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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

02DEZ2023
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Es war letztes Jahr, mitten im Advent. Ich stehe am Postschalter und rege mich auf, weil ich lange warten muss. Ich hab’s außerdem ziemlich eilig und die Päckchen sollen ja rechtzeitig vor Weihnachten ankommen. Ich bin gestresst, getrieben – und eigentlich sauer auf mich, dass ich so bin.

Jetzt ist wieder Advent. Morgen zünde ich die erste Kerze am Adventskranz an. Die Situation am Postschalter vom letzten Jahr fällt mir pünktlich zu Beginn der Adventszeit wieder ein. Vielleicht auch deshalb, weil mir das so oder ähnlich immer wieder passiert. Eigentlich wäre ich in solchen Stress-Momenten viel lieber gelassen. Weil ich sie ohnehin nicht ändern kann. Und weil sie mich Kraft kosten. Völlig unnötig. Damals habe ich mit einer Seelsorgerin darüber gesprochen, wie ich mich erlebt habe.

Ihre erste Frage war: „Sind Sie bereit für ein Experiment?“ Ich lasse mich darauf ein und bin überrascht. Ich soll die Situation zunächst genau so nehmen, wie sie war. In diesem Fall bedeutet das: bewusst erleben wie getrieben ich mich gefühlt habe und wie atemlos ich war. Ohne das zu bekämpfen und schrecklich zu finden. Das ist schwierig. Denn viel lieber will ich ja eben nicht fühlen, wie gestresst ich bin. Umso erstaunlicher, was ich dabei erlebe: Wenn ich zulassen kann, was ist, ohne das zu bewerten, werde ich schon ruhiger. Ich kann tief durchatmen und bei mir ankommen. Schon nach wenigen Minuten habe ich wieder fühlen können, dass ich mehr bin als diese Frau, die gerade gestresst und erschöpft am Postschalter steht. So als wäre ich aus einem engen, dunklen Raum durch eine Tür gegangen in einen anderen Raum, der grenzenlos ist, hell und still. Ich habe Abstand gewonnen zu der gestressten Frau. Und dieser kleine Abstand hat genügt, um ruhig zu werden und mich wieder lebendig zu fühlen.

Ich nenne diesen hellen Raum meine Mitte. Ich gelange zu ihm, wenn ich Situationen genau so nehme, wie sie sind. Es ist ein Raum in dem ich einverstanden bin mit mir. Es ist ein Raum, in dem ich erlebe, dass Gott in meinem Leben, in mir selbst da ist. Und dieses Ankommen bei mir selbst und bei Gott ist zutiefst adventlich.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

01DEZ2023
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Mein Adventskranz hat rote Kerzen. Jedes Jahr. Weil mir die Kombination aus Rot und Grün am besten gefällt. Der erste Adventskranz, den es jemals gab, sah ganz anders aus. Er ist auf einem alten Wagenrad entstanden und hatte nicht vier, sondern 24 Kerzen. Johann Hinrich Wichern hat ihn erfunden. Er war vor fast 200 Jahren evangelischer Pastor in Hamburg. Und hat dort für Kinder und Jugendliche aus den Armenvierteln Hamburgs eine Wohngemeinschaft gegründet. Er hat daran geglaubt, dass jeder Mensch von Gott gewollt und geliebt wird. Dass sich jedes dieser Kinder in seiner Wohngemeinschaft gut entwickeln wird, wenn es in einer liebevollen Umgebung aufwächst. Pastor Wichern hat Licht in das Leben von vielen Kindern gebracht. Dass er den Adventskranz sozusagen erfunden hat, ist einfach nur passend und eine echte Adventsgeschichte. Wie alle Kinder, bis heute, haben sich auch seine Kinder damals auf Weihnachten gefreut. Sie haben den Pastor oft gefragt, wie viele Tage es noch dauert bis zum Heiligen Abend. Deshalb ist er auf die Idee gekommen, ab dem 1. Dezember jeden Tag eine Kerze anzuzünden und den Kindern zu sagen: Weihnachten ist, wenn alle 24 Kerzen brennen.

Während es draußen immer dunkler wird, wird es drinnen mit jeder Kerze heller. Genau das passiert auch bei mir im Klassenzimmer. 24 Kerzenständer stehen ab dem 1. Dezember auf dem Tisch in der Mitte des Klassenzimmers. Aus Brandschutzgründen müssen es kleine LED Lichtlein sein. Morgens um acht zünden wir jeden Tag ein Licht mehr an und erleben, wie es im Klassenzimmer immer heller wird. Dazu darf immer ein Kind sein Adventssäckchen aufmachen. Dort findet es neben kleinen Leckereien ein Kompliment. Gute Worte, die dem Kind sagen, was wir an ihm schätzen und mögen. Alle Kinder sind gespannt, was da steht und immer leuchten die Augen. Denn da stehen Sätze wie: „Du hast eine gute Seele“ oder „Wir finden toll, dass du niemanden ausgrenzt“. Sätze, die davon erzählen, wie jedes Kind dazu beiträgt, dass unsere Gemeinschaft im Klassenzimmer gelingt. Es sind gute Worte, bei denen es den Kindern und mir warm um’s Herz wird. Und wir erleben, was mit dem inneren Licht gemeint ist, das in jedem Menschen wohnt.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

30NOV2023
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Putzen kann jeder. Sagt man so. Seitdem Frau Kara nicht mehr unser Klassenzimmer putzt, mache ich andere Erfahrungen. Frau Kara hat ihre Arbeit gerne gemacht. Sie hat gewusst, dass ihre Arbeit wichtig ist. Mindestens fünf verschiedene Männer und Frauen haben nach ihr den Job gemacht. Mehr oder weniger. Zuletzt ein Mann, mit dem ich mich kaum verständigen konnte. Er hat die Mülleimer geleert, die Papierhandtücher und den Seifenspender aufgefüllt. Hat sich bemüht. Das habe ich gesehen. Er hat den Boden nass gewischt aber dabei den Dreck eigentlich nur verteilt. Der junge Mann hat unglücklich auf mich gewirkt. Ich habe mich gefragt, wie er wohl lebt? Ob seine Familie in der Nähe ist? Was er in seiner Heimat gemacht hat? Gleichzeitig war ich stinksauer. Soll ich jetzt auch noch selber das Klassenzimmer putzen? Es kann ja wohl nicht wahr sein, dass die Stadt keine Reinigungskräfte findet, die ihre Schulen ordentlich putzen. Leider ist es so. Weil kaum jemand diese Arbeit gerne macht. Sie ist hart, nicht gut bezahlt und, gesellschaftlich wenig anerkannt.

Dass es auch anders geht, zeigt eine Initiative in Berlin. Katharina Florian hat eine „Kehr-Revolution“ gestartet. Wertschätzung für Reinigungsarbeiten ist ihr Motto. Das wirkt sich auf die Bedingungen aus, unter denen die Frauen und Männer bei kehrwork1 arbeiten. Reinigungskräfte werden fest und sozialversichert angestellt. Sie erhalten einen fairen Lohn. Kehrwork als Firma ist zudem Teil eines politischen Netzwerks. Mitarbeiter*innen werden unterstützt, wenn sie einen Sprachkurs brauchen, psychosoziale Beratung oder eine Rechtsberatung. Katharina Florian ist eine Vorreiterin wenn es um soziale Nachhaltigkeit geht. Sie sagt: „Ich will versuchen herauszufinden, wie bereit wir als Gesellschaft sind, sozial nachhaltige Arbeitsverhältnisse zu schaffen in Bereichen, die wenig anerkannt und doch so wichtig sind.“

Tübingen ist weit weg von Berlin. Und ganz sicher arbeitet die Stadt Tübingen mit Reinigungsfirmen, die ihre Arbeitskräfte sozial versichert und fest angestellt haben. Aber das reicht nicht. Mir gefällt das Modell von Frau Florian: Menschen brauchen Anerkennung für das, was sie tun. Und sie haben Bedürfnisse, für die sie manchmal die Hilfe anderer brauchen. Wenn wir Reinigungskräfte auch so wahrnehmen, dann wäre es am Ende ein Gewinn für beide Seiten: Die Reinigungskräfte und die Klassenzimmer in unseren Schulen.

1 Kehrwork.de/bist-du-bereit-für-die-kehrrevolution

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

29NOV2023
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Der Krieg im Nahen Osten beschäftigt mich. Jeden Tag. Ich war vor 18 Jahren zu einer Studienreise in Israel. Und habe hautnah erlebt, wie verhärtet der Konflikt ist. Sowohl im Gespräch mit Juden als auch im Gespräch mit Palästinensern habe ich so viel Schmerz und Trauer erlebt. In Tel Aviv habe ich einen Mann getroffen der durch einen Selbstmordattentäter der Hamas seine ganze Familie verloren hat. In Ostjerusalem habe ich eine palästinensische Familie kennen gelernt, deren Haus von Israelis platt gewalzt wurde. Es war schrecklich. Dass es trotz allem immer noch viele Juden und Palästinenser gibt, die friedlich miteinander leben, ist bemerkenswert.

Auf dieser Studienreise damals habe ich Jehuda Bacon kennengelernt. Er hat den Holocaust überlebt, ist inzwischen 94 Jahre alt und lebt noch immer in Jerusalem. Nie wieder hat mich eine Begegnung mehr beeindruckt. Er war 13 als seine ganze Familie in deutschen Konzentrationslagern umgebracht worden ist. Bis heute erinnert er sich an alles, was er erlebt hat und spricht darüber. Ohne Bitterkeit, ohne Vorwürfe, ohne Hass. Wie er das geschafft hat? Er sagt, dass er damals begriffen hat: Unrecht geschieht immer an Menschen. Ganz gleich ob Israeli oder Palästinenser. Außerdem: Hass bringt uns nicht vorwärts und gibt auch keinen Sinn im Leben. Ein Buch über die Geschichte von Jehuda Bacon trägt den Titel: „Solange wir leben, müssen wir uns entscheiden.“ Als Christin und geboren als Deutsche nach 1945 habe ich mich längst entschieden: Mit Gewalt, Hass und Rache will ich keine Konflikte lösen. Das leitet mich bis heute. Auch bei meiner Arbeit in der Schule. Jeden Tag arbeite ich mit Kindern daran, wie wir Konflikte lösen können. Dass wir einen Streit verstehen und schauen, wer welchen Anteil daran hat. Wer wen um Entschuldigung bitten muss und gegebenenfalls für eine Wiedergutmachung sorgen muss. Dabei erlebe ich, wie viel Zeit und Energie wir auch für kleine Konflikte brauchen, wenn z.B. jemand ein anderes Kind beleidigt hat. Weil er dessen Namen veräppelt hat. Und sehr oft erlebe ich, dass die Kinder merken und spüren: Es ist befreiend, sich eben nicht zu rächen und zu hassen.

Jehuda Bacon, Manfred Lütz: Solange wir leben, müssen wir uns entscheiden. Gütersloher Verlagshaus 2016

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

28NOV2023
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Ich war frisch umgezogen. Die neue Wohnung hat mir sehr gut gefallen. Von Anfang an. Gut ein Jahr habe ich da gewohnt. Dann hat mir die Vermieterin wieder gekündigt. Ich war echt schockiert. Schon wieder umziehen mit dem ganzen Stress der damit zusammenhängt. Glücklicherweise habe ich schnell eine neue Bleibe gefunden und auch den Umzug gut geschafft.

Im Rückblick habe ich dann gesehen, was mir in der alten Wohnung gar nicht gut getan hat und dass es besser war nochmal umzuziehen als zu bleiben. Die Vermieterin hat nebenan gewohnt und ich bin mit ihr überhaupt nicht klar gekommen. Irgendetwas habe ich ständig falsch gemacht. Mal hab ich das Auto falsch geparkt, mal die Lüftung im Bad zu lange laufen lassen. Am Ende war sie sogar überzeugt, dass ich von Dämonen besessen bin und hat den Treppenaufgang zu meiner Wohnung regelmäßig mit Räucherstäbchen gereinigt. Eigentlich verrückt. Aber ich habe es nicht geschafft, mich dagegen zu wehren. Stattdessen habe ich alles ausgehalten. Weil ich so verunsichert und gekränkt war.

Erst in der neuen Wohnung hab ich gemerkt, welche Last von mir abgefallen ist. Noch heute bin ich froh über die Kündigung. Es hat gedauert bis ich erkennen konnte, was ich meiner alten Vermieterin auch verdanke. Nie zuvor ist mir so bewusst geworden, was ich bereit bin zu ertragen. Bloß damit ich nicht noch mehr Ärger bekomme. Letztlich bin ich daran gewachsen. Noch immer merke ich nicht gleich, wenn ich etwas aushalte, das mich verunsichert oder sogar kränkt. Aber wenn ich das bemerke, versuche ich so schnell wie möglich etwas zu verändern.

Außerdem gehe ich inzwischen mit Menschen anders um, wenn sie mich einschüchtern oder wenn ich mich über sie aufrege. Ich weiß, ich muss sie nicht verstehen, ich kann sie auch nicht ändern. Ich muss sie nicht mögen. Ich darf mich ärgern und muss nichts auf mir sitzen lassen. Trotzdem muss ich sie nicht hassen. Und gleichzeitig kann ich versuchen zu verstehen, was ein anderer in mir auslöst. Warum ich so reagiere wie ich es tue. Und was ich daran verändern will.

Ich habe gelernt: Auch Menschen, wie meine alte Vermieterin sind für mein Leben wichtig. Ich kann erkennen, dass sie mir die Möglichkeit eröffnen, zu wachsen.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

27NOV2023
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Es war nur ein kurzer Anruf am frühen Morgen. Danach ist alles anders. Annes alte Mutter war gestürzt. Anne ist eine Freundin und erzählt, was sie innerhalb kürzester Zeit organisieren muss. Schon die täglichen Besuche im Krankenhaus sind eine Herausforderung. Außerdem ist schnell klar, dass ihre Mutter nicht weiter alleine in ihrer Wohnung leben kann. Also muss Anne nebenbei noch einen Pflegeplatz suchen. Das alles, obwohl die Beziehung zu ihrer Mutter schwierig ist. Der eigene Alltag mit Arbeit, Haushalt, Mann und Kindern geht natürlich trotzdem weiter. Anne hat keine Chance durchzuatmen.

Wenn Eltern von einem Tag auf den anderen plötzlich pflegebedürftig werden, dann müssen Angehörige funktionieren. Egal wie die Umstände sind. Das ist nur ein Beispiel von vielen, wo das so läuft. Das kann die eigenen Kinder betreffen, die plötzlich mehr unterstützt werden müssen als man gedacht hat. Das kann im Beruf sein, weil eine Kollegin von jetzt auf nachher ausfällt und ihre Arbeit trotzdem gemacht werden muss. Das kann auch nach einem Umzug oder einer Trennung sein, wenn man sich neu im Leben zurecht finden muss. Ich habe solche Situationen selbst oft genug erlebt. Zuletzt als meine Kollegin lange krank war. Ich weiß dann: Da komm ich nicht drum herum, da muss ich durch. Ich schaffe das auch immer irgendwie. Wenn ich Glück habe, gibt es noch jemanden, der sieht, was ich gerade leiste. Aber oft scheint das so normal, dass sich keiner wundert, wie ich das alles bewältige. So hat es auch meine Freundin erlebt. Bis ich ihr geschrieben habe: „Das ist gerade viel, was du aushalten und leisten musst. Ich wünsche dir, dass deine Mutter wertschätzen kann, wie du dich einsetzt. Und wenn sie das nicht macht, wünsche ich dir, dass du selbst würdigen kannst, wie du das alles hinkriegst. Selbstverständlich ist es nicht.“

Anne haben meine Worte gut getan, sagt sie. Sie konnte einen Moment inne halten und hat sich auch nicht mehr so schlecht gefühlt, wenn sie das eine oder andere einfach nicht gut genug hinbekommen hat.

Wir sind es nicht gewohnt, uns selbst zu würdigen, zu schätzen, wenn uns etwas gut gelingt. Oder wenn wir etwas ausgehalten haben, was nur schwer auszuhalten war.

Es ist gut das zu lernen: Immer wieder anerkennend auf sich selbst zu schauen.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

25FEB2023
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Immer wieder werde ich von Hörerinnen und Hörern gefragt, warum ich in den Morgengedanken und den Anstößen nicht jedes Mal ausdrücklich von Gott und Jesus spreche. Sie wollen dass ich direkter zum Glauben einlade. Manchmal werde ich sogar richtig beleidigt weil ich in ihren Augen nicht christlich genug bin.

Aber ich finde, von Gott zu reden ist nicht so einfach. Das habe ich erst kürzlich wieder erlebt. Ich war auf einem Fest. Mit vielen Menschen, die ich nicht gekannt habe. Wenn ich erzähle, dass ich katholische Theologie studiert habe, entsteht oft ein intensives Gespräch mit vielen Fragen: „Wozu brauchen wir Gott? Ist er nur eine Vorstellung von uns Menschen? Wie können wir ihn erkennen?“ Meine Tischnachbarn wollten von mir wissen, wie ich als Theologin über Gott spreche und ob ich ihn erkennen kann. Ich war zuerst unsicher. Das sind große Fragen und meine Antworten darauf haben sich im Lauf meines Lebens auch verändert. Schließlich habe ich gesagt: „Ich weiß es nicht, ob Gott nur eine Vorstellung von uns Menschen ist. Das spielt für mich aber keine Rolle. Ich glaube, dass es ihn gibt. Beweisen kann ich das nicht. Aber ich kann ihn erkennen: In den Augen eines Kindes. In der Liebe zu meinem Sohn. Im zarten Grün, das nach dem Winter aus der Erde wächst. Ich habe in schwierigen Lebenssituationen aber auch erlebt, wie schwer es mir fällt, ihm zu vertrauen. Deshalb verstehe ich gut, wenn Menschen bezweifeln, dass es Gott überhaupt gibt. Und dass sie sich fragen, wo er denn ist in den großen Krisen, die uns derzeit alle beuteln.“

Ich maße mir nicht an zu erklären, wie Gott ist. Wenn ich nach meinem Glauben gefragt werde, erzähle ich, was er mir bedeutet. An Gott zu glauben gibt mir Halt. Im Kontakt mit Menschen erahne ich seine Größe und sein Geheimnis. Ich bin überzeugt, dass er in unserem Universum wirkt ohne erklären zu können wie. Aber ich bin vorsichtig geworden. Ich habe festgestellt, wie leer das Reden von Gott sein kann. Mir ist Gott heute näher als jemals vorher, aber ich spreche weniger darüber. Es ist keine Frage: Von Gott zu sprechen ist wichtig und bekennende Worte von gläubigen Menschen sind unverzichtbar. Aber ich bin sicher, dass seine Gegenwart manchmal auch in Worten und Geschichten durchscheint ohne dass er jedes Mal ausdrücklich beim Namen genannt wird.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

23FEB2023
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Ein Jahr ist vorbei. Es ist immer noch Krieg in der Ukraine. Unzählige Menschen sind getötet worden. Die Bilder und Nachrichten sind unerträglich. Schon ein ganzes Jahr lang. Am Anfang war ich schockiert. Dann habe ich Angst bekommen, dass sich der Krieg ausweitet. Und mich wieder beruhigt, als das nicht passiert ist. Aber der Schrecken holt mich immer wieder ein. Jetzt rollen auch deutsche Panzer in der Ukraine. Von Waffenstillstandsverhandlungen redet kaum jemand. Ich gehöre selbst zu den Generationen, die vom 2. Weltkrieg noch betroffen sind. Meine Eltern waren damals Kinder und sind schwer traumatisiert worden. Ich habe am eigenen Leib erfahren, wie lange die Folgen eines Krieges wirken, auch wenn die Waffen längst schweigen. Krieg ist schrecklich.

Auf meiner Suche nach einer Haltung für den Umgang mit dem Ukraine-Krieg habe ich Denkanstöße gefunden. Formuliert von der Berghof foundation. Einer gemeinnützigen Stiftung, die sich mit Konfliktforschung und Friedenspädagogik beschäftigt. Diese Anstöße helfen mir. Weil sie mich zum Beispiel ermutigen, weiterhin Widersprüche auszuhalten: Gewalt bleibt für mich eine Sprache, die ich ablehne. UND ich verstehe, wenn sich einzelne Menschen und Völker auch mit Waffen verteidigen. Es ist ein Dilemma, mit dem ich schwer zurechtkomme. Immer wieder muss ich mit anderen darüber sprechen, wie sie über diesen Krieg denken. Wie es Ihnen gelingt, auf ein „entweder oder“ zu verzichten.

Vor allem aber haben mich die Anstöße der Konfliktforscher bestärkt, mich dort für konstruktive Lösungen bei Konflikten einzusetzen, wo ich selbst etwas tun kann.

Als Grundschullehrerin achte ich darauf, dass Kinder friedlich miteinander umgehen lernen. Denn im Alltag sehe ich, wie schnell sie sich prügeln, treten, beleidigen und schlimmeres. Noch bewusster ist mir in diesem Kriegsjahr geworden, wie wichtig es ist, dass Kinder und Erwachsene lernen ihre Konflikte zu verstehen und ohne Gewalt zu lösen. Ich weiß, wie viel wir deshalb miteinander sprechen müssen und wie viel Geduld wir füreinander brauchen. Und ich weiß, dass das ein langer Weg ist, auf dem Kinder und Erwachsene begleitet werden müssen. Hier und auf der ganzen Welt.

 

www.berghof-foundation.org.de: 11 friedenspädagogische Denkanstöße für den Umgang mit dem Ukrainekrieg

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

22FEB2023
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Viele Jahre haben die Nonnen im Carmel de la Paix am Aschermittwoch ein echtes Feuer in ihrer Kirche gemacht. Damit sie und alle Gäste sehen, riechen und hören konnten, dass das Leben vergänglich ist. Von einem großen Strauß trockener Palmzweige aus dem vergangenen Jahr blieb innerhalb weniger Minuten nichts als ein Häufchen Asche. Der Carmel de la Paix ist ein Kloster im Burgund. Ich fahre regelmäßig dahin. Der Brandschutz hat die Nonnen gezwungen ihr Ritual zu Beginn der Fastenzeit zu verändern. Die Texte aus der Bibel zur Fastenzeit haben sie auf eine neue Idee gebracht. Im Matthäusevangelium steht: „Wer fastet, soll kein finsteres Gesicht machen und sein Haar mit duftendem Öl salben.“ Deshalb gibt es am Aschermittwoch in der Kirche der Carmelitinnen jetzt eine Schale mit duftendem Öl. Rosenblätter schwimmen darin. Die Schwestern gehen zu Beginn des Gottesdienstes mit dem duftenden Öl zu jedem, der mitfeiert. Vor neun Jahren habe ich das zum ersten Mal erlebt. Schwester Juliane ist vor mir gestanden, hat mich angeschaut und mir meine Stirn sanft mit dem duftenden Öl gesalbt. In der Bibel ist die Salbung ein Zeichen für die Würde des Menschen. Sie bedeutet: Du bist wertvoll in den Augen Gottes und er will dich auf deinem Weg stärken. Für mich war es ein Moment, den ich erinnere als wäre er gestern gewesen. Mir liefen die Tränen. So tief berührt hat mich diese Zusage nie zuvor: Ich bin wertvoll. So wie ich bin. Es war nur ein kurzer Moment. Er wirkt bis heute.

Mit dem duftenden Öl im Carmel de la Paix habe ich die Fastenzeit neu verstanden. Zu Beginn der 40 Tage darf ich gnädig auf mich schauen. Weil ich wertvoll bin. So wie ich bin. In der katholischen Kirche wird am Aschermittwoch im Gottesdienst den Gläubigen mit Asche ein Kreuz auf die Stirn oder in die Hand gezeichnet. Das ist auch im Carmel so und bedeutet: Mein Leben ist endlich. Ich habe nicht unendlich Zeit, das zu tun, was mir wirklich wichtig ist. Duftendes Öl und Asche. Das ist meine Kurzformel, mit der ich jeden der kommenden 40 Tage beginne. Kostbar und endlich ist das Leben.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

21FEB2023
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Die ständige Nörgelei an der Politik, was die alles versäumen und falsch machen, hat Hagar Steiff wütend gemacht. Außerdem haben sie die Berichte über den anstehenden Krisenwinter geärgert. Dass alles so schlimm wird. Das war letztes Jahr im November. Hagar Steiff ist Tierärztin und wohnt in der Nähe von Tübingen. Ihr war völlig klar, dass der Krisenwinter eben nicht alle gleichermaßen trifft. Deshalb hat sie selbst in die Hand genommen, was ihrer Meinung nach politisch nicht gut gelöst war. Zusammen mit Bettina Koschtjan, der Ortsvorsteherin ihrer Gemeinde. Die beiden Frauen haben Ende 2022 eine Aktion auf die Beine gestellt unter der Überschrift: „Soziale Gerechtigkeit durch Bürgerinnen und Bürger“. Die Idee dabei: Diejenigen, die mehr haben, geben denen etwas ab, die nicht so viel haben. Hagar Steiff hat gesagt: „Ich bin ehrlich, ich bin nicht angewiesen auf die staatliche Förderung. Das war schon bei der Corona-Unterstützung so, und das ist jetzt auch bei der Energiepreispauschale so. Viele andere sind aber umso mehr auf Hilfe angewiesen.“ Bei der Aktion wurden bestehende Strukturen genutzt: die Tübinger Tafel. Dort dürfen nur Menschen einkaufen, die nachweislich wenig Geld haben. Aber der Laden kauft selbst ja keine Waren ein. Deshalb haben die beiden Frauen Spendengelder gesammelt und selbst Lebensmittel eingekauft, die sie bei der Tübinger Tafel abgeben. Es ist ein Projekt bei dem viele gewinnen. Denn die Lebensmittel werden bei regionalen Betrieben gekauft, die ebenfalls unter der Krise leiden.

Mich hat diese Idee beeindruckt. Vor allem deshalb weil sie gezeigt hat, wie schnell aus der Idee eines einzigen Menschen ein Projekt werden kann, das so vielen Leuten echt hilft. Die Lokalzeitung hat das Projekt mit ihrer Weihnachtsspendenaktion zusätzlich unterstützt. Mit großem Erfolg. Inzwischen haben die beiden Frauen so viel Geld zusammen, dass das Projekt bis ins Frühjahr 2024 weiterlaufen kann.

Und wer weiß. Vielleicht zieht das Projekt weiter Kreise, wenn es auch anderen so geht wie mir. Dass sie begeistert sind, sich anstecken lassen und davon erzählen. Die beiden Frauen sind gerne bereit, ihre Erfahrungen zu teilen.

Südwestpresse/ Schwäbisches Tagblatt; 25. November 2022 und 14. Januar 2023

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