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„Du hast einen seltsamen Beruf“, hat meine Tochter neulich zu mir gesagt. „Du redest über einen, der gestorben ist und der trotzdem allmächtig sein soll. Das geht irgendwie nicht beides. Jesus ist seltsam.“
Einem Mann namens Nikodemus kam Jesus auch reichlich seltsam vor. Er hat gefragt: „Was hat Gott mit uns und mit dieser Welt vor? Und was hast du damit zu tun, Jesus?“ diese Fragen treiben Nikodemus um. Die Bibel erzählt, dass Nikodemus Jude ist. Er ist auch Mitglied des Hohen Rats in Jerusalem, des höchsten jüdischen Gerichts, das über wichtige religiöse Fragen verhandelt. Aber dann taucht dieser seltsame Jesus auf und gibt allem eine neue Richtung. Es scheint, als würde Jesus Gott besonders nahe stehen.
Nikodemus sucht Jesus darum allein auf, im Schutze der Nacht mit all den Fragen, die ihn schon so lange plagen. Und mit den neuen, die plötzlich in ihm auftauchen (Joh 3). Was Jesus ihm erzählt, klingt wirklich seltsam: „Ich bin das Heilmittel für diese Welt. Wenn ich ans Kreuz geschlagen werde, dann ist das sinnvoll. Denn durch meinen Tod bekommen alle Menschen das ewige Leben.“
Wenn ich das heute, 2000 Jahre später höre, klingt das immer noch höchst seltsam: Dieser Jesus am Kreuz soll das Heilmittel der Welt sein? Einer, der sich nicht gewehrt hat, der sich willig in sein Schicksal ergeben hat? Der alles ertragen hat: Anschuldigungen, Misshandlungen und den Tod am Kreuz? Seltsam.
Das Wort „seltsam“ bedeutet ursprünglich „selten zu sehen“. Und das hat Nikodemus verstanden: Dass dieser Jesus im wahrsten Sinne des Wortes seltsam ist. Dass es nämlich einen wie Jesus äußerst selten zu sehen gibt. Einen, der auf alle äußerliche Macht verzichtet. Einen, der konsequent der Liebe treu bleibt.
Jahre später, als Jesus zum Tod verurteilt wird, bringt Nikodemus den Mut auf, Jesus gegen alle anderen zu verteidigen (Joh 7,50.51). Und nach Jesu Tod hat Nikodemus keine Angst zu zeigen, wie sehr Jesus ihn beeindruckt hat. Er hilft, Jesu Leichnam für die Beerdigung fertig zu machen (Joh 19,39). Obwohl Nikodemus riskiert, selbst verhaftet zu werden, verabschiedet er Jesus so liebevoll und nimmt damit der Gewalt ein Stückchen von ihrer Macht. Ich bekomme eine Ahnung davon, was die seltsamen Worte von Jesus bedeuten. Wie mächtig sein Verzicht auf Macht und Gewalt war. Wie klar die Liebe Gottes durch ihn in die Welt scheint.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41783Am Anfang des Glaubens steht der Weg. Das Unterwegs-Sein. Weil Abraham, der Urvater des biblischen Glaubens, ein Nomade war. Er hat in Zelten gelebt und zog mit Sack und Frau, seinen Tieren und allem Besitz von einem Ort zum nächsten. Unterwegs in der Wüste. So beginnt die Geschichte des Ein-Gott-Glaubens. Denn dort – in der Wüste – hört Abraham die Stimme dessen, der ihn heißt aufzubrechen. Und zu ihm sagt: Du sollst gesegnet sein[1]. Der Gott, der später Jahwe genannt wird, den Mose „Ich-bin-da“ nennt. Der das Land verheißt, in dem Milch und Honig fließen[2]. Das gelobte Land für das erwählte Gottesvolk. Ich hoffe, dieses Land auch zu erreichen. Wenn ich genug unterwegs war, genug gefragt und gesucht haben werde.
Aber solange gilt, was heute wie immer am Beginn der Fastenzeit in den katholischen Gottesdiensten als Lesung aus dem Alten Testament der Bibel vorgetragen wird. Es gilt: Mein Vater war ein heimatloser Aramäer[3]. So beginnt das Glaubensbekenntnis Israels, das ein religiöses Programm ist. Wer an den Gott Abrahams, Israels und Jakobs glaubt, bleibt zeitlebens heimatlos. Ein Nomade, auf dem Weg. In gewisser Hinsicht jedenfalls. Auch als Christ bleibe ich heimatlos auf dieser Welt. Und suche um so mehr einen Halt bei Gott.
Ich habe ein Haus, in dem ich wohne, das mich schützt und mir Geborgenheit schenkt. Oft beruhigt mich das, weil ich weiß, dass ich abends heimkommen kann. Aber ich spüre auch: Das ist nicht alles, was ich will und brauche. Da bleibt eine Unruhe in mir, die mich suchen und fragen lässt: Wenn Dein Leben heute aus ist, war das dann alles? War das hier das Ziel? Das frage ich mich jedes Mal, wenn ich einen Menschen beerdige, aus seinem Leben erzähle, an seinem Grab stehe. War’s das? Nein, das wäre mir zu wenig – für mich und für andere. Diese gequälte Welt, all das Schuften und die vielen Ungerechtigkeiten, die es hier gibt – das reicht nicht aus für ein Wort wie Heimat.
Ganz zu schweigen von denen, die gezwungenermaßen unterwegs sind, weil sie aus ihrer irdischen Heimat vertrieben wurden, weil dort Krieg ist, Machtgier und Egoismus regieren. Ich kann sie dabei unterstützen, dass sie in der Verbannung nicht verzweifeln, sondern Trost finden, menschliche Wärme und materielle Hilfe. Ein Zelt. Wenigstens eine Ahnung von Heimat. Denn die hatte ganz zu Beginn auch der Nomade Abraham.
[1] Genesis 12,2
[2] Deuteronomium 26,9
[3] Deuteronomium 26,5
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41676Ich und ein kleines Team, wir planen ein neues Projekt: eine interaktive Zoom-Andacht, bei der man am Computer-Bildschirm dabei sein kann. Alle sind motiviert, kreativ, die Technik steht – es könnte richtig gut werden. Doch als wir einen Termin zur Vorbereitung suchen, gibt es ein Problem: Ein Kollege sagt ab. Nicht, weil er einen anderen Termin hat, sondern weil seine Woche schon zu voll ist. Er braucht Zeit für sich. Ich will das verstehen, wirklich. Aber innerlich regt sich Widerstand: Wir könnten so viel schaffen: so richtig etwas auf die Beine stellen. Aber jetzt werden wir ausgebremst. Kann der Kollege nicht einmal die eigenen Bedürfnisse zurückstellen?
Einen ähnlichen inneren Dialog stell ich mir bei Martha vor. Sie und ihre Schwester Maria haben Jesus zu Gast und Martha legt sich mächtig ins Zeug, damit es ihrem Gast an nichts fehlt. Das wird in einer Geschichte im Lukasevangelium erzählt, über die heute in vielen evangelischen Kirchen gepredigt wird. Marta ist also am schuften und ackern, und Maria, ihre Schwester, die setzt sich einfach zu Jesus und hört ihm zu. Irgendwann platzt es aus Martha heraus: Jesus – findest du es eigentlich ok, dass ich hier alleine arbeite, während Maria nichts tut? Die Antwort, die Jesus gibt, provoziert mich - und hat Martha damals bestimmt auch überrascht: Martha, du machst dir Sorgen um so vieles. Aber nur eins ist notwendig. Maria hat das Bessere gewählt. Das wird ihr niemand wegnehmen.
Nur eins ist notwendig – anscheinend meint Jesus, dass es gerade das Wichtigste ist ihm zu hören. Ich möchte protestieren. Sagen, dass man doch zumindest anerkennen muss, mit wie viel Mühe sich Marta um Jesus kümmert. Aber Jesus Antwort - wie man sie auch dreht und wendet - die will nicht in unsere Zeit passen. Es zählt nicht die Leistung. Jesus braucht gerade keine Macher. Manchmal ist das Wichtigste, was einem niemand nehmen kann: Auf Gottes Wort zu hören. Nichts zu tun. Zeit für das zu haben, was die Seele reich macht. Nicht die High-Performer braucht Jesus hier, nicht die, die arbeiten, bis sie umfallen. Sondern die Zuhörerinnen und Zuhörer. Nur so kann Gottes Wort sich entfalten. Nur so ist Raum, dass Worte gehört werden. Dafür nimmt sich mein Kollege Zeit, auch wenn er uns andere damit erst einmal ausbremst. Zeit für sich und seine Seele, um das Zuhören nicht zu verlernen. Hören. Auf die eigene Stimme, die Worte anderer, Worte von Gott. Und auch wenn mir das in der Situation schwerfällt: Das ist ziemlich sicher wichtiger als jedes Projekt oder jede Performance.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41683Heute wird ein neuer Bundestag gewählt. Was von all den steilen Forderungen aus dem zurückliegenden Wahlkampf am Ende übrig bleibt, das wird sich zeigen. In den letzten Wochen jedenfalls konnte man mitunter meinen, dass es nur noch Schwarz oder Weiß gibt. Dass kaum noch Platz ist für die unendlich vielen Grau- und Zwischentöne, die unsere Gesellschaft ausmachen.
Nun sind steile Forderungen ja keine Spezialität von Wahlkämpfern. Auch das Christentum kennt sie, vor allem, wo es ums Zusammenleben geht. Ein Blick in die sogenannte Feldrede Jesu, die der Evangelist Lukas aufgeschrieben hat, genügt. Ein Ausschnitt daraus ist heute in den katholischen Kirchen zu hören. (Lk 6,27-38) Da lese ich etwa: Gib jedem, der dich bittet; und wenn dir jemand das Deine wegnimmt, verlang es nicht zurück! Ich gebe zu: Da bin ich schon raus. Ich gebe nicht jedem was, der mich auf der Straße nach Geld fragt. Und wenn ich bestohlen werde, möchte ich mein Eigentum natürlich zurückhaben. Außerdem sind das nicht die einzigen steilen Forderungen, die Jesus an seine Anhängerinnen und Anhänger richtet: Segnet die, die euch verfluchen; betet für die, die euch beschimpfen, heißt es da noch. Und auch: Dem, der dich auf die eine Wange schlägt, halt auch die andere hin. Nimmt man Jesus beim Wort, dann verlangt die christliche Botschaft denen, die ihr folgen, also eine ganze Menge ab. Anzunehmen ist aber auch, dass sehr viele Christinnen und Christen diesem hohen Anspruch kaum genügen dürften. Mich selbst eingeschlossen.
Nun wusste Jesus natürlich, dass die Welt nicht nur schwarz-weiß ist. Dass es da endlos viele Schattierungen und Zwischentöne gibt. Seid barmherzig, fordert er deshalb. Vielleicht kommen ja nur Menschen, die die vielen Grautöne wahr- und ernstnehmen, überhaupt auf so ein Wort wie „barmherzig“. Weil kein Mensch auf der Welt perfekt ist. Und weil unser Zusammenleben schnell unerträglich würde, wenn wir bei Fehlern und Schuld, bei Dummheit und Schwäche nicht mehr barmherzig sein könnten. Barmherzig zu anderen und auch zu uns selbst. Das kann natürlich nicht bedeuten, alles einfach gutzuheißen. Wegschauen und Schönreden lösen kein einziges Problem. Doch für die, die sich am Evangelium orientieren wollen, kann es nicht nur Schwarz oder Weiß geben. Und ein Mensch, der als Christ oder Christin barmherzig mit sich selbst sein kann, der wird es auch hinnehmen, wenn er an den hohen Ansprüchen Jesu öfter mal scheitert. Auch, wenn er sich noch so sehr bemüht hat.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41653Es ist zum Verzweifeln: Da ist dieser sympathische junge Mann; ich kenne ihn vom Kinder- und Jugendzirkus, wo er eine inklusive Gruppe junger Artisten trainiert hat. Bei seiner Hochzeit im letzten Sommer haben sie vor der Kirche Spalier gestanden. Im Herbst fiel das Training oft aus; er war im Krankenhaus. Krebs, hieß es, und jetzt die Todesanzeige in der Lokalzeitung. Er wurde nur 34 Jahre alt.
Ja, es ist zum Verzweifeln: Da sitzt dieser alte Herr in seiner überdimensionierten Villa am Hang. Jeder weiß, wie er dazu gekommen ist. Wie er den Bauern im Dorf für n Appel und n Ei ihre wertlosen Grundstücke abgekauft hat. Und dann den Gemeinderat erpresst hat, der das ganze Flurstück zum Bauland umgewidmet hat. Heute gibt es keinen einzigen Bauern mehr im Ort. Aber der alte Herr hat gerade mit viel Tamtam seinen 95. Geburtstag gefeiert.
Ja, es ist zum Verzweifeln, denn jeder von uns kann wohl solche Geschichten erzählen, in denen die Guten untergehen und die Schlechten triumphieren. Und wer verzweifelt ist, dem ist auch schnell alles egal: Wozu gesund leben? Krank werden kann ich trotzdem. Rücksicht nehmen? Warum, wenn die Gauner und Betrüger dieser Welt mit allem davonkommen? Solche Gedanken kennt auch der Mensch, der in der Bibel „Kohelet“ genannt wird. Er hat auch schon viel gesehen in seinem Leben. Aber er verzweifelt nicht. Er sieht sich die Welt an und zieht seine eigenen, nüchternen Schlüsse. Die einen haben was davon, anständig zu leben, aber eine Glücksgarantie gibt es nicht. Sein Rat: Engagiere dich nicht über die Maßen und stich nicht durch Klugheit hervor. Handle aber auch nicht allzu mies und stell dich nicht dümmer als du bist. Am besten fährst du in der Mitte; da fällst du dem lieben Gott und auch sonst keinem auf, weder im Guten noch im Schlechten.
Das ist schon sehr gewitzt, finde ich, und hilft vielleicht durch unsere Zeit, in der einem der Glaube an Gut und Böse schon mal gründlich vergehen kann. Halte Maß, höre ich heraus. Sieh zu, dass Du ordentlich durchs Leben kommst. Nimm den goldenen Mittelweg. Übertreibe es nicht mit Deiner Suche nach Sinn und Gerechtigkeit – lass Dir aber auch nicht alles egal sein. Und Kohelet verspricht: Wer das beherzigt, dem wird es gelingen!
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41603Ende Januar habe ich mich einer besonderen Herausforderung gestellt. Viel hat es dafür nicht gebraucht. Nur PC, Internet und ein paar Minuten Zeit. Die Challenge hieß „Everynamecounts“, also „Jeder Name zählt“. Anlass war der 80. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz und die Aufgabe war, dass innerhalb einer Woche fast 30.000 Häftlingspersonalkarten für ein online-Archiv digitalisiert werden sollten.
Gestartet haben die Challenge die Arolsen Archives, das weltweit größte Archiv zu den Opfern und Überlebenden des Nationalsozialismus. Sie haben die Häftlingspersonalkarten eingescannt und dann Freiwillige gesucht, die mithelfen, Namen und Geschichten der KZ-Inhaftierten sichtbar zu machen. Viele haben mitgemacht und wie ich Namen und Vornamen, Geburtsdaten, letzter Wohnort, Religion, aber auch die Häftlingsnummern eingegeben. Ich musste manches Mal kräftig schlucken und tief durchatmen, wenn ich gesehen habe, wie jung die Menschen waren, als sie ins KZ gekommen sind. Und das nur, weil sie Juden waren oder homosexuell oder nicht ins System der Nazis passten.
Einmal mehr wurde mir bewusst, dass so etwas nie wieder geschehen darf, und dass es an uns allen liegt, unsere Gesellschaft mitzugestalten. Wir sollten gut aufeinander achtgeben, damit Minderheiten nicht übersehen oder noch mehr benachteiligt werden. Weil sie die Sprache nicht können, weil sie Kinder sind oder krank oder weil sie das Geld nicht haben, um gesellschaftlich mithalten zu können: Andere Klamotten, Urlaub nur zuhause. Schnell ist man außen vor.
Mir macht Mut, dass zur Zeit viele Menschen auf die Straße gehen – für die Demokratie und gegen Rechtsextremismus. Davon wird nicht sofort alles besser, aber ich hoffe, dass viele sich dadurch aufrütteln lassen, berühren lassen und in ihrem Umfeld genauer hinsehen und hinhören. Und dass sie dann merken, was sie anpacken und verändern können. Sei es, sich so kurz vor der Bundestagswahl noch einmal gut zu informieren, oder sich für den Kollegen einzusetzen, mit dem sich viele schwer tun.
In katholischen Gottesdiensten ist heute der Abschnitt aus der Bibel zu hören, in dem Jesus die ersten Menschen auffordert, mit ihm zu gehen, ihm nachzufolgen. Simon, Jakobus und Johannes werden mitten aus ihrem Alltag als Fischer gerissen (vgl. Lk 5,1-11). Und was heißt „Jesus nachfolgen“ heute? Vermutlich gehört dazu, dass ich, wenn ich als Christ leben möchte, immer wieder meine Gewohnheiten überdenke. Dass ich vielleicht auch Nachteile in Kauf nehme. Dass ich mich ergreifen und hinterfragen lasse von einem Gott, der uns Menschen braucht, damit seine Botschaft in der Welt ankommen kann. Die Botschaft von einem gütigen und menschenfreundlichen Gott. Einem, der sich gerade der Schwachen annimmt. Und für den jeder Mensch zählt.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41578Mose ist ein Prophet. Aber das war er nicht von Anfang an. Wie er das wurde, davon erzählt uns die Bibel. Mose lebt zu der Zeit, in der die Israeliten in Ägypten versklavt sind. Er erträgt das Leid seiner Landsleute nicht und erschlägt vor Wut darüber einen ägyptischen Sklavenaufseher. Und daraufhin muss er fliehen – muss weg aus Ägypten und flieht in die Wüste. Dort hütet er Ziegen und Schafe, zieht durch sandige und staubige Landschaften im Nirgendwo. Und hat dabei das Gefühl, dass auch er versandet; dass er nicht mehr weiß, in welche Richtung es gehen soll für ihn und sein Leben. Aber genau dort irgendwo im Nirgendwo hat Mose eine beeindruckende Begegnung. Ja, es ist wohl die Begegnung seines Lebens, erzählt die Bibel:
Mose ist allein unterwegs in der Steppe. Da sieht er, wie ein Dornbusch lichterloh in Flammen steht - und trotzdem nicht verbrennt. Mose will da näher dran. Aber Gott hält ihn zurück: „Zieh erst mal Deine Schuhe aus.“, befiehlt er: „Du betrittst hier heiligen Boden, meinen Bereich.“
Mose begegnet also Gott selbst - aber warum er deshalb seine Schuhe ausziehen muss, das leuchtet mir nicht sofort ein. Andererseits - ich würde ja auch nicht mit meinen schmutzigen Gartenschuhen zu einer wichtigen Verabredung gehen. Oder in die Kirche zum Gottesdienst. Eine wichtige Begegnung verdient es, dass ich nicht den Staub und den Schmutz von dem, was hinter mir liegt, an den Füßen mitschleppe.
So ist es auch bei Mose: In dem Moment, in dem Mose Gott begegnet, verlässt er seinen bisherigen Alltag. Und was er bei diesem Zusammentreffen erlebt, das richtet sein Leben völlig neu aus. Gott gibt ihm eine Richtung: Im Namen Gottes soll er zum Propheten werden, zum Anführer für sein Volk. Er soll die Israeliten aus Knechtschaft und Unterdrückung in Ägypten befreien. Das ist die neue Richtung für sein Leben. Sein neuer Alltag, dem er „begegnet“ bei der Begegnung seines Lebens.
Und für diesen neuen Alltag muss Mose seine Schuhe auch wieder anziehen. Er braucht gutes Schuhwerk. Denn auch die neuen Wege werden staubige Wege sein. Aber er weiß jetzt, dass es Gott ist, der ihn auf diese Wege geschickt hat. Die Wege werden deshalb nicht leichter, aber sie bekommen Sinn und Ziel. Und auf ihnen liegt Gottes Versprechen: „Ich bin bei dir. Zieh deine Schuhe an und geh los!“
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41510Lachen oder weinen? Manchmal weiß ich nicht so genau, was von beiden ich tun soll. Wenn mir jemand etwas als Wahrheit verkaufen will, von dem ich weiß, dass es definitiv nicht stimmt. Russland ist eine Demokratie. Oh nein, leider nein, schön wär’s, das ist zum Weinen. Aber lächerlich macht sich der, der es behauptet, wenn es nur nicht so bitter wäre. Für dieses weite Land mit seiner großen Geschichte und vielen wunderbaren Menschen.
Lachen oder weinen? Wenn ich von Gott spreche, will ich etwas Positives sagen, was anderen guttut, wenn sie müde sind oder traurig über den Tod oder frustriert vom Leben. Ich habe eine frohe Botschaft zu verkünden. Gott will nicht den Tod. Jesus will die stärken, die mühselig und beladen sind. Nur manchmal denke ich mir: Das ist zu einseitig. Wenn mir eine Mutter ihr Herz ausschüttet und erzählt, dass sie sich nicht mehr zu helfen weiß, weil ihre Jüngste hochbegabt und sensibel ist und sich gleichzeitig im normalen Leben nicht zurechtfindet. Sie beginnt dann zu weinen, weil sie sich so ohnmächtig vorkommt. Und das fühlt sich richtig an.
Lachen oder weinen? Heute wird in den katholischen Gottesdiensten ein Bibeltext aus dem Buch Nehemia im Alten Testament der Bibel vorgetragen, der nur wegen eines Satzes berühmt ist. Der Satz lautet: Die Freude am Herrn ist eure Stärke[1]. Dem stimme ich zu. Gott als den zu erleben, der mein Leben hell macht, der mir eine Richtung zeigt, bei dem ich mich auch in schweren Zeiten aufgehoben weiß, das macht mich froh. Aber manchmal, wenn ich an Gott denke und mir dabei bestimmte Gedanken vor Augen führe, die ich aus der Bibel kenne, dann werde ich nachdenklich und zuweilen sehr traurig. Zum Beispiel Die Letzten werden die ersten sein[2] – und ich sehe, wie sehr unsere Welt auf Leistung ausgelegt ist. Oder Lasst die Kinder zu mir kommen, denn ihnen gehört das Himmelreich[3]– gleichzeitig denke ich daran, dass Kindern von Priester missbraucht wurden oder und dass immer mehr Kinder an der Armutsgrenze leben sogar im reichen Deutschland.
Lachen oder weinen? In der gleichen Bibelstelle, die heute dran ist, heißt es nämlich auch, und zwar unmittelbar bevor die Freude an Gott beschworen wird: Alle Leute weinten nämlich, als sie die Worte der Weisung hörten[4]. Ja, das ist so, dass es zum Weinen ist, wenn die nüchterne Realität auf das prallt, was Gott eigentlich will. Dann ist es gut, traurig zu sein, die Trauer sehr ernst zu nehmen. Damit ich dranbleibe und nicht vergesse, dass noch lange nicht alles gut ist.
[1] Nehemia 8,10
[2] Matthäus 19,30
[3] Markus 10,14
[4] Nehemia 8,9
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41461Instagram oder Facebook-Gruppen geben ihren Nutzern fast immer Verhaltensregeln fürs Posting mit: die sogenannte Nettiquette – kennen Sie vielleicht. Oder in der Schule - da hängen manchmal die Klassenregeln an der Wand: Verhaltensregeln für ein respektvolles Miteinander.
Der Bibeltext, der heute in vielen evangelischen Gottesdiensten im Mittelpunkt steht, ist auf den ersten Blick auch eine Art Liste von Verhaltensregeln. Er stammt aus einem Brief, den der Apostel Paulus an die frühen Christen in Rom geschrieben hat. Allerdings: Laut gelesen und in einer modernen Übersetzung scheint es doch um etwas anderes zu gehen als bloße Nettiquette. Hören Sie einen Auszug von dem was Paulus da aufzählt: (aus Römer 12 nach der Übersetzung von Oda Wischmeyer)
9 Die Liebe sei ungeheuchelt. Verabscheut das Böse, hängt dem Guten an. 10 In der Bruderliebe – oder Geschwisterliebe - seid einander herzlich zugetan. (...)Im Geist seid brennend. Dem Herrn dient. 12 In Hoffnung seid fröhlich, in Trübsal geduldig, im Gebet beharrlich, (...)
Nein. Das ist keine Aufzählung oder Liste von Verhaltensregeln für Mitglieder der römischen Gemeinde frei nach dem Motto: „Wenn Du hier Mitglied wirst, dann sind das die Regeln, die an der Wand hängen.“ Der christliche Glaube war für römische Bürger vor fast 2000 Jahren ja etwas völlig neues. Und Mitglied einer Gemeinde zu werden ein großer Schritt - ein Schritt aus Überzeugung, und die krempelt die innere Haltung eines Menschen um. „Die Liebe sei ungeheuchelt“ schreibt Paulus, also keine routinemäßige Freundlichkeit, kein ordentlicher Umgang mit anderen Gemeindegliedern – sondern lebendige und brennende Liebe.
Oder wenn er schreibt: „In Hoffnung seid fröhlich, in Trübsal geduldig, im Gebet beharrlich...“ Dann beschreibt er ein Lebensgefühl: von Glauben und Vertrauen auf Gott getragen! Selbst in noch so schweren Zeiten: Fröhlich hoffen, die Geduld nicht verlieren und dran bleiben an Gott, beten...
Ob mich mein eigener Glaube selbst so umkrempelt? Frage ich mich angesichts der eindringlichen Worte von Paulus... Ich möchte das gerne zulassen. Möchte gerne auf Gott vertrauen und mich von der inneren Haltung packen lassen, die Paulus in seinem Brief beschreibt:
„Im Geist seid brennend. Dem Herrn dient. In Hoffnung seid fröhlich, in Trübsal geduldig, im Gebet beharrlich, (...) Freut euch mit den Fröhlichen, weint mit den Weinenden. Seid eines Sinnes untereinander. (...)“
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41415Es war während eines Familienurlaubs an der Küste. Dicke Wolken standen am Himmel, aus denen es immer wieder regnete. Ein kräftiger Wind blies uns ins Gesicht. Doch dann, in einer kurzen Regenpause, riss plötzlich die Wolkendecke auf. Ein Stück blauer Himmel kam zum Vorschein und ein paar Sonnenstrahlen brachen durch die graue Wolkendecke. Ein magischer Moment.
Dieses Bild habe ich seitdem vor Augen, wenn ich die biblische Geschichte von der Taufe Jesu im Jordan höre. Wie Jesus sich da geduldig einreiht in die Schlange der Wartenden. Wie er dann endlich vor dem Täufer Johannes steht. Und - nachdem er getauft ist - wie sich mit einem Mal der Himmel öffnet. „Und der Heilige Geist kam sichtbar in Gestalt einer Taube auf ihn herab“, heißt es da. Spätestens hier dürfte klar sein, dass das kein historischer Tatsachenbericht ist. Es ist ein Bild. Ein ziemlich starkes sogar. Ein Bild dafür, dass Erde und Himmel sich verbinden. Das Sichtbare und das Unsichtbare. Leben und Glauben.
Natürlich weiß ich, dass die grauen Wolken an der Küste und das Blau darüber nicht der Himmel sind, von dem diese Geschichte von der Taufe Jesu erzählt. Der Himmel, aus dem es stürmt und regnet, ist eben nicht der Himmel, wo Gott zu finden ist. Aber vielleicht brauchen wir einfach solche Bilder. Weil wir Menschen sind. Erdverbunden und sinnlich zugleich. Es ist wie mit der Liebe. Die kann ich in den blumigsten Worten besingen. Doch die schönsten Worte nützen nichts, wenn ich Liebe nicht auch gespürt und erfahren habe. Ganz körperlich und sinnlich. Von Mensch zu Mensch.
Für mich berührt das Bild vom offenen Himmel deshalb eine tiefe Sehnsucht, die Menschen haben. Dass da doch noch mehr sein muss als das oft so schwer erträgliche Klein-Klein hier auf der Erde. Dass mein Leben einmal nicht im Nichts endet. Sondern, dass da etwas sein wird, dass ich mir jetzt hier noch nicht vorstellen kann. Und auch: Dass es eine größere Gerechtigkeit geben muss. Weil so viel Unrecht und Gewalt geschieht, die nie gesühnt wird und weil die Sehnsucht nach Gerechtigkeit nicht ungestillt bleiben kann.
Der Publizist Heribert Prantl hat einmal gesagt: Die Kirche könne idealerweise der Ort sein, an dem der Himmel offen ist. Das sollte nicht nur für die Kirche, sondern für jede Religion gelten. Dass sie Menschen, die suchen, den Himmel offenhält. Weil der offene Himmel ein Bild ist für Hoffnung. Hoffnung, dass es gut ausgehen wird. Egal, was kommt.
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