Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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05NOV2022
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Es gibt Konflikte, die kann man nicht lösen. Das kann bitter sein. Ich habe das mit einer Freundin erlebt. Ihr Partner hatte sich von ihr getrennt und sie wollte, dass ich über diese Trennung denke wie sie selbst. Das konnte ich nicht. Briefe gingen hin und her. Am Ende waren wir beide enttäuscht und wütend. Wir haben alles versucht und uns nicht verstanden. Wir sprechen beide Deutsch und doch hat es sich so angefühlt, als würde eine von uns chinesisch sprechen. Ich habe mich schuldig gefühlt und mich gefragt: Habe ich wirklich alles versucht? Habe ich mich genügend in ihre Situation eingefühlt? Soll ich doch nochmal ein Gespräch suchen?

Mit all den Selbstzweifeln habe ich einer Seelsorgerin von diesem ungelösten Konflikt erzählt. Sie hat als erstes vorgeschlagen: „Wie wäre es, wenn Sie sich für einen Augenblick sich selbst zuwenden? Schauen Sie sich an. Sie sind eine gewissenhafte Frau. Sie haben ihren eigenen Worten nach alles versucht. Sie wissen, dass Sie mit Bedacht die Worte gewählt haben und dass Sie gut ausdrücken können, was in Ihnen vorgeht. Sie haben ihrer Freundin viel Zeit und Aufmerksamkeit geschenkt. Also: Wenn es Ihnen möglich ist, haben Sie jetzt Mitgefühl mit sich selbst. Mit der Frau, die an sich selbst zweifelt. Die traurig ist, weil sie sich nicht verständlich machen kann.“

Ein ungewöhnlicher Perspektivwechsel. Es war eine ganz neue Erfahrung für mich, Mitgefühl mit mir selbst zu haben. Deshalb war mir das zunächst fremd. Ich habe aber gleichzeitig erlebt, dass sich etwas in mir verändert.

Es hat mir gut getan, mit mir zu fühlen. Wahrzunehmen und anzuerkennen, wie sehr ich mich angestrengt habe.

Und dann, allmählich, hat sich auch meine Wut auf meine Freundin gelöst. Ich konnte sie sein lassen wie sie ist – ganz anders als ich selbst. Ich war trotzdem traurig darüber, wieder einmal zu erleben, dass es das gibt. Ich kann nicht jeden Konflikt lösen. Ich kann mich eben nicht immer verständlich machen und werde auch nicht immer verstanden.

Ich habe losgelassen – und es ist friedlich geworden in mir. Ich erinnere mich gerne an meine Freundin, obwohl wir nichts mehr voneinander hören. Und der Konflikt mit ihr hat mir eine wertvolle Lektion erteilt. Es ist wichtig, mit mir selbst ebenso aufmerksam zu sein wie mit meinen Nächsten.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=36434
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