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SWR2 Wort zum Tag

20SEP2023
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„In unserem Flüchtlingslager habe ich einen Mann gesehen, der hat ein Kreuz um den Hals getragen. Ich hab ihn angesprochen. Er war sehr freundlich und hat uns geholfen. Wegen ihm haben wir es geschafft“, sagt ein Iraner in einem Interview.

Da war ein Mann, der hat ein Kreuz getragen. Offenbar hat sich der Mann auf der Flucht was erwartet von dem Mann mit dem Kreuz, genau weil der Christ war. Mich freuen diese Sätze. „Dazu ist Kirche doch da!“, denke ich.

Wenig später lese ich von evangelikalen Gruppierungen in den USA. Ihnen sei Jesus zu links und liberal. Predigten über Jesus seien nicht stark und konservativ genug (FR vom 23.08.). Sie zensieren auch Jesus-Worte: Die andere Wange hinhalten, Feinde lieben – alles, was irgendwie mit dem Kreuz zu tun hat, passt nicht in ihr Weltbild und wird weggekürzt.

Originäre Jesusworte als Teil christlicher Cancel-Culture, das finde ich pikant.

Jesus hat es den Leuten tatsächlich noch nie leicht gemacht. Viele Jesusforscher sagen: Je unkonventioneller und anstößiger Sätze sind, die die Bibel Jesus in den Mund legt, desto wahrscheinlicher ist es, dass es sich um echte Jesusworte handelt. Ihm solche Sätze anzudichten hätte sich keiner getraut.

Christinnen und Christen kommen um den historischen Jesus nicht herum – und der hat immer wieder den Rahmen gesprengt, in den man ihn stecken wollte. Genauso wie das Kreuz. So angepasst es als Halskette daherkommen mag: Es ist alles andere als das. Schon Paulus nennt das Kreuz einen Skandal. Es bricht mit der Logik von Gewalt und Gegengewalt – wie Jesus auch in seinen Worten damit gebrochen hat.

Manchen passt das nicht. Vor allem denen, die die gesellschaftliche Ordnung gerne hätten, wie sie immer schon war: Die Reichen oben, die Armen unten. Die Einheimischen oben, die anderen irgendwo – oder noch besser nirgendwo.

Wenn Menschen sich bewegen lassen von dem, was Jesus gesagt hat, dann rückt der einzelne Mensch in den Blick. Wie der Mann mit dem Kreuz sich hat berühren lassen von dem, was ihm begegnet ist.

Eine Kollegin hier in Heidelberg ist für mich auch so eine Person. Jede Woche arbeitet sie im Ankunftszentrum für Geflüchtete. Gerade organisiert sie ein Bildungsangebot für Kinder. Erwachsene versorgt sie mit Kleidung, Hygieneartikeln – und Hoffnung. Auch über sie sagen bestimmt einige: „Sie war sehr freundlich und hat uns geholfen – wegen ihr haben wir es geschafft.“ Genau dazu ist Kirche doch da!

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SWR2 Wort zum Tag

19SEP2023
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Diesen Sommer habe ich ein Fotobuch erstellt. Zum ersten Mal eine gedruckte Variante: Schöne Momente des Sommers, Wandern in den Alpen, ein Familienfest – alles ist festgehalten zum Anfassen und Aufschlagen. Wenn ich das Büchlein zur Hand nehme, spüre ich, wie sehr die Erinnerungen zu mir gehören – egal, was im Alltag gerade los ist.

Dieses Lachen, jenes Glas Sekt, „weißt Du noch?“ – schöne Augenblicke werden dadurch so wertvoll, dass sie einmalig sind. Ihren Geschmack und ihren Geruch, ihr Licht und ihren Klang auskosten und genießen – dabei helfen mir die Bilder.

„Was bleibt ist die Erinnerung“ heißt es in oft in Todesanzeigen oder in Trauergesprächen. Manchmal schwingt darin etwas Antireligiöses mit – so als würde eine religiöse Sicht der Dinge bloß davon ablenken wollen, dass das Leben endlich ist und manches unwiederbringlich vorbei.

Bei Navid Kermani habe ich gerade schöne Sätze dazu gelesen: „Wir sind sterblich und damit menschlich, aber in unserer Einzigartigkeit – ja, ausgerechnet in unserer Einzigartigkeit und Unverwechselbarkeit und Undwiederholbarkeit – sind wir Teil einer unendlichen Vielfalt und damit göttlich.“ (Jeder soll von da, wo er ist, einen Schritt näher kommen, 14) Ja, denke ich: Diesen einen Augenblick gibt es nur in meinem Leben. Diese eine Berührung passiert nur zwischen mir und dir. Die Eindrücke meines Sommers sind der eine kleine Ausschnitt aus einer unendlichen Zahl von Konstellationen, die möglich gewesen wären. Geworden sind es diese. Meine.

Weil es so schön war, bin ich dankbar dafür. Manchmal staune ich darüber. Im Danken und im Staunen binde ich das, was war, zurück an die unendliche Vielfalt, an Gott. Das ist der Wortsinn von Religion: Religio, das heißt im Lateinischen zurückbinden, anbinden – an etwas Größeres. Darin steckt das Vertrauen darauf, dass auch das Größere sich an uns gebunden hat.

Was bleibt ist die Erinnerung. Ja, stimmt. Aber nicht bloß meine. Was bleibt ist unsere und Gottes Erinnerung. Er kennt die unendliche Vielzahl seiner Möglichkeiten und gibt keine davon verloren. Er bewahrt sie in sich und hat damit auch für meine Erinnerungen und Erfahrungen Raum. Der Gedanke hilft mir, wenn ich Menschen beerdigen muss, an die sich keiner erinnern wird. Es hilft mir auch, wenn ich daran denke, dass in nur wenigen Generationen die Erinnerung an jeden von uns verblasst sein wird.

Aber das ist weit weg – erst einmal freue ich mich an meinem Fotobuch und wandere in Gedanken noch einmal zurück in einen herrlichen Sommer. Was bleibt ist die Erinnerung.

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SWR2 Wort zum Tag

18SEP2023
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Manchmal bügele ich Geschirrhandtücher. Dann wird es kritisch. Das passiert an Tagen, da wünsche ich mir mein Haus ordentlicher, als es ist, und die Welt übersichtlicher. Ich wünsche mir Ordnung – und wenn es die schon im großen Ganzen nicht gibt, dann bitte wenigstens in meinem Küchenschrank.

Den Wunsch, die Welt möge einfacher sein als sie ist – den nehme ich zur Zeit vielerorts wahr. Manche hören einfach keine Nachrichten mehr. Andere stürzen sich in eine kleine, überschaubare Aufgabe. Ich habe den Eindruck: Auch wenn Menschen plötzlich rechtspopulistisch wählen, steckt dahinter – neben manchem anderen – ein Wunsch nach Klarheit. Aber die hat dann einen hohen Preis.

Das, was die Welt so kompliziert macht, blenden Populisten nämlich aus. Als wäre alles in Wirklichkeit ganz einfach. Oder am besten so wie früher. Kein Wort fällt dann zu dem, was früher gar nicht besser war. Manchmal wird die Suche nach einer ewigen und einfachen Ordnung geradezu gefährlich. 

Die Theologie hat damit ihre Erfahrungen gemacht. Anfang des 20. Jahrhunderts war die Rede von „Schöpfungsordnungen“ unter lutherischen Theologen beliebt. Ehe, Obrigkeit und Kirche galten als in die Grundordnung der Welt eingeschrieben. Im Nationalsozialismus haben manche Theologen die Zahl der Schöpfungsordnungen dann erweitert – um so etwas wie Volk und Rasse. Biblisch findet sich das nicht. Aber viele Menschen haben es geglaubt.  Was gottgegeben schien, entpuppte sich auf fatale Weise als willkürlich gesetzt. Auf eine Schöpfungsordnung, auf der ich mich ausruhen kann, hoffe ich also lieber nicht.

Trotzdem: Die biblische Schöpfungsgeschichte spricht mich gerade dadurch an, dass sie davon erzählt, wie Gott die Welt ordnet: Er scheidet Licht und Finsternis, Himmel und Erde, Wasser und Land. Aus Tohuwabohu entsteht eine Ordnung, die Grenzen hat und gut tut. Sie dient dem Leben. Was dort erzählt wird, setzt einiges an Kreativität voraus – und es setzt große Kreativität frei. Kein Wunder also, dass die Wörter Schöpfung – „creatio“ – und unsere Kreativität in einem direkten Zusammenhang stehen. Gottes Schöpferhandeln ist kreativ: Es erschafft Neues – und es ermutigt uns Menschen kreativ zu sein.

Meine liebevoll gebügelten Geschirrhandtücher – sie geben mir eine Pause, Klarheit und Ordnung. Damit helfen meiner Kreativität auf die Sprünge. Und die wird gerade gebraucht – meine, Deine, Ihre. Damit die Welt wieder etwas mehr in Ordnung kommt. Die Handtücher sind aber bloß Mittel zum Zweck. Man sollte sie nicht zum allgemeinen Gesetz machen wollen. Auch wenn das früher immer so war.

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SWR2 Wort zum Tag

28JUN2023
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„Willst du mitkommen?“, fragt mich eine Freundin, die zu einem Vortragsabend geht. Ohne nachzulesen, worum es geht, sage ich zu. Meistens hat sie einen guten Riecher. Auf dem Weg in den Saal begegnet mir eine amerikanische Touristin. Kurz überlege ich, zu fragen, ob ich ihr helfen kann; dann lasse ich es bleiben.

Als es losgeht, tritt die vermeintliche Touristin ans Rednerpult. Sie ist die Referentin des Abends. Und der Titel ihres Vortrags heißt: „Mist, die versteht mich ja! Aus dem Leben einer Schwarzen Deutschen“. Ich fühle mich ertappt und begreife an diesem Abend zum ersten Mal, wie subtil Rassismus funktioniert.

Florence Brokowski-Shekete ist Lehrerin und Schulamtsdirektorin in Schwetzingen – und sie ist Schwarz. In ihrem Vortrag erzählt sie aus ihrer Kindheit in Buxtehude, von ihren nigerianischen Wurzeln und wie es ist, mit ihrer Hautfarbe in Deutschland erfolgreich zu arbeiten. Sie kann über sich selber lachen – oft bricht ihr Humor aber auch die schmerzhaften Erfahrungen, von denen sie erzählt.

Freundlich erklärt sie, wieso es so schwierig ist, wenn jemand sie fragt, woher sie kommt. Oft steht dahinter nämlich eine ganz andere Frage: „Wieso sprichst du muttersprachlich Deutsch, wenn Du doch schwarz bist“? Sie ist Deutsche. Sie ist hier großgeworden und ist hier zuhause. Wenn die Leute nicht akzeptieren, dass sie aus Buxtehude kommt, steht damit jedes Mal auch infrage, ob sie denn nun wirklich dazugehört. Anders fühlt es sich für sie an, wenn jemand sie nach ihren Wurzeln fragt – dann erzählt sie gerne, auch von Nigeria.

Ich habe an dem Abend viel gelernt – vor allem über mich selbst: über die Prägungen, die ich mitbringe. Und ich habe zum ersten Mal nicht nur im Kopf, sondern vor allem mit dem Herzen verstanden, warum dieses oder jenes rassistisch ist. Es geht um unbewusste Haltungen, die anderen weh tun und schaden. Das tatsächlich einmal zu fühlen, das hat für mich den Unterschied gemacht.

Jesus ist für mich ein gutes Beispiel von jemandem, der offen auf Menschen zugegangen ist und so wirklich etwas verändert hat: Als er den Juden ausgerechnet einen Samaritaner als Beispiel vor Augen stellt. Als er zu Zachäus hingeht, mit dem sonst nie jemand gesprochen hat. In meinen Augen ist es das einzige Mittel, das in all den gesellschaftspolitischen Unsicherheiten, in denen wir gerade stecken, wirklich hilft: Miteinander reden – respektvoll und auf Grenzen bedacht, aber auch offen und neugierig. Wie fühlt sich das für dich an, wenn ich dies oder jenes sage? Die Frage will ich mir noch mehr zu Herzen nehmen.

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SWR2 Wort zum Tag

27JUN2023
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In den Pfingstferien war ich in Venedig. Ich habe mich verliebt in diese Stadt. Drei Tage war ich wie high und habe alles in mich aufgesogen: die Landschaft und die prächtigen Bauwerke, die Kanäle und die Kunst – alles, was Menschen an diesem Bilderbuchort erschaffen haben. Ja, die Touristenmassen sind fürchterlich. Aber all der Rummel konnte meine Begeisterung nicht schmälern: So beeindruckend war es, was es dort zu entdecken gab.

Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst? Die Frage schoss mir manchmal durch den Kopf. Worte aus Psalm acht sind das, der die Schönheit der Welt lobt und nach der Stellung des Menschen darin fragt. Der Psalmbeter kleckert in seiner Antwort nicht, er klotzt: 6Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott, […] 7Du hast ihn zum Herrn gemacht über deiner Hände Werk, alles hast du unter seine Füße getan.

In Momenten wie dort in Venedig kann ich mich dem Lob anschließen: Großartig ist der Mensch und das, was er schaffen kann! Dann führt mich ein Spaziergang am Ufer der östlichen Altstadt entlang. Auf einmal stehe ich vor einem überdimensionalen Kriegsschiff; davor Soldatinnen und Soldaten in Ausgehuniform. Ein roter Teppich ist ausgerollt. Hoch über der Lagune thronen Kanonen. Der Anblick verstört mich. Ein kleines Schild erklärt, in welchen Kriegsgebieten das Schiff gerade unterwegs war. Jetzt ist die Stadtgesellschaft eingeladen, das Schiff zu besichtigen – als wäre es ein Museum.

Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst? Wo ich eben noch gestaunt habe, erschaudere ich. Im Mittelalter war das Gelände, an dem ich stehe, die erste industrielle Schiffsfabrik. Hier ließen die venezianischen Fürsten die Schiffe bauen, mit denen sie die Welt eroberten. „Arsenale“ heißt es auf Italienisch. Waffenarsenal – nicht nur der Begriff hat von hier aus die Welt erobert. Den Dichter Dante Alighieri hat das Fabrikgelände sogar zu seiner Darstellung der Hölle in der göttlichen Komödie inspiriert.

Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst? Himmel und Hölle – nicht nur in Venedig, sondern auch in uns Menschen liegen diese Gegenden ganz nah beieinander. Sie sind zwei Seiten derselben Medaille. Das war in der Geschichte so, das ist heute so. Wir sind zum Schönsten und zum Schrecklichsten in der Lage. Gefährlich für die Welt wird es, wenn wir in unserem Handeln die Schattenseiten nicht mehr sehen. Gefährlich wird es aber auch, wenn wir das Staunen verlernen und den Blick für Schönheit verlieren. In Venedig kommt beides zusammen. Nicht nur deswegen ist die Stadt die Reise wert.  

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SWR2 Wort zum Tag

26JUN2023
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Ich liebe die deutsche Sprache. Ein Grund dafür sind die vielen Möglichkeiten, Hauptwörter zusammenzusetzen und so ganz neue Wörter zu schaffen. Zum Beispiel Beziehungswohlstand. Das Wort habe ich vor kurzem erst gelernt. Es bezeichnet einen Reichtum an Beziehungen. Was es in guten Beziehungen zu finden gibt, das kann man mit Geld nicht kaufen: das Gefühl dazuzugehören, die Gespräche, das Lachen, der gemeinsame Alltag. Umgekehrt geht Armut oft damit einher, von Beziehungsmöglichkeiten ausgeschlossen zu sein. Ich denke an die Frau im Pflegeheim, die kaum Besuch bekommt. Oder an die Mutter, die sich schämt, die Spielkameraden ihrer Kinder in die Wohnung zu lassen. Wer in diesem Sinne arm ist, bleibt außen vor.

Dass wir Menschen vor allem Beziehungswesen sind, gehört zentral zum christlichen Menschenbild. Der Augustinermönch Richard von Sankt Viktor nennt eine Person schon im 12. Jahrhundert ein „Voneinander-und-Füreinander-Sein“. Personen kommen voneinander her, und sie sind aufeinander hin angelegt. Sie kommen auch von Gott her und sind auf ihn hin angelegt. Dieses Denken unterscheidet sich grundlegend von Ansätzen, die sagen: Eine Person macht aus, dass sie vernunftbegabt ist oder sprachfähig, wie sich das seit der Aufklärung immer mehr durchgesetzt hat. Wenn aber dann jemand seinen Verstand verliert oder seine Sprache, dann bleibt mir eigentlich nur noch zu sagen: Das ist doch kein Leben mehr! Ich habe den Satz schon oft gehört, an Pflegebetten, im Trauergespräch. Ich denke ihn manchmal auch selbst, wenn ich mir vorstelle, dass es mir so gehen könnte. Aber ich weigere mich, dieser Angst das letzte Wort zu lassen. Und das ist nicht nur als Pfarrerin, sondern vor allem als Christin auch mein Job.

Das gilt umso mehr als mir immer wieder auch andere, schöne Beispiele begegnen: Der strenge Familienvater etwa, der in seiner Demenz seine Liebe endlich zeigen kann. Wir Menschen sind Voneinander-und-füreinander -Seiende. Das hängt nicht davon ab, was wir können oder leisten. Es ist uns zugesprochen mit dem Moment, in dem wir sind, bis zu unserem letzten Atemzug.

Eine der wichtigsten Aufgabe von Kirche und Gemeinde liegt für mich deshalb darin, der Beziehungsarmut etwas entgegenzusetzen.

Am letzten Samstag haben 13 Ehrenamtliche aus ganz Heidelberg den Kurs „Seelsorge als Begleitung“ abgeschlossen. 1,5 Jahre lang haben sie Grundlagen der Seelsorge gelernt. Engagiert und sensibel machen sie jetzt Besuche – an Geburtstagen, im Krankenhaus oder im Pflegeheim. Sie tragen zum Beziehungswohlstand der Menschen bei – und werden dabei selbst oft reich beschenkt.    

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SWR2 Wort zum Tag

21SEP2022
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In meinem Garten sind gerade Walnüsse, Äpfel, Birnen und Quitten reif. Ohne dass ich irgendetwas dafür getan hätte. Ich finde das jedes Jahr wieder erstaunlich und freue mich über die Birne im Müsli oder über den Apfelkuchen. Dass das einfach alles so wächst – das ist schon ein ziemliches Wunder.

Für viele Bauern sah das mit der Ernte dieses Jahr anders aus. Der Mais ist vertrocknet, die Weizenernte war in manchen Regionen irre schlecht und die Winzer hatten in den letzten Jahren mit Pilzen und Schädlingen zu kämpfen, die es hier über eine lange Zeit gar nicht gab. „Erntedank? Fällt 2022 aus!“ hat die Süddeutsche Zeitung deswegen schon Mitte September getitelt.

Als ich in der Ausbildung zur Pfarrerin war – das ist noch keine zehn Jahre her – da hieß es immer mal, das Erntedankfest sei heute für die meisten Menschen ja kaum noch verständlich. Das hat mich schon damals nicht überzeugt. Ich komme aus einem Weingut und manche meiner tiefsten geistlichen Erfahrungen hängen mit der Ernte zusammen. Auf einem Anhänger voller schöner Trauben nach einem Tag Weinlese heimfahren – ich kann mir kaum eine tiefere Erfahrung von Dankbarkeit vorstellen.

Ich habe den Eindruck: Dieses Jahr ist besonders spürbar, welche Erfahrung hinter dem Erntedankfest liegen. Denn gute Ernten sind eben nicht selbstverständlich. Wir können uns bemühen, aber wir haben es nicht in der Hand. Auf einmal merken viele ganz deutlich, wie das ist, wenn die Ernte schlecht ist.

Deswegen finde ich: Erntedank sollte dieses Jahr nicht ausfallen: Ganz im Gegenteil. Ich glaube nämlich, dass der Dank für die Ernte viel mehr Menschen angeht als diejenigen, die ihn in Gottesdiensten stellvertretend für alle andern feiern. Statt also nur an einem Tag danke zu sagen, wie wäre es, wenn wir in diesem Jahr eine ganze Erntedankzeit ausrufen? Ich stelle mir vor, dass die nächsten zehn Tage lang, also bis zum Erntedankfest, einmal alle darauf achten, was andere für sie geerntet haben: All die Kartoffeln und Salatköpfe, die Zucchini und Tomaten, das Getreide, die Kaffeebohnen, den Tee und den Reis. Auch die Baumwolle, aus der unsere Kleider gemacht sind, und das Holz für unsere Möbel. Ich glaube, wir würden nochmal stärker wahrnehmen, wie sehr wir abhängen von dem, was wächst. Nicht nur im Garten hinterm Haus, wo ich mich über Äpfel und Birnen freue. Vermutlich würden wir tatsächlich ein bisschen dankbarer und damit auch behutsamer unseren Lebensgrundlagen gegenüber sein. Und das, das wäre doch ein guter Anfang.    

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SWR2 Wort zum Tag

20SEP2022
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„In der Kirche sind halt immer so komische Leute!“, sagt einer in der Wandergruppe, mit der ich Urlaub mache. Mit Kirche hat er nichts am Hut. „Ja“, sage ich, „stimmt. Lauter komische Leute in der Kirche, ich auch. Und weißt Du was? Genau darum geht’s.“

Denn wenn es einen Kritikpunkt Kirche gegenüber gibt, den ich wirklich gerne höre, dann diesen. Genau das hat Jesus nämlich vorgelebt – er ist zu den komischen Menschen hingegangen. Zu Fischern, die frustriert waren, weil sie nichts gefangen hatten. Zu Zachäus, dem klein gewachsenen Zöllner, den keiner leiden konnte, weil er die Leute abgezockt hat. Jesus hat sich mit Kranken zusammengesetzt und ist auch zu Frauen und Kindern hin. Auch die haben damals eigentlich nichts gezählt.

In der Bibel wird erzählt, dass die frühe Kirche es geschafft hat, das fortzusetzen. In den ersten Gemeinden, da saßen Sklaven neben reichen Frauen, da waren Frauen auch ohne ihre Männer angesehen, da haben Ausländer so viel gezählt wie Einheimische.

Macht war anders verteilt als in der übrigen Gesellschaft. Die Kirche hat denjenigen Partizipation ermöglicht, die sonst nichts zu melden hatten. Genau dadurch wurden die Gemeinden so attraktiv – lang bevor das Christentum durch den römischen Kaiser als Religion anerkannt wurde. Ohne diese Offenheit, hätte sich das frühe Christentum nie so schnell so weit verbreitet.

Damals haben die am Rand der Gesellschaft erlebt, dass sie Kirche mitgestalten konnten. Ich finde, wo Kirche genau das noch heute ermöglicht, da haben wir was richtig gemacht.

Ich denke z.B. an das Café Talk in Heidelberg. Da treffen sich zwei Mal in der Woche Geflüchtete und Deutsche miteinander, trinken Kaffee und erzählen. Da ist Raum Deutsch zu lernen und einander kennen zu lernen. Da erleben die, die sich oft ohnmächtig fühlen, dass sie Gemeinschaft mitgestalten können.

Aber ich denke auch an ganz normale Sonntagsgottesdienste. Da sitzen Menschen mit ihren Macken und Blessuren, seltsame Käuze und alte Damen mit komischen Ticks. Da sitzen Studierende und junge Familien, Menschen in der Krise und Eltern, die dankbar sind für ihr erstes Kind. Und alle gehören einfach dazu.

In all den Veränderungsprozessen, die gerade auf die Kirchen zukommen, da wünsche ich mir eins: Dass wir in der Kirche die Liebe zum Schiefen, Schrägen und im besten Sinne Eigenartigen behalten. Und ich wünsche mir von Herzen, dass dann, wenn ich in Rente bin, immer noch einer in meiner Wandergruppe sagt: „In der Kirche, da sind halt immer so komische Leute“.

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SWR2 Wort zum Tag

19SEP2022
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Vor einer Weile hat mir eine Bekannte ein lang vereinbartes Treffen abgesagt. „Du, sorry, ich brauch den Abend heut für mich“, las ich in einer Whatsapp. Ich hab mich geärgert, denn es ist nicht zum ersten Mal passiert. Ich hatte mich auf den Abend gefreut und sehnte mich nach Begegnung. Stattdessen also wieder ein Abend mit Netflix auf der Couch. Seither hab ich gar nicht mehr versucht, mich mit ihr zu verabreden.  

Vor einiger Zeit hatte sie an einem Achtsamkeitskurs teilgenommen. Seither schaut sie mehr nach sich selbst. Nun bin ich mir sicher, dass es wichtig ist, die eigenen Bedürfnisse ernst zu nehmen, und dass auch Achtsamkeit hilfreich ist. Aber manchmal staune ich über die Konsequenzen, die das haben kann.

So musste ich herzhaft lachen, als ich den Krimi „Achtsam Morden“ gelesen habe: Darin wird ein Anwalt von seiner Frau zu einem Achtsamkeitstraining gezwungen, um ihre Ehe zu retten. Und es funktioniert – der Mann ändert tatsächlich sein Leben. Inspiriert durch den Satz „Sie müssen nicht tun, was Sie nicht tun wollen“ entscheidet er sich dagegen, den Gangster in seinem Kofferraum freizulassen, trotz hochsommerlicher Temperaturen. In der Folge begeht der Anwalt einen Mord nach dem anderen, wobei er – in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Achtsamkeit – immer sehr auf die eigene Gefühlswelt bedacht ist.

Natürlich ist das eine krasse Übertreibung. Aber mir ist beim Lesen etwas deutlich geworden. Ja, es ist wichtig, gut für sich selbst zu sorgen – sonst verausgabt man sich. Aber manchmal schlägt das Pendel auch zur falschen Seite aus. Dann liegen Achtsamkeit und Egoismus ziemlich nah beieinander.

Ich frage mich, was ein guter Kompass sein kann. „Du sollst den Herrn deinen Gott lieben. Und: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“, heißt es in der Bibel. Das Liebesgebot hat damit drei Seiten: Da ist einmal die Gottesliebe, in der sich zeigt, dass jedes Leben einen größeren Bezugsrahmen hat als die eigene kleine Welt. Und da sind Nächsten- und Selbstliebe. Keine der anderen übergeordnet, beide gleich wichtig. Auf mich selbst zu achten und mir trotzdem den Blick für die anderen zu bewahren, darum geht es dabei.

Vielleicht sollte ich also zuerst einmal selbst ernstmachen damit. Fürs nächste Mal nehme ich mir vor, dass ich sage, wie es mir geht mit solch einer Absage. Das hätte sie bestimmt verstanden. Vielleicht hätten wir uns auch zuerst einmal gestritten – aber dann bestimmt einen Weg gefunden, miteinander statt ohneeinander.

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SWR2 Wort zum Tag

04JUN2022
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Seit Januar habe ich ein Rudergerät. Darauf kann man zuhause im Wohnzimmer rudern. Ich liebe das. Es entspannt mich, wenn ich ärgerlich bin, oder ich kriege neue Energie, wenn Müdigkeit sich breit macht. Die gleichmäßige Bewegung, der angenehme Widerstand und das Rauschen des Wassers im Tank zusammengenommen machen, dass ich mich wohlfühle.

Viel schöner ist es noch, bei gutem Wetter draußen zu rudern. Gerne schaue ich den Ruderern auf dem Neckar zu. Manchmal fühle ich mich ihnen tief verbunden, manchmal bin ich geradezu neidisch, weil ich dazu gerade nicht komme.

Das Besondere bei dem Sport ist für mich, dass er mich auf vielerlei Weise in Verbindungen bringt. Mit Dem Wasser, durch das das Boot gleitet, mit der Natur um mich her, mit den Menschen, die mit mir sprichwörtlich in einem Boot sitzen. Während ich in meinem Alltag oft eine Leitungsposition innehabe, genieße ich es, wenn ich nicht vorne, also: „auf Schlag“ sitze. Beim Rudern kann ich mich einklinken in eine Bewegung, die andere vor und hinter mir auch ausüben. Einmal nicht denken müssen; sondern Teil eines Ganzen sein.

Vom Wasser aus sieht die Welt auch anders aus. Auf Augenhöhe mit Schwänen und Gänsen, weit unterhalb von Fahrradwegen und Straßen ergeben sich neue Perspektiven, andere Blickwinkel.

Für mich passt das Ruderboot zu Pfingsten – dem Fest des Heiligen Geistes. Von diesem Geist, der – wie es im Römerbrief heißt – lebendig und frei macht, wird für mich beim Rudern manchmal etwas spürbar: Oft komme ich dabei mehr zu mir selbst und damit auch näher zu Gott. Ich erlebe mich als Teil der Schöpfung, sowohl mit der Natur als auch mit den Menschen auf eine gute Weise verbunden. Ich spüre meine Kraft – die zwar angewiesen ist auf andere und abhängig von ihnen, aber ich selbst kann etwas tun, bewegen und bewirken. Widerstände sind beim Rudern kein Problem – im Gegenteil, sie sind nötig, damit sich etwas entwickeln kann, damit es voran geht. Zurück am Ufer bleibt oft noch ein Gefühl dafür, dass ein anderer Blickwinkel auf meinen Alltag und auf die Welt möglich ist. Ein Sport, bei dem ich mich als frei und lebendig erlebe – das kommt mir deshalb geradezu pfingstlich vor. Dem Heiligen Geist Raum zu geben – damit er spürbar und lebendig werden kann, das nehme ich mir vor. Also doch: Runter vom Rudergerät und raus aufs Wasser und ins Leben!

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