Alle Beiträge

Die Texte unserer Sendungen in den SWR-Programmen können Sie nachlesen und für private Zwecke nutzen.
Klicken Sie unten die gewünschte Sendung an.

Filter
zurücksetzen

Filter

Datum

SWR1

     

SWR2 / SWR Kultur

    

SWR3

  

SWR4

      

Autor*in

 

Archiv

21JUL2024
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Früher war alles besser… dieser Stoßseufzer ist wahrscheinlich den meisten schon mal durch den Kopf gegangen. Auch heute höre ich das immer wieder. Zum Beispiel, wenn es um die Spaltung der Gesellschaft geht. Früher da war alles besser, da haben die Menschen wenigstens noch zusammengehalten…

Ein Abschnitt aus dem Epheserbrief in der Bibel, über den heute in vielen evangelischen Kirchen gepredigt wird, dreht die Perspektive.

Da heißt es: früher was alles schlechter! Der Briefschreiber erinnert die Menschen daran, dass ihnen in ihrem Leben ein Licht aufgegangen ist: Christus ist in euer Leben gekommen. Er hat es heller gemacht. Ihr seid Kinder des Lichts. Der Glaube an Gott, zu dem die Menschen durch Christus gekommen sind, war für sie lebensverändernd. Eine Wende zum Guten.

Ich finde, diese Kraft kann Glaube heute immer noch entfalten. Weil er auch in manchmal komplizierten Zeiten, Hoffnung schenkt. Es gibt etwas Größeres als mich. Einen Zuspruch. Gott meint es gut mit mir. Mit uns allen. Für mich ist das etwas, das meine Leben heller macht. Und meinen Blick hin zum Guten wendet.

Früher war alles besser? Es gab mehr Zusammenhalt? Mag sein, dass das stimmt. Andererseits habe ich auch den Eindruck: Früher musste man sich viel mehr anpassen. Es gab bestimmte Werte, die galten. Wer damit nicht konform ging, wurde mindestens schief angeschaut. Vieles wurde gar nicht erst thematisiert. Menschen mussten zum Beispiel ihre Liebe im Verborgenen leben.

Sie mussten sich verstecken, nur weil ihre Beziehung nicht zur Norm passte oder kein Trauschein vorhanden war. Was als unnormal galt, wurde verschwiegen oder ins Dunkel geschobenen.

Aber ihr seid Kinder des Lichts. Heute sind wir offener. Für vieles, was früher unmöglich gewesen wäre, gibt es jetzt eine breite gesellschaftliche Akzeptanz. Mancherorts, wo es vorher dunkel war, leuchtet heute ein Licht. Insgesamt leben wir freier. Ja, früher war vielleicht manches besser, aber ich finde vieles auch schlechter. Jesus Christus wollte Licht für die Welt sein. Die Erinnerung daran hilft mir, das Gute nicht aus dem Blick zu verlieren. Und es macht mir Mut, dass es immer noch ein Stückchen besser wird.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=40324
weiterlesen...
14JUL2024
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Eine Botschaft gut unter die Leute bringen, das ist alles andere als einfach. Was lassen sich Unternehmen nicht alles einfallen, um mögliche Kunden anzusprechen und von ihren Produkten zu überzeugen. Nun sind die Kirchen keine Unternehmen, die irgendwas verkaufen wollen. Aber auch sie wollen natürlich, dass ihre Botschaft bei den Leuten ankommt. Ist schließlich die frohe Botschaft, die Jesus selbst hinterlassen hat. Seit 2000 Jahren klappt das ja auch. Aber manchmal geht die Verkündigung dieser frohen Botschaft eben auch gründlich daneben. Das mag mitunter auch an Gottes Bodenpersonal liegen. Aber selbst die, die für die Frohe Botschaft brennen, dringen damit oft einfach nicht durch. Eine Erfahrung, die schon Jesus und seine Leute machen mussten. Davon erzählt die Geschichte, die heute in den katholischen Gottesdiensten zu hören ist.

Die Zwölf, die Jesus unterstützen und begleiten, schickt er in Zweiergruppen los. Nichts Unnötiges sollen sie mitnehmen. Nur sich selbst und die Botschaft. Auf die Gastfreundschaft der Menschen sollen sie setzen. Darauf, dass Menschen bereit sind, sie und die Botschaft in ihren Alltag hineinzulassen. Bei Etlichen kommen sie damit auch an. Andere aber wollen nichts von ihnen wissen. Und in diesem Fall empfiehlt Jesus, einfach weiterzugehen und den Staub von ihren Füßen abzuschütteln. Ein Ausdruck, an dem ich schon oft hängen geblieben bin. Fromme Juden machten das damals, wenn sie heidnische Gebiete durchqueren mussten. Schüttelten symbolisch den Staub von den Sandalen, sobald sie durch waren. Eine Art symbolische Reinigungsgeste, die zeigen sollte: Mit denen machen wir uns nicht gemein. Zugegeben, sympathisch klingt das gerade nicht.

Und doch glaube ich, dass das, was Jesus seinen Leuten da rät, auch heute grundsätzlich sinnvoll sein kann. Denn wenn ich Menschen für eine Idee, ein Projekt gewinnen will, dann klappt das ja wirklich am besten, wenn es gelingt bei den Menschen anzukommen. Ehrlich und verlässlich. In ihrem Alltag und in ihren Herzen. Trotzdem werde ich erleben, dass Leute mich kritisieren. Mich anblaffen und auch ablehnen. Persönlich als Mensch. Aber auch das, was mir besonders wichtig ist.  

Und dann kann es manchmal sinnvoll sein, sich nicht in fruchtlose, oft verletzende Auseinandersetzungen zu verbeißen, sondern einfach weiterzugehen. Symbolisch also den Staub abzuschütteln. Anfeindung und schroffe Ablehnung tun weh. Können Motivation und Selbstwert brutal erschüttern. Wenn ich es dann schaffe, mich dadurch nicht runterziehen zu lassen. Wenn ich schaffe, den Staub abzuschütteln, behaupte ich mich selbst. Nehme das Heft des Handelns wieder in meine Hand. Ich weiß selbst: Das ist leichter gesagt als getan. Aber ich bin sicher: Auch das kann ich noch lernen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=40250
weiterlesen...
07JUL2024
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Stellen Sie sich vor, diese Geschichte wäre ein Hollywoodfilm oder ein Tatort. Dann würden viele wahrscheinlich sagen: Die Story ist zu konstruiert, zu politisch korrekt. Eine mächtige Frau im Hintergrund, ein schwarzer Protagonist, auch noch Teil einer sexuellen Minderheit– alle Quoten erfüllt. Doch diese Geschichte steht so in der Bibel und über sie wird heute in vielen evangelischen Gemeinden gepredigt.

In der Apostelgeschichte wird erzählt, wie ein Hofbeamter der Königin von Äthiopien Jerusalem besucht hat – als Tourist sozusagen. In der Bibel hat er keinen Namen – später hat man ihn Djan Darada genannt. Djan Darada ist kastriert, gehört also einer sexuellen Minderheit an und wird in der antiken Welt kritisch beäugt. Jetzt jedenfalls ist er auf dem Rückweg und hat eine Schriftrolle der jüdischen Bibel dabei, die er versucht zu verstehen. Ihm begegnet Philippus, ein Anhänger der Jesus-Bewegung. Philippus merkt, dass Djan die Schrift nicht versteht und begleitet ihn ein Stück auf seiner Reise. Er erklärt ihm dabei die Bedeutung der Texte und erzählt von Jesus, seinem Tod und seiner Auferstehung.

Als sie an einem See vorbeikommen, fragt Djan Darada "Spricht etwas dagegen, dass ich getauft werde?" Und Philippus tauft ihn kurzerhand, und ihre Wege trennen sich wieder.

Wäre Philippus vorher gefragt worden, ob etwas gegen die Taufe spricht, hätte er wohl gesagt: Ja, es spricht etwas dagegen – ein Nicht-Jude, kastriert, aus einem fremden Land. Unvorstellbar in der Jesus-Bewegung. Aber an diesem Tag lernt Philippus Djan kennen. Und merkt, dass der die gleiche Sehnsucht nach Gottesnähe hat, wie er auch. Und Philippus lernt aus der Begegnung: Es gibt keinen Grund, diesem Menschen den Wunsch zu verwehren, zu Jesus' Familie zu gehören. Die gute Botschaft Jesu ist, dass in seiner Welt für alle Platz ist, die dazugehören wollen. Die Taufe soll kein Instrument der Ausgrenzung sein. In unserer Kirche taufen wir deshalb kleine Kinder, um zu zeigen: Es gibt nichts, was man leisten muss, um zur Familie Gottes gehören: Sein Ja gilt allen.

Seit der Begegnung von Philippus und Djan haben Menschen immer wieder Mauern gezogen, um andere auszuschließen. Gute Gründe hatten sie dafür nicht. Mutige Menschen in der Vergangenheit wie Rosa Parks und Martin Luther King haben sich dagegen gewehrt. Und auch heute protestieren noch Menschen, wie die Theologinnen Sarah Vecera oder Veronika Rieger dagegen, dass schwarze oder queere Menschen ausgegrenzt werden. Denn: Auch heute ist es einfach Gründe zu erfinden, jemanden auszuschließen. Wie gut, dass es immer wieder Menschen gibt, die nicht aufhören mutig zu fragen: "Spricht etwas dagegen, dass ich dazugehöre?

https://www.kirche-im-swr.de/?m=40257
weiterlesen...
30JUN2024
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Mich voll und ganz ohnmächtig fühlen – das kann ich nur schwer ertragen.
Bei kleinen Dingen geht es noch. Zum Beispiel, wenn ich im Stau stehe und es nur im „stop and go“ vorwärtsgeht. Es nervt mich, dass ich ausgebremst werde, aber ich weiß auch: Das geht vorbei. Oder wenn eine Kollegin mich auflaufen lässt oder ein anderer meint, über mich bestimmen zu müssen. Das ist kein schönes Gefühl, aber meist merke ich mit ein wenig Abstand: so ohnmächtig bin ich gar nicht. Irgendwas kann ich doch noch tun. Sei es auf Abstand gehen oder ein klärendes Gespräch suchen.
Ganz anders ist es, wenn eine Krankheit Lebenspläne durchkreuzt. Oder wenn im Alter die Kräfte nachlassen, der eigene Körper zunehmend Grenzen setzt. Es ist hart, wenn ich erlebe, dass ich nichts für einen geliebten Menschen oder mich tun kann und der Situation hilflos ausgeliefert bin.
Und damit nicht genug: Mit einem Blick in die Welt, gibt es noch mehr, was mich ohnmächtig macht: die Klimakatastrophe, die vielen Kriege in der Welt. Da wird das Ohnmachtsgefühl manchmal bei mir riesengroß. Und es fühlt sich verdammt mies an, dass so vieles nicht in meiner Hand liegt.

In katholischen Gottesdiensten ist heute eine Stelle aus der Bibel zu hören, in der es um zwei Menschen geht, die sich auch ohnmächtig gefühlt haben. Der eine ist Jairus, Vater einer 12-jährigen Tochter, die im Sterben liegt. Die andere, eine Frau – ihr Name ist nicht bekannt –, die eine langwierige, vielleicht sogar chronische Krankheit hat. Bei vielen Ärzten ist sie gewesen, all ihr Geld hat sie in ihre Gesundheit gesteckt. Nichts hat geholfen.

Jairus und die Frau sind an dem Punkt, an dem sie sich absolut machtlos fühlen. Doch so ohnmächtig sie auch scheinen, sie erstarren nicht. Statt zu resignieren, wenden sie sich an Jesus. Sie muten ihm ihre Ohnmacht zu und sagen vielleicht so etwas wie: Ich bin am Ende. Kannst Du, Jesus, noch was machen? Ich kann es nicht mehr.
Ich finde beachtlich, wie die beiden mit ihrer Ohnmacht umgehen. Sie verdrängen sie nicht, sondern sie sind sich bewusst, dass sie nichts mehr machen können. Und trotz all der Krisen, in denen sie stecken, bauen sie darauf, dass es weitergehen wird. Auch wenn sie noch keine Idee haben, wie das funktionieren soll.
Dieses Vertrauen wünsche ich mir auch. Weil es Kräfte freisetzt, die es zum Leben braucht. Weil es spüren lässt: Ich muss mit meiner Ohnmacht nicht alleine bleiben, ich kann mich anderen anvertrauen. Und: es ist möglich, sich ohnmächtig zu fühlen und zugleich die Hoffnung nicht aufzugeben.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=40195
weiterlesen...
23JUN2024
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Wenn ich einen Feind habe – irgendjemand, der mich als Konkurrentin bekämpft, mich klein hält oder mir sonst irgendwie das Leben schwer macht – und ich bekomme unverhofft die Chance, ihn ein für alle Mal loszuwerden und selbst in die Pfanne zu hauen… Wäre das nicht in Ordnung? Und wenn wirklich gelten würde: „Er oder ich“, wäre das nicht sogar normal und absolut gerechtfertigt?

Die Bibel erzählt im Alten Testament von genau so einer Situation:
Saul ist rechtmäßiger König Israels – aber er ist krank: schwermütig; in Ungnade gefallen bei Gott. Und: er hat sich verrannt, jagt und verfolgt einen seiner besten Männer: David. Saul wittert in ihn Konkurrenz und einen Verräter und will ihn töten. David auf der anderen Seite ist tatsächlich nicht abgeneigt, irgendwann den Thron zu besteigen – aber nicht durch Verrat! Nicht durch einen Krieg gegen den rechtmäßigen König.

David flieht mit seinen Leuten in die Wüste – Saul ihm mit seiner Armee hinterher, und es gilt: „Er oder ich – auf Leben und Tod.“ Aber dann nimmt der Machtkampf eine groteske Wendung: Saul muss nämlich mal – er muss unterwegs aufs Klo, und geht dazu in eine Höhle, um vor seinen Männern seine Würde zu bewahren. Und erwischt ausgerechnet die Höhle, in der sich David mit seiner kleinen Truppe versteckt hat.

Grotesk: David erwischt Saul mit heruntergelassenen Hosen, und der merkt es nicht einmal. Und David? Der schleicht sich an Saul. Er zückt sein Messer – schneidet ihm aber nur einen Zipfel von seinem Gewand ab.

Saul hat nichts gemerkt und verlässt die Höhle. Und David ihm hinterher! Er wirft sich vor dem König auf die Erde und hält ihm gleichzeitig seinen eigenen Gewand-Zipfel unter die Nase. Und stellt damit klar: Du verfolgst mich zu Unrecht und machst mir zu Unrecht das Leben schwer: Dafür verdienst Du eine Strafe. Aber das ist nicht meine Sache! Das ist Gottes Angelegenheit. Er wird über Dich urteilen – und auch über mich.

Zurück zu meiner Anfangsfrage, zu meinen Feinden und ob ich eine günstige Gelegenheit nutzen sollte, um sie loszuwerden. David tut das – er nutzt die Gelegenheit, um sich zu wehren. Aber vor allem nutzt er die einmalige Chance, das ohne Gewalt zu tun, ohne seinen Feind zu besiegen. Und ohne selbst zum Richter zu werden. Der Richter über „Richtig und Falsch“, „Gut und Böse“, „Er oder ich“, der bleibt Gott. Nur er darf letztlich urteilen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=40138
weiterlesen...
16JUN2024
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Ich halte mich für einen guten Menschen. Weiß aber, dass ich nicht immer gut bin und nicht nur Gutes tue. Andere sehen das vielleicht anders. Sie sehen, was ich tun könnte, aber nicht tue. Oder sie sind anderer Meinung als ich und können mich deshalb nicht gut finden. Das ist eine vertrackte Angelegenheit.

Ich komme überhaupt nur darauf, weil heute in den katholischen Gottesdiensten eine Bibelstelle zu hören ist, die mich regelrecht dazu zwingt, mich dem Thema zu stellen. Paulus schreibt nach Korinth: Wir alle müssen vor dem Richterstuhl Christi offenbar werden, damit jeder seinen Lohn empfängt für das Gute oder Böse, das er im irdischen Leben getan hat. [1] Wenn es diese Perspektive nicht gäbe, dass es Gott interessiert, wie ich lebe, dann könnte es mir egal sein, ob ich gut oder böse bin, und erst recht, was andere über mich denken. Wenn ich aber ernst nehme, was Paulus da schreibt, dann muss ich mich prüfen. Und nicht nur ich allein, sondern ich muss dabei das berücksichtigen, wie andere mich sehen.

Paulus sagt im Grunde: Wenn du mehr Böses als Gutes getan hast, sieht es nicht gut aus bei Gott, dann musst du nach diesem irdischen Leben mit ernsten Folgen rechnen. Wenn Gottes Urteil dagegen positiv ausfällt, hast du eine berechtigte Hoffnung auf den Himmel. Als ob es nicht schon schwer genug wäre, sich selbst und mit Hilfe anderer einigermaßen realistisch einzuschätzen, werden nun auch noch Konsequenzen angedroht. Ich spüre immer noch den Druck, der von diesem Gedanken ausgeht. Früher wurde den Menschen so ein schlechtes Gewissen eingeredet, um sie durch Angst gefügig zu machen, um sie klein zu halten, damit sie ja nicht auf eigene Gedanken kommen. Einschüchterung als Machtinstrument der Kirche.

Gottlob kommt damit heute keiner mehr durch. Allerdings könnte es sein, dass sich die Furcht vor dem Gericht Gottes ins Gegenteil verkehrt hat. In eine Wurschtigkeit, der alles egal ist. Gut oder böse, alles egal. Wenn ich tot bin, bin ich tot. So kann und will ich nicht denken. Um meiner selbst willen nicht. Weil ich überzeugt bin, dass es in der Welt, in der ich lebe, auch auf mich ankommt. Ich will ein guter Mensch sein, Gutes tun. Ich habe die Wahl und will mich für den rechten Weg entscheiden. Das bin ich mir schuldig. Und zwar, so lange ich lebe. Wenn sich dann auch noch die Hoffnung erfüllt, dass Gott mich annimmt, wie ich bin, mit dem Guten und dem weniger Guten, das zu mir gehört - dann freue ich mich.

 

 

[1] 2. Korintherbrief 5,10

https://www.kirche-im-swr.de/?m=40124
weiterlesen...
09JUN2024
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Wen würde Jesus wählen? In knapp drei Minuten ist es ja soweit. Die Wahllokale für die Europawahl öffnen. Im Wahlkampf kam es über die Frage, auf welcher Seite Jesus stehen würde, zu einer kontroversen Debatte. Jesus wäre Spitzenkandidat der Europäischen Linken im Kampf gegen die Sicherung der Europäischen Außengrenzen und die Festung Europa, behauptete ein Abgeordneter der Linkspartei. Quatsch, erwiderte ein Abgeordneter der AfD. Nur seine Partei trete glaubhaft für den Erhalt des christlichen Abendlandes ein. Jesus wäre selbstverständlich Spitzenkandidat der AfD.

Ich halte es eigentlich für unsinnig, Jesus auf diese Art für die eine oder andere Partei zu vereinnahmen.

Ich finde, es ist trotzdem nicht beliebig, was ich als Christ sage oder tue und wem ich meine Stimme gebe, damit er mich repräsentiert. Die biblischen Erzählungen machen Vorschläge, wie Zusammenleben funktioniert; Die Evangelien setzen sich kritisch mit der Gesellschaft, Machtstrukturen und Herrschenden auseinander. In diesem Sinne ist die Bibel auf jeden Fall ein politisches Buch.

Der Epheserbrief, über den heute in vielen evangelischen Kirchen gepredigt wird, macht Vorschläge, wie Zusammenleben – auch von Menschen völlig unterschiedlicher Kultur und Prägung – gelingen kann. Nämlich indem man auf das schaut, was einen mit anderen verbindet und vereint, nicht auf das, was trennt oder worin wir unterschiedlich sind. Und das finde ich immer noch einen guten Grundsatz.

Sicherlich kann man manches an der EU kritisieren.
Aber sie hat über die vergangenen Jahrzehnte doch eine gewisse Stabilität und vor allem Frieden in Europa gebracht. Und ich glaube, dass ist etwas, nach dem sich die allermeisten Menschen – übrigens auch diejenigen, die zu uns flüchten – sehnen: In Frieden und Sicherheit leben – mit einem ausreichenden Maß an materiellem Wohlstand.

Ist das nicht ein Projekt, an dem man gemeinsam bauen kann? Egal, wer wir sind oder wo unsere Wurzeln liegen? Der Epheserbrief betont: Friedliches Zusammenleben ist ein urchristliches Anliegen.

Ich glaube deshalb: Jesus würde eine Partei wählen, die Europa fördert. Die das Friedensprojekt Europa vorantreiben und nicht einstampfen will. Eine Partei, die versucht zu einen und nicht zu spalten; die nicht ausgrenzt, sondern integriert.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=40055
weiterlesen...
02JUN2024
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Ja, wo kämen wir da hin? Wo kämen wir hin, wenn Regeln und Gesetze nur gelten, wenn sie mir in den Kram passen. Wenn sich im Supermarkt einfach jeder einstecken würde, was er will. Oder wenn ich jeden, dessen Meinung mir nicht passt, ungestraft verprügeln könnte. Wo sowas im Extremfall endet, führt Putin in Russland gerade vor. In blanker Willkür nämlich und im Recht des Stärkeren.

Insofern ist es ein etwas heikler Satz, den Jesus im Streit mit den damaligen Schriftgelehrten mal gesagt hat: Gott hat den Sabbat für den Menschen geschaffen, nicht den Menschen für den Sabbat. Also ist der Menschensohn Herr auch über den Sabbat. (Mk 2,27f) Und damit meinte er sich. Ganz schön anmaßend. Der Sabbat, muss man wissen, war als verpflichtender Ruhetag im jüdischen Gesetz vorgeschrieben. Gläubigen Juden war und ist er heilig. Wenn sich Jesus und seine Jünger scheinbar selbstherrlich darüber hinwegsetzen, bringt das seine Gegner also zu Recht in Wallung. Die Jesusjünger hatten sich nämlich ein paar reife Ähren abgerissen, während sie durch ein Feld wanderten. Und das galt den Frommen schon als Arbeit und war verboten.

Doch Jesus stellt den Sabbat gar nicht in Frage. Er weist nur auf etwas sehr Wichtiges hin: Regeln und Gesetze sind dazu da, dass es klappt mit dem Zusammenleben. In der Gesellschaft wie in der Religion. Sie schaffen Leitlinien, wie ich mich verhalten soll. Aber: Regeln existieren nie um ihrer selbst willen. Wenn sich nicht mehr erschließt, wofür sie eigentlich da sind. Ihr Wert für ein gutes Zusammenleben nicht mehr deutlich wird, dann werden sie irgendwann brüchig.

Nun ließ sich die Sabbatruhe aus der Geschichte von der Erschaffung der Welt begründen. Am siebten Tag, heißt es da nämlich, ruhte Gott sich aus. Gott selbst gönnt sich Ruhe! Und so dürfen, ja sollen auch die Menschen ihre Arbeit am siebten Wochentag ruhen lassen. Mit allerhöchstem Segen sozusagen. Die Erfindung des Sabbats war also ein Gewinn an Lebensqualität für alle. Die Christen haben den freien Tag der Juden später übernommen und auf den Sonntag verlegt. Und wenn heute immer wieder über Sinn und Unsinn einer allgemeinen Sonntagsruhe diskutiert wird, dann sollte man den Satz Jesu zumindest mitbedenken. Dass Gesetze für uns Menschen da sind und nicht umgekehrt. Dass man den Sinn eines gemeinsamen Ruhetags, der vielleicht nie für alle, aber doch für möglichst viele da ist, nicht leichtfertig aushöhlen sollte. Er ist quasi ein Geschenk an uns und an diesem einen Tag dürfen wir alle mal die Seele baumeln lassen. Einen erholsamen Sonntag wünsche ich Ihnen heute!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39972
weiterlesen...
30MAI2024
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

„Wir müssen Opfer bringen.“ – Wenn Sie solche Sätze hören, läuft Ihnen da auch ein leiser Schauer über den Rücken? „Wir müssen Opfer bringen“ – um Krisen zu bewältigen. In einem Buch, einer „Karriere-Fiebel“ habe ich von den Opfern gelesen, die man bringen muss, wenn man im Beruf erfolgreich sein und Karriere machen will. Oder bei Krisen, Konflikten oder sogar Kriegen: Da gilt es dann, Opfer zu bringen, um den Feind zu besiegen. Das Böse zurückzudrängen.
Mir wird’s unbehaglich, wenn ich das höre – auch, wenn ich’s manchmal nachvollziehen kann. Dem Dichter Erich Fried ist es wohl ähnlich gegangen. Sein Unbehagen bringt er in einem Gedicht auf den Punkt. Es heißt: DER AUGENBLICK DES OPFERS:

Er ist opferbereit
er steht
zu seinem Opfer

Er versteht
die Notwendigkeit
seines Opfers

Er entschließt sich
nicht mehr zu warten
mit seinem Opfer

Er überwindet die Schwäche
die ihn abhält
von seinem Opfer

Sein Opfer
reißt sich los
und läuft schreiend davon

Das bringt es auf den Punkt, was mir solches Unbehagen bereitet: Wenn wir Menschen „opferbereit“ sind, dann opfern wir so gut wie immer das Glück, die Freiheit oder das Leben von anderen: Die Opfer, die jemand für seine Karriere bringt, treffen auch die, die mit ihm konkurrieren. Und oft genug auch die eigene Familie. Und wenn Terroristen ihre Kämpfer auf Unschuldige loslassen. Oder irgendein Despot einen Krieg vom Zaun bricht für eine angeblich gerechte Sache – dann wird die Rede vom „notwendigen Opfer“ vollends zum reinen Hohn.

Am heutigen katholischen Feiertag Fronleichnam geht es auch ums „Opfer-bringen“. Vrohn Lichnam, das ist Mittelhochdeutsch und bedeutet: des Herren Leib. Es geht um den Leib und das Blut von Jesus Christus. Darum, dass er sich hat kreuzigen lassen und seinen Leib und sein Blut geopfert hat, um uns Menschen zu erlösen: Von unserem Egoismus, von dem, was wir einander antun. Dass wir uns gegenseitig zu Opfern machen von Ungerechtigkeit und Gewalt.

Und auch, wenn mir als evangelischer Christin manches an den katholischen Vorstellungen dazu fremd bleibt. Ich bin froh, über alle Konfessionsgrenzen hinweg auch zu Jesus Christus zu gehören. Denn um mir Hoffnung zu schenken – um zu zeigen, dass Gott stärker ist als alle Ungerechtigkeit und Sünde der Menschen – dafür opfert er sich selbst. Und nicht irgendjemand anderen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=40031
weiterlesen...
26MAI2024
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

In meiner Wohnung gibt es eine Kiste mit Tagebüchern, alten Kalendern und liebevoll geschriebene Karten, die ich irgendwann mal bekommen habe. Ab und zu ist mir danach, in dieser Kiste zu stöbern und ein wenig in Erinnerungen zu schwelgen. Mit den Dingen in der Hand bin ich ganz schnell in der Vergangenheit. Urlaubsnotizen und Geburtstagskarten liegen da neben den Momenten, in denen ich nächtelang gegrübelt habe, wie ich diese oder jene Entscheidung treffen soll. Hoch-Zeiten neben traurigen und einsamen Stunden.

 

Dass es gut ist, ab und zu mal zurückzuschauen, davon ist auch Mose überzeugt. In katholischen Gottesdiensten ist heute zu hören, wie er die Israeliten auffordert, kurz bevor sie nach vielen Jahren Wüstenwanderschaft ins gelobte Land kommen: „Forsche einmal in früheren Zeiten nach.“ (Dtn 4,32 EÜ)

Und dann fängt Mose direkt selbst damit an, in die Vergangenheit zu schauen: Er erinnert sich, wie er am brennenden Dornbusch Gottes Stimme gehört hat. Wie Gott ihn und das ganze Volk aus der Knechtschaft in Ägypten befreit hat. Mose spannt den Bogen sogar noch weiter, wenn er sagt: „Geh in Gedanken zurück: Beginne bei dem Tag, an dem Gott den Menschen auf der Erde erschaffen hat! Erforsche die weite Welt: Geh von einem Ende des Himmels bis zum anderen!“ (Dtn 4,32 Basisbibel)

Mose ist überzeugt: Gott wirkt in der Geschichte. Indem ich auf die Vergangenheit zurückschaue, kann ich entdecken, wie Gott wirkt. Und im Blick auf meine eigene Lebensgeschichte, auf das, was mein Leben geprägt hat, kann ich den Weg erkennen, den Gott mit mir durch Höhen und Tiefen gegangen ist und immer noch geht.

 

Wenn ich in meiner Erinnerungskiste krame, dann bekomme ich davon eine Ahnung. Ich entdecke, dass manches anders geworden ist, als ich es mir vor Jahren erträumt hatte. Aber auch, dass mein Leben deswegen nicht schlechter ist - dass auch Gutes und Schönes möglich wurde.

Ich erkenne immer wiederkehrende Themen, die an verschiedenen Stellen meines Lebens auftauchen, mit denen ich noch nicht fertig bin, aber mit denen ich zu leben lerne.

Vor allem aber wächst beim Stöbern in mir die Dankbarkeit: für das, was war. Für Familie und Freunde. Und dass ich, im Nachhinein betrachtet, mich gerade auch in schweren Zeiten getragen und gehalten fühlte.

Gott war bei mir und bleibt bei mir! Auch am heutigen Sonntag.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39965
weiterlesen...