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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Gar nicht so leicht, in knapp drei Minuten etwas dazu zu sagen, warum der Sonntag heute Trinitatis heißt und was ihn so besonders macht. Aber bevor ich Ihnen jetzt einen Mini-Vortrag über die Dreieinigkeit halte, male ich ihnen lieber ein Bild.

Darauf ist zu sehen: Zuallererst: Die Sonne. Es gibt sie in unserem Sonnensystem nur einmal. Sie ist der Fixstern, die Mitte unseres Universums, um die sich alles dreht. Die Sonne ist wie Gott: einzigartig. Ein Energiebündel, das durch unsichtbare Kräfte alles im Weltall auf rechten Bahnen lenkt. Wer direkt in die Sonne schaut, wird geblendet und muss die Augen zusammenkneifen. Kein Mensch erträgt ihren Anblick. Und niemand kann Gott sehen. Man müsste auf der Stelle vergehen.

Deshalb male ich zweitens der Sonne ein Gesicht. So ein großes, lachendes Kindergesicht: Punkt, Punkt, Komma, Strich. Und sage dazu: "Die Sonne, die mir lachet, ist mein Herr Jesu Christ."  Jesus Christus ist die Sonnenseite Gottes, ein Mensch, in dem Gott mir sein Angesicht zuwendet und mir versichert: Ich wärme dich, aber ich verbrenne dich nicht. Mit Jesus bekommt Gott, der so unfassbar groß ist wie die Sonne, ein menschliches Gesicht und wendet sich mir freundlich zu.    

Drittens male ich der Sonne schließlich noch ganz viele Sonnenstrahlen hin. Die stehen für den Heiligen Geist. Denn der bringt es an den Tag: Blühen und Sprießen, Wachsen und Gedeihen. An manchen Tagen kann ich dabei regelrecht zuschauen: Wie die Sonnenstrahlen Keimlinge aus dem Boden ziehen, auf der Haut kitzeln, Sonnenblumen sich Richtung Sonne verrenken. Was mich berührt, mich Gottes Gegenwart spüren lässt und in Bewegung bringt, das schreibe ich dem Wirken des Heiligen Geistes zu. So wie in dieser Liedstrophe: „Du durchdringest alles, lass dein schönstes Lichte, Herr, berühren mein Gesichte. Wie die zarten Blumen willig sich entfalten und der Sonne stille halten. Lass mich so, still und froh, deine Strahlen fassen und dich wirken lassen."

Geschafft! In knapp drei Minuten ein Bild von der Dreieinigkeit gemalt:  Gott ist wie die Sonne. Ein Gott, der für mich glüht in väterlicher Liebe, der mich anlacht in Jesus Christus, der mich Feuer und Flamme sein lässt durch den Heiligen Geist. Stell dich heute in ihr Licht!

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SWR3 Worte

04JUN2023
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Jeden Tag leben, als sei es der letzte? Susanne Niemeyer hat dazu ihre ganz eigene Meinung:

„Ich finde es Unsinn, jeden Tag zu leben, als sei er der letzte. Denn was sollte ich an so einem letzten Tag noch tun, außer mich zurücklehnen oder in Depression zu fallen oder in einen hektischen Aktivismus wie an einem letzten Urlaubstag?

Ich bin dafür, jeden Tag so zu leben, als sei er der erste. Was könnte nicht alles kommen?“

 

Quelle

Susanne Niemeyer: Aussicht, in: 100 Experimente mit Gott. Von Abenteuer bis Zuversicht, Freiburg 20214, S. 31.

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SWR3 Gedanken

04JUN2023
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„Glühbirnen im Kopf bringen kein Licht.“ Dieser Satz fällt mir ein, als ich mich mal wieder beim ewigen Grübeln erwische. Ich zähle nämlich zu jener Art Mensch, die lieber dreimal überlegen, bevor sie was tun.

Das fängt schon bei den Hobbys an: Da bin ich einerseits unglücklich, weil meine geliebte Gitarre seit Monaten ungespielt an der Wand hängt; andererseits setze ich mich am Abend erstmal hin und überlege, ob es nicht jetzt schon zu spät für eine Musik-Session ist. Ich wollte ja eigentlich noch Sport machen. Vor lauter Nachdenken ist dann die Luft draußen, keins der beiden Dinge passiert und ich schmeiß mich unmotiviert aufs Sofa.

Manchmal ist es auch schlecht für meine Freunde, dass ich so übermäßig rumhirne. Zum Beispiel, wenn ich wochenlang darüber nachdenke, ob mein Kumpel noch sauer ist, weil es letztens bei unserer politischen Diskussion ordentlich gekracht hat. Anstatt, dass ich es kurz mit ihm bespreche.

„Glühbirnen im Kopf bringen kein Licht.“ Der Satz führt mir was Wichtiges vor Augen: Meine Luftschlösser bewegen nichts, wenn ich nicht endlich anfange zu machen.

Jesus hat auch mal so einen Merksatz zum Thema „Licht“ rausgehauen. Er hat gemeint: „Man zündet doch nicht eine Lampe an und stellt sie dann unter einen Topf.“  Und Jesus war der Meinung, dass alle wie Licht sein können, und denen leuchten, die gerade keins haben.

Das hilft mir, dem lieben Kopfmenschen: Auch ich kann für andere leuchten, wenn ich meine Glühbirnen aus dem Kopf hole und damit echtes Licht mache. Ich kann mir einen Ruck geben und Unangenehmes ansprechen, an meinen Freundschaften arbeiten und Frieden suchen. Oder anderen und mir selbst mit meiner Gitarre endlich eine Freude machen.

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SWR4 Sonntagsgedanken

04JUN2023
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Wie kann es sein, dass der Mensch Jesus zugleich Gott ist? Das haben sich vor über 1500 Jahren mehr als 2000 Theologen bei einem Konzil gefragt. Sie haben darüber gestritten: zwei ganze Monate lang! Das war in dem Ort Nicäa in der Nähe des heutigen Istanbul.

Zwei Monate haben sie gestritten und debattiert: Ist Jesus ein Mensch gewesen? Oder war er Gott – genau wie der, der Himmel und Erde erschaffen hat? Aber wie soll Jesus die Welt erschaffen haben? Er ist schließlich nicht schon immer da gewesen, sondern wurde irgendwann einmal geboren – wie alle anderen Menschen auch. Also doch nicht Gott? Wenn Jesus trotzdem genauso Gott ist, wie Gott der Vater – haben Christen dann nicht zwei Götter? Oder sogar drei – denn der Heilige Geist kommt ja auch noch dazu…

Heute kommen uns solche Diskussionen vielleicht weltfremd vor. Aber damals ging es darum, wie sich die Christen verstehen können. Es ging darum, wie sie den Glauben an den einen Gott vereinbaren können damit, dass Jesus Gottes Sohn war und der Erlöser der Welt.  

Am Ende des Konzils stand ein Kompromiss, und es wurde ein Glaubensbekenntnis formuliert, das in christlichen Gottesdiensten bis zum heutigen Tag an hohen Feiertagen gesprochen wird. Dort heißt es über Jesus, er sei „gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater.“

Zugegeben – auch das klingt immer noch sehr abstrakt.

Aber die Frage treibt mich auch heute um: Wo begegnet mir Gott? Und wer ist Gott für uns? Die Antwort der Theologen von damals lautete. Der eine Gott, das sind drei – der eine Gott, das ist Vater, Sohn und Heiliger Geist. Alle drei zusammen sind der eine Gott.

Mir hilft das, die verschiedenen Weisen zu sehen, mit denen Gott sich mir und der Welt zeigt. Der Vater ist der Schöpfer der Welt. Er hat die Welt ins Leben gebracht und Ordnung ins unendliche Universum. In Jesus Christus hat er uns seine Menschlichkeit gezeigt – und ist selbst Mensch geworden, mit allen Seiten, die das menschliche Leben so zu bieten hat. Mit Lust und Liebe, mit Schmerz und dem Einsatz für eine bessere Zukunft. Mit der Auferstehung Jesu von den Toten hat Gott uns allen die Aussicht auf ein neues Leben jenseits des Todes geschenkt. Der Heilige Geist ist der Windhauch und der Atem Gottes. Er hält den Glauben lebendig und er eröffnet ungeahnte Perspektiven.  

Wie Gott ist, wie wir ihn – oder sie – uns vorstellen können, das bleibt geheimnisvoll. Gott zeigt sich als der, der er ist – als Vater, als Sohn und als Heiliger Geist. Wir sind auf seinen Spuren unterwegs.

Das Geheimnis Gottes zu verstehen ist eine Aufgabe für mehr als ein Leben. Gott wirkt auf vielfältige Weise in unserem Leben, er ist Vater, Sohn und Heiliger Geist. Heute ist der Sonntag, der dem dreieinigen Gott gewidmet ist.

Trinitatis heißt der Sonntag heute. Gottes Wirken in meinem Leben ist oft rätselhaft, manchmal handfest wie der Schöpfer bei der Schöpfung, manchmal verwundbar und heilsam wie Jesus gewirkt und gelebt habt, manchmal leicht und weit wie der Heilige Geist, der dem Leben eine neue Richtung gibt. Die ganz unterschiedlichen Texte der Bibel, die von der Geschichte Gottes mit der Welt erzählen, sind Teil einer großen Suchbewegung. Wenn ich diese Texte lese, dann mache ich mich mit auf die Suche danach, was Hoffnung schenkt und Zuversicht über den Tod hinaus. Das, was Halt gibt und trägt, ist in ganz unterschiedlichen Worten und Stimmen zu hören. Die gute Nachricht wird nicht nur in geschliffenen Formeln hörbar, sondern auch im suchenden Stammeln.

Mich erinnert die Vorstellung von Gott als Vater, Sohn und Heiligem Geist daran, dass er mir auf unterschiedliche Weise begegnet und dass Gott in sich selbst so vielfältig ist wie das Leben und die Welt.

Dem Propheten Jesaja aus dem Alten Testament erscheint Gott gewaltig und groß. Da wird erzählt, wie er in einem überdimensionierten Gewand dasitzt und einen ganzen Raum füllt. Und um ihn herum schwirren besondere Engel. Seraphim. Jeder mit sechs Flügeln.

Ich denke auch an Maria von Magdala. Ihr begegnet Gott als Freund und Vertrauter, ganz nah. Den Jüngern begegnet Gott als Heiliger Geist, der sie mitreißt und wie ein frischer Wind hinaus aus den Mauern ins Leben bläst.

Gott zeigt sich dieser Welt auf ganz unterschiedliche Weise. Wie Göttliches und Menschliches zusammenwirken bleibt ein Geheimnis.

Aber so viel ist sicher: Gott lässt diese Welt als ihr Schöpfer nicht im Stich, er steht an unserer Seite und entreißt uns dem Tod als der Sohn Jesus Christus und er durchweht mein Leben mit seinem Geist, der mich in Bewegung setzt.

Ich wünsche ihnen einen bewegten Sonntag und eine gesegnete Woche.

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SWR1 3vor8

04JUN2023
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Schauspieler machen es, bevor sie die Bühne betreten, Fußballerinnen auch, Dracula fürchtet sich davor und einige machen es, wenn sie in eine Kirche kommen – das Kreuzzeichen. Mit ausgestreckten Fingern geht es von der Stirn zur Brust und dann von der linken zur rechten Schulter.

Ich mag dieses Zeichen. Und ich mache es oft mehrmals am Tag. Am Morgen, wenn ich in einen anstrengenden Tag starte oder zusammen mit anderen, wenn ich am Ende eines Gottesdienstes von Gott gesegnet werde.

Das Kreuzzeichen ist ein uraltes Segenszeichen, mit dem sich Christen zu Gott bekennen. Kurz und knapp fasst es zusammen, was Christen glauben, nämlich an Gott Vater, an seinen Sohn Jesus und an den Heiligen Geist.

Paulus ist einer der ersten, der den Glauben an den „dreifaltigen“ Gott, in eine Art Segensformel gepackt hat. In einem seiner Briefe segnet er die Gemeinde in Korinth und schreibt: Die Gnade des Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!“ (2 Kor 13,13) Heute, am Dreifaltigkeitssonntag, wird dieser Abschnitt in katholischen Gottesdiensten gelesen.

Wenn ich beim Kreuzzeichen meine Stirn berühre, dann denke ich an Gott und seine Liebe zu uns Menschen. Ich glaube, dass er mich gewollt hat und mit mir auf dieser Welt etwas vorhat. Wenn meine Hand nach unten zur Brust geht, dann denke ich an Gott, der die Idee hatte, in Jesus Mensch zu werden, und der sich mit großer Leidenschaft für uns Menschen eingesetzt hat. Jesus weiß, wie sich das Leben anfühlt – mit all den schönen Momenten, aber auch den richtig miesen. Und weil er auferstanden ist, hoffe ich, dass ich nach dem Tod bei Gott sein werde. Dass dann alles gut ist. Wie auch immer das genau sein wird. Zum Schluss geht meine Hand nach links und rechts. Das macht mir deutlich, dass Gott auch jetzt da ist. Sein Geist tröstet oder verändert mich. Er inspiriert und treibt mich an, er lässt mich lieben, powern und lachen.

Neulich habe ich gelesen, was syrische Christen beim Kreuzzeichen beten. Ich finde, das fasst das noch einmal wunderbar zusammen. Sie beten: "Im Namen des Vaters, der uns ausgedacht und geschaffen hat, und des Sohnes, der in die Tiefe unseres Menschseins hinabgestiegen ist, und des Heiligen Geistes, der das Linke zum Rechten wendet, der das Unbewusste und Unbekannte in uns verwandelt, damit es ausgerichtet wird auf Gott." [1]

 

[1]https://www.katholisch.de/artikel/37-das-kreuzzeichen

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SWR1 Begegnungen

04JUN2023
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Gerhard Marcel Martin Foto: privat

Peter Annweiler trifft Gerhard Marcel Martin, Theologieprofessor und Autor des Buches „Sehnsucht leben“

Teil 1: Sehnsucht – ein Unruheherd?

An ihm hat mich immer beeindruckt, wie kreativ und weit er denken kann und dabei doch genau bleibt. Schon als ich bei ihm studiert habe, hat mir gefallen, wie der Marburger Theologieprofessor Religion mit Kultur und Psychologie im Gespräch hält. Jetzt habe ich ihn wieder besucht, weil er ein Buch über Sehnsucht geschrieben hat. In seinem Spätwerk hat sich dieses Motiv immer öfter bemerkbar gemacht, sagt er – und lädt ein, genauer hinzuschauen.

Sehnsucht ist so weit zu fassen als Phänomen, dass sie eigentlich ne Unruhe, einen Unruheherd in allen Lebensbereichen ist.

„Unruheherd“? –  Sehnsucht gibt sich nicht mit dem zufrieden, was ist. Sie treibt mich weg von dem, was mich im Moment umtreibt – und führt mich zu dem, was womöglich wesentlich ist. Ja, so passt es für mich auch in unsere Tage:  Gerade wenn ein Krieg grausam wütet, wird meine Sehnsucht nach Frieden erst recht geweckt!

Wohin zielt die Sehnsucht: Kann Sehnsucht gestillt werden oder ist sie unstillbar? Und ich gehe davon aus, dass Sehnsucht tatsächlich nicht erfüllt wird. Aber alles beginnt mit der Sehnsucht- und wo Sehnsucht sich erfüllt, dort bricht sie noch stärker auf.

Sehnsucht richtet sich also auf ein unerreichbares Ziel. Vielleicht ist sie wie ein Motor, der auch in verzwickten Zeiten und nach schweren Enttäuschungen am Laufen bleibt. Ihre Geschwister Optimismus und Hoffnung scheinen ihr gegenüber schneller am Ende. 

Optimismus ist ziemlich „pausbackig“, oft – und lässt den Schmerz  draußen. Hoffnung ist schon sehr viel aufgerauhter und enttäuschbarer und offen, während Sehnsucht demgegenüber geradezu diffus und unbestimmt ist, was aber auch ihre Stärke ist.

Ich weiß es ja von mir: Schmerzhaft ist mein Optimismus zerbrochen, dass dieser Krieg schnell vorbei gehen kann. Und meine Hoffnung, dass es nicht so viele Tote geben möge, war schnell zerstört. Meine Friedenssehnsucht aber lebt noch. Darin ist Sehnsucht womöglich auch wie eine Bewegung auf Gott hin – sie führt nicht auf ein behagliches Ruhekissen, sondern ist ein Unruheherd, der mich davor bewahrt, zu schnell zufrieden und beruhigt zu sein. Sie ist also auch ein Motor, nicht aufzugeben.

Und das ist die Dynamik der Sehnsucht, die auch dazu antreibt, es also nicht bei der inneren Erfahrung sein zu lassen und auch dazu ermuntert, in den sozialen Aktivitäten andere Spuren, einen Tiefgang, einen spirituellen, aber auch einen politischen, zu bewahren.

 

Teil 2. Sehnen und Suchen

Für den emeritierten Marburger Professor der Praktischen Theologie hat Sehnsucht viel mit dem Kern von Religion zu tun: Hoffnung und Verzweiflung, Glück und Schmerz finden in ihr zusammen. Gerade in Krisenzeiten treibt sie über Rückschläge und Enttäuschungen hinaus. Religion und Sehnsucht gehören für Gerhard Marcel Martin aus einem ganz einfachen Grund zusammen:

Religion ist ein Lebensphänomen und kein Denkereignis. Und von da aus muss sie und ist auch immer mit Lebenserfahrung und mit Enttäuschung und Schmerz und Sehnsucht verbunden.

Das gefällt mir: Religion ist nichts Exklusives - etwa nur für Kirchenmitglieder. Sie gehört mitten ins Leben: Als ein „Lebensphänomen“ hält sie Schmerz und Sehnsucht verbunden.  Sie gehört zu einem Drang, der sich manchmal gar nicht aussprechen lässt, so tief ist er im Grund des Lebens angelegt.

Das Klassische ist bei Paulus, dass die ganze Schöpfung sich sehnt nach der Erlösung, nach Lösung, nach Freiheit – und dass dies zum Ausdruck gebracht wird über ein Stöhnen, über ein Seufzen, also etwas Vorsprachliches, aber zutiefst Leibhaftiges.

Ja, manchmal möchte ich auch nur noch Stöhnen und Seufzen über den Unfrieden, das Taumeln unseres Planeten und die Rückfälle im politischen und menschlichen Bemühen. In seinem Buch geht Gerhard Marcel Martin davon aus, dass wir genau so – auch im Stöhnen und Seufzen - „Sehnsucht leben“ können.

Sehnsucht ist unterbestimmt und kann den Zielgegegenstand (schmunzelt), das Ziel gar nicht benennen, weil es in die Weite und ins Offene geht, was lebensdienlich ist, aber auch gefährlich sein kann. Und in dem Sinn kann aus Sehnsucht auch eine Abhängigkeit und eine Sucht werden

- und dabei kann Sehnsucht krank machen, weil sie immer weg zieht von dem, was ist. Und weil Menschen manchmal versuchen, die Sehnsucht mit Suchtmitteln ruhig zu stellen.

Und in dem Sinn müsste auch Sucht-Therapie befreien durch ein Lernen der Sehnsucht. Aus der Sucht kommt man nur heraus, wenn man in die Sehnsucht um-steigt…

Mir gefällt die kreative Nach-denklichkeit, mit der Gerhard Marcel Martin denkt, spricht und schreibt. Er berührt mich mit dem, was er aus Psychologie und Religionswissenschaft, aus Musik, Kunst und Bühnenwelt zusammen trägt

Wenn Religion diesen Anschluss an die Weite der Kultur und die Weite menschlicher Erfahrung verliert, dann ist sie „Plastik“ und verliert den Lebensatem.

 

Buch-Tipp:

Gerhard Marcel Martin, Sehnsucht leben, Stuttgart 2022

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SWR2 Lied zum Sonntag

04JUN2023
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Holy, holy / Dove descend / Soft and slowly / When I’m near the end 

„Heilig, heilig, die Taube schwebt herab, sanft und langsam, wenn ich fast am Ende bin“. Was wie ein alter Choral klingt, ist tatsächlich ein ziemlich aktueller Song der britischen Rockpopgruppe Coldplay. Seit mittlerweile 25 Jahren spielen die vier Gründungsmitglieder Chris Martin, Jonny Buckland, Guy Berryman und Will Champion miteinander. In einem WG-Zimmer haben die vier angefangen. Heute füllen sie Stadien. Immer noch aber beherrscht die Gruppe den kleinen, intimen Song. Wie When I need a friend.

Der Sänger Chris Martin erzählt, dass der Song von seinem Interesse an Kirchen- und Gospelmusik inspiriert ist. Musik, die Martin bereits als Kind hörte. Vielleicht hat er dabei an das Heilig, heilig, heilig aus der Deutschen Messevon Franz Schubert gedacht.

 

Musik 3 

Heilig, heilig, heilig, heilig ist der Herr! / Heilig, heilig, heilig, heilig ist nur er! / Er, der nie begonnen, er, der immer war, / ewig ist und waltet, sein wird immer dar.

Schuberts Heilig und Coldplays When I need a friend: Zwei musikalische Geschwister, die ich miteinander reden höre. Schubert sagt: „Ich stehe auf Drei-Viertel-Takt. Da kommt viel Ruhe rein. Und dann auch etwas Leichtes, etwas Tänzerisches.“ Und Coldplay sagt: „Ich meditiere lieber im Vier-Viertel-Takt. So wie der Atem und der Herzschlag.“ Einig sind sich Schubert und Coldplay aber beim „Heilig“. Das ist ein erhabenes und großes Wort. Ich denke: Es sind beides Volkslieder auf ihre Weise. Es sind Lieder mit schlichter Melodie, die ins Ohr geht. Und doch unterscheidet sie der Text. In Schuberts Heilig schreibt der Textdichter Johann Philipp Neumann ganz auf biblische Texte bezogen von der Größe Gottes: Er kann gar nicht genug „Heilig“ singen. Bei Coldplay klingt das ganz anders.

 

Musik 2 

Holy, Holy / Dark defend / Shield me should me / When I need a friend

Da singt jemand, dem es dreckig geht. Jemand, der sagt: Ich bin fast am Ende. Die Dunkelheit muss zurückgedrängt werden. Ich brauche Unterstützung. Brauche einen Freund, eine Freundin. Was ich faszinierend finde: Der Text scheint ganz auf den Menschen bezogen. Seine Situation. Seine Not. Und greift doch unüberhörbar religiöse Bezüge auf. Da soll die Taube niederschweben, da brauche ich Schutz und Schild, da regiert die Liebe. When I need a friend weiß: Ich kann mein Leben nicht alleine auf die Reihe kriegen. Ich brauche andere an meiner Seite. Brauche Unterstützung.

Sicher: Einen romantischen Gott, wie bei Schubert, den kennt Coldplay nicht. Einen Gott, der immer da ist und begleitet und unterstützt. Aber When I need a friend besteht auf der Hoffnung, dass Abgründe, Dunkelheit und Gewalt nur das vorletzte Wort haben. Langsam, ganz zärtlich, so die Bitte, setzt sich die Liebe durch. Immer dann, wenn ich eine Freundin, einen Freund finde. Ich denke an die Bekannte, die ihren Mann verloren hat. Und Unterstützung erfährt. Ich denke an das Lied, das ich im Radio höre und das mich tröstet. Ich denke an die Mail, in der steht, dass ich etwas gut gemacht habe. Das sind wunderbare Moment. Die haben Heiliges. Und ich glaube: In ihnen zeigt sich Gott.

Musik 1 (1:12-1:55)

Slowly, slowly / Violence end / Love reign o’er me / When I need a friend

 

 

Text und Musik: Coldplay / Guy Berryman / Jonny Buckland / Will Champion / Chris Martin (2019)

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SWR3 Worte

03JUN2023
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Wäre es nicht schön, wenn man wüsste, wo Gott wohnt? Damit man ihn auch sicher finden kann, wenn man ihn braucht? Das wäre wirklich schön. Und zum Glück hat der jüdische Theologe Martin Buber in einer kleine Anekdote aufgeschrieben, wie das ist mit dem Ort, an dem Gott wohnt. Er erzählt von einem jüdischen Rabbi: 

Als Rabbi Joshua Meir ein kleiner Junge war, (… da) sagte ihm jemand:«Ich gebe dir einen Gulden,wenn du mir sagst, wo Gott wohnt.»
Er antwortete: «Und ich gebe dir zwei Gulden, wenn du mir sagen kannst, wo er nicht wohnt.»

Die Erzählungen der Chassidim, hg. Martin Buber

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SWR2 Wort zum Tag

03JUN2023
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Gerade haben sie in Frankfurt ein großes Fest gefeiert: Das Jubiläum des ersten deutschen Parlaments, das 1848 zum ersten Mal in der Paulskirche getagt hat. Tausende Menschen sind dort zusammengekommen, auch der Bundespräsident war dabei, es gab ein großes Musikprogramm. Alle haben den Anfang unserer Demokratie gefeiert, für die viele Menschen unter Einsatz ihres Lebens gekämpft hatten. Auch Künstler hatten sich damals eingesetzt und Wege geebnet, allen voran Ludwig van Beethoven. Seine 3. Symphonie, genannt Eroica, die Heroische, die er in den Jahren 1802/03 komponiert hatte, wurde zu einer Hymne der Bewegung. Schon Beethoven musste allerdings erleben, dass die Helden der Freiheit sehr schnell zu ihren ärgsten Gegnern werden konnten. Aus dem Freiheitshelden Napoleon wurde der Kaiser und Kriegstreiber. Und auch die hoffnungsvollen Anfänge der Frankfurter Paulskirche sind bald von den Fürsten wieder brutal zertreten worden. Sogar die Eroica selbst wurde von Leuten vereinnahmt, die mit den Idealen Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit rein gar nichts mehr zu tun hatten.

Der Schwachpunkt auch des ehrlichsten Kampfes für die Freiheit des Menschen ist leider - der Mensch. Sogar menschliche Freiheitshelden haben die ungute Tendenz, ihre Macht irgendwann wichtiger zu finden als die Freiheit ihrer Mitmenschen, für die sie einmal angetreten sind. Und auch Musik ist nicht davor gefeit, vereinnahmt zu werden.

Demokratie ist kein Selbstläufer, das hat auch der Bundespräsident betont. Sie braucht aktiven Einsatz. Das ist ganz im Sinne Jesu. Im Matthäusevangelium sagt er: Ihr wisst, dass die Herrscher ihre Völker niederhalten und die Mächtigen ihnen Gewalt antun. So soll es nicht sein unter euch; sondern wer unter euch groß sein will, der sei euer Diener; und wer unter euch der Erste sein will, der sei euer Knecht, so wie der Menschensohn nicht gekommen ist, dass er sich dienen lasse.

„Zur Freiheit hat euch Christus befreit“ fasst Paulus das später zusammen.

Ich bin mir sicher, schon die ersten Christen haben dazu gesungen. Lieder von Freiheit und Menschenwürde.

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SWR3 Gedanken

03JUN2023
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Warum ist das so? Das hat mein Kind mich früher immer wieder gefragt. Warum muss ich jetzt ins Bett? Draußen ist es doch noch hell! Warum weint das andere Kind? Warum haben nicht alle Kinder gleichviel Spielzeug? Und oftmals kam die Frage noch einmal hinterher, wenn ich schon versucht hatte, eine Antwort zu finden… Aber! Warum ist das so? – Ich finde allerding, das ist nicht nur eine typische und wichtige Kinderfrage, mit der man Eltern Löcher in den Bauch fragen kann. In vielen Momenten ist es auch als Erwachsener eine wichtige Frage: Warum ist das eigentlich so? Dabei lernt man spätestens dann leider aber auch: Es gibt viele Warum-Fragen, auf die man keine Antwort findet, manchmal ein ganzes Leben lang nicht. Warum wurde ich in einem reichen Land geboren, und andere nicht?? Warum müssen manche Menschen viel zu früh sterben? Warum muss es überhaupt Krieg geben in der Welt?

Mir geht dann manchmal ein Spruch durch den Kopf, den ich irgendwo gelesen: „Auf der Suche nach dem Warum wurde ein Egal gefunden“. Und ehrlich, das ist vielleicht ein bisschen flapsig, aber für mich zumindest nicht selten auch ein echt entlastender Gedanke. Viele der Fragen und vor allem ihre Antwort sind natürlich nicht egal, ganz im Gegenteil, und es gilt, dran zu bleiben. Aber das bedeutet für mich auch, dass es eben nicht immer darauf an kommt, sofort alles erklären zu können – nicht meinem Kind, und auch nicht für mich selbst. Das „Egal“ hilft dann manchmal, weiterzugehen. Weil wir zwar keine Antwort, aber etwas anderes finden können: Dinge, die wir ändern können. Kleine Schritte, die wir gehen können. Andere Menschen, die mit uns diese antwortlosen, schweren Fragen aushalten. Und auch die Erfahrung, dass Gott in all diesen antwortlosen Zeiten mit uns geht. Durch alle Tiefen und Ratlosigkeiten.

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