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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

20FEB2023
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Ich war 10 Jahre alt als meine Eltern den ersten schwarz-weiß-Fernseher gekauft haben. Tagsüber sind damals keine Sendungen im Fernsehen gelaufen. Außer zum Beispiel am Rosenmontag. Da sind die Umzüge aus Mainz, Köln und Düsseldorf übertragen worden. Der Fernseher war dann auch bei uns schon am frühen Nachmittag an. Meine Mutter war gespannt darauf, welche Politiker dieses Jahr durch den Kakao gezogen würden. Als Kind war ich manchmal schockiert, wie übertrieben da Leute wie der Bundeskanzler dargestellt worden sind, den ich sonst ja nur in Anzug und Krawatte kannte. Später habe ich verstanden warum: An Karneval, Fasching und Fasnacht wird die Ordnung der Welt nach menschlichen Maßstäben auf den Kopf gestellt. Die närrischen Tage werden, je nachdem wo man lebt, unterschiedlich bezeichnet und gefeiert. Für alle gilt aber: Sie haben christliche Wurzeln. Ihren gemeinsamen Ursprung haben sie im Mittelalter. Beim „Fest der Narren“ sind fromme Priester und hoch angesehene Bürger mit Masken durch die Straßen gezogen und haben sich lustig gemacht über Gott und die Welt. Es gab sogar einen Festvorsteher, einen sogenannten „Spottkönig“ oder einen „Bubenbischof“. Selbst hohe Persönlichkeiten haben damit rechnen müssen, auf den Arm genommen zu werden. Das ist bis heute so: Die Macht der Regierenden wird in Frage gestellt. Ganz lebendig ist dieser Brauch eben bei den Rosenmontagszügen im Rheinland. 2020 zum Beispiel ist eine Figur von US-Präsident Donald Trump auf einem Wagen als römischer Kaiser und Brandstifter Nero durch die Straßen gerollt. Sehr wahrscheinlich werden wir heute Wladimir Putin auf den Themenwagen erkennen.

Was mich als Kind schockiert hat, tut mir heute gut. Menschen die ihre Macht missbrauchen, werden vorgeführt und so überzeichnet, dass ich sogar darüber lachen kann. Mit Humor kann ich manchmal tatsächlich leichter ertragen was wahr und unrecht ist. Nicht zufällig wird Jesus in der Kunst auch als Narr dargestellt. Als einer, der eine verkehrte Welt verkündet. Veränderte Machtverhältnisse. Eine Welt, in der die Ersten die Letzten sein werden und die Letzten die Ersten. Die närrischen Tage verändern unsere Machtverhältnisse nicht.

Aber sie halten meine Sehnsucht wach: Eine andere Welt ist möglich.

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Anstöße sonn- und feiertags

19FEB2023
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Ich bin gesegnet. Gott schaut liebevoll auf mich. Er will, dass mein Leben gelingt. Er beschützt und hält mich. Das glaube ich. Und das spüre ich. Besonders in dem Moment im Gottesdienst, wenn der Pfarrer seine Hände ausstreckt mich segnet und mir zusagt: „Du bist behütet und getragen. Du bist geliebt und kannst ein Segen für andere sein.“ Manchmal segnen auch Eltern, Großeltern oder Ehepartner ihre Liebsten. Mich hat eine Geschichte sehr berührt, die davon erzählt, wie ein Großvater seine Enkelin segnet.

Diese Geschichte geht so: Rahel hat jeden Freitagnachmittag ihren Opa besucht. Wenn die beiden ihren Tee getrunken hatten, stellte der Großvater zwei Kerzen auf den Tisch und zündete sie an. Dann hat er mit Gott gesprochen: auf Hebräisch. Rahel saß da und wartete geduldig, denn sie wusste, jetzt würde gleich der beste Teil der Woche kommen. Wenn der Großvater nämlich damit fertig war, mit Gott zu sprechen, hat er zu Rahel gesagt: “Komm her geliebte kleine Seele“. Das kleine Mädchen hat sich vor ihn hingestellt und er hat sanft die Hände auf ihren Kopf gelegt. Er hat dann immer irgendwelche Dinge angesprochen, mit denen Rahel sich im Verlauf der Woche herumgeschlagen hatte und hat Gott etwas Echtes über sie erzählt. Wenn sie während der Woche etwas angestellt hatte, dann hat er ihre Ehrlichkeit darüber gelobt, die Wahrheit gesagt zu haben. Wenn ihr etwas misslungen war, hat er voller Anerkennung darüber gesprochen, wie sehr sie sich bemüht hatte. Und dann hat er ihr seinen Segen gegeben. Rahel sagt selbst:Diese kurzen Momente waren in der ganzen Woche die einzige Zeit, in der ich mich völlig sicher und in Frieden fühlte.“

Diese Geschichte hat mich darin bestärkt, selbst mit Menschen so zu sprechen, dass sie spüren, welch ein Segen sie sind. Es tut mir und ihnen gut, liebevoll auf sie zu schauen und etwas Echtes über sie zu sagen. Also etwas, das sie als Person esonders und glaubwürdig macht. Zum Beispiel meinem Vater. Wie wichtig er auch mit seinen 88 Jahren für andere noch ist, weil er so warmherzig und ehrlich mit Menschen spricht dass sie ihm vertrauen. Oder meinem jungen Kollegen in der Schule. Weil er mit den Kindern so aufrichtig umgeht, dass sie sich ernst genommen fühlen.

Der Segen meines Großvaters" von Rachel Naomi Remen aus "Der andere Advent 2013"

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

05NOV2022
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Es gibt Konflikte, die kann man nicht lösen. Das kann bitter sein. Ich habe das mit einer Freundin erlebt. Ihr Partner hatte sich von ihr getrennt und sie wollte, dass ich über diese Trennung denke wie sie selbst. Das konnte ich nicht. Briefe gingen hin und her. Am Ende waren wir beide enttäuscht und wütend. Wir haben alles versucht und uns nicht verstanden. Wir sprechen beide Deutsch und doch hat es sich so angefühlt, als würde eine von uns chinesisch sprechen. Ich habe mich schuldig gefühlt und mich gefragt: Habe ich wirklich alles versucht? Habe ich mich genügend in ihre Situation eingefühlt? Soll ich doch nochmal ein Gespräch suchen?

Mit all den Selbstzweifeln habe ich einer Seelsorgerin von diesem ungelösten Konflikt erzählt. Sie hat als erstes vorgeschlagen: „Wie wäre es, wenn Sie sich für einen Augenblick sich selbst zuwenden? Schauen Sie sich an. Sie sind eine gewissenhafte Frau. Sie haben ihren eigenen Worten nach alles versucht. Sie wissen, dass Sie mit Bedacht die Worte gewählt haben und dass Sie gut ausdrücken können, was in Ihnen vorgeht. Sie haben ihrer Freundin viel Zeit und Aufmerksamkeit geschenkt. Also: Wenn es Ihnen möglich ist, haben Sie jetzt Mitgefühl mit sich selbst. Mit der Frau, die an sich selbst zweifelt. Die traurig ist, weil sie sich nicht verständlich machen kann.“

Ein ungewöhnlicher Perspektivwechsel. Es war eine ganz neue Erfahrung für mich, Mitgefühl mit mir selbst zu haben. Deshalb war mir das zunächst fremd. Ich habe aber gleichzeitig erlebt, dass sich etwas in mir verändert.

Es hat mir gut getan, mit mir zu fühlen. Wahrzunehmen und anzuerkennen, wie sehr ich mich angestrengt habe.

Und dann, allmählich, hat sich auch meine Wut auf meine Freundin gelöst. Ich konnte sie sein lassen wie sie ist – ganz anders als ich selbst. Ich war trotzdem traurig darüber, wieder einmal zu erleben, dass es das gibt. Ich kann nicht jeden Konflikt lösen. Ich kann mich eben nicht immer verständlich machen und werde auch nicht immer verstanden.

Ich habe losgelassen – und es ist friedlich geworden in mir. Ich erinnere mich gerne an meine Freundin, obwohl wir nichts mehr voneinander hören. Und der Konflikt mit ihr hat mir eine wertvolle Lektion erteilt. Es ist wichtig, mit mir selbst ebenso aufmerksam zu sein wie mit meinen Nächsten.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

04NOV2022
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Ich höre die Sängerin schon von weitem und folge ihrer klaren, anmutigen Stimme. Sie singt ganz alleine. Unter einem Mauerbogen vor dem Salzburger Dom. Die Frau ist jung und trägt einen dunkelblauen langen Rock. Er glänzt und bewegt sich mit dem leichten Wind, der vor dem Domplatz weht. Die Musik, die sie begleitet, kommt aus ihrem Handy. Fast unbemerkt holt sie es aus ihrer Rocktasche und ebenso unauffällig lässt sie es dorthin zurückgleiten. Manche Stücke kenne ich, andere nicht. Verzaubert bin ich eine kleine Ewigkeit stehen geblieben. Es war eine Szene, die sich mir eingeprägt hat. Fahrräder sind an der Frau vorbei gerollt, Menschen waren zu Fuß auf dem Weg in die Mittagspause oder sonst wohin. Es war laut und heiß. Für mich ist dort vor dem Dom einen Augenblick lang die Welt still gestanden. Der Himmel war offen, der Boden heilig. Die junge Frau hat mir das Herz geöffnet. Ich habe sie nach ihrem Namen gefragt und wollte wissen, wo sie lebt. Lucia kommt aus Prag. Ihr Name könnte kaum besser zu ihr passen, habe ich damals gedacht: Denn der Name Lucia bedeutet: die Licht bringende, die Leuchtende.

Dorothee Sölle ist mir später zu diesem Moment eingefallen. Die große Theologin. In einem ihrer Texte erinnert sie eine Szene, die sich auf einer Reise zugetragen hatte. Sie besuchte mit ihren Kindern eine Kirche, eine ziemlich hässliche. Und eines ihrer Kinder sagte spontan: „Ist kein Gott drin.“ Ihren Kindern hat Dorothee Sölle gesagt: Genau das soll in euerm Leben nicht so sein. Es soll „Gott drin sein“ am Meer und in den Wolken, in der Kerze, in der Musik und, natürlich, in der Liebe.“

Dass „Gott drin ist“ in Lucia aus Prag kann ich hören und sehen. Wenn sie singt, wie sie lächelt und sich über Beifall freut. Wenn ihre Füße anmutig nebeneinander stehen. Ich kann spüren, dass „Gott drin ist“ im Sommerwind, der Lucias dunkelblauen Rock bewegt.

Es gibt viele Zeiten in meinem Leben, in denen ich Gott nirgendwo spüre. Umso wertvoller ist die große Sammlung der Augenblicke, die mir den Himmel öffnen – wie an jenem Mittag Lucia aus Prag. Diese Momente sind wie Fenster, die mich sehen lassen, dass Gott überall drin ist. Auch wenn ich es nicht immer wahrnehmen kann.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

03NOV2022
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Mein Wasserhahn in der Küche hat gespritzt. Mehr als ein Jahr. Den Wasserhahn in der Küche benutze ich oft. Deshalb habe ich mich jeden Tag auch mehrmals aufgeregt, weil ich anschließend die Arbeitsplatte und die Kacheln hinter dem Wasserhahn trocknen musste. Zwei Mal habe ich immerhin versucht, das kleine Sieb sauber zu machen das für die Spritzerei zuständig war. Ohne Erfolg. Und dann kam meine Schwester zu Besuch. Einmal Geschirrspülen mit dem Wasserhahn hat ihr gereicht. Sie hat das Sieb rausgenommen, angeschaut und festgestellt: „Das ist kaputt. Du brauchst ein neues. Kriegst du im Baumarkt. Wenn du unsicher bist, frag dort einen Mitarbeiter.“ Ich hab nicht mal gewusst, dass so ein Wasserhahnsieb ein einfaches Ersatzteil ist. Klingt komisch – aber ich war mit dieser Situation irgendwie überfordert.

Das neue Wasserhahnsieb ist auf seine Weise ein Geschenk des Alltags für mich. Es erinnert mich daran, dass ich manchmal Hilfe von anderen Menschen brauche, um ein Problem zu lösen. Ich muss aber nicht darauf warten, bis jemand kommt, der das bemerkt. Ich kann viel früher einfach jemanden fragen. Das kleine Sieb ist außerdem eine Lektion zum Thema „Energie sparen“: Es lohnt sich meistens, wenn ich mich sofort um ein Problem kümmere. Über ein Jahr hat mich dieses kleine Ding jeden Tag mehrfach beschäftigt. Das war unnötig und hat mich viel Energie gekostet. Sogar in doppelter Hinsicht. Denn es gibt heute Siebe, durch die in einer Minute deutlich weniger Wasser rinnt als durch mein Altes.

Warum passiert mir das trotzdem immer wieder? Dass ich Dinge auf die lange Bank schiebe? Nicht nur vermeintlich kleine, wie das defekte Wasserhahnsieb. Auch dem klärenden Gespräch mit einer Kollegin bin ich aus dem Weg gegangen; weil ich Angst davor hatte. Was ich ihr sagen wollte, war unangenehm. Und dann habe ich mich doch dazu aufgerafft. Anschließend war ich richtig erleichtert! Wir haben einander zuhören können, uns ausgetauscht und verstanden. Das hätte ich früher haben können. Wenn ich mich getraut hätte.

Dieses Gefühl bewahre ich mir: die Erleichterung am Ende, wenn der Wasserhahn nicht mehr spritzt und der Konflikt gelöst ist. Dann fällt es mir hoffentlich beim nächsten Mal leichter, kleine und große Probleme schneller anzupacken.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

02NOV2022
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Mir war sofort klar, dass Uli mir etwas Wichtiges sagen will. In einer Whatsapp hat er mir geschrieben: „Ich würde gerne mit dir telefonieren dieser Tage.“ Uli ist ein sehr guter Freund. Er war an Krebs erkrankt. Während die Ärzte den Tumor untersucht haben, hat Uli zwei Wochen lang damit gerechnet, dass er nur noch ein Jahr leben wird. Wir haben dann miteinander telefoniert. Zu diesem Zeitpunkt hat er schon gewusst: Es bleibt ihm wahrscheinlich doch noch mehr Zeit. Aber sicher war trotzdem nichts mehr.

Gegen Ende unseres Gesprächs habe ich Uli gefragt, wie es ihm jetzt geht nach den Wochen der Ungewissheit und der ersten Chemotherapie. Seine Antwort hat einen tiefen Eindruck in mir hinterlassen. Ich erinnere mich an jedes Wort. Er hat gesagt:

„Es geht mir sehr gut. In den zwei Wochen, in denen ich dachte dass ich nur noch ein Jahr leben werde, habe ich sehr viel mit meiner Frau gesprochen. Mein ganzes Leben ist an mir vorbeigezogen. Meine Studienjahre, als die Kinder klein waren. Alle Entscheidungen, die ich getroffen habe, Menschen die mich berührt haben, sind aufgetaucht. Mein Fazit hat mich selbst erstaunt. Ich habe gemerkt, dass ich jederzeit bereit bin, zu gehen. Ich kann sterben. Im Frieden gehen. Nichts ist offen. Es gibt keine ungelösten Konflikte. Keine alten Rechnungen. Ich bin aufgeräumt. Es wäre sehr schade, wenn ich gehen muss. Ich habe in den letzten Wochen sehr bewusst erlebt, wie gut ich es mit meiner Frau und meinen Söhnen habe. Das Leben ist so großartig trotz allem. Ganz ehrlich, diese Erkrankung ist auch ein Geschenk.“

Ich weiß: Es gibt viele Menschen, die das so nicht sagen können. Die leiden, weil sie schwer krank sind und die Angst haben vor dem Tod. Ich weiß auch nicht, wie es mir gehen würde, wenn ich so eine Diagnose bekäme. Aber mich beschäftigt seit der Erfahrung mit Uli die Frage: Was brauche ich um innerlich im Frieden zu sein. Mir sind vor allem Beziehungen zu Menschen eingefallen. Die kostbaren Beziehungen wie die zu meinem Sohn und seiner Familie. Oder zu meinen Freundinnen. Vor allem aber auch ungeklärte Beziehungen, die abgebrochen sind ohne Abschied. Zum Beispiel die zu einer Freundin in der Schweiz. Ich werde versuchen, sie wieder aufzunehmen. Und mir öfter bewusst machen, wie wichtig für meinen inneren Frieden klare Beziehungen zu Menschen sind.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

31OKT2022
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„Hier stehe ich und kann nicht anders.“ Der Satz wird Martin Luther zugeschrieben. Ob er ihn wirklich so gesagt hat, weiß man nicht. Auf jeden Fall fasst er zusammen wie Martin Luther seinen Widerstand ausdrücken wollte. Er hat vor mehr als 500 Jahren gegen die katholische Kirche protestiert, weil sie die Menschen klein gemacht und ausgenutzt hat. Der Tenor der Kirche war damals: “Gottes Liebe müsst ihr euch erkaufen. Für die Vergebung eurer Sünden müsst ihr bezahlen. Dann könnt ihr der Hölle entkommen.“ Das hat Martin Luther empört. Er war Theologieprofessor in Wittenberg, hat die lateinische Sprache verstanden und deshalb auch, was in der Bibel wirklich stand. Er hat erkannt: Die Botschaft der katholischen Kirche hat mit der Botschaft Jesu nichts zu tun. Seine Kritik hat er in den berühmt gewordenen 95 Thesen aufgeschrieben. Am 31. Oktober 1517 soll er diese Thesen eigenhändig an die Kirchentür von Wittenberg genagelt haben.

Vor zwei Jahren bin ich selbst vor dieser Tür gestanden. Und habe in Wittenberg viele Spuren von Luthers Protest gefunden. An diesem historischen Ort ist mir sehr bewusst geworden, was damals eigentlich passiert ist. Martin Luther war klug und mutig. Er hat gesagt, was er durch sein Studium gelernt hat; wovon er überzeugt war; was er falsch gefunden hat. Und er hat die Konsequenzen auf sich genommen: Ausschluss aus der Kirche, weggesperrt auf der Wartburg. Ohne zu wissen, ob sein Protest wirken wird.

Ich verdanke Martin Luther, dass ich an einen Gott glauben kann, der mich annimmt, wie ich bin. Für den ich keine Leistungen vollbringen muss, um geliebt zu sein.

Seit ich vor der Tür in Wittenberg gestanden bin, an die er seinen Protest genagelt hat, bin ich bewusst dankbar für Luthers Mut. Dafür, dass er sich gewehrt hat, weil Menschen von der Kirchenleitung unterdrückt und klein gemacht worden sind.

„Hier stehe ich und kann nicht anders“- vielen die heute aufstehen in der katholischen Kirche, zum Beispiel für die Gleichberechtigung von Frauen, für Reformen in der Sexualmoral und anderes, wird es ähnlich gehen. Keiner kann sagen, wie und wann Protest wirkt. Aber der Mut zum Widerstand hat einen Wert an sich. Weil er sichtbar macht, was sich zum Wohl von Menschen verändern muss. Daran erinnert uns der Reformationstag.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

09APR2022
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Letztes Jahr haben mir die Kinder in der Schule einen Adventskalender geschenkt. Damit ich mich jeden Tag mindestens einmal freuen kann. Weil Corona Schultage noch anstrengender sind. Zu dem Zeitpunkt haben wir jeden Tag damit gerechnet, dass die Schulen wieder geschlossen werden. Wir waren alle verunsichert, genervt, ungeduldiger als sonst. Ich hatte offenbar viele Tage nicht einmal gelächelt. So hat das ein Kind seiner Mutter erzählt. Wohl nicht zufällig habe ich im Adventskalender an einem Tag folgende Geschichte gefunden:

„Es war einmal ein Bauer. Der steckte jeden Morgen eine Handvoll Bohnen in seine linke Hosentasche. Immer, wenn er während des Tages etwas Schönes erlebt hat, wenn ihm etwas Freude bereitet hat, er einen Glücksmoment empfunden hat – etwas, wofür er dankbar war – nahm er eine Bohne aus der linken Hosentasche und gab sie in die rechte.

Am Anfang kam das nicht häufig vor. Aber von Tag zu Tag wurden es mehr Bohnen, die von der linken in die rechte Hosentasche wanderten. Der Duft der frischen Morgenluft, der Gesang der Amsel auf dem Dachfirst, das Lachen seiner Kinder, das nette Gespräch mit einem Nachbarn. Immer dann kam eine Bohne von der linken auf die rechte Seite. Bevor er am Abend zu Bett ging, betrachtete er die Bohnen in seiner rechten Hosentasche. Bei jeder Bohne konnte er sich an ein schönes Erlebnis erinnern. Dann schlief er zufrieden und glücklich ein. Auch an den Tagen, an denen er nur eine einzige Bohne in seiner rechten Hosentasche fand.“

Ich habe diese Geschichte aus dem Adventskalender als Hausaufgabe empfunden und sie jeden Tag mit den Kindern gemeinsam gemacht. Zu Schulbeginn am Morgen und nachmittags haben wir uns von den Bohnen erzählt, die in unserer rechten Hosentasche gelandet sind. Den Kindern ist aufgefallen: „Ich habe richtig gut geschlafen und bin schon fröhlich aufgewacht.“ „Mir hat das Morgenrot am Himmel heute so gefallen.“ „Ich bin glücklich, dass wir in den Pausen keinen Streit hatten.“ Ich bin zufrieden, weil ich heute so gut gearbeitet habe.“ Die kleine Geschichte von den Bohnen ist eine tolle Übungsaufgabe. Erst recht in schwierigen Zeiten. Wenn uns schlechte Nachrichten jede Freude rasch verderben können. Sie hilft uns, aufmerksam zu bleiben. Und dankbar zu sein, für alle großen und kleinen Dinge, die jeder Tag für uns bereithält.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

08APR2022
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Der Prophet Jesaja hatte die große Gabe zu trösten. Er konnte das, weil er Gott vertraut hat. Er glaubte den Geschichten, die seit Jahrtausenden vom treuen Gott erzählen - auch wenn die Wirklichkeit scheinbar dagegen sprach. Das war seine Hoffnung und Zuversicht: Die Situation seines Volkes wird sich wieder verändern. Dass Gott seinen Landsleuten nah ist, hat Jesaja ihnen in wenigen kurzen Sätzen so zugesagt:

„Fürchte dich nicht, denn ich bin mit dir. Hab keine Angst, ich helfe dir, ich mache dich stark, ich halte dich.“

Diese tröstenden Sätze stehen im Alten Testament. Die Menschen damals haben wahrhaftig Trost gebraucht. Nach einem Krieg haben sie ihr Land verlassen müssen und als Gefangene im Exil gelebt. Sie waren verunsichert, verängstigt und orientierungslos. Haben selbst nicht weitergewusst. Waren wie gelähmt. Hin- und her gerissen zwischen verschiedenen Kulturen und Glaubensrichtungen. Viele von ihnen haben resigniert, hatten genug vom Leben. Jesaja aber war zuversichtlich und hat es geschafft, seine Landsleute aus der Resignation herauszureißen. Mit großem Einfühlungsvermögen hat er sich in sie hineinversetzt. Er hat ihnen zugehört. Er hat sich ihren Zweifeln und Fragen gestellt auch wenn er zunächst keine Antwort parat hatte. Auch er hat immer wieder neu nachdenken müssen. Aber er hat den Mut gehabt, schwierige Fragen zuzulassen. Ein Krisenberater im besten Sinn. Keine billigen Vertröstungen, die ihm sowieso niemand abgenommen hätte, keine falschen Hoffnungen.

Trost ist einer der Namen Gottes - Hoffnung auch. Trösten und hoffen können Menschen, auch wenn sie nicht glauben wie Jesaja. Aber angewiesen auf Trost und Hoffnung sind wir alle. Gott sei Dank gibt es auch heute Menschen, die uns sagen:

Fürchte dich nicht, denn ich bin mit dir. Hab keine Angst, ich helfe dir, ich mache dich stark, ich halte dich. Solche Tröster und Trösterinnen sind für mich in diesen Tagen die vielen Menschen, die den Geflüchteten aus der Ukraine helfen mit ihrer Not und ihrem Kummer umzugehen. Ihre Unterstützung hat für mich etwas Prophetisches, weil die Helfer mit jedem warmen Kaffee und mit jeder Umarmung auch die Hoffnung austeilen: Eure Situation wird sich wieder ändern.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

07APR2022
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Ich mag den „Bergdoktor“. So heißt eine Fernsehserie, die bis vor kurzem gesendet wurde. Ich habe mich gefragt, warum ich sie so gerne anschaue. Die Kulisse am Wilden Kaiser, sympathische Schauspieler*innen, Liebesgeschichten und vor allem die Familie Gruber. Sie hält zusammen auch wenn das oft alles andere als leicht ist. Heil ist die Gruberfamilie nicht. Es gibt alte Familiengeheimnisse, Trennungen, Existenzängste, Streit zwischen den Brüdern, wie im echten Leben. Richtig beeindruckend finde ich, wie sich alle in dieser Fernsehfamilie für die Kinder anstrengen. Keines der Gruberkinder lebt mit Mama und Papa zusammen. Die Beziehungen zwischen den Erwachsenen sind oft kompliziert. Klar ist aber immer: Die Kinder sollen so wenig wie möglich darunter leiden. Vielleicht kennt der Drehbuchautor die Bitten an geschiedene Eltern.

Sie beschreiben, was Kinder brauchen, wenn Eltern sich trennen. Und diese Bitten gehen so:
„Liebe Mama, lieber Papa, vergesst nie: ich bin das Kind von euch beiden. Wenn ihr euch trennen wollt, ist das eure Sache. Ich habe euch beide gleich lieb. Ich will mich von keinem von euch trennen und ich will keinen von euch verlieren. Bitte sorgt dafür, dass ich immer zu meiner Mutter und zu meinem Vater nach Hause kommen kann. Und macht den anderen nicht schlecht vor mir, denn das tut mir weh.

Redet miteinander wie erwachsene Menschen und benutzt mich nicht als Boten zwischen Euch.
Verplant nie die Zeit, die mir mit meinem anderen Elternteil gehört. Ein Teil meiner Zeit gehört meiner Mutter und mir und ein Teil meinem Vater und mir. Haltet euch daran.
Streitet nicht vor mir. Seid wenigstens so höflich, wie ihr es zu anderen Menschen seid und wie ihr es auch von mir verlangt. Und erzählt mir nichts von Dingen, die ich noch nicht verstehen kann.
Einigt euch fair übers Geld. Ich möchte nicht, dass einer von euch viel Geld hat – und der andere ganz wenig. Für mich ist Zeit viel wichtiger als Geld.“

All das ist natürlich leichter gesagt als getan. Aber es lohnt sich, immer wieder neu überlegen: was brauchen die Kinder. Sie haben ein Recht darauf, dass ihre Eltern sich für sie anstrengen. Und sie werden es ihnen danken.

Quelle: http://www.karin-jaeckel.de/werhilft/waskinderwollen2.html

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