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SWR4 Sonntags-/Feiertagsgedanken
Heute ist der letzte Ferientag in Baden-Württemberg. Ab morgen geht es wieder rund. Selten hat mich dieser Übergang so umgetrieben wie in diesem Jahr.
Das letzte Jahr hatte es ganz schön in sich. Die Kinder hatten in der Schule Klausuren und Projekte zu stemmen, die die ganze Familie auf Trab gehalten haben. Mein Sohn ist zur Erstkommunion gegangen. Ich habe seine Gruppe begleitet, obwohl auch im Büro echt viel los und meine Zeit knapp war. Eine Tante ist gestorben und wir haben über Monate ihre Wohnung ausgeräumt. Und dann ist auch noch ein Bekannter verunglückt; bis heute kämpft er sich ins Leben zurück. Das alles hat mich ziemlich mitgenommen und viel Kraft gekostet. Ich habe richtig Bauchweh davor, dass es nach den Ferien so weitergeht.
Ich habe mich gefragt, wie wir das als Familie durchhalten konnten. Das zu wissen hilft ja manchmal, zuversichtlicher nach vorne zu schauen. Dabei bin ich an der Bibelstelle hängen geblieben, die heute in den Gottesdiensten gelesen wird. Sie erzählt, wie Jesus einen Taubstummen heilt. Das war mir gleich sympathisch. Ein Taubstummer … Wie oft hat es auch mir im letzten Jahr die Sprache verschlagen und wie oft ist mir Hören und Sehen vergangen.
Mir sind in der Geschichte kleine Details aufgefallen. Es heißt da zum Beispiel ganz beiläufig: „Man brachte einen Taubstummen zu Jesus.“ Das klingt banal. Aber offenbar gibt es Leute, die für den Mann da sind, sich kümmern und tun, wofür seine Kraft nicht ausreicht.
Wie ist das bei mir? Da hat es doch auch Leute gegeben, die im letzten Jahr da waren, die mitgedacht und mich und unsere Familie unterstützt haben; ohne viel Aufhebens: unsere Eltern, die nach den Kindern geschaut haben; die Kommunionmutter, die Termine koordiniert hat, sodass ich mich nicht kümmern musste; eine Nachbarin, die geholfen hat, die Wohnung aufzulösen; und Kollegen, die geduldig waren, als ich eine Frist nicht einhalten konnte.
Die Geschichte vom Taubstummen berichtet dann weiter, wie Jesus den Mann heilt: Er berührt seine Zunge und Ohren mit Spucke. Das klingt eklig. Aber es ist auch eine sehr intime Geste: Jesus ist dem Mann so nahe, wie kein anderer. Das hilft ihm, wieder Worte zu finden und den Lärm des Alltags zu sortieren.
Auch für mich war Jesus da; da bin ich sicher. Als der Bekannte verunglückt ist, war ich total sprachlos. Ich konnte nur noch eine Kerze anzünden. Stumm. Es war eigenartig und vielleicht kann das nicht jeder nachvollziehen, aber ich habe gespürt, dass Gott nahe ist. Ich konnte ihm wortlos anvertrauen, was mich fast zerrissen hat: all meinen Zorn und meine Wut, aber auch meine Hoffnung und Zuversicht.
Vielleicht fühlt es sich im Alltag manchmal so an, als ob ich ganz auf mich gestellt bin. Aber ich glaube, das ist gar nicht so. Ich bin nicht alleine – gerade wenn es richtig rund geht.
„Effata! Öffne dich!“
In der Geschichte vom Taubstummen gibt es ein weiteres Detail, das mir wichtig ist. Jesus sagt zu dem Mann: „Effata! Öffne dich!“ Und sogleich kann er hören und sprechen. Bis heute wird dieser Ruf bei der Taufe verwendet. Wenn der Priester dabei Mund und Ohren berührt, betet er darum, dass der Täufling fähig wird, im Lärm des Alltags das zu hören, was wirklich wichtig ist. Er soll sich öffnen können für Gott und anderen von ihm erzählen.
Dieses „Öffne dich!“ klingt für mich aber nach mehr; fast wie ein Lebenstipp. Auch ich habe den bei der Taufe mitbekommen und will jetzt mal sehen, ob er mir im Alltag hilft. Sich zu öffnen, kann ja vieles bedeuten:
Mir Dinge von der Seele reden zum Beispiel. Wer das tut, muss nicht alles mit sich selber ausmachen. Das nimmt Druck und befreit. Ich tu mich oft schwer damit, über meine Gefühle zu sprechen. Aber gerade, wenn es um Konflikte geht, ich verletzt worden bin oder mit etwas klarkommen muss, das mir nahe geht, ist das wichtig! Also, Thomas: "'Effata!' Versuche wenigstens, dich zu öffnen" – gerade in diesen Situationen!
Offen zu sein, kann auch heißen, Hilfe oder einen Rat anzunehmen. Ich habe Kinder und meine Frau und ich überlegen oft, welche Regeln wir aufstellen und wie streng wir sie durchsetzen sollten. Da hilft es uns manchmal, mit Freunden darüber zu sprechen oder mit den eigenen Eltern, die uns ja damals großgezogen haben. Ähnlich ist es im Büro: Teamwork und Feedback heißt das dort. Es tut manchmal weh, sich und das, was man erarbeitet hat, dem Urteil der anderen zu stellen. Aber am Ende entlastet es mich, denn ich muss nicht alles alleine schaffen. Im Team ist vieles leichter und wenn ich etwas respektvoll und konstruktiv rückgemeldet bekomme, bringt mich das weiter.
„Öffne dich“ kann auch bedeuten, ohne Scheu auf andere Menschen zuzugehen. Das habe ich gerade im Urlaub erlebt. Meine Tochter hat zum ersten Mal ihr Englisch ausprobiert und hat sich getraut, auf dem Campingplatz direkt unsere britischen Nachbarn anzusprechen. Schnell ist ein herzliches Verhältnis gewachsen. Ich werde bald einen neuen Kollegen bekommen und im Büro wird sich einiges ändern. Wie genial wäre es, wenn auch ich mich so vorbehaltlos auf ihn und die neue Situation einlassen könnte.
Wenn das mal keine Tipps sind, die den Alltag leichter machen und mit denen ich morgen gut durchstarten kann. Ich bin froh, zu wissen, dass ich nicht alleine dastehe. Und wenn es mir dann noch gelingt, mit den anderen über das zu sprechen, was mich beschäftigt, Hilfe anzunehmen und mich offen auf Menschen und neue Situationen einzulassen, dann sollte das doch passen. Also dann: Effata. Auf geht’s – guten Mutes ins neue Schuljahr.
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Immer froh und gut gelaunt …
Stellen Sie sich vor, Sie gehen spazieren. Da kommt ein Mann auf Sie zu; mit Bart. Allerdings nur in der Hälfte des Gesichts! Ich müsste da wahrscheinlich lachen. Und genau das haben die Leute damals in Rom getan, als sie Philipp Neri begegnet sind und der nur halb rasiert war.
Philipp Neri hat im 16. Jahrhundert gelebt. Er war so eine Art Lebenskünstler, ein Heiliger und Spaßvogel. Heute ist sein Gedenktag.
Philipp soll immer froh und gut gelaunt gewesen sein. Und er wollte andere mit seiner Freude anstecken. Mal hat er sich dazu nur halb rasiert, mal ist er im Sommer mit einem dicken Mantel rumgelaufen. Der Effekt war immer derselbe: Die Menschen haben gelacht und für einen Moment vergessen, was sie gerade beschäftigt hat. Sie konnten kurz abschalten. Philipp hat sie aufgeheitert und ihnen vermittelt, dass es sich mit einer Prise Humor leichter leben lässt. So ist er zum Patron der Clowns und Gaukler geworden.
Allerdings war Philipp mehr als ein Scherzkeks: Er wollte durch seine Aktionen vor allem mit Leuten ins Gespräch kommen – und das richtig, mit Tiefgang. Er hat ganz gewöhnliche Dinge getan; aber auf ungewöhnliche Weise. Das hat Menschen irritiert. Sie haben ihn angesprochen und Philipp konnte so den Bogen zu dem schlagen, was ihm wichtig war und ihn selbst so mit Freude erfüllt hat: Gott.
Eines Tages ist Philipp zum Beispiel mit einer Schachtel in Rom unterwegs. Er sucht Perlen. Die Leute sehen ihn und fragen: „Du kannst doch in Rom keine Perlen finden. Philipp lässt sich nicht beirren: „Doch, es gibt welche. Ich habe schon einige gefunden.“ Er öffnet die Schachtel und jeder, der hineinschaut, lächelt. In der Box ist ein Spiegel. Für Philipp ein echter Grund zur Freude: „Du bist eine Perle, ein Schatz. Von Gott geliebt und unheimlich wertvoll.“
Durch solche Aktionen war Philipp bekannt und beliebt. Seine Freude hat ausgestrahlt. Er hat es verstanden, Menschen von Gott zu begeistern. Das haben die Leute in der Kirche damals nicht immer so erlebt und das ist ja auch heute leider oft noch so. Legendär ist auch sein großes Herz. Philipp hat nicht nur von Gott erzählt. Er hat etwas dafür getan, dass Menschen spüren, wie Gott sich ihnen zuwendet: er hat nach den Kranken geschaut, die Armen versorgt und sich um Pilger gekümmert, die nach Rom kamen. Für jede und jeden hatte er ein gutes Wort übrig.
Und trotzdem war Philipp kein Friede-Freude-Eierkuchen-Heiliger!
Aber davon gleich mehr …
… mit dem Finger in der Wunde
Der heilige Philipp Neri war eine Frohnatur. Er hat vor rund 400 Jahren gelebt. In meinen Sonntagsgedanken habe ich erzählt, wie er Menschen aufheitert, ihnen von Gott erzählt und vor allem Freude am Glauben vermittelt. Er konnte aber auch den Finger in die Wunde legen.
Eines Tages empfängt Philipp Kardinäle, also hohen kirchlichen Besuch. Als sie eintreffen, wirft er sich ein rotes Tuch über. Damit sieht er ähnlich aus wie sie in ihrer Pracht; und veralbert sie zugleich: er hält ihnen einen Spiegel vor und kritisiert ihr Auftreten. Sie sollten lieber bescheiden sein – so wie es Christus war. Ein anderes Mal kritisiert Philipp sogar den Papst; zwar auch höflich und charmant, aber unmissverständlich. Auch ihn erinnert er daran, demütig zu bleiben und sich an Christus auszurichten.
Dass sich Philipp das getraut hat! Er hat Dinge angesprochen, die in Schieflage geraten sind; bis auf die oberste Ebene. Da gehört schon was dazu. Aber offenbar hat es ihm keiner übelgenommen. Woran das wohl liegt?
Zum einen hat Philipp für eine gute Atmosphäre gesorgt. Die Leute haben gespürt, dass er es gut mit ihnen meint. Er hat Kritik geäußert, ohne zu verletzen. Ich glaube, darauf kommt es an! Wenn mir jemand Dinge wertschätzend sagt, wohlwollend, auf Augenhöhe und gerne mit etwas Humor, kann ich Kritik annehmen und damit umgehen. Leider scheinen das heute viele zu vergessen: Politikern zum Beispiel werden kaum noch Fehler verziehen. Statt sie konstruktiv zu kritisieren und ihnen eine zweite Chance zu geben, werden sie angegangen und mit Hass überzogen.
Philipp Neri war sich außerdem nicht zu schade, den Clown zu spielen. Die Leute konnten über ihn lachen. Mit dem roten Überwurf hat er sich und die Kardinäle zum Affen gemacht. Das war lustig und hat doch gesessen. Wer kleine Kinder oder Enkel hat, kann den Effekt mal ausprobieren: Wenn das Kind im Supermarkt rumschreit und sich auf dem Boden wälzt, weil es nichts Süßes kriegt, machen Sie es genauso: Werfen Sie sich auf den Boden, strampeln Sie und halten Sie dem Kind den Spiegel vor. Es wird peinlich. Aber vermutlich bewirkt es was!
So etwas braucht allerdings Mut! Man muss schon sehr selbstsicher sein, um das zu tun; von sich selber absehen und wissen, was einem wichtig ist. Das ist der dritte Punkt, warum Philipp wahrscheinlich so ungeniert den Finger in die Wunde legen konnte: er war innerlich frei. Er hat oft gebetet und sich mit anderen über Gott ausgetauscht. Er hat genau hingeschaut auf das, was er geglaubt hat: Von Jesus hat er Demut gelernt, den Nächsten zu lieben und auf Gott zu vertrauen. Das hat ihn gestärkt, ihm Orientierung und Halt gegeben. Und deshalb konnte er Menschen auf das aufmerksam machen, was für ihn nicht zu einem Leben im Sinne Gottes gepasst hat.
Philipp Neri wird oft als Spaßvogel bezeichnet. Für mich ist er aber mehr als das. Er zeigt mir, dass es sich lohnt, immer wieder mal in mich zu gehen und zu schauen, was mich froh macht, woraus ich Kraft schöpfe und was in meinen Augen gut ist – für mich, für andere und vor allem für das Miteinander.
SWR4 Sonntags-/Feiertagsgedanken
Vom Kamel im Nadelöhr …
Narri Narro, Helau – oder wie man bei Ihnen an Fastnacht sagt. Heute geht es an vielen Orten wieder lustig zu: die Narren ziehen durch die Straßen.
Ich bin nicht so der Umzugstyp. Ich scherze lieber und das das ganze Jahr über. Ich mag Witze; vor allem die flachen. Sie wissen schon: so Sprüche oder Scherzfragen ohne tieferen Sinn. Sie spielen mit Worten und leben davon, dass Begriffe doppeldeutig sind.
Ich mach‘ mal ein Beispiel: „Was lebt im Dschungel und schummelt immer? Mogli.“
Ich finde das witzig. Solche Scherze gibt es zu allen möglichen Themen. Auch über Jesus. Den zum Beispiel: „Egal wie jung deine Freunde sind – Jesu Freunde waren Jünger.“
Manchmal frage ich mich, ob Jesus das gemocht hätte. Hatte er Humor? Auf den ersten Blick passt das nicht zusammen: der Sohn Gottes kann doch nicht scherzen?!
Es gibt tatsächlich Untersuchungen darüber. Forscher haben versucht, in dem, was von Jesus überliefert ist, Spuren von Humor zu finden. Allerdings gibt`s da zwei Probleme: Komik lebt oft aus der Situation heraus. Und die war vor 2000 Jahren eine andere als heute. Selbst wenn Jesus gescherzt hat, müsste man seine Witze erst mal erkennen und sie dann auch noch in die heutige Lebenswelt übersetzen: damit verlieren sie aber jeglichen Charme. Zum anderen haben die Texte eine gewisse Absicht: sie wollen Jesus nicht als Komiker darstellen, sondern als Sohn Gottes, als Messias und einen, der ernst genommen werden soll.
Viele Forscher meinen trotzdem: Jesus hatte Humor. Sie machen das unter anderem an Gleichnissen fest. Jesus predigt zum Beispiel einmal über ein Kamel. Er sagt: „Ein Kamel kommt leichter durch ein Nadelöhr als ein Reicher in den Himmel.“ (Mk 10,25) Wenn ich mir das so vorstelle, muss ich schmunzeln: ich sehe, wie sich das Kamel durch das Öhr drückt. Es schafft das auch und kniet dann fix und fertig hinter der Nadel. Sprechen kann es nicht mehr, denn die Lippen sind spitz und sein Gesicht ganz langezogen – vom Durchquetschen.
Jesus würzt seine Reden immer wieder mal mit so einer Prise Humor. Dadurch sind sie lebendig und die Menschen haben vermutlich besser zugehört. Solche Stilmittel nutzen wir ja auch, wenn jemand „einen Clown gefrühstückt“ hat zum Beispiel, wenn „mein Schwein pfeift“ oder mir einer „mit dem Zaunpfahl winkt“. Wenn man sich das so vorstellt, ist das ganz ulkig. Solche Bilder bringen Dinge auf den Punkt, sind witzig und prägen sich dadurch ein.
Aber ist das wirklich alles, was ich über Jesus herausfinden kann und darüber, ob er Spaß verstanden hat? Er mag Dinge karikiert und seine Reden mit Humor gewürzt haben. Aber da gibt es doch sicher noch andere Spuren …
Lachen macht das Leben leichter
Es gibt über alles Witze; auch über biblische Themen. Den zum Beispiel: „Hey, Mose, Post von deiner Bank in Kairo. – Ah, ein Auszug aus Ägypten.“ Ich kann über solche Scherze lachen. Sie sind aber nicht jedermanns Sache. Ich habe mich in meinen Gedanken zum Faschingssonntag gefragt, ob Jesus das wohl witzig gefunden hätte. Die Bibel sagt leider nicht viel dazu.
Ich will die Sache mal umdrehen: Kann ich mir vorstellen, dass Jesus ein ernster Typ war? Einer, der nicht gelacht und kaum Witze gemacht hat?
Es fällt mir schwer, das zu glauben. Das passt für mich nicht zu dem Bild, das ich von ihm und von Gott habe. Früher ist den Gläubigen oft eingeschärft worden, dass Gott streng ist, alles sieht und womöglich bestraft. Er wacht im Himmel und bekommt sogar mit, wenn einer den Teller nicht leer gegessen hat. Dafür schickt er dann zum Beispiel schlechtes Wetter.
Dieser Aufseher-Gott ist mir fremd. Gott ist für mich eher Wegbegleiter, ein guter Freund an meiner Seite. Er hat väterliche und auch mütterliche Züge. Wenn meine Pläne durchkreuzt werden, ist er für mich da. Gott ist in meinen Vorstellungen schon auch ernst; aber ich kann mir keine Wegbegleiterin, keine Eltern oder Freunde vorstellen, mit denen ich nicht lachen kann, die nicht mal einen Witz reißen oder einen Spruch klopfen. Ich fühle mich doch nur dann wohl und geborgen, wenn die Atmosphäre stimmt.
So erkläre ich mir auch, warum Jesus Menschen begeistert hat. Die Bibel erzählt davon, dass die Leute Jesus gefolgt sind. Er war bei ihnen zu Gast, hat mit ihnen gesprochen und an ihrem Leben teilgenommen. Hätte er das tun können, wenn er todernst, humorfrei oder griesgrämig gewesen wäre? Ich glaube nicht.
Jesus ist es auch immer wieder gelungen, Menschen aus dunklen Situationen ihres Lebens zu holen: Er hat allen Mut gemacht, die krank, traurig oder einsam waren. Vielleicht hat er mit ihnen gelacht, gescherzt und ihnen so ein wenig von der Schwere genommen, die sie bedrückt hat. „Evangelium“ heißt übersetzt: „Frohe Botschaft“. Jesus muss es gelungen sein, Leute froh zu machen und ihnen zu vermitteln: Gott ist für sie da – egal wie es ihnen geht oder wie dunkel es um sie herum ist.
Am Ende kann ich nicht sicher sagen, ob Jesus ein lustiger Typ war. Aber ich bin mir sicher, er war ein fröhlicher Mensch – mit einem gesunden Sinn für Humor. Und den wünsche ich auch Ihnen – heute zu Fastnacht, aber auch für den Rest des Jahres; denn Humor nimmt so manche Schwere und macht vieles leichter.
Und für alle, die wie ich alberne Sprüche mögen, habe noch einen Tipp für den Faschingsumzug heute: Sollte Ihnen kalt werden, stellen Sie sich in eine Ecke: dort sind 90 Grad.
Helau – und einen lustigen Sonntag.
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Hoffnungszeichen
Der heruntergekommene Gott
Heute ist der erste Advent; in drei Wochen feiern wir Weihnachten. Ich bin aber noch gar nicht recht in Stimmung. In den Kirchen höre ich vom Gott des Friedens, den ich feiern soll – aber weltweit schlagen sich Menschen die Köpfe ein. Die Werbung sagt mir, was für tolle Geschenke ich kaufen kann – dabei haben so viele Menschen nicht mal das Nötigste zum Leben. Überall wird es vor Weihnachten gemütlich und heimelig – doch so viele sind einsam. Das passt nicht zusammen.
Vielleicht hilft es, nochmal genauer über Weihnachten nachzudenken. Da feiern wir, dass Gott „heruntergekommen“ ist. Ich mag so doppeldeutige Worte, denn die machen oft etwas klar: Gott ist heruntergekommen, bildlich gesprochen vom Himmel auf die Erde. Aber Gott ist auch in dem Sinn „heruntergekommen“, dass er auf Glanz und Gloria verzichtet. Er lässt sich voll und ganz auf die Probleme des Lebens ein. Das fängt schon bei seiner Geburt an: Es wird erzählt, dass Josef seine Frau Maria verlassen will, als die schwanger wird; denn das Kind ist nicht von ihm. Jesus wird im Stall geboren, in völliger Armut. Und kurz nach der Geburt muss die Familie fliehen, denn Herodes hat Angst um seine Macht und lässt alle Kinder töten. So geht es auch später weiter: Jesus umgibt sich mit dem Elend seiner Zeit, den armen, kranken und ausgegrenzten Menschen.
Es sieht so aus, dass Gott die dunklen Situationen des Lebens tatsächlich kennt. Aber er wischt sie nicht einfach weg. Dass alles gut wird, verspricht er für später, auf das Ende des Lebens hin. Hier und jetzt sorgt er nur immer wieder für Lichtmomente in all dem Dunkel, für so kleine Happy Ends: Maria und Josef droht die Trennung; aber Josef läuft nicht weg. Er steht zu seiner Frau und gründet mit ihr eine Patchwork-Familie. Dass Maria ihr Kind nicht auf der Straße gebären muss, verdankt sie einem Wirt, der ihr seinen Stall überlässt. Der ist zwar armselig, strahlt aber durch die Menschen, die dort sind: Maria und Josef, die Hirten und die Könige. Wie diese Menschen miteinander umgehen, lässt den Schauplatz nebensächlich werden und verleiht ihm sogar einen gewissen Glanz. Auch die Flucht übersteht die Familie unbeschadet, denn Gott steht ihr bei.
Ich kann nicht sicher sagen, ob die Geburtsgeschichte Jesu damals genau so passiert ist. Aber denen, die sie aufgeschrieben haben, sind diese kleinen Happy Ends wichtig. Denn sie zeigen das Programm für das spätere Leben Jesu: er steht Menschen bei, hilft ihnen und holt sie aus der gesellschaftlichen Isolation heraus. Er schafft das Elend nicht ab. Aber er vertreibt ein bisschen von dem Dunkel, das ihm begegnet.
Ich glaube, darum geht es an Weihnachten: zu feiern, dass es Hoffnung gibt und das Dunkel am Ende nicht überwiegt. Ich bin vielleicht noch nicht ganz in Weihnachtsstimmung. Aber ich glaube, ich bin zumindest gut im Advent angekommen: mit jeder Kerze, die ich auf dem Adventskranz anzünde, und mit jeder Lichterkette, die ich ins Fenster hänge, mache ich mir klar, dass Gott da ist und dass er die Welt heller macht – damals und bestimmt auch heute.
Gott ist da, wo ich den Himmel greifen kann
Advent heißt, sich auf Weihnachten einzustimmen. Für mich bedeutet das in diesem Jahr vor allem, genau hinzuschauen und nach Spuren zu suchen, wie Gott heute da ist. Davon habe ich eben in meinen Gedanken zum ersten Advent erzählt.
In der Bibel wird berichtet, wie die Leute Jesus einmal danach fragen, wann Gott endlich das Dunkel und das Leid aus der Welt beseitigt. Er antwortet darauf: „Das Reich Gottes ist mitten unter euch.“ (Lk 17,21) Darin steckt für mich ein Hinweis, wonach ich suchen muss: das Reich Gottes ist ein großes Wort. Für mich heißt es einfach „Himmel“ und meint alles, was mir und wahrscheinlich auch anderen guttut: Ich will ernstgenommen und respektiert werden; angenommen sein, so wie ich bin, und nicht alleine, wenn ich mal Hilfe brauche. Ich will leben können ohne Angst und Sorgen und das gerne in einer gesunden Umwelt. Das heißt aber doch: Gott ist da, wo immer der Himmel für mich und andere greifbar wird. Man kann ihn spüren, wo immer jemand etwas dafür tut, dass all das wirklich wird.
Solche Menschen gibt es. Ich habe in den letzten Tagen sehr konkret nach ihnen gesucht, zusammen mit meinen Kollegen. Wir verschicken zu Weihnachten eine Grußkarte unter dem Leitwort: „Das Reich Gottes ist mitten unter euch.“ Sie zeigt die 13 Kirchengemeinden, für die wir zuständig sind, und dazu 13 Porträts von Personen, die dort leben und die Welt dort ein wenig heller machen. Es ist unglaublich, wie bunt diese Karte geworden ist:
Alfred zum Beispiel; er verschenkt Zeit an Menschen, denen nicht mehr viel Zeit bleibt; er begleitet sie auf ihrem letzten Weg bevor sie sterben. Marlene betreut Menschen, die krank, behindert und nicht mehr in der Lage sind, für sich selber zu sorgen; sie geht für sie aufs Amt, ins Gericht oder zur Krankenkasse. Marcel ist nachts ansprechbar, wenn obdachlose Menschen etwas brauchen. Anja ist Familienpatin; sie bastelt und spielt mit Kindern, wenn deren Eltern das nicht können. Harald verlegt in seinem Wohnort so genannte „Stolpersteine“ und erinnert daran, was die jüdischen Mitbürger dort durchmachen mussten. Andere halten ältere Menschen mit Gymnastik fit, verkaufen fair gehandelte Waren oder tun etwas für die Umwelt.
Es heißt ja: an Weihnachten berühren sich Himmel und Erde. Für mich ist es in diesem Jahr zu wenig, einfach nur Lichter anzuzünden, das Haus zu schmücken und an das zu denken, was damals in Betlehem passiert ist. Ich nutze den Advent, um Spuren zu suchen, wo Menschen anderen Mut machen. Wo sie ihnen Hoffnung geben, weil sie sie wertschätzen und mit dem Päckchen, das sie tragen müssen, ernstnehmen. So wie Alfred und Marlene, Anja und die anderen. Und Advent heißt für mich am Ende auch zu schauen, wo ich vielleicht mein eigenes kleines Licht anzünden könnte, durch das Gott hier und heute ankommen kann.
Ich wünsche Ihnen einen gesegneten ersten Advent.
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SWR4 Sonntags-/Feiertagsgedanken
Nicht die Delfine haben das Meer verschmutzt …
Mein Sohn ist jetzt acht Jahre alt. Er hinterfragt Dinge und macht sich so seine Gedanken. Über die Nachrichten zum Beispiel. Neulich meint er zu mir: „Papa, der Gott ist ganz schön gemein. In Griechenland hat es gebrannt. Dann war alles überschwemmt und jetzt werden die Menschen krank. Warum macht der Gott das?“
In seiner Logik ist das stimmig. Aber so einfach ist es nicht. Gott zündet die Erde nicht einfach an oder überflutet sie. Ebenso wenig wie Delfine Plastik ins Meer werfen oder Elefanten Abgase in die Luft blasen. Der Mensch ist schuld. Jedenfalls an vielem.
Ich habe versucht, meinem Sohn das zu erklären: Wenn der Mensch die Natur kaputt macht, wird es auf der Erde wärmer. Hitze trocknet den Wald aus, und der brennt dann leichter. Wenn das Meer wärmer wird, verdampft mehr Wasser als sonst. Und das kommt dann oft mit einem Paukenschlag zurück; so wie es in Griechenland passiert ist.
Mein Sohn hat sich das angehört und dann kombiniert: „Wenn der Mensch das verbockt hat, muss doch auch der Mensch etwas dagegen tun.“ Da hat er recht. Dem Menschen ist die Welt anvertraut. Wenn er nicht handelt, wer dann? Was aber kann er tun?
Ich habe meinem Sohn die üblichen Dinge aufgezählt, die wir zuhause versuchen, und die viele andere auch machen: Wir düngen im Garten mit Kaffeesatz statt mit Chemie und gießen das Nudelwasser in die Pflanzen statt in den Abfluss. Was kaputt ist, reparieren wir so gut es geht statt gleich Neues zu kaufen und was wir nicht mehr brauchen, geben wir im Tafelladen oder Second-Hand-Shop ab.
Mein Sohn war skeptisch: „Das reicht doch niemals aus!“ Auch da hat er recht. Das alleine genügt nicht. Aber es gibt ja noch mehr, was man tun kann. Ich habe mich mit Lebensmitteln beschäftigt. Bei Butter habe ich aufgehorcht: um ein Kilogramm herzustellen, braucht es rund 25 Liter Milch. Die kommt von Kühen und Kühe produzieren Methan, ein Klimagas, das weit schädlicher ist als CO2. Das CO2 kommt dann noch oben drauf, denn die Milch muss verarbeitet, die Butter verpackt und transportiert werden. Würde man Butter konsequent durch Margarine ersetzen, könnte man 134 Kilogramm CO2 sparen; pro Kopf und Jahr! Das ist eine Zahl, die durchaus Gewicht hat!
Kinder können mit solchen Zahlen wenig anfangen. Mit Bildern schon. Mein Sohn zählt unterwegs oft seine Schritte – und meckert auch gerne mal, wenn der Weg weit ist. Daran habe ich angeknüpft: ein Ziel erreicht nur, wer viele kleine Schritte geht, auch wenn die mühsam sind. Das ist beim Wandern so – und auch beim Klimaschutz.
Senfkörner der Hoffnung
Ich habe mir eben einige Sonntagsgedanken über die Umwelt gemacht, darüber, wie es um sie steht. Wir müssen dringend etwas tun. Aber kann ich als Einzelner etwas bewirken? – Ja, ich denke schon.
Amerikanische Forscher sagen: Es braucht nur 3,5 Prozent[1] einer Bevölkerung, um einen Wandel herbeizuführen und politisch etwas zu bewegen; in Deutschland sind das knapp drei Millionen Menschen. Dafür muss man nicht gleich Klimaaktivist werden. Es reicht schon, das eigene Verhalten zu überdenken, bewusst zu leben und Umweltthemen wachzuhalten.
Bewusstsein schaffen und konkrete Maßnahmen ergreifen – das also empfehlen die Forscher. In der jüdisch-christlichen Tradition gibt es diese beiden Säulen schon immer: Die Bibel schwärmt oft von der wunderbaren Schöpfung und macht so bewusst, dass man sie schützen muss. Und sie macht konkrete Vorschriften, um sie zu bewahren. In den Gesetzestexten des Alten Testaments steht zum Beispiel, dass Felder alle sieben Jahre brach liegen sollen, um ihre Kraft nicht zu verlieren.
Die Themen heute sind andere als damals. In den Kirchen gibt es mittlerweile ganze Abteilungen für Energiefragen und Umweltschutz. Mit der Kirche von Bruchsal haben wir uns der Initiative „fair.nah.logisch.“[2] angeschlossen. Sie versucht, Zusammenhänge zu erklären und konkret aufzuzeigen, wie man fairen Handel unterstützen, regional einkaufen und ökologisch nachhaltig handeln kann. So ist bei uns der „Umwelt-Tipp des Monats“ entstanden, durch den auch ich immer wieder dazulerne: Dass jeder Klick am Handy und jede einzelne E-Mail Strom brauchen, habe ich mir zum Beispiel bisher nie wirklich klar gemacht. Wird der Strom aber nachhaltig produziert? Über Telefon- und Internetverträge kann ich das steuern. Neu war mir auch, dass zehn Prozent der Treibhausgase entstehen, weil Lebensmittel verschwendet und dann neu produziert werden. Ich kann dazu beitragen, diesen Anteil zu reduzieren, wenn ich bewusst einkaufe und überschüssige Lebensmittel abgebe, bevor sie schlecht werden.
Durch die Initiative „fair.nah.logisch.“ hat sich auch in unserem Büro etwas verändert: ein Korb mit regionalem Obst ersetzt die Süßigkeiten, die oft in Plastik eingepackt sind. Wenn wir Büromaterial kaufen, achten wir auf Umweltsigel und lassen es in Boxen liefern, die wiederverwendet werden. Die kommende Woche ist ganz der Schöpfung gewidmet: Wir laden in den Weltladen Bruchsal ein und auf einen Bauernhof in der Umgebung. Und wir machen die Schöpfung zum Thema in vielen Gottesdiensten.
In denen wird dann vielleicht auch das Lied vom kleinen Senfkorn Hoffnung gesungen. Ein Senfkorn ist winzig, aber es wächst zu einem stattlichen Baum, der Früchte trägt. Dieses Bild soll Mut machen, weiterhin viele kleine Schritte zu gehen. Denn wenn ich und mit mir viele andere zum Beispiel nur noch kaufen, was fair gehandelt und nachhaltig produziert ist, werden die Hersteller ihr Angebot irgendwann anpassen. Das bewegt dann hoffentlich auch die Politik. Und am Ende wird groß, was klein und unscheinbar begonnen hat. Davon bin ich überzeugt. Was haben doch gleich jene Forscher gesagt: Es braucht nur 3,5 Prozent einer Bevölkerung, damit aus dem Senfkorn Klimaschutz ein stattlicher Baum wird.
[1] Die Infos sind dem „Schöpfungskalender 2023“ entnommen: https://www.chrismonshop.de/oekumenischer-prozess-umkehr-zum-leben-den-wandel-gestalten-schoepfungszeit-kalender-2023-4627.html
[2] Vgl. https://www.fair-nah-logisch.de
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38428SWR4 Sonntags-/Feiertagsgedanken
Im Leben verändert sich ständig etwas
Noch vor einer Woche habe ich mit Locken-Perücke und Papp-Nase Fasching gefeiert. Mittlerweile ist die Perücke eingemottet; die Fastenzeit hat begonnen. Zu kaum einer anderen Zeit sind Veränderungen so greifbar wie in dieser Woche. Viele nehmen sich etwas vor, das sie verändern möchten: sie tauschen fettige Berliner gegen Gemüse, um abzuspecken, oder sie nehmen sich mehr Zeit – für sich, für andere oder für Gott. Wie das aber mit Vorsätzen so ist: oft gelingt es nicht, sie umzusetzen. Es lohnt sich daher, einmal genauer hinzuschauen, was es mit Veränderungen auf sich hat, was sie so schwer macht und was womöglich dabei hilft, sie anzugehen.
Veränderungen gibt es viele im Leben und sie sind ganz unterschiedlich. Manche stoße ich selbst an: eben, wenn ich zum Beispiel vorhabe, weniger Süß zu essen oder einmal die Woche Schwimmen zu gehen. Andere Dinge kommen plötzlich und von außen auf mich zu und ich muss mich darauf reagieren: wenn ich im Büro neue Aufgaben übernehmen und die Abteilung wechseln soll; oder wenn mir mein Kind eröffnet, dass es in eine andere Stadt zieht. Wieder andere Veränderungen sind unausweichlich: das Alter zum Beispiel, wenn ich nicht mehr so kann wie ich will und immer öfter Hilfe brauche.
Ob ich mich nun verändern will, soll oder muss: das geht nicht von heute auf morgen. Es ist ein Prozess und der braucht Zeit. Wer sich verändert, durchläuft Phasen – ähnlich wie beim Trauern. Veränderungen treffen mich in der Regel erst einmal hart; ich tue mich schwer mit ihnen oder lehne sie sogar ab: Um nicht auf Süßes verzichten zu müssen, rede ich mir womöglich ein, dass ich nicht wirklich zu dick bin. Ich wehre mich gegen neue Aufgaben, denn: andere sind dafür doch besser geeignet! Wenn mein Kind wegzieht, macht mich das unsicher und traurig: Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie es sein wird. Und wenn ich Dinge nicht mehr tun kann, die früher kein Problem waren, dann muss ich mir das erst einmal eingestehen. Nach dieser ersten Phase der Veränderung kommen meist Gefühle hoch: ich bin enttäuscht, wütend oder mir kommen Tränen. Erst dann setzt die Vernunft ein und ich beginne damit, Dinge realistisch zu sehen. Im Idealfall schaffe ich es dann Schritt für Schritt, mich zu verändern oder mich auf Veränderungen einzulassen.
Solche Modelle erklären, was Veränderungen so schwer macht. Allerdings helfen sie mir nicht weiter, wenn ich mich selbst verändern will, soll oder muss. Dafür sind sie zu abstrakt. Ich brauche dann etwas Konkretes, einen Impuls, der mir hilft, den nächsten Schritt zu gehen. Und so einen habe ich in der Bibel entdeckt ...
Mit Veränderungen umgehen lernen
Heute ist der erste Fastensonntag. Viele nutzen die Zeit bis Ostern, um sich neu auszurichten und über Veränderungen nachzudenken. Das habe auch ich eben in meinen Gedanken zum Sonntag gemacht. Veränderungen sind oft schwer. Ich habe in der Bibel etwas gefunden, das es mir leichter macht, mit ihnen umzugehen.
Es ist die Geschichte von Abraham. Gott weist ihn an, sich zu verändern. Er sagt: „Zieh fort aus deinem Land, deiner Verwandtschaft und deinem Vaterhaus in das Land, das ich dir zeige.“ Abraham soll dort Kinder haben, zu einem großen Volk werden und gesegnet sein. In der Bibel heißt es schlicht: „Da ging Abraham und mit ihm sein Neffe Lot.“
Die Bibel macht keine großen Worte. Sie reduziert die Erzählung auf drei wesentliche Punkte. Genau an denen kann ich mich aber entlangtasten und überlegen, was sie für Veränderungen in meinem Leben bedeuten:
Abraham soll sein Land, seine Verwandtschaft und sein Vaterhaus verlassen. Sich zu verändern heißt also, vertraute Strukturen und konkrete Personen zurückzulassen. Welche sind das bei mir? Was macht es mir im Einzelfall schwer, mich zu verändern oder eine Veränderung anzunehmen? Wenn ich im Büro neue Aufgaben übernehmen soll, muss ich vertraute Abläufe umstellen und nette Kollegen zurücklassen. Zieht mein Kind weg, bekomme ich weniger von ihm mit. Das klar zu benennen, hilft mir gegenzusteuern. Ich kann dann zum Beispiel versuchen, mir neue Arbeitsabläufe möglichst schnell anzueignen, um wieder Sicherheit zu bekommen, oder gezielt neue Kontakte zu Kollegen knüpfen. Und was die Familie betrifft: mein Kind und ich könnten gemeinsam nach Lösungen suchen, wie wir in Kontakt bleiben und weiterhin Freud und Leid teilen. Wer so genau hinschaut, stößt oft auch auf das, was bisher nicht so ganz rund lief. Und das verändert man doch gerne!
In der biblischen Erzählung wird Abraham Segen verheißen. Veränderungen bringen oft Gutes mit sich. Wenn ich mir klar mache, was das ist, fällt es mir leichter, etwas zu verändern: auf fettige Berliner zu verzichten, Gemüse statt Fleisch zu essen oder häufiger Rad zu fahren, ist doch nicht nur gesund, sondern auch gut für die Umwelt. Und wenn ich es schaffe, im Alter Hilfe anzunehmen, dann spare ich mir Kräfte, die ich für anderes einsetzen kann.
Schließlich ist Abraham nicht alleine unterwegs. In der Bibel steht: sein Neffe Lot begleitet ihn. Das heißt für mich: Wenn ich mich verändern will oder muss, kann ich schauen, wer mir dabei hilft. Oder überlegen, welcher Rahmen es mir leichter macht. Vielleicht gibt es im Büro ja einen Mentor. Ich finde jemand, der mit mir zusammen Sport macht. Und wenn ich ans Alter denke: da kann ich womöglich schon rechtzeitig vorplanen und überlegen, wie das für mich auch wirklich passen könnte.
Veränderungen gehören zum Leben. Kleine und ganz große wie bei Abraham. Und jede einzelne braucht ihre Zeit. Ich freue mich daher, dass es die Fastenzeit gibt: 40 Tage, um auf die Veränderungen in meinem Leben zu schauen und vor allem auf das, was mich im Alten hält und zum Neuen zieht.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=37136SWR4 Sonntags-/Feiertagsgedanken
Meine Tochter hat mich mal wieder kalt erwischt: „Papa, wann geht die Welt unter? Schon bald, oder?“ Das hat gesessen. Wir sind gerade nach Hause gefahren und waren müde. Zum Glück: denn meine Tochter hat ihre Frage gestellt und ist dann eingeschlafen. Es hat mir zwar leidgetan, dass sie ausgerechnet mit diesen Gedanken in die Nacht gegangen ist. Aber ich war auch froh. So musste ich ihr nicht gleich antworten. Was hätte ich sagen sollen?
Wir waren in den Ferien viel unterwegs. Am Rhein zum Beispiel; er hat so wenig Wasser wie selten geführt. Auch im Zoo sind wir gewesen und haben Tiere gesehen, die vom Aussterben bedroht sind. Meine Tochter hat gefragt: „Ist das der Klimawandel?“ Zuvor hatte sie Corona und war einige Tage schlapp. Das hat sie beschäftigt, denn manche Leute sterben daran. Auch die Folgen des Ukraine-Kriegs hat sie gespürt; auf ihre Weise: eine Zeit lang war das Pommes-Fett knapp – für sie ein kleiner Weltuntergang.
Eine Katastrophe jagt die nächste. Nicht nur Kindern wird da mulmig. Auch mir. Als ich so alt war wie meine Tochter, war das nicht so. Oder doch? Wenn ich so darüber nachdenke, fällt mir ein, dass ich Angst vor AIDS hatte, dieser Krankheit, von der man wenig wusste, die aber tödlich war. Tschernobyl ist explodiert als ich acht war. Und der Kalte Krieg war ebenso präsent wie das Ozonloch. Auch die Generationen vorher kennen das: der Vietnamkrieg und die sauren Flüsse; oder noch früher: die Spanische Grippe, Weltkriege und Wirtschaftskrisen.
All diese Dinge sind heute verblasst. Medikamente wurden erfunden; Frieden geschlossen. Die Flüsse sind wieder sauber, und in meiner Erinnerung überwiegen keine Sorgen, sondern das Schöne, das ich damals gesehen und erlebt habe. Das ist vielleicht eine Spur, die ich meiner Tochter legen kann. Ich will ihre Sorgen nicht abtun und sagen, dass es früher ja auch schwer war. Aber ich will ihrer Angst etwas entgegensetzen. Ängste und Katastrophen drängen sich oft in den Vordergrund. In den Medien verkaufen sich Horrormeldungen besser als gute Nachrichten; und über Negatives lässt sich besser tratschen. Nur kommt dabei oft zu kurz, was gut läuft, Mut macht und aufbaut.
Es tut gut, diesen Tunnelblick ab und zu aufzubrechen. Ich habe gehört, dass man sich am Tag höchstens zehn Minuten mit Negativschlagzeilen beschäftigen soll. Dann ist es Zeit für einen Ausgleich: man soll sich gezielt guten Meldungen widmen. Das lässt sich doch machen. Und wenn ich mit meiner Tochter wieder im Zoo bin, werde ich auch mit ihr nach dem suchen, was Hoffnung macht: Wir werden Arten finden, die nicht ausgestorben sind, weil sie sich angepasst haben. Oder Fische entdecken, die in der dunklen See leben und doch ganz bunt sind. Das zeigt, welche Pracht und Fülle, welchen Überfluss und welche Überraschungen die Schöpfung bereithält, mit denen wir vielleicht gar nicht rechnen ...
Meine Tochter ist recht pragmatisch. Sie hat überlegt, was sie gegen den Weltuntergang tun kann: Sie isst jetzt ihr Eis aus der Waffel statt aus dem Becher, weil der Becher in den Müll wandert, die Waffel aber in den Mund. Sie wünscht sich, dass wir ein Elektro-Auto kaufen. Und Fahrradfahren ist angesagt – auch wenn sie dabei mehr an mich denkt als an sich selber. Das sind keine neuen Ideen. Aber für sie sind sie innovativ – und ein Anfang. Sie träumt davon, dass das alle Menschen tun. Die Welt ist komplex und Kinder durchschauen vieles noch nicht. Aber das Prinzip ist ihnen klar: Was aus der Welt wird, haben alleine wir in der Hand.
Der Künstler Micha Kunze hat einen Text geschrieben, in dem es genau darum geht. Er heißt: „Die Abschaffung des Menschen.“[1] Kunze beschreibt in vielen Facetten, wie genial Gott die Welt gemacht hat: den Geruch von Holz zum Beispiel. Oder den weißen Schaum auf den Wellen. Immer wieder fügt er ein, wie es in der Bibel steht: „Gott sah, dass es gut war.“
Dann spricht Kunze über den Menschen. Gott hat auch ihn gemacht – als sein Abbild. Der Mensch ist frei zu tun, was er will. Er kann sogar – wie Gott – Dinge schaffen. Und das tut er auch: Fabriken, Plastik und Ausbeutung. Pornografie, Unterdrückung und Zerstörung. Wenn Micha Kunze das aufzählt, wird er immer dramatischer – bis er plötzlich stockt und wieder die Bibel zitiert: „Gott schuf also den Menschen als sein Abbild. Gott sah den Menschen und er sah, dass es …“ – Dann schweigt er. Ob es gut oder schlecht war – muss der Zuhörer entscheiden.
Als ich das gehört habe, war ich schockiert: Hat der Mensch den Karren wirklich an die Wand gefahren? Nutzt er seine Freiheit nur, um zu streiten und die Welt auszubeuten? Dann ist mir aufgefallen, dass Kunze auch so kleine Lichtblicke nennt: der Mensch ist auch zu Versöhnung fähig. Er hat Häuser und Kindergärten gebaut, Kinofilme und Versicherungen erfunden, Dinge, die Menschen entlasten, ihnen helfen und guttun. Ich habe etwas aufgeatmet: Gott hat den Menschen als sein Ebenbild geschaffen. Er traut ihm also etwas zu. Und er hat ihm alles mitgegeben, was er braucht, um das Steuer rumzureißen. Der Mensch muss es nur tun.
Aber wer ist „Der Mensch“? – Jede und jeder Einzelne. Jeder kann etwas beitragen, dass die Welt Zukunft hat. Jede auf ihre Art. Meine Tochter isst Eis aus Waffeln. Ich selber werde mein nächstes Handy nachhaltig einkaufen. Einige helfen Flüchtlingen. Mediziner bekämpfen Corona; Forscher experimentieren aktuell mit Bakterien, die Plastik zersetzen; und Politiker bemühen sich um Frieden.
„Papa, wann geht die Welt unter?“ Wenn meine Tochter das wieder fragt, bin ich hoffentlich nicht so unsicher. Ich könnte antworten: „Noch lange nicht, mein Schatz. Wir können was dafür tun, dass es gut wird.“
[1] Vgl. https://www.youtube.com/watch?v=6s6W8Q4g6b4
https://www.kirche-im-swr.de/?m=36005SWR4 Sonntags-/Feiertagsgedanken
Der Apostel Thomas zweifelt, hakt nach und bleibt dran.
Als Kind hat mir ein Jünger immer etwas leidgetan: der Apostel Thomas. Ich war Ministrant und habe seine Geschichte oft gehört:
Thomas ist einer der Jünger, die mit Jesus unterwegs waren. Als der gekreuzigt wird, bricht für ihn und die anderen eine Welt zusammen. Sie haben Angst, sind traurig und verzweifelt. Sie ziehen sich zurück und wissen nicht, wie es weitergehen soll. Da taucht Jesus bei ihnen auf; offenbar lebt er. Die Jünger können sich das nicht erklären. Aber Jesus steht leibhaftig vor ihnen! Einer ist an diesem Tag nicht dabei: Thomas. Der arme Tropf war vielleicht gerade einkaufen oder hat jemanden besucht. Als er zurückkommt, hört er von den anderen, was passiert ist. Doch er kann es nicht glauben. Er zweifelt und ist skeptisch. Das bringt ihm den Beinamen „der Ungläubige“ ein, einen Titel, der ihm bis heute anhängt. Und doch feiern wir heute den Gedenktag von Thomas: Er wird als Apostel verehrt, als einer, der Jesus besonders nahesteht und einen besonders festen Glauben hat. Widerspricht sich das nicht?
Für mich schließen sich Glaube und Zweifel nicht aus. Mir geht es nämlich ganz ähnlich wie Thomas. Ich kenne Menschen, die vorbehaltlos glauben. Leute, die nicht weiter hinterfragen, was in der Bibel steht. Ich selber kann das nicht. Ich frage mich oft, ob Jesus tatsächlich auferstanden ist. Wie soll das denn gehen? Und ist er den Jüngern wirklich erschienen? Das kann ich mir nicht so recht vorstellen. Ich bin auch bei Wundern oft skeptisch, weil ich sie mir nicht erklären kann. Und doch sind es genau diese Momente, die Jesus für mich so besonders machen, die mich faszinieren und die ich so gerne glauben möchte.
Thomas hat damals nachgehakt: Am liebsten will er seine Finger in die Wunden des Auferstandenen legen, um glauben zu können. Und es gibt noch eine weitere Geschichte, bei der es Thomas genau wissen will. Jesus verabschiedet sich kurz vor seinem Tod von den Jüngern. Dabei sagt er zu ihnen: „Wohin ich gehe – den Weg dorthin kennt ihr.“ Die Jünger nehmen das so hin. Nur Thomas unterbricht ihn: „Jesus, ich verstehe dich nicht. Was soll das für ein Weg sein? Wo ist der denn?“
Jesus antwortet ihm. Und was er sagt, wird für Thomas und viele Menschen später wichtig werden: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Ihr kommt in den Himmel, wenn ihr euch an mir und dem orientiert, was ich sage und tue.“
Thomas denkt also mit. Er scheut sich nicht, Fragen zu stellen; auch wenn er der einzige ist und die anderen womöglich etwas ausbremst. Er setzt sich kritisch mit dem auseinander, was er von Jesus weiß und erzählt bekommt. Und genau das bringt ihn weiter: Dadurch versteht er manches besser. Ihm wird klarer, was er glaubt. Und er vertieft so am Ende seine Beziehung zu Gott und zu Jesus.
Früher hatte ich Mitleid mit Thomas, weil er den Auferstanden verpasst hat. Heute spricht mich seine Geschichte richtig an. Thomas zeigt mir: ich darf zweifeln. Ich darf Fragen stellen und so meinen Glauben entwickeln – Schritt für Schritt, ganz in dem Tempo, das für mich passt.
Der Glaube ist lebendig, wenn er zweifelt.
Der Apostel Thomas wird auch der Ungläubige genannt. In meinen Sonntagsgedanken habe ich eben von ihm erzählt. Er will an Jesus glauben, tut sich aber schwer damit. Ich bin der Meinung, das ist völlig in Ordnung: zu glauben und dabei kritisch zu sein, schließt sich nicht aus.
Vielleicht braucht der Glaube sogar einen gesunden Zweifel. Ich war neulich bei einem Priesterjubiläum dabei. Der Pfarrer wurde vor 60 Jahren geweiht. Er hat zurückgeschaut und war vor allem über eines glücklich: nach all der Zeit habe er noch immer dieselben Fragen wie am Anfang. Sein Glaube sei nach wie vor noch nicht so fest, dass er nicht immer wieder zweifeln würde. Das hat mich erst irritiert, aber er hat es begründet und gesagt: „Ein Glaube, der nicht mehr fragt und sucht, ist nicht lebendig. Er steckt fest und entwickelt sich nicht weiter.“ Ich denke, das stimmt.
So kann man auch die Thomas-Geschichte verstehen: Thomas bekommt tatsächlich die Chance, seine Zweifel auszuräumen. Jesus erscheint ihm nämlich und streckt ihm seine Wunden hin. Doch Thomas berührt sie nicht. Jedenfalls berichtet die Bibel nichts davon. Dort steht nur, dass Thomas Jesus sieht und dann auf der Stelle zu ihm sagt: „Mein Herr und mein Gott.“
Vielleicht hat Thomas die Wunden Jesu ganz bewusst nicht berührt. Um glauben zu können, brauche ich Kontakt zu Jesus. Aber nicht unbedingt Kontakt mit dem Finger in den Wunden. Ich muss mich von Jesus ansprechen lassen. Ich muss über das nachdenken, was er sagt und tut, ihm meine Fragen stellen und selbst um Antworten ringen. Es geht also um meine Beziehung zu Jesus, die vor allem dann lebt, wenn ich mich mit ihm auseinandersetze.
Die letzten Worte, die Jesus an der Stelle spricht, sind an Thomas gerichtet. Jesus sagt zu ihm: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.“ Ich vermute aber, diese Worte sind vor allem für mich gedacht, den, der diese Geschichte hört oder liest. Thomas ist Jesus begegnet. Auch wenn er ihn nicht berührt hat, ist er doch näher dran, als ich es je sein werde. Er sieht Jesus und glaubt. Ich hingegen muss mich auf das verlassen, was überliefert ist. Das ist echt schwer. Das Jesus-Wort macht mir aber Mut: ich soll dranbleiben und trotz aller Zweifel um meinen Glauben ringen.
Sollten Sie wie ich Thomas heißen und heute Namenstag haben, dann gratuliere ich Ihnen ganz herzlich. Und falls Sie zu denen gehören, die manchmal zweifeln, skeptisch sind und ihren Glauben hinterfragen, dann erst recht: genau das hält den Glauben lebendig.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=35701SWR4 Feiertagsgedanken
Die Emmaus-Jünger
Heute Morgen war in Waghäusel bei Heidelberg schon richtig was los: über hundert Leute haben sich um 6 Uhr auf dem Friedhof getroffen. Sie haben gebetet und gesungen und sind dann ein Stück gelaufen. Unterwegs haben sie sich unterhalten, meditiert und in der Bibel gelesen. Und sie haben zusammen gefrühstückt.
Diese Tradition heißt Emmaus-Gang. Sie geht auf eine Geschichte aus der Bibel zurück: Als Jesus stirbt, bricht für seine Jünger eine Welt zusammen. Alles, was sie erhofft haben, ist dahin. Zwar soll Jesus auferstanden sein; aber sie können es nicht glauben. Zwei der Jünger verlassen daraufhin Jerusalem und wandern mutlos nach Emmaus, einem Ort ganz in der Nähe. Sie reden gerade über die Ereignisse der letzten Tage, als ein Fremder dazu kommt. Der tröstet sie, indem er ihnen die heiligen Schriften auslegt. Gegen Abend kehren die drei zusammen ein. Am Tisch nimmt der Fremde ein Fladenbrot und einen Krug Wein in die Hand. Wie Jesus es getan hat, spricht er den Segen und teilt beides aus. Da erkennen sie ihn: es ist Jesus. Er war die ganze Zeit bei ihnen. Sie waren nur so mit sich beschäftigt, dass sie ihn nicht erkannt haben.
Auch die Menschen heute Morgen in Waghäusel waren unterwegs nach „Emmaus“: nur eben symbolisch. Sie wollten zeigen und feiern, dass Jesus auch heute da ist und Menschen begleitet, auch wenn sie ihn oft nicht gleich erkennen. Sie haben ganz bewusst auf dem Friedhof begonnen, im Halbdunkel: unterwegs ist dann die Sonne aufgegangen, und es wurde immer heller, ein Zeichen dafür, dass Jesus lebt und alles vertreibt, was dunkel ist und traurig macht. Ich mag solche Zeichen. Und doch will ich es genauer wissen: Wie ist Jesus denn konkret an meiner Seite, wo ich ihn doch für tot halten könnte – so wie die Jünger damals?
Der Emmaus-Gang legt für mich vier Spuren:
Zuerst mal: Jesus ist da, wo sich Menschen einander anvertrauen. Die zweite Spur: Ich spüre etwas von ihm, wenn ich in der Heiligen Schrift lese. Dann wird er für mich real, wenn sich Menschen am Tisch versammeln und dabei an ihn denken. Und zu guter Letzt: ich erkenne Jesus oft erst im Nachhinein, wenn ich mir anschaue, was ich so erlebt habe.
Jesus begegnen – auch heute noch
Jesus ist zum Beispiel da, wo sich Menschen einander anvertrauen. Es gibt Situationen, da bin ich wie die Jünger in dem gefangen, was ich erlebe: ich bin traurig, weil jemand stirbt. Ich werde krank oder erlebe Schlimmes und habe Angst. Wie gut tut es dann, wenn jemand für mich da ist, mit dem ich reden kann. Sich auszutauschen führt oft dazu, dass mir „die Augen aufgehen“ und es wieder heller wird. In solchen Momenten bin ich mir sicher: Jesus geht mit mir. Er begleitet mich – durch andere.
Ich kann Jesus aber auch spüren, wenn ich in der Bibel lese. Zu den Emmaus-Jüngern gesellt sich ein Mann, der ihnen die Heilige Schrift auslegt und so ein neues Licht auf das wirft, was Jesus passiert ist. Vielleicht sagt er ihnen, dass Gott aus dem, was für Menschen ausweglos erscheint, durchaus Neues und Gutes machen kann. Oder dass im Scheitern ein neuer Anfang steckt. Das alles steht in der Schrift. Es trifft die Jünger ins Herz und spricht auch mich an.
Die Emmaus-Geschichte legt für mich noch eine andere Spur, wie ich Jesus heute begegnen kann: in der Eucharistie, dem Abendmahl. Die Jünger erkennen den Fremden, als er das Brot teilt. Jesus hatte ihnen gesagt: wann immer ihr das tut und miteinander esst, bin ich bei euch.
Mir fällt dazu eine alte Schüssel ein, die bei mir zuhause steht. Mein Schwiegervater hat darin immer seine Dampfnudeln vorbereitet. Wenn ich die Schüssel sehe, sehe ich ihn: wie er den Teig knetet und seine Augen leuchten. Ich rieche die Hefe und die fertigen Dampfnudeln. Er selber ist schon gestorben, aber in diesem Moment ist er für mich lebendig. Es ist nur eine Schüssel; etwas Zufälliges; meine persönliche Erinnerung. Die Zeichen, die Jesus hinterlassen hat, sind da noch stärker! Denn er hat Brot und Wein ganz bewusst gedeutet. So bleibt er darin ganz lebendig. Es sind Symbole; aber für mich haben sie eine echte Kraft.
Dass Jesus auch heute wirkt und lebendig ist, erkenne ich manchmal auch im Rückblick auf das, was ich erlebt habe. Die Emmaus-Jünger lassen am Abend den Tag Revue passieren und merken, dass Jesus bei ihnen war. In der Bibel heißt es: „Brannte uns nicht das Herz, als er unterwegs mit uns redete?“
Manchmal läuft es nicht so, wie ich es will. Ich sehe kein Land mehr, bin traurig oder ratlos. Trotzdem geht es weiter. Erst später, wenn ich zurückschaue, merke ich, warum: ein Freund hat mich motiviert. Ich bin einem begegnet, der mir gutgetan hat. Oder ich musste bei in einer Sache scheitern, weil sich erst dadurch neue Wege eröffnet haben. Solche Momente können mir zeigen, dass es da einen gibt, der mich durchs Leben begleitet.
Heute Morgen sind an vielen Orten Menschen unterwegs. Wie die Jünger damals machen sie einen Emmaus-Gang: sie vertrauen sich einander an, beten, lesen in der Bibel und essen zusammen. Wo immer einem dabei die Augen aufgehen oder ein gutes Wort ein Herz berührt, wo immer sich dabei etwas zum Besseren wendet oder einer in seiner Not nicht alleine bleibt – da ist Jesus spürbar. Genau dort zeigt sich für mich: Jesus lebt – auch heute.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=35230SWR4 Sonntags-/Feiertagsgedanken
Zuhören. Von ganzem Herzen zuhören.
Christoph Busch hört gerne zu. Er ist Mitte 70 und regelmäßig in einer Hamburger U-Bahn-Station zu finden. Er hat dort einen alten Kiosk gemietet. Nicht um Sachen zu verkaufen; sondern um Menschen zuzuhören. Früher hat er Hörspiele und Drehbücher geschrieben. In dem Kiosk wollte Christoph Passanten treffen und sich inspirieren lassen. Der Zulauf war riesig: denn es gibt vieles, was die Leute erzählen wollen; aber nur wenige, die ihnen zuhören. Christoph Busch hat sich ganz den Menschen gewidmet: Sein Kiosk ist jetzt ein Zuhör-Kiosk[i] und heißt: „Das Ohr“. Mittlerweile gibt es dort ein ganzes Team, das Menschen zuhört.
Richtig zuhören ist eine Kunst. Denn es ist mehr als nur ab und zu Floskeln einzustreuen wie: „aha“, „interessant“ oder „was Sie nicht sagen“. Die sind schon auch wichtig, denn sie zeigen dem anderen, dass ich aufmerksam bin. Richtig zuhören geht aber weiter: wenn ich richtig zuhöre, bin ich ungeteilt aufmerksam. Ich interessiere mich wirklich für mein Gegenüber, für das, was er erlebt hat und was ihm wichtig ist, worunter sie leidet oder worüber sie sich freut. Wer so zuhört, nimmt Anteil. Er geht sozusagen mit dem anderen ein Stück seines Weges. Und das, ohne ihm die eigene Meinung aufzudrücken, schnelle Tipps zu geben oder gut gemeinte Ratschläge.
Richtig zuhören lohnt sich. Für die, die erzählen, und für die, die zuhören: Christoph Busch freut sich immer wieder, wenn es den Leuten nach einem Gespräch besser geht, weil sie ihre Sorgen und ihren Kummer losgeworden sind, neue Ansichten entdeckt oder einfach ihre Freude geteilt haben. Ihm geben die Gespräche aber noch mehr: Christoph[ii]setzt sich mehr mit Sinnfragen auseinander. Er sagt, die „Splitter aus fremden Leben“ sind für ihn Geschenke, die ihn bereichern. Indem er anderen zuhört, fühlt er sich selbst lebendiger. Und weiter meint er: „Ich habe in meinem Kiosk Gefühle gefühlt, die ich bislang nicht kannte.“ Dieses reine Zuhören hat ihm geholfen, manches klarer zu sehen. Er versteht nun etwas besser, wie andere denken, was sie fühlen und somit auch, was in der Welt los ist.
Wissenschaftler erklären das so: wenn ich richtig zuhöre, gehe ich ins Ungewisse. Ich gebe das Heft aus der Hand. Ich lenke das Gespräch nicht, sondern höre einfach zu. Dadurch weiß ich nicht, was vom anderen kommt, ob es wichtig ist oder nicht. Ich stelle meine Meinung hintan und verzichte auf Wertungen.
Und genau das ist der Knackpunkt: denn dadurch fange ich an, mich in andere hineinzuversetzen und Dinge so zu sehen, wie sie es tun. Das kann mich verändern.
Auf das Wort Gottes hören
In meinen Sonntagsgedanken habe ich eben darüber gesprochen, was es heißt, richtig zuzuhören. Christoph Busch hat einen Zuhör-Kiosk eingerichtet. Menschen erzählen ihm dort von sich und er lässt sich voll und ganz auf sie ein. Das weitet seinen Horizont.
Die Bibel erzählt, wie auch das Volk Israel einmal sehr genau hingehört hat: auf das Wort Gottes. Einen halben Tag lang lauscht es ganz gebannt dem Priester Esra. Der liest aus dem Gesetz vor und erläutert es. Offenbar bewegt das das Volk, denn in der Bibel heißt es, dass daraufhin viele geweint haben.
Im Text wird kein konkreter Grund genannt, was genau das Volk so bewegt hat. Es könnte mit seiner Geschichte zu tun haben: das Volk Israel war nach Babylon verschleppt worden und ist nun endlich wieder zu Hause. Die Leute sind froh, aber es gibt viel zu tun. Der Tempel muss aufgebaut, die Ordnung wiederhergestellt werden. In dieser Situation hört das Volk Israel das Wort Gottes; es sieht einerseits, was ist, und hört andererseits, was sein soll. Die Leute verstehen, dass sie das Gesetz Gottes nicht einhalten können. Und dann laufen die Tränen.
Das kann ich nachvollziehen: Wenn ich das Wort Gottes, also Geschichten aus der Bibel höre, merke ich oft, dass ich hinter vielem zurückbleibe: „Liebe deinen Nächsten, ja sogar deine Feinde wie dich selbst.“ Da kann ich noch lange an mir arbeiten. Oder wenn ich höre, wie gut Gott die Welt gedacht hat, und dann sehe, wie Menschen auf ihre Rechte pochen ohne Rücksicht auf Verluste – da könnte ich auch manchmal heulen!
Ich glaube aber, dieses Verständnis greift zu kurz. Die Bibel betont mehrmals, wie gebannt das Volk Israel dem Wort Gottes zuhört. Nicht nur oberflächlich; sondern richtig intensiv. Esra liest zwar das Gesetz vor und erläutert es. Ich könnte mir aber vorstellen, dass die Leute damals in dem Moment verstanden haben, was hinter den Buchstaben steckt. Das hat sie so bewegt. Es war für sie vermutlich als würde Gott ihnen sagen: „Ich meine es gut mit euch! Macht euch das immer wieder klar. Ich mache euch stark. Ich verstehe euch, gerade auch wenn ihr nicht zurechtkommt, unzufrieden seid oder hinter dem zurückbleibt, was ihr selber von euch erwartet. Beißt euch nicht an dem fest, was schiefläuft; sondern schaut auf das, was gelingt.“
Für den Priester Esra ist das ein Grund zur Freude. Er ergreift am Ende der Geschichte noch einmal das Wort und sagt: Weint nicht! Feiert ein Fest. „Denn die Freude am Herrn ist eure Stärke.“ (Neh 8,9-10)
Dem kann ich zustimmen. Zuhören, ganz Ohr sein für andere Menschen und vor allem auch für das Wort Gottes lohnt sich. Manchmal mag das hart sein, mich bewegen, erschüttern und verändern – und ich weiß: das ist nicht jedermanns Sache. Aber wenn ich es wage, entdecke ich womöglich wertvolle Schätze, die mich lebendig und stark machen und die mein Leben bereichern. Christoph Busch mit seinem Zuhör-Kiosk jedenfalls kann das bestätigen. Und er genießt es! Er ist ganz Ohr und hört von ganzem Herzen zu, auch wenn es – oder eben gerade ‘weil‘ es ihn verändert.
[i] Vgl. https://zuhör-kiosk.de; Stand: 13.1.2022.
[ii] Vgl. Frankfurter Rundschau, https://www.fr.de/fr7/mann-hoert-13183921.html, 1.11.2019; Stand: 13.1.2022.
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