SWR Kultur Wort zum Tag

31MAI2024
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„Ist das wirklich wichtig?“ Ein gutes Jahr lang hing ein großer Zettel mit dieser Frage direkt neben meinem Computerbildschirm. Meine Doktorarbeit sollte damals möglichst schnell fertig werden. Die Frage hat mir geholfen, meinen Perfektionismus in Grenzen zu halten und manches einfach zu schreiben und dann auch stehen zu lassen.

Beim Aufräumen ist mir der Zettel wieder in die Hände gefallen – und ich finde, er passt gut in unsere Zeit. Ist das wirklich wichtig? Die Frage tut mir gut, wenn ich mich verheddere in Verwaltungsaufgaben und im Alltagsgeschäft. Sie ist auch gut, wenn ich darüber nachdenke, welche Konflikte sich lohnen oder wo ein „Schwamm drüber“ vielleicht gesünder ist. Etwas weiter gefasst beschäftigt sie mich im Blick auf die Wahlen, die nun anstehen: Worauf kommt es an für Europa und für unsere Gesellschaft?

Unser Grundgesetz ist da ziemlich eindeutig. In Artikel 1 beginnt es mit dem Satz „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Nach den schlimmen Erfahrungen der Nazizeit stellt es die Menschenwürde allem anderen voran. Eine ihrer Wurzeln ist die Vorstellung der Gottebenbildlichkeit des Menschen. Die biblische Schöpfungserzählung verortet sie am Anfang aller Zeit. Sie gilt vor allem anderen. 

Im Detail ist es manchmal schwer zu entscheiden, wie die Menschenwürde am besten gewahrt werden kann; über manches lässt sich streiten, wie das im Blick auf das Abtreibungsverbot oder den assistierten Suizid deutlich wird. Aber solcher Streit gehört dazu und ich meine, letztlich hilft er, die Menschenwürde zu wahren.

Schwierig wird es dann, wenn Würde nur denjenigen zugestanden wird, die vermeintlich sind wie wir. Denn das ist ja gerade der Clou an diesem Satz und seiner Stellung im Grundgesetz: Menschenwürde gilt für jede Person weltweit und für jede, die in unserem Land lebt. Sie gilt für Deutsche und Geflüchtete, für Gesunde und für Kranke. Wer das ablehnt, kann sich nicht auf ein christliches Menschenbild berufen. Die katholische Bischofskonferenz hat vor diesem Hintergrund erklärt: „Völkischer Nationalismus ist mit dem christlichen Gottes- und Menschenbild unvereinbar. Rechtsextreme Parteien und solche, die am Rande dieser Ideologie wuchern, können für Christinnen und Christen daher kein Ort ihrer politischen Betätigung sein und sind auch nicht wählbar. Die Verbreitung rechtsextremer Parolen … ist überdies mit einem haupt- oder ehrenamtlichen Dienst in der Kirche unvereinbar.“ Mich hat dieser Beschluss sehr beeindruckt. Auch die evangelische Diakonie hat diese Standards für ihre Beschäftigten erklärt.

Worauf es ankommt? Auf die Würde. Auf jeden einzelnen Menschen. Und auf Ihre Wahl. Das ist wirklich wichtig.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39990
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