SWR4 Sonntagsgedanken

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07NOV2021
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“Paradies“ – das Beste aus Stadt und Land

Das Paradies ist eine Stadt. So steht es in der Bibel. Ich bin in einer Stadt aufgewachsen und kann mir das gut vorstellen: es gibt nette Cafés. Ich kann ausgehen, Kunst und Kultur genießen und um die Ecke einkaufen. Es ist immer was los. Davon steht allerdings nichts in der Bibel und das wäre wohl auch etwas zu kurz gegriffen. Die Bibel hat das „himmlische Jerusalem“ vor Augen – die Stadt, die Gott am Ende der Tage errichtet. Und sie beschreibt im Buch der Offenbarung, wie diese Stadt aussieht:

Das neue Jerusalem ist schön hell, vieles ist golden und die Stadt ist würfelförmig gebaut. Es gibt mehrere Stadttore, auf denen Engel stehen. Zwölf Edelsteine tragen die Stadtmauer, auf denen die Namen der zwölf Apostel stehen. Und das Beste ist: Gott wohnt in dieser Stadt – mitten unter den Menschen. Die brauchen also nichts zu fürchten, denn Gott ist bei ihnen. Im himmlischen Jerusalem sind die Menschen sicher.

So wichtig Jerusalem ist: die Bibel kennt noch andere Bilder für das Paradies. Und die haben etwas mit dem Landleben zu tun:
Am Anfang schafft Gott einen „Paradiesgarten in Eden“ für Adam und Eva. Dort fehlt ihnen nichts: die beiden sind bestens versorgt, brauchen sich um nichts zu kümmern und alles ist perfekt.
In Psalm 23 ist von „grünen Auen“ die Rede und vom „Ruheplatz am Wasser“. Gott wird als „guter Hirte“ beschrieben, der sich um seine Schafe kümmert. Im finsteren Tal lässt er sie nicht allein; er sorgt dafür, dass sie auf den grünen Auen unbeschwert leben und das frische Wasser genießen können.
Diese Bilder sind so ganz anders als die von der himmlischen Stadt mit ihren Mauern: sie sind viel weiter, grüner und ländlicher. Im Kern aber sagen sie dasselbe aus: das Paradies ist einfach perfekt. Es vereint das Beste aus Stadt und Land.

Ich kann mit beiden Bildern etwas anfangen. Ich komme aus der Stadt, wohne aber schon lange auf dem Land. Wenn ich mir vorstelle, dass ich eines Tages in einem solchen Paradies leben darf, dann klingt das wirklich verlockend. Allerdings weiß ich auch, dass Stadt- und Landleben manchmal weit von diesem Ideal entfernt sind. Nur darauf zu warten, dass es eines Tages besser wird, ist mir zu wenig. Deshalb will ich gleich noch ein wenig tiefergehen.

Ideale verändern das Hier und Jetzt

Ideale gehen von dem aus, was die Menschen kennen. Sie zeichnen ein Bild, auf dem das, was hier und jetzt nicht rund läuft ist, perfekt ist. Wer so ein Idealbild vor Augen hat, sieht klarer, wo es hakt und was zu tun ist, um das Ideal zu erreichen. Wenn die Bibel also das Paradies ausmalt, hat sie sehr genau im Blick, was in Stadt und Land schiefläuft. Und sie zeigt auf, wie man gegensteuern und vielleicht etwas verändern könnte:

Der Prophet Jeremia ruft das Volk Israel einmal ausdrücklich auf: „Suchet der Stadt Bestes.“ Das Volk Israel musste damals das geliebte Jerusalem verlassen und in die Stadt Babylon gehen. Diese ist multikulturell durchmischt, die soziale Schere klafft auseinander, Menschen leben anonym und viele denken nur an sich. Mit dem Ideal des himmlischen Jerusalems im Hinterkopf ruft Jeremia das Volk Israel auf, sich zu integrieren, anzupacken, Verantwortung zu übernehmen und für die Menschen zu beten. Denn Gott will ihr Bestes! (vgl. Jer 29,7)

Das Lukas-Evangelium erzählt von Pharisäern, die sich auf öffentlichen Plätzen und in der Synagoge präsentieren. Sehen und gesehen werden ist ihnen wichtig. Auf Festen beanspruchen sie Ehrenplätze. Einige von ihnen sind offenbar im Immobiliengeschäft tätig und bringen Witwen um ihre Häuser. Die Bibel verurteilt das. Sich wichtig zu machen, den eigenen Vorteil zu suchen, ist nicht in Ordnung. Sie stellt den Pharisäern eine Witwe gegenüber: sie ist nicht reich, gibt aber für die Armen so viel ihr möglich ist. So funktioniert Miteinander! Wenn die eine auf den anderen achtet und dafür sogar eigene Bedürfnisse zurückstellt. (vgl. Lk 20,45-21,4)

Beispiele lassen sich auch aus dem ländlichen Raum finden: vielleicht denkt der Prophet Amos an den „Garten in Eden“, die „grünen Auen“ oder an den „Ruheplatz am Wasser“, wenn er durch Israel zieht und anprangert, dass Leute ausgebeutet und versklavt werden. Es sei ungerecht, dass sie für einen Hungerlohn schuften müssen, damit andere im Überfluss leben können. Was der Boden hervorbringt, ist doch für alle da!
Selbst der Boden an sich ist ein Thema der Bibel: das Buch Levitikus sieht ein Sabbatjahr für die Felder vor. Im siebten Jahr sollen sie nicht bebaut werden. Schließlich muss sich auch die Natur immer wieder erholen können. (vgl. Lev 25)

Heute beginnt die ARD-Themenwoche „Stadt.Land.Wandel.“ und die Bibel hat einiges dazu zu sagen: sie beschreibt das Paradies als das Beste aus dem Stadt- und Landleben. Das klingt erst mal groß und weit weg. Aber diese Ideale haben eine enorme Kraft:
Mit ihnen im Hinterkopf motiviert Jeremia Menschen, aufeinander zuzugehen, sich aufeinander einzulassen und so das Miteinander zu verbessern. Die Witwe bringt ein, was sie nur kann – und bewirkt damit etwas. Amos macht den Mund auf und protestiert gegen Unrecht. Und Levitikus schützt die Umwelt, die so zerbrechlich ist.
Wenn ich mich also auf diese Ideale der Bibel einlasse, entdecke ich so manches, was ich tun und verändern kann, um das Paradies runterzubrechen und näher ins Hier und Jetzt zu holen. Eben so, wie es jene Leute aus der Bibel getan haben – in der Stadt und auf dem Land.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=34253
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