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21JUL2024
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Heute Morgen dürfen alle Frauen erst mal kurz weg hören. Denn ich beginne mit einem Satz eines echten Mannes für echte Männer. Der lautet: „Man kann einen Mann vernichten, aber nicht besiegen“ (E.Hemingway, Der alte Mann und das Meer, Hamburg 2014, S.124).  Wow, das sitzt, oder? Nein, ich bin kein hoffnungsloser Macho, und der Satz ist auch nicht von mir. Er stammt von Ernest Hemingway, der hat heute Geburtstag. 125 würde er. Er war Hochseeangler und Tiefseefischer, Großwildjäger in Afrika, Kriegsreporter, Boxchampion, Stierkämpfer und Frauenheld. Und Literaturnobelpreisträger.  „Man kann einen Mann vernichten, aber nicht besiegen“. Aus  „Der alte Mann und das Meer“ stammt dieser Satz. Den alten Fischer Santiago hat das Glück verlassen. Schon lange hat er nichts mehr gefangen. Noch einmal rudert er aufs Meer, ganz allein. Und er fängt den größten Fisch, den er je an der Fangleine hatte.  Drei Tage kämpft er mit dem Fisch, bis er ihn mit der Harpune töten kann.  Zu Tode erschöpft bindet er die Beute außen an seinem Boot fest. Und muss dann mit ansehen, wie Haie nach und nach den Fisch auffressen. Wieder im Hafen, hängt nur noch das Skelett am Boot. Alles war umsonst. Und der alte Mann zieht den Mast aus seinem kleinen Boot, legt ihn sich auf die Schulter und geht nach Hause.  Hemingway schreibt: „Fünfmal musste er sich auf der Straße hinsetzen, ehe er seine Hütte erreichte“  (a.a.O. S.146).  Ich als christlich geprägter Mensch kann nicht anders und muss an den Kreuzweg Jesu denken, wie ihn die Bibel erzählt. Auch Jesus muss ja den Holzbalken tragen, an den man ihn schlagen wird. Und ich stelle mir vor, dass jede Leserin, jeder Leser in dem alten Mann die eigenen Lebensfragen wieder erkennen kann. Die immer wieder kehrenden Mühen, Lasten und Sorgen des Alltags. Die einen oft genug fertig machen. „Vernichten“ wie Hemingway es ausdrückt. Aber was gibt mir die Kraft, mich nicht „besiegen“ zu lassen?  Darüber nachzudenken, kann man ja mal heute, an Hemingways Geburtstag. Der Satz hat übrigens noch einen Vorspann. Und dann hat er gar nichts mehr Machohaftes. Dann ist er für Frauen und Männer gedacht. „Der Mensch ist nicht dafür gemacht, besiegt zu werden.“

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14JUL2024
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Die Hängematte im Garten ist mein Lieblingsort. Denn von da kann ich den Himmel sehen. Es beruhigt mich, wenn ich dort liege und nach oben gucke. Das liegt nicht nur am sanften Schaukeln meiner Hängematte. Es tut mir auch gut, die Blickrichtung zu ändern.

Ich denke hier nicht mehr an meinen Schreibtisch und auch nicht an mein Handy; nicht an den klebrigen Boden in der Küche und auch nicht an das, was im Garten noch zu tun wäre. Ich lese hier keinen Newsticker und keine InstaPosts.

Stattdessen gucke ich nach oben und sehe zu, wie die Äste des Baumes in den Himmel wachsen. Mein Blick folgt den Wolken, ab und zu flattert ein Vogel durchs Bild.

Der Kopf wird frei, die Seele wird leichter. Der Himmel über mir ist so weit. Und da soll Gott sein. Das sagt man doch so: „Unser Vater im Himmel“. Und wenn er wirklich dort wäre – heißt das, er hat da eine entspannte Zeit, liegt in seiner Wolkenhängematte und lässt sich vom Wind schaukeln? Fern von all dem, was uns im Großen und Kleinen so beschäftigt, bedrückt und beängstigt? Das wär natürlich schön für ihn. Aber ich glaube, so ist es nicht.

Für mich hier auf der Erde bedeutet der Blick in den Himmel, zu wissen, dass es mehr gibt als mein Alltags-Klein-Klein. Der Himmel über mir ist derselbe wie der über meinen Freunden und meinen Feinden. Derselbe Himmel über denen, denen es gerade richtig gut geht und über denen, die Angst haben, wenn Flugzeuge kommen und Bomben werfen.

Derselbe Himmel über allem, was Menschen Gutes und Großzügiges tun und über dem, was kleinlich und selbstgerecht ist. Der Himmel ist so weit. Und was ich von hier aus sehe und weiß und kann ist winzig.

Und Gott - im Himmel? Er schaut auf mich. Und auf die anderen. Sieht all das. Weiß um all das. Das Kleine in meinem Alltag. Das Große, das mir zu viel ist. Und ich hoffe, dass er nicht beim Zuschauen bleibt. Ich hoffe, er hat Erbarmen mit all dem und segnet die, die er sieht.

Er schaut nach unten. Und sieht mich. Ich schaue nach oben. Und kann mal wieder von mir absehen. Denn da ist noch mehr. Unter diesem weiten Himmel.

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07JUL2024
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Wenn ich in meinen Heimatort komme, ist es oft wie eine Zeitreise. Ich sehe die Orte, wo ich als Kind gespielt habe. Wo ich in den Kindergarten und in die Grundschule gegangen bin. Manchmal treffe ich ältere Leute, die mich schon seit meiner Kindheit kennen. Im Ort haben sie mich als Kind immer gefragt: „Zu wem gehörst denn Du?“.

Inzwischen habe ich studiert, bin in einer anderen Gemeinde als Seelsorger und predige kluge Dinge von Jesus und was das mit unserem Leben zu tun hat.

Die Menschen dort akzeptieren das. In meiner Heimatgemeinde würde ich mich schwertun, den „Alten“ eine Predigt zu halten. Und umgekehrt wäre es sicher auch für sie schwierig, dass der Junge von damals sich anmaßt, ihnen jetzt kluge Predigten zu halten. Ähnlich hat es Jesus selbst erlebt. Er wollte seinen Verwandten und Freunden Wichtiges sagen und ihnen auch Gutes tun. Aber sie wollten nichts davon wissen. Sie haben ihn nur gesehen als einen, den sie schon als kleinen Knirps gekannt haben. Einer, der ihnen deswegen auch nichts Neues zu bieten hat:

„Nirgends hat ein Prophet so wenig Ansehen wie in seiner Heimat, bei seinen Verwandten und in seiner Familie“ (Mk 6,4), sagt Jesus.

Wenn ich Menschen schon lange kenne, vielleicht seit ihrer Geburt schon, dann ordne ich sie in bestimmte Schubladen ein. Schaue sie gedanklich mit einer bestimmten Brille an. Mir selbst geht es oft genauso. Zum Beispiel, wenn ich an meinen Klassenkameraden denke, der jetzt für eine Zeitschrift kluge Dinge schreibt. Dabei kenne ich ihn noch als den größten Klassenclown!

Die Beobachtung von Jesus ist jedenfalls eine Einladung an mich, meine eigene Brille mit Vorurteilen mal abzulegen. Um besser zu sehen, was meine Mitmenschen mir wirklich sagen können. Ganz unvoreingenommen. Vielleicht erlebe ich dann sogar eine positive Überraschung!

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30JUN2024
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Uns hat schier der Schlag getroffen! Da kommen wir sonntagnachmittags von einer Radtour nach Hause und finden unseren Garten verwüstet vor. Unser schöner Rasen: eine einzige Kraterlandschaft. Überall knöcheltiefe Löcher – als wäre gerade eine Armee mit schwerem Gerät hindurch getrampelt.

Was ist passiert? Nun, während der Schützenverein im nahe gelegenen Schützenhaus mit vielen Kanonenböllern sein Vereinsfest gefeiert hat, ist nebenan eine Herde friedlich grasender Kühe durchgedreht, hat Reißaus genommen und auf der Flucht vor dem ohrenbetäubenden Lärm unseren Garten heimgesucht. So hat es uns der zerknirschte Jungbauer erzählt, der kurz darauf bei uns aufgetaucht ist, um den Schaden zu begutachten. Seine Kühe hatte er inzwischen zum Glück wieder eingefangen und in Sicherheit gebracht.

Wir standen da und haben diskutiert, wer wohl für die ganze Misere verantwortlich ist. Ein typischer Kollateralschaden, hab‘ ich gedacht. Und bin gleichzeitig bei dieser Wortwahl zusammengezuckt: Kollateralschaden; das Wort kommt aus der Militärsprache und bezeichnet einen Schaden, der nicht beabsichtigt ist, sich aber nicht hat vermeiden lassen. Und zwar einen Schaden an unschuldigen Menschen. Gemeint sind Zivilisten, die in einem Krieg zwischen die Fronten geraten und ums Leben gekommen sind.

Es ist ein grausames Wort; aufgekommen in den 1990er Jahren während der jugoslawischen Nachfolgekriege und am Ende der Dekade sogar zum Unwort des Jahres gewählt. Denn was so betont sachlich klingt, meint doch Menschen: Opfer von Bombenangriffen, Massenvergewaltigungen, Plünderungen, jahrelang anhaltende Traumatisierungen. Das alles sind Kollateralschäden von Kriegseinsätzen. Tiefe, zerfranste Kraterlöcher im Leben von Menschen. Wie lange wird es dauern, bis sie geheilt sind? Eine Generation oder zwei? Wieviel Güte und Liebe, wieviel Versöhnliches muss hineingeschüttet werden, damit die Schäden wieder gut werden?

Wer in unserem Garten am Ende für den Schaden aufkommt, ist immer noch nicht klar. Aber wir haben inzwischen angefangen, die Löcher mit frischer Erde zu befüllen und Gras auszusäen. Eine mühevolle Arbeit. Aber nichts im Vergleich zu der immensen Versöhnungsarbeit, die nach einem Krieg zu leisten sein wird. Im Garten habe ich gelernt: Ich will nicht warten, bis ein Schuldiger gefunden und alles vernarbt ist. Ich will anfangen, Wunden zu heilen.    

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23JUN2024
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Ich treffe mich mit Fabien; morgens um halb acht in einem Café in Paris. Er wohnt in dieser wunderbaren Stadt. Wir kennen uns über Instagram. Und weil wir beide Kaffeefans sind, schickt er mir immer wieder frühmorgens ein Foto mit einer Espressotasse irgendwo in einem Café in Paris. Und ich ihm dann meist ein Bild von meinem Milchkaffee. Zuhause in meinem Wohnzimmer neben meinem Sessel.

Ich bin gerade für ein paar Tage in Paris und wir beschließen uns zu treffen. Natürlich früh morgens. Und jetzt sitze ich neben ihm und ausnahmsweise stehen zwei Espressotassen auf dem Tisch. Wir reden über unsere Arbeit, was an dem Tag noch so ansteht und irgendwann frage ihn frech: „Sag mal, warum sitzt Du so oft morgens hier? Kannst Du eigentlich zuhause keinen Kaffee kochen?“ Er schaut mich an, lächelt und sagt: „Sieh mal, Wolfgang: Ich hab nen stressigen Job, bin viel unterwegs und lebe in einer echt anstrengenden Großstadt. Diese halbe Stunde, früh morgens, in diesem Café in dem noch nichts los ist, in dieser Stadt, die um diese Zeit noch so herrlich ruhig ist, ist meine persönliche heilige Zeit.“

Das rührt mich ein wenig. Nicht nur, dass ich das verstehen kann, sondern, dass er diese Zeit, die eigentlich ihm gehört, mit mir teilt. Es stimmt. Ich merke auch, wie wichtig mir die halbe Stunde ist, die ich morgens in meinem Sessel sitze, frühstücke und ein wenig lese.

Es gibt dafür auch ein neumodisches Wort: Me-Time. Die Zeit, die ich nur für mich habe. Meist versteht man darunter, sich selbst Zeit zu gönnen. Aber das ist keine moderne Erfindung. Der Heilige Bernhard von Clairvaux hat vor über 900 Jahren schon dem damaligen Papst Eugen III. geschrieben: „Es ist viel klüger, du entziehst dich von Zeit zu Zeit deinen Beschäftigungen, als dass sie dich ziehen. Deswegen: Gönne Dich Dir selbst.“ Ich finde ein guter Rat.

Egal, wie ich es nenne: „Me-Time“ oder „Gönne Dich Dir selbst“. Diese Zeiten sind wichtig. Für mich zu sein, damit ich dann wieder für andere da sein kann.

Am besten gefällt mir es aber, wie Fabien es genannt hat: „Das ist meine heilige Zeit.“

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16JUN2024
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Die Schrift auf den Verpackungen wird auch immer kleiner, habe ich in letzter Zeit öfter gedacht – und beim Kochen in der Küche das Licht eingeschaltet und den Kopf verdreht, um die winzigen Buchstaben entziffern zu können. Meine Kinder haben mich beobachtet und nur gegrinst: Du brauchst halt eine Lesebrille!

Echt jetzt? Im Drogeriemarkt habe ich mich unauffällig an den Brillenständer herangeschlichen und mal so eine Lesebrille ausprobiert. Wow! Wie einfach man damit alles erkennen kann. Eine ganz neue Sicht auf manche Dinge.

Das Erlebnis mit der Lesebrille hat mich nachdenklich gemacht. Es gibt vermutlich auch sonst in meinem Leben einiges, dass ich nicht deutlich fokussiere, sondern nur verschwommen wahrnehme wie die kleinen Buchstaben: Manchmal sehe ich zum Bespiel nicht klar, dass mein Körper signalisiert: Mach mal eine Pause. Oder ich nehme gar nicht richtig wahr, wie es eigentlich der Nachbarin geht, die ich ab und zu im Vorbeigehen grüße. Ja, es gäbe vieles, was wichtig wäre zu sehen – und es ist wie mit der Altersweitsichtigkeit: Mir fehlt die richtige Brille dafür – aber ich habe mich daran gewöhnt und merke es gar richtig.

Die Sache mit der richtigen Brille hat übrigens auch den Reformator Johannes Calvin beschäftigt, der im 16. Jahrhundert in Genf gelebt hat. Calvin meint, die Bibel, die Heilige Schrift, ist so etwas wie eine Brille, mit der man Gott und die Welt genau erkennen kann.

Sinngemäß sagt er: Wenn jemand schlecht sieht, kann man ihm ein Buch so lange vor die Nase halten, wie man will. Er merkt zwar, dass da etwas geschrieben steht, kann aber kaum etwas erkennen. Mit einer Brille dagegen kann er mühelos alles lesen und verstehen. Und so wie eine Brille Klarheit in die Buchstaben bringt, so bringt die Heilige Schrift, schreibt Calvin, unser sonst so verworrenes Wissen um Gott in die richtige Ordnung.

Mir leuchtet das ein. Geschichten aus der Bibel helfen mir, an manchen Punkten in meinem Leben genauer hinzusehen. Wenn ich in der Bibel lese, dass ich wunderbar geschaffen bin und mein Leben ein Geschenk von Gott ist – dann verändert das meinen Blick auf mich selbst. Ich schaue mich selbst freundlicher an – und versuche, besser auf mich achtzugeben. Und wenn ich die Geschichte vom Barmherzigen Samariter höre, der als einziger einem Schwerverletzten geholfen hat, obwohl der eigentlich sein Feind war – dann überlege ich, wie ich’s damit halten würde. Und bei wem ich bereit bin zu helfen.

Ja, die Bibel kann wie eine Brille sein, die hilft, scharf zu sehen – Gott, die Welt und mich selbst.

Fürs Lesen habe ich mir übrigens inzwischen eine Lesebrille angeschafft. Nicht immer setze ich sie auch auf. Aber sie erinnert mich daran, immer mal wieder zu prüfen, was ich gerade so wahrnehme im Leben. Ob ich scharf sehe. Und durch welche Brille ich die Welt betrachte.

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09JUN2024
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Sie sind schon besonders, diese sechs: Benedikt, Kyrill und Methodius, Katharina, Birgitta und Edith – drei Männer und drei Frauen, die als Schutzpatroninnen und Patrone für Europa ausgesucht wurden. Sie zeigen mir, worauf es in Europa auch heute noch ankommt.

Der älteste in der Runde ist Benedikt von Nursia. Ein Mönch, der im 6. Jahrhundert in Italien gelebt hat. Man könnte sagen, er hat das Klosterleben erfunden und dadurch die Wissenschaft und die Kultur in ganz Europa gefördert und geprägt. Und sein Motto „Ora et labora“, „bete und arbeite“ erinnert mich daran, mich nicht im Druck von „immer mehr“ und „immer besser“ zu verlieren, sondern auf eine gute Balance von Arbeit und Spiritualität zu achten.

Kyrill und Methodius haben im 9. Jahrhundert gelebt. Als Missionare waren sie im Osten Europas unterwegs. Doch sie haben den Slawen nicht einfach ihren Glauben übergestülpt. Sie hatten Respekt davor, wie vielfältig und verschieden die Kulturen sind. Und das ist auch heute, mehr als 1000 Jahre später, noch aktuell.

Nun zu den drei Frauen in der Runde.

Katharina von Siena war eine mutige Frau, die keine Skrupel gekannt hat, sich mit den Mächtigen ihrer Welt anzulegen. Mit einer Gruppe Gleichgesinnter ist sie im 14. Jahrhundert quer durch Europa unterwegs. Immer im Einsatz für den Frieden.

Und auch Birgitta von Schweden scheut sich nicht, selbst Königen und Päpsten ihre Meinung zu sagen. Als Diplomatin setzt sie sich für ein gutes Miteinander zwischen den Völkern ein. Und sie hatte den Wunsch, dass Männer und Frauen nicht konkurrieren, sondern sich ergänzen sollten. Weil es immer gut ist, wenn alle sich einbringen können.

Und last, but noch least: Edith Stein – zunächst Jüdin, dann Christin, die in Auschwitz umgebracht wurde. Sie hat sich uneingeschränkt für die Würde und Freiheit jedes Menschen eingesetzt. Auch das ist leider noch nicht überall in Europa eine Selbstverständlichkeit…

Benedikt, Kyrill und Methodius, Katharina, Birgitta und Edith – sie stehen für Menschenwürde, Frieden und Freiheit und dass wir respektieren, dass wir vielfältig und verschieden sind. Würden sie heute leben, wären sie wahrscheinlich wertvolle Beraterinnen und Berater für das Europaparlament in Straßburg. Auf jeden Fall aber würden sie sich für ein friedliches Europa engagieren und heute wählen gehen.

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02JUN2024
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Was für eine Saison für den VfB Stuttgart. Vor einem guten Jahr noch sicherer Abstiegskandidat. Nun geht es in der kommenden Saison in der Champions League gegen die Besten Europas. Großartig, was den Fans dort am Neckar geboten wurde.

Doch wie wird aus einem verunsicherten Abstiegskandidaten eine Mannschaft, die die Bundesliga rockt?

Ganz viel hat das sicherlich mit Trainer Sebastian Hoeneß zu tun. Zunächst rettete sich die Mannschaft unter seiner Führung in die Relegation, um dann in der neuen Saison zu einem völlig unerwarteten Höhenflug anzusetzen. Die Mannschaft ist im Kern noch immer dieselbe. Aber sie versprüht einen ganz anderen Spirit. Da ist Teamgeist und Überzeugung zu spüren. Die Mannschaft geht furchtlos auf den Platz. Sie weiß, was zu tun ist und macht ihr Ding.

Mich erinnert das an die Mannschaft von Jesus, kurz nachdem auch sie eine scheinbar vernichtende Niederlage erlebt hat. Ihr Mannschaftskapitän Jesus stirbt am Kreuz. Jeder sieht die Jüngerinnen und Jünger in diesem Moment als klare Abstiegskandidaten.

Und so fühlen sie sich auch. Keiner setzt mehr einen Cent auf sie. Völlig verunsichert und verängstigt, ziehen sie sich vom Spielfeld zurück. Die Euphorie vergangener Tage ist verflogen. Alle Zukunftspläne sind mit einem Mal gestorben.

Doch dann die unglaubliche Nachricht: Jesus lebt. Was wie der finale Abpfiff ausgesehen hatte, wird zu einem neuen Anfang. Etwas ganz Neues startet. Leise kommt Hoffnung auf, gemischt allerdings mit vielen Fragen und Zweifeln.

In diesen Fragen und Zweifeln begegnet Jesus seinen Jüngern und spricht mit ihnen. Er baut sie auf und richtet ihren Blick wieder nach vorne. So spricht er davon, dass seine bis vor kurzem noch völlig verunsicherte Mannschaft eine Bewegung in Gang setzen wird, die die Enden der Welt erreichen wird.

Doch bevor sie wieder aufs Spielfeld gehen, sollen sie eines abwarten. Jesus sagt zu ihnen: „Ich aber werde die Kraft aus der Höhe auf euch herabsenden, wie mein Vater es versprochen hat. Bleibt hier in der Stadt, bis ihr damit ausgerüstet seid.“ Gemeint ist der Heilige Geist.

Kurze Zeit später wird das Realität. Und dieser neue Spirit verändert die Jüngerinnen und Jünger. Nehmen wir nur einen von ihnen. Petrus, ein einfacher Mann, der eben noch an seinem eigenen Anspruch kläglich gescheitert war. Plötzlich stellt er sich furchtlos auf den Marktplatz und predigt vor 1000en Menschen. Er und die anderen Jünger brennen auf dem Spielfeld und stecken viele mit ihrer Begeisterung an – was sie berichten, geht Menschen zu Herzen.

Auch der VfB Stuttgart hat in der abgelaufenen Saison Herzen gewonnen. Möge eine weitere erfolgreiche Saison folgen. Mit dem richtigen Spirit geht was. Der Spirit jedenfalls, der von Gott kommt, gibt uns die Power, mutig und furchtlos aufs Spielfeld des Lebens zu gehen.

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30MAI2024
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Heute ist Fronleichnam. Ein katholischer Feiertag. Ich mag das Fest. Weil es draußen stattfindet, weil die Kirchen und Gemeinden mit ihrem Glauben auf die Straße gehen. Und ich mag es, dass dieses katholische Fest Menschen zusammenbringt: An manchen Orten helfen ganze Stadtteile mit, Blüten zu sammeln und die berühmten Blumenteppiche auf den Straßen zu legen. Musikkapellen, Chöre und Fahnenträger aus den Vereinen begleiten die Prozession; und beim anschließenden Gemeindefest kommt an vielen Orten das ganze Dorf zum Mittagessen zusammen.

Fronleichnam wird in der Theologie auch als „Ideenfest“ bezeichnet. Bei diesem Hochfest geht es nicht um ein Ereignis aus dem Leben von Jesus, also zum Beispiel wie an Weihnachten um seine Geburt oder wie an Ostern, um die Auferstehung. An Fronleichnam geht es um Jesus selbst und um seine ur-eigene Botschaft – vereinfacht gesagt: um die Idee von einem guten Leben. Und die hat zu tun mit der Erinnerung an das letzte Abendmahl vor seinem Tod. Damals hat Jesus gesagt: „Das ist mein Leib“ und hat dann das Brot mit seinen Jüngern geteilt. Daran sollten sie denken, wenn er nicht mehr da ist. Sie sollten zusammenkommen, gemeinsam essen, mit den Menschen so umgehen, wie sie es bei ihm gesehen hatten. Und das bedeutet: sich um die Schwachen und die Außenseiter kümmern, auf die Kinder achtgeben, den Menschen helfen, ihnen zuhören und sie fragen: Was braucht ihr? Als Erinnerung an diesen Jesus wird der Leib Christi, das Brot, in Form einer Hostie verehrt. Und an Fronleichnam öffentlich durch die Straßen getragen.

Fronleichnam ist ein Ideenfest. Mich inspiriert dieser Begriff darüber nachzudenken, was jetzt gerade, in dieser Zeit, dran ist, wenn ich an die Botschaft Jesu denke. Ich stelle mir Folgendes vor: Was wäre, wenn an Fronleichnam die ganze Stadtgesellschaft zusammenkommt und miteinander isst? Auch diejenigen, die – manchmal verschämt – im Tafelladen einkaufen. Und jene, die am Rand der Stadt in Flüchtlingscontainern wohnen. Was wäre, wenn, statt Blumenteppich, die Jungs vom Skaterpark ein Graffiti von ihrem Leben auf den Dorfplatz sprühen und der Pfarrer darüber predigt? Was wäre, wenn ein kleines Mädchen die Monstranz mit dem Allerheiligsten, dem Brot, durch die Straßen trägt? Weil Gott sich in jedem Menschen zeigt und weil Kinder bei Jesus immer einen besonderen Platz hatten.

Fronleichnam. Das bedeutet übersetzt: Der Leib des Herrn. Ich mag dieses Fest. Weil in diesem Brot, das durch die Straße getragen wird, das ganze Leben steckt.

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26MAI2024
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„Männer und Frauen sind gleichberechtigt“. Der Satz ist eindeutig und klar. Fast auf den Tag genau seit 75 Jahren steht er so im Grundgesetz. Männer und Frauen sind gleichberechtigt – das klingt so einfach, aber es war ein hartes Stück Arbeit, bis diese Worte 1949 ins Grundgesetz aufgenommen wurden. Vier Frauen haben sich dafür eingesetzt. Man nennt sie die „Mütter des Grundgesetzes“. Einer von ihnen bin ich vor kurzem gegenübergestanden. Elisabeth Selbert aus Kassel. Nein, nicht leibhaftig, sie lebt nicht mehr. Aber: Es gibt eine besondere Erinnerung an sie. Mitten in der Fußgängerzone von Kassel steht Elisabeth Selbert in Bronze gegossen. Lebensgroß, mit Akten unter dem Arm und – im Laufschritt unterwegs. Sie steht nicht wie Statuen normalerweise auf einem Sockel, sie steht direkt auf dem Boden, da, wo alle laufen; einen Fuß hat sie vor den anderen gesetzt. Diese Körperhaltung animiert, mich bei ihr unterzuhaken und in Gedanken ein Stück auf ihrem Weg mitzugehen.

Elisabeth Selbert wollte eigentlich Lehrerin werden, doch weder fürs Mädchengymnasium und schon gar nicht für ein Studium hat das Geld der Eltern gereicht. Sie wurde Postbeamtenanwärterin – und diese Stelle hatte sie nur bekommen, weil es, mitten im 1. Weltkrieg, nicht genug Männer gab. Sie hat dann die richtigen Leute kennengelernt und sich politisch engagiert – für (die) Gleichberechtigung. Und weil sie gemerkt hat, dass sie unbedingt mehr wissen muss, um mitreden zu können, hat sie nochmals die Schulbank gedrückt. Da war sie 30 Jahre alt und Mutter von zwei Kindern: Sie hat dann das Abitur nachgeholt, Jura studiert, promoviert und nebenher Geld für die Familie verdient. Das war in den 1920er Jahren alles andere als einfach! Als es dann 1949 darum ging, ein Grundgesetz für die Bundesrepublik auszuarbeiten, wurde der Parlamentarische Rat gewählt. Elisabeth Selbert gehörte dazu. Und mit ihr 61 Männer und drei Frauen, die an diesen Formulierungen gefeilt haben.

„Männer und Frauen sind gleichberechtigt“. Für diesen Satz musste Elisabeth Selbert auch bei den Frauen um Unterstützung werben. Sie hat ihnen etwas gesagt, dass noch heute wichtig ist: Es ist die Pflicht der Frauen, sich politisch zu informieren und sich zu engagieren.

Demnächst bin ich wieder in Kassel, zur Fortbildung, und werde bei Elisabeth Selbert vorbeischauen. Weil sie mich inspiriert und mir zeigt: Es lohnt sich dranzubleiben, für Visionen und Träume zu arbeiten.

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