SWR Kultur Wort zum Tag

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20SEP2023
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„In unserem Flüchtlingslager habe ich einen Mann gesehen, der hat ein Kreuz um den Hals getragen. Ich hab ihn angesprochen. Er war sehr freundlich und hat uns geholfen. Wegen ihm haben wir es geschafft“, sagt ein Iraner in einem Interview.

Da war ein Mann, der hat ein Kreuz getragen. Offenbar hat sich der Mann auf der Flucht was erwartet von dem Mann mit dem Kreuz, genau weil der Christ war. Mich freuen diese Sätze. „Dazu ist Kirche doch da!“, denke ich.

Wenig später lese ich von evangelikalen Gruppierungen in den USA. Ihnen sei Jesus zu links und liberal. Predigten über Jesus seien nicht stark und konservativ genug (FR vom 23.08.). Sie zensieren auch Jesus-Worte: Die andere Wange hinhalten, Feinde lieben – alles, was irgendwie mit dem Kreuz zu tun hat, passt nicht in ihr Weltbild und wird weggekürzt.

Originäre Jesusworte als Teil christlicher Cancel-Culture, das finde ich pikant.

Jesus hat es den Leuten tatsächlich noch nie leicht gemacht. Viele Jesusforscher sagen: Je unkonventioneller und anstößiger Sätze sind, die die Bibel Jesus in den Mund legt, desto wahrscheinlicher ist es, dass es sich um echte Jesusworte handelt. Ihm solche Sätze anzudichten hätte sich keiner getraut.

Christinnen und Christen kommen um den historischen Jesus nicht herum – und der hat immer wieder den Rahmen gesprengt, in den man ihn stecken wollte. Genauso wie das Kreuz. So angepasst es als Halskette daherkommen mag: Es ist alles andere als das. Schon Paulus nennt das Kreuz einen Skandal. Es bricht mit der Logik von Gewalt und Gegengewalt – wie Jesus auch in seinen Worten damit gebrochen hat.

Manchen passt das nicht. Vor allem denen, die die gesellschaftliche Ordnung gerne hätten, wie sie immer schon war: Die Reichen oben, die Armen unten. Die Einheimischen oben, die anderen irgendwo – oder noch besser nirgendwo.

Wenn Menschen sich bewegen lassen von dem, was Jesus gesagt hat, dann rückt der einzelne Mensch in den Blick. Wie der Mann mit dem Kreuz sich hat berühren lassen von dem, was ihm begegnet ist.

Eine Kollegin hier in Heidelberg ist für mich auch so eine Person. Jede Woche arbeitet sie im Ankunftszentrum für Geflüchtete. Gerade organisiert sie ein Bildungsangebot für Kinder. Erwachsene versorgt sie mit Kleidung, Hygieneartikeln – und Hoffnung. Auch über sie sagen bestimmt einige: „Sie war sehr freundlich und hat uns geholfen – wegen ihr haben wir es geschafft.“ Genau dazu ist Kirche doch da!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38398
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