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26JUL2024
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Als ich ein Schüler war, da habe ich immer gedacht: Menschen, die 60 Jahre alt sind, sind uralt und eigentlich fast schon tot. Jetzt bin ich 60 Jahre alt. Und ich fühle mich noch überhaupt nicht tot. Ich fühle mich noch ziemlich lebendig. Ich stehe noch mitten im Beruf, meine Kinder sind teilweise noch in der Ausbildung und ich freue mich über fünf Enkelkinder. Da ist noch ganz schön viel Leben drin. Hätte ich als Schüler nicht gedacht.

Und dennoch ist mir eines bewusst geworden: Auch wenn ich noch ziemlich lebendig bin, meine Lebenszeit ist dennoch begrenzt. Ich habe definitiv schon viel mehr Jahre hinter mir als noch vor mir. Die Zeit verfliegt immer schneller. Und darum muss ich mich mit dem Gedanken anfreunden, dass nicht mehr alles in meinem Leben möglich ist, was ich mir vielleicht wünschen würde. In sieben Jahren gehe ich spätestens in Rente. Ich muss mir überlegen, was ich noch in meinem Beruf schaffen kann – und was nicht mehr. Meine Kraft ist begrenzt. Ich kann keine Nächte mehr durcharbeiten und leider auch keine mehr durchfeiern – so wie früher - ohne am nächsten Tag völlig k.o. zu sein. Meine Ziele sind begrenzt. Ich werde auch nicht mehr jedes Land bereisen können, das ich gerne noch sehen würde. Und ich kann nicht mehr jedes Buch lesen, das mich interessiert. Ich fange an, meine Begrenztheit zu begreifen und damit zu leben.

Und ich frage mich viel mehr als früher: Was ist wirklich wichtig? Wofür will ich meine verbleibenden Jahre einsetzen? Auf was kann ich verzichten? Ich merke, dass mir Menschen und die Zeit mit ihnen wichtiger geworden sind. Begegnungen, gute Gespräche, zusammen zu essen und zu reden und zu lachen. Das ist wichtig. Und ich frage mich jetzt immer öfter: Was hat Gott noch mit mir vor?

In der Bibel heißt es mal im Psalm 91: „Gott, lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, damit wir klug werden“. Das Sterben kann ruhig noch etwas warten. Aber klug möchte ich heute schon werden. Oder mit einem anderen Wort: weise. Ich will meine Jahre im Vertrauen auf Gott weitergehen. Auch wenn nicht mehr alles im Leben möglich ist, wird er mir das geben, was wirklich zählt. Darauf vertraue ich, wenn ich jetzt 60 geworden bin.

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25JUL2024
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Auf geht’s in den Urlaub. Jetzt endlich starten auch in Baden-Württemberg die Sommerferien. Und viele fahren in den Urlaub und suchen ein paar Tage Erholung.

Wer morgen mit dem Auto auf der A5 in Richtung Basel fährt, der sollte mal kurz am Rastplatz Unditz zwischen Offenburg und Lahr rausfahren. Denn dort kann man sich einen Segen abholen. Von mittags 13 Uhr bis um 22 Uhr am Abend stehen auf diesem Rastplatz Pfarrerinnen und Pfarrer, Diakoninnen und Diakone und andere engagierte kirchliche Mitarbeitende bereit, um allen, die vorbeikommen, Gottes Segen zuzusprechen. Und wer am Samstagvormittag in der Gegend unterwegs ist, der kann sich auch noch segnen lassen.

Auch in der Bibel wird davon erzählt, dass Menschen, wenn sie zu einer Reise aufbrechen, gesegnet wurden. Zum Beispiel Abraham. Als Abraham gemeinsam mit seiner Frau Sara und seiner ganzen Familie seine Heimat verlassen hat, um in ein unbekanntes Land zu reisen,

da hat Gott zu ihm gesagt: „Ich will dich segnen und du sollst ein Segen sein“. Abraham hat diesen Segen gebraucht, weil seine Reise damals voller Herausforderungen und Gefahren war. Wenn heute ein Mensch gesegnet wird, dann ist es wie bei Abraham. Es werden über ihm gute Worte ausgesprochen. Segen, das bedeutet, dass zu einem Menschen gesagt wird: Gott ist da. Gott ist bei dir und er ist für dich. Gott kennt deinen Weg und er begleitet dich, wo immer du auch hingehst. Gott hat Gutes für dich vorbereitet. Er bringt dich ans Ziel. Segen, das ist die Zusage Gottes, dass er uns in jeder Situation in seiner Hand halten wird.

Der Start in den Urlaub ist darum ein schöner Zeitpunkt, um sich segnen zu lassen. Darin liegt die Hoffnung, dass der Urlaub gut wird, ohne Unfälle, erholsam und ohne Streit. Aber natürlich brauche ich Gottes Segen jeden Tag, nicht nur im Urlaub. Denn ich weiß, dass ich es nicht in meiner Hand habe, was passiert. Es gibt leichte, schöne Tage und es gibt schwere, leidvolle Tage. Aber über jedem dieser Tage steht Gottes Segen und seine Zusage: Ich bin bei dir. Ich bin mit dir. Ich meine es gut mit dir. Darum: Egal, ob Sie morgen in den Urlaub starten, oder später oder die Ferien zuhause verbringen: Seien Sie gesegnet.

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24JUL2024
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Heute hat es in Baden-Württemberg Zeugnisse gegeben. Alle Schülerinnen und Schüler von Wertheim bis zum Bodensee haben zum Abschluss des Schuljahres ihre Noten bekommen.

Und ganz viele sind sicher nach Hause gekommen und haben ihr gutes Zeugnis stolz ihren Eltern präsentiert. Aber ich denke jetzt an die anderen. Es gibt ja auch viele Kinder und Jugendliche, die haben kein gutes Zeugnis erhalten. Und so manche müssen jetzt die Klasse im nächsten Schuljahr noch einmal wiederholen. Das ist schlimm für sie. Manche haben Angst davor, darüber zu reden und schämen sich. Manche fürchten sich davor, das Zeugnis ihren Eltern zu zeigen. Und dann gibt es ja auch immer Klassenkameraden, die haben das mitbekommen und lachen jetzt über sie. Im nächsten Schuljahr ist der Sitzenbleiber dann vielleicht der einzig neue Schüler in der fremden Klasse und alle anderen wissen, warum.

Manchmal fallen dann auch schlimme Worte: „Du bist ein Versager, du bist dumm. Aus dir wird nie etwas.“ Wie viele Kinder haben auch heute wieder solche Worte hören müssen oder haben sie sogar über sich selbst ausgesprochen? Das ist schlimm, weil solche Worte sich im Herzen festsetzen. Wenn man so etwas als Kind hört, dann denkt man, dass das wirklich stimmt: Ich bin dumm, blöd, ein Versager, aus dem Nichts wird.

Aber jedes Zeugnis ist eben doch nur eine Momentaufnahme. Es sagt nur etwas darüber aus, in welchem Schulfach es gerade besser oder schlechter läuft. Viele Menschen waren in der Schule gar nicht gut, aber deswegen noch lange keine Versager. Mark Twain brach im Alter von 12 Jahren die Schule ab und wurde später ein berühmter Schriftsteller. Thomas Edison war der schlechteste Schüler seiner Klasse und sein Lehrer sagte über ihn, er sei ein Idiot. Später hat er das elektrische Licht erfunden. Und Abraham Lincoln besuchte nur sehr selten eine Schule. Er wurde einer der berühmtesten Präsidenten Amerikas. Wir sind so viel mehr, als Noten und Zeugnisse über uns aussagen. Wir sind von Gott geliebte und begabte Menschen. Auch wenn es in der Schule nicht gut läuft. Mit jedem hat Gott einen Weg. Darum hoffe ich, dass heute viele Kinder, die keine guten Noten nach Hause gebracht haben, trotzdem umarmt und getröstet und ermutigt worden sind. Und so trotz allem fröhlich in die Ferien starten konnten.

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23JUL2024
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Herzlichen Glückwunsch, Julian Nagelsmann. Der Bundestrainer wird heute nämlich 37 Jahre alt. Ich finde, er hat sich mit der Euromeisterschaft, die vor einer Woche zu Ende gegangen ist, selbst das schönste Geschenk gemacht - und uns allen auch. Selbst wenn es nicht zum Titel gereicht hat. Selbst wenn der Bundestrainer am Ende Tränen in den Augen hatte. Aber noch vor einigen Monaten hätte niemand gedacht, dass die deutsche Fußballnationalmannschaft so gut und begeisternd Fußball spielen würde. Und jetzt ist sie erst in einem packenden Spiel gegen Spanien unglücklich ausgeschieden. Also herzlichen Glückwunsch, Julian Nagelsmann, und danke für eine tolle Leistung bei der EM. Auch wenn du dir einen noch größeren Erfolg gewünscht hättest.

Julian Nagelsmann hat aber nicht nur den Erfolg im Blick, er hat auch die im Blick, die es im Leben schwerer haben als er und die oft auf der Verliererseite stehen. Was ich selbst nicht gewusst habe: Julian Nagelsmann unterstützt mit einem Teil seines Gehalts die Initiative „Common Goal“. Zu dieser Organisation gehören viele Sportler aus der ganzen Welt. Und sie alle haben es sich zum Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2030 hundert Millionen Jugendlichen und Kindern aus der Armut heraus zu helfen. Dafür finanzieren sie soziale Projekte in den ärmsten Gegenden der Welt und sie unterstützen dort vor allem Straßenkinder und Jugendliche ohne Elternhaus.

Ich weiß nicht, ob Julian Nagelsmann an Gott glaubt, aber mit dem, was er tut, erfüllt er das Gebot Jesu: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“. Und Jesus hat auch gesagt, wer unser Nächster ist: Der, der unsere Hilfe braucht. Vielleicht ist es der Mensch im Nachbarhaus. Vielleicht aber auch ein Kind in einem Slum in Afrika. Ganz bestimmt sind es die Kinder, die weltweit unter Bedingungen von Hunger, Armut und Gewalt leben müssen. Darum finde ich, dass es viel mehr Menschen wie Julian Nagelsmann braucht, die nicht nur den eigenen Erfolg oder die eigene Karriere im Blick haben, sondern die auch bereit sind im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu helfen, damit Kinder überall auf der Welt eine Zukunft haben. Also: herzlichen Glückwunsch Julian Nagelsmann, danke für die EM und danke, dass Du mit deiner Hilfsbereitschaft ein Vorbild bist.

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22JUL2024
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Heute ist der 22. Juli. Und es ist der Gedenktag für Maria Magdalena. Das muss eine eindrucksvolle und starke Frau gewesen sein. Maria hat zu den Frauen und Männern gehört, die mit Jesus aus Nazareth unterwegs gewesen sind. Und mich beeindruckt, wie sehr diese Nähe zu Jesus Maria verändert hat. Maria ist immer an der Seite von Jesus geblieben bis zum bitteren Ende. Als die Römer Jesus ans Kreuz nagelten, da war sie eine der ganz wenigen, die bei ihm unter dem Kreuz geblieben sind, bis er starb. Die anderen Gefährten von Jesus waren allesamt aus Angst weggelaufen und hatten sich versteckt. Was für eine starke Frau! Als Jesus dann auferstanden ist, da ist er zuerst Maria Magdalena begegnet. Nicht den Männern aus seinem allerengsten Freundeskreis. Maria war die Erste. Und weil sie so eine beeindruckende Frau gewesen ist, darum haben sich viele Legenden um Maria Magdalena gebildet. Manche haben sogar vermutet, sie sei die Geliebte von Jesus gewesen. Bücher sind über sie geschrieben worden, Filme wurden über sie gedreht und sogar Oratorien komponiert. Maria Magdalena – sie war wirklich eine starke Frau und hat einen starken Eindruck hinterlassen.

Doch wie gesagt: Am meisten beeindruckt mich an Maria die Veränderung, die sie in ihrem Leben durchgemacht hat. Am Anfang war Maria nämlich alles andere als stark. Sie war sogar besonders schwach. In der Bibel wird erzählt, dass sie besessen gewesen sei. Von bösen Geistern beherrscht, von bösen Gedanken gequält, in Dunkelheit gefangen. Aber als sie Jesus begegnet ist, da hat sich angefangen, ihr Leben zu verändern. Jesus hat sie gesund gemacht. In seiner Nähe hat etwas von der Liebe Gottes gespürt. Sie hat erlebt, dass Gott immer wieder Schuld vergibt und Menschen einen neuen Anfang möglich macht. Sie hat verstanden, wie wertvoll sie ist. Und das alles hat sie stark gemacht.

Ich finde, ihre Geschichte gibt Hoffnung, weil sie auch heute noch Menschen Mut macht, die sich genauso schwach fühlen, zu nichts nütze, gequält und von dunklen Gedanken beherrscht. Mir geht es ja manchmal genauso. Aber die Geschichte von Maria Magdalena erzählt, dass der Glaube an Jesus Menschen frei und stark und mutig machen kann.

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19JUL2024
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Peter hat einen Job, der Jesus gefallen würde. Peter ist katholischer Diakon. Und zwar an einem besonderen Ort. Sein Arbeitsplatz sind die Baustellen rund um Stuttgart21. Allerdings erkennt man Peter nicht gleich als Mann von der Kirche. Denn er trägt Arbeiterklamotten, Sicherheitsschuhe und einen Helm – wie alle anderen auf der Baustelle. Und er ist, was Jesus von sich selbst immer gesagt hat – er ist ein Diakon; eine Übersetzung für Diakon lautet: Diener. In der Bibel ist das so formuliert: „Der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen“. (Markus Ev. 10,45)

Konkret heißt das bei Peter: Er teilt seine Zeit mit den Tunnel- oder Betonbauern. Die meisten kommen aus dem Ausland. Er ist da, arbeitet mit, hört zu, fragt, vermittelt wenn es Probleme zwischen den Arbeitern oder mit den Chefs gibt. Und er kümmert sich um die Arbeiter auch nach ihrem Tag auf der Baustelle. Er hat zum Beispiel ein Auge drauf, dass sie ordentliche Unterkünfte haben und dass es dort WLAN gibt. Damit der Kontakt nach Hause einfacher ist.

Als ich Peter vor zehn Jahren zum ersten Mal auf der Baustelle besucht habe, habe ich auch Christian getroffen, einen Tunnelbauer aus Österreich. Ich kann mich noch gut an Christians Worte erinnern: „Den Peter, den geben wir nicht mehr her. Das sind wir von der katholischen Kirche nicht gewohnt. Die ist sonst eher auf Distanz. Aber der Peter, der gehört dazu, mit dem kann man reden, zu dem können wir mit jedem Problem kommen. Der versteht uns, der hört zu und das ist super.“

Peter hat in den letzten zwölf Jahren mehrere Tausend Arbeiter auf den Baustellen von Stuttgart21 erlebt und sagt: „Der Preis, den die Arbeiter zahlen ist hoch“. Der Job ist hart, körperlich geht das an die Grenzen – und Peter weiß, wovon er spricht, er ist selbst Handwerker, gelernter Heizungsbauer. Es gibt noch ein großes Problem: Die Arbeiter kommen oft nur für ein paar Tage im Monat heim, manche monatelang gar nicht. Da gehen viele Beziehungen kaputt. Peter unterstützt auch da, wo es möglich ist, und nimmt Kontakt auf zu den Frauen zuhause. Manchmal fährt er sogar mit den Arbeitern in ihre Heimat; da gibt es schöne Anlässe – er hat das Kind eines Tunnelbauers in Österreich getauft – und es gibt traurige, wenn er verstorbene Arbeiter dort beerdigt.

Seelsorger sein unter Bauarbeitern, das ist wirklich die passendste Ausführung, die ich mir für das Wort Diakon vorstellen kann. Denn eine zweite mögliche Übersetzung für die griechischen Begriffe „dia“ und „konis“ bedeutet: durch den Staub gehend. Und diesen Staub, den tragen Peters Arbeitsschuhe jeden Abend.

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18JUL2024
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„Glaubst Du wirklich an Gott?“ Diese Frage wird mir immer wieder gestellt. Wahrscheinlich, weil ich bei der Kirche arbeite. Aber ich kann sie nicht so einfach beantworten. Zumindest nicht mit einem schlichten „Ja“ oder mit einem „Nein“. Ich finde die Frage „Glaubst Du an Gott?“ die eignet sich nicht, wenn es darum geht, über meinen Glauben zu sprechen. Denn das steckt ja dahinter, wenn jemand wissen will, wie ich es mit Gott halte.

Wenn ich von Gott spreche oder beschreiben will, was für mich glauben heißt, dann erzähle ich viel lieber, was mich berührt, wonach ich mich sehne oder worüber ich staune. Weil ich meine: darin steckt etwas von dem, das für mich heilig ist, und so eben mit Gott zu tun hat.

Dann erzähle ich zum Beispiel von dem Moment, als ich einen großen inneren Frieden gespürt habe. Das war nachts im Zelt, in der Weite von Kanada. Es war Winter und eiskalt, die ganze Landschaft war mit Schnee bedeckt. Über uns Millionen von Sternen am dunklen Himmel. Und das einzige Geräusch in dieser Stille war das leise Knacken eines zugefrorenen Sees. Da habe ich eine große Ehrfurcht vor der Schöpfung empfunden und Dankbarkeit, dass ich ein Teil davon sein darf.

Wenn ich mit meinen mehr oder weniger erwachsenen Kindern von Gott spreche, dann landen wir meistens bei Jesus. Der ist für sie näher und konkreter als Gott. Wir diskutieren darüber, ob wir gut finden, wie Jesus gelebt hat und was er getan hat. Und dann reden wir über unsere Gesellschaft, was schiefläuft, wie es passieren konnte, dass viele nicht genug Geld haben, um sich eine Wohnung zu leisten oder einfach nur gutes Essen. Und warum so viele junge Leute rechte Parteien wählen. Dass Jesus sich damals für Leute am Rand der Gesellschaft stark gemacht hat, dass es sein Weg war, sozialen Frieden zu stiften, das ist etwas, das uns gemeinsam imponiert und uns antreibt.

Ich denke, wenn ich erzählen kann, worüber ich staune oder wo ich Ungerechtigkeiten in der Gesellschaft sehe, dann steckt da mehr von Gott drin, als wenn ich auf die Frage „Glaubst Du wirklich an Gott?“ mit Ja oder Nein antworte.

Mehr noch: Ich würde diese Frage lieber umdrehen und als Antwort formulieren: Ich glaube, dass Gott an mich glaubt. Dass er mir zutraut, dass ich wahrnehme, wie schön und staunenswert die Welt ist. Und mich kümmere und einsetze, wenn genau das bedroht ist.

Das bedeutet es für mich, an Gott zu glauben. Und ja, deshalb glaube ich.

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17JUL2024
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Mit ein paar alten Fotos sitzen wir im Auto, mein Bruder und ich. Auf meinem Schoß liegt eine Papierlandkarte von Polen; ein paar Orte habe ich eingekreist. 850 Kilometer liegen vor uns. Es ist Frühsommer 2024 und wir zwei sind aufgebrochen in ein fremdes Land; um ein Stück Familiengeschichte zu suchen. Wir haben keine Ahnung, was wir davon noch finden werden und was uns dort genau erwartet. Das kleine Dorf Miedzichowo ist unser erster Halt. 1945 stand auf dem Ortschild noch der Name „Kupferhammer“.

Damals, nach dem Zweiten Weltkrieg, da mussten alle Deutschen das Dorf verlassen und wurden vertrieben. Polen aus dem Osten wurden dahin umgesiedelt. Meine Mutter gehörte zu den Flüchtlingen, meine Oma, der Uropa, die ganze Familie. Wie so viele, die in den ehemaligen deutschen Ostgebieten gelebt haben, mussten auch sie ihr Elternhaus zurücklassen und fort aus der Heimat. Aufbrechen zu einem unbekannten Ziel.

Wir sind angekommen in Miedzichowo und laufen die Dorfstraße entlang. Es ist ein schönes Dorf. Mit einem neuen Dorfplatz, die Fassade der Kirche ist gestrichen. Einen kleinen Laden gibt es auch. Und dann klingeln wir am Elternhaus meiner Mutter. Wir haben es tatsächlich gefunden, es steht noch! In diesem roten Ziegelsteinhaus ist sie 1942 geboren. Ein Pitbull kläfft am Zaun, eine ältere Frau kommt raus und mustert uns. Ihr Sohn kommt dazu, von oben bis unten tätowiert. Sie sprechen kein Englisch oder Deutsch, und wir kein Polnisch. Über den Gartenzaun rüber zeigen wir den beiden unsere Fotos. Unsere Mutter ist darauf zu sehen, vor genau diesem Haus. 1984 stand sie da, hat geklingelt - aber keiner hat aufgemacht.

Die Frau und ihr Sohn schauen die Fotos an. Mit Hilfe des Google-Übersetzers werfen wir ein paar Worte übers Gartentor: Mama hier zuhause, Opa Bäcker, Backstube hinterm Haus, drei Kinder, vertrieben nach dem Krieg.

Dann sperrt der Sohn den Pitbull ein und die Mutter öffnet uns die Türe. Wir stehen derjenigen gegenüber, deren Vater 1946 in dieses Haus eingezogen ist. Wenige Monate, nachdem unsere Familie aus Kupferhammer fliehen musste. Die ältere Frau schaut uns an und fragt schließlich: „Kaffee?“

Es ist Platz am Tisch auf der Terrasse für beide, die Einheimischen und die Gäste, die Besitzer des Hauses und für uns, die Nachfahren der Eigentümer. Und für den Geist Gottes. Denn den spüre ich da, wo alte und neue Wege zusammenkommen. Wo es um Frieden und Versöhnung geht, wo die Angst schwindet und wo Menschen sich verständigen.

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16JUL2024
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An der Pforte des Evangelischen Oberkirchenrats von Württemberg habe ich vor Jahren ein Plakat gekauft. Darauf ein Gemälde aus dem 19. Jahrhundert. Zu sehen ist der schmale und der breite Weg. Der breite führt ins Unglück, die auf dem schmalen gehen, werden gerettet. Das Ganze bezieht sich auf die folgende Bibelstelle, in der Jesus sagt: Geht durch das enge Tor! Denn weit ist das Tor und breit der Weg, der ins Verderben führt, und es sind viele, die auf ihm gehen. Wie eng ist das Tor und wie schmal der Weg, der zum Leben führt, und es sind wenige, die ihn finden[1]. 

Keine Frage: Diese Bibelstelle kann als Drohung verstanden werden. Und so ist sie über Jahrhunderte auch benützt worden. Um allen ein schlechtes Gewissen zu machen, die es sich schön machen und die nach weltlichen Vergnügungen suchen. Auf dem Plakat gibt es das Reich der Welt mit Maskenball und Spielhalle, der gerade erfundenen Eisenbahn und eleganter Kleidung. Andererseits das Reich Gottes, wo es bescheiden und naturnah zugeht und in der die Kirche das Sagen hat.

Diese Form der Schwarzweiß-Malerei macht es sich zu einfach, finde ich. Dafür ist das Leben zu kompliziert. Wer gerne feiert und dazu einlädt, tut anderen was Gutes, reißt sie aus ihrem Alltag. Wer meint, in der Kirche gäbe es nur Licht und keinen Schatten, täuscht sich gewaltig.

Trotzdem steckt in dem Bild vom schmalen Weg ein Quäntchen Wahrheit. An die werde ich immer dann erinnert, wenn ich mit meinen Hunden unterwegs bin und wir an eine Stelle kommen, wo es eng wird. Interessant wird es vor allem dann, wenn uns jemand entgegenkommt. Und aufregend, wenn der auch einen Hund dabei hat. Dann muss ich die Situation richtig einschätzen und gut überlegen, wie ich jetzt reagiere. Wenn’s geht, weiche ich auf die Seite aus. Wenn nicht, bleibe ich stehen und warte, bis wir aneinander vorbei sind. Jedenfalls nehme ich Kontakt mit dem auf, der entgegenkommt, und achte darauf, dass alles gut geht. Wie meistens der andere auch.

Dann ist der schmale Weg für mich ein passendes Bild fürs Leben. Es ist eben nicht immer alles einfach und bequem. Das Leben ist kein immerwährender Spaziergang auf breiter Straße. Ich muss mit Komplikationen rechnen, kann nicht selbstverständlich annehmen, dass ich immer gesund bleibe, ein hohes Alter erreiche, mich mit allen bestens verstehe. Manchmal wird es eng. So ist das Leben. Und ich muss schauen, wie ich solche Situationen gut bewältige. Aber jedes Mal, wenn ich einen Schritt weiterkomme, eine Engstelle bewältigt habe, macht mich das ein bisschen glücklich. Und dieses Glück ist ein Hinweis für mich, dass Gott da ist.

 

 

 

[1] Matthäus 7,13f.

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15JUL2024
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Die Europameisterschaft ist vorbei. Und wir haben nicht gewonnen. Das ist schade, aber keine Katastrophe. Allein schon deshalb nicht, weil die deutsche Nationalmannschaft gut gespielt und einen so starken Teamgeist gezeigt hat. Besonders in Erinnerung bleibt mir aber die Stellungnahme des Bundestrainers am Tag nach dem Ausscheiden. Julian Nagelsmann spricht dabei an einer Stelle gar nicht über den Fußball, sondern über unsere Gesellschaft. Wie wir zusammenleben, und was ihm fehlt, was er sich wünscht.

Nagelsmann sagt bei der Pressekonferenz folgende Sätze:

„Wir leben in einem Land, das viel zu viel in Tristesse verfällt, stetig und ständig.

Es gibt mir hierzulande zu viel Schwarzmalerei.

Wenn jeder sein eigenes Süppchen kocht und individueller sein will als der Nachbar – nein. Gemeinsam ist man stärker, mit Fans stärker als ohne. Mit seinem Nachbarn stärker als ohne.

Wenn ich dem Nachbarn helfe, die Hecke zu schneiden, ist er schneller fertig.

Einfach einen Tick mehr Dinge wieder gemeinsam machen.

Diese Gemeinsamkeit hat sehr gutgetan.

Ich hoffe, dass diese Symbiose zwischen Fußballfans und einer Fußballmannschaft auch in der Gesellschaft stattfindet, dass wir begreifen, dass wir als Gemeinschaft (…) mehr bewegen können.“ Soweit Nagelsmann.

Fußball bewegt die Herzen vieler Menschen. Und so ein Bundestrainer auch. Wie sympathisch das ist, dass er nicht jammert, sondern mit schlichten Worten sagt: Es gibt Wichtigeres als den Fußball. Aber wenn das mit der Gemeinschaft bei der EM klappt, weil die Anhänger zusammenhalten, warum sollte es dann in anderen Lebensbereichen nicht klappen?

Ich kann mich dem Wunsch von Nagelsmann nur anschließen. Weil der Mann den Nagel buchstäblich auf den Kopf trifft. Und weil er damit eine Haltung anspricht, die für mich als Christ elementar ist. Zuerst an sich selbst zu denken, auf andere neidisch zu sein und am Ende Gott für alles verantwortlich zu machen – das verträgt sich nicht mit meinem Glauben. Ich sage das jetzt bewusst so unmissverständlich: Es ist meine Pflicht, mich in die Gemeinschaft einzubringen. Das ist keinesfalls freiwillig. Denn das Leben mit anderen ist immer ein Nehmen und Geben. Und dabei kommt es eben auch auf mich an. Je mehr ich habe und kann, desto mehr bin ich in der Pflicht.

Es ist beachtlich, dass ein Bundestrainer uns daran erinnert. Ein junger Mann mit großem Herzen, auf den viele hören, weil sie ihn bewundern. Und ich werde an ihn denken, wenn ich meinen Nachbarn und seine Hecke sehe – und hoffentlich bei vielen anderen Gelegenheiten.

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