhnen lassen!?“

Als sich ihr Zorn gelegt hat, fragt sie mich:

„Glauben Sie das: Gott lädt keinem mehr auf, als er tragen kann?“

„Nein“, sage ich. „Ich glaube nicht an einen Gott, der sich überlegt, welches Leid er, wem am besten aufladen kann. Und es stimmt auch nicht, denn es gibt unendlich viele, die unter ihrer Last zerbrechen.

Ich weiß keine Antwort auf das Leid: Woher es kommt... Wozu es gut ist...

Manchmal können wir einen Sinn darin finden; aber oft genug müssen wir mit der Sinnlosigkeit klarkommen. Nur..., seltsamerweise fühle ich mich Gott ausgerechnet dort am nächsten...“

Wir schweigen eine Weile. Es ist ein gutes Schweigen.

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