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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

15JUL2023
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Wenn in der Kirche „Großer Gott, wir loben dich“ angestimmt wird, dann brummen auch Leute mit, die sonst nur in der Badewanne singen. Und sehr schön ist auch: „Fest soll mein Taufbund immer stehen“.

Super Musik, und der Text: Fest soll mein Taufbund immer stehen, ich will die Kirche hören. Sie soll mich allzeit gläubig sehen und folgsam ihren Lehren.

Das d von „und“ wird allerdings meistens abgeschliffen.

Und die Leute singen fröhlich, dass sie unfolgsam sein wollen.

Also: die Kirche soll mich allzeit gläubig sehen, un(d) folgsam ihren Lehren.

Mich stimmt das immer heiter und ich glaube, es trifft für sehr viele Katholiken zu:

Gott soll mich gläubig sehen, aber ich folge nicht allen kirchlichen Lehren.

Ein Beispiel: die Kirche hatte immer klare Vorstellungen, was Liebe, Ehe, Sexualität angeht. Aber seit Jahrzehnten folgen viele Leute der Lehre der Kirche nicht mehr. Sie lieben wen sie wollen, regeln ihre Familienplanung selbst und halten die kirchliche Lehre da für inkompetent.

Treue ja, Sorge füreinander und für Kinder, da stimmen die Christen und ihre Kirchen normalerweise überein. Aber nicht in bestimmten Detailfragen.

Ich glaube an Gott. Aber den Lehren der Kirche folge ich auch nicht immer.

Seit 2012 gibt es im Bistum Trier einen neuen Text für das alte Lied, den finde ich viel besser:

Fest soll mein Taufbund immer stehen, zum HERRN will ich gehören.
Der Herr ist natürlich GOTT.

Also:

Fest soll mein Taufbund immer stehen, zum HERRN will ich gehören.

ER ruft mich, SEINEN Weg zu gehen und will SEIN Wort mich lehren.

Viele Getaufte und auch einige, die aus der Kirche ausgetreten sind, wollen zu GOTT gehören.

Das ist das Wichtigste.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

14JUL2023
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Seit ein paar Jahren kann man auch die Kennzeichen von kleineren Orten für das Nummernschild am Auto wählen. Zum Beispiel BIN für Bingen am Rhein. Eine Kollegin wohnt da in der Nähe und wählte dann als persönliche Buchstaben D A. Das Auto heißt also BIN-DA mit irgendeiner Zahlenkombination.

Ich habe mit ihr im Containerdorf in Mendig mit ein paar Kollegen zusammen gearbeitet. Da waren Menschen untergebracht, die in der Ahrflut 2021 alles verloren und im Ahrtal selbst keine Not-Unterkunft gefunden hatten.

Sie haben auch sehr schnell herausgefunden: wenn ein glitzer-grünes Auto am Kirchencontainer steht, bin ich da. Wenn BIN-DA dort steht, ist Gabi da. Gabi BIN DA.

Die Menschen im Containerdorf haben sich gefreut, wenn wir da waren.

Als Kirche bei den Menschen. Hört zu, unterstützt bei Wohnungssuche und in anderen Angelegenheiten, begleitet zum Arzt, grillt mit den Bewohnern des Containerdorfes. Es entstand eine gute, nachbarschaftliche Verbindung.

Gabi BIN-DA. Für eine Theologin erschließt sich das sofort. Es erinnert an eine der uralten Geschichten aus der Bibel. Im brennenden Dornbusch erschien GOTT dem Moses und gab ihm den Auftrag, das Volk Israel aus der Sklaverei in Ägypten zu befreien. GOTT sprach den Moses mit seinem Namen an. Moses wusste aber nicht, wie er GOTT ansprechen könnte. Da erklärte GOTT: ich bin der „Ich bin da“.

Als Gabi ihr Autokennzeichen auswählte, wusste sie das natürlich.

Menschen, die für Gott arbeiten, egal, ob beruflich oder privat, die wissen das auch.

Das Wichtigste ist, dass ich da bin.

GOTT ist auch da, so glauben wir. Aber ER braucht uns, unsere Hände und Füße und Augen und Ohren, damit Menschen in Not merken:

Ich bin nicht allein.  Und: der ICH BIN DA ist auch da.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

13JUL2023
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Wir stehen vor einem Bunker.  Dort hatte der Lehrer Ernst Evers über lange Zeit eine Jüdin vor den Nazis versteckt.

So erzählt uns ein Student, der eine historische Führung durch meine Geburtsstadt Krefeld am Niederrhein anbietet. Wir sind da weggezogen, als ich 2 Jahre alt war, aber es interessiert mich. Mein Partner stammt auch aus Krefeld. Er und sein Bruder nehmen an dieser Führung teil. Wir sind also zu dritt.

Die beiden Brüder, Ü 60, schauen sich verblüfft an.

Der spricht ja von unserem Opa. Opa Ernst, Studienrat in Krefeld.

Von dieser Geschichte haben sie nie etwas erfahren.

Weitere Nachfragen und eigene Recherchen der Brüder ergeben:

Opa Ernst war Lehrer am Gymnasium und grüßte seine jüdischen Schüler auf der Straße freundlich, als viele seiner Kollegen schon die Straßenseite wechselten.

Als er um Hilfe gebeten wurde, wurde er Teil einer verschwiegenen Gruppe.

Über viele Umwege hatte er von der jüdischen Frau erfahren, die mit einem Christen verheiratet war.  Gegen Ende des so genannten „Tausendjährigen Reiches“  war auch ihr Leben bedroht. Kein Schutz mehr für eine Jüdin, auch nicht, wenn sie mit einem Christen verheiratet war.

Opa Ernst war zuständig für die Schutzräume in Krefeld, wo Menschen sich bei Fliegeralarm verstecken konnten. Er brachte die fremde Dame da unter, organisierte auf abenteuerlichen Wegen Essen und Trinken und warnte sie, wenn jemand die Räume überprüfen wollte.

Vom Sommer 1944 bis zum Zusammenbruch des Naziregimes hat sie dort gelebt – als einzigen menschlichen Kontakt Opa Ernst. Und Opa Ernst hat auch nach dem Ende des NS-Regimes niemandem etwas von seiner Tätigkeit erzählt. Nicht seiner Frau, nicht den Kindern. So waren auch die Enkel völlig ahnungslos.

Die haben ganz neu Respekt vor Opa Ernst gewonnen.

Wer bin denn ich schon, denken wir oft. 

Aber der kleine Mann (oder die kleine Frau) sind keinesfalls ohnmächtig.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

19APR2023
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Im Krankenhaus habe ich einen schüchternen jungen Mann kennen gelernt. Er war sehr groß, ziemlich dick, und war wegen schweren Depressionen in die Klinik gekommen. Er erzählte mir seine Geschichte.

War bei einer Party gewesen und erst morgens früh zurück nach Hause gefahren, als die Sonne schon aufging. Im Dorfeingang kam ihm ein älterer Mann entgegen, vermutlich, um Brötchen zum Frühstück zu holen. Der Autofahrer war total nüchtern, kein Alkohol, keine Drogen, aber er war sehr müde nach der langen Nacht und wollte nur noch heim ins Bett.

Da kam es zu dem Unfall, bei dem der ältere Herr gestorben ist. Der junge Mann versuchte nach der Beerdigung, die Witwe zu besuchen und um Verzeihung zu bitten, aber die war so verzweifelt, dass sie das nicht tun konnte.

So trug er die Last mit sich herum und wurde immer schwerer, baute einen Schutzschild um sich auf und zog sich dahinter zurück.

Der Psychiater hatte ihn dann zur Krankenhaus-Seelsorge geschickt. So lernten wir uns kennen. Zusammen analysierten wir die Situation. Der Fehler war klein gewesen, das Unglück aber riesengroß: ein Mensch gestorben, die Witwe plötzlich allein und der Autofahrer -ein anderer Mensch als vor dem Unfall.

„Wenn Sie jetzt der Richter wären, würden Sie den Autofahrer zu einer schweren Strafe verurteilen?“, fragte ich den jungen Mann. „Nee, eigentlich nicht, es war keine Absicht...er hätte an den Straßenrand fahren sollen und ums Auto rumlaufen, damit er wieder wacher wird. Oder einen Kaffee besorgen.  Aber eine schwere Strafe? Eher nicht.“

„Glauben Sie, GOTT würde ihn bestrafen?“ war meine nächste Frage. Darüber hatte er noch nicht nachgedacht, aber wir kamen gemeinsam zum Ergebnis, dass GOTT vermutlich auch kein strenger Richter sein würde. Dass ER gesehen hatte, wie schmerzlich der Unfall auch für den Autofahrer gewesen war und dass er sich selbst nicht verzeihen konnte. Wir gingen in die Kapelle und zündeten drei Kerzen an. Eine für den älteren Herrn, eine für seine Witwe und eine für ihn selbst.

Drei Jahre später traf ich ihn zufällig wieder. Groß, schlank, einen kleinen Sohn an der Hand. GOTTES Vergebung war offenbar in ihm wirksam geworden.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

18APR2023
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Helga erzählt mir während unserer Wanderung am Sonntag von einem super Rezept, das sie am Samstag gekocht hatte: Rouladengulasch. Man nimmt einfach die Zutaten von Rouladen: Zwiebeln, Fleisch, etwas Schinkenspeck, Gürkchen, Senf, daraus zaubert man ein Geschnetzeltes. Keine Chance mitten im Wald, an eine solche Köstlichkeit heranzukommen, aber eine Idee für bald.

Normalerweise putzt Helga samstags, aber in diesem Fall hatte sie sich die Küche aufgespart und erst das Fleisch angebraten. Das spritzt ja, und dann hätte sie den Boden vor dem Herd zweimal wischen müssen. Unnachahmlich, ihr Spruch für solche Fälle: Faulheit denkt.

Ich selber bin mehr der Typ: wenn das Brot ruft, es will aus dem Ofen geholt werden, dann greife ich zu, und wenn die Äpfel am Baum jammern, weil sie reif sind und bald runterfallen, dann lasse ich mich nicht lange bitten. Das ist nicht immer schlau. Ich bin oft zu schnell bei der Hand und helfe, wo andere es auch selbst könnten. Oder ich wische die Küche, bevor ich koche, und muss hinterher nochmal an die Arbeit.
Besser wie Helga: erst denken, dann arbeiten.

Und jetzt mach ich mal eine steile Gedanken-Kurve:
GOTT hat doch angeblich die Welt in 7 Tagen erschaffen. Aber denkste. ER hatte sich die Arbeit gut eingeteilt, war nach 6 Tagen fertig und am 7. Tag… ruhte ER!
Natürlich ist diese Geschichte aus der Bibel nicht wörtlich gemeint. GOTTES Weg, die Welt zu erschaffen, war die Evolution. Mir gefällt aber die Vorstellung, wie ER nach SEINER Arbeit ganz langsam den Schaukelstuhl in Bewegung setzt. Ich sehe es genau vor mir.

Dass uns die Bibel ganz am Anfang schon klar macht, dass Arbeit und Ruhe in einem vernünftigen Maß stehen sollen, das gefällt mir. Füße hochlegen nach dem Fensterputzen. Heute Abend ein Glas Wein, wenn die Pflichten des Tages erledigt sind.

Helga braucht eigentlich nichts zur Belohnung, die teilt sich den Tag schon so gut ein in Arbeit und Ruhe. Ihr Vergnügen ist sonntags die Wanderung mit mir. Dann bringt sie mir Kochrezepte und Sprüche mit und freut sich, wenn ich die für Gedanken im Radio verwende. So wie heute.

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17APR2023
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„Der liebe GOTT sieht alles“. Mit dem Satz haben früher Erwachsene den Kindern Angst gemacht. Vor GOTT kann man sich nirgendwo verstecken und auch das, was die Eltern nicht merken: GOTT sieht es.

Heute haben die meisten Menschen keine Angst mehr vor GOTT. Auch nicht vor SEINEM Auge, das alles sieht und darüber urteilen könnte. Viele denken so, wie es im Karnevalslied heißt: wir kommen alle alle in den Himmel, weil wir so brav sind. Naja. Menschen sind nicht immer brav – sie handeln manchmal falsch und tun manchmal Böses.

Tatsächlich klingt der Satz „GOTT sieht alles“ ein bisschen bedrohlich. Aber ich glaube, er bekommt wirklich mit, was in der Welt geschieht. Ob wir gut sind zu unseren Mitmenschen, gerecht, auch zu den Tieren, ob wir pfleglich umgehen mit der Schöpfung. Oder ob wir leben nach dem Motto: Ich zuerst, und nach mir die Sintflut.

Ich glaube, dass es GOTT nicht egal ist wie wir leben. Aber ER hat ein Herz. ER ist barmherzig. ER vergibt das Böse, wenn wir ernsthaft darum bitten und versuchen, es wieder gut zu machen, soweit das möglich ist.

An der Stelle bin ich gerne katholisch. Bei uns gibt es ja die Beichte. Wenn ich jemandem sagen kann, was mich bedrückt, wo ich falsch gehandelt habe. Und wenn der dann sagt: „Ich würde dir vergeben – und Gott vergibt dir auch“.

Dann kann ich mir etwas überlegen, wie ich Gutes tun kann, um das Schlechte auszugleichen. Und kann mir auch selbst verzeihen.
GOTT vergißt das Böse nicht, das seinen Geschöpfen angetan wird. ER vergißt aber auch nicht das Gute, das wir tun. GOTT sieht eben alles.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

14JAN2023
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Als Kind und Jugendliche lebte ich am Rhein und wir gehörten zu einer Kirchengemeinde, die nicht einen einzelnen Pfarrer hatte, sondern von einer WG geleitet wurde, in der 6 verschiedene Priester wohnten. Die Herren wollten nicht als Herr Pastor oder Herr Vikar oder Herr Kaplan angesprochen werden, wie es damals üblich war. Sie hätten einen Familien-Namen, Herr Meier sei völlig ausreichend. Sie wussten schon damals: wir sind nur das Bodenpersonal, der Herr ist im Himmel.

Es war die Zeit nach dem Zweiten Vatikanischen Reformkonzil (1962 bis 1965). Die Messe wurde in Deutsch gehalten. Der Priester stand nicht mehr mit dem Rücken zu den Menschen, sondern schaute uns an. In den Abendmessen samstags wurde fetzige Musik gespielt mit Gitarre und Schlagzeug.

Eine andere Neuerung war, dass am Karfreitag nicht mehr für die treulosen Juden gebetet werden durfte, die Jesus ans Kreuz gebracht hatten. Die katholische Kirche war zu der Einsicht gekommen, dass Gott seinen Bund mit dem Volk Israel keineswegs aufgekündigt hatte. Die katholische Kirche hat sich versöhnt mit dem jüdischen Glauben und hat auch anerkannt, dass außerhalb der Kirche Heil zu finden ist – was bis dahin undenkbar schien. Jedenfalls im Katechismus.

Wunderbare Entwicklungen in einer Zeit des Aufbruchs.

Umso verblüffter ist man, wenn jemand erzählt, er habe mit dem Herrn Kaplan gesprochen. Und wenn dieser Herr Kaplan sich auch gern so ansprechen lässt. Auf den ersten Blick scheint das belanglos, aber es steckt ja eine Bedeutung dahinter.

In der Bibel lese ich dazu:
„Ihr aber sollt euch nicht Rabbi nennen lassen; denn nur einer ist euer Meister, ihr alle aber seid Brüder. Auch sollt ihr niemanden auf Erden euren Vater nennen; denn nur einer ist euer Vater, der im Himmel. Auch sollt ihr euch nicht Lehrer nennen lassen; denn nur einer ist euer Lehrer, Christus.“*

Mir gefällt, dass wir Brüder und Schwestern sind – ja, die Schwestern sind nicht nur mit gemeint, sie werden auch extra erwähnt – und dass wir einen Vater haben, den im Himmel.

* Mt 23, 8-10

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

13JAN2023
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Wenn ich donnerstags abends von der Chorprobe nach Hause gehe, habe ich die Ohren und den Kopf voller Töne; ich höre uns noch lange mehrstimmig singen und der Weißwein nach der Probe: auch lecker. Der Weg zu meinem Haus geht bergab und ich komme ins Träumen.

So sind schon vor 102 Jahren Menschen durch unser Dorf gegangen. 1921 ist der Männergesangsverein gegründet worden, anfangs von 20 Männern in Kirchesch und 28 Männern in Waldesch, heute ein Dorf, ein Chor. Irgendwann hatten die Männer keinen Nachwuchs mehr. Sie öffneten sich – zum Teil widerwillig – für Frauen, deshalb darf ich in diesem ehemaligen Männergesangsverein mitsingen. Und jetzt fehlt auch uns der Nachwuchs und vielleicht wird nach 102 Jahren kein Chor mehr in Kirchwald singen. Sehr schade.

Wenn ich dann im Dunklen unterwegs bin, philosophiere ich mit mir selbst über die Vergänglichkeit des Lebens. Die Männer von 1921 sind alle tot, vielleicht leben ihre Kinder noch und bestimmt die Enkel. Die Männer sind zum Teil auf dem Friedhof zu finden. So wird man mich auch irgendwann dort finden und vielleicht erinnert sich dann jemand: die hat doch auch im Chor gesungen, als es den noch gab.

Wir haben ein sehr tiefsinniges Lied von Hubert von Goisern geübt. 

„Heast as nit, wia die Zeit vergeht
Gestern no' ham d'Leut ganz anders g'redt […]
Die Jungen san alt wordn
Und die Altn san g'storbn […]
Heast as nit, wia die Zeit vergeht.“*

Das klingt in meinem Kopf auf dem Weg nach Hause. Ich kann hören, wie die Zeit vergeht und ich weiß, dass die Alten gestorben sind und die Jungen – so wie ich – alt geworden sind und auch irgendwann sterben.

Ich finde es total beruhigend, nur ein Teil vom Kreislauf des Lebens zu sein. Es liegt nicht alles an mir, es geht weiter. 1921 ist auch mein Vater geboren, zu dieser Zeit gründeten die Männer in Kirchwald den Gesangverein.  Wenn ich nicht mehr auf dieser Welt bin, wird es noch Menschen in Kirchwald geben, die abends nach Hause gehen, mit oder ohne Chormusik.
Und ich freue mich dann im Himmel, dass es noch Musik gibt und Kirchwald und Menschen, die singen, notfalls in der Wanne.

* vgl. Hubert von Goisern und die Alpinkatzen: Heast as net

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

12JAN2023
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Lotte sitzt mit Opa am Frühstückstisch. Auf dem Käseteller liegt eine Scheibe Käse, von der schon vor dem Frühstück etwas abgebissen worden ist. Opa sagt zu Lotte: „Oh, du bist aber hungrig. Wolltest nicht länger auf die Familie warten, oder?“ Lotte: „Nein, ich war das nicht.“ Der Zahnabdruck verrät sie: niemand außer der Fünfjährigen hat einen Schneidezahn verloren. Eigentlich ist sie stolz darauf, aber jetzt zeigt der Zahnabdruck: sie hat von der Käsescheibe abgebissen. Der Opa zeigt auf seine Zähne: „Siehst du, ich habe da keine Lücke. Ich hab nicht abgebissen. Aber du hast eine Lücke und das kann man an der Käsescheibe sehen.  Na?“

Lotte überlegt, sagt dann: „Ich kann auch lügen.“ Von der kognitiven Entwicklung her ist das ein großer Fortschritt. Lotte kann nicht nur die Wahrheit sagen, das, was sie sieht, sondern sie hat gelernt, dass man auch sagen kann, was nicht stimmt. Sie kann jetzt lügen. Ein Fortschritt, aber auch schlecht.

Was ist Wahrheit? Wahrheit ist, wenn das, was einer sagt, mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Für Lotte mit 5 Jahren ist das leicht zu durchschauen. In unserem erwachsenen Leben ist es schwieriger mit der Lüge und der Wahrheit. Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass Erwachsene ziemlich oft lügen.

Wir wissen das auch aus unserer Lebenserfahrung. Wenn jemand sagt: „Nee, das ist nur eine Kollegin“, und jeder weiß: Das ist die neue Frau an seiner Seite, nur die Ehefrau soll nichts wissen. Oder wenn die Verwandten sagen: „Du wirst bestimmt 100“, obwohl jeder weiß, dass der Opa sterbenskrank ist. Wahrheit – Unwahrheit – Lüge.

Was ich bei Lotte bemerkenswert finde, ist, dass sie Wahrheit und Lüge unterscheiden kann. Und wir Erwachsenen können das auch. Ganz für uns allein wissen wir sehr genau die Wahrheit über unsere Gesundheit, unsere Partnerschaft, über unseren Beruf, über unsere Ziele in der Zukunft. Zumindest uns selbst können wir nicht dauernd belügen.

Ich kann auch lügen, wie Lotte, aber lieber sage ich die Wahrheit, auch wenn es mal unangenehm ist. Wenn ich bei der Wahrheit bleibe, muss ich mir nicht dauernd etwas Neues ausdenken; ich stehe auf festem Boden.

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19OKT2022
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Uups, das hat weh getan und mich unsicher gemacht. Im Sommer hatte ich einen Beitrag fürs Radio gemacht über Tierliebe, die sich nicht nur auf Haustiere erstrecken soll, sondern auch auf die sogenannten Nutztiere. Und dass wir Konsumenten überlegen sollen, ob wir immer auf billigen Nahrungsmitteln bestehen und wie das dann mit dem Tierschutz klappt. Da fühlten sich einige Leute auf den Fuß getreten und es gab 37 kritische, teils sehr fiese Kommentare in den sozialen Netzwerken.

Ich bin 66 und stehe im Leben. Aber es hat mich mehr berührt, als ich wollte und auch mehr, als ich gedacht hätte. Kritik und andere Meinungen muss man schließlich akzeptieren, damit habe ich auch kein Problem.  Aber gemeine Reaktionen, die unter die Gürtellinie gehen, die sind schmerzhaft.

37 Kommentare. Hat mir schon gereicht.

Was soll die 12jährige machen, die ein unvorteilhaftes Foto geteilt hat und jetzt 180 Kommentare bekommt, wie hässlich sie ist?

Was soll der Politiker machen, der dauernd erwähnt wird vom Stammtisch in den Netzwerken, wie unfähig er ist und wie überbezahlt?

Was sollen die Lehrerinnen machen und die Lehrer, die diesen verachtenswerten Urlauberberuf ausüben, jeder Kritiker weiß es besser, weil jeder in der Schule blöde Lehrer kannte?

Ein sogenannter Shitstorm mit 37 Kommentaren ist was für Anfänger, das ist mir auch klar. Aber ich habe gemerkt, wie mich das aufgewühlt und auch geärgert hat. Wie sich Mobbing im Internet anfühlt, das man sich selbst auf sein Handy holt, weil man seine Nachrichten checkt. Blöd.

Und, was mach ich jetzt? Mich nur noch in der realen Welt bewegen?

Keinen Standpunkt mehr beziehen, weil das Kritik und Hetze auslösen kann?

Ich habe mich entschieden, Shit-Stürme auszuhalten. Schließlich bin ich schon 66.

und sollte das abkönnen.  Aus meinen Standpunkten werde ich keinen Hehl machen und mich nicht einschüchtern lassen. Diskutieren kann man immer, aber bitte mit Respekt vor den Anderen.

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